Aus für den Gasprom-“Maiskolben” - Sankt

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Aus für den Gasprom-“Maiskolben” - Sankt
Dezember 2010 (Nr. 22)
Die deutschsprachige Zeitung zum Leben in Piter
Fotogalerie S. 3 >>>
Die Geschichte des
“Ochta-Zentr”
Vom Ticker
Metrostation
“Obwodni Kanal”
eröffnet
Die neue Station erschliesst
die Verbindung zum Petersburger Busbahnhof.
Bild: PD
eva.- Genau ein Jahr nachdem die Station “Swenigorodskaja” ihren Betrieb
aufgenommen hat, ging
ihre Nachbarin “Obwodni
Kanal” ans Petersburger
Netz - die 64 Haltestelle.
Sie gehört zur FrunsenskiLinie und füllt die Lücke
unweit des Petersburger
Busbahnhofs. Das futuristisch gestaltete Gebäude
zeigt, wie Gouverneurin
Valentina Matwijenko an
der Eröffnung erklärte,
die Geschichte des “Abwasserkanals”.
Kultur S. 4 >>>
Interview mit Judith
Hermann
Stadtnachrichten S. 5 >>>
Petersburgs Kampf
gegen Eis und Schnee
www.spzeitung.ru
Stadtnachrichten S. 7>>>
“Allegro”-Zug absolviert Jungfernfahrt
Wirtschaft S. 9 >>>
Novartis baut PharmaWerk in Petersburg
Aus für den Gasprom-“Maiskolben”
Der Energie-Konzern
Gasprom muss sein
Hauptquartier am Stadtrand bauen. Das Projekt für den 400-MeterBüroturm im Zentrum
wurde zurück gezogen.
eva.-In Verhandlungen mit
dem
Gazprom-Konzern
sei beschlossen worden, das
Hauptquartier endgültig nicht
im Petersburger Zentrum
zu bauen, gab die Petersburger Gouverneurin Valentina
Matwijenko bekannt. Gleichzeitig werde damit auch die
Ausnahmeregelung in den
Bauvorschriften ausser Kraft
gesetzt, welche den 400 Meter
hohen Turm zugelassen hätte.
Nur wenige Tage, nachdem
Matwijenko angedeutet hatte,
das “Ochta-Zentr” könnte an
einer anderen Stelle errichtet
werden, fiel der Entschluss
endgültig aus. Dazu hat sicher
eine Stellungnahme von Präsident Medwedew beigetragen,
der im November geäussert
Ihr Protest wurde erhöht. Bild: Eugen von Arb
hatte, er könne sich das Gazprom-Headquarter auch gut
am Stadtrand vorstellen.
Fünf Jahre lang versuchte die
Stadtregierung gemeinsam
mit dem Energieriesen, den
Riesenturm durchzuboxen
– mal schienen bereits die
Bagger aufzufahren, dann
wieder kamen wirtschaftliche oder politische Krisen
dazwischen. Schrittweise zog
sich die Stadtregierung, die
das Hochhaus ursprünglich
grösstenteils mit Steuergeldern
finanzieren wollte, zurück.
Aus “Gazprom-City” wurde
“Ochta-Zentr”, mit aufwändigen PR-Kampagnen versuchte
man der Bevölkerung den
Turm schmackhaft zu machen. Trotz allem waren viele
dagegen und versammelten
sich an Kundgebungen gegen den Turm. Entscheidend
war sicher der beharrliche
Widerstand der politischen
Opposition und Denkmalschützer, die von der Unesco
unterstützt wurden. Zwar
bleibt ein letzter Rest Misstrauen bei gewissen Oppositions-
vertretern, die noch nicht an
einen wirklichen Rückzieher
glauben können, doch ist ein
Widerruf sehr unwahrscheinlich. Ein neuer Standort für
Gazprom wurde noch nicht
genannt – die Gouverneurin
versprach, man werde ihn gemeinsam mit der Bevölkerung
wählen. Wo auch immer sich
Gazprom ansiedeln wird – der
neue Ort wird ein völlig neues
Baukonzept verlangen, und all
die Millionen Rubel, die für
Wettbewerbe, Werbekampagnen, und Bodensondierungen
ausgegeben wurden, sind verloren. Der “Kukuruz” (Maiskolben), wie das Hochhaus des
britischen Architekturbüros
RMJM im Volksmund genannt wurde, ist Geschichte.
Dafür wissen die Petersburger
wieder einiges mehr über ihre
Stadt, denn während den Sondierungen haben Archäologen
an der Ochta-Mündung einige
interessante historische Funde
gemacht.
Neuer Sprengstoff-Anschlag auf Lenin-Denkmal in Puschkin
eva.- Am Abend des 6.
Dezember kurz vor 23.00
explodierte beim LeninDenkmal auf dem Platz bei
der Malaja- und Konjuschenaja-Strasse in Puschkin ein
Sprengsatz. Die Explosion
war von solcher Wucht, dass
in der Umgebung sieben
Fenster zu Bruch gingen.
Kurz danach wurde die
gesamte Umgebung um
das Denkmal von OmonSonderpolizei abgesperrt.
Augenzeugen
berichten,
dass die Figur noch steht,
jedoch leicht geneigt ist. Sie
wurde aus den Fugen gerissen – der Oberkörper der
Figur wurde abgehoben
und seitlich verschoben. Die
Bombe soll eine Sprenkraft
von rund 100 TNT gehabt
haben. Ganz offensichtlich
trug das gestrige Attentat
Wurde ebenfalls Opfer eines Anschlags - der Lenin von
dem Finnländischen Bahnhof. Bild: Eugen von Arb
die Handschrift von jenem,
das am 6. April 2009 auf den
Lenin beim Finnländischen
Bahnhof in Petersburg
verübt worden war. Damals
wurde dem bronzenen Revolutionsführer das Hinterteil weggerissen, und die
Skulptur wurde zur Reparatur für fast ein Jahr vom
Postament genommen. Die
Hintergründe wurden bisher nicht aufgeklärt. Der
Puschkiner Lenin wurde
bereits vor vier Jahren beschädigt und daraufhin
ersetzt. Seine Figur hat ein
besondere Geschichte. An
seiner Stelle stand vor der
Revolution die Kirche der
heilige Jekaterina, die vom
Architekten
Konstantin
Ton gebaut worden war.
1938 sprengte man die Kirche und errichtete an seiner
Stelle den Lenin-Platz.
1941 gelang es nicht, die
Lenin-Skulptur vor dem
Anrücken der Wehrmacht
abzutransportieren.
Sie
wurde von den Deutschen
demontiert und zum Einschmelzen nach Deutschland gebracht. Allerdings
fand sie die Rote Armee
1945 unversehrt in Leipzig.
Sie wurde in der damaligen
DDR gelassen – im Gegenzug schenkte man Puschkin
eine neue Figur.
Mittlerweile hat die Rechtsradikalen-Organisation
“WP (White Power) – Newograd” mit einer Erklärung im Internet die Verant-
wortung für den Anschlag
übernommen. Sie bekannte
sich bereits zu mehreren
Attentaten, unter anderen
auch zum Mord an einem
afrikanischen Studenten
im vergangenen Dezember und zum missglückten
Sprengstoffanschlag auf die
Zugstrecke beim Petersburger Vorort Gatschina.
Die Polizei nimmt jedoch
an, dass die Bekenntnisse
dieser Gruppierung mindestens zur Hälfte reine
“PR-Aktionen” sind. Die
Täter im Lenin-Attentat
von Puschkin konnten
bisher nicht ermittelt werden, doch sieht die Polizei
anhand der “Handschrift”
einen Zusammenhang mit
den Anschlägen in Gatschina um beim Finnländischen
Bahnhof im April 2009.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Alexei Miller:
GaspromHauptqartier
könnte anderswo
gebaut werden
Stadtnachrichten
Seite 2
Erster Schweizer-Treff nach «La Strada»- Schliessung
Schaut sich nach neuem
Gazprom-Standort um:
Alexei Miller.
Bild: Wikimedia Commons
eva.Gasprom-Chef
Alexei Miller äusserte
sich zum ersten Mal
öffentlich zum Rückzug
des Ochta-Zentr-Projekts.
Miller zeigte sich enttäuscht und kündete an, Gasprom könnte womöglich
in eine andere Stadt im
GUS-Raum umziehen. Es
sei falsch zu glauben, das
Ochta-Zentr werde nun
einfach an einem anderen
Standort in Petersburg gebaut, sagte er gegenüber
der Zeitschrift “Itogi”.
Das Ochta-Zentr sei einzig
für den vorgesehenen
Standort an der OchtaMündung
entworfen
worden. Die Konstruktion des Gebäudes sei auf
die Bodenbeschaffenheit
diese Ortes abgestimmt
worden und lasse sich
nicht an jedem beliebigen
Ort in der Stadt bauen.
Ausserdem bezweifle er
nun, ob ein GaspromZentrum in Petersburg
überhaupt erwünscht sei.
Gasprom habe in der
Zwischenzeit Angebote
von anderen Städten erhalten – darunter Omsk,
Wladiwostok und Erewan in Armenien. Was
mit dem freigewordenen
Grundstück an der Newa
geschehe, wisse er nicht,
so Miller. Möglicherweise
werde es nun an einen
anderen Investoren abgetreten.
Den Gegnern des Gasprom-Turms entgegnete
er, die Stadt von Peter
dem Grossen könne kein
“Retro-Grad”
bleiben,
sondern müsse mit der
Zeit gehen, einer Zeit der
Innovationen und der
Modernisierung.
eva.- Im “Marius Pub” fand der erste Schweizer Treff nach der Schliessung des Restaurants “La Strada”
statt. Nach dem Rundschreiben von Taddeo Battistini und Daniel Rehmann hatten sich rund dreissig
Personen zum Abendessen am runden Tisch eingefunden. Der Treff soll in Zukunft jeweils am ersten
Dienstag des Monats stattfinden - nächster Termin ist der 1. Februar 2011 um 19.00 im “Marius Pub”
(Marata 11). Wie früher wird die Zusammenkunft locker und ohne Clubmitgliedschaft organisiert. Auch
bezüglich Nationalität ist das Treffen offen - alle Interessierten sind willkommen! Bild: Heidi Moretti
Gegner des Ochta-Zentr feiern den Sieg
Mit einem kleinen Fest
im Haus der Architekten feierten die Gegner
des “Ochta-Zentr” die
Annulierung des Projekts im Stadtzentrum.
eva.- Mitglieder sämtlicher
am Protest beteiligten Gruppierungen waren versammelt, unter ihnen “Schiwoi
Gorod” (Lebendige Stadt),
“Baschne Net” (Nein zum
Turm) und die “Jabloko”Partei. Neben einem kleinen
Imbiss mit belegten Broten servierte man gekochte
Maiskolben – in Anspielung
auf den Spitznamen “Kukurus”, den der GazpromTurm von der Bevölkerung
erhalten hatte. Wie gross
der Sieg denn nun wirklich
war, darüber waren sich die
verschiedenen
Rednerinnen und Redner nicht ganz
einig. Während die einen
ihrer Freude über den Rückzug von Stadtregierung und
Gazprom freien Lauf liessen,
warnten die anderen davor,
Alexander Karpow serviert eine Portion gekochter Maiskolben. Eugen von Arb/ SPB-Herold
sich zu früh zu freuen.
Auch darüber, wer denn nun
am meisten zum Sieg beigetragen habe, war man sich
uneinig. Der Petersburger Jabloko-Leader Maxim Reznik
gab zu bedenken, dass sich
die Jabloko-Partei von Anfang an gegen das Hochhaus
eingesetzt habe. Die JablokoPartei wurde nach ihren Protesten 2006/2007 nicht mehr
zu den Wahlen ins Stadtparlament zugelassen.
Alexander Karpow, Leiter
des Zentrums für Umwelt-
expertisen Ekom betonte in
seiner Ansprache, dass man
neben der Verlegung des
Turms auch ein Um- und
Mitdenken in der Bevölkerung bewirkt habe. Man habe
etwas in der Gesellschaft
verändert, und das sei sehr
wichtig. Die meisten Votanten gaben zu bedenken, dass
es nach der Verlegung des
Gazprom-Hauptquartiers
darum gehen müsse, die archäologischen Schätze an der
Ochta-Mündung und alle
anderen bedrohten Kultur-
güter der Stadt zu schützen.
In einem Film wurde gezeigt,
welche neuen Erkenntnisse,
die Ausgrabungen an der
Ochta-Mündung gebracht
haben, die man im Vorfeld
des erwarteten Baubeginns
durchgeführt hatte. An der
Stelle, wo einst die Festungen
Ninschanz und Landskron
standen und sich Russen und
Schweden Gefechte lieferten,
kamen Funde zum Vorschein, die bereits Siedlungen
vor 5000 Jahren belegen.
Aus diesem Grund möchte
man an dieser Stelle nun ein
archäologisches Museum errichten. Als ein Beispiel wurde die Festung Bourtange im
holländischen Groningen
angeführt. Die beinahe völlig
zerfallene Festung aus dem
16. Jahrhundert im Sumpfgebiet an der holländisch-deutschen Grenze wurde in den
vergangenen Jahrzehnten
wieder völlig rekonstruiert
und ist heute ein Touristenmagnet.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Fotogalerie
Seite 3
Gasprom-City - Ochta-Zentr - “Kukuruz” - “Maiskolben”
Dezember 2010 (Nr. 22)
Kultur
Seite 4
Judith Hermann in Russland: “Es gibt nur einen Versuch”
Im Rahmen des Projekts
von Goethe-Instituts
„St. Petersburg 2010“
ist Judith Hermann für
eine Lesereise in die
Nordwestregion Russlands gekommen. In St.
Petersburg, Velikij Novgorod und Petrozavodsk
las sie aus ihrem mit dem
Kleist-Preis und HugoBall-Förderungspreis
ausgezeichneten Buch
„Sommerhaus, später“.
Wir haben uns mit der
Autorin in Velikij Novgorod getroffen.
Von Arina Popova
Arina Popova: Frau Hermann, wieso spielt die literarische Handlung in Ihrem
ersten Buch „Sommerhaus,
später“ ausgerechnet in
Russland, in Sankt-Petersburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts?
Judith Hermann: In Deutschland antworte ich, es
sei meine Autorenfantasie.
Aber da es hier in Velikij
Novgorod gefragt wird, sage
ich, dass meine Großmutter
in Sankt-Petersburg, auf der
Vassilij-Insel geboren ist. Sie
hat in der Stadt als Kleinkind
einige Jahre gelebt. Es gibt
einen sehr autobiografischen
Bezug zu der Geschichte
„Rote Korallen“, und ich
habe versucht, einen Teil der
Geschichte meiner Familie
zu erzählen.
Arina Popova: Sind Sie zum
ersten Mal in Russland?
Judith Hermann: Ja, zum ersten Mal. Ich bin absichtlich
mit dem Zug gekommen,
um unterwegs mehr sehen zu
können. Und ich fühle mich
hier nicht fremd, irgendwie
vertraut.
Arina Popova: So haben Sie
die Erzählung „Rote Korallen“ nach den Unterhaltungen mit Ihrer Großmutter
geschrieben?
Judith Hermann: Damals,
als ich diese Geschichte geschrieben habe, war ich sehr
was Persönliches von mir in
den Briefen und dann in den
späteren Geschichten. Und
Journalismus ist ja eher etwas
Unpersönliches, es soll ein
authentisches Schreiben sein,
aber es soll unpersönlich,
neutral sein. Und ich konnte in Amerika nicht neutral sein, weil ich Sehnsucht
hatte. Dieser Übergang, ein
Schritt vom journalistischen
zum literarischen Schreiben,
hat mir Schmerzen bereitet,
aber beim Weg ins Schreiben
hinein war es gut.
Judith Hermann: “Der Schritt vom journalistischen zum literarischen Schreiben hat mir
Schmerzen bereitet, aber beim Weg ins Schreiben hinein war es gut.” Bild: Goethe-Institut
jung, 25 Jahre alt, und ich war
nie zuvor in Russland gewesen. Als die Großmutter 70
Jahre alt war, ist sie nur einmal nach Sankt-Petersburg
zurückgekehrt. Sie wollte
noch einmal an den Ort gehen, an den sie geboren ist.
Und sie ist alleine gefahren.
Ich war damals 20 und ich
fand es schön, dass sie nach
Sankt-Petersburg gefahren
ist, aber es hat mich eigentlich nicht so interessiert,
wie es mich heute interessieren würde. Es ist traurig,
denke ich manchmal. Heute
berührt es mich sehr zu denken, dass sie, eine alte Frau,
alleine noch Mal diese Wege
gegangen ist. Und damals, als
sie zurückkam, habe ich mit
ihr darüber auch nicht gesprochen. Jetzt ist es zu spät.
Ich hatte drei Hilfsmittel für
die Geschichte: das Lexikon,
ein Fotoalbum mit alten
Fotos von Sankt-Petersburg
und meine russische Klavierlehrerin.
Arina Popova: Wie viel
Realität steckt in Ihren Geschichten?
Judith Hermann: Ich denke
mir ganz wenig aus. Ich erzähle von Menschen, die
ich kenne, von den offenen
Fragen, von dem Alltag, von
dem, wonach man Sehnsucht hat,was man bekommt,
oder von dem, was man eben
auch nicht bekommt. Aber
ich würde nicht sagen, das
ich nichts tue (beim Schreiben). Man hat eine kleine
Geschichte, und ich diese
Geschichte so zu sagen, kenne. Ich weiß, wie sie aussieht,
ich weiss genau, wie sie geht,
aber sie ist im abgeschlossenem Raum und ich muss den
richtigen Schlüßel finden, im
richtigen Moment, am richtigen Tag. Es gibt nur einen
Versuch. Es ist manchmal
sehr schwer, alles richtig zu
machen.
Arina Popova: Ich habe ihr
letztes Buch „Alice“ gelesen. Obwohl es um Tod
geht, gibt es keine tragische
Atmosphäre im Text. Das
Lesen des Buches war für
mich etwas fast Meditatives
– etwas, das in Verbindung
mit östlicher Philosophie
steht. War das so auch gemeint?
Judith Hermann: Nicht bewusst, aber das Wort Meditation ist richtig. Es ist in
diesen Geschichten so, dass
plötzlich die Begegnung mit
dem Tod gleichzeitig alles
sehr auf den Punkt bringt.
Innerhalb der Begegnung
mit dem Tod bekommen
diese kleinen Gegenstände
– ein Buch, eine Tasche, ein
Glas – eine höhere Bedeutung. Und das ist ein meditativer Gedanke und es freut
mich, wenn Sie das so lesen,
weil ich es mir so wünsche,
dass man so liest, und das ist
tröstlich.
Arina Popova: Was sind
ihre Themen, gibt es solche?
Judith Hermann: Die Figuren der Geschichten sind
sehr jung im Buch „Sommerhaus. Später“, im zweiten
Buch „Nichts als Gespenster“
sind sie älter und im dritten
Buch „Alice“ sind sie so alt,
wie ich jetzt bin. Die lernen
das, was man im Leben lernt. Es gibt ein Sprichwort:
„Man soll sich vor der Erfüllung seiner Wunsche hüten“.
Das lernen sie zum Beispiel.
Oder dass man selten das bekommt, was man will, aber
stattdessen bekommt man
etwas Anderes. Das Andere
ist klein, aber sehr kostbar.
Also sie lernen gegewärtiger
zu sein. Und bei aller Traurigkeit sind sie eben doch
auch froh. Das Glück des Augenblicks und der Trost der
kleinen Dinge.
Arina Popova: Wie Sind Sie
dazu gekommen, Schriftstellerin zu werden?
Judith Hermann: Ich glaube,
man entscheidet es nicht,
aber es ist auch nicht etwas,
das einem überfällt oder
vom Himmel kommt. Ich
habe als Journalistin gearbeitet, und ich bin einmal lange
Zeit von Zuhause weggegangen nach Amerika. Da habe
ich Heimweh gehabt und
sehr viele Briefe nach Hause
geschrieben. Ich glaube, als
ich diese Briefe schrieb, das
war der Anfang. Es war et-
Arina Popova: Denken Sie
an die Leser beim Schreiben?
Judith Hermann: Wenn ich
beim Schreiben an der Geschichte denkend mir Fragen
stellen würde, was brauchen
die Menschen, was bräuchte
ein Leser, was meint die Gesellschaft zu diesem Text,
wo sind die Fragen der Gesellschaft, dann könnte ich
nicht schreiben. Es ist wichtig für mich beim Schreiben
ganz alleine zu sein und nur
an mich zu denken und an
den ganz kleinen Kreis der
Menschen, mit denen ich
lebe. Wenn ich Glück habe,
erzähle ich indem ich über
sie erzähle auch etwas über
die Gesellschaft, aber das
darf ich nicht wollen, sonst
zerbräche der Text.
Arina Popova: Haben Sie
Vorlieben in der russischen
Literatur?
Judith Hermann: Dostoevskij, Dostoevskij, Dostoevskij.
Und noch Tolstoj, Paustovskij und Achmatova. In
Deutschland, als dieses Buch
erschien, hat die Kritik gesagt, ich sei eine Enkeltochter
Tschechovs. Es war schön für
mich aber gleichzeitig hat
es mir Angst gemacht. Ich
habe eine grosse Distanz zu
Tschechov.
Das Interview wurde auf
Russisch in der “Moskauer
Deutschen Zeitung” veröffentlicht: www.mdz-moskau.eu
Dezember 2010 (Nr. 22)
Stadtnachrichten
An Petersburgs Dächern wachsen die Eiszapfen
Erwartet Petersburg
einen zweiten Katas t r o p h e n -W i n t e r ?
Trotz der Anschaffung
von neuem Räumgerät
werden die Schneeund Eismengen nicht
beseitigt.
eva.- Nachdem die erste
Schneewelle
bewältigt
schien, sorgte das Tief
“Monika” für neue riesige
Schneeberge und lange
Eiszapfen an den Dächern.
Nach offiziellen Angaben
hat die Stadt rund 2000
Räumfahrzeuge dazu gekauft. Die Räumdienste
sind diesen Schneemengen aber ganz offensichtlich nicht gewachsen.
Fussgänger
kommen zu kurz
Wie im vergangenen Jahr
haben darunter vor allem
die Fussgänger zu leiden,
die sich vielerorts über
verschneite Trampelpfade
und Eisblasen fortbewe-
Sie werden immer länger: An manchen Häusern wachsen
Eiszapfen zu tödlichen Geschossen. Bild: Eugen von Arb
gen müssen.
An Rekordtagen passierten laut Fontanka.ru über
120 Auto-Unfälle wegen
Schnee und Glatteis auf
Petersburgs Strassen und
47 Mal wurde der Notarzt
wegen Stürzen von Passanten aufgerufen.
Offener Brief
sorgt für Eklat
Für einen Eklat sorgte ein
offener Brief des populären Krimi-Schauspielers
Michail Truchin, der aus
Wut über die verstopften
und vereisten Gehwege
die Petersburger Gouverneurin
aufforderte,
selbst mit der Schaufel ins
Freie zu gehen, um beim
Schneeräumen zu helfen.
Eiszapfen - gefährliche
Pracht
Gewachsen sind nicht nur
die Schneeberge, sondern
auch die Eiszapfen – diese
gefährliche Pracht hat in
den letzten Tagen vier Mal
für Verletzte gesorgt. Im
schwersten Fall wurde ein
Kleinkind am Auge verletzt. Ein Mann und eine
Frau verletzten sich beim
Sturz von Dächern, die sie
von Schnee und Eis befreiten. Wie schon im letzten
Jahr suchte man nach einem Gegenmittel gegen
das Eis an den Dächern.
Während der Vorschlag
der Gourverneurin, die
Eiszapfen per Laserstrahl
zu beseitigen längst als
Witz die Runde macht,
wurde eine wesentlich realistischere, billigere und
nachhaltigere Lösung gefunden. Die Firma “Baltek
SPB” erhielt den mit einer
Million Rubel dotierten
Preis für ihre Isolationswolle. Wie in den meisten
westeuropäischen bereits
üblich, sollen die Dächer
und
Dachstühle
mit
diesem Material wärmeisoliert werden. Dadurch
wird die Dachregion kalt
und trocken gehalten, und
die Eiszapfen entstehen
gar nicht.
Erste Urteile wegen Mordkomplott gegen Rektorin
der Polar-Akademie Kerem Basangowa
Das Stadtgericht hat
zwei Mitarbeiter der
Polar-Akademie, welche die Ermordung
der Rektorin planten,
zu bedingten Gefängis
Strafen verurteilt.
ner Buchhaltungsprüfung,
welche die neue Rektorin
angeordnet hatte, einen
Killer. Basangowa erfuhr
jedoch von dem Komplott
und schaltete die Polizei
ein.
eva.- Zwei Mitarbeiter der
Petersburger Polar-Akademie, die in das Mordkomplott gegen die Rektorin
Kerem Basangowa verwickelt sind (der Herold
berichtete), wurden vom
Petersburger Stadtgericht
zu bedingten Gefängnisstrafen verurteilt.
Haupt verd äc ht i ger
noch auf freiem Fuss
Schuldgeständnis
Die relativ milden Strafen
von je sechs Jahren und acht
Monaten bedingt, konnten
sich Wladimir und Michail Schaworonkow durch
ihr Schuldgeständnis und
Entkam nur durch Glück einem Mordkomplott: die junge Rektorin der Polar-Akademie Kerem Basangowa.
ihre Zusammenarbeit mit
den Ermittlern erwirken.
Aufgrund ihrer Aussagen
wurde der Prorektor der
Hochschule
Wladimir
Lukin praktisch als Auftraggeber des Anschlags
ermittelt, während sie bei
der Vorbereitung halfen.
Im April 2009 meldete die
Polizei, die hochschwan-
gere Rektorin sei auf dem
Weg zu ihrem Wagen niedergestochen worden und
später ihren Verletzungen
erlegen. Kurz darauf stellte
sich heraus, dass der Mord
lediglich von der Polizei
inszeniert worden war, um
die Drahtzieher zu ermitteln. Prorektor Lukin hatte
bestellte aus Angst vor ei-
Bisher ist der mutmassliche
Haupttäter Lukin nicht geständig und stets auf freiem
Fuss mit der Auflage die
Stadt nicht zu verlassen.
Wie Basangowa gegenüber
dem “Kommersant” sagte,
beunruhigt sie, dass Lukin
nicht inhaftiert ist und weiterhin als Prorektor angestellt ist. Es komme sogar
ab und zu in der Universität
vorbei, meinte sie. Obschon
sie deswegen schon bei der
Polizei intervenierte, hat
diese bisher nicht reagiert.
Seite 5
Petersburger
Polizei nimmt zwei
“Betäubungsdiebe”
fest
eva.- Der Petersburger
Polizei ist es gelungen, zwei Mitglieder
einer Verbrecherbande
zu fassen, die ihre
Opfer mit Hilfe von
Betäubungsmitteln ausraubt, schreibt “Moi
Rayon”. Einer der verhafteten Männer hatte
die Opfer nachts in Bars,
Hotels und Restaurants
kennen gelernt und ihnen angeboten, sie nach
Hause zu bringen (der
Herold berichtete). Unterwegs bot er ihnen
ein Getränk an, das mit
Klofelin vergiftet war.
Hotelzimmer
ausgeräumt
Nachdem sie das Bewusstsein verloren hatten, raubte man sie aus
und stahl auch sämtliche
Wertsachen aus ihren
Hotelzimmern.
Der
verhaftete Dieb war bei
insgesamt acht Fällen
beteiligt, bei denen Sachen im Wert von rund
anderthalb
Millionen
Rubel gestolen wurden.
Unter anderem hatte der
29-jährige Verhaftete im
Juni einen Esten ausgeraubt, dank dessen Beschreibung er verhaftet
werden konnte.
Der zweite Festgenommene beschäftigte sich
mit dem Verkauf des
Diebesguts. Die Polizei
konnte bereits die Treff
-punkte der Bande,
ihr Fahrzeug und die
“Kanäle”
sicherstellen, über die die Sachen
verkauft wurden. Nun
fandet sie nach weiteren
Mitgliedern der Bande –
unter anderem soll auch
mindestens eine Fau an
den Verbrechen beteiligt
gewesen sein, die in Bars
am Newski mit Männern
flirtete und sie später
einschläferte und ausraubte.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Vilsmaier dreht
“Russisches Roulette”
in St. Petersburg
Kultur
Ehemaliger «Mitok» Florenski
Seite 6
eva.- Der deutsche Regisseur Joseph Vilsmaier
dreht in St. Petersburg
einen Kriminalfilm mit
dem Titel “Russisch
Roulette”. Die zweiteilige
Produktion erzählt die
Geschichte eines getöteten
russischen Journalisten
Viktor Kunin und seiner
deutschen Frau (Katharina Böhm), die während
ihrer Reise nach St. Petersburg ihren Sohn (Emit
Kafitz) verliert. Auf der
Suche im bürokratischen
und kriminellen Grosstadtdschungel erlebt sie
allerhand Abenteuer.
Konzert: “Deutschland. Tradition und
Erneuerung”
Orgelkonzert
mit
Werken von Hindemith,
Distler, Pachelbel, Buxtehude und Bach. Der
Solist Ludger Lohmann ist ein international
bekannter Organist und
Professor für Kirchenmusik in Stuttgart und
Köln. 13. Januar 19.00
Staatliche Akademische
Kapella. Nab. Reki Moiki
20. Tel. 314-10-58. Eintritt
350-500 Rubel.
Konzert: Mussorgsky
DIS-COVERED
Fünf Musiker aus verschiedenen Kulturen, schliessen
sich zusammen, um einen
genialen Komponisten neu
zu entdecken: Modest Mussorgsky. Solisten: Elisabeth
Kulman (Mezzo-Sopran,
Österreich), Tscho Theissing (Geige, Österreich),
Arkady Shilkloper (Waldhorn, Flügelhorn, Alphorn,
Deutschland/Russland),
Antoni Donchev (Klavier,
Bulgarien), Georg Breinschmid (Kontrabass, Österreich). 29. Januar 19.00,
Staatliche Akademische
Kapella. Nab. Reki Moiki
20. Tel. 314-10-58.Eintritt:
350-500.
Der bekannte Petersburger Künstler Alexander Florenski zeigte in der Galerie “Anna Nova” seine Reisebilder und signierte Kataloge. Florenski, Mitbegründer der Künstlergruppe “Mitki”, ist neben seiner
Malerei auch als Trickfilm-Autor bekannt geworden. Ausserdem war er während Jahren künstlerischer
Leiter der Kultuzeitschrift “Schurnal Adressa”. Bild: Eugen von Arb
Neue Räume der Eremitage im Generalstab eröffnet
Die erste AusbauEtappe im linken Flügel des Generalstabs
ist abgeschlossen und
wurde eingeweiht.
eva.- Wie angekündigt
eröffnete die Eremitage die
erste Etappe des umgebauten Generalstabsflügels. An
der Feier waren zwar noch
kaum Kunstwerke zu sehen
– dafür erfüllten Musik und
prominente Gäste die modernen Museumsräume.
Neben Eremitage-Direktor
Michail Piotrowski trat die
Petersburger Gouverneurin Valentina Matwijenko
auf. Sie lobte Qualität und
Zuverlässigkeit der mit
dem Umbau beauftragten
Baufirma “Intarsia”. Das
Generalstabsprojekt
sei
wohl das einzige Beispiel
der Modernisierung eines
historischen
Gebäudes
in der Stadt, das keinerlei
Konflikte hervorgerufen
habe, so Matwijenko.
Wie alle anderen Gäste zeigte sie sich beeindruckt vom
Foyer der neuen Anlage,
Die Eremitage öffnete die Tore zu den neuen Räumen für
prominente Gäste. Bild: PD
zu dem eine grosse Marmortreppe gehört, die zum
15 Meter hohen Eingansportal führt, das durch ein
zweiflügliges Eichenholztor verschlossen wird. Mit
dem Generalstab verfügt die
Eremitage als erstes grosses
Petersburger Museum über
moderne Räumlichkeiten,
in denen Kunst ohne “historische Kulisse” ausgestellt
werden können.
Bei ihrem Rundgang besichtigten die Gäste auch
die Brücke mit gläsernem
Boden, die die beiden Flügel verbindet. Die gesamte
Anlage ist sehr minimalistisch gestaltet, wertvolle
historische Bausubstanz,
wie zum Beispiel Kachelöfen wurde bewahrt und
in den modernen Bau
integriert. Die moderne
Klimaanlage, welche für
ideale Bedingungen für
Kunstwerke und Besucher
sorgen soll, funktionierte
ohne am Premiereabend
ohne Probleme.
Am Eröffnungsabend waren ausser zwei Werken von
Henri Matisse noch keine
Kunstwerke ausgestellt –
dafür bewährte sich die Eingangstreppe ein erstes Mal
als Konzertbühne bei einem
Auftritt des Opernsängers
Vassili Gerello aus dem Ensemble des Mariinski-Theaters. Die Darbietung sei
zwar relativ laut gewesen,
dafür habe sich ein echter
Stereo-Effekt
eingestellt,
schreibt Fontanka.ru.
Der linke Flügel des Generalstabs wird seit 2008
nach dem Projekt des Architekturbüros
“Studio44” unter der Leitung von
Nikita Jawein umgebaut.
Bis 2014 sollen die Modernisierung der insgesamt 45
Räume abgeschlossen sein.
Im neuen Trakt soll unter
anderem eine Abteilung
für zeitgenössische Kunst
entstehen.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Stadtnachrichten
Putin und Halonen weihen “Allegro”-Schnellzug ein
Die finnische Präsidentin und der russische Premier waren
bei der Jungfernfahrt
des Hochgeschwindigkeitszugs “Allegro”
zwischen Helsinki und
Petersburg dabei.
rian.- Putin schloss sich
in Wyborg der finnischen
Präsidentin Tarja Halonen
an, die in Helsinki in den
Zug eingestiegen war. Mit
der Umsetzung des Projekts
war nach den Verhandlungen zwischen Putin und
Halonen im Mai 2002 begonnen worden. Halonen
und Putin besichtigten den
frisch renovierten Bahnhof
von Wyborg und setzten
anschließend zusammen
ihre Reise nach St. Petersburg fort.
Das russische Eisenbahnunternehmen
RZD
Hat Finnen und Russen einander näher gebracht: der Hochgeschwindigkeitszug “Allegro”. Bild: Wikimedia Commons
schlägt vor, die Passagiere
der Allegro-Züge für 72
Stunden visumfrei in Russland einreisen zu lassen.
Das teilte RZD-Präsident
Wladimir Jakunin am Sonnabend auf einer Pressekonferenz in Helsinki mit,
die der Aufnahme des Allegro-Zugverkehrs zwischen
St. Petersburg und Helsinki
gewidmet war.
Jakunin verwies darauf,
dass diese Regelung vor
zwei Jahren für die Touristen beschlossen wurde, die
auf dem Seeweg nach St.
Petersburg kamen. „Wir
haben diesen Beschluss studiert und festgestellt, dass
wir die Möglichkeit haben,
die Regierung zu ersuchen,
die gleiche Regelung für
Touristengruppen gelten zu
lassen, die die Allegro-Züge
auf der Strecke Helsinki
– St. Petersburg benutzen
werden“, hieß es. „Ich habe
bereits einen entsprechenden Brief an Premier Wladimir Putin unterzeichnet.“
Dank den Allegro-Zügen
wird die Reisedauer zwischen St. Petersburg und
Helsinki von 6 Stunden und
18 Minuten auf dreieinhalb
Stunden verringert. Die
Züge bieten 344 Plätze für
Fahrgäste, 48 davon in der
1. Klasse. Eine Fahrkarte in
der 2. Klasse kostet 84 und
in der 1. Klasse 134 Euro.
Die Zuggeschwindigkeit
auf dem Territorium Russlands wird maximal 200
km/h und auf dem Territorium Finnlands 220 km/h
betragen. Der Verkauf von
Allegro-Tickets hatte bereits vor einigen Wochen
begonnen, und laut RZD
sind die Allegro-Züge über
die Neujahrstage bereits gut
ausgebucht.
Schwaches Petersburger “Echo” auf Unruhen in Moskau
Rechtsgerichtete Gruppierungen
demonstrierten, und bei den
Antifaschisten führte
die Polizei eine Hausdurchsuchung wegen
“E x tremismus-Verdacht” durch.
eva.- Die brutalen Zusammenstösse von SpartakFussballfans, Nationalisten
und Kaukasiern in Moskau
hat in Petersburg nur einen
schwachen Nachhall bewirkt. Einerseits wurden hier
deutlich weniger Menschen
mobilisiert, andererseits unterdrückte die Polizei bereits
leiseste Anzeichen von Protest und verhaftete wahllos
Leute von der Strasse weg.
An sämtlichen Metrostationen im Zentrum waren die
Polizeistreifen verstärkt.
Besonders viel Polizei wurde
im Bereich der Sennaja Ploschad zusammen gezogen,
wo offenbar ein möglicher
Unruheherd
vermutete
wurde. Polizei und OmonSonderpolizei griffen ohne
Vorwarnung zu und bug-
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Teures Neues Jahr
– Tarife für ÖV,
Gas, Wasser und
Elektrizität steigen
massiv
eva.- Wie üblich steigen die
Lebenshaltungskosten für die
Petersburger Bevölkerung
zum Jahreswechsel an – diesmal ist der Teurungsschub
happig: Eine Metro-Fahrt
wird im Januar neu 25 Rubel
kosten – drei Rubel mehr als
jetzt. Die Preise für Bus und
Tram werden um zwei Rubel
von 19 auf 21 Rubel angehoben. Auch die Hausverwaltungstarife werden zünftig
teurer – im Schnitt werden
15 Prozent aufgeschlagen.
Ab dem 1. Januar wird Strom
zehn Prozent, Kaltwasser
20 Prozent, Warmwasser 13
Prozent und Gas 17 Prozent
mehr kosten. Die Petersburger Regierung, welche die
neuen Preise bereits bewilligt
hat, begründet die Erhöhung
mit der Inflation und der
Verteuerung der Treibstoffpreise – ausserdem sollen mit
dem Geld die Sozialleistungen der Angestellten im ÖV
und bei der Hausverwaltung
verbessert werden.
Petersburger Weihnachtsmarkt auf
dem Ostrowski-Platz
“Kochende” Emotionen an einem Spartak-Spiel. Bild: Wikimedia Commons
sierten in ihrer Busse, wer ihnen verdächtig vorkam. Laut
Fontanka.ru wurden rund
80 Personen auf die Wache
transportiert.
Einige
Festgenommene
wehrten sich verzweifelt, andere liessen die Festnahme
ruhig über sich ergehen. Erst
als die Beamten eine Frau
mit einem Kleinkind in den
Bus setzen wollten und dafür
von den Passanten Empörungsschreie ernteten, merkten sie, dass sie wohl zu weit
gegangen waren und liessen
sie frei. Die Verhaftete hatte
lautstark gegen die Festnahme ihrer Mannes protestiert.
Auch die Waffen die bei
den mutmasslichen Unruhestiftern sichergestellt
wurden, sind kaum vergleichbar mit dem furchterregenden Arsenal an
Schlag-, Stich und Feuerwaffen, die der Moskauer
Polizei in die Hände fiel. In
Petersburg wurden unter
anderem eine Luftpistole
und einige Schreckschusspistolen
beschlagnahmt.
Keine der politischen Parteien unterstützte die Pro-
teste, selbst die “Bewegung
gegen illegale Migration”
nicht. Sowohl der Petersburger Zenit-Fussballklub
wie auch Spartak Moskau
distanzierten sich von den
nationalistischen Unruhen.
Sie waren ausgebrochen,
nachdem am 6. Dezember
der junge Spartak-Fan Jegor
Swiridow bei einer Schlägerei im Norden Moskaus ums
Leben kam und die Polizei
mehrere mordverdächtige
aus dem Norskaukasus erst
verhaftete und kurz danach
wieder freiliess.
eva.- Noch bis am 7. Januar
ist auf auf dem OstrowskiPlatz der fünfte Petersburger
Weihnachtsmarkt im Gang.
Neben vielen Ständen mit
weihnachtlichen Süssigkeiten
wie Lebkuchen, gebrannten
Mandeln und Karamel sowie
Souvenirs und Geschenken,
gehört zum Markt auch eine
Kunsteisbahn. Der russische
Weihnachtsmarkt ist für die
meisten Russen ein Symbol
für Neujahr – die russische
Weihnacht wird nach dem
alten Kalender am 6./7. Januar gefeiert. Abends werden
auf der Bühne Konzerte abgehalten. Ausserdem malen
dort bekannte Petersburger
Künstler Bilder, die zugunsten von Kinderhilfsorganisationen versteigert werden.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Fotogalerie
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Impressionen vom Weihnachtsmarkt auf dem Ostrowski-Platz
Dezember 2010 (Nr. 22)
Wirtschaft
Novartis baut Pharma-Fabrik in St. Petersburg
Der Schweizer Chemie-Konzern Novartis
wird in Petersburg eine
Fabrik mit 4000 Angestellten bauen.
pd.- Der Schweizer Novartis-Konzern gab die
Unterzeichnung
einer
Absichtserklärung
mit
der Stadt St. Petersburg
bekannt und bestätigte
damit seine Absicht, dort
eine neue pharmazeutische
Serienproduktionsanlage
zu errichten. Ab 2011 soll
das neue Pharma-Werk mit
4000 Arbeitsplätzen entstehen. Zum Novartis-Engagement gehört auch eine
Kooperation in Forschung
und Entwicklung sowie im
Gesundheitssektor.
Diese Investition ist Teil eines Engagements in Höhe
von 500 Mio. Dollar in die
lokale Infrastruktur und
in Kooperationsinitiativen
im Gesundheitssektor, die
über einen Zeitraum von
fünf Jahren geplant sind.
Die umfassende Partnerschaft konzentriert sich
auf drei Kernbereiche: lokale Produktion, Partnerschaften in Forschung und
Entwicklung (F&E) sowie
Entwicklung des Gesundheitswesens.
Das Werk in St. Petersburg
wird eine moderne pharmazeutische Produktionsanla-
Neben der Pharma-Produktion will Novartis auch in den Forschungsstandort Petersburg investieren. Bild: PD
ge auf dem neuesten Stand
der Technik sein. Die Anlage stellt eine bedeutende
Investition von Novartis in
Russland dar und wird den
Transfer fortschrittlichster
Technologien und Fertigkeiten in die Russische Föderation ermöglichen.
Nach der Fertigstellung und
Zulassung für die gewerbliche Produktion sollen im
neuen Werk in St. Petersburg sowohl hochwertige
Markengenerika als auch
Pharmazeutika hergestellt
werden. Es dürfte eine der
grössten Investitionen von
Novartis in die lokale Produktion sein, die letztendlich die Bedürfnisse des
russischen Marktes und anderer Teile der Welt erfül-
len soll. Der Baubeginn ist
für 2011 geplant, und die
Anlage soll etwa 1,5 Mrd.
Einheiten pro Jahr produzieren.
Neben der Errichtung der
eigenen Produktionsanlage
in Russland plant Novartis,
die Investitionen in F&E sowie die Kooperationen im
öffentlichen Gesundheitswesen gemeinsam mit der
russischen Regierung weiter auszubauen. Zu diesen
Aktivitäten gehören Kooperationen mit Universitäten
und Hochschulen, aber
auch mit aufstrebenden
russischen Privatunternehmen in unterschiedlichen
Bereichen der medizinischen Wissenschaft.
Das Spektrum dieser
Kooperationen kann von
Massnahmen wie der Auslizenzierung von NovartisWirkstoffen an russische
Unternehmen mit nachgewiesenen wissenschaftlichen Fähigkeiten über
die Einlizenzierung und
Erkundung von vielversprechenden
Medikamentenkandidaten russischer
Wissenschaftler und Universitäten bis hin zu Modellierungs- und Simulationstätigkeiten für klinische
Studien reichen.
Novartis ist aktiv in all
diesen Bereichen tätig und
identifiziert dabei vielversprechende Projekte für
die gemeinsame Weiterentwicklung. Das Unternehmen ist das erste und einzige Pharmaunternehmen
in Russlands Foreign Investment Advisory Council
(FIAC, Beratungsausschuss
für Auslandsinvestitionen)
und wird Partnerschaften
mit Gesundheitsbehörden
auf Bundes- und Regionalebene eingehen. Daneben
hat sich Novartis auch dazu
verpflichtet, die Investitionen in die Medikamentenentwicklung durch klinische Studien in Russland
zu verdoppeln. Es wird mit
der Rekrutierung von etwa
4 000 Personen bis 2013 gerechnet.
MAN kommt mit LKW-Werk nach St. Petersburg
Der Deutsche Lastwagen-Hersteller baut
ein Werk für 10.000
Fahrzeuge jährlich.
mm.– Wie Kommersant
heute meldet, wird der zu
Volkswagen
gehörende
MAN-Konzern in St. Petersburg ein neues Werk
für Lastkraftwagen bauen.
Das Werk soll eine Kapazität von 10.000 Fahrzeugen haben. Volvo und die
VW Tochter Scania, welche bald mit MAN fusioniert, haben bereits ähnliche Projekte gestartet.
Das Abkommen über den
Hakan Samuelsson , Chef
von MAN. Bild: PD
Bau des Autowerks wurde
am Dienstag zwischen der
Stadt und der Konzernleitung unterzeichnet. In
einer ersten Etappe wird
eine reine Endmontage
realisiert, Ziel sei es jedoch eine möglichst tiefe
Produktion vor Ort zu
erreichen. Die Startinvestitionen von MAN beträgt
20 Mio. Euro, sagt einer
der Gesprächspartner zu
Komersant.
Der Produktionsstandort
steht noch nicht fest. Die
vorläufige Endmontage
wird in einer Abteilungen
des Betriebs “Arsenals”
beginnen. Dort residierte
bereits die Endmontag
für General Motors bevor
diese in den neuen Betrieb in der Industriezone
Schuschary
umziehen
konnte.
MAN betont, es gebe seit
2008 Pläne ein Produktionswerk in Russland zu
erstellen. Nach Verhandlungen im Brjankser Gebiet und in Kaluga wurde
sich die Lastwagenbauer
dann mit St. Petersburg
einig.
Die Unternehmensberater
von Ernst und Young sind
dagegen skeptisch. MAN
hat im Jahr 2009 ca. 2000
Lastkraftwagen nach Russland verkauft und ist nach
dem Markführer KAMAZ
mit über 20.000 Fahrzeugen auf Platz 2. Die Mitbewerber Iveco (1400), Volvo
und Scania (jeweils ca.
1000) kommen somit alle
zusammen mit MAN auf
nur 20% des Marktes.
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Vom Ticker
Grundstein für
das neue
Flughafenterminal
in Pulkovo gelegt
fra/ mm.– In einer feierlichen Zeremonie hat
der
Fraport-Konzern
gemeinsam mit seinen
Konsortialpartnern
und im Beisein des russischen
Ministerpräsidenten Wladimir Putin
am Flughafen Pulkovo
in St. Petersburg den Grundstein für ein neues
Passagierterminal gelegt.
Vor Ort erklärte der
Vorstandsvorsitzende
der Fraport AG, Dr. Stefan Schulte: „Nur sieben
Monate nach der erfolgreichen Übernahme des
Flughafenbetriebs durch
unser Konsortium ist
heute ein weiterer wichtiger Meilenstein in unserem Projekt erreicht.
Während der nächsten
drei Jahre werden wir
Zeuge der Entwicklung
des Flughafens Pulkovo
zum
hochattraktiven
Gateway im Norden Europas sein.“
Begleitet wurde Schulte
auf seiner Reise nach
St. Petersburg von Prof.
Klaus-Dieter
Scheurle,
Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung, sowie von Uwe
Becker, Stadtkämmerer
der Stadt Frankfurt am
Main, deren Teilnahme
die herausragende Bedeutung des Fraport-Engagements in Russland
für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die
hessische
Heimatstadt
des
Airport-Konzerns
unterstreicht.
Fraport ist mit 35,5
Prozent am Konsortium
Northern Capital Gateway beteiligt, das gemeinsam mit den Partnern
VTB Bank (50 Prozent),
dem zypriotischen Investor Koltseva Holdings Ltd. (7,5 Prozent)
und der griechischen
Copelouzos Gruppe (7
Prozent) die Entwicklung
des Flughafens in der
zweitgrößten russischen
Metropole vorantreibt.
Dezember 2010 (Nr. 22)
Vermischtes
Verschrottungsprämie - Lada fährt allen davon
Abtransportiert und verschrottet - ein Lada Samara. Bild: Eugen von Arb/SPB-Herold
Zertifikat für einen Lada,
deutlich weniger Verkäufe
konnte Renault mit 15 Prozent verbuchen. Auf den
nächsten Plätzen landeten
Skoda mit 10 Prozent, Ford
mit 6,3 Prozent und Chevrolet mit 2 Prozent.
Laut dem Leiter von “Piterlada” Valeri Scheromow
gaben in erster Linie Pensionäre ihre alten Autos in die
Schrottpresse – das, obschon
sie ihre Wagen über Jahr-
zehnte gepflegt hatten und
sehr an ihnen hingen. Darum habe man ihnen jeweils
das Schutzblech abmontiert
und als Andenken überlassen.
Manche
“Schrottwagen”
erwiesen sich als wahre Raritäten, so zum Beispiel eine
21er Wolga oder ein bereits
antiker Alfa Romeo. Sie entgingen der Vernichtung und
wurden von Oldtimer-Klubs
übernommen. Gekauft wur-
den vor allem die klassischen
Lada-Modelle, aber auch die
Modelle “Samara”, “Priora”
und der neue “Kalina” liefen
gut.
Die Aktion wird im kommenden Jahr weiter geführt
– dafür stellt die russische
Regierung 13 Milliarden
Rubel bereit, 2010 waren es
11 Milliarden. Welches Kontingent an Zertifikaten Petersburg erhält, ist noch nicht
bekannt.
Der St. Petersburger Herold
mm.- Der St. Petersburger
Herold (Online) ist aus
dem Bedürfnis entstanden, ein Internet- und
Informationsportal
für
die deutschsprachige Gemeinde von St. Petersburg
zu betreiben.
Um nicht mit der altehrwürdigen St. Petersburgischen Zeitung verwechselt
zu werden, wurde unsere
Online Zeitung “St. Petersburger Herold” genannt.
Die gleichnamige politische Zeitung wurde 1871
als religiös und politisch
unabhängiges
Medium
von St. Petersburger Bürgern deutscher Sprache
gegründet.
Der
St.
Petersburger
Herold wurde in Folge
eine bedeutende überregi-
Vom Ticker
Bobby Farell tot
in seinem Petersburger Hotelzimmer aufgefunden
worden
Die Verschrottungsprämie wurde zwar nicht
im geplanten Ausmass
genutzt - trotzdem hat
sie für einen zünftigen
“Anschub” bei den Autohändlern gesorgt.
eva.- Vom staatlichen Verschrottungsprogramm haben vor allem die russischen
Autohersteller
profitiert,
schreibt Fontanka.ru. Zwar
wurden im Ergebnis nur die
Hälfte der möglichen 40.000
Verschrottungs-Zertifikate
in Anspruch genommen,
doch schon dies ist ein Erfolg
– die Autohändler sprechen
von bis zu 60 Prozent mehr
Kunden dank dem Programm.
Die seit vergangenem März
laufende Aktion bot jedem
Besitzer eines mindestens
zehn Jahre alten Autos die
Möglichkeit, ihn zu verschrotten und einen Neuwagen mit einer Vergünstigung
von 50.000 Rubel (rund 1.100
Euro) zu kaufen. Obschon
die Auswahl der zugelassenen Neuwagen gross war,
entschieden sich weitaus die
meisten für einen Lada.
53 Prozent verwendeten ihr
Seite 11
mm. – Im St. Petersburg
Hotel Ambassador verstarb der Sänger Bobby
Farrell von Boney M.
Bobby Farell wurde am
30. Dezember um 9.00
Uhr ohne Lebenszeichen
in seinem Hotelzimmer
gefunden. Wie die Polizei
mitteilte, gibt es keinen
Hinweis auf einen gewaltsamen Tod.
Es wurde eine Autopsie
angeordnet. Das Mitglied
der legendären DiscoBand ist Staatsbürger der
Niederlande und hat noch
am Vorabend ein Konzert
in St. Petersburg gegeben.
Nach seinem Auftritt hatte er erklärt er fühle sich
nicht gut.
Der DJ, Tänzer und
Backgroundsänger wurde mit der deutschen
Disko-Gruppe
Boney
M berühmt, welche von
Frank Farian 1975 gegründet worden war.
Impressum
Der St. Petersburger Herold
erscheint einmal monatlich.
Der Inhalt besteht aus Beiträgen der gleichnamigen
Internet-Zeitung
www.
spzeitung.ru.
Redaktion: Markus Müller (mm.), Eugen von Arb
(eva.).
Redaktionsadresse:
[email protected]
www.spzeitung.ru
Telefon: 8-921-988-51-19
Der Petersburger Herold
wird unterstützt von:
So sah das Original des “St. Petersburger Herold” aus.
Bild: Ausstellung “Deutsche in St. Petersburg”.
onale Zeitung und wurde
von den damaligen Leitmedien im Westeuropäischen Raum stark beachtet
und rege zitiert.
In der liberalen, kritischen
und politisch akzentuierten Tradition des “alten St.
Petersburger Herold” fin-
den wir unser Leitbild für
unsere neue Zeitung.
Der
St.
Petersburger
Herold ist auch ein „Mitmach-Portal“ – sie können eigene Beiträge online
Veröffentlichen. Wir bitten Sie von dieser Möglichkeit rege Gebraucht zu
machen.
Empfehlen sie uns Ihren
Freunden und Bekannten
weiter, damit der “Herold”
zur besseren Vernetzung
und Information innerhalb der der Stadt beitragen kann.

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