Kariesinfiltration

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Kariesinfiltration
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
323
Kariesinfiltration
Hendrik Meyer-Lückel, Sebastian Paris
Paradigmenwechsel in der
Kariologie
Neue Materialien und Techniken
Fazit und Ausblick
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Übersicht
323
325
336
Paradigmenwechsel
in der Kariologie
Unter dem Begriff Karies subsumiert man die Zeichen
und Symptome, die aufgrund einer lokalisierten chemischen Auflösung der Zahnsubstanz, bedingt durch
metabolische Prozesse des dentalen Biofilms, auftreten
[1]. Die Veränderungen der Zahnhartsubstanz, die als
Karies bezeichnet werden, spiegeln folglich die Aktivität des Biofilms wider.
Merke: Deshalb sollte bei der Erhaltung der Zahngesundheit eine positive Beeinflussung der Interaktion zwischen Biofilm und Zahn im Vordergrund
der Bemühungen stehen.
Eine rein dichotome Betrachtungsweise der Erkrankung, wonach man alleinig gesunde und unheilbar
erkrankte (= kavitierte) Zähne oder Zahnflächen unterschied, wurde zusehends verlassen. Neben der Ausdehnung und der Oberflächenbeschaffenheit wurde
Abb. 1 a bis e a, b Die 26-jährige Patientin zeigt unter anderem an den Zähnen 24 mesial/
distal und 25 mesial sowie 45 distal 4 approximale Läsionen, die röntgenologisch bis in das
Dentin extendiert sind. c Klinisch ist nur die Läsion an 24 mesial sichtbar kavitiert. d Die unkavitierte, aber aktive kariöse Läsion an Zahn 25 mesial (weißlich bis bräunlich/opak/rau bei
Sondierung) ist nach Präparation der Kavität 24 distal (auch diese Karies war unkavitiert) deutlich sichtbar. e Die Oberfläche an Zahn 45 distal (glatt/bei Sondierung, eher glänzend) wirkt
bei klinischer Betrachtung inaktiv.
die sog. Aktivitätsbeurteilung einer Karies anhand von
weiteren Läsionscharakteristika zur Abwägung der
Wahrscheinlichkeit des Voranschreitens einer Karies
Von Drill and fill …
als weiteres Kriterium zur Kariesbeurteilung vorgeschlagen [2] (Abb. 1):
Die klassische invasive Kariestherapie basiert auf der
■
Farbe,
Kavitätenlehre nach Black [3], die gerne mit dem Be-
■
Opazität,
griff „extension for prevention“ umschrieben wird.
■
Rauigkeit beim Sondieren,
Hierbei wurde darauf abgezielt, unter Einhaltung klas-
■
Plaquebesiedelungsfrequenz.
sischer Präparationsregeln eine Kavität zu präparieren,
Zahnmedizin up2date 4
⎢2011 ⎢323 – 340 ⎢DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1280077
Kariesinfiltration
die genügend Retention für die damals zur Verfügung
… zu Heal and seal
stehenden Materialien (z. B. Zemente, Amalgam und
Gold) aufwies. Die Ränder der Restauration sollten in
Heutzutage geht man geht davon aus, dass der Karies-
Bereichen des Zahnes liegen, die für die Mundhygiene
prozess aufgehalten werden kann, wenn Karies be-
gut zugänglich sind, um die Ausbildung von Randkaries
günstigende Faktoren reduziert werden, sei es durch
zu verhindern. Dies bedeutete, dass okklusal alle Fissu-
noninvasive, invasive oder aber auch mikroinvasive
ren einbezogen sowie approximal die Kästen sehr weit
Maßnahmen.
extendiert werden sollten. Darüber hinaus sollte infektiöses Dentin möglichst vollständig entfernt werden,
um hiernach auf hartem, vermeintlich bakterienfreien
■
Non-invasiv
Dentin eine Restauration anzufertigen.
Approximalkaries konnte gezeigt werden, dass die
Kavitätenpräparation führt dazu, dass bereits bei
Etablierung einer röntgenologisch detektierbaren Den-
der Erstversorgung eines kariösen Zahnes weite
tinkaries in den meisten Fällen mehrere Jahre bis sogar
Teile des Schmelzes präpariert werden müssen.
ein Jahrzehnt dauert [4] (Abb. 2), sodass ein ausreichendes Zeitfenster für einen rechtzeitigen invasiven
Diese Philosophie resultiert in einer restaurativ aus-
Therapieentscheid besteht. Bei guter Zugänglichkeit
gerichteten Behandlungsstrategie, die hohe Kosten,
der Zahnfläche und gegebener Adhärenz/Compliance
Schmerzen und epidemiologisch gesehen einen hohen
des Patienten sind sowohl kariöse Schmelz- als auch
DMFT‑Wert zur Folge hat. Dieses Paradigma kann mit
Dentinläsionen (Wurzelkaries) durch rein noninvasive
dem Anglizismus „drill and fill“ umschrieben werden.
Maßnahmen arretierbar. Deren Auswahl und die Fre-
Doch ist für eine erfolgreiche Kontrolle des Kariespro-
quenz der Anwendung sollte sich am Kariesrisiko des
zesses eine vollständige Eliminierung aller klinischen
Patienten orientieren. Die Wahrscheinlichkeit der Ar-
und röntgenologischen Anzeichen einer Karies, also
retierung einer kariösen Läsion durch alleinige non-
auch von Frühstadien des Kariesprozesses, überhaupt
invasive Maßnahmen nimmt allerdings mit Zunahme
notwendig?
der Kariesausdehnung ab. Entsprechend zeigt eine
kariöse Läsion vor allem dann eine zunehmende Progressionstendenz, wenn diese eine meist auch klinisch
feststellbare Kavitation aufweist [5], da in diesem Be-
8
4
0
gesund → E2
E2 → D1
EDJ → D1
Abb. 2 Von Karies betroffene gesunde approximale Flächen bei
schwedischen Jugendlichen bildeten zu 50 % (Median) innerhalb von
6 Jahren eine röntgenologisch sichtbare Karies bis in die innere
Schmelzhälfte aus. Die medianen Progressionszeiten von kariösen
Läsionen, die bis in die innere Schmelzhälfte (E2) oder bis zur
Schmelz-Dentin-Grenze (EDJ) extendiert waren bis jeweils in das
äußere Dentindrittel (D1), betrugen ca. 5 bzw. 3 Jahre [4].
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Abb. 3 Nach Präparation des Nachbarzahns zur Insertion
einer Füllung sieht man deutlich eine klinisch relevante
Kavitation der angrenzenden Appoximalfläche. Die verbliebenen kariösen Schmelzanteile können infiltriert werden,
die Kavitation wird hierdurch aber nicht aufgefüllt.
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Hinsichtlich der Progressionsgeschwindigkeit der
Cave: Die Einhaltung der Blackʼschen Regeln zur
mediane Progressionszeit (Jahre)
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Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
reich eine für die Mikroorganismen günstige Milieu-
Merke: Eine moderne kariologische Behandlungs-
änderung stattfindet (Abb. 3). Vergleichbare kariesför-
philosophie verfolgt das Ziel, Karies möglichst
dernde Bedingungen bestehen auch in tiefen Fissuren
mit minimalintervenierenden Maßnahmen zu
und Grübchen sowie Randspalten von Restaurationen.
arretieren.
Merke: Nicht nur die noninvasiven, sondern auch
Das Paradigma „heal and seal“ zur Behandlung von
die invasiven Interventionen zur Behandlung der
Karies beinhaltet:
Karies und ihrer Folgen (Restauration) sollten pri-
■
Durchführung noninvasiver Basismaßnahmen
durch den Patienten,
mär darauf abzielen, ein für die Mikroorganismen
günstiges orales Milieu zu beseitigen und dessen
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■
Anwendung risikoorientierter noninvasiver Maßnahmen (professionell oder eigenständig),
erneutes Auftreten nachhaltig zu verhindern.
■
Versiegelung von Okklusalflächen (gesund und
Invasiv
■
approximale Kariesinfiltration,
■
pulpaschonende Kariesexkavation,
Die seit einigen Jahrzehnten erhältlichen adhäsiven
■
adhäsive Füllungsreparatur,
Füllungsmaterialien und ‑techniken erlauben eine sub-
■
minimalinvasive adhäsive Füllungstherapie.
stanzschonendere invasive Versorgung der Karies. Das
Paradigma der vollständigen Entfernung des infektiösen Dentins ist jedoch noch weit verbreitet, obwohl es
Therapieentscheid
zunehmend zweifelhaft ist, ob eine vollständige Bakterienentfernung möglich bzw. überhaupt nötig ist –
Insofern initiale kariöse Läsionen rechtzeitig detektiert
insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass bei einer
werden, können diese durch rein noninvasive Maß-
radikalen Kariesexkavation eine erhöhte Gefahr der
nahmen beherrscht werden. Ab einem gewissen Zer-
Pulpaeröffnung besteht [6]. Bei der adhäsiven Fül-
störungsgrad eines Zahnes überwiegt jedoch das Risiko
lungstherapie wird die Substratzufuhr zu tiefer liegen-
(z. B. Zahnfrakturen) gegenüber dem zu erwartenden
den Mikroorganismen innerhalb der Kavität gehemmt;
Nutzen bei rein noninvasiver, abwartender Heran-
weiteren Mikroorganismen bleibt der Zugang ver-
gehensweise (geringere Kosten, geringere Schmerzen).
sperrt, verbliebene werden eingeschlossen. Gleichzei-
Dies bedeutet, dass bei weiterhin ausbleibendem inva-
tig wird dem Patienten durch die therapeutische Maß-
siven Eingreifen die möglichen Folgeschäden größer
nahme die Reinigung der entsprechenden Zahnfläche
sind als die durch die Behandlung zu erwartenden
(wieder) ermöglicht. Somit ist der Einfluss des denta-
Nachteile. Wird die Insertion einer Restauration als
len Biofilms als treibende Kraft des Kariesprozesses
notwendig angesehen, sollte man im Auge behalten,
eingedämmt.
dass diese einer Alterung unterliegt. Daher müssen
Restaurationen häufig nach einigen Jahren durch
Merke: Adhäsive Füllungstechnik bewirkt eine
größere Versorgungen ausgetauscht werden [13]. So-
Hemmung der Substratzufuhr und verhindert den
mit gerät der Zahn mit der 1. Füllung in eine Restaura-
Zugang von neuen Mikroorganismen.
tionsspirale, welche nicht selten mit der Überkronung
oder gar Extraktion des Zahnes endet.
■
Mikro-invasiv
Merke: Daher ist generell eine zeitliche Verschiebung der erstmaligen invasiven Therapie in ein
Bei der Versiegelung plaqueretentiver, okklusaler
höheres Lebensalter erstrebenswert.
Zahnflächen mit erhöhtem Kariesrisiko wird ein ähnlicher Zustand erreicht. Neben gesunden Fissuren, v. a.
Entscheidet man sich zur Restauration einer Primär-
während des Zahndurchbruchs, wird eine Versiegelung
karies, sollten die positiven Aspekte (Erhöhung der
ebenso für initiale kariöse Läsionen empfohlen [7, 8].
Überlebenswahrscheinlichkeit des Zahnes, Erhaltung
Nicht kavitierte kariöse Läsionen an Glatt- und Appro-
einer adäquaten Kaufunktion und Ästhetik) die nega-
ximalflächen könnten prinzipiell auch versiegelt wer-
tiven Aspekte einer invasiven Therapie (Opferung von
den [9, 10], die Kariesinfiltration weist hierbei aller-
gesunder Zahnhartsubstanz durch die Präparation
dings Vorteile gegenüber der Versiegelung auf [11, 12].
einer Kavität, Kosten, Belastung durch Behandlung)
überwiegen.
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kariös),
■
Kariesinfiltration
Kariesentwicklung
ICDAS-Stadium
initiale Läsion
0
(Mikro-)Kavitation
1
Aktivitätsgrad
2
3
kariöse Zerstörung
4
5
inaktiv
röntgenologisches
Stadium
Präventionsebene
Intervention
Invasivität
E0
6
aktiv
E1
E2
D1
D2
D3
primär
(risikoorientiert)
sekundär
tertiär
lokale Biofilm- und Mineralisationsmodifikation
Infiltration
Restauration
non-invasiv
mikro-invasiv
(minimal-)invasiv
Abb. 4 Therapieoptionen für die verschiedenen Stadien des Kariesprozesses bei approximalen Flächen.
Eine Brücke zwischen noninvasiven und minimal-
einer modifizierten Monomerzusammensetzung, sog.
invasiven Interventionen schlagen gewissermaßen
Infiltranten, verwendet. Diese äußerst fließfähigen
versiegelnde oder infiltrierende Maßnahmen, bei
Kunststoffe können im Gegensatz zu Adhäsiven und
denen nur sehr wenig Zahnhartsubstanz (z. B. bei der
Fissurenversieglern in die poröse Struktur des Läsions-
Vorbehandlung mit Säuren) geopfert werden muss.
körpers einer Karies eindringen. Hierdurch werden
Hierfür wurde der Überbegriff mikroinvasive Therapie
Diffusionswege für kariogene Säuren obturiert [14, 15]
vorgeschlagen [14] (Abb. 4).
(Abb. 5).
Merke: Bei der Kariesinfiltration wird im Gegensatz
■
Versiegelung
zur Kariesversiegelung die Diffusionsbarriere innerhalb der Karies selbst geschaffen.
Bei der seit Langem etablierten okklusalen Versiegelung werden Materialien eingesetzt, die aus der adhäsiven Füllungstherapie bekannt sind. Nach Ätzung mit
Phosphorsäure werden Fissurenversiegler aufgetragen
Grundlagen der Kariesinfiltration
und anschließend lichtgehärtet.
Frühe bis mittlere Stadien der Schmelzkaries weisen
eine ausgeprägte Demineralisation des Zahnschmelzes
■
Kariesinfiltration
(Läsionskörper) unterhalb einer scheinbar intakten
Oberfläche auf. Aufgrund des erhöhten Mineralverlusts
Bei der Kariesinfiltration wird zur Konditionierung der
resultiert eine veränderte Lichtbrechung, wodurch das
kariösen Zahnoberfläche eine vergleichsweise stärkere
weißliche Erscheinungsbild (white spot) erklärbar ist.
Säure (Salzsäure 15 %) benötigt und Kunststoffe mit
Während der Remineralisation können sich Farbstoffe
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Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
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einlagern und die kariöse Läsion nimmt eine dunklere
Farbe an (brown spot). Ein großer Anteil dieser klinisch
deutlich sichtbaren kariösen Läsionen ist aber nicht nur
auf den Schmelz beschränkt. Vielmehr sind darunter liegende Dentinanteile bereits ebenfalls demineralisiert.
H+
H+
+
H+
H
Kariöse Läsionen an Approximalflächen, die histologisch bis ca. zur Schmelz-Dentin-Grenze heranreichen,
können mit der Bissflügelröntgentechnik meist nur als
eine E1-Läsion (äußere Schmelzhälfte) detektiert und
deutlich bis in das Dentin vorangeschritten ist, wird
diese auf dem Röntgenbild als eine E2-Läsion (innere
Schmelzhälfte) sichtbar.
Merke: Die Ausdehnung der Karies auf dem
a
b
Abb. 5 a und b a Durch eine Versiegelung einer kariösen Läsion wird eine Diffusionsbarriere
auf der Oberfläche etabliert. b Bei der Infiltration dringt ein niedrig visköser Kunststoff in die
Porositäten des Läsionskörpers ein und wird dort lichtgehärtet. Hierdurch wird ein Eindringen
von Säuren und von Substrat für Mikroorganismen verhindert.
Röntgenbild ist folglich zumeist geringer als die
histologische.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig festzuhalten,
dass eine histologische Dentinbeteiligung per se keine
Indikation für eine Füllungstherapie darstellt. Vielmehr
beeinflusst vor allem die Beschaffenheit der Läsionsoberfläche den Therapieentscheid. Auf den Schmelz
begrenzte kariöse Läsionen sind in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht kavitiert. Erst ab einer
röntgenologisch sichtbaren kariösen Dentinbeteiligung
(D1) ist eine Kavitation in etwa einem Drittel der Läsionen klinisch feststellbar. Diese Läsionen sind entsprechend histologisch bereits weit bis in das Dentin
extendiert [16]. Nicht kavitierte kariöse Läsionen weisen im Bereich des Läsionskörpers im Gegensatz zu
kavitierter Karies nur wenige Bakterien und keinen
etablierten Biofilm auf [17]. Kavitierte kariöse Läsionen
können schlechter gereinigt werden, weshalb diese mit
größerer Wahrscheinlichkeit voranschreiten [4].
Abb. 6 Vor der eigentlichen Infiltration des Kunststoffs wird die kariöse Läsion für 2 min mit
Salzsäuregel (H1 und H2) geätzt. Hierdurch kommt es im Gegensatz zur Ätzung mit Phosphorsäure (P1 und P2) zu einer deutlichen Reduktion der Oberflächenschicht (OS) und somit
zu einer Eröffnung der Porositäten des Läsionskörpers (ELäsion = Erosion im Bereich der Läsion).
Aus: Paris S, Dorfer CE, Meyer-Lueckel H. Surface conditioning of natural enamel caries lesions
in deciduous teeth in preparation for resin infiltration. J Dent 2009; 38: 65 – 71 [34].
Mit freundlicher Genehmigung von Elsevier GmbH.
Merke: Radiologische Schmelzläsionen (E1 und E2)
weisen klinisch nur sehr selten Kavitationen auf. Ist
Nach ausreichender Ätzung und sehr guter Trocknung
die Karies röntgenologisch bis in das erste Dentin-
kann der Infiltrant innerhalb weniger Minuten bis zu
drittel vorangeschritten (D1), ist bei ca. einem
mehrere hundert Mikrometer in natürliche kariöse
Drittel der Läsionen eine Kavitation klinisch fest-
Läsionen penetrieren [11, 22] (Abb. 7). Nach der Aus-
stellbar [18, 19].
härtung versiegelt der Kunststoff die Karies gewissermaßen intern und verhindert hierdurch eine weitere
Kariesprogression [12, 23].
Prinzip der Kariesinfiltration
Merke: Das Prinzip der Kariesinfiltration beruht auf
Die relativ stark mineralisierte Oberflächenschicht be-
der Penetration eines niedrig viskösen Kunststoffs
hindert die Penetration eines Kunststoffs in den Läsi-
(Infiltranten) in den Läsionskörper einer Karies.
onskörper der Karies [20]. Deshalb muss diese zunächst
Nach Aushärtung verschließt der Infiltrant die Lä-
gezielt mit einem Salzsäuregel erodiert werden (ca.
sionsporen und stellt somit eine Diffusionsbarriere
30 – 40 µm). Dies ist mit Phosphorsäuregel auch nach
für Säuren und auch niedermolekulare Kohlen-
längerer Einwirkdauer nicht möglich [21] (Abb. 6).
hydrate dar.
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beurteilt werden. Erst wenn die kariöse Läsion bereits
Kariesinfiltration
brechungsindex (BI) von 1,62 auf. Die Mikroporositäten
innerhalb einer Schmelzkaries sind entweder mit
einem wässrigen Medium (BI: 1,33) oder mit Luft (BI:
1,0) gefüllt. Der unterschiedliche Brechungsindex bewirkt an den Grenzflächen eine Lichtstreuung, die diesen Läsionen insbesondere im ausgetrockneten Zustand ein weißlich opakes Aussehen verleiht [16]. Die
Mikroporositäten infiltrierter Läsionen sind dagegen
mit Kunststoff (BI: 1,52) gefüllt, der anders als das
wässrige Medium nicht verdunsten kann. Durch den
relativ geringen Unterschied der Brechungsindizes
zwischen den infiltrierten Porositäten und dem umgebenden gesunden Schmelz erscheint die Karies weitaus
weniger weißlich als vor der Infiltration [24] (Abb. 8).
Merke: Die Maskierung einer Karies durch Infiltration basiert auf einer Änderung des BrechungsAbb. 7 Konfokalmikroskopische Aufnahmen einer approximalen
Läsion, die nach Ätzung mit HCl (15%) für 120 s mit dem Infiltranten
(I; grün) für 3 min in vitro behandelt wurde. Verbliebene Poren im Läsionskörper (LK) der Schmelzkaries sowie im Dentin (D) wurden mit
einem rot fluoreszierenden Farbstoff gefärbt (gesundes/r Schmelz [S]
und Dentin [D] sind schwarz dargestellt). Diese Aufnahmen verdeutlichen, dass Infiltranten die Schmelzbereiche einer bis in das Dentin
extendierten Läsion nahezu vollständig penetrieren können.
index im Bereich der kariösen Läsion.
Verhinderung einer Kariesprogression durch Infiltration
Aufgrund der hohen Prävalenz und den wenigen bisherigen Therapieoptionen (non-invasiv oder invasiv)
Maskierung. Sozusagen als positiver Nebeneffekt verlieren Schmelzbereiche von kariösen Läsionen nach Infiltration ihr weißliches Aussehen. Somit ähneln nach
Infiltration kariöse Bereiche optisch wieder dem gesunden Schmelz. Diese Maskierung basiert auf einer
Veränderung der Lichtbrechung innerhalb der
Schmelzläsion. Gesunder Schmelz weist einen Licht-
a
b
bei Approximalkaries wurde die Kariesinfiltration primär zur Verhinderung der Kariesprogression dieser
Flächen entwickelt. Grundsätzlich ist eine Infiltration
auch an anderen Glattflächen (v. a. bukkal/Frontzähne)
mit dem Ziel der Kariesarretierung, insbesondere bei
Patienten mit hohem Kariesrisiko, möglich. Hierbei
sollte aber im Sinne der Vermeidung einer Überbe-
c
Abb. 8 a bis c Bei der Maskierung von ästhetisch relevanten kariösen Läsionen spielen lichtoptische Phänomene eine Rolle. a Gesunder
Schmelz (Brechungsindex [BI] = 1,62) ist für Licht nahezu durchlässig. Ist eine kariöse Läsion vorhanden, wird das Licht an der Grenzfläche der
Porosität und dem Mineral gestreut (b). Da die in den Porositäten enthaltene Medien Speichel (BI = 1,3) oder (nach Trocknung) Luft (BI = 1)
einen vergleichsweise niedrigen Brechungsindex aufweisen, wird das Licht nun stärker gebrochen; die unverfärbte kariöse Läsion erscheint
deshalb weißlich (b). Der Infiltrant weist einen Brechungsindex von 1,52 auf, sodass bei einer Penetration dieses Materials eine optische Anpassung an den umgebenden gesunden Schmelz erfolgt. c Um ein möglichst optimales Erscheinungsbild der kariösen Läsion zu erreichen,
sollte diese folglich weitestgehend vollständig infiltriert werden.
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Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
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Tabelle 1
Anwendungsmöglichkeiten der Infiltration bei Karies.
Milchzähne
permanente
Dentition
approximal
unkavitiert
✓
andere Glattflächen
(Indikation:
kariologisch)
unkavitiert
hohes
✓
Kariesrisiko
vestibuläre Front
(Indikation:
Ästhetik)
unkavitiert;
nein
evtl. Kombination mit Füllung
✓
50
PF = 81%
25
0
K
I
K
I
K
20–34 Jahre1
n = 27
18 Monate
handlung mit der alleinigen Anwendung non-invasiver
PF = 62%
PF = 89%
n = 24
36 Monate
Abb. 9 Übersicht über das prozentuale Voranschreiten der approximalen kariösen Läsionen
der Kontroll-(K) und Infiltrationszähne (I) in den beiden klinischen Split-Mouth-Studien (1 = [12];
2
= [25]). PF = Präventive Fraktion = relative Risikoreduktion für Karies durch Infiltration.
Therapieformen abgewogen werden. Bei den meisten
Patienten mit niedrigem und mittlerem Kariesrisiko
können bukkale Läsionen nämlich schon durch eine
Insbesondere bei Patienten mit hoher Kariesaktivität
Intensivierung der Mundhygiene oder einer Ernäh-
und röntgenologisch bereits deutlich in das erste Den-
rungsumstellung arretiert werden, sodass die Karies-
tindrittel vorangeschrittenen kariösen Läsionen stößt
infiltration nur selten an diesen für Mundhygiene-
die Infiltrationstechnik, wie sie heutzutage angewen-
maßnahmen gut zugänglichen Glattflächen indiziert
det werden kann, an ihre Grenzen. Wahrscheinlich sind
ist (Tab. 1).
bei diesen Patienten/kariösen Läsionen bereits Mikrokavitationen vorhanden, die nur unzureichend mit
dem Infiltranten aufgefüllt werden können [26], sodass
Klinische Wirksamkeit
es zu einem Voranschreiten der Läsionen kommt
(Abb. 3). Die klinischen Daten zur Versiegelung appro-
In einer bei 20- bis 34-Jährigen in Deutschland durch-
ximaler kariöser Läsionen unterstützen aber die These,
geführten klinischen Studie wurden kariöse Läsionen
dass eine dichte Versiegelung der kariösen Zahnhart-
an approximalen Flächen im Seitenzahngebiet mit
substanz zu einer Arretierung der Karies führt.
einer röntgenologischen Ausdehnung bis minimal in
die innere Schmelzhälfte (E2) und maximal in das erste
Cave: Klinische Studien zur Kariesprogression nach
Dentindrittel (D1) behandelt. Bei jedem Patienten
Infiltration an anderen als den approximalen Glatt-
wurde einer Testläsion, die infiltriert wurde, eine Kon-
flächen liegen zurzeit noch nicht vor. Fissurenkaries
trollkaries zugeordnet (Split-Mouth-Design). Mithilfe
kann mit dem zur Verfügung stehenden Infiltranten
der digitalen Subtraktionsradiografie konnte eine
bisher nicht therapiert werden.
Kariesprogression bei 37% der Kontroll-, aber bei nur
7% der infiltrierten Läsionen nach 18 Monaten Beobachtungsdauer festgestellt werden [12]. Nach 3 Jahren
Indikation
Beobachtung waren 46% der Kontroll- und 4% der
infiltrierten kariösen Läsionen vorangeschritten. Eine
Zur Indikationsstellung an approximalen Zahnflächen
andere klinische Studie zur Kariesinfiltration wurde
bedarf es grundsätzlich einer Einschätzung
an Milchmolaren bei relativ kariesaktiven 5- bis
■
der (radiologischen) Ausdehnung der Karies,
8-Jährigen durchgeführt. Hier wurde neben der Infil-
■
des Vorhandenseins von klinisch relevanten Kavi-
trationsbehandlung sowohl auf die Kontroll- und die
infiltrierte Läsion alle 6 Monate Fluoridlack appliziert.
I
5–8 Jahre2
n = 39
12 Monate
tationen an der Läsionsoberfläche,
■
der Wahrscheinlichkeit einer Kariesprogression.
Röntgenologisch schritten nach 12 Monaten 62% der
Kontroll- und 23% der infiltrierten Läsionen (v. a.
Zudem beeinflussen patientenbezogene Faktoren, wie
E1 und E2) voran [25] (Abb. 9).
das individuelle Kariesrisiko den Therapieentscheid.
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klinisch
prozentuales Voranschreiten
der Karies
Lokalisation
Kariesinfiltration
Erreicht die approximale Karies bei röntgenologischer
Betrachtung die Schmelz-Dentin-Grenze oder das
äußere Dentindrittel, liegen in ca. ein Drittel der Fälle
bereits klinisch feststellbare Kavitationen der Läsionsoberfläche vor [18, 19]. Zwei Drittel der röntgenologischen D1-Läsionen zeigen demnach keine klinisch
relevanten kariösen Läsionen auf, was auch erklärt,
warum diese Läsionen nicht grundsätzlich voranschreiten [4].
Durch die momentan zur Verfügung stehenden Infiltranten werden Mikrokavitäten nur unzureichend aufgefüllt, größere Schmelzkavitäten hingegen gar nicht,
sodass man davon ausgehen kann, dass Läsionen mit
Abb. 10 a bis c Die röntgenologisch bis in das erste Dentindrittel extendierte kariöse Läsion
an Zahn 46 distal weist eine mit der Kuhhornsonde tastbare Kavitation auf, die mit dem bloßen
Auge auch nach dem Verdrängen der Papille und bei starker Vergrößerung nur schwerlich erkennbar ist.
(Mikro-)Kavitationen durch Infiltration weniger gut
arretiert werden können als solche ohne Kavitation
[26]. Daher sollte vor einer Infiltration das Vorhandensein von Kavitationen mit einer feinen Sonde (z. B.
Kuhhornsonde) ertastet werden. Kariöse Läsionen mit
größeren Kavitationen sollten nicht infiltriert werden;
hier sollte besser gebohrt und gefüllt werden (Abb. 10).
Merke: Der Indikationsbereich für die approximale
Kariesinfiltration umfasst aktive kariöse Läsionen
(d. h. eine Kariesprogression wird erwartet) mit
einer röntgenologischen Ausdehnung bis maximal
in das äußere Dentindrittel, ohne klinisch feststellbare Kavitation (Ertasten mit Kuhhornsonde).
Aufgrund der geringeren Schmelzdicke approximaler
Flächen von Milchmolaren ist hier die Kariesinfiltration
bei röntgenologisch auf den äußeren Schmelz begrenzten kariösen Läsionen bereits indiziert [25]. Um die
Abb. 11 Mithilfe individualisierbarer Röntgenfilmhalter (DMG, Hamburg) können nahezu
überlagerungsfreie und reproduzierbare Bissflügelaufnahmen erstellt werden. Anhand der
Einbisse des Bissregistrierungsmaterials kann man vor der Anfertigung des Röntgenbilds abschätzen, ob die approximalen Flächen überlagerungsfrei dargestellt werden können. Nur die
Bissplatte (Halter für Film ist abnehmbar) wird für weitere Aufnahmen aufbewahrt, welche
dann in einer reproduzierbaren 3-dimensionalen Beziehung des Röntgenstrahls, der Zähne und
des Films durchgeführt werden können, sodass die Vergleichbarkeit von Röntgenaufnahmen
zu unterschiedlichen Zeitpunkten gewährleistet werden kann.
Qualität der Kariesbeurteilung auf Bissflügelröntgenaufnahmen zu erhöhen, wird die Verwendung von individualisierbaren Röntgenfilmhaltern empfohlen
(Abb. 11). Der dargestellte Entscheidungsbaum
(Abb. 12), der sowohl auf der röntgenologischen und
der klinischen Untersuchung als auch auf der Erhebung
der Wahrscheinlichkeit einer Kariesprogression (Ka-
Wie bereits erwähnt, weisen auf den Schmelz begrenz-
riesrisiko, Kariesaktivität) beruht, versucht die Haupt-
te kariöse Läsionen zumeist nur zu einem geringen
kriterien für den Therapieentscheid beim Vorliegen
Anteil (< 5%) klinisch feststellbare Kavitationen auf
einer approximalen Karies zu verdeutlichen. Um eine
[18, 19]. Deshalb ist bei dieser Ausdehnung der appro-
ausreichende Wirksamkeit der Kariesinfiltration ge-
ximalen Karies eine invasive Therapie in nur wenigen
währleisten zu können, sollte die Infiltration nach dem
Fällen indiziert. Da ein nicht zu vernachlässigender
jetzigen Kenntnisstand nur in den in Tab. 1 aufgeführ-
Anteil der Schmelzläsionen, insbesondere bei unzurei-
ten Situationen angewendet werden. Darüber hinaus
chender Reinigung der entsprechenden Fläche, den-
können Erkrankungen der Zahnhartgewebe definiert
noch voranschreitet [4], stellt die Kariesinfiltration bei
werden, bei denen die Anwendung der Kariesinfiltra-
kariesaktiven Patienten bereits bei approximalen ka-
tion nicht ratsam oder nur eingeschränkt empfehlens-
riösen Läsionen im fortgeschrittenen Schmelzstadium
wert ist (Infoboxen).
(Bissflügelbefund) eine Behandlungsalternative zur
noninvasiven Vorgehensweise dar.
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Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
Kontraindikationen und
Einschränkungen
Röntgenbefund
E1
E2/D1
331
D2/D3
Kontraindikationen
■
tiefe Karies (ICDAS 4, 5 und 6 und/oder
Kavitation
klinisch
röntgenologisch > D1)
■
inaktive kariöse Läsionen (bei medizinischer Indikation)
■
Wurzelkaries (Dentin)
■
Erosionen
nein
Kariesrisiko/
-aktivität
n
h
ja
n
nein
ja
h
n = niedrig
h = hoch
Einschränkungen*
inaktive kariöse Läsionen (bei ästhetischer Indikation)
■
kariöse Läsionen in Fissuren und Grübchen
■
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH),
Amelogenesis imperfecta
■
Fluorose
■
entwicklungsbedingte Veränderungen des Schmelzes
aufgrund von Traumata.
* Die Wirksamkeit dieser Anwendungsmöglichkeiten sind
zur Zeit wissenschaftlich nicht hinreichend belegt. Insbesondere die Behandlung von ästhetisch relevanten
entwicklungsbedingten Veränderungen ist oftmals nur
sehr eingeschränkt mit der Kariesinfiltration möglich.
Klinische Anwendung
noninvasiv
mikroinvasiv
(minimal-)invasiv
Abb. 12 Auf Grundlage der klinischen visuell-taktilen Befunderhebung kann bei Verdacht auf
eine Approximalkaries die Indikation für eine Bissflügelröntgenaufnahme gestellt werden. Die
auf Karies zurückzuführenden Radioluzenzen kann man grob einteilen in solche, die bis maximal in die äußere Schmelzhälfte (E1), bis in die innere Schmelzhälfte oder das äußere Dentindrittel (E2/D1) oder bis in das mittlere oder innere Dentindrittel (D2/D3) extendiert sind. Bei
einer maximalen röntgenologischen Ausdehnung der Karies bis in das erste Dentindrittel (E1/
E2/D1) ist eine lokale klinische Beurteilung der Oberflächenbeschaffenheit mittels einer feinen
Sonde notwendig. Stellt man eine klinisch relevante Kavitation der Oberfläche fest, ist, wie
auch bei den tiefen Läsionen (D2/D3), eine minimalinvasive Füllungstherapie indiziert (rote
Markierung). Röntgenologisch flache Schmelzläsionen (E1) ohne klinisch relevante Kavitation
können noninvasiv (gelbe Markierung) behandelt werden. Bei tieferen Schmelz- (E2) sowie flacheren Dentinläsionen (D1) ist die Einschätzung des individuellen Kariesrisikos sowie der Kariesaktivität, im Sinne einer Beurteilung der Progressionstendenz der Karies, von Interesse.
Wird das Kariesrisiko und/oder die Kariesaktivität als eher hoch eingeschätzt, sollte eine mikroinvasive Infiltrationsbehandlung durchgeführt werden (orange Markierung). Liegt hingegen
eine inaktive Läsion oder ein niedriges Kariesrisiko vor, ist die alleinige Anwendung noninvasiver Maßnahmen (gelb) ausreichend. Aus: Meyer-Lueckel H, Dörfer CE, Paris S. Welche Risiken
und Chancen birgt die approximale Kariesinfiltration? Deutsch Zahnärztl Z 2010; 65: 556 – 561
[35]. Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteverlags Köln.
Ein wichtiger Aspekt ist die klinische Durchführbarkeit
einer Infiltration approximaler Läsionen. Hierbei wer-
barzahn ist durch die Applikationsvorrichtung vor
den die entsprechenden Zähne durch abgeflachte Keil-
einer versehentlichen Kontamination geschützt. Die
chen um einige Mikrometer separiert und die Materia-
teilweise relativ techniksensitiven Arbeitsschritte
lien (Salzsäuregel und Infiltrant) mit einer speziellen
sollten möglichst genau eingehalten werden, um eine
Applikationshilfe nacheinander aufgetragen; der Nach-
wirksame Kariesinhibierung zu erreichen (Abb. 13).
Arbeitsschritte
■
Reinigung der Zähne mit Zahnseide und Polierpaste
■
Trockenlegung mit Kofferdam
■
Inspektion der Läsion: Kavitation vorhanden?
■
■
■
achten, ggf. während der Einwirkzeit weiteren Infiltranten ca. alle
30 s applizieren.
■
Entfernen von Überschüssen mit Luftpuster und Zahnseide
(Icon; DMG, Hamburg)
■
Lichthärtung für 40 s
gleichzeitiges Einführen eines Folienapplikators mit der
■
2. Infiltration: Einwirkzeit 1 min. Auf ausreichenden Materialauftrag
Separation der Zähne mit einem speziellen Keil
achten
Ätzgelspritze (Icon Etch)
■
1. Infiltration: Einwirkzeit 3 min. Auf ausreichenden Materialauftrag
Applikation der Salzsäure (Icon Etch) für 2 min, Kontrolle
■
Entfernen von Überschüssen mit Luftpuster und Zahnseide
Lichthärtung für 40 s
Entfernung von eventuellen Überschüssen mit dem Scaler,
der vollständigen Benetzung
■
■
Absprühen der Säure und ausgiebiges Trocknen
■
■
Applikation von Ethanol (Icon Dry)
■
ausgiebiges Trocknen
■
Einführen eines neuen Folienapplikators mit der Infiltranten-
Politur mit Finierstreifen
■
Eintrag in das Behandlungsblatt
spritze (Icon Infiltrant)
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■
Kariesinfiltration
Abb. 13 a bis q a, b Die 29-jährige Patientin weist mehrere approximale Läsionen und Restaurationen im Seitenzahnbereich auf. Kariöse Läsionen, die röntgenologisch bereits bis in das 2. Dentindrittel ausgedehnt waren (25 mesial und
27 mesial), wurden im Anschluss mit einer Kompositfüllung versorgt. An mehreren approximalen Zahnflächen sind darüber hinaus kariöse Läsionen erkennbar,
die röntgenologisch bis an die Schmelz-Dentin-Grenze heranreichen oder in das
1. Dentindrittel extendiert sind (13 distal, 14 mesial, 15 mesial und distal, 36 mesial und 46 mesial). Aufgrund des erhöhten Kariesrisikos der Patientin, der röntgenologischen Ausdehnung und der klinischen Beurteilung wurde unter anderem
an Zahn 36 mesial die Indikation für eine Kariesinfiltration gestellt. Klinisch zeigte
diese keinen Einbruch der Oberfläche. c Nach Zahnreinigung und dem Legen von
Kofferdam wurden die Zähne 35 und 36 mit einem zu dem Behandlungsset Icon
(DMG, Hamburg) gehörenden abgeflachten Keil separiert. Hierdurch wurde das
Einführen des Folienapplikators ermöglicht. Der Folienapplikator besteht aus
einer partiell verschweißten Doppelfolie, die einseitig (grüne Seite) perforiert ist.
d Durch Drehen an der entsprechenden Spritze wurde das Ätzgel (HCl 15 %; Icon
Etch) appliziert (Schritt 1) und ein gleichmäßiger Materialauftrag visuell kontrolliert (e). f Nach dem Absprühen des Ätzgels und anschließender Trocknung erkennt man eine dezente Opazität des geätzten Bereichs. g Durch das Auftragen
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von Ethanol (Icon Dry) wurde restliches Wasser mit Ethanol vermischt; die Läsion
kann hierdurch besser getrocknet werden (h; Schritt 2) [35]. Ein neuer Folienapplikator für die Infiltration (Schritt 3) wurde unter Zuhilfenahme des Separationskeils inseriert (i) und der Materialauftrag wiederum visuell kontrolliert (j).
Hierbei wurde darauf geachtet, dass überschüssiger Infiltrant zwischen Folie und
Zahn sichtbar war. War dies nicht der Fall, wurde etwas mehr Infiltrant aufgetragen (ca. alle 30 s). Nach der Applikationszeit von 3 min wurden grobe Überschüsse (k) mit dem Luftansatz und dem Sauger (l) entfernt, der Bereich mit
Zahnseide gereinigt und anschließend für 40 s lichtgehärtet (m). Nach diesem
1. Infiltrationsschritt waren keinerlei Materialüberschüsse erkennbar, die ggf. mit
einem Scaler hätten entfernt werden können (n). Zur Kompensation der Polymerisationsschrumpfung wurde der Infiltrant ein 2. Mal appliziert (1 min.; o).
Nach Säuberung, Lichthärtung (p) und Abnahme des Kofferdams wurde der
Bereich abschließend kontrolliert (q). Die röntgenologische Ausdehnung der behandelten Läsion und das Datum wurden in einem zum Behandlungsset gehörenden Patientenheft vermerkt. Aus: Meyer-Lueckel H, Dörfer CE, Paris S. Welche
Risiken und Chancen birgt die approximale Kariesinfiltration? Deutsch Zahnärztl Z
2010; 65: 556 – 561 [35]. Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteverlags Köln.
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332
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
Merke: Die Infiltrationsbehandlung einer appro-
333
Praxistipp
ximalen Karies erfolgt in einer Sitzung; eine Separation der zu behandelnden Zähne über mehrere
Um versiegelte oder infiltrierte Flächen bei einem Behandlerwechsel vor einer
Tage ist nicht erforderlich.
frühzeitigen Therapie zu bewahren, wird dem Patienten ein entsprechendes
Behandlungsheft ausgehändigt, in dem die behandelten Zähne mit den jeweiligen röntgenologischen Ausdehnungen bezeichnet werden können. Dieses
Nachkontrolle
Heft soll ebenso helfen, dem nachfolgenden Behandler die Anforderung der
bereits vorhandenen Röntgenaufnahmen sowie ggf. des individualisierbaren
Eine postoperative Bestimmung der Penetrationstiefe
Röntgenhalters beim Vorbehandler zu erleichtern.
des Infiltranten ist aufgrund der fehlenden Röntgenopazität des Kunststoffs nicht möglich. Ein erneutes
Röntgen unmittelbar nach Infiltration wäre sicherlich
auch unter der Maßgabe eines zurückhaltenden Einsatzes von ionisierenden Strahlen fragwürdig. Nach
im Rahmen des Monitorings anhand von Bissflügelröntgenbildern in individuell festzulegenden Abständen von ca. 6 – 48 Monaten überprüft werden [27], um
bei entsprechender Vergrößerung der Läsionsausdehnung rechtzeitig (z. B. wenn die Karies bis in das mittlere Dentindrittel vorangeschritten ist) invasiv behandeln zu können. Bei der Anfertigung der Röntgenbilder
ist grundsätzlich auf eine möglichst überlagerungsfreie
Darstellung der Approximalflächen zu achten, damit
die Beurteilung des Kariesstadiums mit ausreichender
Genauigkeit erfolgen kann. Darüber hinaus sollte auch
auf eine identische Ausrichtung des Films und des
Zentralstrahls zu den Zähnen geachtet werden, um
Fehlinterpretationen hinsichtlich einer vermeintlichen
Kariesprogression oder ‑regression durch Projektionsunterschiede zu vermeiden. Hierbei kann die Verwendung des beschriebenen individualisierbaren Röntgenhalters die Qualität des Kariesmonitorings erhöhen
(Abb. 11).
Merke: Der Behandlungserfolg der approximalen
Kariesinfiltration lässt sich mittel- und langfristig,
Abb. 14 a und b Maskierungseffekt durch Kariesinfiltration. An Zahn
22 ist dieser nur teilweise zu beobachten, während alle anderen infiltrierten kariösen Bereiche der Front- und Eckzähne im Oberkiefer eine
vollständige Assimilierung mit dem umgebenden gesunden Zahnschmelz zeigen.
wie auch beim reinen Beobachten und letztendlich
auch bei der Fissurenversiegelung, allein an der
Apparaturen auf, da nicht von allen Patienten eine aus-
röntgenologisch zu beurteilenden Verhinderung
reichende Reinigung der entsprechenden Zahnflächen
oder Verlangsamung der Kariesprogression be-
durchgeführt wird [28] (Abb. 14). Nach Abnahme der
messen.
Apparaturen remineralisieren sehr oberflächlich gelegene kariöse Läsionen meist aufgrund der Verbesserung der Mundhygiene vollständig, während dies bei
Infiltration aus primär
ästhetischen Gründen
tieferen kariösen Läsionen nur selten der Fall ist. Vielmehr imponieren diese trotz einer Remineralisation
der oberflächlichen Schichten weiterhin als inaktive
White Spots. Dies stellt zwar meist kein kariologisches,
Neben der approximalen Anwendung ist eine Infiltra-
aber oftmals ein ästhetisches Problem dar [28]. Der
tion der Schmelzanteile einer Karies aus primär ästhe-
Infiltrant weist ähnliche optische Eigenschaften wie
tischen Gründen (v. a. vestibulär) sinnvoll (Tab. 1).
gesunder Schmelz auf (s. o.). Somit können nicht kavi-
Kariöse Läsionen an diesen Flächen treten häufig nach
tierte kariöse Läsionen durch die Infiltration maskiert
kieferorthopädischer Behandlung mit festsitzenden
werden [24].
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einer Infiltrationstherapie sollte die Kariesprogression
Kariesinfiltration
Wissenschaftliche Studien
Alternativ zur Kariesinfiltration stehen vor allem invasion zur Verfügung. Hierbei werden oberflächliche
bereiche eine dem gesunden Schmelz nahezu ähnliche
Anteile der Läsion mit einem Gemisch aus Salzsäure
Bürstabrasion aufzeigen [29]. Darüber hinaus sind
und Bimsstein abgetragen [31]. Leider muss bei dieser
infiltrierte Läsionen, insofern sie poliert werden,
Technik zur Verbesserung der Ästhetik oftmals eine er-
in vitro ähnlich verfärbungsresistent wie gesunder
hebliche Menge an Schmelz geopfert werden [32]. Eine
Schmelz. Zur klinischen Wirksamkeit im Sinne der
restaurative Versorgung mit z. B. Keramikveneers oder
ästhetischen Verbesserung liegen positive Fallberichte
Kompositfüllungen, wie sie in schweren Fällen indiziert
vor [24]. In einer ersten klinischen Studie konnte bei ca.
sein könnte, erfordert zumeist das Abtragen noch
65% eine vollständige und bei 35% der kariösen Läsio-
größerer Schmelzanteile (Abb. 17). Eine Kombination
nen eine teilweise Maskierung beobachtet werden.
der Kariesinfiltration mit der Komposittechnik ist
Entwicklungsbedingte weißliche Schmelzveränderun-
durchaus möglich, zumal Komposite ähnliche Haft-
gen wurden hingegen nur zu einem geringen Anteil
werte bei Verwendung des Infiltranten wie bei einem
vollständig maskiert [30] (Abb. 15, 16).
Schmelzadhäsiv aufzeigen [33]. Nicht kavitierte Bereiche können somit infiltriert und Kavitationen
Cave: Entwicklungsbedingte weißliche Schmelz-
gefüllt werden, ohne dass man ein zusätzliches Adhäsiv
veränderungen können oft nicht durch Karies-
für Schmelz verwenden muss. Eine separate Dentin-
infiltration vollständig maskiert werden.
adhäsion sollte allerdings weiterhin erfolgen.
Praxistipp
Indikation
Bei der Kombination der Füllungs- mit der Infiltrations-
Der Schwerpunkt der Anwendung liegt demnach bei
therapie (angrenzende Bereiche) kann der Infiltrant als
ästhetisch relevanten, nicht kavitierten kariösen Zahn-
Schmelzhaftvermittler verwendet werden; Dentin muss
flächen (v. a. Frontzähne und Prämolaren), die durch
aber in jedem Fall mit entsprechenden Haftvermittlern
noninvasive Maßnahmen nicht verbessert werden
behandelt werden.
können. Die bei der Darstellung der approximalen Kariesinfiltration aufgeführten generellen Kontraindikationen und momentanen Anwendungsbeschränkungen sind ebenso bei der Kariesinfiltration, die aus rein
Klinische Anwendung
ästhetischen Gründen durchgeführt wird, zu beachten.
Gerade zur Infiltration von entwicklungs-, also dem-
Die prinzipiellen Arbeitsschritte unterscheiden sich
nach nicht kariös bedingten weißlichen Schmelzverän-
nicht von denjenigen bei approximaler Kariesinfiltra-
derungen, liegen zu wenige belastbare Daten vor, so-
tion. Eine Separation ist selbstverständlich nicht not-
dass von einer Infiltration dieser Läsionen zum jetzigen
wendig. Die Kenntnis einiger Tricks ist jedoch vorteil-
Zeitpunkt abgeraten werden wird.
haft, um ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen.
a
entwicklungsbedingte Schmelzveränderungen
(12 Kinder)
Maskierungseffekt (%)
postorthodontische Läsionen
(9 Kinder)
50
25
0
kein
(n = 1)
partiell
(n = 6)
vollständig
(n = 11)
b
50
25
0
kein
(n = 8)
partiell
(n = 7)
vollständig
(n = 5)
Abb. 15 Klinische Daten zur Infiltration von ästhetisch relevanten kariösen und entwicklungsbedingten Veränderungen verdeutlichen, dass
zumindest eine partielle Maskierung von Karies fast immer möglich ist, während Schmelzdefekte, die während der Schmelzreifung entstehen,
nur unzureichend maskiert werden können [30].
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sivere Therapieoptionen wie die SchmelzmikroabraEine In-vitro-Studie konnte für infiltrierte Läsions-
Maskierungseffekt (%)
334
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
a
Remineralisation
b
Mikroabrasion
d
Bleichen
c
Füllung
e
Veneer
f
Abb. 16 a bis f Schematische Darstellung der histologischen Gegebenheiten (Querschnitt) bei der Anwendung der verschiedenen Möglichkeiten zur Behandlung von ästhetisch relevanten kariösen Läsionen. Durch remineralisierende Maßnahmen kann die Oberflächenschicht einer
ästhetisch relevanten Schmelzläsion verstärkt werden, wodurch das unvorteilhafte optische Erscheinungsbild meist nicht verändert wird. Eine
Aufhellung des umgebenden gesunden Schmelzes kann eine gewisse Anpassung bewirken, ist aber nur bei dezenten Veränderungen erfolgreich einsetzbar. Bei der Mikroabrasion wird der Schmelz im Läsions-, aber auch gesunden Bereich solange entfernt, bis die Zahnfläche ein annehmbares Erscheinungsbild angenommen hat. Bei dieser Technik, wie auch bei der Restauration mit Komposit oder Veneers, werden weite
Bereiche des Schmelzes entfernt. Bei der Kariesinfiltration werden die Läsionsbereiche hingegen stabilisiert und die Läsionen somit maskiert
(s. Abb. 8).
Abb. 17 a bis f Um den Erfolg einer Infiltration von ästhetisch relevanten kariösen Läsionen (a) vorhersehen zu können, appliziert man nach der
Ätzung mit der Salzsäure Wasser auf die zu infiltrierenden Bereiche (b – d) und beobachtet, ob die Läsionen hierdurch zufriedenstellend innerhalb von ca. 5 s maskiert werden (e). Falls dies nicht feststellbar ist, könnte eine zu stark mineralisierte Oberflächenschicht ursächlich sein. In
diesem Fall sollte nochmalig mit Salzsäure geätzt werden oder mit Hilfe der Mikroabrasion (z. B. Abrasionspaste + Icon Etch) der oberflächliche
Schmelz entfernt werden. Erst wenn man einen schnell auftretenden Maskierungseffekt nach Applikation von Wasser zufriedenstellend beobachten kann, sollte man den Kunststoff applizieren und erreicht nun zumeist ein gutes ästhetisches Resultat (f).
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ICDAS-2-Läsion
335
Kariesinfiltration
Insbesondere bei inaktiven kariösen Läsionen kann ein
mehrmaliges Ätzen sinnvoll sein, um die hier vorlie-
Fazit und Ausblick
gende relativ dicke pseudointakte Oberflächenschicht
vollständiger zu entfernen. Den Ätzerfolg kann man
Unter Berücksichtigung der bisherigen klinischen Er-
anhand der Assimilierungsgeschwindigkeit des kariö-
gebnisse kann die Kariesinfiltration für aktive appro-
sen Defekts an den umgebenden gesunden Schmelz
ximale Läsionen im Seitenzahngebiet (Milch- und per-
beim Auftragen von Wasser oder Ethanol abwägen
manentes Gebiss), die röntgenologisch bis maximal in
(sog. Befeuchtungstest, Abb. 17). Wenn Wasser oder
das erste Dentindrittel heranreichen, empfohlen
Ethanol innerhalb weniger Sekunden (ca. 3 – 5 s) in die
werden. Die Läsionen sollten klinisch keine tast- oder
Läsionen einzudringen vermögen und hierdurch das
sichtbaren Kavitationen der Oberfläche aufweisen, um
ästhetische Erscheinungsbild des Zahnes deutlich ver-
eine maximale Kariesinhibierung zu erzielen. Diese
bessert wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass dies auch
mikroinvasive Therapie ermöglicht somit eine zahn-
der Infiltrant nach der Einwirkzeit von 3 Minuten er-
hartsubstanzschonende, schmerzarme Behandlung
reichen kann.
von approximalen kariösen Läsionen, die bisher überwiegend invasiv behandelt wurden. Bei adäquater
Darüber hinaus ist eine abschließende Politur analog
Durchführung der Kariesinfiltration kann der Zeit-
zur Politur einer Kompositfüllung wichtig, um eine
punkt der Erstversorgung des betroffenen Zahnes mit
Farbstoffanlagerung an oberflächliche unpolymerisier-
einer Restauration zumindest herausgezögert werden.
te Kunststoffanteile zu vermeiden. Ästhetisch störende
Die Kariesprogression sollte im Rahmen des Monito-
Unebenheiten der Zahnoberfläche werden hierdurch
rings anhand von qualitativ hochwertigen Bissflügel-
ausgeglichen. Auf diese Weise lässt sich innerhalb einer
röntgenbildern in regelmäßigen Abständen überprüft
relativ kurzen Behandlungszeit oftmals eine deutliche
werden, um bei entsprechender Vergrößerung der
Verbesserung des ästhetischen Erscheinungsbilds
Läsionsausdehnung rechtzeitig invasiv einschreiten zu
erreichen.
können. Somit schließt die Infiltration gewissermaßen
eine Behandlungslücke bei approximaler Karies. Zu
Merke: Nach der Infiltration erfolgt analog der
erwartende klinische Daten nach längerer Beobach-
Kompositfüllung eine Politur.
tungsdauer werden weiteren Aufschluss über die
Wirksamkeit der Kariesinfiltration geben. Das Indikationsspektrum könnte durch Weiterentwicklung der
Nachkontrolle
Materialien und Techniken zukünftig auch auf im
Schmelz kavitierte kariöse Läsionen (ICDAS 3) sowie
Die infiltrierten Bereiche bedürfen einer rein visuellen
Fissurenkaries ausgedehnt werden.
Kontrolle im Rahmen der regulären Routineuntersuchungen. Treten Verfärbungen auf, kann gegebenen-
Darüber hinaus ist eine Infiltration an anderen Glatt-
falls nachpoliert werden. Die Möglichkeit einer (nach-
flächen möglich. Hierbei steht die Behandlung ästhe-
träglichen) Bleichung tiefer gelegener Verfärbungen,
tisch relevanter kariöser Läsionen im Frontzahnbereich
die nach einiger Zeit auftreten könnten, ist nicht belegt.
im Vordergrund, die aufgrund der optischen Eigenschaften des Infiltranten maskiert werden können.
Bei besonders kariesaktiven Kindern und Jugendlichen
Zusammenfassung
könnte die Kariesinfiltration die invasive Therapie auch
Die Indikation der Kariesinfiltration beschränkt sich momentan
an anderen Glattflächen zumindest ergänzen. Ent-
hauptsächlich auf 2 verschiedene Lokalisationen.
wicklungsbedingte Schmelzveränderung, wie diese bei
■
Dazu gehört die approximale sowie ästhetisch relevante Karies.
■
Eine Infiltration von okklusalen Läsionen ist bisher nicht erforscht und daher
nicht mit dem zur Verfügung stehenden Behandlungsset zu empfehlen.
■
Eine Infiltration von Wurzelkaries ist aufgrund des hohen Wasseranteils des
hierbei betroffenen Dentins mit der vorgestellten Therapie nicht möglich.
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Fluorose oder MIH scheinen teilweise ebenfalls maskiert zu werden. Allerdings sollte man die Erwartungshaltung nicht zu hoch ansetzen; weitere Studien
müssen erst noch Aufschluss über die Verwendung
von Infiltranten bei diesen Veränderungen geben.
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336
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
Über die Autoren
Hendrik Meyer-Lückel
337
Korrespondenzadresse
PD Dr. Hendrik Meyer-Lückel, MPH
Dr. Sebastian Paris
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
1992 – 1997 Studium der Zahn-, Mund-
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
und Kieferheilkunde in Gießen. 1997
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Zahnmedizinisches Staatsexamen und
Arnold-Heller-Str. 3, Haus 26
Approbation. 1998 Wissenschaftlicher
24105 Kiel
Mitarbeiter an der Abteilung für Parodontologie des Zentrums für Zahn-,
Telefon: 04 31/5 97 28 17
Mund und Kieferheilkunde, Justus-
Fax: 04 31/5 97 41 08
E-Mail: [email protected];
Liebig-Universität Gießen. 1998 – 2000
[email protected]
Assistent in freier Praxis. 03/99 – 07/99 Zahnärztliche Entwicklungshilfe in Jamaika. 2000 Promotion an der Albert-
Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin. 2008 dort Habilitation. 2008 Venia
legendi an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit
2008 Oberarzt an der Klinik für Zahnerhaltungskunde und
Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein,
Campus Kiel, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2009
Master of Public Health: Berlin School of Public Health an der
Charité.
Hinweis
Sebastian Paris
1998 – 2003 Studium der Zahn-, Mundund Kieferheilkunde an der Freien Universität Berlin. 2003 Zahnmedizinisches
Staatsexamen und Approbation.
2004 – 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Cha-
Dieser Beitrag basiert auf den folgenden Übersichtsarbeiten:
Meyer-Lückel H, Fejerskov O, Paris S. Neuartige Therapiemöglichkeiten bei
approximaler Karies. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2009; 119: 454 – 461
Meyer-Lückel H, Paris S. Kariesinfiltration zur Füllung einer „therapeutischen
Lücke“? Dtsch Zahnärztl Z 2009; 64: 402 – 405
Meyer-Lückel H, Paris S. Kariesinfiltration in der Kinder- und Jugendzahnheilkunde. Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 2010; 32: 113 – 121
rité, Universitätsmedizin Berlin. 2005
Promotion. Seit 2008 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Teile des Beitrags stammen aus verschiedenen Kapiteln der Autoren
Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Univer-
im in Kürze erscheinenden Werk:
sitätsklinikum Schleswig-Holstein-Campus Kiel, ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel. 2011 Habilitation und Venia
Stuttgart: Georg Thieme Verlag (in Druck)
Meyer-Lückel H, Paris S, Ekstrand KR. Karies – Wissenschaft & Klinische Praxis.
Legendi: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Zahnmedizin up2date 4
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Heruntergeladen von: Thieme Verlagsgruppe. Urheberrechtlich geschützt.
Ludwigs-Universität Freiburg. 2000 – 2008 Wissenschaftlicher Assistent/Funktionsoberarzt an der Poliklinik für
Kariesinfiltration
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338
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
339
CME‑Fragen
Kriterien für die klinische Aktivitäts-
A
Opazität der kariösen Läsion
beurteilung einer Karies sind:
B
DMFT
C
röntgenologische Kariestiefe
D
Diagnodent-Wert
E
allgemeines Kariesrisiko
Das vollständige Entfernen
A
initialen Schmerzen.
des infektiösen Dentins führt
B
Zahnverlust.
bei tiefen Kavitäten zu
C
vermehrter Pulpaeröffnung.
D
Frakturen im Dentin.
E
sofortiger Pulpanekrose.
Eine Approximalkaries, die
A
in 70% der Fälle kavitiert.
röntgenologisch bis genau
B
histologisch meist auf den Schmelz begrenzt.
an die Schmelz-Dentin-Grenze
C
histologisch meist bis in das Dentin extendiert.
heranreicht, ist
D
nach Zahnseparation klinisch fast nicht sichtbar (ICDAS 1).
E
immer invasiv zu behandeln.
Der Lichtbrechungsindex
A
ist abhängig vom umgebenden gesunden Schmelz.
im Bereich einer Karies
B
ist meist höher als im umgebenden gesunden Schmelz.
C
ist bei der approximalen Kariesinfiltration von Interesse.
D
wird durch eine vollständige Infiltration erhöht.
E
liegt ohne Infiltration bei ca. 1,52.
Die Kariesdetektion und
A
Feststellung mithilfe der Kuhhornsonde, ob eine Kavitation vorliegt
-beurteilung vor approximaler
B
Anfertigung von 2 Röntgenbildern im Abstand von 2 Monaten
Kariesinfiltration beinhaltet
C
Messung mittels Laserfluoreszenz
D
Bestimmung der Anzahl von Streptococcus mutans
E
Bestimmung des elektrischen Widerstands
Die röntgenologisch feststellbare
A
beträgt von gesund bis D1 bei kariesinaktiven Kindern ca. 1 – 3 Jahre.
Kariesprogression nach den Studien
B
ist im Dentin geringer als im Schmelz.
von Mejare et al.
C
ist unabhängig von dem Zustand der Oberfläche (Kavitation).
2
3
4
5
6
D
beträgt von E2–D1 bei 50 % der Kinder mehr als 10 Jahre.
E
beträgt von E2–D1 bei 50% der Kinder weniger als 5 Jahre.
CME
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1
Kariesinfiltration
CME‑Fragen
Kariesinfiltration
7
Wie wird die Ätzung der kariösen
A
1 min mit 10 %igem HCl-Gel
Läsionsbereiche bei Kariesinfiltration
B
3 min mit 15 %igem HCl-Gel
durchgeführt?
C
3 min mit 15 %iger HCl-Lösung
D
2 min mit 15 %iger HCl-Lösung
E
2 min mit 15 %igem HCl-Gel.
Die Überschussentfernung bei
A
nach der Lichthärtung mit Hilfe des Luftpusters.
Kariesinfiltration erfolgt am besten
B
vor der Lichthärtung mit Hilfe des Luftpusters.
C
vor der Lichthärtung mit einem Scaler.
D
vor der Lichthärtung mit einem Wattepellet.
E
nach der Lichthärtung mit einem Wattepellet.
Kariesinfiltration zur Maskierung
A
aktiver, kavitierter Karies.
ästhetisch relevanter White Spots
B
Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation.
funktioniert am besten bei
C
inaktiver Karies.
D
Fluorose.
E
aktiver, nicht kavitierter Karies.
Der sog. Befeuchtungstest während
A
Wiederbefeuchtung der Karies zur verbesserten Penetration des Infiltranten.
der Kariesinfiltration dient zur
B
Überprüfung des Therapieerfolgs nach Infiltration.
C
Überprüfung des möglichen Therapieergebnisses.
D
Überprüfung des Ätzerfolgs.
E
Überprüfung der Dichtigkeit des Kofferdams.
8
9
10
CME
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