Witich Rossmann FAQ: Tarifabschluss 13. Mai 2016 für

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Witich Rossmann FAQ: Tarifabschluss 13. Mai 2016 für
Witich Rossmann
FAQ: Tarifabschluss 13. Mai 2016 für die Metall- und Elektroindustrieindustrie NRW
In ersten Diskussionsrunden nach dem Tarifabschluss und in den sozialen Medien sind viele
Fragen zum Tarifabschluss aufgeworfen worden. Auf einige davon soll mit den
nachfolgenden Fragen und Antworten eingegangen werden. Sie sollen zum Nachdenken
und Nachfragen anregen.
1. Steigert der Tarifabschluss die Realeinkommen der Metallarbeitnehmer?
Der Tarifabschluss für die Metall- und Elektroindustrieindustrie 2016 sieht mit den
Steigerungen von 2,8 % ab 1.7.2016 und 2,0 % ab 1.4.2017 (sowie 150 €) auf den
ersten Blick nicht imposant aus. Die 4,3 % im Jahr 2012, die 3,4 %+2,2 % im Jahr
2013 sowie die 3,4 % im Jahr 2015 sehen optisch deutlich besser aus. Allerdings: Die
reale Kaufkraftsteigerung hängt nicht nur von der Tariferhöhung, sondern auch von
der Preissteigerung (Inflationsrate) ab.
Die Tariferhöhung 2015 von 3,4 % ist angesichts einer Inflationsrate von 0,3 % die
höchste Reallohnsteigerung seit dem Jahr 2000 gewesen. Das haben die Arbeitgeber
als Begründung für ihre sehr lange und hartnäckige Verweigerung eines fairen
Angebotes genutzt. Sie sind der Meinung, der Abschluss 2015 wäre angesichts der
geringen Preissteigerung viel zu hoch gewesen. Die aktuelle Preissteigerung im
ersten Halbjahr 2016 (Januar-April 0,5 %; 0,0 %; 0,3 %,-0,1 %) lag nahe an der
Nulllinie. Die Prognosen der deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute vom April 2016
(Gemeinschaftsgutachten) gehen von einer Inflationsrate 2016 von 0,5 % und 2017
von 1,5 % aus. Wenn das eintrifft, dann ergibt sich 2016 eine deutliche
Realeinkommenssteigerung von 2,3 % und 2017 immerhin noch eine weitere von
0,5 %. Wie das Verhältnis von Tariflohnsteigerungen und Preissteigerungen seit 1992
ausgesehen hat zeigt das Schaubild:
2. Welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat der Tarifabschluss für Binnenkaufkraft?
Mit 3,75 Millionen Beschäftigten ist die Metall- und Elektroindustrie ein
entscheidender Leitsektor der deutschen Volkswirtschaft. Jährlich wird hier ein
Einkommen der Arbeitnehmer von 187 Milliarden € erzielt (2014). Eine Steigerung
von 2,8 % beinhaltet insofern auf ein Jahr einen Kaufkraftzuwachs von 5,2 Milliarden
€, der Zuwachs um 2 % eine weitere Steigerung um 3,7 Milliarden €.
Diese Summen entsprechen schon einem kleineren Konjunkturprogramm. Da auch
Verdi einen ähnlich hohen Tarifabschluss erzielt hat und andere Gewerkschaften, wie
die IG BCE ähnliche Tarifsteigerungen durchsetzen werden, wird die Binnenkaufkraft
in Deutschland deutlich gestärkt. Angesichts der Risiken in der Weltwirtschaft (China,
Rußland, Erdöl- und Rohstoffländer) ist diese Stärkung der Binnenkaufkraft für das
Wirtschaftswachstum in Deutschland in den letzten Jahren besonders wichtig. Dies
sehen auch die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem April-Gutachten so:
3. „Die Metall- und Elektroindustrie profitiert nicht vom Kaufkraftzuwachs, weil fast 60 %
des Umsatzes ins Ausland geht und Arbeitnehmer keine Maschinen kaufen“
Viele Produkte der Metall- und Elektroindustrie wie z. B. Autos, Hobbywerkzeuge,
elektronische und technische Haushaltsprodukte werden auch direkt von
Arbeitnehmern gekauft. Es gibt aber auch viele indirekte Wirkungen, wie z. B.:
- Arbeitnehmer bauen und renovieren Wohnungen und Häuser und beleben damit
das augenblicklich exzellent ausgelastete Handwerk sowie die Baubranche, die
Heizung-, Klima-, Sanitär-, Elektrotechnik sowie entsprechende Nutzfahrzeuge und
Baumaschinen kaufen.
- Zahllose Konsumprodukte wie Lebensmittel werden mit Maschinen
hochautomatisiert verarbeitet, verpackt und mit Fahrzeugen ausgeliefert. Dies gilt für
Schlachthöfe, Tiefkühlkost ebenso wie für Schokolade und Marmelade.
- Die Arbeitnehmernachfrage nach modernen Kommunikationsmitteln (Internet,
Smartphone) steigert den Aufbau von Datennetzen und die Nachfrage nach
entsprechender Hard- der Software der Elektronikindustrie.
- Mit den gestiegenen Steueraufkommen der Arbeitnehmer werden öffentliche
Investitionen für Infrastruktur finanziert, vielfach mit Produkten der ME-Industrie
(Nahverkehr, Datennetze, Schienenwege mit elektronischen Steuerungssystemen
und neuen Nah- und Fernverkehrszügen).
- Von den steigenden Beiträgen zur Krankenversicherung profitieren die vielen
Metall- und Elektrounternehmen, die hochwertige Medizintechnik herstellen.
- Von der gesteigerten Kaufkraft der deutschen Arbeitnehmer profitieren auch unsere
europäischen Nachbarländer mit ihren Export- und Dienstleistungsangeboten
(Textilien, Lebensmittel, Tourismus etc.). Dadurch steigt auch deren Kaufkraft und
Nachfrage nach deutschen industriellen Exportgütern. Von der Belebung der
südeuropäischen Länder und ihren hohen Kfz-Zulassungszahlen profitiert im
Augenblick besonders die deutsche Automobilindustrie (z. B. Italien, Spanien).
Mit anderen Worten, die Argumente der Arbeitgeber ignorieren die Kreisläufe der
deutschen wie europäischen Volkswirtschaft.
4. Warum hat sich die IG Metall auf die Forderung der Arbeitgeber nach einer
„Differenzierung“ eingelassen?
Die Differenzierung ist für die IG Metall kein geliebtes Kind. Alle Arbeitnehmer der
Metall- und Elektroindustrie haben die gleichen hohen Kosten für Leben, Wohnen,
Kleidung, Verkehr, Kommunikation, Erziehung, Qualifizierung, Gesundheit, Erholung
und Altersvorsorge aufzubringen. Leiharbeiter, die kein Equal Pay bekommen und
Arbeitnehmer, deren Betriebe wegen einer Differenzierungsregelung ihren
Arbeitnehmer Tariferhöhungen später zahlen, bekommen bei ihren Einkäufen keinen
„Differenzierungsabschlag“ – sie müssen wie alle den gleichen Preis bezahlen.
Die IG Metall hat sich deshalb in den Verhandlungen um eine Differenzierung stark
und erfolgreich dafür engagiert, dass der Differenzierung enge Grenzen gesetzt
werden:
- Der Tarifvertrag 2016 gibt nur zwei Möglichkeiten der Differenzierung, die es auch
2006 und 2010 schon einmal gab: 1. Der Pauschalbetrag von 150 € (für die Monate
April-Juni 2016) kann teilweise oder ganz nicht gezahlt werden. 2. Die zweite
Tariferhöhung von 2 % kann ganz oder teilweise um drei Monate später Inkrafttreten.
- Die Entscheidung, ob die Differenzierungsregelung genutzt wird, treffen allein die
Tarifvertragsparteien. Der Arbeitgeber muss sie über seinen Verband bei der IG
Metall beantragen. Die IG Metall muss gemeinsam mit den Mitgliedern im Betrieb
prüfen und beurteilen, ob der Betrieb wirklich in einer wirtschaftlich schlechten
Situation ist. Dazu muss der Arbeitgeber Unterlagen bereitstellen. Die betriebliche
Tarifkommission muss mit den Mitgliedern die Entscheidung treffen. Im Gegensatz zu
2006/2010 können das nicht mehr allein die Betriebsparteien (Arbeitgeber /
Betriebsrat).
Damit wird sichergestellt, das lediglich ein eher geringer Anteil (ca.10 %) des
Tariferhöhungsvolumens innerhalb der Laufzeit von 21 Monaten vom Arbeitgeber
nicht gezahlt werden kann. Und der Arbeitgeber kann es nicht durch willkürlichen
Druck auf den Betriebsrat erzwingen, wie das 2006/2010 in einigen Betrieben der Fall
war.
Insofern kann halbwegs sichergestellt werden, dass die Differenzierungsregelung
wirklich nur in Betrieben mit sehr schlechter Finanz- und Wirtschaftslage zum Tragen
kommt, nicht aber zur zusätzlichen Gewinnsteigerung der Eigentümer und Manager.
Erst nach Formulierung dieser – gegenüber 2006/2010 – eindeutigen und besseren
Differenzierungsregelung, die nur für dieses Entgeltabkommen 2016/2017 gilt, hat die
IG Metall der Differenzierung in den Verhandlungen zugestimmt.
Ohne Differenzierung hätte in den Verhandlungen die Gefahr bestanden, dass sich
die gesamte Tariferhöhung nur an den wirtschaftlich schwachen Firmen orientiert. Für
alle Arbeitnehmer wäre eine deutlich geringere Tariferhöhung das Ergebnis gewesen.
So konnte die Zustimmung der Arbeitgeberverbände zum jetzigen Tarifabschluss
erreicht werden. Das war für die Arbeitgeber ein wichtiger Bestandteil des
Tarifabkommens und für uns ein letztlich ein zu akzeptierender Kompromiss.
5. Arbeitgeberpräsident Kirchhoff nennt in der „Rheinischen Post“ die
Differenzierungsregelung einen Einstieg in zukünftige variablere Tarifregelungen?
Welche Forderungen haben die Arbeitgeber in den Tarifverhandlungen hinsichtlich
der Differenzierung verfolgt?
Die Arbeitgeber wollten einen strukturellen, eigenständigen „Tarifvertrag
Differenzierung“, der zukünftig in jeder Tarifrunde unabhängig von allen
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angewandt werden kann. Ihre Vorstellungen
beinhalteten neben den bekannten Differenzierungsregeln unter anderem auch die
Forderung, dass innerhalb der Laufzeit das gesamte Tariferhöhungsvolumen (z. B.
die 2,8 %) durch eine Verrechnung mit dem „Weihnachtsgeld“ eingespart werden
kann. Oder das die Arbeitnehmer das Tariferhöhungsvolumen ausgleichen durch
eine während der Laufzeit erhöhte Arbeitszeit (das wäre z. B. bei 2,8 % genau eine
Stunde zusätzliche Arbeitszeit in der Woche – 36 statt 35 Stunden). Eine andere
Forderung zur Differenzierung war z. B. die Ersetzung des „Weihnachtsgeldes“ (55 %
eines Monatsentgeltes) durch eine ertragsabhängige Bezahlung mit Kennziffern, die
im Betrieb ausgehandelt werden.
Ein solcher „Tarifvertrag Differenzierung“ würde bedeuten, dass nach jedem
Tarifabschluss im Betrieb eine zweite Tarifrunde stattfindet. Erst danach steht fest,
was der Tarifabschluss wirklich wert ist. Oder mit den Worten von Präsident Kirchhoff
in der Rheinischen Post (14. Mai 2016) zum Vorteil eines solchen
Differenzierungstarifvertrag: „Diese Differenzierungen müssten dann nicht immer
wieder in jeder Tarifrunde mühsam neu verhandelt werden. Differenzierungen
könnten etwa an die Ertragslage gekoppelt und sowohl nach oben als auch unten
möglich sein“.
Die Siemens Arbeitnehmer der Siemens Niederlassungen in Deutschland hatten
damit schon einmal in ihrem Tarifvertrag Erfahrungen gesammelt und haben sich
mühsam das regelmäßige „Weihnachtsgeld“ zurückverhandelt.
Die Diskussion über einen solchen „Tarifvertrag Differenzierung“ ist jetzt eröffnet und
muss innerhalb der IG Metall geführt werden.
Eine der Begründungen der Arbeitgeber war zusätzlich, dass kaum noch ein
Unterschied zwischen den Tarifentgelten und den Effektivverdiensten bestehe. Man
brauche deshalb neue „Differenzierungspotenziale“. Diese Begründung besagt im
Kern allerdings, dass nach Abbau der meisten übertariflichen Leistungen im Betrieb
jetzt regelmäßig die Chance für Arbeitgeber existieren soll, die vereinbarten
Tariferhöhungen erst am Ende eines Tarifvertrages wirksam werden zu lassen.
6. „Die IG Metall hat 5 % für eine Laufzeit von 12 Monaten gefordert. Warum wurde jetzt
eine Laufzeit von 21 Monaten vereinbart? War keine kürzere Laufzeit möglich?
Die Arbeitgeber beharrten bis zum Schluss der Verhandlungen auf einer Laufzeit von
24 Monaten. Dies gebe ihnen mehr Planungssicherheit für die Kalkulation und
Projektangebote. Die IG Metall hat in den Verhandlungen immer wieder darauf
hingewiesen, dass
- angesichts der großen Unsicherheiten über die weitere wirtschaftliche Entwicklung
(Absatz, Material- und Energiepreise, Wechselkurse, Verbraucherpreise etc.) lange
Laufzeiten für beide Seien hohe Risiken einer Fehleinschätzung beinhalten,
- dass letztlich alle Unternehmen ihre Planungen auf Basis ihrer jeweiligen
Geschäftsjahre machen – also für 12 Monate.
Letztlich entscheidend für die Bereitschaft der IG Metall eine längere Laufzeit zu
akzeptieren waren zwei Gründe:
- die Arbeitgeber waren bereit, für eine längere Laufzeit ein deutlich höheres
Tariferhöhungsvolumen insgesamt zu akzeptieren.
- die IG Metall hat ausreichend Zeit, die nächste Tarifverhandlungsrunde, in der auch
die Themen der tariflichen Arbeitszeitgestaltung (mehr Arbeitszeitsouveränität für
Arbeitnehmer) eine wichtige Rolle spielen sollen, gründlich vorzubereiten.
Ein Rückblick auf die zurückliegenden Entgeltabkommen seit 1991 zeigt zudem, dass
wir im Durchschnitt Tarifverträge mit einer Laufzeit von 18,8 Monaten hatten. Längere
Laufzeiten hingen allerdings zum Teil auch mit besonderen sonstigen
Tarifvereinbarungen wie der Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeiten (37 auf 35
Wochenstunden), der Einführung der ERA-Tarifverträge sowie der tiefen Wirtschaftsund Finanzkrise 2008/2009 zusammen.
Insgesamt sind aber längere Laufzeiten nie einseitig zu Lasten der Arbeitnehmer
gewesen. Beide Seiten stehen im Risiko, Fehleinschätzungen wurden jeweils in der
nachfolgenden Tarifbewegung korrigiert, wie das nachfolgende Schaubild zeigt:
7. Wie ist der Tarifabschluss zu bewerten? Wie steht er im Vergleich zu anderen
Tarifabschlüssen dar?
Kritische Kommentare zum Abschluss in den sozialen Medien weisen zu Recht
darauf hin, dass die Tariferhöhung von insgesamt 4,8 % in der Metall- und
Elektroindustrie ja nicht mit den geforderten 5 % für 12 Monate vergleichbar sind. Die
4,8 % gelten für 21 Monate. Das ist eine Binse. Viel schwerer ist es indes, einen
solchen Abschluss realistisch zu bewerten, weil es viele Perspektiven einer solchen
Bewertung gibt. Deshalb auch dazu einige Anmerkungen. Die vielleicht wichtigste
und einfachste Bewertung ist die Betrachtung der Reallohnsteigerung. Tariferhöhung
minus Inflationsrate ist einfach – aber immer nur im nach hinein. Das Schaubild oben
sowie die immer unsicheren Prognosen geben einen ersten Hinweis. Für 2016 ergibt
sich mithin eine auch im Vergleich mit anderen Jahren seit dem Jahr 2000 durchaus
kräftige Reallohnsteigerung und für 2017 zumindest keinen Kaufkraftverlust.
Im Vergleich mit nicht tarifgebundenen Betrieben/Unternehmen ist dies eine
erhebliche Steigerung, denn in diesen Unternehmen gibt es zumeist nur individuell
sehr unterschiedliche Entgeltsteigerungen. Und in diesen Entgelterhöhungen
mischen sich meistens der Ausgleich für Preissteigerungen mit Entgelterhöhungen
für zusätzlich übernommen Aufgaben, für höhere individuelle Leistungen. In
tarifgebundenen Unternehmen gibt es solche Entgeltsteigerungen zusätzlich zu den
allgemeinen Tariferhöhungen: Neue höherwertige Aufgaben führen zu höheren
Entgeltgruppen, bessere Leistungen können zu höheren tariflichen Leistungszulagen
führen.
Statistiker und Mathematiker mühen sich immer wieder damit, Tarifverträge mit
längeren Laufzeiten als 12 Monate vergleichbar zu machen. Die sogenannte
Westrick-Formel ist eine Methode, die Belastungsberechnung der steigenden Kosten
für Arbeitgeber eine andere. Sie wird bei längeren Laufzeiten, zumal mit
Pauschalbeiträgen ungenau.
Für Arbeitnehmer zählt letzten Endes immer, wieviel „Mehr“ auf dem Konto Brutto
und Netto landet. Und das ist zumindest Brutto einfach zu berechnen. Wer 3.000 € im
April 2016 verdient hat, der bekommt ab 1. Juli 2016 3.084 € und ab 1.4.2017
3.146 €. Das sind in 21 Monaten 65.220 € statt 63.000 € ohne Tariferhöhung – so
gerechnet ein Anstieg von 3,5 %. So rechnet der schlichte Arbeitgeber: Ich muss dem
Arbeitnehmer insgesamt in der Laufzeit 2.220 € mehr bezahlen als ohne
Tariferhöhung.
Der Arbeitgeberverband hingegen macht eine Lohnkostenbelastungsberechnung
indem er jeweils Monat für Monat die Steigerung gegenüber dem Vorjahr betrachtet:
Er rechnet dem Verbandsmitglied vor, was die durchschnittliche Steigerung über die
gesamte Laufzeit beträgt. Die Arbeitgeber hingegen halten ihm vor, das die Erhöhung
der Tabellen um 4,8% ab 1.4.2017 die Basis für den nächsten Tarifabschluss bilden,
also für den Arbeitnehmer bis zum Renteneintritt als Einkommensgewinnwirksam
bleiben und für den Arbeitgeber als Kosten.
Der schlichte Journalist schreibt in seinem Blatt, dass die IG Metall 4,8 %
durchgesetzt hat und Verdi 4,75 % (2,4 + 2,35). Der etwas klügere Journalist ergänzt,
dass aber die IG Metall eine kürzere Laufzeit hat und deshalb ab 1.1.2018
wahrscheinlich schon wieder eine Tariferhöhung durchsetzt, während die Verdi
Arbeitnehmer darauf noch drei Monate warten müssen.
8. „Das Ergebnis hätte deutlich höher ausfallen können, wenn die IG Metall Ernst mit
ihren vierundzwanzigstündigen Tagesstreiks gemacht hätte“!
Nachdem auch in der dritten Verhandlung die Arbeitgeber anstelle von 0,9 % für 12
Monate 1,05 % für jeweils 1 Jahr bei einer zweijährigen Laufzeit angeboten hatten,
reagierten die Arbeitnehmer drastisch: Direkt nach Ablauf der Friedenspflicht
begannen Nachtschichtwarnstreiks. Innerhalb weniger Tage bis zum 12. Mai 2016
traten – unterbrochen von den Himmelfahrtsfeiertag und Brückentag – 760.000
Arbeitnehmer in befristete Warnstreiks. Erst das hat zu ernsthaften Verhandlungen
am 12. Mai geführt. In der Verhandlungsnacht spielten die 24-Stunden-Tagesstreiks
eine große Rolle. Als neues Element des Arbeitskampfkonzepts der IG Metall
zwischen Warnstreiks und unbefristetem Streik waren sie erst im Oktober 2015 auf
dem Gewerkschaftstag beschlossen worden. Kaum jemand hatte angenommen, dass
sie schon in der reinen Entgelttarifrunde 2016 nötig wären.
Die provokatorische Verweigerungshaltung der Arbeitgeber indes änderte die
Vorbereitung der IG Metall. Sorgfältig wurden neben den Warnstreiks auch die
Tagestreiks vorbereitet: In allen Tarifbezirken der IG Metall wurden die Streikbetriebe
festgelegt aus allen Branchen und Größenordnungen. Für die IG Metall-Mitglieder
dieser Betriebe wurden die Streikausweise vorbereitet, zum Teil sogar gedruckt.
Betriebsräte und Vertrauensleute waren informiert und hatten sich auf alle rechtlichen
und organisatorischen Themen eines solchen 24-Stundenstreiks vorbereitet. Das
blieb auch den Arbeitgebern nicht verborgen. In der hoch vernetzten Just-in-TimeProduktion, insbesondere der Auto- und Autozulieferindustrie, hätte das schnell
Wirkungen erzielt.
Als den Arbeitgebern in der Verhandlungsnacht am 12. Mai deutlich wurde, dass bei
einem Scheitern der Verhandlungen nach Pfingsten unmittelbar in den nächsten
vierzehn Tagen mit diesen 24-Stundenstreiks gerechnet werden musste, stieg
langsam die Verhandlungsbereitschaft über ein ernsthaftes Tarifergebnis.
Letztlich ist in dem Ergebnis das Druckmittel der 24-Stunden-Streiks schon
unmittelbar wirksam geworden, ohne dass es direkt angewandt werden musste. Die
Laufzeit von 21 Monaten gibt der IG Metall die Chance, mit noch mehr Betrieben und
ihren Vertrauensleuten und Betriebsräten dies neue Arbeitskampfkonzept sorgfältig
für die nächste Tarifrunde vorzubereiten. Aber schon die realistische Drohung damit,
hat 2016 Wirkung gezeigt – ist also quasi im Tarifergebnis „eingepreist“.