krankheitsbedingte Kündigung

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krankheitsbedingte Kündigung
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht Dr. Christian Lampe
Mai 2012
Skript S 21
Personenbedingte Kündigung
I. Allgemeines
Die personenbedingte Kündigung ergibt sich aus Umständen in der Person des Arbeitne hmers. Hierunter versteht man eine Kündigung, die ihren Grund in einer Eigenschaft des Arbeitnehmers hat. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer für diese Eigenschaft irge ndetwas kann. Darin liegt der Unterschied zur verhaltensbedingten Kündigung, was auch zur
Folge hat, dass bei einer personenbedingten Kündigung eine vorherige Abmahnung entfällt.
Als Kündigungsgrund kommt nur eine Änderung der Verhältnisse in Betracht, die nach Beginn des Arbeitsvertrages eingetreten sind. Hat sich der Arbeitgeber schon beim Abschluss
des Vertrages falsche Vorstellungen gemacht, kann dies eventuell eine Anfechtung des Vertrages begründen, aber nicht die Kündigung
Bestimmte Eigenschaften dürfen von Gesetzes wegen nicht zum Anlass für eine Kündigung
genommen werden, wie z.B. wehrdienstliche Verhältnisse (Arbeitsplatzschutzgesetz) oder die
Kandidatur bei Wahlen. Wer also einen wehrpflichtigen Arbeitnehmer einstellt, im Vertrauen
darauf, der Betreffende werde sich bei der Musterung als untauglich erweisen, kann nicht
kündigen, wenn die Musterung anders ausgeht. Auch Alter als solches kein Grund für eine
personenbedingte Kündigung (allein auch wegen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes).
Beispiele für eine personenbedingte Kündigung:
- Kann der Arbeitgeber, der eine Arbeitnehmerin ausschließlich sonntags
beschäftigt, dieser den nach § 11 Abs. 3 ArbZG vorgesehenen Ersatzruhetag deshalb nicht gewähren, weil die Arbeitnehmerin an allen übrigen Tagen der Woche in einem anderen Arbeitsverhältnis arbeitet, so ist rege lmäßig eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person der Arbeitnehmerin gerechtfertigt Beispiel (BAG 24.02.2005):
- fehlende Erneuerung der abgelaufenen Fluglizenz
- Inhaftierung
- Die Beschäftigung eines Studenten als „studentische Hilfskraft“ an einer
Forschungseinrichtung setzt in der Regel voraus, dass er dem Studium
nachgeht. Entfällt diese Voraussetzung, z. B. durch Exmatrikulation, ist
eine Kündigung aus personenbedingten Gründen regelmäßig gerechtfertigt
(BAG vom 18.09.2008 - 2 AZR 976/06).
In folgendem Fall hat das Bundesarbeitsgerichts keinen Grund für eine personenbedingte
Kündigung gesehen: (BAG vom 18.01.2007 - 2 AZR 731/05):
Ein für eine Tätigkeit im Gepäckdienst eingestellter (Werk-)Student war auf Grund seiner
überlangen Studiendauer nach den sozialversicherungsrechtlichen Regelungen nicht mehr als
Student sozialversicherungsfrei. Dieser Umstand stellte für die geschuldete Arbeitsleistung
nach Auffassung des BAG kein notwendiges Eignungsmerkmal dar, so dass die Kündigung
unwirksam war.
Der Hauptanwendungsfall der personenbedingten Kündigung ist allerdings die krankheitsbedingte Kündigung.
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Beispiel:
Häufige Kurzerkrank ungen, die zusammengerechnet mehr als sechs Wochen andauern oder eine Langzeiterkrankung, bei der eine Genesung nicht absehbar ist.
II. Häufige Kurzerkrankungen
Für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankung müssen folgende
Voraussetzungen vo rliegen:
1. Negative Gesundheitsprognose
Die Prognose bezüglich der zukünftigen Erfüllung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers muss
negativ ausfallen. Dies bedeutet, dass bei einer krankheitsbedingten Kündigung eine negative
Gesundheitsprognose (weiterhin viele Fehlzeiten) vorliegen muss (BAG vom 10.11.2005 –
2 AZR 44/05).
Hinweis:
Entscheidend für die negative Gesundheitsprognose ist der Zeitpunkt des Zugangs
der Kündigung. Spätere Gesundheitsverbesserungen oder Verschlechterungen
werden nicht berücksichtigt.
Wenn Unklarheit über Krankheit, Dauer und Verlauf besteht, kann der Arbeitgeber versuchen, mit einer Krankenstandsanfrage im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements Erkenntnisse zu erlangen.
Das BAG stellt jedoch klar, dass der Arbeitgeber sich bei häufigen Kurzerkrankungen zunächst darauf beschränken kann, die Fehlzeiten der Vergangenheit des Arbeitnehmers präzise
nach Zahl, Dauer sowie zeitlicher Folge vorzutragen. Dabei muss der Arbeitgeber einen prognosefähigen Fehlzeitraum benennen. Für diese Prognose spielen die objektiv feststellbaren
Krankheitszeiten jedenfalls eine mittelbare Rolle. Was erheblich in diesem Sinne ist, lässt sich
nicht anhand einer bestimmten Fehlzeitenquote quantifizieren (so LAG Rheinland-Pfalz vom
26.05.2008 – 5 Sa 131/08).
Die Fehlzeitenprognose ändert auch nichts an der Pflicht, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen (s. u.).
2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Des Weiteren muss der Arbeitgeber erhebliche Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen
aufführen, die durch die krankheitsbedingten Fehlzeiten zustande gekommen sind (vgl. BAG
vom 10.11.2005 – 2 AZR 44/05).
Beispiele:
• Störungen im Betriebsablauf
• Hohe Lohnfortzahlungskosten
(z.B.: über sechs Wochen hinausgehende Lohnfortzahlungsansprüche)
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3. Betriebliches Eingliederungsmanagement
Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber ein betriebliches Eingliederungsmanagement
durchzuführen.
Ist ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig, hat der Arbeitgeber unter Beteiligung des betroffenen Arbeitne hmers und der Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt
und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
a) keine formelle Voraussetzung
Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen, ohne zuvor
dieses betriebliche Eingliederungsmanageme nt durchgeführt zu haben, so führt dies nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen (BAG vom 12.07.2007, 2 AZR 716/06).
Das BAG hat in anderem Zusammenhang entschieden, dass dies keine immer durchzuführende zwingende/formelle Voraussetzung für eine Kündigung ist (vom 07.12. 2006 - 2 AZR
182/06). Das BAG formuliert: „Steht eine Pflichtverletzung in keinem Zusammenhang mit der
Behinderung und verspricht das Verfahren von vornherein keinen Erfolg, so braucht es nicht
durchgeführt zu werden. Kann dagegen das Präventionsverfahren im Arbeitsverhältnis des
Schwerbehinderten auftretende Schwierigkeiten beseitigen, so kann die Unterlassung des Verfahrens zu Lasten des Arbeitgebers bei der Bewertung des Kündigungsgrundes Berücksichtigung finden.“
Zwei Landesarbeitsgerichte, nämlich des LAG Schleswig-Holstein (17.11.2005 - 4 Sa 328/05)
sowie das LAG Berlin vom 27.10.2005 - 10 Sa 783/05 haben zudem entschieden, dass das
Verfahren nach § 84 Abs. 2 SGB IX keine „formelle“ Wirksamkeitsvorrausetzung für
eine krankheitsbedingte Kündigung ist. Das LAG Berlin formuliert dies aber (im Rahmen
einer Kündigung wegen langandauernder Erkrankung) wie folgt: „Mit den Maßgaben des §
84 Abs. 2 SGB IX wird im Falle der krankheitsbedingten Kündigung das im Kündigungsrecht
innewohnende ultima-ratio-Prinzip verstärkend konkretisiert.“
Es heißt dort u. a.: Die krankheitsbedingte Kündigung ist als letztes Mittel nur dann zulässig,
wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft und
geprüft hat, ob und in welchem Umfang er Überbrückungsmaßnahmen wie z. B. Mehrarbeit,
Versetzung u. ä. einleiten kann, um den Ausfall des lang andauernden erkrankten Arbeitne hmers aufzufangen. Diese Anforderungen werden nun durch § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert.
Insbesondere legt § 84 Abs. 2 SGB IX dem Arbeitgeber die Pflicht auf, die Prüfung der Vermeidung der krankheitsbedingten Kündigung nicht nur intern, sondern in Absprache mit den
genannten Institutionen und dem Beschäftigten vorzunehmen. Es müssen die inhaltlich vorgesehen Schritte vorgenommen und Maßnahmen geprüft werden, auch wenn dies nic ht unter
dem „Etikett des betrieblichen Eingliederungsmanagements“ erfolgt.
Dem pflichtet das LAG Schleswig-Holstein im Prinzip bei. Auch wenn in dem vorliegenden
Fall der Arbeitgeber ebenfalls nicht „den formalen Weg des § 84 Abs. 2 SGB IX“ gegangen
ist, sollte die Kündigung nicht allein deswegen unwirksam sein. Die Besonderheit dieser Konstellation war jedoch, dass das Kündigungsschutzgesetz im Übrigen nicht anwendbar war und
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das LAG nicht allein deshalb eine Willkür in der Kündigung gesehen hat, weil § 84 Abs.
2SGB IX nicht im Sinne eines „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ durchgeführt wo rden war.
Hinweis:
Es ist nach alldem für Arbeitgeber zu empfehlen, die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus
dem „betrieblichen Eingliederungsmanagement“ des § 84 SGB IX ergeben, es sei denn, es ist
eindeutig, dass dies im konkreten Einzelfall keinen Sinn macht.
b) Betriebliches Eingliederungsmanagement erforderlich bei Arbeitsunfähigkeit eines
Arbeitnehmers von mehr als sechs Wochen im Jahr
Die Verpflichtung zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements setzt ein,
sobald ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder
wiederholt arbeitsunfähig krank war. Kommt ein Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht
rechtzeitig nach, ist eine krankheitsbedingte Kündigung auch dann unverhältnismäßig, wenn
sie bei rechtzeitiger Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements hätte ve rmieden werden können. Steht fest, dass ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen, und
lässt er sich deshalb umschulen, hat der Arbeitgeber im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements unter Einbeziehung der zuständigen Stellen zu prüfen, ob und inwieweit
eine Weiterbeschäftigung nach der Umschulung möglich ist und geeignete frei werdende Stellen im zumutbaren Rahmen freizuhalten ArbG Berlin vom 29.01.2009 33 Ca 16090/08).
c) Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines betriebliche n Eingliederungsmanagements wirkt sich auf Verteilung der Darlegungs- und Beweislast aus
Die gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) hat Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess wegen krankheitsbedingter Kündigung. Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein BEM durchgeführt, muss er von sich aus darlegen,
weshalb denkbare Alternativen zu den bestehenden Beschäftigungsbedingungen mit der Aussicht auf eine Reduzierung der Ausfallzeiten nicht in Betracht kommen. Hat das ordnungsgemäß durchgeführte BEM zu einem negativen Ergebnis geführt, genügt er seiner Darlegungslast, wenn er auf diesen Umstand hinweist und vorträgt, es bestünden keine anderen Beschä ftigungsmöglichkeiten. Hat ein BEM zu einem positiven Ergebnis geführt, ist der Arbeitgeber
grundsätzlich verpflichtet, die betreffende Empfehlung umzusetzen (BAG vom 10.12.2009, 2
AZR 400/08).
d) BEM ist auch bei fehlender betrieblicher Interessenvertretung durchzuführen (BAG
vom 30.09.2010 - 2 AZR 88/09)
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung gebildet ist.
Bestand eine Verpflichtung zur Durchführung eines BEM, darf der Arbeitgeber sich im Kündigungsschutzprozess nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat
vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits benannte
Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine
Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheidet.
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e) Verpflichtung zur Handlung?
Zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gehört
auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung
Bietet der Arbeitnehmer nach längerer psychischer Erkrankung unter Vorlage einer vom behandelnden Facharzt ausgestellten "Arbeitsfähigkeitsbescheinigung" erfolglos seine Arbeitskraft an und verlangt er aus diesem Grunde Vergütungszahlung wegen Annahmeverzugs, so
hat der Arbeitgeber die fehlende Arbeitsfähigkeit zu beweisen. Zu den gebotenen Maßnahmen
des betrieblichen Eingliederungsmanagements gehört auch die Durchführung einer ärztlich
empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber
stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung der Regelung über die betriebliche
Prävention im SGB-IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des
Arbeitne hmers in Betracht. (LAG Hamm vom 04.07.2011 - 8 Sa 726/11)
f) Überwachung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber hat für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen
arbeitsunfähig sind, die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements
(BEM) zu prüfen (§ 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). In diesem Verfahren soll geklärt werden, wie
die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Ob
der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Einleitung des bEM nachkommt, hat der Betriebsrat zu überwachen (§ 84 Abs. 2 Satz 7 SGB IX). Die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist nicht von der
Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer abhängig.
Im Betrieb eines auf dem Gebiet der Luft- und Raumfahrttechnik tätigen Arbeitgebers besteht
eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung des bEM. Nach dieser erhält der Betriebsrat
quartalsweise ein Verzeichnis der Mitarbeiter, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen
arbeitsunfähig waren. Der Arbeitgeber möchte die Namen dieser Arbeitnehmer nur mit deren
Einverständnis offen legen.
Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dem Antrag des Betriebsrats entsprochen, mit
dem dieser die Angabe sämtlicher Arbeitnehmer verlangt hat, die für die Durchführung eines
bEM in Betracht kommen. Der Arbeitgeber durfte deren namentliche Benennung nicht vom
Einverständnis der Arbeitnehmer abhängig machen. Er hat ein bEM allen Beschäftigten anzubieten, die im Jahreszeitraum mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen sind. Für die
Ausübung seines gesetzlichen Überwachungsrechts muss der Betriebsrat diesen Personenkreis
kennen; einer namentlichen Benennung stehen weder datenschutzrechtliche Gründe noch das
Unionsrecht entgegen (BAG vom 7. 02. 2012 - 1 ABR 46/10).
4. Keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Schließlich ist eine krankheitsbedingte Kündigung dann nicht möglich, wenn es eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz – ggf. auch zu geänderten Bedingungen – gibt. Das BAG spricht dann davon, dass wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine krankheitsbedingte Kündigung dann ausgeschlossen ist, wenn es eine Umsetzungsmöglichkeit gibt (BAG vom 24.11.2005 – 2 AZR 514/04).
Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von
einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Im Rahmen der
Prüfung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten kommen nur solche in Betracht, die entweder gleichwertig mit der bisherigen Beschäftigung oder geringer bewertet sind. Das Künd i5
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gungsschutzgesetz schützt das Vertragsverhältnis in seinem Bestand, verschafft aber keinen
Anspruch auf Beförderung (BAG vom 19.04.2007, 2 AZR 239/06).
5. Interessenabwägung aller Umstände im Einzelfall
Schließlich muss grundsätzlich auch bei einer personenbedingten Kündigung eine Interessenabwägung ergeben, dass die Interessen des Arbeitgebers an einer Kündigung überwiegen.
Wenn beispielsweise organisatorische Maßnahmen, wie Änderung des Arbeitsablaufes oder
Umverteilung der Aufgaben für den Arbeitgeber ohne weiteres zumutbar sind, dürfte die Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitgebers ausgehen.
Weitere Aspekte bei der Interessenabwägung:
- gehen die Krankheitszeiten auf betriebliche Ursachen zurück?
- beruhen diese auf einem Arbeitsunfall?
(hierzu:
Pfalz, Urteil vom 12.04.2006, 10 Sa 977/05
- Lebensalter,
- Betriebszugehörigkeit,
- zumutbare Überbrückungsmaßnahmen
LAG
Rheinland-
Erhöhte Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung bei Erkrankung aufgrund eines Schicksalsschlages
Beruht die längere Erkrankung eines Arbeitnehmers auf einem einmaligen Schicksalsschlag
(hier: Schlaganfall), so erhöhen sich regelmäßig die Anforderungen an eine krankheitsbedingte Kündigung im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung. Im Fall einer Krankheit, die
den Arbeitnehmer unverschuldet trifft, kündigt ein verständiger Arbeitgeber nicht schon bei
ersten Betriebsbeeinträchtigungen, sondern er berücksichtigt den Schicksalsschlag des Arbeitnehmers, in dem er zuwartet, bis die betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen unzumutbar geworden sind. Gegebenenfalls muss der Arbeitgeber die Möglichkeit einer Vertretung ausschöpfen und darf dem Arbeitnehmer nicht vorschnell kündigen (LAG Köln, Urt. v.
31.03.2011 - 6 Sa 1433/10).
III. Weitere krankheitsbedingte Kündigungen im Überblick
1. Langandauernde Erkrankung, dessen Ende nicht absehbar ist
Eine krankheitsbedingte Kündigung kommt auch im Falle einer lang andauernden Erkrankung
in Betracht.
Jedenfalls ist auch eine krankheitsbedingte Kündigung auch im Falle langanhaltender Krankheit sozial gerechtfertigt ist diese, wenn
-
eine negative Prognose hins ichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt,
eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist und
eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer
billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitsgebers führen (vgl.
zuletzt BAG vom 19.04.2007 – 2 AZR 239/06).
Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne weiteres von
einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Le i6
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stungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose
nicht gerechnet werden kann (vgl. zuletzt BAG vom 19.04.2007 - 2 AZR 239/06).
Eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen bei dauernder Leistungsunfähigkeit
liegt vor, da feststeht, dass das unternehmerische Ziel, andauernden Arbeitsbedarf zu decken –
nicht mehr erreicht werden kann. Etwaige Vertretungsmöglichkeiten können daran nichts ändern. Die wirtschaftliche Erwartung, aus der heraus das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen
Inhalt eingegangen wurde, ist endgültig gescheitert.
Die auf 24 Monate bezogene negative Prognose fordert das BAG für den Fall, dass die dauernde Leistungsunfähigkeit gerade nicht feststeht, sondern ungewiss ist. In solchen Fällen
steht noch nicht fest, das der vertraglich vorgesehene Leistungsaustausch endgültig gesche itert ist. Nur dann kann es auch sinnvoll sein, dass der Arbeitgeber sich mit einer vorübergehenden Vertretung behilft, steht aber die dauernde Leistungsunfähigkeit fest, kann es auf etwaige Vertretungsmöglichkeiten regelmäßig nicht mehr ankommen. Schließlich ist auch bei
diesen Künd igungsgründen zu prüfen, ob es eine Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf
einem freien Arbeitsplatz gibt, ggf. auch zu geänderten Bedingungen. Dann ist eine krankheitsbedingte Künd igung ausgeschlossen. Wenn eine Umsetzungsmöglichkeit besteht, führt
die Krankheit nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen.
Im Rahmen der Prüfung anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten kommen jedoch nach
Auffassung des BAG nur solche in Betracht, die entweder gleichwertig mit der bisherigen
Beschäftigung sind oder geringer bewertet sind. Das Kündigungsschutzgesetz schützt das
Vertragsverhältnis ist seinem Bestand und seinem bisherigen Inhalt, verschafft aber keinen
Anspruch auf Beförderung.
Weiterhin ist eine negative Prognose bei Langzeiterkrankung zu verneinen, wenn Wiedererlangung der Arbeitskraft zumindest möglich erscheint (LAG Köln vom 28.11.2008 - 10 Sa
739/08).
Die für die Kündigung wegen lang andauernder Erkrankung notwendige negative Prognose ist
dann zu verneinen, wenn aufgrund ärztlicherseits in Aussicht gestellter Behandlungsmaßna hmen (hier: Bandscheibenoperation) im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zumindest möglich erscheint. Anderes kann nur dann ge lten,
wenn auch mit Rücksicht auf die in Aussicht genommene Bandscheibenoperation eine Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des Klägers als gänzlich aussichtslos angesehen werden
muss.
2. Dauerhafte Leistungsunfähigkeit
Eine weitere Fallgruppe der personenbedingten Gründe liegt in einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit, wenn also feststeht, dass die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung gar nicht
mehr erbracht werden kann.
3. Krankheitsbedingte dauerhafte Leistungsminderung
Schließlich kann es auch im Falle einer dauerhaften Leistungsminderung zu einer krankheitsbedingten Kündigung kommen.
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IV. Kündigung
Bei Kündigung wegen Alkoholismus sind Grundsätze der personenbedingten Kündigung maßgeblich
Bei einer Kündigung wegen Alkoholismus sind die Grundsätze der personenbedingten Kündigung maßgeblich. Der Arbeitgeber muss folglich dem Arbeitnehmer in der Regel zuvor die
Chance zu einer Entziehungskur geben. Ein Rückfall führt nicht automatisch zu einer negativen Prognose, denn es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach ein Rückfall nach einer zunächst
erfolgreichen Entwöhnungskur und längerer Abstinenz einen endgültigen Fehlschlag jeglicher
Alkoholtherapie für die Zukunft bedeutet. Wird der Arbeitnehmer daher am Anfang seiner
Therapie noch einmal rückfällig, so ist das noch kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Künd igung, wenn er sich bis zum Kündigungstermin ansonsten unauffällig verhält, die
mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarungen einhält und sich seine Leberwerte bis dahin
positiv entwickeln LAG Berlin- Brandenburg vom 17.08.2009, 10 Sa 506/09).
V. Außerordentliche Kündigung
Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung ist unwirksam bei fehlendem Nachweis einer negativen Zukunftsprognose im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis
Auch Krankheit kann eine außerordentliche Kündigung ausnahmsweise rechtfertigen, wenn
die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist. Bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung ist der schon bei ordentlicher Kündigung zu beachtende strenge Prüfungsmaßstab auf allen drei Prüfungsebenen erheblich verschärft, um den hohen Anforderungen Rechnung zu tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind. Die DarlegungsundBeweislast für alle die Kündigung begründeten Tatsachen, wie auch die negative Zukunftsprognose, trifft den Kündigenden (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 25.05.2011 - 7 Sa
506/09).
VI. Krankheit im Verhältnis Behinderung/ EU-Recht
Ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber ausschließlich wegen Krankheit gekündigt
wird, kann sich nicht auf die EGRichtl-2000/78 zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen
einer Behinderung berufen. Da mit der Verwendung des Begriffes "Behinderung" der Gesetzgeber bewusst ein Wort gewählt hat, das sich von dem der "Krankheit" unterscheidet, lassen
sich die beiden Begriffe nicht schlicht und einfach einander gleichsetzen
(EuGH, Urteil vom 11.07.2006, C-13/05).
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