Psychologie aktuell: 2012-4/2013

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Psychologie aktuell: 2012-4/2013
Psychologie aktuell: 2012-4/2013-1 (144/145)
Psychologie & Gesellschaftskritik
2012-4/2013-1 (144/145)
IDENTITÄT.ANALYSE
HERAUSGEBER: ROLF POHL & LILI GAST
Siebo Siems
Eriksons amerikanische Erfahrung. Ich- und Gruppen-Identität als
Schlüsselbegriffe neuer Integrationsformen
Zusammenfassung | Abstract
Angela Moré
Überantwortete Vergangenheitsbewältigung. Zur Bedeutung
transgenerationaler Gefühlsvererbung für das Konstrukt und Erleben von
Identität
Zusammenfassung | Abstract
Jan Lohl
»Scheinhaftes inneres Königreich«. Überlegungen zur Konstitution der
deutschen Nation nach der deutschen Einheit
Zusammenfassung | Abstract
Wolfram Stender
Identitätszwang und Judenhass. Zur Gegenwart des Antisemitismus
Zusammenfassung | Abstract
Sebastian Winter
Die schöne neue Welt der scheinbar zwanglosen Geschlechtsidentitäten.
Postfordistische Entwürfe der Geschlechterdifferenz zwischen Gender
Trainings und Soziobiologie
Zusammenfassung | Abstract
Isabelle Hannemann
Über das Dunkle im dunklen Kontinent . Aggression, Sadismus und
Grausamkeit. Leerstellen im Konstrukt weibliche Identität
Zusammenfassung | Abstract
Marco Roock
Arbeit, Subjektivität, Männlichkeit. Zur Bedeutung männlicher
Geschlechtsidentität in sich transformierenden Arbeitsverhältnissen
Zusammenfassung | Abstract
Eriksons amerikanische Erfahrung. Ich- und Gruppen-Identität als
Schlüsselbegriffe neuer Integrationsformen
Siebo Siems
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Gegenstand des Textes ist die Analyse der Erfindung des modernen
Identitätsbegriffs von E. H. Erikson in den USA der 1940er Jahre. Erikson
theoretisiert damit eine spezifische Erfahrung: Identität soll das veränderte
Verhältnis von sozialer Zugehörigkeit in einer Gesellschaft beschreiben, in der
sich der nationale Zusammenhang nicht im Rahmen von überlieferten
Traditionen begreifen lässt. In dieser Konzeption wird nicht nur die neue
Bedeutung des Identitätsbegriffs festgelegt, sondern auch die
Entsprechungslogik zwischen subjektiver und kollektiver Identität entworfen,
die in der Bundesrepublik erhalten bleibt.
Schlüsselwörter: Erikson, Ich-Identität, Gruppenidentität
Erikson's American experience. Ego- and group identity as key terms for
new forms of social integration
Our present understanding of identity goes back to psychoanalyst Erik
Erikson s concept of ego and group identity. Subject of this article is the
analysis of the invention of the modern concept of identity by E.H. Erikson in
the USA in the 1940s. Erikson theorizes with it a specific experience: identity
is meant to describe the changed way of social belonging in a society, in which
the national correlation cannot be understood in the context of traditions. Not
only was the new meaning of the term identity laid down in this conception but
the duality of subject and group identity, which has been preserved in the
Federal Republic of Germany, was designed.
Key words: Erikson, ego-identity, group identity
Dr. Siebo Siems
[email protected]
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Überantwortete Vergangenheitsbewältigung. Zur Bedeutung
transgenerationaler Gefühlsvererbung für das Konstrukt und Erleben von
Identität
Angela Moré
Seit mehreren Jahrzehnten existiert ein Wissen darüber, dass unbewältigte
traumatische Erfahrungen auf die Nachkommen von Traumatisierten
Auswirkungen haben und in deren Selbstwahrnehmung Spuren hinterlassen.
Insbesondere gilt dies für die häufig nicht bzw. kaum zu bewältigenden
Extremtraumatisierungen, die Überlebende der Shoah erlitten haben. Aber
auch Nachfahren Gefolterter oder in Bürgerkriegen Misshandelter und von
Flüchtlingen finden in sich seelische Spuren der Grauen ihrer Vorfahren, an
welchen sie selbst, obwohl nicht von diesen Schicksalen betroffen, leiden.
Schließlich sind auch Kinder und Enkel von Folterern, Massenmördern und
Kriegsverbrechern vom angerichteten Grauen ihrer Vorfahren unbewusst
psychisch beeinflusst. Gemeinsam ist beiden Gruppen von Nachfahren, dass
sie ein diffuses Empfinden haben, es gäbe in ihrem Selbsterleben etwas, das
nicht zu ihnen selbst gehört, nicht genau fassbare Splitter von fremdartigen,
störenden Gefühlen und Gedanken, die sie abzuschütteln versuchen, zu
verleugnen und zu ignorieren. Gleichwohl verspüren sie deren Präsenz in sich
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und sind gezwungen, diese Fremdanteile im Ich zu bewältigen, soll es nicht zu
sich verstärkenden Gefühlen der Ichfremdheit und des Selbst- und
Fremdhasses kommen, die schlimmsten Falls ausagiert werden und damit die
Spirale der wiederholenden Weitergabe in eine neue Drehung versetzen.
Schlüsselwörter: Transgenerationalität, Selbstfremdheit, Introjekt,
Gefühlserbschaft
When coping with the past is handed over to the next generations. The
meaning of emotional heritage between generations for the construction
and experience of identity
Since several decades there is some knowledge about the effects of
unmastered traumatic experiences on descendants of traumatized people. That
these experiences leave their marks in the self awareness of the following
generations is mainly true in cases of extreme traumatisation as for example in
descendents of Holocaust survivors. But this is also true for descendents of
tortured, of maltreated in (civil) wars and of refugees. They find tracks of
cruelties their forefathers and foremothers suffered from in their own psyche.
Children and grandchildren of torturers, mass murders and war criminals too
are unconsciously influenced by cruelties realized by their ancestors. Both
groups of descendents have in common an impression of something strange in
their self awareness, in their feelings and thoughts which they want to shake
off, deny and ignore. Nonetheless they realize the presence of these strange
aspects in themselves and feel forced to cope with them to avoid a
strengthening feeling of self alienation and of hatred of themselves and others.
In worst cases the decline of these inherited experiences of the ancestors could
lead to an acting out and stimulate the spiral of repeating transmissions on to a
new turn.
Key words: Transgenerational relationships, Self-strangeness, Introject,
Emotional Heritage
Prof. Dr. Angela Moré
[email protected]
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»Scheinhaftes inneres Königreich«. Überlegungen zur Konstitution
nationaler Identität in der Bundesrepublik nach der deutschen Einheit
Jan Lohl
Der Artikel erarbeitet zunächst theoretische Aspektes einer Sozialpsychologie
des Nationalismus (Anderson, Lacan, Lorenzer, Volkan). Anschließend wende
er sich dem deutschen Vergangenheitsdiskurs nach 1989/90 und den
symbolischen Konstruktionen nationaler Selbstrepräsentanzen zu.
Schlüsselwörter: Nationalismusforschung, Psychoanalyse, deutscher
Vergangenheitsdiskurs
»Illusory inner kingdom . Thoughts on the constitution of national
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identity in the federal republic of Germany after the German unity
The paper first develops theoretical aspects of a social psychology of
nationalism (Anderson, Lacan, Lorenzer, Volkan). Then it approaches the
german discourse about the nazi past after 1989/90 and the symbolic
construction of national self representations.
Key words: research on nationalism, psychoanalysis, german discourse about
the nazi past
Dr. Jan Lohl
[email protected]
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Identitätszwang und Judenhass. Zur Gegenwart des Antisemitismus
Wolfram Stender
Antisemitismus unterscheidet sich von anderen Formen des kollektiven
Menschenhasses. Seine Struktur erschließt sich aus der Erkenntnis der
Gesellschaft und der Geschichte, die ihn hervorgebracht haben. Er kann als
eine besonders bösartige Form des fetischistischen Antikapitalismus
interpretiert werden. Der antisemitische Vernichtungswille gilt sowohl dem
gesellschaftlichen Identitätszwang als auch der Utopie opferloser Nichtidentität.
Das Feindbild Jude steht als Personifikation für beides. Nach Auschwitz ist
der Antisemitismus nicht verschwunden, sondern hat sich globalisiert und
nimmt im Alltag kapitalistischer Migrationsgesellschaften die eigentümliche
Gestalt einer Diversität sich scheinbar widersprechender Antisemitismen an.
Schlüsselwörter: Alltagsantisemitismus, Identitätszwang, die Nachtseite
moderner Zivilisation
Forced Identity and Antisemitic Hatred. The Present of Antisemitism
Antisemitism differs from other forms of collective hatred. Its structure can be
understood only from the society, which produces antisemitism from its own
midst. It can be interpretated as a particulary malicious form of fetishistic
anti-capitalism. The antisemitic desire for annihilation is aimed at forced identity
as well as victimless non-identity. The Jew , in which antisemitism turned
Jews, is both: the personification of the social principle of identity as well as the
non-identical. Antisemitism did not disappear after Auschwitz. It has globalised
and takes on different surface charareristics in everyday life of modern capitalist
migration societies.
Key words: antisemitism of everyday life, forced identity, the dark side of
enlightend modernity
Prof. Dr. Wolfram Stender
[email protected]
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Die schöne neue Welt der scheinbar zwanglosen Geschlechtsidentitäten.
Postfordistische Entwürfe der Geschlechterdifferenz zwischen Gender
Trainings und Soziobiologie
Sebastian Winter
Die in der Geschlechterforschung verbreitete Annahme eines durchgängigen
Wandels der Geschlechterentwürfe auf der diskursiven Ebene (aber nicht auf
derjenigen des Alltagshandelns) in Richtung einer Angleichung der
Geschlechter wird in Zweifel gezogen. Zwar finden sich in den öffentlichen
Diskursen Forderungen, die Begrenzungen der eigenen »Geschlechtsidentität«
zu flexibilisieren und sich neue Potentiale anzueignen, gleichzeitig aber
existieren essentialisierende, biologisierende und antifeministische Positionen.
Diese Zweiseitigkeit zeigt sich auch im sozialisationstheoretischen Paradigma
der »Selbstorganisation« (Hurrelmann): »Geschlechtsidentität« wird hier als
kulturelle und trainierbare Überformung eines natürlichen Potentials gefasst.
Über eine psychoanalytisch ausgerichtete Kritik an diesem Ansatz wird
verdeutlicht, wieso sich die Geschlechterordnung im habitualisierten
Alltagshandeln tatsächlich hartnäckig hält und welche unbewussten
psychischen Funktionen dieses Doing Gender erfüllt. Die essentialisierenden
Denkmuster schließen als Rationalisierung die Kluft zwischen »rhetorischer
Modernisierung« (Wetterer) und »Habitus« (Bourdieu).
Schlüsselwörter: Geschlechtsidentität, Doing Gender, Gender Training,
Sozialisation, Rhetorische Modernisierung, Soziobiologie
The brave new world of apparently unconstrained gender identities.
Postfordistic patterns of gender differences between gender trainings and
sociobiology
The common assumption within Gender Studies that gender patterns are
undergoing a consistent process towards equalization on the discoursive level
(but not on the level of everyday practice) is called into question. While there
are demanding elements in the public discourses to flexibilize the limits of one's
»gender identity» to acquire new potentials, there also persistently exist
essentializing, biologizing and anti-feminist positions. This dualistic character is
identifiable in the socialization-theoretical paradigm of »self organization«
(Hurrelmann), too. Here gender identity is understood as a cultural and
trainable reshaping of a natural potential. By means of a psychoanalytically
oriented criticism of this particular approach it is shown why the gender
relations of habitualized everyday practice are persistent and which
unconscious mental functions this practice of Doing Gender has. The
essentialistic patterns are as rationalizations closing the gap between
»rhetorical modernization« (Wetterer) and »habitus« (Bourdieu).
Key words: Gender Identity, Doing Gender, Gender Training, Socialization,
Rhetorical Modernization, Sociobiology
Dr. Sebastian Winter
[email protected]
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Psychologie aktuell: 2012-4/2013-1 (144/145)
Über das Dunkle im dunklen Kontinent. Leerstellen im Konstrukt
weibliche Identität
Isabelle Hannemann
Der Beitrag diskutiert klassische psychoanalytische Perversionstheorie, um sich
dem Konzept weibliche Identität anzunähern. Diesbezüglich verbindet die
Autorin beispielsweise Freuds Thesen zur frühinfantilen Entwicklung (die sich
auf das männliche Subjekt beziehen), Melanie Kleins Konzept der »projektiven
Identifizierung«, einige wahrnehmungstheoretische Ansätze und stellt ihre
Theorie der »phallischen Präformation« vor.
Schlüsselwörter: Geschlechtsidentität, weibliche Perversion, weiblicher
Sadismus & Aggressions, Wahrnehmung, projektive Identifizierung
The Dark at the dark continent. Aggression, sadism and atrocity. Blank
spaces in the theoretical construct female identity
The article discusses the psychoanalytic theory of perversion to approache a
model of the female identitiy . Therefore the author links for instance the
Freudian theory of primary development (which usually refers to the male
subject), Melanie Kleins concept of »projective Identification«, some ideas of
perception and introduces her theory of phalic preformation .
Key words: Gender identitiy, female perversion, female sadism & aggression,
perception, projective Identification
Isabelle Hannemann, M.A.
[email protected]
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Männlichkeit in der Krise? Zur Bedeutung von männlicher
Geschlechtsidentität und Weiblichkeitsabwehr in sich transformierenden
Arbeitsverhältnissen
Marco Roock
Die gegenwärtige Transformation der Arbeitsverhältnisse führt zu einer
zunehmenden Verschärfung sozialer Konflikte. Dies hat sowohl Auswirkungen
auf das Verhältnis von Arbeit und Subjektivität als auch auf die
Geschlechterverhältnisse sowie auf die soziale Konstruktion von Männlichkeit.
In diesem Aufsatz wird es darum gehen, diese Transformationsprozesse als
auch deren Bedeutung für die Konstitution von Männlichkeit aus
psychoanalytisch-sozialpsychologischer Perspektive in den Blick zu nehmen.
Dabei wird es darum gehen, die weitverbreitete Annahme, dass diese Prozesse
eine Beschädigung der männlichen Geschlechtsidentität zur Folge haben, einer
kritischen Reflexion zu unterziehen. Demgegenüber soll die These dargelegt
werden, dass die gegenwärtige Krise der Arbeitsgesellschaft auf der
Grundlage traditioneller männlicher Identitätskonstruktionen verarbeitet wird
und damit androzentristische und misogyne Männlichkeitsentwürfe
reproduzieren und stabilisieren.
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Psychologie aktuell: 2012-4/2013-1 (144/145)
Schlüsselwörter: Männlichkeit, Arbeit, Identität, Subjektivität, Psychoanalytische
Sozialpsychologie
Masculinity in crisis? On the importance of male gender identity and
defence of femininity in changing working conditions
The current transformation of labor relations leads to an increasing
intensification of social conflict. This has an effect on both the relationship
between work and subjectivity as well as on gender relations and the social
construction of masculinity. In this paper it will be important to increase the
transformation processes as well as its importance for the constitution of
masculinity from psychoanalytic-social psychological perspective into view. It
will be a question the popular assumption that these processes have led to
damage to the male gender identity to the sequence to be subjected to critical
reflection. In contrast to the thesis will be argued that the current crisis of work
society is processed on the basis of traditional male identity constructions and
for his reason stabilizes and reproduces androcentric and misogynist
masculinity concepts.
Key words: masculinity, employment, identity, subjectivity, Psychoanalytic
Social Psychology
Dipl.-Soz. Marco Roock
[email protected]
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