Zeugenbericht der Performance

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Zeugenbericht der Performance
 Performancepreis Schweiz 2013 – Florence Jung: «jung24»
gezeigt als letzte von sieben Performances am 28.9.2013 in der Kaserne Basel
Zeugenbericht von Anja Wernicke
Anja Wernicke stammt aus der Nähe vom Hexentanzplatz (Sachsen-Anhalt, D) und wuchs mit zeitgenössischer Akkordeonmusik auf. Nach
ihrem deutsch-französischen Doppelstudium der Kulturwissenschaften und -vermittlung in Hildesheim und Marseille arbeitet sie als
Kulturmanagerin und -journalistin in Basel.
Protokoll der Performance
Selfmade Woman
hat keinen Stagemanager engagiert, sie schafft ihr Material selbst auf die Bühne. Wir sehen sie also,
wie sie mit wenigen Requisiten umher läuft, noch ehe es wirklich losgeht.
Burn-Out-Lady
fährt sich mit zwei brennenden Fackeln über die Haut. Es erinnert an die Feuershow auf einem
Mittelalter-Markt. Sie löscht das Feuer mit dem Mund, entzündet es wieder mit der Zunge, die sie
vorher mit Brennpaste beschmiert hat. Dabei macht sie auf Show, versucht mit dem Publikum zu
spielen, erinnert an eine noch wenig routinierte Zirkusartistin.
Kung-Fu-Girl
schnippelt mit insgesamt fünf Samurai-Schwertern Gemüse in grobe Stücke um zu zeigen: „Diese
Schwerter sind echt scharf!“. Sie steckt sie in eine rechteckige Vorrichtung, macht dabei einen
nervösen Eindruck, verfehlt eine Vertiefung im Kasten, als sie eines der Schwerter reinzustecken
versucht. Als alle Schwerter aufgereiht parat liegen – sie macht jeweils zu dem Song „Everybody was
Kong Fu fighting“ einige unterhaltende Show-Bewegungen – legt sie sich darauf und stellt sich dann
mit nackten Fusssohlen auf zwei der Klingen.
Crunchy-Housewife
richtet sich immer wieder mit kleinen Anekdoten an das Publikum. Dazu spricht sie ins Mikrofon,
dessen Handhabung wegen ihrer Nervosität zum Problem wird. In dieser Nummer jedoch braucht sie
es, da sie eine 40-Watt-Glühbirne, die sie vorher mit einem Hammer zertrümmert, mit ihren Zähnen
zermalmt. Das Geräusch wird durch die Verstärkung noch eindringlicher, noch weniger erträglich für
das Publikum. Nachdem sie das Glas runtergeschluckt hat, beschliesst sie, das Mikrofon nicht mehr zu
gebrauchen.
Bloody Mary
will sich einen Cocktail mixen, die Zutaten befinden sich vorbereitet in Spritzen auf einem kleinen
Tisch. Alles wirkt echt, wie eine Fixerin muss sie erst die frischen Nadeln auf die Spritzen setzen, um
sie sich dann durch die Haut zu jagen. Drei am Unterarm, eine am Knie und eine an der Augenbraue,
oben rein, unten raus. Genüsslich bewegt sie die Spritzen hin und her und drückt den Inhalt in ein
Glas.
Nadel-Prinzessin
präsentiert am Ende den Over-kill: fünf 20cm lange Nadeln, die bisher als eine Art Piercings auf ihrer
Stirn stecken, zieht sie heraus, was eine sofortige Blutung verursacht, und sticht sie jeweils links und
rechts durch die Wangenhaut. Die Enden ragen durch den Mund. Blut läuft übers Gesicht und sie sieht
aus wie der stachelbekränzte Jesus oder das umherirrende Mädchen, eine Mischung aus Horrorfilm
und Heiligenbild.
Nachdenken über die Performance
In der Ankündigung der Performance las man, das Geheimnis, der Zweifel und das Gerücht spielten
fundamentale Rollen in der Arbeit der Konzeptkünstlerin Florence Jung. Wenn man mit der
Performance „jung24“ zum ersten Mal und ohne die Person zu kennen einer Arbeit von Florence Jung
begegnete, war es zunächst schwer nachzuvollziehen, was damit gemeint war. Auf die Performance
selber schien sich diese Aussage auf den ersten Blick jedenfalls nicht zu beziehen. Denn da stand diese
junge, moderne Freak-Frau auf der Bühne mit ihren vielen Tattoos und spielte in den verschiedenen
kleinen Szenen mit Assoziationen wie Mittelaltermarkt-Feuerschluckerin, Gothic-Ästhetik,
ostasiatische Guru-Fähigkeiten und nicht zuletzt die mittlerweile ausgestorbene Tradition der
Kuriositäten-Kabinette.
Trotz all dieser Querbezüge, schien die Performerin fast völlig nackt dem Publikum gegenüber zu
stehen – nicht nur im körperlichen Sinne ohne schützende Kleider, sondern auch ohne schützende
professionelle Inszenierung, ohne grosse Theatralität und scheinbar auch ohne routinierte
Kaltschnäuzigkeit, wie sie bei solch gefährlichen Stunts meist anzutreffen ist. Einzig in eine Wolke
treibender und ziemlich platter Popmusik hüllte sich die Performerin ein, um das eigene Adrenalin in
den Griff zu kriegen und das Adrenalin der Zuschauer in die Höhe zu treiben. Sie bat immer wieder
um Anfeuerung. Das Publikum war angesichts der im wahrsten Sinne unter die Haut gehenden Show
dazu fast nicht in der Lage. Jeder Versuch des Anfeuerns blieb ihnen im Halse stecken und hielt nur
wenige Sekunden bis das Klatschen und Johlen wieder abbrach. Alle waren sichtlich mit sich
beschäftigt und der Frage: „Was sie da tut, muss das jetzt wirklich sein? Ist das noch Kunst? Gehört es
hierher? Sollten wir es abbrechen? Beherrscht sie überhaupt, was sie da tut?“
Das Gerücht ist bei Florence Jung ein Parameter, der erst in zweiter Linie für ihre Arbeit relevant
wird. So schamlos und verletzlich die Artistin auf der Bühne dem Publikum gegenüber tritt, reisst die
Künstlerin im Nach- und Vorhinein ihrer Performance die Kontrolle wieder an sich: Keine Fotos,
keine Videos sind erlaubt. Der Grund übrigens, warum dieser Text überhaupt entsteht. Und dann die
Überraschung: die Artistin auf der Bühne ist gar nicht Florence Jung. Sie ist eine von Florence Jung
engagierte „Punk-Prinzessin“, die von der Künstlerin in Form eines performativen „Ready-mades“
gesetzt wurde, wie es die Künstlerin selbst bezeichnet. Weder Jury noch Publikum wussten davon.
Florence Jung wollte die offensichtliche Verbindung zwischen historischen Wurzeln der PerformanceKunst und dem reich-assoziierbaren Tun der „Punk-Prinzessin“ zeigen und spielte dabei immer mit
dem Zweifel, wer diese Person auf der Bühne eigentlich ist und was um Himmels Willen für eine
Kunst es sei, die sie da treibt...
Über die spannende Reflektion im Referenzrahmen Performance-Kunst hinaus, stellt „jung 24“ auch
ein Statement zu gesellschaftlichen Themen dar. Zum Beispiel, was es eigentlich bedeutet, Macht und
Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu haben und auszuüben. Dieses Aufbegehren gegen
gängige gesellschaftliche Konzepte von Schönheit, Körperlichkeit, Ansehnlichkeit, Künstlichkeit,
Natürlichkeit und damit letztlich gegen die grossen Instanzen von Moral, Sittlichkeit, Anstand und
gesellschaftlicher Integration bzw. Beteiligung fand an dem Samstagabend des 28. September nicht
nur in der Kaserne Basel, sondern auch auf den Strassen Basels statt. Eine kleine Gruppe von etwa 50,
zum Teil schwarz vermummten Menschen, zog mit einem grossem Plakat quer durch die Stadt. Die
Aussage „You can destroy our bodys, not our souls“ bezog sich auf den Abriss der Villa Rosenheim,
die das einzige besetzte Haus Basels seit Jahren war und somit Zuflucht und Wohnstätte für eben
solche Freaks und Punks, zu denen auch die Artistin der Performance sich zählen möchte.
Auf der einen Seite wurde das Freaktum von fünf Polizeibussen verfolgt, einige hundert Meter weiter,
wurde es beklatscht und ausgezeichnet. Die Artistin weckt das eigene Biest in sich und verweist damit
auf andere Biester. Sie macht uns – das Kultur-Publikum – offensichtlich zu Mittätern, die wir
sowieso schon sind. Sie macht uns diese Mittäterschaft sichtbar und schreit uns stimmlos entgegen:
„Schaut her, meine Gewalt gegen mich selbst, mein Blut für euch, weil ihr da seid um es
anzuschauen.“ Die Performance lässt so eine wunderbare Verwirrung von Schuldgefühl und
Empörung zurück. Hätte man – wie einige wenige es taten – verfrüht und aufgebracht den Saal
verlassen, hätte man es sich zu einfach gemacht.