When the pictures come to halt
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When the pictures come to halt
when the pictures come to halt Julia Lazarus when the pictures come to halt Julia Lazarus Revolver Publishing Inhalt content 6 Bild und Symbol – Spielarten des Romantischen 66 vida en otro lado life on the other side 71 Wenn die Bilder stehen lernen – vier Fragmente zu filmischen Räumen When the pictures come to halt – four fragments towards the cinematic range Claudia Funke 10 Dancing with my loneliness again 17 Image and Sign – Varieties of Romantisicm 75 Raimar Stange Claudia Funke 24 It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone 30 Die Brüchigkeit der Spielerinnenkörper The fragility of the player’s bodies 36 Shanty Kitchen 42 Eine Kochschule – Essen – Gastfreundschaft – Migration A cooking school – Food – Hospitality – Migration 76 planned environments 80 Forst Forest 84 Politik der Wahrheit – Dokumentarismus im Kunstfeld Politics of Truth – Documentarism in Arts 85 Hito Steyerl 43 86 a lucia 93 a lucia Rike Frank Stéphane Bauer 44 Kosten senken! Wachstum steigern! Lower the costs! Increase the growth! 47 Fotokunst in Bildern – die Werte hinter den Fassaden Photografic art in pictures – the values behind the facades 49 Vera Tollmann 54 the briefing center 58 Notizen aus der Provinz – über Motive und Blickwinkel Memos from the boonies – on motifs and perspectives 63 94 mobile homes 95 Vita 96 Impressum Imprint Abb. / fig. S. / p. 2: studies in romance no. 2 HDV, 10 min, Loop Abb. / fig. S. / p. 4: studies in romance no. 1 HDV, 1 min, Loop Claudia Wahjudi 5 Bild und Symbol Spielarten des Romantischen Claudia Funke Im Jahr 2006 übermalt Julia Lazarus eine Fotografie mit Ölfarben und nennt das Werk Berglandschaft [Abb. S. 7]. Undeutlich zeichnet sich ein dunkles Gebilde vor einem dunstigen Hintergrund ab. Aufgrund seiner formlosen Unbestimmtheit greift es die Kunst von Mark Rothko und des Minimalismus auf. Durch das Motiv der Naturdarstellung im Zwielicht der Dämmerung steht es in der Nachfolge der romantischen Landschaftsmalerei, die von Robert Rosenblum in seiner Studie “Modern Painting and the Northern Romantic Tradition – Friedrich to Rothko” bis in die Kunst des 20. Jahrhunderts nachgewiesen wurde.1 Es ist eher ungewöhnlich, dass Julia Lazarus zum Pinsel und zur Farbe greift. Die Künstlerin studierte in den 1990er Jahren an der Hochschule der Künste Berlin bei der Medien- und Performancekünstlerin Valie Export und am California Institute of the Arts in Los Angeles bei den Filmemachern Hartmut Bitomsky und James Benning. Ihre bevorzugten Ausdruckmittel sind die Fotografie und der Film. Ihre Arbeiten kennzeichnet ein sachlicher Blick auf politisch-gesellschaftliche Themen, verbunden mit einem minimalistischdokumentarischen Stil, der sich auf wenige und lange Kameraeinstellungen konzentriert. Oftmals stehen in ihren Fotografien und Videoarbeiten Menschen in interaktiven sozialen Situationen oder in ihrer Vereinzelung und Isoliertheit im Vordergrund. 6 Für die Serie Kosten senken! Wachstum steigern!, 2009 [S. 44 ff.], fotografierte Lazarus die Außenfassaden der zehn stärksten Aktienunternehmen in Deutschland – die kühle Konstruktivität der Architekturen geht einher mit dem distanzierten Blick der Künstlerin und den menschenleeren Plätzen vor den Gebäuden. Im Film Die Brüchigkeit der Spielerinnenkörper, 2011 [S. 30ff.], beobachtet Julia Lazarus das Training der deutschen Fußballnationalelf der Frauen. Der betont dokumentarische Charakter dieser Arbeit eröffnet dem Betrachter die symbolische Situation des Geschehens vor der Kamera: Die Sportlerinnen trainieren für ein gemeinsames Ziel. Im Kampf mit der Kondition des eigenen Körpers bleibt jede auf sich gestellt und wird als verletzliches Individuum erkennbar. In dem einminütigen Loop studies in romance no. 1 [Abb. S. 4] hört man im Hintergrund das Rauschen des Meeres, während das Bild in einem fast monotonen Grau den Blick auf die Ostsee wiedergibt. Durch den lichten Nebel ist die Horizontlinie, die das Wasser vom Himmel scheidet, kaum sichtbar. Die starke atmosphärische Stimmung, die annähernde Ununterscheidbarkeit von Luft und Wasser und das Verschwinden der Konturen rücken diese filmische Studie in die Nähe einer abstrakten Version des vor allem in der Romantik beliebten Genres der Malerei: des Seestücks.2 Seit Gustave Courbets Darstellungen von Meeresbrandungen um 1869/70, die das Motiv von Wasser, Wellen, Horizont und Himmel unter Verzicht auf eine menschliche Figur in den Vordergrund stellten, gibt es einige Bilder, die wie gemalte Vorläufer von Julia Lazarus’ Filmloop wirken. Sie reichen von Emil Noldes “Lichte Meerstimmung” von 19013 bis zu Gerhard Richters “Seestück” von 1975.4 Die Filmarbeit von Julia Lazarus bestätigt durch eine sich wiederholende und meditative Monotonie den romantischen Topos, geht aber in seiner dokumentarischen Strenge und dramaturgischen ,Banalität’ gleichzeitig auf kritische Distanz zu einem mit Gefühlen aufgeladenen Stimmungsbild. Berglandschaft, Oil on digital print mounted on wood, 30 x 60 cm Das Gegenstück zu Julia Lazarus Ansicht des Meeres bei Tage bildet studies in romance no. 2 [Abb. S. 2]. In dem 10 min langen Filmloop ziehen dunkle Wolken vor dem hell leuchtenden Mond am Nachthimmel entlang, begleitet von den melancholisch-sirrenden Klängen des Theremins, gespielt von Barbara Buchholz. Der nächtliche, vom Mond beschienene Himmel ist ein in der Kunst um 1800 ebenso populäres Thema wie die Darstellung der flüchtigen, sich schnell auflösenden und immer wieder neu formierenden Wolken. Aufgrund der spezifischen Eigenschaften des Mediums Film erscheint der Mond in der Arbeit von Lazarus wie eine aus sich selbst heraus leuchtende Lichtquelle, die den HelldunkelKontrast des Bildes verstärkt. Zur Intensivierung der Lichtmetaphorik der Mondschein-Bilder nutzten Künstler wie Jakob P. Hackert und Caspar D. Friedrich Transparentbilder und Dioramen: „Die Bilder wurden auf durchscheinende Materialien gemalt und im verdunkelten Raum mit rückseitiger Beleuchtung vorgeführt. Nicht gemaltes Licht war zu sehen, sondern real und sinnlich erlebbares Licht einer im Dunkeln lichtspendenden Mondscheinlandschaft.“5 Hackert und Friedrich stellten ihre Licht-Bilder – dem romantischen Bestreben nach synästhetischen Erfahrungen entsprechend – mit musikalischer Untermalung aus. „Die Transparentmalerei war der Versuch, mit malerischen Mitteln die Gattungsgrenzen der Malerei zu überschreiten. Strukturell wie rezeptionsästhetisch zeigt sich eine Affinität zum Film.“6 7 Die Himmelsstudien, die Künstler im beginnenden 19. Jahrhundert schufen, bewegen sich zwischen naturwissenschaftlichem Forscherdrang und einer Faszination für das abstrakte Potential der unfassbaren, stets sich unvorhersehbar wandelnden Wolkenformationen. Laut Immanuel Kant oder zuvor Edmund Burke ist der – nächtliche oder stürmische – Wolkenhimmel ein Zeichen für das „Erhabene“, dessen Erfahrung sowohl durch Unbegrenztheit als auch Formlosigkeit gekennzeichnet ist. 7 In studies in romance no. 2 von Julia Lazarus ziehen die Wolken unentwegt am Mond vorbei, doch im Zusammenhang mit der statischen Kameraeinstellung und der in Lautstärke und Melodie variierenden Theremin-Musik wirkt der Film bildhaft und verweist den Betrachter in die Rolle des außenstehenden Beobachters, der einen distanzierenden Abstand zu den romantischen Analogien einnimmt. Gleichfalls bewegungslos sind die ins Filmbild montierten Wolken in vida en otro lado, 2005 [S. 66ff.]: Sie zitieren die Wolken aus dem Gemälde „Turmbau zu Babel“, 1563, von Pieter Bruegel d. Ä. und verharren im Gegensatz zu den gefilmten Geschehnissen in der mexikanischen Siedlung regungslos am Himmel. Demgegenüber suggerieren die dunklen Schatten auf dem übermalten Foto von Lazarus’ Berglandschaft, 2006, eine Bewegtheit, als befänden sie sich im Übergang in eine andere Formation. Der mit musikalischer Begleitung unterlegte nächtliche Wolkenhimmel in studies in romance no. 2 war als Projektion in der Ausstellung It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone [S. 24ff.] in der Galerie Funke, Berlin im September/Oktober 2011 zu sehen. Die Ausstellung richtete den Fokus auf die neuesten fotografischen Arbeiten von Julia Lazarus aus den Jahren 2010 und 2011. In ihnen setzt sich die Künstlerin mit dem Genre der Straßenfotografie in der Tradition von Henri-Cartier Bresson, Robert Frank, Lisette Model oder Saul Leiter auseinander. Der Ausstellungstitel – er zitiert eine Handlungsanweisung eines im Internet ausgeschriebenen „Street Photography Projects“ – betont das Augenblickliche und Flüchtige einer Zusammenkunft von 8 Menschen auf der Straße, die für die Dauer eines Momentes ein bildhaftes Arrangement bilden, das sich sofort wieder auflöst, wenn sie auseinander gehen. Die Serie der in der Galerie Funke ausgestellten Fotografien nahm Lazarus an einem einzigen Tag im August 2011 an verschiedenen Orten in Berlin auf. Es sind Polizisten in der Abenddämmerung zu sehen, Demonstranten auf dem Alexanderplatz und Szenen von der Fuckparade. Das urbane Ambiente in den Fotografien ist nicht gestellt, sondern authentisch und spontan. Das Interesse der Künstlerin gilt nicht dem individuellen Porträt, sondern der Gruppenkonfiguration. Sie erkennt in der Struktur der Gruppierungen Kompositionsschemata und damit visuelle Bezüge zur Malerei, die über das Dokumentarische hinaus gehen. Einige Fotografien erscheinen aufgrund ihrer seriellen Sequenzartigkeit wie Ausschnitte aus einem Film – sie transportieren Aktion und Beschleunigung, die Lazarus in ihren Filmen eher ausbremst und verlangsamt. Ihre Straßenfotografien bewegen sich jenseits der Absicht narrativer oder didaktischer Repräsentation. Im Sinne von Jacques Rancières Kritik, dass die „sinnliche Anwesenheit der Kunst von einem Diskurs über die Kunst aufgezehrt“ werde,8 fragt Lazarus, die sich mit Rancières Schrift „Das Unvernehmen“ auseinander setzte: „Wann fangen Bilder an zu sprechen, so dass man dafür keinen Text braucht? – Ich möchte mit meinen Bildern eine bestimmte Stimmung erzeugen, das ist es, was Bilder auszeichnet – vielleicht geht diese Grundstimmung in Richtung Dichtung oder Poesie.“ Die Künstlerin entkommt der Sackgasse abbildender Erzählung durch den metaphorischen und symbolischen Charakter ihrer Fotografien und Filme. Sie zielt auf die Abstraktion des Gesehenen in Richtung sozialer Gegebenheiten und gesellschaftlicher Inhalte. Anne Krause und Vera Tollmann schreiben 2005 in der Neuen Review über das Werk von Julia Lazarus: „Die Umgebung bleibt aber immer nur Kulisse. [Sie] wird – als Alternative zu gängigen Dokumentationsbildern – zur symbolischen Bühne.“9 Die Kunst der Romantik verdichtete ihre Bildaussagen zu symbolischen Chiffren. Diese bezogen sich auf die Einsamkeit und Ängste des nun als vereinzelt wahrgenommenen Subjekts, das sich vor dem Hintergrund der Unendlichkeit und Unermeßlichkeit der Natur gespiegelt sah oder auf Sehnsüchte und Utopien im Hinblick auf Gemeinschaft und gesellschaftliche Erneuerung.10 Lazarus distanziert den Betrachter von dem Bildgeschehen ihrer Filme und Fotografien; er bleibt der außenstehende Beobachter einer nicht für ihn bestimmten, zufälligen Situation, die sich ihm wie ein Schauspiel darbietet, dessen Inhalt das Bild als Bild offenbart. Ihr in einer Diskothek gedrehter Film Dancing with my loneliness again, 2011 [S. 10ff.], beginnt mit dem gleichnamigen Song von Schiller. Eine einzige Kameraeinstellung beherrscht die 16 min des Films: Der Betrachter blickt in leichter Aufsicht auf das aus der Perspektive der Kamera rautenförmig-diagonale, farbig aufleuchtende Raster der quadratischen Platten des Tanzbodens. Die Scheinwerfer tauchen den Raum abwechselnd und in fließenden Übergängen in rotes, blaues oder grünes Licht. Die gefilmte Raumstruktur spielt auf die Inkunabeln der Moderne, der Minimal Art und der zeitgenössischen Kunst an: Erinnerungen werden geweckt an Werke von Piet Mondrian, Carl Andre, Donald Judd, Sarah Morris oder – angesichts des Dunstes aus der Nebelmaschine der Disko – die Farb- und Nebelräume von Olafur Eliasson. Die Tanzfläche ist noch leer. Schiller singen zu der von Synthesizern dominierten, atmosphärischen Musik. „I’m dancing with my loneliness again / slowly to the music from within / I’m dancing with my loneliness again / feeling it can be my only friend / … / I’m dancing with my loneliness inside / knowing there’s no place where I can hide /…/ I’m dancing romancing.” Erst allmählich füllt sich der Raum, weitere Keyboard lastige Songs erklingen, vereinzelte Menschen in Turnschuhen und Stiefeln kreuzen die Tanzfläche – der Betrachter sieht nur ihre Beine11 – bis die Tanzfläche zum Schluss von den Besuchern in Gruppen tanzend eingenommen wird. Auf der einen Seite beschreibt der Film den alltäglichen Ablauf eines Abends in einer Diskothek. In chiffreartiger Verdichtung macht er darüber hinaus eine Aussage über das Thema Vereinzelung und Gemeinschaft, die sich allein aus den Bildern und der Musik ableiten lässt. Das diaphane, transluzente Raster des Tanzbodens hinterlässt durch das Leuchten der Farben und die Regelmäßigkeit und Reflektion des Lichtes den Eindruck einer schimmernden Kristallstruktur. Künstler der Moderne, die Architekten Bruno Taut und Hans Scharoun ebenso wie Lyonel Feininger oder die Kubisten, referierten auf die Kristallform „als Ausdruck der ,Allseitigkeit’ der Beziehungen“, der unendlichen Vielzahl ihrer Lichtbrechungen und Perspektiven. Der transparente, lichte „Kristalldom“ galt als Zeichen einer dem Materiellen trotzenden utopischen Vision.12 In Julia Lazarus Film erscheint der Raum der Diskothek mit seinen Scheinwerfern als Inszenierung einer Kathedrale der Farben, der Musik und des Lichts. Die Tanzfläche markiert die Bühne, auf der symbolisch Theater gespielt wird. 1 vgl. Rosenblum, R. T., Modern Painting and the Northern Romantic Tradition. Friedrich to Rothko, London 1975 und Rosenblums Aufsatz: The Abstract Sublime, in: Art News, Februar 1961, S. 38 ff. 2 vgl. Faass, M., Krämer. F., Schneede, U. M. (Hg.): Seestücke.Von Caspar David Friedrich bis Emil Nolde. Ausst.-Kat. Hamburger Kunsthalle 2005, München, 2005, S. 139/140, S. 165 3 Öl auf Leinwand, 65 x 83 cm, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Abb. in: Spielmann und Westheider (Hg.), 2004, S. 230, Kat.-Nr. 288 4 Öl auf Leinwand, 200 x 300 cm, Privatbesitz, Abb. in: Vitali (Hg.), 1995, S. 190, Kat.-Nr. 390 5 Verwiebe, B.: Transparentmalerei und Romantik. Zur Vorgeschichte moderner Lichtmedien, in: Vitali (Hg.), 1995, S. 532 6 ebd. S. 535 7 vgl. Hofmann, W.: Wolkenthrone und Wolkendienste, in: Spielmann und Westheider (Hg.), 2004, S. 10-17 und Spielmann, H.: Das physikalische Ich. Physik und Metaphysik der Wokenmalerei um 1800, S. 18-23 8 vgl. Findeisen, R.: Zweideutig, vorläufig, strittig. Rancière, J. : “Das Unbehagen in der Ästhetik“, in: artnet, 30. April 2008, www.artnet.de 9 Krause, A., Tollmann,V.: Künstlerinnenporträt – Julia Lazarus, Neue Review, Juli 2005, hg. von Allen, D., Krause, A., Stange, R. 10 vgl. Schulz-Hoffmann, C.: Chiffrenschrift – Symbol und Struktur, in: Vitali (Hg.), 1995, S. 403 und Neidhardt, H. J.: Einsamkeit und Gemeinschaft, S. 442-445 11 Bereits 2010 fotografierte die Künstlerin Menschen beim Tanzen: In der Fotoserie “Tanzboden“, die ebenfalls in der Ausstellung von Lazarus in der Galerie Funke 2011 gezeigt wurden, sehen wir nur die Füße und Beine der Tanzenden. 12 vgl. Prange, R.: Das Kristalline, in: Vitali (Hg.), 1995, S. 608-615 9 Dancing with my loneliness again Videoinstallation – XGA, 16 min, 90° rotated Farben und Bewegung einer Diskonacht. Scheinwerfer tauchen die Tanzfläche in fließenden Übergängen abwechselnd in rotes, blaues oder grünes Licht. Allmählich füllt sich der Raum, bis die Fläche schließlich von den Besuchern in Gruppen tanzend eingenommen wird. Die gefilmte Struktur spielt mit Elementen des Minimalismus. Doch in seiner chiffreartigen Verdichtung spricht der Film auch über Vereinzelung und Gemeinschaft. Colors and movements of a night in a discothek. Spotlights immerse the dancefloor in colors, alternating smoothly between red, blue or green. Gradually the room fills with people, until eventually the floor is occupied by dancing groups of visitors. The filmed structure hints at minimal art and post-painterly-abstraction. But in its coded densification the film also makes a statement on the subject of isolation and community. S. / p. 11+16 Installation views, Kunstraum Kreuzberg, Berlin 2011 S. / p. 12-15 Video stills 10 11 16 Image and Sign – Varieties of Romanticism The pointedly documentary character of the work reveals to the viewer the symbolic situation of the happenings in front of the camera: the sportswomen train for a common aim. But in the contest with the stamina of their own bodies each remains by herself and becomes recognizable as the vulnerable individual. Claudia Funke 2006 Julia Lazarus repainted a landscape photograph with oil colors and called the work Mountain view [fig. p. 7]. A dark amorphous thing looms against a misty background. Due to its abstractness and shapeless indefiniteness it picks up on the Post-painterlyabstraction of Mark Rothko and the Minimal-Art. Due to its motive, the depiction of nature in the twilight of the dusk, it refers to romantic landscape painting, as established by Robert Rosenblum in his study "Modern Painting and the Northern Romantic Tradition - Friedrich to Rothko".1 It is rather unusual that Julia Lazarus reaches for paintbrush and colours. The artist studied in the 1990s at the College of the Arts Berlin under the media and performance artist Valie Export and in the California Institute of the Arts in Los Angeles with the filmmakers James Benning and Hartmut Bitomsky. Her preferred means for expression are photography and film. Her work is characterized by an objective look at political and sociological subjects, linked with a minimalist-documentary style, centered upon few but long shots. In the foreground of her performative actions, photographs and videoworks are often people in social situations or in separation and isolation. For the series Lower the costs! Increase the growth!, 2009 [p. 44ff.] Lazarus photographed the outer facades of the ten strongest share enterprises in Germany – the cool constructiveness of the architectures goes along with the distanced gaze of the artist and the deserted places in front of the buildings. In the film the fragility of the player's bodies, 2011 [p. 30ff.], Lazarus observes the women of the national soccer team of Germany while they are training. In the one-minute loop studies in romance no. 1 [fig. p. 4], one hears in the background the sound of the ocean, while the image shows the sea in nearly monotonous grey. Through the fog, the horizon line, which divides the water from the sky, is hardly visible. By its strong atmospheric mood, the near indistinguishability of air and water, and the vanishing of contours, this cinematic study comes close to an abstract version of a popular genre in the art of Romanticism – the sea-piece.2. Since Gustave Courbet’s portrayals of the sea surf around 1869/70, featuring the motifs of water, waves, horizon, and sky without any use of a human figure, there have been several images, which could be seen as painted predecessors of Lazarus’ film loops – ranging from Emil Nolde's “Lichte Meerstimmung”, 19013 to Gerhard Richter's “Seestück”, 1975.4 While the cinematic work of Lazarus affirms the repetitive and meditative monotony of the Romantic topoi, it at the same time by its documentary rigour and dramatic banality puts itself in critical distance to atmospheric pictures loaded with feelings. The counter-piece to the view of the sea at daytime is studies in romance no. 2 [fig. p. 2]. In the ten minute-long film loop, dark clouds are passing in front of a bright glowing moon in the night sky, accompanied by the melancholic sounds of a theremin, played by Barbara Buchholz. The moonlit night sky is a popular subject in the art of 1800, as is the depiction of the fleeting, fast dissolving and ever-regrouping clouds. On the basis of the specific characteristics of the medium of film, the moon in the work of Lazarus seems to be a light source glowing by itself, reinforcing the bright and dark contrast dominating the image. To intensify the metaphor of their moonlight-images, artists like 17 Jakob Philipp Hackert and Caspar David Friedrich used transparencies and dioramas: “The images were painted on sheer materials and presented in a dark room with rear illumination. There was no painted light to be seen, but real light, perceptible to the senses, of a moonshine landscape shining in the dark.”5 Hackert and Friedrich exhibited their lightimages – corresponding with the Romantic trend of synaesthetic experience – with background music. The diorama was an “attempt to exceed the boundaries of the genre of painting. Structurally as well as in terms of aesthetic reception it shows an affinity to film”.6 The studies of the sky, which artists created in the 19th century, concern a scientific-meteorological curiosity and the fascination for the abstract potential of the inconceivable, ever changing unpredictable. According to Immanuel Kant, and Edmund Burke some years before, the clouded sky – especially the dark or stormy one – is a sign for the sublime and is characterized by its limitless and shapelessness.7 In studies in romance no. 2 the clouds continuously drift past the moon. But in the combination with the static camera and the varying volume and melody of the theremin music the film becomes pictorial. It expels the viewer to the role of an outside observer, who adopts a distanced position to the Romantic analogies. So it is with the clouds which have been inserted into the image of the video vida en otro lado, 2005 [p. 66ff.], quoting the clouds of the painting “Tower of Babel”, 1563, by Pieter Bruegel the Elder. In contrast to the happenings in the Mexican settlement the clouds rest motionless on the sky. While the dark shadows in the painting mountain view suggest a choppiness, as if they would be in transition to another formation. The clouded night sky, accompanied by a musical score of studies in romance no. 2, was projected in the exhibition It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone at Gallery Funke, Berlin, Sept-Okt 2011 [p. 20ff.]. The exhibition focussed on new photographic work by Lazarus. In these, the artist deals with the genre 18 of street photography in the tradition of Henri Cartier-Bresson, Lisette Model, Robert Frank and Saul Leiter. The exhibition title – quoting the instruction of an online street photography project – emphasizes the temporality and volatility of the gathering of human beings. For a short moment they might form a pictorial arrangement, which immediately dissolves again, when they separate. The series of photographs exhibited in the Gallery Funke were taken by Lazarus on one day in August at different locations in Berlin. The artist is not so much interested in the individual portrait but rather in the set-up of the group. She recognizes composition rules in the structure of the assembly and hence draws visual references to painting, going beyond the documentary. Thanks to their sequentiality, the photographs appear to be extracted from a film. Transporting action and acceleration, whereas Lazarus usually thwarts and decelerates in her films. Her street photographs are situated beyond the purpose of narrative or didactic representation. In the sense of Rancière’s critic, that the “sensual presence of art is drained by the discourse about art”8, Lazarus questions: “When do images start to speak? – I want to create a specific atmosphere with my images, since that's what distinguishes the image – maybe this atmosphere is towards poetry. “ The artist escapes the dead-end of the pictorial narration with the metaphorical and symbolic character of her photographs and films. Lazarus aims at the abstraction of the seen towards social circumstances and tenors of the society. Anne Krause and Vera Tollmann write about the work of Lazarus: “The environment remains just a backdrop. In contrast to the common documentary images – it becomes a symbolic stage”.9 The art of Romanticism condensed the messages of the images into symbolic codes. These referred to the loneliness and fears of the subject, which was perceived to be isolated then. This subject saw itself reflected in the background of infinity and the unfathomability of nature or in the aspirations and utopias of community and societal innovations.10 Lazarus dissociates the viewer of the image narrative of her film and photographs; the viewer remains the external observer of a random situation not intended for him, which is presented to him like a spectacle, whose substance reveals nothing but the image as image. Her film Dancing with my loneliness again, 2011, [p. 10ff.] recorded in a discotheque, starts with a song by Schiller. A single camera shot dominates the sixteen minutes of the film: The viewer looks slightly down on the backlit square tiling of the dance-floor, which appears as a chromatic rhomboiddiagonal grid. Spotlights immerse the room in colours, alternating in smooth transitions between red, blue or green. The filmed spatial structure hints at the incunabula of modernism, of minimal and contemporary art: Suggesting memories of works by Piet Mondrian, Carl Andre, Donald Judd, Sarah Morris or – considering the haze from the fog machine of the disco – the colour- and fog-rooms by Olafur Eliasson. The dance-floor is still empty, Schiller sing to the atmospheric music dominated by synthesizers: “I’m dancing with my loneliness again / slowly to the music from within / I’m dancing with my loneliness again / feeling it can be my only friend // …I’m dancing with my loneliness inside / knowing there’s no place where I can hide //…I’m dancing romancing.” Gradually the room fills with people, other keyboard-packed songs rise, occasionally people in highheels or sneakers cross the dancefloor– the viewer only sees their legs11 – until eventually the dance-floor is occupied by dancing groups of visitors. form “as manifestation of the all-sidedness of relations”, the infinite multiplicity of refractions of light and perspectives. The light, translucent “Crystal Dome” was seen as sign of an utopian vision, which defied the material world.12 In Julia Lazarus’ film the space of the discotheque including its spotlights appears like a mis-en-scène of a cathedral of colours, music and light. The dance-floor marks the stage, where the symbolic theatre takes place. 1 see Rosenblum, R. T., Modern Painting and the Northern Romantic Tradition. Friedrich to Rothko, London 1975 and Rosenblums essay: The Abstract Sublime, in: Art News, Februar 1961, p. 38 ff. 2 see Faass, M., Krämer. F., Schneede, U. M. (Ed.): Seestücke.Von Caspar David Friedrich bis Emil Nolde. Exhibit..-Kat. Hamburger Kunsthalle 2005, München, 2005, S. 139/140, p. 165 3 Oil on canvas, 65 x 83 cm, Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Illustr. in: Spielmann und Westheider (Hg.), 2004, S. 230, Kat.-No. 288 4 Oil on canvas, 200 x 300 cm, privately owned, Illustr. in:Vitali (Hg.), 1995, S. 190, Kat.-No. 390 5 Verwiebe, B.: Transparentmalerei und Romantik. Zur Vorgeschichte moderner Lichtmedien, in:Vital (Ed.), 1995, p. 532-537 6 ibid. p. 535 7 see Hofmann, W.: Wolkenthrone und Wolkendienste, in: Spielmann und Westheider (Hg.), 2004, p. 10-17 and Spielmann, H.: Das physikalische Ich. Physik und Metaphysik der Wolkenmalerei um 1800, p. 18-23 8 see Findeisen, R.: Zweideutig, vorläufig, strittig. Rancière, J. : Das Unbehagen in der Ästhetik, in: artnet, 30. April 2008, www.artnet.de 9 Krause, A., Tollmann,V.: Künstlerinnenporträt – Julia Lazarus, Neue Review, Juli 2005, ed. Allen, D., Krause, A., Stange, R. 10 see Schulz-Hoffmann, C.: Chiffrenschrift – Symbol und Struktur, in:Vitali (Ed.), 1995, p. 403 and Neidhardt, H. J.: Einsamkeit und Gemeinschaft, p. 442-445 11 Julia Lazarus has photographed dancers before: The photoseries „Tanzboden“, which were shown in the exihibition of Galerie Funke/2011, displayed feets and legs of dancers on a golden floor. 12 see Prange, R.: Das Kristalline, in:Vitali (Ed.), 1995, p. 608-615 On one side the film describes the daily routine of an evening in a discotheque. But in its coded condensation the film makes a statement on the subject of isolation and community, derived from the images and the music.The diaphanous, translucent grid of the dance-floor, the glow of the colours and the reflection of lights and its orderliness leaves the impression of a shimmering crystal structure. Artists of the modern era, the architects Bruno Taut and Hans Scharoun as well as Lyonel Feininger or the Cubists, referred to the crystal 19 23 It might all come together for a moment and then as quickly it is gone Photoseries, size variable Eine Fotoserie über das Augenblickliche und Flüchtige der Zusammenkunft von Menschen auf der Straße, die für die Dauer eines perfekten Momentes kurzfristig ein bildhaftes Arrangement bilden, das sich sofort wieder auflöst, wenn sie auseinander gehen. Das Interesse gilt nicht dem individuellen Porträt, sondern der Gruppenfiguration. In der Struktur der Gruppierungen, in der Komposition der Figuren werden visuelle Bezüge zur Malerei hergestellt, die über das Dokumentarische hinaus gehen. A photoserie depicting temporary and volatile encounters of people on the street. For the length of a perfect moment they might form a pictoral arrangement, which immediately dissolves again, when they separate. The interest is not on the individual portrait but rather on the set up of the group. The structure of the assembly and the composition of the figures draws a visual reference to painting which exceeds the documentary. S. / p. 20-21 Slide series, 1 of 38, size variable, S. / p. 22-23 Exhibition view, Spör Klübü, Berlin 2010 S. / p. 25 Photo series, 1 of 6, digital print on glossy paper, 100 x 150 cm S. / p. 26+27 Photo series, 2 of 3, digital print on glossy paper, 77 x 53 cm S. / p. 28-29 Exhibition view, Galerie Funke, Berlin 2011 24 Die Brüchigkeit der Spielerinnenkörper Videoinstallation – HD, 9:20 min Die Kamera beobachtet in ruhigen Einstellungen das Training der Fussballnationalmannschaft der Frauen. Der Fokus liegt auf dem Spannungsverhältnis von persönlichem Ehrgeiz, Zielbewusstsein und körperlicher Leistungsfähigkeit der Athletinnen. Während die dokumentarische Kamera die Verbesserung der sportlichen Leistungen beobachtet, wird sichtbar, dass der Optimierung des Körpers für den Wettkampf Grenzen gesetzt sind. The camera observes in steady shots the training of the German woman´s national football team. The focus is on the stress ratio between personal ambition, goal-consciousness and physical ability of the athlets. While the documentary camera observes the improvement of the athletic capacity, it becomes apparent that the optimisation of the body for competition has its limits. S. / p. 31+34 Installation views andererseits - Künstlerische Einwürfe zur Frauenfußball WM 201, Schwules Museum, Berlin 2011 S. / p. 32-33 Video stills 30 31 32 33 34 35 Shanty Kitchen Public installation and workshop – fruitboxes, wood, plastic, pillows, gas rings and various kitchentools In einer improvisierten Struktur auf einem öffentlichen Platz wurden Kochworkshops von Immigranten aus der Magreb-Region angeboten. Über einen Zeitraum von einer Woche entwickelte sich die Shanty Kitchen zu einem Treffpunkt von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Eine lebendige Skulptur, die die Diskussionen über Integration und kulturelle Differenz in den öffentlichen Raum transferiert hat. In an improvised structure on a public place immigrants from the Magreb region offered cookingworkshops. Over the time of a week the Shanty Kitchen developed to a meeting point for people of different origin. A vivid sculpture, which tranfered the discurs on integration and cultural difference into the public space. S. / p. 37 - 41 Installation views Manifesta 8 – Parallel Events, Murcia 2010 36 41 Eine Kochschule – Essen – Gastfreundschaft – Migration Stéphane Bauer oft zu einem verbindenden Element von Kulturen erklärt. Ist es wirklich immer so? Kann hier nicht ein Missverständnis vorliegen, wenn Essen dazu dient abzuwerten, Unterschiede zu betonen, Hierarchien zu bilden oder ausschließlich das ,Exotische’ herauszustellen. Denn damit würden rassistische Grundstrukturen weiter getragen und Ausschließungsmechanismen befördert. Wie konnte es dem Shanty Kitchen Projekt von Julia Lazarus gelingen nicht in diese Falle zu geraten und Prinzipien einer Begegnung auf gleicher Augenhöhe und gegenseitiger Neugierde zu ermöglichen? Die informelle Architektur, die improvisierte Kochstelle und der Ablauf der Workshops schufen einen Raum für Begegnung: Nachbarn, Familien, die In nahezu allen Kulturen gehört das gemeinsame gerade ihre Kinder von der Musikschule abgeholt Vorbereiten und Teilen von Essen zu den Elementen hatten und zufällige Passanten haben an den Kursen von Gastfreundschaft und gegenseitigem Respekt. teilgenommen, fleißig die ihnen offerierten Speisen Die in Berlin lebende Künstlerin Julia Lazarus hat vorbereitet, Rezepte aufgeschrieben und gespannt auf dem Innenhof des Centro Cultural von Murcia, der Zubereitung zugeschaut. einem Hauptstandort der Manifesta, eine informelle Küche mit einladendem großen Tisch aufgestellt. Wichtig erscheint ebenfalls die Tatsache, dass die Dort fanden eine Woche lang jeden Abend KochGastgeberin aus Deutschland kam und damit selbst Workshops statt, bei denen die zubereiteten Gerichte eine ,Fremde’ war, die nur gebrochenes Spanisch anschließend gemeinsam gegessen wurden. Julia sprach. Fremdheit war so kein Thema, weil durch Lazarus hatte als Köche Frauen und Männer die Zusammenkunft von Gastgeberin-Koch-Gästen eingeladen, die in erster oder zweiter Generation nicht klar war, wer nun vor wem fremd sein sollte. aus Nord- oder West-Afrika stammen. Sie sollten So konnte ein hybrider ,Dritter Raum’ (Homi K. Gerichte aus ihren Herkunftsländern vorbereiten Bhabha) entstehen: ein informeller architektonischer und die Rezepte den TeilnehmerInnen vermitteln – und sprachlicher Raum. eine Kochschule von Nachbarn für Nachbarn. Die Künstlerin selbst fungierte als Moderatorin und Hinzu kommt, dass auch wenn mit Couscous, Gastgeberin der Kochschule, ganz im Sinne der Tagine oder frittierten Kochbananen vermeintlich bekannten Fernsehkochshows, jedoch mit dem regionale Spezialitäten serviert wurden, diese Charme des Improvisierten. Die TeilnehmerInnen Speisen selber eine ,Hybridität’ und Translokalität konnten sich anmelden oder spontan dazu stoßen. ausweisen. Zum würzen und färben wurden Die Workshops waren im Programm der Parallelos Zutaten und Gewürze genommen, die sich schon angekündigt. Entscheidend war jedoch der Standort lange in der Spanischen Küche finden. Allein die in unmittelbarer Nähe einer Musikschule und eines wechselhafte Geschichte von Safran, das sich in den sehr lebendigen Wohnquartiers von Murcia. meisten Gerichten befand, zeigt, wie Kultur sich jeder Ausgrenzung verweigert – oder wie Essen und So weit also die Anordnung – das Rezept und die Speisen Trennendes verflüssigen, aufweichen, öffnen Zutaten, um in der Sprache des Kochens zu ver– aber nur wenn der Gastgeber die Ingredienzen zu bleiben. Doch wie hat es „geschmeckt“? Wie haben mischen weiß. Dieses ist dem Projekt gelungen. diese Ingredienzen zusammengewirkt? Essen wird 42 A Cooking School Food - Hospitality - Migration amplify hierarchical structures. To highlight the ‘exotic’ might as well mean to further promote the mechanisms of exclusion. So how could the Shanty Kitchen project of Julia Lazarus succeed in avoiding these pitfalls and instead allow for an encounter on equal eye level, based on mutual curiosity? Stéphane Bauer The informal architecture, the improvised cookery and the casual style of the workshop created an open structure and space for new encounters: Neighbors, random passers-by, families, who had just picked up their children from the nearby music school and youngsters, who cruised on their bicycles across the plaza, locals and foreigners, all sat down at the big table and helped with the preparation of the food, wrote down the recipes and attentively followed the cooking of the meals. And while focusing on the food, they started to talk with each other and to exchange their stories and ideas. The collective preparation and sharing of food is an essential part in all cultures, a common way to show hospitality and mutual respect to foreigners. The Berlin-based artist Julia Lazarus has set up an informal temporary kitchen at the central public square ”Antiguo Cuartel de Artillería” in Murcia, one of the main locations of Manifesta 8. For a week cooking workshops took place every night under the open sky - a public cooking school by neighbors for neighbors. The participants were gathering around a big table at the corner of the big square, while random passers-by were able to spontaneously join in at any time. Mimicking the informal architecture of shanty towns, the kitchen, table and chairs were completely assembled from recycled materials and colorful plastic boxes, which are widely used in the region for the distribution of vegetables, grown on the fertile soil around Murcia. In the end all valuable materials were returned to the original owners or given away to be reused for other purposes. Equally important seems the fact that the hostess came from Germany and herself was a ‘foreigner’ who only spoke broken Spanish. So foreigness was not an issue for the cooks only. Everybody came from different regions and social classes, it was not clear who exactly would be strange to whom. Thus a hybrid ‘third space’ (Homi K. Bhabha) was created: an informal architectural and linguistic space. Moreover, although ‘regional’ specialties were served, like couscous, tagine, or fried plantains, the meals As cooks Julia Lazarus had hired first or second themselves showed a ‘hybridity’ and translocality. A generation men and woman from North or West number of ingredients and spices were used, having Africa. They were asked to prepare dishes from their already existed in the Spanish cuisine for a long time. countries of origin and to pass on recipes to the The changing history of the saffron alone, which participants. The artist herself served as a presenter was in most dishes, shows how culture can deny any and host, in the manner of popular television cooking exclusion - or how food can liquefy and soften the shows, but with the charm of the informal and divided. But only if the host knows how to mix the improvised. ingredients. The project succeeded at that. So far for the arrangement - the recipes and the ingredients, to remain in the language of cooking. But how did it ‘taste’? How did these ingredients work together? Eating is quickly proclaimed to be the unifying element of all cultures. But what and how we eat can also emphasize cultural differences and 43 Kosten senken! Wachstum steigern! Photoseries and Installation – plasticsheets, wood, tiles, water and projection screen Eine fotografische Untersuchung der unternehmerischen Wirklichkeit in Deutschland. Die Bilder der Hauptniederlassungen der größten deutschen Aktien-Konzerne stellen der öffentlich heraufbeschworenen Fata Morgana einer „Wirtschafts-Krise“ steinerne Fakten gegenüber. A fotographic survey on the entrepreneurial reality in Germany. The images of the headquarters of Germany´s biggest stock-companies bring the publically evoked mirage of the economical crisis face to face to the stone-hard facts. S. / p. 45+46 Installation views, West-Germany, Berlin 2009 S. / p. 48, 49-52 Photo series, 4 of 52, 34 x 25 cm 44 Fotokunst in Bildern – die Werte hinter den Fassaden Vera Tollmann Im 20. Jahrhundert gingen Börsencrashs unter den Namen Schwarzer Freitag, Dienstag oder Donnerstag in die Geschichte ein. Dunkel wie die Metaphorik dieser Namensgebungen spiegeln sich in einer Diaprojektion der Berlinerin Julia Lazarus deutsche Wirtschaftsakteure in einem eigens dafür installierten Wasserbassin. Mit der Wahl der Architektur teilt sich das aus der Werbung bekannte Selbstverständnis der Unternehmen mit. Im Zeitalter von Branding kommt die Corporate Identity schon durch sozialdemokratische, neoliberale oder werteorientierte Unternehmensarchitektur zum Ausdruck. Auf dem Gelände der Autohersteller etwa glänzen Flagship-Museen für Kundenbindung, und die Versicherung Münchener Rück residiert getreu ihrer Markenmission im klassizistischen Herrschaftsbau mit Schmuckhof. So sollen sich Eigenschaften wie Tradition und Sicherheit schon im Standort manifestieren. Besonders viel sagend, wenn auch nicht unerwartet, sind die Unterschiede zwischen öffentlichem Raum und privatem Firmengelände. Für die Gestaltung dieser Grenze verwenden die einen Zäune und Tore, die anderen bemühen sich um Zugänglichkeit durch weitläufige Rasenflächen und Spazierwege. Im Gegensatz zu den statischen Firmenporträts bringt die Finanz- und Wirtschaftskrise aber auch Denn um dem immateriellen Kosmos aus Bad Banks, Bewegung in den Markt. Und zwar auf der MikroStaatsanleihen und Verstaatlichung eine Realität Ebene. Heißt die Finanzkrise also, dass es weniger entgegenzuhalten, hat die Künstlerin die Architektur Geld für Kunst und Kultur gibt? Nicht unbedingt. von Unternehmen inspiziert. Lazarus fotografierte Mancher mag es sogar irrsinnig komisch finden, die Hauptsitze der zehn größten deutschen Konzerne dass Anfang November ausgerechnet die Stiftung von BASF bis ThyssenKrupp AG. In der Diaprojekder Hypo Real Estate einen Preis zur Förderung tion sind diese Bilder zusammen mit den Börsenvon Kultur verliehen hat. kurven des vergangenen Jahres zu sehen. Programmatisch war in jedem Fall die Wahl des Ihren Motiven gegenüber bleibt die Fotografin auf Standortes, an dem Julia Lazarus' Arbeit Kosten Distanz. Die Firmenzentralen sind von Parkplätzen, senken! Wachstum steigern!, die Slideshow zur Grünanlagen oder Straßenrändern aus aufgenommen. Finanzkrise, ausgestellt war. Denn der Ausstellungsraum West Germany befindet sich in der ordentlich Mit ihrem metallisch unterkühlten Farbspektrum heruntergekommenen BRD-Architekturvision imitiert die Fotoserie zwar die Fassaden aus Glas, Travertinen oder Kupferblech. Aber im Unterschied Neues Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor in zu typischen Firmenkatalogbildern treten hier weder Berlin. “Die Deutschland AG existiert noch, und die Defizite der letzten Wirtschaftskrise werden an Angestellte auf, noch kommt urbanes Leben vor. Auf dem Parkplatz der ThyssenKrupp AG verwildert anderer Stelle abgerechnet”, kommentiert dessen Mitbetreiber und Künstler Ingo Gerken. der Skater-Parcours. Der Metro-Kundenparkplatz ist noch leer, und kein Mensch flaniert durch das Heckenlabyrinth im Hof der E.on AG. Nur vor dem Stammsitz der Allianz hat sich überraschend eine bürgerliche Szene eingeschlichen. Auf einem Sandplatz werden Pferde im Schritt geritten. 47 Photoart in pictures – the value behind the facade Vera Tollmann In the 20th century the stock market crashes went down in history as black friday, tuesday or thursday. Dark like the methaphors of this naming the German economic players are reflected in a water basin, especially installed for the slide projection by the Berliner artist Julia Lazarus. To hold up facts against the immaterial cosmos of state bonds, bad banks and the socialization the artist inspected the architecture of the corporations and photographed the headquarters of the ten strongest German coorperations from BASF to ThyssenKrupp AG from the outside. These images are projected together with the curves of the stock exchange of the past year. The photographer keeps distance to her motives. The corporate headquarters are recorded from the parking lots, green spaces or roadsides. With her metallic cold color spectrum the fotoserie imitates the facades made from glas, travertine or copper plate. But in difference to the typical coorperate images neither employees nor urban life appear. On the parking lot of the ThyssenKrupp AG the skaterparcours becomes overgrown. The customer-parking lot of metro is still empty and nobody strolls through the labyrinth of hedges in the yard of the E.on AG. Only in front of the head office of the Allianz a surprising bourgois scenary has sneaked in. On the clay court horses are ridden at walking pace. With the choice of the architecture the identity of the coorperation known by advertisements is communicated. In the age of branding the corporate identity is given expression in the socialdemocratic, neoliberal or value-centered corporate architecture. 48 On the grounds of the car manufacturers flagshipmuseum shine for the loyality of the customers, and the insurance company Münchener Rück resides faithful to its customer retention in the classical building with royal yard. That way characteristics as tradition and security are supposed to manifest already at the site. Particularly meaningful, even if not unexpected, are the differences between the public and the private corporate grounds. Some use fences and gates, to structure the border, others attempt to appear approachable by spacious lawns and promenades. In opposite to the corporate portraits the financial and economical crisis puts the market in motion. Namely on the micro-level. Does it imply that there is less money for art and culture? Not necessarily. In fact some might find it humorous, that of all trusts precisely the Hypo Real Estate Trust awarded a prize for the promotion of the arts last november. Programmatic in any case was the choice of the location where the work by Julia Lazarus Kosten senken! Wachstum steigern! (Lower the costs! Increase the growth!), the slideshow for the financial crisis, was exhibited. Because the exhibition room “West-Germany” finds itself in a reasonable rundown architectural vision of the FRG, in the new Kreuzberg Center at the Kottbusser Tor in Berlin. “The Deutschland AG exists, and the shortcomings of the last economic crisis are accounted for at another place“, comments joint manager and artist Ingo Gerken. Deutsche Post AG, Charles-de-Gaulle-Str. 20, Bonn 49 Mercedes-Benz AG, Mercedesstraße 1, Stuttgart 50 Thyssen-Krupp AG, Kaiser-Wilhelm-Str. 100, Duisburg 51 Deutsche Bank AG, Theodor-Heuss-Allee 70, Frankfurt am Main S. / p. 53 Installation view Deutsche Bank AG, Taunusanlage 12, Frankfurt am Main, Digital print on canvas, 450 x 310 cm, Victoriabar, Berlin 2009 52 the brief ing center Documentary Film, HDV, 40 min Der G8-Gipfel als mediale Großinszenierung: Der Film beobachtet die aufwändige Vorbereitung der Sicherheitszone, die den Gipfel von der Öffentlichkeit abschirmen wird, die Bewegung der Vertreter der Presse, der Sicherheitskräfte, des Service-Personals sowie der politischen Entscheidungsträger innerhalb dieser Zone. The G8 summit, an enactment for the massmedia. The film documents the choreography of the political bodies at the G8 summit in Heiligendamm. Inside the security area, enclosed by an eight miles long fence, the camera observes the movements of members of the press, security guards, service personal and the political decision makers. S. / p. 55-57, 60-62 Film enlargements S. / p. 65 Film stills 54 Notizen aus der Provinz – über Motive und Blickwinkel Claudia Wahjudi Von Osten scheint der Mond auf die Steilküste, er ist fast voll. Sein weißes Licht streift den Buchenhain, der bis fast ans Wasser reicht. Es fällt auf das Geröll am Ufer und auf die See, die in trägem Viervierteltakt auf die Feuersteine und Granitkiesel schlägt. Für Romantik ist es zu kalt. Der Wind kommt in Böen aus Nordnordwest und bringt eine erste Ahnung skandinavischer Kälte über das Meer. Hinter dem Buchenwald, wo der Strand eine sanfte Bucht formt, brennen Lichter, in weißen Häusern, von Laternen mondän in Szene gesetzt. Wer im Hotel dort an seinem Fenster steht und auf die Ostsee schaut, denkt womöglich an Caspar David Friedrich. Wer dagegen jetzt aus dem großen Haus am Buchenwald tritt, denkt eher an den Heimweg. Es sind Angestellte der Kurklinik Heiligendamm, vielleicht eine Kardiologin oder ein Physiotherapeut. Sie eilen zu den wenigen Autos, die noch auf dem Parkplatz stehen, und fahren davon. Romantische Gefühle sind an der Küste zwischen Rostock und Wismar eine Sache von Auswärtigen. Von Sommerfrischlern und Herbsturlaubern, die den Sonnenuntergang fotografieren, von Wochenendausflüglern, die Herzen aus Muscheln in den Sand legen, von Fotografen und Künstlern, die sich beruflich mit Romantik befassen und abreisen, wenn die Arbeit im Kasten ist. Auch Julia Lazarus kam an die Ostseeküste, 2007, filmte die Vorbereitungen für 58 den G8-Gipfel in Heiligendamm und kam erneut, um die Nebenschauplätze des Staatstreffens aufzunehmen. Das Schlussbild des ersten Teiles ihres Films the briefing center, das die blanke See zeigt, darf wohl als melancholisch-romantisches Zitat gesehen werden, präsentiert sich das Meer hier doch als unbeschriebene Projektionsfläche für den Betrachter. Die Einheimischen neigen eher zur Sachlichkeit. Interessanter als das Spiel des Mondes auf den Wellen scheinen ihnen Dorschfangquoten und Wassergüte, Wetteraussichten und Konjunkturprognosen. Buchenwälder bedeuten Arbeitsplätze. Rund zehn Prozent der Beschäftigten im Land Mecklenburg-Vorpommern arbeiten laut OstseeZeitung im „Cluster Wald und Holz“. Bäume und Wellen dienen den Küstenbewohnern nicht als Projektionsflächen, sondern als Quellen von Zahlen und Daten. Die Daten stehen im Netz. Die Menge des Düngemitteleinflusses in die Ostsee, die Länge der Kreuzfahrtschiffe, die die enge Hafeneinfahrt von Warnemünde ansteuern, das Verhältnis von Übernachtungen zu Bettenkapazität. Das steigende Bruttosozialprodukt des Bundeslandes und die sinkende Arbeitslosenquote, zumindest in Küstennähe, und nach Polen gelieferte Schlachtschweine. Man ist vernetzt hier oben. Aus dem russischen Wyborg soll die Ostseepipeline Gas nach Lubmin bei Greifswald bringen. Stralsund und Malmö wollen den längsten Tunnel der Welt bauen. Die berühmteste Frau Mecklenburg-Vorpommerns geht bei Königen und Präsidenten ein und aus. Im Juni 2007 lud sie die mächtigsten Männer der Welt ins Grand Hotel von Heiligendamm wie Putin, Sarkozy, Brodi, Barosso und George W. Bush. Man sprach über das Klima, Regeln für die Finanzmärkte und über Grenzen. Während die Politiker und Delegierten tagten, sorgten die Ortsansässigen dafür, dass alles punktgenau funktionierte. Sie hatten rings um das Hotel jenen Zaun gezogen, der die Gegendemonstranten stoppte. Sie bezogen Betten. Sie lieferten Gemüse in die Hotelküche und wiesen die internationalen Journalisten in das Kühlungsborner Pressezentrum ein. Für einen Moment kam in Heiligendamm alles zusammen, und dann war es zwar schon wieder vorbei, doch der Kurort steht jetzt auf der Weltkarte. Die Provinzregionen sind nicht die Provinz, für die Hauptstädter sie halten. Globalisierung vor der Haustür In der Provinz spielen sich die globalen Zeitläufe vor der Haustür ab. Ihnen entkommt niemand. Darin unterscheidet sich die Provinz von den großen Städten mit ihren segregierten Vierteln und den Mikromilieus unter Medienbeobachtung, die sich immer feiner ausdifferenzieren. Die Konflikte um Raum und Geld treffen immer jemanden, den man kennt. Finanzkrise heißt in der Provinz, dass die Bank ihre Filiale in X schließt und, so ist beim Friseur zu hören, Frau Müller nun, die Beraterin, die den alten Damen immer so nett den Geldautomaten erklärt hat, bis Z pendeln muss. Alles andere steht mit Foto in der Lokalzeitung. So hat der 61jähriger Betriebswirt Herbert Boldt aus Kröpelin, laut Ostsee-Zeitung ein Langzeitarbeitsloser, der vor der Rente noch einmal aus der Hartz-IV-Schleife wollte, eine Eingabe an den Bundestag geschrieben. Darin schlug er vor, Langzeitarbeitslosen über 60 einen vorzeitigen, abschlagsfreien Renteneintritt zu gewähren. Das Arbeitsministerium, so berichtet der Regionalteil Neubukow und Kröpelin, erteilte Herbert Boldt eine Absage. Auf dem Foto sieht man einen Mann mit grauen Schläfen am heimischen Kaffeetisch, die Hände neben einem Blatt Papier gefaltet, die Schultern trotzig hochgezogen. Das Kinn verkriecht sich im Kragen des grauen Troyers, die Mundwinkel zeigen unter zwei scharfen Falten nach unten. Arm sind in der Provinz nicht die Anderen, Armut hat einen Namen und ein Gesicht. Man trifft sie auf der Strandpromenade und beim Bäcker. Menschenkette ums Schwimmbad Die Proteste allerdings finden anderswo statt, in New York, London, vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und auf dem Alexanderplatz in Berlin. In den Metropolen, wo die Soziologin Saskia Sassen das politisch mündige Subjekt vermutet, kommen kritische Massen zusammen. Darin unterscheiden sie sich von der Provinz. Selbstverständlich gibt es an der Ostseeküste Unzufriedenheit und Kritik. Die Links-Partei organisierte einmal eine Menschenkette um die Schwimmhalle der Kurstadt Kühlungsborn, weil sie geschlossen war und der Stadtrat sie verfallen ließ. Bewohner von Heiligendamm klagten gegen den Hotelbesitzer, der die Wege durch den Buchenhain sperren lassen wollte. Doch eine dauerhaft am Ort ansässige kritische Masse, in Gorleben personifiziert von den Bauern, die Protestzügen auf Treckern voranfahren, hat sich nicht formiert. Der Aufruhr jener kurzen Tage im Juni 2007 ist längst im Schlag der Wellen verrauscht. Die Protestierenden, das sind die Anderen - die aus den großen Städten oder paradoxerweise die mit Geld und Einfluss. Kritik an der wachsenden Zahl der Hotels kommt ausgerechnet von Hoteliers. Einspruch gegen das geplante Atomkraftwerk hinter der polnischen Grenze kommt von der Landesregierung in Schwerin. Der Installateur und die Kellnerin dagegen erleben, dass Investitionen Jobs schaffen. Auf dem Gut Vorder-Bollhagen unterrichtet der Reitlehrer jetzt auch Söhne wohlhabender Geschäftsmänner aus Polen. Der Trickle-DownEffekt, von Ökonomen inzwischen als Schimäre verworfen: Hier scheint er zu funktioniere, zumindest für den Moment.Vielleicht darf deswegen der schwedische Investor den nächsten Küstenabschnitt zubauen, vielleicht entstehen deshalb kurz vor dem Naturschutzgebiet Einfamilienhäuser im Stil der klassischen Moderne, direkt an der Steilküste, an der im Winter die Sturmfluten nagen. Die Kühlungsborner Schwimmhalle ist übrigens noch nicht renoviert. Die Technik wurde herausgerissen, in den Fenstern klaffen große Löcher. Längst haben die Hoteliers ihre eigenen Bäder gebaut. Und wer den Mond über Heiligendamm aufgehen sehen will muss Abstand vom Grand Hotel halten. Nähert er sich der Anlage durch den Buchenhain, steht er unter den dunklen Bäumen bald vor einem Zaun. 59 Memos from the boonies – on motifs and perspectives Claudia Wahjudi From the east a nearly full moon shines down on the steep coast. Its white light caresses the beech grove, which reaches almost to the water. It falls on the debris on the shore and on the sea pounding the fire-stones and pebbles in idle four-four time. It is too cold for romance. The wind comes over the sea in blasts from north-north-west, bringing with it a first notion of Scandinavian chill. Behind the beech grove the shore forms a gentle cove. Lights are on in white buildings set off glamorously by lanterns. A person standing at the hotel window looking out onto the Baltic Sea might be thinking of Caspar D. Friedrich. Someone else stepping out of the big building at the beech grove is more likely thinking about the way home. They might be employees at the wellness clinic Heiligendamm, a cardiologist perhaps, or maybe a physiotherapist. They hurry over to the few cars still on the parking lot and drive away. At the seaside between Rostock und Wismar romantic feelings are something for out-of-towners, for summer visitors and autumnal vacationers who take pictures of the sunset, for people on weekend getaways who shape hearts out of seashells in the sand, for photographers and artists who dwell professionally on romanticism and depart as soon as their “work is in the can.” In 2007 Julia Lazarus came to the Baltic Sea, too. She filmed the preparations for the G8-Summit in Heiligendamm and later returned to record the summit itself. The last frame of part one of her film the briefing center, which shows the open sea, could be considered a melancholicromantic citation, the ocean presenting itself here like a blank projection surface to the viewer. The locals, on the other hand, tend towards pragmatism. They seem to be more interested in codfish quotas and water quality, weather predictions and economic forecasts than in the moonlight shimmering on the waves. Beech groves imply jobs. About ten per cent of the employees in the state of Mecklenburg-Western Pomerania work in the forestry and timber industry, according to the newspaper Ostsee-Zeitung. For these coastal inhabitants, trees and waves don't serve as projection surfaces, but as a source of figures and data. The numbers are available on the internet. The amount of fertilizer that finds its way into the Baltic Sea, the length of a cruise ship heading for the narrow port entrance in Warnemünde, the ratio of overnight stays to bed capacity. The increasing gross national product of the state and the decreasing unemployment rate at least in coastal areas, the number of hogs exported to Poland. They’ve got internet access up here, too. The Baltic pipeline is going to start bringing Russian gas from Wyborg to Ludmin near Greifswald. And Stralsund and Malmö want to build the world´s longest tunnel. Mecklenburg-Western Pomerania´s most famous daughter is on good terms with kings and presidents. In June 2007 she invited the most powerful men in the world to the Grand Hotel Heiligendamm, men like Putin, Sarkozy, Brodi, Barosso and George W. Bush. They spoke about borders, rules for the financial markets and the climate. While the politicians and the delegates met, local residents made sure everything worked like clock-work. They erected a fence around the hotel to hold back the protesters. They made the beds. They delivered vegetables to the hotel kitchen and introduced the international journalists to the briefing center in Kühlungsborn. For a moment everything came together in Heiligendamm, and then it was over again. But now the seaside resort is on the world-map. The provincial regions are not the boonies that city slickers mistake them for. 63 Globalization on the doorsteps In the province, global transformation is happening right on our doorsteps. Nobody can escape it. That is where the provinces differ from the big cities with their segregated neighbourhoods and ever-more differentiated micro-milieus under media surveillance. Here on the coast, conflicts about space, money always affect someone you know. In the province, financial crisis means the bank has to close down its branch in X, and, as can be overheard at the hairdresser’s, Mrs. Müller, who used to explain to the old ladies how the ATM works, now has to commute to Z. Everything else is in the local newspaper with a photo. The 61 year-old economist Herbert Boldt from Kröpelin, according to the newspaper OstseeZeitung, long-term unemployed, wanting to break out of the vicious circle of Hartz-IV before his pension, wrote a petition to the German Bundestag in which he proposed granting the long-term unemployed over 60 years of age early retirement without penalty. The Ministry of Labor, as reported by the regional section of the paper dedicated to Neubukow and Kröpelin, turned Herbert Boldt down. In the photograph one sees a man with greying temples at his coffee table, his hands folded next to a sheet of paper, his shoulders raised defiantly, his chin hiding behind the zip-neck collar of a grey sweater, the corners of his mouth pointing down-wards behind two sharp lines. In the province, it’s not those other people who are poor, in the province; poverty has a name and a face. One meets them on the beach promenade and at the bakery. Human Chain around the Swimming Pool Just the protests take place elsewhere. In New York, London, in front of the European Central Bank in Frankfurt and at the Alexanderplatz in Berlin. In the metropoles – where the sociologist Saskia Sassen assumes the political mature subject to be – the critical masses gather. With this they differ from the province. Of course there is discontent and critique 64 at the coast of the Baltic Sea. Once the left party organized a human chain around the indoor swimming pool of the spa town “Kühlungsborn”, which was closed and allowed to go to waste by the city council. Another time residents in Heiligendamm filed a suit against the owner of the hotel, who wanted to close the pathways through the beech grove. But no persistent residential critical mass – in Gorleben personalized by the farmers, driving ahead of the protest marches – has been formed. And the turmoil of the short days in June 2007 has long since gone with the waves. The protesters, they are the others – the ones from the big cities or paradoxically the ones with money and influence. Critic to the growing numbers of hotels is offered of all people by the hoteliers. Objection to the planned nuclear plant behind the polish border is raised by the government of Schwerin. Instead the plumber and the waiter experience, that investments create jobs. And on the estate of Vorder-Bollhagen the riding instructor is training now the sons of well-situated businessman from Poland. The Trickle-Down-Effect, which has been rejected as chimera by the economist in the meantime: It seems to function here, at least for a moment. Maybe this is why the Swedish investor is allowed to block the next coastal area, maybe that is the reason why one-family-homes in the style of classic modernity are built just ahead of the natural reserve, directly at the steep coast, which the storm tides gnaw away in winter. But the indoor swimming pool in Kühlungsborn has not been renovated. The technology has been removed, big holes yawn in the windows. The hoteliers have long since built their own bathhouses. And if you want to see the moon rise above Heiligendamm, you have to keep distance to the Grand Hotel. If you approach the facility through the beech grove, you will be stopped under the dark trees by a fence. 65 vida en otro lado – das leben auf der anderen seite Videoinstallation – HD, 20 min Music: Robert Henke, Monolake Bildnis einer Siedlung in der unmittelbaren Nähe der Grenzstadt Tihuana, die, geformt durch die babylonische Geschäftigkeit ihrer Einwohner, sich über mehrere Hügelketten ausbreitet. Die fehlende Stadtplanung in den schnell wachsenden mexikanischischen Grenzregionen schafft Freiräume, die eine spontane Siedlungsentwicklung ermöglichen. The lack of urban management in the fast growing mexican borderregions, opens up free space, which can be populated spontanously by loose networks of people. While the video observes one specific mexican settlement and its living structures, it is also collecting evidence for the development of a functional anarchy. S. / p. 67-70 Photo collage and enlargements, photo print, 100 x 35 cm 66 Wenn die Bilder stehen lernen – vier Fragmente zu den filmischen Räumen fortschrittsgläubige (und kapitalistische)3 Vorstellung von Geschwindigkeit. So thematisiert die Künstlerin in ihrer Arbeit „die Möglichkeit der lebendigen Manipulation der Städte“, die statt auf die hektische, vermeintlich dynamische, mehrwertorientierte Entwicklung von lukrativen Immobilien auf ein menschengerechtes, noch einmal in den Worten der Künstlerin, „Überleben von freien Räumen“ setzt. Gezielte Langsamkeit, der „unbestimmte, immer staunenerregende Ausdruck von Allmählichkeit“4 ereignet sich in dieser Videoinstallation nicht nur durch die Präsentation der montierten Einstellungen in Echtzeit, sondern auch durch das einkompilierte Gemälde Bruegels d. Ä. Dieses nämlich bringt den Aspekt des Gedächtnisses ins Spiel, den André Raimar Stange Malraux mit seinem Begriff des „imaginären Museums“ diskutiert hat. Malraux führt aus, verkürzt I. Eine mexikanische Siedlung. Gleich über mehrere formuliert, dass Bilder und deren Bedeutung längst Hügelketten erstreckt sie sich, entwickelt sich als abrufbare Daten in unserem Gedächtnis spontan und fortschreitend. Lazarus betrachtet diesen gespeichert sind. Für vida on otro lado bedeutet dies, dass durch die Einbindung des von Pieter Lebensraum in ihrer Arbeit vida en otro lado, 2005 (Das Leben auf der anderen Seite, S. 66 ff.) Mit vier Bruegel d. Ä. gemalten Himmels, Konnotationen fixierten Kameras hat sie die „informelle Siedlung“ hervorgerufen werden, etwa die von historischer aus der Distanz eines gegenüberliegenden Hügels Distanz, die allein der Malstil der Wolken heraufgefilmt und anschließend die vier Bilder zu einem beschwört. Auch dadurch nimmt das Panorama 180 Grad Panorama montiert. Der ,reale’ – genauer: eine Zeitstelle - besser: eine Zeitdauer - ein, die über der tatsächlich von der Künstlerin gefilmte – Himmel den gefilmten „aktuellen“ Moment hinausgeht. über der Siedlung wurde schließlich am Computer II. Eine vehemente Verlangsamung der Wahrnehdurch das dramatische Wolkenszenario aus dem mung prägt auch das ästhetische Geschehen in Gemälde „Turmbau zu Babel“, 1563, von Pieter a lucia, 2001, (S. 88 ff.) einem Kurzfilm, den Julia Bruegel d. Ä. ersetzt. Das filmische Geschehen scheint bei vida on otro lado beinahe still zu stehen, Lazarus gemeinsam mit Ben Pointeker in Sizilien gedreht hat. Der Film zeigt zunächst lange Einerst auf den genaueren, zweiten Blick erkennt der stellungen von düsteren, menschenleeren und fast Betrachter einige bewegte Momente, wie z. B. schon malerisch anmutenden Landschaftsaufnahmen. fahrende Automobile. Später geht eine Frau durch ein Feld, die kargen Landschaftsbilder jedoch kehren wieder, eine Frau ,Entwicklung’ ein Begriff, der für Photographie sitzt am Steuer eines Wagens, plötzlich stapft ein und Film eine wichtige Bedeutung im konkreten Herstellungsprozess, aber auch in dessen Dramaturgie Mann durch das Bild. Leere Straßen evozieren dann mehrfach den knisternden Moment vor einem besitzt, gewinnt im Panorama, Dolf Sternberger „showdown“, doch erneut hineingeschnittene hat darauf schon hingewiesen, eine Qualität des „Langhingezogen“-Seins.1 Bei Lazarus entschleunigt Landschaftsbilder verhindern prompt jeden das beinahe stillstehende Bild, das durch keinen Spannungsbogen. Dennoch: Am Ende sind die Schnitt unterbrochen wird, den Zeitverlauf von Protagonistinnen tot und liegen wie bei einem 2 und kritisiert damit implizit eine Wahrnehmung Western oder Kriminalfilm als blutende Leichen 71 auf einer Straße. a lucia ist nicht durch einen kohärenten, gar psychologisch motivierten Erzählfaden strukturiert, eher als ein semantisch zu füllendes, noch halbwegs leeres Gerüst. Zu hören ist im Film dann auch kein sprachlicher Dialog, sondern in unterschiedlicher Intensität das Grundrauschen eines 16 mm Lichttons. So wird von den beiden Künstlern nicht nur der analytische Blick auf materielle und visuelle Grundbedingungen des Mediums Film konzentriert, sondern sie spielen zudem experimentell mit Konventionen des narrativen Films, insbesondere denen der beiden besagten Genres. Diese Konventionen, etwa besagter Spannungsbogen, werden genutzt und zugleich werden die Erwartungen an sie enttäuscht, um eine andere Form der Narration zu versuchen. Dieses gelingt nicht zuletzt durch die Reduzierung der Geschwindigkeit des filmischen Ablaufes, einer Geschwindigkeit, die eigentlich für aktionsreiche Genres wie dem Western oder dem Kriminalfilm typisch ist.5 nicht als mit Narration aufgeladenen Realismus,8 sondern offen und ehrlich als künstlerische Fiktion anzubieten. III. Schon Hito Steyerl hat über den Dokumentarfilm Forst, 2005, (S. 80 ff.) festgestellt, dass er sich „radikal dokumentarischen Wahrheitspolitiken verweigert“, weil er „die weitverbreiteten elendsästhetischen Darstellungsformen von Migration unterläuft“.9 Aber der Reihe nach: Das gemeinsam mit Ascan Breuer, Wolfgang Konrad, Ursula Hansbauer, Ben Pointeker und wr erarbeitete kollektive Filmprojekt „erzählt“ von der Lage von MigrantInnen in einem Erstaufnahmelager für AsylbewerberInnen. Das Lager liegt in Jena-Forst, mitten im Thüringer Wald. Statt der üblichen Dokumentaraufnahmen aus solchen Lagern konzentriert sich der Film auf die Darstellung des Waldes, nur selten sieht man Bilder wie die von auf dem Boden liegenden Gefangenen. So beginnt der Film mit einem Vorspann, der in einer gut 4:30 min langen Einstellung einen Wald aus luftiger Vogelperspektive zeigt. Offensichtlich wurden diese schwarz-weißen Bilder aus einem Flugzeug gefilmt, am Bildrand ist dann auch einige Male ein Schatten des Flugzeuges zu sehen. Nicht nur erzeugt dieser Schatten ein Gefühl von Räumlichkeit in den sich langsam bewegenden Bildern, er sorgt auch für Abwechselung in der ansonsten eher gemächlichen Abfolge von Baumkronen, Feldern und kleineren Wegen und lässt so die Zeit der Wahrnehmung für einen kurzen Moment scheinbar schneller verlaufen. Die Langsamkeit von a lucia konterkariert genau Gegen Ende der nicht enden wollenden Einstellung dieses, betont nämlich die Dauer des einen Bildes sieht man eine größere Straße mit einem auf ihr auf Kosten der schnellen Abfolge, die ansonsten im fahrendem Auto. Dann doch ein Schnitt: für wenige Bewegungsbild Film zumeist vorherrscht. In der Sekunden ist der Wagen in Großaufnahme zu sehen. Distanz zum Spektakel des „rasenden Niestillstandes“, Der 50 min lange Film beginnt anschließend mit frei nach Paul Virilio, wird Film hier zu einem einer wieder langsamen Kamerafahrt durch die Ereignis, das Wahrnehmen nicht als ein so spannungs- dunklen Gänge einer leerstehenden Kaserne, gefolgt reiches wie als ein das Sehen überrumpelndes Erledurch Bilder von einem nächtlichen Wald, in fast ben inszeniert, sondern als eine konzentrierte, fast schon quälender Allmählichkeit gezeigt. Auf der schon kontemplative Form des Dialoges mit der Tonspur sind währenddessen die Stimmen der (Bilder-)Welt behauptet. Genau diese im wahrsten MigrantInnen zu hören, die von ihrer Situation Sinne des Wortes ,enttäuschende’ Distanz zum erzählen: “Sie kamen um sechs Uhr morgens, Spektakel erlaubt es, dann das eigene Filmbild während wir noch schliefen.“ „Während in den klassischen Bildmedien von der Malerei bis hin selbst zur Photographie das Sehen auf den Blick reduziert wird, der im Bild fixiert wird [...], suggeriert das Bewegungsbild des Films ein Zusammenfallen des subjektiven Sehens des Betrachters und des objektiv präsentierten Bildes“,6 schreibt Michael Wetzel. Ist der Blick auf ein Gemälde oder ein Photo also ein fixierter, ein, wenn man so will, statischer, so ist der Blick auf einen Film ein subjektiver, bewegter und „erlebter“.7 72 vida en otro lado, HD 20 min, 2005 Dieses so offensichtliche wie subtile Unterlaufen der Erwartungen an einen Dokumentarfilm,Volker Pantenburg hat diese Pointe bereits an der Arbeit von Pedro Costas beschrieben, macht den Film aber dann gerade doch zu einem solchen: Costas „Begriff des ,Dokumentarischen’ meint ein Kino, das sich bestimmten Konventionen entzieht und ihnen Widerstand bietet“.10 Diesen Widerstand generiert in Forst, wie beschrieben, zweierlei: der Verzicht auf die gängigen Motive zu dem dokumentierten Thema und die extreme Langsamkeit des filmischen Geschehens. Der vor allem zu sehende deutsch-(national)e, mythologisch aufgeladene Wald funktioniert „als symbolische Bühne für die prekäre Lage der Interviewten“,11 der AsylantInnen also. Der dunkle Wald als feindliches, kaum zu durchdringendes Gegenüber, als ungastliches Gestrüpp... Volker Pantenburg bringt übrigens noch einen weiteren, für Julia Lazarus wichtigen Aspekt,12 der künstlerischen Produktion auf den Punkt, nämlich den der kollektiven Arbeit: „Im Prozess der gemeinsamen Arbeit am Film bildet sich etwas ab, das anders als die traditionellen Künste bereits in der Phase der Herstellung die Brücke zwischen Vereinzelung und Zusammenhang, zwischen Individuum und Gruppe bildet“13,14 IV. Nicht nur die filmische, sondern auch die „reale“ Konstruktion von Räumen steht in dem Film the briefing center, 2008, (S. 54 ff.) im Fokus, eine tatsächliche Konstruktion zudem, die umschlägt in eine mediale.15 Er dokumentiert die Vorbereitung und die Durchführung des G8-Gipfels im Ostseebad Heiligendamm. Der Film ist aufgebaut wie ein konventioneller Dokumentarfilm, beginnt mit den Bauarbeiten des die Politiker später abschirmenden Stahlzaunes rund um das Tagungsgelände, zeigt die ,Sicherheitsbemühungen’ der Polizei ebenso wie das Ankommen von Demonstranten, beobachtet die Organisation der internationalen Pressearbeit und endet mitten in der laufenden Tagung. Dennoch unterscheidet sich the briefing center signifikant von üblichen Dokumentationen. So verzichtet Julia 73 Lazarus in ihrem Film auf einen gesprochenen Kommentar. Analyse und Kritik an dem Geschehen äußern sich stattdessen in der Auswahl der Bilder und ihrem Schnitt. Denn wieder entschleunigt die Künstlerin das filmische Ereignis, arbeitet kalkuliert mit langen Einstellungen und einer sich nur sparsam oder überhaupt nicht bewegenden Kamera. Die Bewegungen im Bild geraten so in Spannung zu den kaum vorhandenen Kamerafahrten. Das Resultat sind u. a. sorgsam komponierte Landschaftsbilder von schon ,malerischer Anmut’, die allerdings kleine ,Schönheitsfehler’ besitzen, so ist etwa ein störender Stahlzaun in einen idyllischen Bach zu sehen. Oder Plastikbahnen, die den neuen temporären Straßenverlauf entlang des Zaunes markieren, durchziehen die Landschaft - was den Betrachter auch an Arbeiten von Christo denken lässt. Die quasi klammheimliche Ästhetisierung inklusive deren Auflösung ist aber ein Resultat der Kameraarbeit der Künstlerin, ein ebenso wichtiger ist die Konzentrierung des Blicks auf die Inszenierungen, die für dieses mediale Großereignis geplant werden. Der hohe Grad an (freiheitseinschränkender) Reglementierung jeder Bewegung - sei es die von den Demonstranten, Pressevertretern oder auch die der Politiker selbst - ist in den sich langsam bewegenden Bildern präzise ablesbar. Die Konstruktion dieser Gänge durch den ,realen’ Raum und gleichzeitig durch die gefilmten Bilder korrespondiert so mit der künstlerischen Konstruktion des Films. Noch einmal sei, abschließend, Michael Wetzel zitiert: „Insofern sind auch die Bilder der Dokumentationsfilms als Bilder nicht eine Dokumentation der Wirklichkeit, sondern Konstruktionen des Wirklichen, […] die wahr sind, weil sie sich als Lüge im übertragenen und außermoralischen Sinne zu erkennen geben“. Wie diese Bilder konstruiert sind, in welcher Auswahl und in welcher Weise der formalen Präsentation, dieses kündet dann von der “Partei-Nahme”16 der Künstlerin, ihrer politisch reflektierten, eben kritischen Haltung. 74 1 vgl. Sternberger, D., Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert, ed. Frankfurt a. M., 1974, S. 91 2 Einige Referenzpunkte für eine solche künstlerische Praxis: Andy Warhol, Michael Snow, James Benning, Douglas Gordon, Sharon Lockhart und Peter Friedl. 3 Die schnelle Schnittfolge von filmischen Selbstdarstellungen kapitalistischer Unternehmen besitzt eben sehr wohl einen semantischen Gehalt. 4 vgl. Sternberger, D., a. a. O., S. 93 5 Angesichts von Douglas Gordons extrem langsamen Film „24 hour psycho“, 1993, schreibt dann auch der Schriftsteller Don Dellilo in seiner Novelle „Point Omega“, treffend: „What he was watching seemed pure film, pure time.“, New York 2010, S. 6 6 vgl. Wetzel, M., Die Wahrheit nach der Malerei, München, 1997, S. 261 7 ebenda 8 Genau dieses war der erklärte Anspruch des „new hollywood“ der Marke Scorcese, Coppola und Spielberg. 9 vgl. Steyerl, H., Politik der Wahrheit – Dokumentarismus im Kunstfeld“, im: Reader zur Ausstellung „Moving on“, NGBK 2005, S. 116 ff. 10 vgl. Pantenburg,V., Ränder des Kinos, Berlin, 2010, S. 91 11 vgl. Krause, A., Tollmann,V., Lazarus, J., in: Neue Review 10, Berlin, 2005, S. 22 12 So arbeitet Julia Lazarus z. B. auch in der Performance „I love the way you lie“, 2010, (Lazarus mit Julia Gläsewald und Sami Eschmann) oder, wie gesagt, bei „a lucia“ nicht als „autonomer Autor“, sondern gemeinsam mit Kollegen. 13 vgl. Pantenburg,V., a. a. O., S. 103f. 14 Genau diese Herstellung ist dann auch ein Anliegen von Lazarus' Installation „Shanty Kitchen“, 2010 15 Gehört zu Arbeiten über mediale Großereignisse, z. B. Film „There where to many ups and downs“, 2009, in dem ein Match zweier professioneller Tennisspielerinnen im Mittelpunkt steht, oder Film „Die Brüchigkeit der Spielerinnenkörper“, 2011, in dem das Training der weiblichen deutschen Fußballnationalmannschaft Thema ist. 16 vgl. Wetzel, M., a.a.O., S. 263 When the pictures come to halt – four fragments towards the cinematic range Raimar Stange I. A Mexican settlement. Stretched across the hillside it develops spontaneously and progressively. In her piece vida en otro lado, 2005 (life on the other side, p. 66ff.). Julia Lazarus presents this living environment by means of cinematic techniques: with four fixed cameras she filmed the day-to-day life of the “informal settlement” in one long shot from the distance of an opposing hill and later assembled the four images into a 180 degree panorama. The real – rather: the “really filmed”– sky over the settlement was eventually replaced by a dramatic cloud scenario from the painting “The Tower of Babel”, 1563, by Pieter Bruegel the Elder. The cinematic happenings of vida en otro lado almost appear to stand still, only at second glance does the viewer perceive some living moments, for instance moving vehicles. ,Development’ is a term which has an important meaning for photography and film in the production process as well as in the dramatic composition. When applied to the panorama, it gains a quality of “Long-Drawn-Out”, as Dolf Sternberger suggested already.1 Likewise, the almost still images and the temporal distance between the edits in Julia Lazarus' work, decelerate the process of time and perception2 and thereby implicitly criticize the belief in progress and the (capitalistic3) notion of speed. Thus the artist subtly addresses “the possibility of a lively manipulation of the cities”, which, instead of the hectic, allegedly dynamic, valueorientated development of “profitable” real estate, relies on a gentle and humane “viability of open spaces”. Deliberate slowness, the “indefinite, always astonishing manifestation of gradualness“4 occurs in this work not only due to the panoramic composition of the four pictures, but also by the inclusion of the painting by Breugel the Elder, bringing the issue of remembrance into effect. André Malraux, in his concept of the “imaginary museum” explains, that the images and their meanings have been stored long ago as retrievable data in our memory. For vida en otro lado that implies that specific connotations are evoked by the mere representation of the sky, painted by Pieter Bruegel the Elder, for instance of historical distance. An impression which is provoked by the historycharged painting style of the clouds. So the panorama occupies a point in time – more precisely: a length of time – which is beyond the scope of the actual filmed moment. II. The vehement deceleration of perception also characterizes the aesthetic happenings in a lucia, 2001 (p. 88ff.). A short film Julia Lazarus shot together with Ben Pointeker in Sicily. The film commences with long takes of dark impressions of deserted and nearly painterly landscapes. Later a woman walks through a field, but the barren landscapes reappears. A woman sits at the steering wheel of a car. Suddenly a man walks through the frame. Several images of empty roads evoke the cliché of the sizzling moment before the “showdown”, but again impressions of landscapes interfere with the arc of suspense. Nonetheless: In the end the protagonists are dead, and lie - in the manner of a western or crime movie - as bloody corpses on the road. a lucia is not structured by a coherent or psycho- logical motivated linear narrative, rather it resembles a still quite empty framework, which is to be charged semantically. No spoken dialogue is heard in the film, only the static of the 16 mm optical soundtrack in varying intensities. Thus the two artists not only cast an analytical glance on the physical and aesthetic basics of the the media film, but also play with the conventions of the feature film, especially of the two genres mentioned earlier. The conventions, like the 75 planned environments S./ p. 76 Las Vegas, U.S.A. Photo series, 1 of 8, 95 x 62cm S. / p. 77 Valle de las Palmas, Mexico Photo series, 1 of 8, 95 x 62cm 76 77 arc of suspense, are deployed and at the same time their anticipations are deceived, in order to attempt a different kind of narrative. If nothing else, it succeeds by the reduction of the velocity of the cinematic sequence, a velocity, which is rather typical for action-packed genres like western and crime films.5 “While in the classic image - from painting to photography – the vision is reduced to the glance, fixed on the picture [...], the moving image of the film suggests a concurrence of the subjective vision of the spectator and the objectively presented image” Michael Wetzel wrote.6 So while the gaze at a painting or photograph is fixed, or let’s say “static”, the gaze at a film is subjective, agitated and “experienced”.7 the representation of the forest.Very rarely one sees images - like the scene depicting detainees lying on the ground. The film begins with a trailer, about 4:30 min long, showing the forest from the bird´seyeview. The black and white images were clearly filmed out of an airplane, as the shadow of the airplane can be seen from time to time on the edge of the screen. This shadow creates not only a feeling of spatiality in the slowly moving images, it also provides some change in the rather leisurely sequence of tree crowns, fields, and small pathways and thus - for a short moment – it lets the time of perception slip by apparently faster. Towards the end of the never-ending scene one sees a road and a car driving on it. Then finally an edit: for only a few seconds the car is on view in close-up. And then The gradualness of a lucia counteracts exactly this, the 50 min film starts once again with a slow it highlights the duration of the image at the expense dolly-shot through the dark hallways of vacant of the fast sequence, which usually prevails in the barracks followed by images of a nocturnal forest, movement-image of cinema. In distance to the shown in almost agonizing gradualness. Meanspectacle of the “racing never-standstill”, freely while, on the soundtrack, the voices of immigrants adapted from Paul Virilio,8 film becomes an event, are heard, talking about their experiences, such us: which doesn’t stage the perception as an experience, “They came at six o'clock in the morning, while not so much tension-filled as taking the vision by we were sleeping.” surprise, but rather asserts it as a focussed, nearly contemplative form of dialogue with the world The subversion of the expectations of a documentary (of images). Exactly this - in the true sense of the subtle and obvious at the same time – a punchline word - “belying” distance to the spectacle, allows Volker Pantenburg has described before on the basis presenting the very film image not as realism, of the work by Pedro Costa – nevertheless precisely loaded with narration, but open and honestly renders the film to be just that: “Costa´s ,notion of as an artistic fiction. the documentary’ deems a cinema, which evades specific conventions and stands up against them.”10 This very resistance is generated in forest – as III. Hito Steyerl has stated already about the documentary film forest, 2005 (p. 80ff.), that it “radically mentioned before – in two different ways: with the denies the politics of truth in the documentary renunciation of the established motifs for the docupraxis”. And that this demarcation of its own genre mented topic and with the extreme gradualness of is accomplished by forest, because it amongst others the cinematic happenings. The German (national), undermines “the display formats of the aesthetics of mythologically quite loaded forest on view, functions misery, which is widely-used on migration issues.”9 as “a symbolical stage for the precarious situation of But one after the other: the collaborative film project, the protagonists, the asylum seekers.”11 The dark realized together with Ascan Breuer, Wolfgang forest as hostile, hardly-to-be-penetrated opponent, Konrad, Ursula Hansbauer, Ben Pointeker and wr, as inhospitable undergrowth... talks about the conditions migrants face in a refugee camp, which is situated in the middle of the Thurin- Volker Pantenburg for that matter cuts right to the chase of another key aspect of such artistic producgian forest. Rather than feature typical documentary tions,12 which is important for Julia Lazarus, namely images of such refugee camps, the film focusses on 78 the aspect of collective work: “The process of the collective work for a film illustrates something, which unlike in the traditional arts establishes in the phase of production a bridge between isolation and relation, between the individual and the group.”13, 14 IV. Not alone the cinematic, but also the ‘real’ construction of space is the focus of the film the briefing center, 2008 (p. 54ff.). A factual construction, which turns into a medial one.15 The film documents the preparation and realization of the G8-Summit at the German seaside resort ‘Grand Hotel Heiligendamm’ in the year 2007. The film is constructed like a conventional documentary film. It begins with the building work of the fence, which will later shield the convention center, shows the ‘efforts for security’ of the police as well as the arrival of demonstrators, observes the organisation of the international public relations, and ends in the middle of the ongoing summit. Nevertheless the briefing center distinguishes itself significantly from common documentaries. Lazarus goes without any spoken commentary in her film. Instead analysis and critique against the event express themselves in the selection of the images and in the editing. Again the artist decelerates the cinematic event and works in an arguably calculated way with long shots recorded by one camera moving little or not at all. Thus the movements within the fixed image are interrelated with the rare tracking shots. The consequence, among others, is carefully composed landscape images of “painterly charm”, which nevertheless have small blemishes. For example there is an annoying steel fence to be seen at an idyllic creek. Or long sheets of plastic traverse the landscape, which mark the new temporary course of the road alongside the fence – and lead the viewer to think of works by Christo. – be it the ones of demonstrators, reporters, or of the politicians themselves – is accurately legible in the slowly moving images. The construction of the pathways through the “real” space corresponds with the artistic construction of the film. Once again citing Michael Wetzel: “Insofar as the images of the documentary film as images are not documentations of the reality, but constructions of the real. They are true, because they reveal themselves as being a lie in the figurative and non-moral sense.” How these images are constructed, by which choice and in which mode of formal presentation, this then also tells of the “Partisan-ship”16 of the artist, her political reflected, critical attitude. 1 see Sternberger, D., Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert, ed. Frankfurt, a. M., 1974, p. 91 2 The artistic practice refers to Andy Warhol, Michael Snow, James Benning, Douglas Gordon, Sharon Lockhart, Peter Friedl and others. 3 The fast cutting of self-portrait on capitalist companies reveals all the same a semantic meaning. 4 see Sternberger, D., ibid., p. 93 5 Refering to Douglas Gordons extremely slow film „24 hour psycho“, 1993, the author Don Dellilo writes in his novel „Point Omega“: „What he was watching seemed pure film, pure time.“, New York 2010, p. 6 6 Wetzel, M., Die Wahrheit nach der Malerei, München, 1997, p. 261 7 ibid. 8 This was the declared intention of the „new hollywood“ , i. e. Marke Scorcese, Coppola and Spielberg. 9 Steyerl, H., Politik der Wahrheit – Dokumentarismus im Kunstfeld“, in: Reader zur Ausstellung „Moving on“, NGBK 2005, p. 116 ff. 10 Pantenburg,V., Ränder des Kinos, Berlin, 2010, p. 91 11 Krause, A., Tollmann,V., Lazarus, J., in: Neue Review 10, Berlin, 2005, p. 22 12 In the same way Julia Lazarus worked in her performance „I love the way you lie“, 2010, (Lazarus with Julia Gläsewald and Sami Eschmann) or as already mentioned in „a lucia“, not as independent author but together with colleagues. 13 Pantenburg,V., ibid. p. 103f. 14 Precisely this making ist he intention oft he installation „Shanty Kitchen“, 2010 15 Makes part of the work on large-scale media event, for ex. „There where to many ups and downs“, 2009, showing two tennis players or the film „Fragility bodies of players“, 2011, where the training of the female German football team is the issue. 16 Wetzel, M., ibid. p. 263 While this clandestine aestheticization including its denouement is a result of the camera-work by the artist, not less important is the concentration of the gaze on the political staging, which was planned for this mega-media event. The high order of (freedom constricting) regulation of any kind of movements 79 Forst Documentary Film – Beta-SP, 50 min Directed by Ascan Breuer, Ursula Hansbauer, Wolfgang Konrad, Julia Lazarus, Ben Pointeker and wr Music: Andreas Berger, Glim Forst ist ein Portrait. Der Dokumentarfilm erzählt von einem Wald, der inmitten Europas jenseits von Urbanität und Zivilisation eine eigenartige Gemeinschaft von Verbannten beherbergt – eine gestrandete Welt. In Forst verkünden die Verbannten ihre eigene Wahrheit und erzählen die Geschichte ihrer Ermächtigung. Denn langsam besinnen sie sich ihrer Identität als politische Flüchtlinge und beginnen Befreiungspläne zu schmieden. Forst is a portrayal. The documentary film tells of a forest in the middle of Europe which is home to a peculiar community of the banished, it is a world for the stranded. In Forst the banished proclaim their own truth and tell the story of their empowerment. They slowly recall their identity as political refugees and start to make plans for their escape. S. / p. 81 + 82 Film enlargement S. / p. 83 Film stills 80 83 Politik der Wahrheit – Dokumentarismus im Kunstfeld Hito Steyerl Eine neuere Arbeit, die die weit verbreiteten elendsästhetischen Darstellungsformen von Migration unterläuft, ist das Video Forst [...]. Der schwarzweiße Film zeigt vor allem Bilder eines undurchdringlichen und dunklen teutonischen Waldes. Im Off hören wir Stimmen, die die Erfahrung des Forstes beschreiben. Der Forst wird zu einer existentiellen Metapher für Ausgrenzung, Prekarität, Ausgesetztheit. Nach einiger Zeit vermehren sich die Hinweise darauf, dass die Off-Stimmen von Flüchtlingen stammen [...]. Das Gefühl Forst, eine Mischung aus finsterer Romantik, existentieller Exponiertheit und Vogelfreiheit bleibt jedoch in der Schwebe, als universale Metapher, die nicht nur auf partikularisierbare Gruppen wie Flüchtlinge zutrifft, sondern eine neue universale conditio humana darstellt. Im zweiten Teil des Films ändert sich die Stimmung. Der Wald ist nicht mehr nur eine dunkle Wüste der Einsamkeit, sondern wird zum Ort, an dem neue Kollektive entstehen können ebenso wie neue Solidaritäten. 84 In einer eindringlichen Einstellung kommen durch den Wald langsam Gestalten in weißen T-Shirts auf uns zu, deren Gesichter wir nicht richtig erkennen können. Der Wald ist somit nicht nur Chiffre der Atomisierung, sondern auch der Ort, an dem sich Opposition formieren kann. Die neuen Kollektivitäten rufen Erinnerungen an frühere Waldbewohner hervor: an Robin Hoods Outlaws im Nottingham Forest, die Titopartisanen in den bosnischen Bergen, oder an die Gemeinschaft der letzten Bücherleser, die in Truffauts Film ‚Fahrenheit 451’ Zuflucht in einem Waldcamp finden. Wiederum handelt es sich um universale Chiffren oppositioneller Solidaritäten. Die Flüchtlinge werden nicht in ethnische oder kulturelle Traditionslinien eingeschrieben, sie sind keine Sozialfälle, sondern werden einer Tradition des Freiheitskampfes zugerechnet, für die der Forst die nötige Abgeschiedenheit bot. Insofern verweigert sich Forst radikal dominanten dokumentarischen Wahrheitspolitiken, die das öffentliche Bild von Migration beherrschen. Das Video lässt sich nicht auf die ambivalente Umdeutung besetzter Metaphern ein, sondern öffnet einen Zugang zur universalen Gültigkeit der Erfahrung von Flüchtlingen. […] Textausschnitt aus Hito Steyerl: “Politik der Wahrheit – Dokumentarismus im Kunstfeld”, veröffentlicht im Reader (S.116ff.) der Ausstellung MOV!NG ON: Border Activism – Strategies for Anti-racist Actions, 13. August-11. September 2005, in der NGBK Berlin. Politics of Truth – Documentarism in the Arts Hito Steyerl A newer work, which dodges the widely spread representation of the aethetics of poverty, is the video Forst (forest) (A/D, 2005). The black and white film primarily shows images of an impenetrable, dark teutonic forest. Off screen we hear voices, which describe the experience of the forest. The forest becomes an existential metaphor for exclusion, precariousness, and abandonment. Gradually the clues increase that the voices off screen come from refugees, who live in the camp "Forst" in East Germany. The feeling of Forst, a mixture of dark romanticism, existential exposure, and freedom, remains in the balance, as a universal metaphor, which does not only apply to particularisable groups such as refugees, but represents a new universal conditio humana (human condition). In the second part of the film the atmosphere changes. The forest is no longer just a dark desert of solitude, but becomes a place where new collectives and new solidarity may emerge. In a forceful shot, figures in white t-shirts come slowly towards us, we cannot really make out their faces. The forest is not only a cipher of atomisation, but also the place where opposition can form. The new collectives recall memories of earlier forest inhabitants, Robin Hood as an outlaw in Nottingham Forest, the Tito partisans in the Bosnian mountains, or the partnership of the last bookreaders in Truffaut’s film Fahrenheit 451. It concerns universal ciphers of oppositional solidarities. The refugees are not written into ethnic or cultural traditional lines, they are not social cases, rather they count in a tradition of freedom fighting, for which the forest offered the necessary seclusion. To this extent, Forst refuses the radical dominant truth politics of documentary film, which control the public image of migration. The video does not admit the ambivalent reinterpretation of occupied metaphors, rather offers access to universal validity of the experience of refugees. […] text-clipping taken from: “Politics of Truth – Documentarism in Arts”, published in the reader (S.116ff.) of the exhibition MOV!NG ON: Border Activism – Strategies for Anti-racist Actions, August 13th – September 11th 2005, at NGBK Berlin. 85 a lucia 16 mm Film, 10 min Directed by Julia Lazarus and Ben Pointeker a lucia ist ein Film über die Leere. Innerhalb des Gerüst einer Narration bewegen sich Körper durch eine karge Landschaft, die Filmbilder erzeugen mit den ihnen eingeschriebenen Erinnerungen widersprüchliche Erwartungen. Die letztendlich toten Körper erzählen jedoch weniger vom Sterben, als von einer absoluten Leere. In Abwesenheit von Motiven, legt a lucia das Skelett der Narration frei und öffnet mit dem Fehlen der Geschichte den Blick auf die Bilder. a lucia is a film on vacancy. Within the narrative frame bodies move in a barren landscape, the impressions call variing remembrances and conflicting expectations. The dead bodys in the end tell less about perishing, but about the absolut emptiness. In absence of motives a lucia uncovers the skeleton of the narration and with the lack of a story opens the gaze for the images. S. / p. 87-90 Film enlargement S. / p. 91-92 Film stills 86 91 92 a lucia Rike Frank a lucia ist keine Hommage, weder an das Licht der a lucia is not a homage, neither to the light of Romantik oder eine konkrete Person noch an eine film- oder kunsthistorische Tradition; es ist keine manifestierende Anknüpfung an eine (politische) Linie, zugleich spricht es überschrieben mit einer Widmung mitten aus dieser heraus. Rhetorisch fusioniert der Film die (mögliche) ästhetische Erfahrung von Schönheit mit (möglichen) Zeichen einer Herrschaftslosigkeit oder Gesetzlosigkeit (Anarchie), sei es in der direkten Aufeinanderfolge des mächtigen, blickversperrenden Bergmassivs und des Horizontes, durch Verzögerung und Fortbewegung oder singulär auftauchende Personen und Tod. romanticism nor to a specific individual nor to a film or art history tradition; it does not manifest a connection to a (political) line, likewise though it speaks - bearing a dedication - from the very midst of it. The film rhetorically merges (possible) aesthetic experience of beauty with (possible) symbols of anarchy, whether in the direct succession of mighty mountain massifs, obstructing the view, and the horizon, in delay and locomotion or in the appearance of isolated persons and death. Die Aufnahmen, zeitverzögerte, sequenziell geschaltete singuläre Impressionen, produzieren und visualisieren unterschiedliche Zustandsformen der Leere, eine idyllische und zugleich nervöse Konzentration der Sinne. Den Bildern eingeschrieben ist eine stürmische Witterung sowie eine forcierte Körnung des Materials, während der zeitweise montierte Ton, ein Knistern und Knacksen, sowohl eine Dichte als auch Leere unterstützt. Denn die einzelnen Sujets weisen in sich keine Kausalität auf, hier werden weniger die Spuren des Hergangs sondern vielmehr das Ereignis der Darstellung zum Text. Zugleich brechen sie in sich dieses irreale Moment einer Offenheit, einer Schönheit frei von zweckgerichteten Interessen und Systemen, und lösen in der Präsenz einer Irreversibilität Beklemmung aus. The scenes - composed of delayed and sequentially activated singular impressions - produce and visualize various states of emptiness, a concentration of the senses, which is at once idyllic and edgy. Inscribed in the images is a stormy atmospheric condition and an accelerated grain of the film material, while the occasionally crackling and rustling soundtrack supports both: density and emptiness. Because the isolated subjects do not show causality, the traces of actions become less dominant than the event of the depiction. At the same time the film breaks out in an unreal moment of openness, a beauty which has been liberated from practical interests and systems, and triggers anxiety in the presence of irreversibility. 93 mobile homes Photo series, 1 of 6, 30 x 25cm 94 Vita Julia Lazarus Lebt und arbeitet in Berlin Lives and works in Berlin Sie studierte von 1992-98 an der Universität der Künste, Berlin bei Valie Export und Joachim Sauter und von 1995-96 an der School of Film am California Institute of the Arts, Los Angeles, Kalifornien, U.S.A. bei Hartmut Bitomsky, James Benning und Sara Roberts 1992-98 she studied at the University of the Arts, Berlin with Valie Export and Joachim Sauter and 1995-96 at the School of Film at the California Institute of the Arts, Los Angeles, California, U.S.A. with Hartmut Bitomsky, James Benning and Sara Roberts Preise und Stipendien (Auswahl): Prizes and Grants (selection): 2006 Projektförderung, Hauptstadtkulturfonds, Berlin 2005 Preis für den besten Dokumentarfilm, Diagonale, Graz 2003 Stipendium, Villa Aurora, Los Angeles 2002 Arbeitsstipendium der Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten - Berlin; Preis für den besten Kurzfilm der ORF Kunst-Stücke 2006 Project funding, Hauptstadtkulturfonds, Berlin 2005 Prize for the best documentary film, Diagonale, Graz 2003 Residency, Villa Aurora, Los Angeles 2002 Grant by the Senate Chancellary - Cultural affairs - Berlin; Prize for the best short film of the ORF Kunst-Stücke Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl): Exhibitions and Exhibitioncontributions (selection): 2011 Let the rythm hit'em, Kunstraum Kreuzberg, Berlin; It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone, Galerie Funke, Berlin; Andererseits - künstlerische Einwürfe zur FrauenfussballWM, Schwules Museum, Berlin 2010 MANIFESTA - Parallel Events, Murcia, Spanien 2009 Kosten senken! Wachstum steigern!, West-Germany, Berlin; Perspektiven des Substituts, Le centre d‘art Neuchâtel, Schweiz 2007 True to Life, Kunsthalle Berlin-Lichtenberg; Riot the 8 Bars, NGBK, Berlin; Unsere Affekte fliegen aus dem Bereich der menschlichen Wirklichkeit heraus, Galerie Sandra Bürgel, Berlin; Rooftop Screening II, Zuviel.TV in Kooperation mit dem SLEEK-Magazin, Berlin 2006 Rooftop Screening I, LOOP - Artfair, Barcelona, Spanien; First Play -Trampoline, HAU, Berlin 2005 Transatlantische Impulse, Martin-Gropius-Bau, Berlin 2003 im forst, Kunstbank, Berlin 2011 Let the rythm hit'em, Kunstraum Kreuzberg, Berlin; It might all come together for a moment and then just as quickly it is gone, Galerie Funke, Berlin; On the other side - artistic throw-ins to the FIFA Women´s World Cup, Schwules Museum, Berlin 2010 MANIFESTA - Parallel Events, Murcia, Spain 2009 Lower the Costs! Increase the growth!, West-Germany, Berlin; Perspektives of Substitut, Le centre d‘art Neuchâtel, Switzerland 2007 True to Life, Kunsthalle Berlin-Lichtenberg; Riot the 8 Bars, NGBK, Berlin; Unsere Affekte fliegen aus dem Bereich der menschlichen Wirklichkeit heraus, Galerie Sandra Bürgel, Berlin; Rooftop Screening II, Zuviel.TV in cooperation with the SLEEK-magazine, Berlin 2006 Rooftop Screening I, LOOP - Artfair, Barcelona, Spain; First Play Trampoline, HAU, Berlin 2005 Transatlantische Impulse, Martin-Gropius-Bau, Berlin 2003 in the forest, Kunstbank, Berlin Festivalbeteiligungen (Auswahl): Festivalcontributions (selection): 2009 Globale, Berlin; Filmforum NRW, Köln 2008 rencontres international, Paris/Berlin/Madrid; Globale 08, Berlin 2006 Rotterdam Filmfestival, 3. Dokumentarfilmwoche Hamburg 2005 Diagonale Graz, Istanbul Filmfestival, Kasseler Dok-Fest 2003 Stuttgarter Filmwinter, Windsor Media City, Internationale Kurzfilmtage Istanbul, Femme Total Dortmund 2002 Diagonale Graz; Int. Film Festival Melbourne, Short Cuts Cologne, Impakt Utrecht, Regensburger Kurzfilmwoche, Festival Tous Courts: Paralleles Europe Aix en Provence 2001 Viennale, Wien 2009 Globale, Berlin; Filmforum NRW, Cologne 2008 rencontres international, Paris/Berlin/Madrid; Globale 08, Berlin 2006 Rotterdam Filmfestival, 3. Dokumentarfilmwoche Hamburg 2005 Diagonale Graz, Istanbul Filmfestival, Kasseler Dok-Fest 2003 Stuttgarter Filmwinter, Windsor Media City, Internationale Kurzfilmtage Istanbul, Femme Total Dortmund 2002 Diagonale Graz; Int. Film Festival Melbourne, Short Cuts Cologne, Impakt Utrecht, Regensburger Kurzfilmwoche, Festival Tous Courts: Paralleles Europe Aix en Provence 2001 Viennale, Vienna Im Vertrieb bei e-flux, Berlin/New York und sixpackfilm, Vienna In distribution at e-flux, Berlin/New York and sixpackfilm, Vienna http://www.julialazarus.com http://www.julialazarus.com 95 Impressum imprint Konzept/Concept: Julia Lazarus Autoren / Authors: Claudia Funke, Stéphane Bauer, Vera Tollmann, Claudia Wahjudi, Raimar Stange, Hito Steyerl, Rike Frank. Lektorat / Copyediting: Rosemarie Lazarus, Alexander Hattwig Übersetzungen / Translations Fred Dewey, Erik Hansen Gestaltung: Moira Zoitl, Julia Lazarus Schrift / Typeface: Bembo, Univers Papier / Paper: Symbol Card 330 g/m² Profi Silk 135 g/m² Druck und Gesamtherstellung / Print: gallery print, Berlin Fotonachweis / Photo credits: Falls nicht anderes angegeben / Unless otherwise credited Julia Lazarus Ausstellungsansichten / Installation views: S. / p. 20-21 Matthias Mayer S. / p. 40-41 Stéphane Bauer S. / p. 46 Ingo Gerken S. / p. 53 Kerstin Ehmer © 2012 Revolver Publishing, Künstlerin, Autoren und VG-Bildkunst Bonn Alle Rechte vorbehalten. Abdruck (auch auszugsweise) nur nach ausdrücklicher Genehmigung durch den Verlag / All rights reserved May not be reproduced without written permission by the publisher entstanden mit Ünterstützung der / supported by the Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten - Berlin Senate Chancellary - Cultural affairs - Berlin 96 Revolver Publishing Immanuelkirchstr. 12 D – 10405 Berlin Tel.: +49 (0)30 616 092 36 Fax: +49 (0)30 616 092 38 [email protected] www.revolver-pulishing.com ISBN 978-3-86895-250-6 Printed in Germany Umschlagabbildung / cover image: Farb-Dia / color-slide 1. Mai Berlin 2010 ISBN 978-3-86895-250-6