Patenschaftsunterzeichnung durch Anastasia Gulei - Sachsen
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Patenschaftsunterzeichnung durch Anastasia Gulei - Sachsen
Geiseltal-Echo / Dezember 2014 Mücheln / Anzeigen Seite 5 Patenschaftsunterzeichnung durch Anastasia Gulei Mücheln./SR Im Mai war die Holocaust-Überlebende Anastasia Gulei aus der Ukraine schon einmal Gast an der Adolf-Holst-Schule Mücheln und bereicherte als Zeitzeugin eine Geschichtsstunde der 9. Klasse mit ihren Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg. (s. Geiseltal-Echo Juli 2014). Damals äußerte sie den Wunsch dieser Schule einmal den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage (SORSMC)“ verleihen zu dürfen. Das Projekt ist mittlerweile in vollem Gang. Am 28.10.2014 waren Anastasia Gulei, ihre Tochter Olga und die Dolmetscherin Ljuba Danylenko ins Rathaus nach Mücheln gekommen. Eingeladen dazu hatte die Geschichtswerkstatt Merseburg als regionale Koordinierungsstelle für „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage (SOR-SMC)“ im Saalekreis, die die Schulen bis zur Titelverleihung begleiten. Der Grund nach Mücheln zu kommen war die feierliche Patenschaftsunterzeichnung für das Projekt SOR-SMC, wofür mindestens ein Pate notwendig ist, der die Schule unterstützt. Im Ratssaal versammelten sich neben den ukrainischen Gästen auch Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Adolf Holst, die Schulsozialarbeiterin Martina Hoffmann, die das Projekt anstieß und Peter Wetzel von der regionalen Koordinierungsstelle. Die AdolfHolst-Schule hatte sich gleich zwei Paten ausgesucht. Als erste Patin wurde Anastasia Gulei benannt, für die das eine große Ehre bedeutet. Paten aus dem Ausland sind etwas Besonderes. Der zweite Pate ist mit Bürgermeister Andreas Marggraf ein an der Schule, durch Vereinssport und Freiwillige Feuerwehr bekannt, gern gesehener Gast. Zur Unterzeichnung wurde die Selbstverpflichtung der Schule durch den Sechstklässler Sasha vorgelesen. Darin ist festgehalten, dass die Schule Diskriminierungen überwinden wird, dieser Problematik in offenen Auseinandersetzungen begegnen wird und jährlich einmal ein Projekt durchführt, welches langfristig gegen jede Form von Diskriminierung insbesondere Rassismus vorgeht. Diese Worte aus dem Mund eines so jungen Menschen haben Anastasia Gulei beeindruckt. Sie freut sich, dass sie den Weg der Schule hin zum Titel SORSMC begleiten darf. Sie wäre schon an zwei Auszeichnungen von Schulen beteiligt gewesen, das waren aber „nur“ die Titelverleihungen. An der AdolfHolst-Schule sei sie in den gesamten Prozess integriert. So etwas mitzuerleben bestärke sie immer wieder und ließe sie wissen, dass ihr Leben einmal nicht umsonst war. Sie dankt dabei den Beteiligten des Projektes, allen voran den Pädagogen, die es schaffen der jungen Generation wichtige Grundprinzipien zu vermitteln. In der lockeren Gesprächs- Anastasia Gulei und Andreas Marggraf unterschreiben die Patenschaftsurkunde der Sekundarschule Mücheln. Fotos: S. Reinicke runde im Rathaus werden sogleich Pläne für neue Projekte geschmiedet. So könnte ein erst kürzlich verfasstes Buch über die Schicksale von Guleis Leidensgefährtinnen mit Hilfe der Dolmetscherin Danylenko mündlich übersetzt und mit den Schülern der Adolf-HolstSchule verschriftlicht werden. Am geputzten Stolperstein am Markt Mücheln wurden Rosen niedergelegt. Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Besuch am in der Nähe des Rathauses verlegten Stolperstein, der an die Jüdin Rosa Silberstein erinnert, die 1942 deportiert wurde. Hier legte Anastasia Gulei gemeinsam mit den Schülern vier weiße Rosen nieder. Aufgabe der Adolf-Holst-Schule mit künftigem Titel könnte sein, den Stolperstein zu gegebenen Anlässen wie z.B. den Holocaust-Gedenktag im Januar zu reinigen um ihn immer wieder ins Gedächtnis der Bürger zu rufen. Martina Hoffmann, die Schulsozialarbeiterin, hatte bei dem Treffen im Mai den Wunsch geäußert, die Titelübergabe noch in diesem Jahr durchführen zu können. Anfang Dezember nun wird die 88-jährige HolocaustÜberlebende Gulei noch einmal nach Deutschland reisen und am 5. Dezember in feierlichem Rahmen den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ der Schule überreichen, deren Patin sie ist. Für sie ist es von großer Bedeutung jetzt mit der Patenschaftsurkunde einer deutschen Schule nach Hause zu fahren. Dann hält Anastasia Gulei endlich etwas Positives in den Händen, was sie den ehemaligen Häftlingen zeigen kann. Geiseltal-Echo / Januar 2015 Mücheln / Anzeigen Seite 7 Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage Mücheln./SR Die Sekundarschule Adolf Holst hat den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ verliehen bekommen. Am 05.12.2014 wurde die Verleihung feierlich begangen unter Anwesenheit zahlreicher Gäste, der Schulleiterin Rabenstein und Schüler und Schülerinnen aus jeder Klassenstufe der Schule. Ein Jahr Bemühungen liegen hinter den Beteiligten um den Titel zu erlangen, der kein Preis und keine Auszeichnung darstellt, sondern mit einer Verpflichtung einhergeht. Denn leider sei der Sumpf massenhafter Morde Andersdenkender immer noch nicht trockengelegt, so Hartmut Handschak vom Landkreis Saalekreis. Und deshalb bedarf es Courage – Courage der Pädagogen und der Schüler, die sich mit dem Titel verpflichten, dass jede Form des Rassismus an ihrer Schule keinen Platz hat. Zur Übergabe waren auch die zwei Paten anwesend, die sich die Schule dafür ausgesucht hatte. Mit Anastasia Gulei war eine Zeitzeugin vor Ort, die Rassismus im Zweiten Weltkrieg noch auf eigener Haut gespürt hat. Die Ukrainerin hat das Projekt der Adolf-Holst-Schule von Beginn an begleitet und fühlt sich geehrt, an der Titelverleihung beteiligt zu sein. Die 89-Jährige fragte sich, warum Europa überhaupt mit Rassismus zu tun habe. Der Begriff findet beim menschenverachtenden Sklavenhandel in Afrika seinen Ursprung. Warum haben wir auf unserem Kontinent überhaupt Platz dafür? Um sich dem entgegen zu stellen, bedarf es Courage, die eine Charaktereigenschaft sei und von innen kommen müsse. Deshalb freut sich Anastasia Gulei an dieser Schule auf solche Charaktere zu stoßen. Sie bietet ihre Hilfe auch aus der entfernten Ukraine an und wünscht sich, dass eine Delegation der Schule nach Kiew kommt. Der zweite Pate Andreas Marg- Titelverleihung „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Foto: S. Reinicke im Bürgersaal Mücheln. graf, der Bürgermeister der Stadt Mücheln, kann seine Hilfe vor Ort anbieten. Er war der Meinung, dass es kein Zufall sein könne, dass ausgerechnet die Adolf-Holst-Schule die 112. Schule in Sachsen-Anhalt ist, die den Titel bekommt. Ist er doch ein Feuerwehrmann durch und durch. Die Sekundarschule muss nun ihren Titel verteidigen. Dafür machen sich auch Frau Hoffmann als Schulsozialpädagogin von der Fortbildungsakademie der Wirtschaft und Peter Wetzel vom Mehrgenerationenhaus Merseburg stark, mit denen die Schule eng zusammen arbeitet. Mit den Projekten „100 Bilder für Demokratie“ und der „Schulranzenaktion“ haben die Schüler bewiesen, dass sie es schaffen können. Mücheln / Anzeigen Geiseltal-Echo / Juli 2014 Seite 5 „Ich war nur eine Nummer“ Mücheln./SR Das sagt Anastasia Gulei, die Holocaust-Überlebende aus der Ukraine, die für ein paar Tage in den Saalekreis gekommen war, obwohl das Reisen für die 88-Jährige immer beschwerlicher wird. Aber es sei eine Herzensangelegenheit für sie mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen um über ihre grausamen Erfahrungen des Krieges zu berichten. Die Ukrainerin war im Mai zu Gast im Geschichtsunterricht in der 9. Klasse der Sekundarschule Adolf-Holst in Mücheln. Von der Geschichtswerkstatt Merseburg organisiert, fand hier eins der Zeitzeugengespräche statt, die es schon in naher Zukunft leider nicht mehr geben kann. Anastasia Gulei möchte ihre Geschichte deshalb noch so oft wie möglich verbreiten. Für sie zerplatzten die Lebensträume, als 1941 der 2. Weltkrieg ihr Land heimsuchte. Eigentlich wollte sie einen Beruf erlernen, wie die Schülerinnen und Schüler, vor denen sie gerade sitzt und berichtet. Aber Anastasia Gulei wurde zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Nach einem Fluchtversuch landete sie im Gefängnis. Im September 1943 wurde sie dann endgültig ihrer Menschlichkeit beraubt. Sie wurde ins KZ Auschwitz deportiert. Dort, so erzählt Gulei, wurde ihr die Kleidung weggenommen, die Haare wurden abgeschnitten und sie bekam die Nummer 61369 auf den Unterarm tätowiert, mit der sie sich täglich zu melden hatte. Sie spricht von einem Industriezweig Menschenvernichtung, der zum Alltag gehörte. „Den ganzen Tag wurden Menschen durch das Lager getrieben um hingerichtet zu werden. Der Geruch von Menschenfleisch lag in der Luft. Die rot-schwarze Flamme gehörte zum täglichen Anblick.“ Als die Außenstelle Budy des Lagers Auschwitz 1945 geräumt wurde, kamen sie und weitere Überlebende nach Bergen Belsen. Mit der Versetzung hoffte man auf Besserung. Doch es kam schlimmer. „Das KZ Bergen-Belsen wurde als Todeslager bezeichnet“, sagt Anastasia Gulei. „Es gab nichts zu essen, alle wurden mit Typhus infiziert, es gab keine Leichenbestattung. Die Toten wurden einfach vor den Baracken gestapelt.“ Am 15. April 1945 wurde das Lager durch die Engländer befreit. Auch die Soldaten waren vom Anblick, der sich ihnen bot, erschüttert. Im August 1945 kehrte Anastasie Gulei in die Sowjetunion zurück. Wie sie die höllische Zeit überlebt hat, weiß sie bis heute nicht. Sie glaubt, sie habe einen Schutzengel gehabt. Es habe eine Weile gedauert bis sie wieder „im Frieden“ angekommen war. Sie wollte unbedingt die Schule nachholen, denn ihr Kopf war „leer“, wie sie sagt. Allerdings hatte es die junge Frau schwer, galt sie doch lange Zeit noch als „Ver- Anastasia Gulei und ihre Dolmetscherin im Geschichtsunterricht der Sekundarschule Adolf-Holst. Foto: J. Skrzypkowski räterin“. Erst als sie ihren Studentenausweis in den Händen hielt, kam bei ihr wieder echte Freude auf. 1950 schloss sie ihr Studium ab und arbeitete dann in der Forstwirtschaft. Bewundernswert an Anastasie Gulei ist, dass sie nach den all den grausamen Erfahrungen keinen Hass im Herzen trägt, auch den Deutschen gegenüber nicht. Und so ist es für Anastasia Gulei eine Selbstverständlichkeit nach Deutschland zu reisen, in die Schulen zu gehen und immer wieder vom Krieg zu erzählen und alle Fragen der Schülerinnen und Schüler zu beantworten. Sie möchte deutlich machen, dass ein Krieg nie Sieger hervorbringen kann. „Frieden und Toleranz machen glücklich, ein Krieg bringt nichts“, so Gulei. Sie wünscht sich, dass die heutige Generation in Harmonie mit der Natur leben kann, so wie es in Goethes Gedichten zu lesen ist. Denn mit der Literatur kennt sie sich aus, war ihr Vater doch Lehrer für Ukrainisch. Schön wäre es, wenn gemeinsame Projekte von ukrainischen und deutschen Schülern auf die Beine gestellt werden könnten. Jan Skrzypkowski von der Geschichtswerkstatt Merseburg freut sich, dass sie Anastasia Gulei als Patin für das Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ gewinnen konnten. Am 22. Mai waren sie und Zipora Feiblowitsch, eine weitere Holocaust-Überlebende, bei der Titelverleihung an der Sekundarschule Albrecht Dürer in Merseburg dabei. Nun wünscht sich Anastasia Gulei, der Müchelner Sekundarschule Adolf Holst ebenfalls bald den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ überreichen zu können.