Blue Jeans - Neue Zürcher Zeitung
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Blue Jeans - Neue Zürcher Zeitung
5Jcae WOCHENENDE ^iirrfjer 3dtimg Samstag/Sonntag, i./A.'.September \<;m Nr. 206 73 ?**? gestellt ZU werden: Jeans sind gewissermassen zur Schuluniform von heute geworden. 1975 gingen übrigens rund zwei Auf ikn Pausenplätzen der Mittel- und Oberstufenschulhäuser braucht ein solches Bild nicht Millionen der in der Schweiz verkauf teil Jeans an Kinder unter 15 Jahren. Ein Schraubstock um ilie Hüften Bemerkungen über Blue .Deans 1 lichte Bluc Jeans aus dem klassischen indigogcfärbten Baumwollstoff haben folgende LMgenschaften: Der strapazierfähige schwere Stoff ist beim Kauf steil und brettig; sitzen die Joans modisch eng. umspannen sie die -Hüften wie einr Schraubstock, kneifen '>;cim Sitzen und lassen nur eine ganz spezifische rollende Gangart zu; wirklich bequem sind Jeans erst, wenn sie ausgeleiert und verwaschen um den Körper schlot- tern; bei jeder Wäsche gehen die Jeans mehr die Weite wird zwar oder weniger stark ein beim Tragen wieder ausgeglichen, rd e Längenverlust jedoch ist irreversibel; rd e Stoff hellt sich fU : Margret Mellert .' Aufnahmen: Kurt Schollenberger mit jeder Wäsche mehr und mehr auf und wird beim Tragen vor allem an den Nähten abgescheuert; werden die Jeans nicht separat gewaschen, geben sie ihre schöne blaue Farbe gern an helle Wäschestücke weiter; obwohl Jeans einfache Kleidungsstücke sind und in Massen hergestellt werden, sind sie relativ teuer der schweizerische Durchschnitt liegt /wischen 60 und 70 Franken. Die meisten dieser Eigenschaften würde man jedem anderen Kleidungsstück als Mangel ankreiden. Die Jeans aber haben damit Furore geausgemacht. Kein anderes Kleidungsstück ist derart uninommen vielleicht der Pullover versell und wird von so vielen verschiedenen Leuten zu so vielen verschiedenen Gelegenheiten getragen. Im Grunde sind Jeans längst keine Mode im eigentlichen Sinne mehr; sie sind zum unentbehrlichen Gebrauchsgegenstand geworden, an dem sich gelegentlich Modeströmungen manifestieren und auch orientieren: Jeans-Look. Jeans-Fashion und Jeans-Art sind bloss Varianten eines einzigen Grundthemas, das seit mehr als zwei Jahrzehnten das Strassenbild beherrscht. Mit ästhetischen oder praktischen Gründen allein ist das Phänomen Blue Jeans kaum zu er- tägliche Ausstoss beträgt In der Fabrikhalle von Lee-Europe N. V. in Ypern (Belgien) sind 500 Näherinnen beschäftigt. Der Neue Zürcher Zeitung vom 03.09.1977 klären; die ('Schönheit» verwaschener Jeans ist zumindest umstritten, und die unbestrittene Strapazierfähigkeit ist höchstens für Mütter von Kleinkindern, Tramps und (echte) Cowboys von Interesse. Die Jeans-Werbung operiert denn auch bezeichnenderweise weder mit dem einen noch mit dem andern Argument; sie macht allenfalls auf Sex, meist aber auf «Weltanschauung». Freiheit und Freizeit werden da zu Syn- onymen, die Befreiung von rd e Bügelfalte wird salopp rd e Befreiung von jeglichem Zwang gleichgestellt. Jeans sind (auch) ein Klischee und ein paradoxes dazu: Die wohl meistgetragene 11 000 Jeans. 74 Samstag 'Sonntag, 3./4. September 1977 Nr. WOCHENENDE 20« 91t« ^iirdicr Mim«, Mehr als fünf Arbeitsgänge beherrscht niemand. Denn der Anforderung, flink und doch sauber und exakt zu arbeiten, ist erst nach wochenlanger Uebung zu genügen -- Routine ist alles. Gearbeitet wird im Akkotd, ausgehend von 7.85) einer Lohnbasis von 117 bFr. (etwa sFr. pro Stunde für eine Arbeitsleistung von 90 ProLeistung zent. Mit wachsender Routine kann die und damit der Lohn gesteigert werden. Die meisten kommen auf HO Prozent Leistung, wns einem Stundenlohn von etwa 140 bFr. (etwa sFr. 9.40) entspricht. Es gibt aber auch wesentlich höhere Leistungen: Der «Stur» der Firma, ein blutjunges Mädchen, bewältigt seinen Arbeitsgang, eine Tuschennaht, mit 200prozentigcm Tempo. So rationell die Arbeit auch eingeteilt ist, zwischen den ein/einen Produktionsgängen geht offenbar recht viel Zeit verloren. Rechnet man nämlich die gefordert! Akkordzeil je Arbeitsgang zusammen, kommt man auf eine effektive Nähzeit von einer knappen Viertelstunde pro Hose. Für den Weg vom Zuschncidctisch bis zur Verpackung bruucht eine Jeans jedoch eine ganze Woche. Ein Grund dafür ist sicher der, dass die Einzelteile in Sechziger-Bündeln von Maschine ?u Maschine geschoben werden und somit eine Arbeiterin immer an 60 Jeans gleichzeitig arbeitet. Bei der andernorts üblichen sogenannten «hängenden Produktion» dagegen hängen alle Einzelteile einer Jeanshose an einem Gestell, das von Arbeiterin zu Arbeiterin gefahren wird. Immerhin schafft die Fabrik in Ypern mit ihrer anscheinend nicht mehr ganz modernen Produktionsmethode einen beachtlichen Ausstoss: 000 Jeans verlassen täglich per Lastwagen die Fabrik Richtung St-Nicolas, der Ausliclerungsstelle für ganz Westeuropa. Allerdings ist die stolze Anzahl von rund 2.5 Millionen jährlich in Ypern hergestellter Jeans klein im Vergleich zur Verbrauchszahl in Westeuropa: diese wird auf J90 Millionen Einheiten pro Jahr geschätzt. 1 Noch auf dem Zuschneidetisch werden dir einzelnen Schnittelle auf der Stojfriickteitc mit Nummern versehen: nur Teile mit gleichen Nummern, ili, auch zur selben Stofflage gehört haben, werden zusaniincngcfi'gt; io werden Farbunterschiede an den felligen Jeans vermieden. Uniform aller Zeiten gilt als «Kleidung für freiheitlich gesinnte unbürgerliche Individualisten». Von der Goldgräberhose zur Gcsiimungsmode Als in den fünfziger Jahren die ersten europäischen Jugendlichen mit ihren Nietenhosen in die Badewanne stiegen und sie dann am Körper trocknen liessen, war das Jeans-Modell schon mehr als hundert Jahre alt. Der bayrische Auswanderer l.cvi Strauss soll um 1850 für kalifornische Goldgräber die ersten Jeans aus Segeltuch geschneidert haben. Die Nachfrage muss gross gewesen sein, jedenfalls ging ihm bald einmal das Segeltuch aus, und er verwendete jenen speziellen Baumwollköper, aus dem noch heute Jeans hergestellt werden: Serge de Nimes, später Denim genannt. lOÜ Jahre lang dienten die Jeans den Amerikanern als brave, praktische Ar, beitshosen. Auch in Europa wohin sie mit den amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg kamen, waren sie zunächst nichts anderes. Der Jeans-Boom begann in den fünfziger Jahren bei den «Halbstarken» und jenen, die es ihnen gleichtun wollten, bei den James Dean- und Elvis Presley-Fans, bei jenen, die damals die spitzesten Schuhe und die kühnste Haartolle trugen und die immer ein wenig frecher waren als der Durchschnitt. Bei der älteren Generation waren Jeans damals verpönt; in der Schule wurden sie an den Buben gerade noch geduldet für Mädchen waren sie absolut unmöglich, ausser vielleicht auf der Schulreise. Schliesslich galt damals für Mädchen im Klassenzimmer noch «Jupeund Schürzenzwang»; Hosentragen war nur im Winter bei hohem Schnee oder mindestens 10 Grad Kälte gestattet, und als Wärmespender waren und sind Jeans ziemlich ungeeignet. Die Umsatzzahlen der Jeans wuchsen jedoch stetig, wenn auch vorerst nur langsam. Der ent- Um 16 Uhr IS Ist bei Lee in Ypern Feierabend. Kaum ertönt die Klingel, stürmen die Arbeiterinnen davon. scheidende Durchbruch zur Massenware kam Ende rd e sechziger Jahre, als die Jugend auf die Barrikaden selbstverständlich in Jeans ging und gegen das Establishment rebellierte. Damit wurden die Jeans zur antibürgerlichen Gesinnungsmode, zum Symbol für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Und sie wurden zum ganz grossen Geschäft. Denn die Sehnsucht nach Veränderung und Befreiung (auch vom Anzugzwang) beeinflusste nicht nur die Kleidung der Jugendlichen. Jungsein selber wurde Mode, Freizeitgestaltung und damit Freizeitbekleidung wurden wichtig. Und schliesslich akzeptierten auch Leute über 30, denen man laut Slogan eigentlich nicht tranen durfte, die «Revolutionsuniform» als Symbol der Jugendlichkeit. Die einstige Arbeiterhosc wurde als Freizeitkleidung par excellence entdeckt, zunächst in der klassischen Form, bald von cleveren Herstellern mit immer wieder neuen Gags und Zierat versehen und modisch abgewandelt. Blümchen, Flicken, Ziersteppnähte kamen und verschwanden wieder; Buchumschläge, Handtaschen und Portemonnaies aus JeansStoff wurden lanciert, der «totale L J eo ao nk s» machte kurz Furore; «vornehme» Jeans aus Kord, aus Samt, sogar aus Goldstoff tanzten im modischen Reigen mit, und selbst Modeschöpfer wie Yves Saint-Laurent kamen um den JeansAnzug nicht herum. Doch all die Modeströmungen, all der Firlefanz haben den normalen klassischen Blue Jeans den Rang nicht ablaufen können. Sie sind als Piece de resistance, von modischen Anpassungen der Beinweiten abgesehen, unverändert geblieben. Sie sind nahezu überall salonfähig geworden, werden von Kindern, Frauen und Männern jeden Alters und aller Bevölkerungsschichten gleichermassen getragen. Rein äusserlich besteht, jedenfalls nach Feierabend, kein mehr zwischen Bankdirektor und Man konnte behaupten, die Jeans geschafft, wovon Ideologen kaum Unterschied Hilfsarbeiter. hätten etwas zu träumen wagen. 36 Arbeitsgänge für eine Hose Entsprechend der grossen Nachfrage läuft die Jeans-Produktion auf Hochtouren. Bei Lee Europe in Ypern (Belgien) bedeutet dies: sichere Arbeit für 500 Näherinnen und rund 100 weitere Arbeiter und Angestellte. Die riesige Fabrikhalle wirkt denn auch wie ein Bienenhaus: In einem verwirrenden Durcheinander von Fadenspulen und Bündeln zugeschnittener Jeansteile wimmeln scheinbar zahllose blaugeschürzte Frauen und Mädchen, die mit beinahe unglaublicher Behendigkeit ihre Arbeiten verrichten die meisten schweigend, konzentriert, kaum von der Nähmaschine aufschauend. Die Verständigung mit ihnen ist schwierig, nicht nur weil die meisten nur ihre Muttersprache, Flämisch, sprechen; das Gesumme der Maschinen und die Musikberieselung aus einigen Deckcnlautsprechern beschränken die Kommunikation auf freundliches Lächeln. Erst wenn man sich eine Weile ganz nah bei einem d r e Mädchen aufhält, bemerkt man, dass es bei rd e Arbeit singt. Eigentlich eine verblüffende Erfahrung, diese Fröhlichkeit. Denn die Arbeit an den Nähmaschinen ist schematisch und monoton; rentable Produktionszahlen lassen sich nur durch möglichst weitgehende Arbeitsrationalisierung erreichen. Allein die Näharbeiten sind je nach Modell in 34 bis 36 Arbeitsgange eingeteilt. Jede der 500 Näherinnen ist auf einen Arbeitsgang voll trainiert und beherrscht daneben einen zweiten, um bei Ausfällen einspringen zu können. Etliche werden auch zu «Einspringerinnen» ausgebildet und erreichen bei mehreren Arbeitsgängen ein zugiges Tempo. d e Arbeitspausen (je 15 Minuten vor- und nachmittags, eine halbe Stunde mittags) kann die Kantine n benutzt werden; Essen wird nicht serviert, die Arbeiterinnen können jedoch eine Suppe kaufen, Mitgebrachtes verzehren und Getränke aus dem Automaten beziehen. In Neue Zürcher Zeitung vom 03.09.1977 1 Im Dschungel des Jeans-Marktes Die Behauptung, der Jeans-Markt sei unübersichtlich, ist eine gelinde Untertreibung. lir ist ein undurchdringlicher Dschungel, in dem die neuen wilden Sträucher schneller wachsen, als man die alten abschneiden kann. Allein schon über die Verbrauchszahlen des kleinen Schweizer Marktes streiten sich die Fachleute. Von 3 Millionen pro Jahr reden die einen, von 4.9 Millionen Jeans die andern; ein Importeur schätzt die Zahl gar auf 6 Millionen. Und was den Anteil der einheimischen Hersteller am Produktionskuchen betrifft, schwanken die Angaben zwischen 10 und 30 Prozent. Für Hersteller und Importeure interessant ist die Verteilung rd e Konsumenten auf Bevölkerungs- und Altersgruppen. Laut einem Artikel in der «Tcxtil-Revue» vom Oktober 1976 sollen 1975 Manner und Knaben 58 Prozent, Frauen und Mädchen 42 Prozent der in rd e Schweiz umgesetzten Jeans gekauft haben. An Kinder unter 15 Jahren gingen rund 2 Millionen Nietenhosen; Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren kauften 770 000, Damen über 35 240 000 und Herren über 35 340 000 Jeans. Soweit ist alles noch relativ klar und statistisch erfassbar. Stürzt man sich jedoch ins Dikkicht rd e verschiedenen Marken, wird die Sache uferlos. Da ist gerade noch auszumachen, dass die drei Marktleader Levi's, Lee und Wrangler vermutlich mit 20 Prozent am schweizerischen Jeans-Markt beteiligt sind. Die restlichen 80 Prozent oder 4 bis 5 Millionen Jeans jedoch verteilen sich auf die verschiedensten kleinen und grossen Hersteller von Marken- und namenloser Ware. Zukunftsaussichten Man konnte sagen, bei den «Grossen» des Jeans-Marktes herrsche vorsichtiger Optimismus, was die Zukunft anbelangt. Der Trend, meinen sie, gehe eindeutig zurück zur klassischen Jeans ohne Schnickschnack. Mit weiterhin steigenden Verkaufszahlen wird allerdings nicht gerechnet, eher mit Stagnation. Und man hegt die Befürchtung, eine weitere ZerkrUmelung des Marktkuchens konnte dem Ruf der Ware und damit dem Geschäft schaden. Ganz abgesehen davon, dass die «Namenlosen aus dem Fernen Osten» die Preise (auch der Markenware) drücken konnten dies obwohl Jeansboutiquen-Besitzer rd e Meinung sind, echte «Jeans-Freaks» kauften stets markenbewusst ein und seien bereit, für das Image «ihrer» Marke auch mehr Geld auf den Tisch zu legen. Dazu wäre zu bemerken, dass in den Warenhäusern die bescheidenen, billigen, namenlosen Jeans durchaus nicht in den Gestellen hängen bleiben. Qualitativ schlechte Jeans und solche, die nicht gut sitzen oder dem modischen Geschmack nicht entsprechen, dürften allerdings in der Schweiz wenig Verkaufschancen haben. Daran, dass Jeans überhaupt aus der Mode kommen konnten, scheint niemand auch nur im entferntesten zu denken. Mit den Jeans scheint es zu sein wie mit dem Auto: Solange kein vollwertiger Ersatz dafür da ist, werden sie weiter gebraucht. Und was wäre schon ein vollwertiger Ersatz für die lässig vergammelten, abgetragenen, verwaschenen, ausgefransten, wunderschönbässlichen Jeans? 20 Knie jiiitlii'rÄilHii.ii WOCHENENDE 6/7 Samstag/Sonntag, 3./4. September 1977 Nr. 206 75 Aufnähen des «Ueberlritts» am Reissverschluss. Einnähen der Waschanleituni; ins Taschenfutter. Schritt/iaht. Zuschneiden. Ziernaht an den Gesässtaschen. Rundnaht am Taschenfiitter der Vordertasche. Aufsticken des Zierkreuzes an den C csasstaschen. Numerieren der einzelnen Teile. Annähen des Markenzeichens an den Gesässtaschen. Seitennaht Vordertasche und Hosenbein. Annähen der Gürtclschlaufen. Gürtelschlaufen werden aus dem Ausschuss-Stoff genäht. Einschlagen der Kanten und Dampfen der Gesässtaschen. Einnähen des Reissverschlusses. Versäubern der vorderen Bundkanten. Aufnähen von Endlosreissverschluss auf Stoffstreifen. Aufnähen des Sattele'msaizes am Hinterteil. Gesässnaht (Kappnaht). Knopfloch und Einsetzen des Knopfes. Ausstanzen der tZähne» zwischen zwei Verschlüssen. Die einzelnen Arbeitsgange werden kontrolliert. Ränder einfacher Nähte werden auseinandergebügelt. Letzte Kontrolle, falzen, verpacken. Prüfen der Stoffballen im Stoff lauer. Neue Zürcher Zeitung vom 03.09.1977 '