DOZ A4 - DOZ

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KONTAKTLINSE KONGRESSBERICHT
Trockene Augen in der Wüste
Zum ersten Mal in der Geschichte der American Academy of Optometry (AAO) fand
der Jahreskongress der Vereinigung in Phoenix/Arizona statt. Es war seit 1922 der
91. Kongress und mit 5.155 Teilnehmern der drittgrößte AAO-Kongress insgesamt.
Traditionell werden Neuigkeiten in Vorträge aus den Bereichen Binokularsehen,
Wahrnehmungs- & Kinderoptometrie, Cornea, Kontaktlinsen & refraktive Technologien, Low Vision, optometrische Ausbildung, Primärversorgung, öffentliches
Gesundheitswesen & Umwelteinflüsse und Forschung präsentiert. Dabei ist aber
stets auch die Umsetzung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Praxis
von Bedeutung. So lautet das Motto der AAO-Kongresse „Forschung von heute –
Praxis von morgen“.
Nachfolgend ein Überblick auf die kontakt-optischen Schwerpunkte. Es gab Tagungsbesucher die vermuteten, Phoenix
als Hauptsadt des US-Bundesstaates Arizona wäre als Tagungsort gewählt worden, weil hier die Trockenheit besonders
auffällig sei. Immerhin erlebt Phoenix mit
einer Jahresdurchschnittstemperatur von
30 Grad Celsius in den Sommermonaten
viele heiße Tage, an denen die 40-GradMarke des Thermometers erreicht wird.
Vielfältiges
Tagungsprogramm
Das Programm der viertägigen Tagung
beinhaltet Vorträge, Symposien und
Poster-Präsentationen. Dabei wird in der
Ankündigung der Veranstaltungen nicht
nur nach Thematik und Inhalt sondern
auch nach der Art des Vortrages differen-
ziert. So kann sich jeder Tagungsbesucher
selbst entscheiden, ob er in der angebotenen Sparte einen Grundlagenvortrag
hört, Pflege und Auffrischung des bereits
Erlernten bevorzugt oder die neusten
wissenschaftlichen Erkenntnisse wählt.
Obwohl sich in den Vorträgen das ganze
Spektrum der Optometrie und angrenzender Themen aus Ophthalmologie, Pharmakologie, Pathologie, Physik etc. abbildet,
stellt die Kontaktoptik einen beachtlichen
Themenblock. In Phoenix wurden allein
17 ein- bis zweistündige Vorträge zum
Thema Kontaktlinse gehalten. Rechnet
man die Vorträge mit mittelbarem thematischem Bezug (z. B. Trockenes Auge,
Veränderungen des vorderen Auges,
Hornhautdystrophien etc.) und das dreistündige Symposium zum Thema MeibomDrüsen Dysfunktion hinzu, ergibt sich
eine Vervielfachung dieses Angebots.
Abb. 1: Mit 5.155 interessierten Teilnehmern, der drittgrößte AAO-Kongress überhaupt.
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Interessantes zur
Kontaktlinse
Breiten Raum nahm die Vorstellung spezieller Kontaktlinsen zum Management
besonderer Hornhautprobleme ein. Dabei geht der Trend bei den formstabilen
Kontaktlinsen stark in Richtung großer
Durchmesser bis hin zu Sklerallinsen.
Drei Viertel der Kontaktlinsenvorträge
beschäftigten sich mit Speziallinsen und
Sonderlösungen. Nur ein kleiner Teil der
Vorträge vemittelte Basiswissen für Neueinsteiger.
In seinem Vortrag „Custom Soft Lenses“ stellte Matthew J. Lampa ausführlich
die Notwendigkeit und Vorgehensweise
bei der Anpassung individueller Weichlinsen vor. Durch Vereinfachung und Uniparameter sollte die Zahl der Kontaktlinsenanpassungen und das Interesse der
Verordner an der Kontaktlinse gesteigert
werden. Nun schwingt das Pendel offenbar zurück. Eine Basiskurve, ein Durchmesser und ein Material reichen offensichtlich nicht aus, um eine adäquate
Versorgung in allen Fällen sicher zu stellen. Der Referent belegte an eindrucksvollen Beispielen, wie schlecht manche
dieser Uniparameter Kontaktlinsen an
Augen sitzen, die in Bezug auf Hornhautdurchmesser, Zentralradien und Vorderkammertiefe etwas außerhalb der Durchschnittswerte befinden. Insbesondere
sieht er Indikationen für die Anpassung
individueller Weichlinsen bei Augen nach
Keratoplastik, Keratokonus, nach refraktiver Chirurgie oder anderen traumatischen
Ereignissen, bei Aphakie und bei Vorliegen einer Mikro- bzw. Makrocornea. Als
Quelle für weitere Informationen und
Programme zur Berechnung individueller Kontaktlinsen gibt der Referent die
Seite www.eyedock.com an.
„Management of Irregular Astigmatism with Contact Lenses“ war das Thema
des Vortrages von Pat Caroline und Randy Kojima. An den Beispielen Pelluzid
Marginale Degeneration (PMD), Keratokonus und Keratoglobus wurde gezeigt,
was bei der Kontaktlinsenanpassung von
großen Kontaktlinsen zu beachten ist,
wenn mit Corneallinsen kein ausreichen-
des Ergebnis mehr erreicht werden kann.
Zur Einleitung erläuterten die Referenten, dass sich durch moderne Diagnostik
und Messtechnik zur Hornhautchirurgie
eine neue Sichtweise auf den Keratokonus entwickelt hat. So sähen einige
Operateure inzwischen den Keratokonus
als dankbare Indikation nicht nur für eine
Keratoplastik. Zunehmend würde vorgängig mindestens ein Cornea Cross Linking
durchgeführt. Hierbei ist eine stärkere
Vernetzung der Kollagenfasern im vorderen Stroma das Ziel. Zur Durchführung
wird eine Epithelabrasio durchgeführt
und Riboflavin auf die Hornhaut getropft.
Durch anschließende UV-Bestrahlung
wird eine chemische Reaktion im Hornhautstroma ausgelöst, die die Festigkeit
der Hornhaut und damit Resistenz gegen
weitere Vorwölbung verbessert. Dabei
wird eine gewisse Intensität der UV-Bestrahlung benötigt, die bei zu geringer
Hornhautdicke im schlimmsten Fall das
Endothel schädigen kann. Folge ist dann
postoperative Ödembildung, sodass das
Endothel nicht mehr zur Entquellung des
Stromas beitragen kann. Diese Erkenntnisse wurden in den letzten Jahren beim
Einsatz der OP-Technik in einer Lernkurve gewonnen. Bei sehr dünnen Hornhäuten ist deshalb von dieser Behandlung abzuraten. Einige Operateure gehen
aber weiter und bearbeiten die so behandelte Hornhaut im Anschluss mit LASIK
zum Ausgleich von Irregularitäten und
Refraktionsfehlern. Auch der Einsatz von
sogenannter Keraringe (bogenförmiger
Stroma-Inlays aus Kunststoff) in der mittleren Hornhautperipherie soll dazu beitragen, die Irregularität der zentralen
Hornhaut im optischen Weg zu beheben.
Bleiben die Ergebnisse dieser Operationen
hinter den Erwartungen zurück und ist
die Bereitschaft des Patienten (oder Operateurs) für eine Keratoplastik gering, wird
häufig wieder auf die Kontaktlinse zurück
gegriffen. Erste Wahl für die Versorgung
dieser Augen ist nach wie vor die formstabile Korneallinse. Hierbei gibt es inzwischen durch großflächige Formerfassung
mit Topographiesystemen, Scheimpflugkameras und OCT viel mehr Informationen
als noch vor einigen Jahren. Software zur
Berechnung gut passender Kontaktlinsengeometrien und Fluobildsimulationen
unterstützen bei der Kontaktlinsenanpassung. Natürlich stoßen Rechenprogramme, die von einer gewissen Regelmäßigkeit der vermessenen Flächen ausgehen,
bei extreme Fällen mit starken Irregularitäten, Narben und Hornhautstufen auch
an Grenzen und das simulierte Fluobild
hat wenig Ähnlichkeit mit dem tatsächlichen Fluobild. Wenn mit Korneallinsen
die Grundanforderungen an ausreichende
Flächenpassform, Zentrierung, Pupillenabdeckung, Bewegung und Tränenzirkulation nicht mehr ausreichend erfüllt
werden, steht (nun wieder) die Option
Sklerallinse zur Verfügung. Diese Kontaktlinsen, die in der Frühzeit der Kontaktoptik weit verbreitet waren, erleben
nun eine Wiedergeburt. Begünstigt wird
diese Entwicklung durch den Einsatz von
Materialien mit sehr hoher Sauerstoffdurchlässigkeit. Die Referenten haben
dazu Messreihen an je 50 Probanden mit
und ohne Hornhautirregularitäten mit
einem OCT durchgeführt. Ergebnis war,
dass in beiden Gruppen zwar zentral starke
Unterschiede vorlagen, sich aber die
Hornhautperipherie und der Korneoskleralübergang in beiden Gruppen sehr
ähnelt. Wird nun der Sitz der Sklerallinse
in diesem Bereich durch Entlastung der
limbalen Zone optimiert, so erhölt man
eine gut verträgliche, angenehm zu tragende (Skleral-)Kontaktlinse. Wichtig bei
dieser Art der Anpassung ist eine erneute
Sitzkontrolle nach einstündiger Tragezeit,
da sich die Kontaktlinse nach dieser Zeit
auf der Bindehaut „setzt“ und die Anpassung erst dann sicher beurteilt werden
kann.
Die Bedeutung adäquater Lidpflege
wurde in unterschiedlichen Beiträgen
deutlich gemacht. So fand Loretta B.
Szczotka-Flynn mit ihren Co-Autoren in
einer Untersuchung heraus, dass beim
Tagestragen von Silikonhydrogel-Kontaktlinsen auftretende entzündliche Hornhautprozesse sehr häufig in Verbindung mit
einer hohen Konzentration von Grampositiven Staphylokokken im Lidbereich
beobachtet werden. Eine starke Besiedelung der Lidhaut, insbesondere der
Lidkante, stellt einen Risikofaktor für die
Entwicklung von Hornhautentzündungen
bei diesen Kontaktlinsenträgern dar. Probanden mit einer Häufung von Staphylokokken, die keine entzündlichen Prozesse u
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Individuelle
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Contactlinsenanpassung
ontactlinsenanpassung
auf den Punkt gebr
gebracht!
acht!
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Abb. 2: Begriffsbestimmung bei Sklerallinsen: Central Clearance Zone,
Limbal Clearance Zone und Scleral Landing Zone. (Mit freundlicher
Genehmigung von Pat Caroline.)
entwickelten, hatten häufig eine sehr lange
Tränenfilmaufreißzeit.
Das Hauptthema im Zusammenhang
mit Kontaktlinsetragen ist aber seit vielen
Jahren die Reduzierung des Tragekomforts durch einsetzende Trockenheit nach
mehreren Stunden Tragezeit, bei Bildschirmarbeit, in Räumen mit trockener
Luft und am Ende des Tages. Die Lösung
dieser Symptome wird einerseits durch
verbesserte Kontaktlinsenmaterialien mit
höherer Lubrizität und andererseits in
einer ursächlichen Therapie des Trockenen
Auges gesucht. Für die am häufigsten
auftretende Form des Trockenen Auges,
der evaporativen Form, ist von vielen Forschern inzwischen ein Lipidmangel durch
Unterfunktion der Meibomschen Drüsen
identifiziert worden. Als symptomatische
Behandlung bieten sich Tränenersatzflüssigkeiten, teilweise auch mit Lipidkomponenten an. Zur ursächlichen Therapie wird die Behandlung der Lider mit
Wärme und Lidmassagen eingesetzt. Dabei stehen neben vergleichsweise harmlos anmutenden Wärmekissen, die der
Patient selbst regelmäßig benutzen muss
bis hin zu teilweise recht martialisch
erscheinende Geräte (Abb. 4), mit denen
der Behandler die Meibomschen Drüsen
öffnen kann. Zumindest kurzfristig dürfte
damit für reichlich Tränenfluss gesorgt
sein. Eine technologisch ausgefeilte
Lösung stellt das Lipiflow Gerät dar. Bei
diesem Gerät wird mittels einer Wärmekapsel, die unter dem Lid positioniert
wird, die Innenseite der Lider erwärmt,
wobei die Außenseite der Lider mit einer
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Abb. 3: Die Sitzbeurteilung bei Sklerallinsen muss die Entlastung des
Limbusbereiches sicherstellen. (Mit freundlicher Genehmigung von
Pat Caroline.)
sanften automatischen Massage behandelt wird. Auch diese Behandlung wird
nur von Fachleuten durchgeführt und
steht dem Endverbraucher nur in Praxen
und Kliniken zur Verfügung (www.lipiflow.com). Da die Eigenbehandlung mittels Wärmekissen und Lidmassagen stets
mit einer erhöhten Belastung der vorderen Hornhaut durch die mechanische
Reibbewegung am Auge verbunden ist,
warnen bereits einige Fachleute vor allzu
häufiger Anwendung. Denn noch immer
ist Augenreiben als möglicher auslösender Faktor für die Entwicklung des Keratokonus im Gespräch.
Abb. 4: Bestecke zur Öffnung der Meibomschen Drüsen.
Diese und weitere Informationen aus
dem Bereich der Kontaktlinse wurden bei
der AAO-Tagung in Phoenix kommuniziert. In vielen Vorträgen gab es zusätzlich eine Fülle an weiteren Neuigkeiten
aus dem gesamten Feld der Optometrie.
Besonders interessant ist hierbei auch
die Möglichkeit, neueste Forschungsergebnisse im Rahmen der Poster-Präsentation aufzunehmen und direkt mit den
Autoren zu diskutieren.
Zur diesjährigen AAO-Tagung hatten
die Autoren über 900 Beiträge eingereicht, von denen aber nur 342 Poster von
einer unabhängigen Jury angenommen
wurden. Dies zeigt die strengen Kriterien
des Auswahlprozesses, die dazu führen ,
dass nur etwa jede dritte von Universitäten eingereichte Arbeit akzeptiert wird.
Eine besondere Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang die Ernst-AbbeHochschule in Jena dar. Von den acht eingereichten Arbeiten wurden alle acht
akzeptiert. Das belegt deutlich, dass in
Jena auf international anerkanntem
Niveau gelehrt und geforscht wird. Weitere Arbeiten aus Deutschland bzw. dem
deutschsprachigen Raum wurden von
den Autoren Andreas Berke, Gustav Pöltner und Gregor Esser beigesteuert.
Wer sich bei nächster Gelegenheit
selbst einen Eindruck verschaffen möchte, sollte sich die nächste Tagung der
American Academy of Optometry vom
23. bis 26. Oktober 2013 in Seattle
(www.aaopt.org/meetings/academy2013)
im Kalender vormerken. n
Stefan Schwarz, Hildesheim