Hanf II - TagesWoche
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Hanf II - TagesWoche
Feb 2000 CZ Gute Geschäfte mit Hanf Das Angebot in den Hanfshops ist vielfältig. Die Kundschaft interessiert sich aber vor allem für eines: Duftsäckli. Kleider, Taschen, Seile, Seife, Shampoo, Lippenpomade, Salben, Tee, Sirup, Limonade, Bier, Riegel, Müesli, Käse, Saucen, Öl, Bonbons, Lollipops, Katzenfutter: Das alles und noch viel mehr wird aus und mit Hanf hergestellt. Und vieles davon gibt es in den rund 200 Schweizer Hanfshops tatsächlich zu kaufen. Unbestrittener Kassenschlager eines jeden Hanflädelis sind aber die Duftkissen oder Duftsäckli. In manchen Läden macht der Duftsäckli-Verkauf über 90 Prozent des Umsatzes aus. «Ich lebe praktisch ausschliesslich vom Duftsäckli-Verkauf», gibt der Betreiber eines Basler Hanfshops unumwunden zu. «Ohne Duftsäckli gäbe es überhaupt keine Hanfshops. Und dann gäbe es auch all die anderen Hanfprodukte nirgends zu kaufen.» Es ist kein Geheimnis, dass sich ein Teil der Hanfshop-Betreiber nur das schnelle Geld verspricht. So gibt es Shops, die sich gar nicht erst die Mühe machen, legale Hanfprodukte anzubieten. Verkauft werden ausschliesslich unter Kunstlicht gezüchtete Hochleistungssorten mit hohem THC-Gehalt. Und zwar zu Preisen, mit denen der Schwarzmarkt auf der Strasse durchaus konkurrieren kann. Auch punkto Vertrieb sind die Anbieter um Ideen nicht verlegen. Hadert ein Grossteil der Schweizer Firmen immer noch mit dem Internet, gehörten die Hanfhändler zu den ersten, die ihre Waren auch per E-Commerce feilboten. Gebracht wird’s vom Pöstler, bezahlt wird mit Kreditkarte oder per Nachnahme. Die Nachfrage ist enorm und die Marge hoch – kein Wunder also, dass die Hanfläden in allen Ecken der Schweiz aus dem Boden sprossen. Der ganz grosse Boom scheint allerdings vorbei. «Das Betreiben eines Hanfshops war immer mit einem enormen Risiko verbunden», weiss François Reusser, Pr äside nt de r Schwe ize r ische n Hanfkoordination SHK. «Spätestens seit den jüngsten Verurteilungen ist jedem klar, dass ihm ernsthaft Ärger mit den Behörden droht.» In Zürich wurde der Besitzer eines Hanfshops zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 14 Monaten, 20'000 Franken Busse und 100'000 Franken Gewinnablieferung verurteilt. In Thun gab es für den Verkauf von 200 Kilogramm Hanfblüten 16 Monate bedingt und 10'000 Franken Busse. François Reusser schätzt, dass die Zahl der Hanfshops als Folge dieser Urteile derzeit eher rückläufig sei. «Der harte Kern aber wird weitermachen», gibt sich der SHKPräsident kämpferisch. «Und das ist auch nötig. Nur so wird sich die Gesetzgebung den realen Gegebenheiten anpassen.» Ja zum Kiffen Gabriel Felder, 32, Moderator bei Radio 105 und Sänger: «Wenn es sich gerade ergibt und die Stimmung passt, sage ich zu einem Joint nicht nein. Im Vergleich zu Alkohol ist die Wirkung von Cannabis unproblematisch. Selbst fleissige Kiffer sind von einer angenehm friedfertigen Aura umgeben. CannabisProdukte sollten jedenfalls nicht schwieriger erhältlich sein als alkoholische Getränke.» «Hanf Action» bringt Der Aargauer Landwirt Fritz Meyer kann dem Hanfanbau nur Gutes abgewinnen. Dass der Naturhanf eine anspruchslose Pflanze sei, die praktisch überall gedeiht und obendrein keine Pflege braucht, kann Fritz Meyer nicht bestätigen. Der 58-jährige Landwirt aus Büblikon im Aargau kultiviert, neben Mais und anderen Getreidesorten, seit fünf Jahren Hanf. «Hanf ist vergleichsweise anspruchsvoll. Zu viel Feuchtigkeit verträgt er überhaupt nicht, ausserdem muss er ebenso gedüngt werden wie etwa der Mais.» Der Hanf braucht Pflege: 200 bis 300 Arbeitsstunden sind nötig, um eine Hektare von der Saat bis zur Ernte zu bewirtschaften. Dafür braucht man kaum Maschinen, was die Kosten beträchtlich senkt. «Eine Hektare Mais bringt Kosten von 2000 bis 2500 Franken, beim Hanf sind es nur 1200 bis 1500 Franken. Das allermeiste ist Handarbeit.» Kostenmindernd wirkt sich auch die Tatsache aus, dass die Bauern das Saatgut für den Hanf selber produzieren können. «Bei allen anderen Kulturpflanzen müssen wir das Saatgut von den Chemiekonzernen kaufen – und den Dünger und die Pestizide gleich dazu.» Meyer baut auf einer Hektare Hanf an. Der Ertrag liegt bei 150 bis 200 Kilogramm verkäuflicher Ware pro Ernte. Meyer füllt die H a n f b lüt e n in « N a t ur h a n f t a s ch e n » verschiedener Grösse, von 40 bis 500 Gramm. Bei einem Erlös von 175 Franken pro Kilo erzielt Meyer mit seinen Hanfblüten einen Umsatz von rund 30'000 Franken. Abnehmer sind in erster Linie Grossisten, die wiederum die Hersteller kosmetischer und therapeutischer Hanfprodukte sowie die Hanfshops beliefern. «Direktverkäufe sind selten, wir haben aber auch schon mal Asthmakissen an ein Sanatorium geliefert.» Meyers Hanf hat einen THC-Gehalt von rund 1,5 Prozent – «im Durchschnitt», betont der Hanfbauer. «Es kann auch mal eine mit 3 oder 4 Prozent drunter sein.» Kaum ein Schweizer Hanffeld bestehe aus einer einzigen Sorte. «In der Regel handelt es sich um ein Sortengemisch. Aber das spielt keine grosse Rolle. Die Hanfpflanze passt sich im Nu ihrer Umgebung an. Auch ein THC-frei gezüchteter Samen entwickelt sich im Verlauf von ein paar Generationen zu seiner natürlichen Form zurück.» Über mangelnde Nachfrage kann sich Meyer nicht beklagen. Und das ist in der L a n d w ir t s c h a f t v o n h e u t e k e in e Selbstverständlichkeit. «Es ist ja fast schon etwas besonderes, etwas zu produzieren, für das eine echte Nachfrage besteht.» Andrerseits ist der Hanfanbau immer noch ein Abenteuer. Gar mancher Hanfbauer wurde schon von der Polizei um seine Ernte gebracht. Meyers Begeisterung für das grüne Kraut hat nicht nur ökonomische Gründe. Hanf, das weiss Meyer von persönlichen Bekannten, kann Leiden lindern. Und er bringt Abwechslung ins Bauerndasein. «Keine ande r e K ultur pflanze finde t so lche Beachtung, sei es in der Öffentlichkeit oder bei der Polizei. So viel Action gab es früher nicht.» Den bevorstehenden Weichenstellungen in der Schweizerischen Drogenpolitik, die für den Hanfanbau und -handel existenzielle Auswirkungen haben könnten, sieht Meyer, de r de n V e r e in de r Aa r g a ue r Hanfproduzenten präsidiert, gelassen entgegen: «Die Nutzungsmöglichkeiten der Hanfpflanze sind lange nicht ausgeschöpft. Ausserdem deuten alle Zeichen auf eine Entkriminalisierung von Hanfkonsum und besitz. Den Anbau von Naturhanf zu verbieten, wäre schlicht widersinnig.» Ein Kraut gegen viele Zipperlein In der Medizin wird Cannabis seit Jahrtausenden eingesetzt. Neue Studien sollen die Wirksamkeit der Droge klinisch belegen. Die ältesten schriftlichen Angaben zur medizinischen Nutzung von Cannabis entstammen einem 4700 Jahre alten chinesischen Lehrbuch. Aber auch in der abendländischen Medizin spielte Cannabis lange eine bedeutende Rolle. Bis zur Erfindung des Aspirin im Jahre 1898 war Cannabis in Amerika das am häufigsten benutzte Schmerzmittel. Zwischen 1842 und 1900 machten Cannabis-Präparate die Hälfte aller dort verkauften Medikamente aus. Derzeit ist die Wissenschaft im Begriff, die Vorzüge der weichen Droge in der Be handlung v e r schie de nste r Le ide n wiederzuentdecken. So wird derzeit die Wirkung von Cannabis auf das Appetitverhalten von Krebspatienten erforscht. Die fachliche Leitung der Studie, an der neben 20 europäischen Kliniken auch das St. Galler Kantonsspital und das Berner Inselspital beteiligt sind, liegt in der Schweiz. «Nicht zuletzt dank der liberalen CannabisPolitik in unserem Land», wie der St. Galler Professor Thomas Cerny betont. Erfo rscht werden insb eso ndere die schmerzlindernde, die krampflösende und die stimmungshebende Wirkung von Cannabis. Ein Drittel der Patienten erhält einen natürlichen Cannabis-Extrakt, ein Drittel ein synthetisches Produkt, ein weiteres Drittel ein Placebo. «Für Resultate ist es noch zu früh», so Cerny. «Die Hypothesen sind aber sehr günstig.» Auch in Basel laufen derzeit Versuche, mit denen die krampflösende Wirkung des C annab is-Pr äpar at s Dr o nab ino l b e i Paraplegikern und Multiple-SklerosePatienten belegt werden soll. An der Medizinischen Hochschule Hannover wurde eine kontrollierte Studie mit Delta-9THC bei zwölf Erwachsenen durchgeführt, die am Tourette-Syndrom leiden. Das Tourette-Syndrom ist eine neuropsychiatrische Störung, die durch vokale Tics gekennzeichnet ist. Das THC führte zu einer signifikanten Verminderung der Zwangssymptome. Das amerikanische National Institute of Health NIH hat 1997 festgehalten, dass die Wirkung von Cannabis-Präparaten weiter erforscht werden soll. Bewiesen ist bislang folgendes: THC lindert Schmerzen, wie zwei kontrollierte Studien an Krebspatienten e r g a b e n . Alle r din g s z e ig t e n s ich Dosierungsschwierigkeiten bei der oralen Verabreichung. Studien mit gerauchtem oder inhaliertem THC gibt es bislang nicht. Laut NIH gibt es Hinweise auf ein gewisses Potenzial bei der Behandlung von Epilepsie. Klinische Studien fehlen allerdings noch. Seit langem bekannt ist die therapeutische Wirkung von Cannabis bei Glaukomen (Grüner Star). Die örtliche Anwendung von THC vermindert den Augeninnendruck ohne N e b e n w i r k u n g e n , d e r Wirkungsmechanismus ist allerdings nicht bekannt. Unwirksam blieb THC bei der Behandlung der Parkinsonschen Krankheit und des Huntington-Syndroms. Das NIH empfiehlt, die Wirkung von THC in all diesen Indikationsbereichen weiter zu erforschen. Insbesondere bedürfe es kontrollierter klinischer Studien, wobei neben ph a r m a z e ut is ch e n Pr o duk t e n a uch gerauchtes Cannabis zu berücksichtigen wäre. Keine wissenschaftlichen Resultate abwarten mag Kathrin S. (30) aus Basel. Ihr ist die krampflösende Wirkung eines Gras-Joints längstens bekannt. «Früher schluckte ich T a b l e t t e n , u m m e i n e Menstruationsbeschwerden zu lindern. Heute rauch ich einfach eins, und die Schmerzen lassen sofort spürbar nach.» Lesen, Surfen, Radeln Einen vertieften Einblick in die hiesige HanfBranche ermöglicht das «Nachtschatten»Buch «Hanf-Szene Schweiz». Die Autoren stellen die helvetische Branche und ihre Exponenten vor, zeigen Betriebe, Produkte und die Menschen dahinter. Roger Liggenstorfer, François Reusser, Franz Schori: «Hanf-Szene Schweiz», Preis: Fr. 24.80, ISBN 3-907080-18-1 Das beste Sprungbrett für einen Surf durch das Schweizer Hanf-Netz ist die Link-Seite von Chonva Chrischoni. Die Adresse: www.spin.ch/SPIN/tpo/hanf/hanf-links.html Lust auf Gratis-Veloferien? Hanf-Aktivist Robert Frommherz startet diesen August zur 4. Tour de Hanf. Die Fahrt führt nach Berlin, wo die Hanfparade mit Hunderttausenden von Teilnehmern stattfindet. Dank der finanziellen Mithilfe von Sponsoren können die Tour-Teilnehmer einen Unkostenbeitrag beantragen. Jetzt anmelden! Nähere Infos bei: Robert Frommherz, Fax 055/243 13 14, E-Mail: [email protected]