Sex oder Tod - wie sich eine Kieselalge vor dem Kollaps rettet

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Sex oder Tod - wie sich eine Kieselalge vor dem Kollaps rettet
URL: http://www.uni-jena.de/-p-349728.pdf
Sex oder Tod - wie sich eine Kieselalge vor dem Kollaps rettet
Forscher aus Jena und Gent isolieren und charakterisieren
Sexualpheromon von Kieselalgen
Kieselalgen (Diatomeen) vermehren sich meistens durch ase−xu−elle Zellteilung. Ab und an wird
dies durch kurze Episoden sexueller Repro−duk−−tion unterbrochen. Dabei spielen Pheromone
eine wichtige Rolle, wie ein deutsch-belgisches Team jetzt nachweisen konnte. Wie die Forscher in
der Zeit−schrift "Angewandte Chemie" berichten, gelang es ihnen, einen dieser Lock−stoffe zu
iso−lieren und die Struktur zu charakterisieren.
Der "Deckel" muss nachgebildet werden
Kieselalgen haben harte mineralische Schalen, die wie bei einer Schachtel mit Deckel aus zwei
überlappenden Hälften gebildet werden. Während der asexu−el−len Zell−teilung erhalten die
neuen Zellen jeweils eine Hälfte der Schachtel und bilden den feh−lenden Deckel neu. Da der
nachgebaute Teil in der Schale der Mut−terzelle ge−bildet wird, nimmt die Zellgröße einer
Population stetig ab. Ist eine kritische Zellgröße erreicht, müssen die Kieselalgen sich sexuell
vermeh−ren, sonst ster−ben sie. "Sex oder Tod", bringt es Prof. Dr. Georg Pohnert von der
Universität Jena auf den Punkt.
Bislang gab es nur indirekte Hinweise, dass bei bestimmten Kieselalgen-Arten Phero−mo−ne als
Regulatoren bei der Paarung beteiligt sind. Die chemische Struk−tur dieser Signalmoleküle war
nicht bekannt. Das Team von den Univer−sitäten Gent (Belgien) und Jena hat nun die Rolle
solcher Botenstoffe bei der Alge "Seminavis robusta" erforscht.
Zwei sexuelle Zelltypen
Wenn die kritische Zellgröße bei S. robusta erreicht ist, differenzieren sich zwei sexuelle Zelltypen,
als + und - bezeichnet. Anschließend sammeln sich Zellen des beweglichen +Typs um eine
anlockende -Zelle. Das Team um Georg Poh−nert, Marnik Vuylsteke und Wim Vyverman konnte
belegen, dass beide Paa−rungstypen tatsächlich chemische Signale produzieren, die das
Paarungs−ver−halten des jeweiligen Partners aktivieren. Dazu extrahierten die Forscher das
Kul−turmedium der sexuell aktiven Algen und nutzten das Extraktionsmaterial als
Phero−mon−quelle.
Es zeigte sich, dass die Algen eigentlich träge sind. Erst wenn che−mi−sche Bo−ten−stoffe
anwesend sind, beginnt die sexuelle Bereitschaft beider Zell−ty−pen über−haupt. So setzen -Zellen
Stoffe frei, die die Beweglichkeit der +Zellen stark erhöhen. Und +Zellen setzen Stoffe frei, die
-Zellen paarungs−bereit ma−chen und dazu anregen, das eigentliche Lockpheromon abzusondern.
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Beide Paa−rungs−typen nutzen also Signalstoffe, um sich der Anwesenheit eines reifen
Se−xualpartners zu versichern, bevor sie selbst in die sexuelle Antwortreaktion in−ves−tieren.
"Dies erhöht die Chancen einer erfolgreichen sexuellen Vermeh−rung", verweist der Jenaer
Chemiker Pohnert auf die Effizienz des Prozesses.
Anhand eines Vergleichs der in verschiedenen Phasen des Vermehrungszyklus ausgeschiedenen
Stoffwechselprodukte fanden die Forscher den Lockstoff der -Zellen. Sie isolierten und
identifizierten ihn als "Diprolin". Ausgehend von der Ami−nosäure Prolin synthetisierten sie den
Stoff und bestimmten dessen abso−lu−te Konfiguration.
Lockchemie für die Algenzucht?
Diprolin ist bisher noch nicht als Pheromon beschrieben, wurde aber in höheren Pflanzen und
Pilzen bereits nachgewiesen, wo ihm antibakterielle Aktivität zu−ge−−schrieben wird. "Es bleibt
nun zu erforschen", sagt Prof. Pohnert, "inwie−weit diese neue ,Lockchemie' dazu genutzt werden
kann, das Wachstum von Algen in Aquakulturen zu unterstützen oder auch lästige Biofilme der
Algen zu kon−trol−lieren."
Original-Publikation:
Jeroen Gillard, Johannes Frenkel, Valerie Devos, Koen Sabbe, Carsten Paul, Martin Rempt, Dirk
Inzé, Georg Pohnert, Marnik Vuylsteke, Wim Vyverman: Metabolomik unterstützt die
Strukturaufklärung eines Sexual−phe−romons von Kieselalgen, Angewandte Chemie, DOI:
10.1002/ange.201208175
Kontakt:
Prof. Dr. Georg Pohnert
Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Lessingstr. 8, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 948170
E-Mail: [email protected]
Meldung vom: 19.12.2012 07:42 Uhr
Forscher aus Jena und Gent isolieren und charakterisierenSexualpheromon von Kieselalgen
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