Die Bretagne ist reich an Schalen- und Krustentieren

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Die Bretagne ist reich an Schalen- und Krustentieren
Prêta
manger
Die Bretagne ist reich an Schalen- und Krustentieren.
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reportage | bretagne
Die Fussfischerhaben sich nach
den Gezeiten, dem Ein- und
Ausatmen des Meeres, zu richten
Die Schafchenwolken am hortensienblauen I l i m m e l geraten îns
Stocken, derTGV verliert seine grande vitesse, «Brest, gare terminus.» Im Finistère, am wortwôrtlichen Ende der Welt, enden allé
Gleise.das Paradies fur Liebhabervon Meeresfriichten beginnt. Die
Verabredung mit dem Patron vom Le Crabe Marteau, Pierre Cosmao,
steht fur heute Abend. Sein kleines Restaurant am Hafen ist nicht
ùberhôrbar. Tack. Tack. Tack. Gàste hocken und hammern hier wie
Richter mit ihren Holzhammern auf gekochte Krabben ein, die wohl
oder ù'bel das Namensgericht des Lokals reprà'sentieren. Wie es
schmeckt? Der Hammer!
Die rund ein Kilogramrn schweren Krabben werden in einer
Bouillon gekocht und mit Mayonnaisen, Vinaigrette, gesalzener Butter, knusprigem Brot und geschwellten Kartoffeln serviert. «Die Seespinnen brauchen exakt 17 Minuten», erzâhlt Kevin und zeigt auf die
Stoppuhr in der Kuche. Der rotbartige Kevin ist der Chefkoch im
Crabe Marteau. Stolz zeigt er sein Reich, die fangfrischen Krabben
und Kaisergranaten sowie dievielen Kochtopfe, «les marmites», aus
denen es kiistlich dampft und duftet. Der Magen knurrt, Kevin hat
ein formidables Gehor. Flinkzerlegter nàmlich einenTaschenkrebs,
nirnmtden Holzhammerund schlâ'gteine seinerScherenauf, «Voilà,
c'est pour toi.» Das noch warme Muskelfleisch - «impeccable». Kevin strahlt und klopft die zweite Schere auf, die in hausgemachte
Mayonnaise mit Estragon getunkt und mit gesalzener Butter auf
einem warmen Kartoffelstûck sofort genossen wird. Einfach kiistlich, so ist das Crabe Marteau seit nun sieben Jahren. Le voilà, le
Patron: 1m Tiïrrahmen zur Kiiche steht plôtzlich Pierre Cosmao. Er
ist soeben zurùck aus Paris, wo ervor einem Jahr sein zweites Restaurant erôffnet hat, unweit des Arc de Triomphe. Sein Hammerkonzept triumphiert, weil es einfach funktioniert.
«Die Taschenkrebse und Seespinnen werden nachts gefangen
und friihrnorgens in Roscoff auf zwei Lastwagen verladen. Dereine
fâhrt westwârts, der andere ostwarts, sodass die Ware punktiich zu
Mittag ankommt, ob in Brest oder Paris», sagt der logistisch offenbar
versierte Bretone, der vor seiner Gastrokarriere mit Baggern und
Bulldozern handelte. Schon ist es Mitternacht. Der Meeresspiegel ist
um einige Meter gesunken. Tief unten im Hafenbecken glitzert der
Vollmond. Sonne, Erde und Mond liegen auf einer Achse, derGezei-
•'..
•
tenunterschied zwischen Ebbe und Plut ist jetzt besonders gross.
Morgen um die Mittagszeit wird in der 180 Quadratkilometer grossen Rade de Brest erneut viel Meeresboden trocken fallen - ein
gedeckterTisch fur allé pêcheurs à pied. Werwie die «Fus s fi s cher»
etwas vom Meer môchte, hat sich nach den Gezeiten, dem Ein- und
Ausatrnen des Meeres, zu richten. Und natiirlich nach dem Wetter.
«Fine hiesige Wetterregel lautet: Siehst du die Halbinsel von Plougastel, wird es bald regnen. Siehst du sie nicht, regnet es.» Lachen
unter Sternenhimmel. Der sechsundsiebzigjâhrige Admirai Stéphane, wie er im Crabe Marteau respektvoll genannt wird, muss es wissen, schliesslich diente er jahrzehnte in der franztisischen Marine.
Seinen Grad tragt erûbrigens zu Recht, er ist ein echter Admirai zur
Seea.D. Ich sageauch ade.dernachste Morgen kommtbestimmtund
mit ihm eine Reise auf die Halbinsel von Plougastel und weiter entlang der Rade de Brest.
Ein Kind spielt am Boden, langweilt sich und lasst das Spielzeug
einfach liegen: Genauso hat es wohl ein Riesenbaby mit den Booten
hier gemacht, die auf dem Meeresboden herumliegen. Die Finnen
der Segelboote stecken tief im grauen Schlick, in dem pêcheurs à
pied nach Muscheln suchen. Fâllt eine ausserordentliche Springtide
(grande marée) auf ein Wochenende odereinen Feiertag, ist das fur
viele Bretonen wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Es gibt
Internetseiten,wo man fureinen bestimmten OrtundZeitpunktden
Gezeitenstand abrufen kann. ÛberTwitter lasst sich der Stand des
Meeresspiegels sogar in Erinnerung zwitschern. Ein altérer Herr
zeigt stolz seinen Drahtkorb, der Kostlichkeiten wie die runde, flache
Europàische Auster (Ostrea edulis, huître plate) enthàlt.
Dièse in derBretagneheimischeAuster ist in Europa in derMinderheit: 99 Prozent der auf dem Markt erhaltlichen Austern sind
Pazifische Felsenaustern (Crassostrea gigas, huître creuse). Zwei
Epidemien in den 1970er-Jahren dezimierten die Bestande der Europâischen Auster drastisch. Daraufhin kultivierte man die resistente
und zudem schneller wachsende Felsenauster. Doch seit rund
15 Jahren vermehrt sich die Pazifische Felsenauster in der Bretagne
explosionsartig - ausserhalb der Kulturen. Bis in die 1980er-Jahre
war man sich sicher: Die Felsenauster kann sich nordlich der LoireMiindung im Sommer nicht vermehren, weil das Meer zu kalt ist
(unter 18 Grad). Doch dann wurden unweit der Austernkulturen
immer haufiger Pazifische Felsenaustern entdeckt. Wegen der um
rund ein Grad gestiegenen Wassertemperatur ùberlebten die
Austernlarven, entwichen aus den Aquakulturen und bildeten wilde
Kolonien. Seit Mitte der 1990er-Jahre explodieren dièse verwilderten
Populationen, die Delikatesse wird zur Plage, gut zu sehen in der
Rade de Brest: Aus dem Wasser ragen bizarre, aus Austern bestehende Riffe, die auf den Seekarten nichtverzeich.net sind. «Sieverkratzen Bootsriimpfe und schlitzen Schlauchboote auf», schimpfen
'
reportage | bretagne
die Einheimischen.Das felsige Uferist zugepflastert mitAustern, ans
Barfussgehen ist nicht zu denken: Die Austernschalen sind scharf
wie Rasierklingen, ein Albtraum fur jeden Tourismusort. Wenigstens sind die Zahlen eindriicklich: 2004 schàtzte man die Masse
verwilderter Felsenaustern in der Rade de Brest auf 10000 Tonnen,
drei Jahre spater schon auf 15000 Tonnen, was der HàTfte der jahrlichen Austernproduktion der Bretagne entspricht! An einigen
Stellen findet man bis 1000 Exemplare oder bis 45 Kilogramm
Austern - pro Quadratmeter. Bei guter Wasserqualitàt steht einer
kostenlosen Douzaine nichts im Wege - ein besonderes Erlebnis.
Apropos gratis: Nicht selten kommt es in den /ahlreichen Austernparks zu Diebstâhlen, insbesondere vorWeihnachten, der Hauptsaison. Auch eine Art zu fischen.
Die Austernziichter wenden die grobmaschigen Sàcke regelmassig, damit die Austern nicht zusammenwachsen. In derfreien Natur
aber wachsen die Felsenaustern am Fels fest, oft sehr dicht beisammen. Die losgelosten Austern sind unfô'rmig und daher fur den Verkauf ungeeignet. Die wilden Kolonien konkurrenzieren die Austernzuchter daher kaum - bislang. Denn seit Mai 2008 sterben in den
Kulturen die Jungaustern in Massen, bis 90 Prozent. Im Juli 2008
wurde in der Rade de Brest ein Sammelverbot fiir verwilderte Austern erlassen,um die Austernzuchterzu schonen. Doch die pêcheurs
à pied protestierten, das Verbot wurde aufgehoben. Fur das Massensterben junger Felsenaustern verantwortlich ist ein Herpès-Virus,
der Verzehr infizierter Austern aberunbedenklich. Die Europàische
Auster ist von diesem Virus nicht betroffen. Untersuchungen hatten
gezeigt, so Nathalie Cochennec von IFREMER (Institut français de
EAT, D R I N K , T A L K , E N J O Y
Die wertvollen Seeohren, auch
Truffel des Meeres genannt,
wachsen in rund zehn Metern Tiefe
recherche pour l'exploitation de la mer), dass die verwilderten
Jungaustern vnm Virus ebenso betroffen sind. Zuchterund Forscher
versuchen, resistente Austern zu selektieren und weiter zu ziïchten.
Im Mai 2010 wurden in der Nàhe von Nantes 37 Speziallizenzen an
Austern ziichter vergeben, damit sie wilde Jungaustern einsammeln
und so ihre Au sf ai le in den Kulturen kompensieren konnten. Die
Austernzuchtistzu einem Klumpenrisikogeworden, Diversifikation
irn Angebot der Aquakulturen ein Ausweg aus der Krise. Grosses
Potenzial schlummert in derZuchtvon Abalone (Seeohren, ormeaux,
Haliotis tuberculata) und der Ernte von Speisealgen.
«Would you like a cup of tea?», fragt lain MacKenzie Sproat, der
das Boot steuert, nachTee mit Milch fragt und diesen in derSteuerkabine kocht. Richtige Mànner konnen eben doch mehrere Uinge
gleichzeitig erledigen. Wahrend er den Tee heiss serviert, tuckert
der Kahn seelenruhig aus dem Aber Wrac'h, aïs kenne er den Weg
von allein. Die Felsenriffe bringen den Schotten lain nicht aus der
Ruhe - Genuss muss Zeit haben und Stil. Zusammen mit Xavier
Lesage sind wir unterwegs zu den Seeohren, den «Trùffeln des
Meeres». Auf rund in zehn Metern Tiefe wachsen die wertvollen
Kostlichkeiten heran, bis sie in drei bis fiinf Jahren die gewunschte
Grosse zwischen fiinf und acht Zentimetern erreicht haben. Die
5000 Quadratmeter grosse Aquakultur liegt im Windschatten einer
kieinen Insel, Bojen markieren die Positionen der 120 aus je vier
Zuchtkàsten bestehenden Konstruktionen. Wenn die Mollusken die
Verkaufsgrosse erreicht haben, enthâlt eine solche Konstruktion
zwischen 50 und 60 Kilogramm Seeohren. Pro Monat werden rund
400 Kilogramm Seeohren geerntet.
Rechts von uns ragt der achtzig Meter hohe Phare de l'île Vierge
in den Morgenhimmel, derhochste Leuchtturm Europas. Ebenso herausragend ist das Werk von Sylvain Huchette, dem Grunder und
Chef von France Haliotis. Ihm und seinem Team ist das gelungen,
was in Frankreich in den 1970er-Jahren vergeblich versucht vvurde:
DieZuchtvon Seeohren auf offenerSee. Nach dem Masterof Science
in Aquakultur an der schottischen Universitat Stirling ging Sylvain
nach Australien, um die Abalone zu studieren. Zusammen mit anderen Wissenschaftern der Universitat Melbourne loste erbestimmte
Problème im Zusammenhang mit der Fortpflanzung der Seeohren.
Mit diesem wertvollen Wissen und dem Doktortitel in Meereszoologie im Gepack kehrte Sylvain nach Frankreich /uruck. 1m Jahr 2003
entschied sich der kluge Kopf mit den wilden Locken, aïs Erster in
Frankreich Seeohren auf offener See zu zùchten. Durch ein stetes
Learning-by-doing kamen die ersten Erfolge, seit 2008 macht das
Unternehmen France Haliotis keine Verluste mehr. Das Kilogramm
Zucht-Seeohren kostete bei France Haliotis anfang des Jahres 69
Euro, Schneckengehàuse inklusive. Oft sind die Seeohren schon
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Bei Raimat respektieren wir die Natur, sodass
auch die zukùnftigen Generationen weiterhin
unsere Weine genieRen konnen.
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wir uns nach und nach Weinbaumethoden
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Dièse Weise der Landbearheitung gestattet
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Auszeichnungen, welche wir im letzten Jahr
international erhalten haben, sind ein klarer
Beweis dafùr.
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reportage j bretagne
verkauft, wenn sic noch heranwachsen. «Was die Gewinnung
neuer Kunden betrifft, stellen wir uns momentan tôt», erzahltSylvain miteinem Schmunzeln. Derkleine Kran achzt. Ein dunkles,
quadratisches Etwas taucht auf und durchbricht mit grossem
RauschendieWasseroberflâche.An dervierteilîgen Konstruktion
hângen bunte Algen, bernsteinfarbener Zuckertang flattert im
Die Austernzucht ist zu einem
Klumpenrisiko geworden. Auswe;
aus derKrise: Diversifikation
Wind. Im Sommerhalbjahr werden die Seeohren rund allé zwei
Wochen mit dem proteinreichen Lappentang (Palmaria palmata)
gefùttert. Fiirein Kilogramni Seeohren werden rund zehn Kilogramm Lappentang benotigt. Dièse rotfarbige Alge wird lokal
gesammelt und ist auch eine hervorragende Speisealge. Xavier
und lain entfernen mit dem Spachtel die Algen, damitdas Wasser
wieder gut durch die Kasten zirkuliert, was Krankheiten vorbeugt. Dann schrauben sie die Deckel der «Schatzkisten» aufdie Spannung steigt. «Okay, my babies, let's hâve a look». lain
schaut genau hin, wie es seinen Seeohrchen geht. Vorsichtig entfernt er die aften Algen. Zum Schluss erhalten die Seeohren frischen Lappentang, ergànzt durch die abgespachtelten Algen. Antibiotika oder Wachstumshormone sind bei France Hallotis Tabu.
«Unsere Seeohren haben ein naturliches Label.»
Xavierzeigt die Aussenschale eines rund zweijà'hrigen Tieres:
Im inneren Bereich ist die Schale griinblau, gegen aussen rôtlich.
Im ersten Jahrleben die Seeohren in Becken an Land und fressen
grùne Mikroalgen, auf dem Meer dann mehrheitlich den rôtlichen Lappentang. «An der Aussenschale kann man sehen, welche Algen die Tiere gefressen haben, da sich die Pigmente der
Algen in der Schale einlagern. Auf dièse Weise sind unsere Seeohren identifizierbar», erklàrt Xavier. Dièses Erkennungsmerkmal hat schon einige Taucher iiberfùhrt, die illégal nach wilden
Seeohren tauchten und dann derPolizei gegenùber behaupteten,
sie hàtten dièse bei France Haliotis gekauft. Plotzlich klatscht es.
Xavier hat lain mit Algen attackiert. lain holt zuin Gegenschlag
aus, doch Xavier rettet sich in Sicherheit. lain schwôrt Rache mit
einem klingonischen Zitat aus dem Film Kill Bill: «Revenge is a
dish best served cold.»
Dish, das Stichwort ist gegeben: Die beiden sympathischen
Kindskopfe verschliessen die Kasten und versenken die Konstruktion wieder, Mittagessen auf dem Meer. Wie bereitet man
eigentlich ein Seeohr zu? Xavier nennt das schnorkellose Rezept:
«Mit einem Messer das Fleisch von der Schale trennen, den
weissfleischigen Fuss heraustrennen und wie ein Schnitzel
etwas klopfen. Dann in Butter und etwas Olivenol beidseitig kurz
anbraten, etwas Salz und Pfeffer, fertig.» Friiher gab es ira
Finistère soviele Seeohren, dass sie sogardenHùhnernverfuttert
wurden. Doch dann entdeckte man den lukrativen Export nach
Fernost: Das intensive Sammeln brachte das Seeohran den Rand
des Aussterbens. Bis 1994 galt daher ein absolûtes Sammelverbot. Nur dank der mengenmàssigen und zeitlichen Sammelbeschrankung, der Mindestgrosse (9 cm) und dem Tauchverbot
konnte das Seeohr wieder gesammelt und zugleich vor dem Aussterben bewahrt werden.
Mittlerweile ist Ebbe, die Landschaft vom Morgen nichtwiederzuerkennen. Auf dem Deck steht eine Konstruktion mit Seeohren Jahrgang 2008, bereitfiirden Verkauf. Und ein EimerWas-
i Courtois mit
seinem Mitarbeiter
Julîan an der
Masclntne, die den
meteriangen Riementangzerschneidet.
60
ser neben der Steuerkabine. lain blinzelt. «Das Gericht ist kalt
geworden», sagt er, schnappt sich den Eimer, und zehn LîterWasser
erwischen Xavier eiskalt. Am Ufer empfângt uns der Chef, Sylvain
Huchette. «Wie sieht die Zukunf't von France Haliotis aus, Sylvain?»,
fragt lan, der Journalist wolle es wissen. «Wir planen eine zweite
Aquakulturrund 15 Kilometerostlich von hier», erzahlt Sylvain. Die
Froduktion von heute knapp fiinf Tonnen pro f a h r soll verdoppelt,
das Risiko eines Totalausfalls verringert werden, zum Beispiel im
Falle eines havarierenden Ôltankers, Doch noch gibt es lokalen Widerstand gegen das Projekt, der aber kaum nachvollziehbar ist. Xavier sieht daher den Grund fur den Widerstand woanders. «Sylvain
und ich stamrnen aus der Région Nord-Pas-de-Calais - nichtnurlain,
sondern auch wir zwei gelten hier aïs Auslànder.» Die Aufzucht junger Seeohren vom Ei auf hat angesichts des Massensterbens bei den
Jungaustern grosses Potenzial: Immer mehr Austernzuchter diversifi/ieren aus AngstvordemTotalausfall ihrAngebot. Bei France Haliotis kosten junge Seeohren (10 mm) 20 Cent das Stiick, wobei auf
See mit einem Ausfall von rund 25 Prozent innert drei Jahren zu
rechnen ist.
«Keep right» - auf gelben Warnschildern winken Eulen die Ankommlinge von deranderen Seite des Àrmelkanals auf die richtige
Strassenseite. «Wir sind arn Hafen, doch fahren Sie mit dem Auto
nient in den Fâhren-Zubringer, sonst landen Sie in England oder Irland», warnt Henri Courtois am Telefon. Entlang der Strasse nach
Roscoff bestellen die Bauern die Felder, Staubwolken steigen auf.
Dieser April sei der trockenste seit 50 lahren. «Zum Gluck hat es im
Meer noch geniigend Wasser», erganzt Henri Courtois, Griinder und
Chef von Algue Service, trocken. Der britische Humor ist eben nicht
weit. Gelàchelt batte auch manch einer, aïs Henri vor funfzehn Jahren begann, Algen aus der Région zu verarbeiten. «Zu Beginn war
Algue Service eine One-Man-Show, ich machte allés selber: Ich
wusch, schnippelte, salzte und trocknete die Algen.» Heute hat das
Unternehmen zehn Mitarbeitende, der Platz wird knapp. Vor der
Griindung der eigenen Firma naïf Henri aïs Finanzberater anderen
Leuten bei der Firmengriindung. «Doch letztlich war es eine Beobachterposition, nichts Handfestes», erzahlt er. Aïs der Sushi-Boom
einsetzte und vermehrt Speisealgen aus Japan importiert wurden,
Grosses Potential schlummert in
derZuchtvon Seeohren
und der Ernte von Speisealgen
fragte er sich: Weshalb importieren, wenn wir hier in der Bretagne
beste Speisealgen vor der eigenen Hausture haben? Aktuell verarbeitêt Algue Service sechs Algenarten: Zuckertang, Riementang, Lappentang, Hauttang (Nori), Meersalat und Wakame. Henri zeigt auf
derKarte, wo erdie rund 100 Tonnen Algen pro Jahrvon lokalen Algensammlern bezieht. Es sind kiistennahe und lichtdurchflutete
Plateaus, die bei starker Ebbe (grande marée) trocken fallen. Die
grôssten Algenfelder Europas liegen um die île de Batz gegenùber
Roscoff und im Archipel Molène-Ouessant.
Henri Courtois tùftelt standig an neuen Rezepten herum, wobei
er eng mit der franko-japanischen Kôchin Laure Kié zusammenarbeitet. Sie integrieren die Alge in die franko-europaische Kuche und
kreieren neuartige euro-asiatische Kombinationen. «Algen bedeuten Sushi - dièse fixe Vorstellung mochten wir aufbrechen. Dennmit
dem Abflauen des Sushi-Booms in Europa droht die Alge sonst wieder in Vergessenheit zu geraten», ist Henri uberzeugt. DerTartare
d'algues provençal aus viererlei Algen, Olivenôl, Gurken, Kapern,
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Bretonische Speisealgen
VICTORINOX
lm Finistère wachsen rund 800 verschiedene Algen. Wir sind am Ende der Welt auf
Algensuche gegangen: Auf der Insel Molène haben wir innert weniger Stunden ùber 30
verschiedene Algen gefunden, darunter 20 mit kulinarischem Wert. Zehn derfrischen
Algen stellen wir Ihnen hier stichwortartig vor:
PORPHYRA UMBILICALIS (Hauttang, Nori, Laver)
Verarbeitet zu Nori-Blattern fur Maki-Sushi. Mur eine Zellschicht dick. Geschmack nach
rauchigem Tee, getrockneten Pilzen, Austern. Aïs Paste auf Ofenkartoffeln, zu
Omelette, in Saucen, aïs Suppeneinlage. In Wales/lrland seit Jahrhunderten gesammelt,
zu Paste verarbeitet (Laverbread, Welsh Caviar, Black Butter), mit Haferflocken zu
Kiichlein geformt und mit Speck, Ei und Wurst gebraten. Eiweissgehalt von Nori mit 35%
etwa wie Soja. Zehnmal so viel Vitamin A wie Karotten.
ULVA LACTUCA (Meersalat, laitue de mer, Green Laver)
Aussehen wie junge Salatblatter, zwei Zellschichten dick. Frischer, vollmundiger
Geschmack, erinnert an Sauerampfer. Roh fur (Gurken-)Satate, Vinaigrette,
Rscnmarinaden. Gekocht in Muschel- und Fischgerichten, Risotto, Suppen, Eintopfen.
Idéal zum Ummanteln von Fleisch, Fisch.
ENTEROMORPHA LINZA (Gewellter Darmtang, Sirenenhaar, Aonori, Gutweed}
Bei Ebbe wie grûnes Haar auf runden Steinen. Zweischichtige Alge fûllt sich bei Flut mit
Gas, schwebt senkrecht im Wasser wie Ballon, Darm (Marne). In Japan Gewûrz in
Pulver- oder Flockenform fur Gerichte wie Yakisoba, Takoyaki, Tempura oder Bestandteil
der Gewûrzmischung Shichimi. Geeignet zu Hîilsenfrùchten, Nudeln, Eiern.
LAMINARIA SACCHARINA (Zuckertang, Kombu Royal, baudrier de Neptune, Sugar Kelp]
Aussehen wie Krokodilhaut. Siisslicher Jod-Geschmack. Fleischig-knackige Konsistenz,
weich an Râ'ndern. Enthalt fast doppelt so viel Glutaminsaure wie Sojasauce, fur
geschmackvohe (umami) Brune, dashi fur Misosuppe. Idéal fur Wîckel (Fisch, Fleisch,
Kâ'se): Alge gibt Geschmack îns saftige Innere ab, aussen knusprig. Senkt zudem
Kochzeit von Hùlsenfrùchten und Getreide.
PALMARIA PALMATA (Lappentang, Dulse, Purple Laver)
Mîlder Geschmack nach Krustentieren, Haselnuss. Roh knackig, gekocht sehr zart.
Fur Seefahrer einst Mittel gegen Skorbut, da viel Vitamin C. Marinade mit
Zitronensaft, Salz, Pfeffer und Olivenbl fur: Salât, zu Fisch oder auf Toast. In Suppen,
Eintopfen oder zu Meeresfrûchten. In Irland getrocknet aïs Knabberei, getunkt
in dunkles Bier (Stout). Britisches Muffin-Rezept mit Lappentang und gerauchertem
Hering.
SARGASSUM MUTICUM (Japanischer Beerentang, petits pois de la mer)
Die luftgefûllten Blasen sorgen fur Auftrieb, schmecken verbliiffend wie Erbsen. Stammt
ursprûnglîch aus dem Pazifik, in den 1970er-Jahren vermutlich mit Zuchtaustern
eingeschleppt. Blasen kdnnen so viel Auftrieb erzeugen, dass der Stein, an dern die Alge
festgewachsen ist, emporgehoben wird.
LAURENCIA PINNATIFIDA (poivre de rner, Pepper Dulse)
Uberraschende, frische, sehr angenehme Pfefferschàrfe. In Schottland an Sonne
getrocknet, in Pfeffermûhle gemahlen aïs Gewûrz, Pfefferersatz fur Suppen,
Eîntopfe. In Island gekaut wie Tabak. Modernes britîsches Gericht: Miesmuscheln,
mariniert mit Pepper Dulse.
HIMANTHAL1A ELONGATA (Riementang, haricot/spaghetti de mer)
Meeresspaghetti werden bis drei Meter lang. Milder Meergeschrnack. Zarte, fleischige
Konsistenz. Reicn an Vitamin C. Zubereitung wie grûne Bohnen oder Spaghetti,
gar in 7 bis 10 Minuten. Roh in Salât oder kurz blanchiert aïs Beilage zu Fleisch, Fisch.
In Darnpfkochtopf oder im Wok. Fur Reisgerichte, idéal zu Pasta mit Meeresfriichten
(Muscheln, Garnelen).
CHONDRUS CRISPUS (Knorpeltang, Carrageen-Alge, pioka)
Zur Herstellung von Karrageen, E 407, Gelier-, Stabilisierungs- und Verdickungsmittel.
Zugelassen fiir Bio-Lebensmittel. Fiir Milchprodukte, Saucen, Fleischwaren,
Konfitûren, Pudding, Glace u.a.m. Rund 40 g (getrocknet), um 1 I Milch zu gelieren.
Alternative zu Gélatine. In der Bretagne traditionelles, aber fast vergessenes Rezept: Flan
de pioka, ahnltch Panna cotta. Einst kraftigendes Getrank fiir Kinder aus pioka.
GELIDIUM S E S Q U I P E D A L E
CeramicLme
Victorinox AG,
CH-6438 Ibach-Schwyz, Switzerland
T+41 41 818 12 11, F+41 41 818 15 11
[email protected], www.victorinox.com
Zur Herstellung von Agar-Agar, E 406, Gelier-, Stabilisierungs- und Verdickungsmittel.
In Japan seit dem 17. Jahrhundert gebrauchlich. Alternative zu Gélatine.
Fur Fruchtsafte, Saucen, Suppen, Sûlzen, Joghurt, Mousse, Mayonnaise, Konfiture u.a.m.
1 TL (gestrichen) Pulver reicht fur 0.5 I Flûssigkeit, 2 TL fur 1 kg Frûchte. Stabil in
saurem Milieu: Einziges Geliermittel fur Ananas, Kiwi (Pudding).
reportage | bretagne
Im Uhrzeigersinn von oben links
Porphyra umbilicalis
Ulva lactuca
Enteromorpha linza
Laminaria saccharina
Palmaria palmata
Im Uhrzeigersinn von unten rechts:
Sargassum muticum
Laurencia pinnatifîda
Himanthalia elongata
Chondruscrispus
Gelidium sesquipedale
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reportage | bretagne
Mond und Sonne entscheiden ûber
den Beginn derVorbereitung fur
dièses Dessert
Zwiebeln, Schalotten, Knoblauch, Basilikum, Oregano, Rosmarin
und Thymian oder der Dijon-Senf mit dreierlei Algen sind zwei Beispiele gelungener Kreationen aus derProduktlinie bord à bord. Trotz
der grossen Algenvielfalt gibt es in der Bretagne keine ausgepràgte
Tradition, Algen in der Kuche zu verwenden. Dabei sind Algen sehr
wertvolle Lebensmittel, reich an Eiweiss, Vitaminen, Mineralien
und Spurenelementen. Der Lappentang zum Beispiel enthalt so viel
Eiweiss wie Kâse - kein Wunder, stehen Algen auf dem Menùplan
derNASA-Astronauten. In den 1950er-Jahren begann die Lebensmittelindustrie, aus Algen Inhalîsstoffe zu gewinnen, die noch heute in
vielen Lebensmitteln enthalten sind, meistverborgen hinterden Abkùrzungen E 401 bis E 405 (Alginate), E 406 (Agar-Agar) und E 407
(Karrageen). Die gelierenden, verdickenden Eigenschaften dieser
Inhaltsstoffe dienen der Herstellung von Glace, Crèmes, Pudding,
Knnfitiire, Kuchen, Joghurt, Fruchtsâften, Gelée, Sulzen, Fertigsuppen, Ketchup u.a.m. «Speisealgen sind in den europaischen Kuchen
ein Novum, haben Potenzial, werden aber ein Nischenprodukt bleiben», kornmt Henri Courtois zum Schluss.
«Warum fliistern Sie? Es ist doch schon 9 Uhr...» Cécile Masson,
Patronne des Hotels Kastell-an-Daol auf Molène.zeigt auf die Uhr an
der Wand, 7 Uhr. «Nous avons l'heure juste ici», erklàrt Madame
Masson. «Allé richten sich nach der Sonnenzeit, die andere Zeit interessiert hier niemanden.» Und der Schifffahrplan? «Nur hier sehen
Sie, dass die Erde eine Kugel ist - und Molène liegt zuoberst», lacht
Madame mit dem Lachen, mit dem man Ernstgemeintes verpackt.
Heute treffen wir Frédéric Le Bousse, der Bootsfahrten ins Archipel
anbietet, und Yannig Masson, Sohn von Cécile, Koch und Chef vom
Restaurant Kastell-an-Daol. «Fruherdungte man hier die Kartoffeln
mit Algen, goss sie mit Meerwasser. Mit den getrockneten Algenstà'mmen machte man ein klasse Barbecue. Oder den Flan de pioka,
einen Algenpudding.» Und heute? «Die erste Reaktion der Molénais
wà're: Aber das bedeutet ja Arbeit!? Die Leute hier sind gleichgûltig,
trage. Sie wettern gegen das ferne Paris, doch etwas anstossen wollen sie nicht. Vielleicht miissen wirwachgeriittelt werden von Leuten
ALGENPUDDING: FLAN DE PIOKA
Im Gegensatzzu îhren Grossmuttern kennen die jungen Bretonen das
traditionelle Dessert kaum noch. Nicht so Yannig Masson: Der
Chefkoch vom Restaurant Kastell-an-Daol auf der Insel Moiène stellt
den Algenpudding noch her. Unserem Autor, Markus Brupbacher, hat
er das Rezept verraten. Ziel: Wackelpuddîng aus selbst gesamrneltem
Knorpeltang (bretonisch: pioka) herstellen. Das Beweisfoto zetgt:
Mission erfûllt, der Algenpudding wackelt.
Vorbereitung Ungewohnt fur jeden Binnentand-Konditor: Mond und
Sonne entscheiden iiber den Beginn der Vorbereitung fur dièses
Dessert. In der Zeit von Voll- und Neumond herrscht Springtide
(grande marée), bei Ebbe fallt also besonders viel Meeresboden
trocken. Die dann gesarnmelte Pioka-Alge wird an der Sonne
getrocknet. Im Wechsel von Sonne und Regen verliert sie îhre violette
Farbe und bleicht nach ein paar Wochen aus. Der Knorpeltang enthalt
Karrageen, das die Milch gelîeren lasst. Aïs Zutaten fur den Flan de
pioka reichen die getrocknete Alge und Milch, meîst werden aber
Zucker und Vanille hînzugefùgt. Unser Autor mag den Flan de pioka
jedoch nature, weil nur dann derfeine, lîebliche Geschmack der Alge
hervortritt.
Zubereitung Fur ! I Milch zwei Handvoll getrockneten Knorpeltang
fur 60 Min. in kaltem Wasser einweichen, danach dreimal ausspiilen,
abtropfen lassen und in Milch geben. Milch aufkochen und auf kleiner
Hitze fur rund 15 Min. kocheln lassen. Vom Herd nehmen, etwas
abkiihlen lassen und lauwarme Masse durch Sieb streichen. Dann
nochmals fur 5 Min. erhitzen, in kalte Schalchen fûllen und fur rund
3 Std. kùhl stellen. In derZwischenzeît fruchtige Beilagen nach
Belieben zubereiten. Besonders typisch fur die Bretagne sind wilde
Brombeerstauden an der Kùste oder Apfelbaume im Hinterland.
Warum also nicht eine Apfel-Cîdre-Mousse und ein Bro m béer-Purée
zum Flan de pioka? Yec'hed mat & guten Appétit!
wie dir, von aussen, von einem Auslà'nder», antwortet Frédéric.
Gleichgùltigkeit ist das eine, der Neid das andere - wie gegenûber
Sylvain Huchette und seinem Team. «Allé Molénais erzàhlen dir,
dass geziichtete Seeohren fade seien - so ein Blodsinn! Sie sagen
das, weil sie neidisch sind, besonders auf Auswartige, die Erfolg haben.» Das erzâhlt ein Exil-Molénais auf der Nachbarinsel Ouessant,
zugegeben, erst nach dem dritten Bien Menschen mit Blick aufs
Meer sind eben nicht per se weitsichtig, genau so wenig wie Bewohner enger Bergtaler per se engstirnig sind. Solche Ethno-Topographie ist Humbug. Wir machen uns auf zum Hafen,esgehtheimwàrts.
Cécile Masson kommt entgegen und ruft: «Nous avons l'heure juste
ici.» Hàtten wir auf Madame gehort, hatten wir das Schiff verpassl
und sie hatte noch eine Ubernachtung verrechnen kiinnen. Verpassen aber die Bretonen ihre kulinarische Zukunft und vergessen sie
die Kuche ihrerGrossmutter,wàre das viel bedauerlicher. Zum Gluck
gibt es Menschen wie Pierre Cosmao, Sylvain Huchette und Henri
Courtois. Ihre frischen Ideen lassen hoffen.
Die Bauernhofbrennerei
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Pot-Still Whiskybrennerei
eigene Màizerei
Besichtigung • Apéro - Dégustation
geistreiche Seminare
Urs Liithy, Suhrgasse 27, 5037 Muhen
Tel. 062 723 11 69, www.swiss-single-malt.ch
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