Stopp oder go für Rammstein?

Transcrição

Stopp oder go für Rammstein?
SÄNDNINGSDATUM: 2008-11-25
REPORTER/PRODUCENT: KRISTINA BLIDBERG
PROGRAMNR 100930/ra13
Sag’s mir!
Stopp oder go für Rammstein?
Programmanus
Sprecher:
Herzlich willkommen! Ich heiße Thilo Jahn und das hier ist unser Programm
„Stopp oder go für Rammstein?“.
/Rammstein: „Links, 2, 3, 4“/
Sprecher:
Das war Rammstein mit „Links, 2, 3, 4“. Rammstein ist eine Gruppe, die
schon über zwölf Millionen CDs auf der ganzen Welt verkauft hat. Damit sind
sie bis jetzt international die erfolgreichste deutsche Band, die auf Deutsch
singt. Heute sprechen wir über ihre Musik, die für viele ja sehr provokativ ist.
Bei uns im Studio haben wir vier Gäste. Herzlich willkommen, vielleicht könnt
ihr euch selbst kurz vorstellen und gleichzeitig sagen, was ihr von Rammstein
haltet.
E. Dannen- Ich heiße Edward Dannenberg, bin Musiklehrer an der Deutschen Schule
berg:
Stockholm, und ich finde eigentlich Rammstein sehr gut.
Benedict:
Ich bin Benedict Lippitz, ich bin Schüler und aktiver Musiker und ich finde
Rammstein auch gut.
I. Rieck:
Ich bin Irene Rieck, auch Musiklehrerin an der Deutschen Schule Stockholm,
und ich finde Rammstein sehr interessant, aber nicht immer gut.
Markus:
Ich heiße Markus Lockowandt, ich bin Schüler an der Deutschen Schule
Stockholm und ich finde, dass Rammstein eine gute Band ist, vielleicht nicht
so gut wie andere.
Sprecher:
Wie ihr hört, sind die Meinungen über Rammstein geteilt. Einige lieben ihre
Musik, andere sind da kritischer. Benedict, du hast uns ein Lied mitgebracht
von Rammstein, „Dalai Lama“.
/Rammstein: „Dalai Lama“/
Sprecher:
Das war „Dalai Lama“, ausgesucht von Benedict. Benedict, warum magst du
denn diesen Song?
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Sag’s mir!
Stopp oder go für Rammstein?
PROGRAMNR 100930/ra13
Benedict:
Ich habe dieses Lied eher wegen dem Text als wegen der Musik gewählt. Ich
fand es interessant, da es das Thema eines alten Gedichtes von Goethe
aufnimmt und modernisiert.
Sprecher:
Aber warum gibt es denn eigentlich so geteilte Meinungen über Rammstein?
Wir haben Mohammed Esa gefragt. Er ist Deutschlehrer am McDanielCollege in Maryland in den USA und er benutzt die Musik von Rammstein in
seinem Deutschunterricht.
M. Esa:
Rammstein ist eine sehr interessante Gruppe, sie sind sehr kontrovers. Sie
sprechen viele kontroverse Themen an.
Sprecher:
Was meint denn er da genau, wenn er sagt, diese Gruppe sei kontrovers?
M. Esa:
Sie sprechen sehr viel über Sexualität. Sie sprechen viel über Probleme in der
Familie wie Vergewaltigung, wie Inzest, also Themen, die tabu sind. Obwohl
wir wissen, jeden Tag wird ein Kind missbraucht, wir wissen, jeden Tag wird
eine Frau missbraucht.
/Rammstein: „Du hast“/
Sprecher:
Rammstein singen über provokative Themen. Was meint ihr denn? Sollte man
über so etwas singen? Irene?
I. Rieck:
Ja, klar. Man soll in der Musik über alles singen, was einen bewegt. Musik ist
unser Leben, beziehungsweise Musik drückt das aus, was das Leben
beinhaltet.
Sprecher:
Benedict?
Benedict:
Ich finde, in der Musik sollte nichts zensiert werden.
Sprecher:
Musik spielt oft sehr stark mit den Gefühlen. Was könnte es denn da für
Risiken geben mit der Musik von Rammstein? Irene?
I. Rieck:
Die Gefahr ist, dass Leute, die nicht kritisch über Texte nachdenken,
entweder durch Texte manipuliert werden, in einer Weise, wie es vielleicht im
Nationalsozialismus in Deutschland passiert ist, oder dass Menschen sich
verletzt fühlen durch Texte, die sehr brutal oder sehr schonungslos sind, oder
die für eine bestimmte Altersgruppe nicht geeignet sind.
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Sag’s mir!
Stopp oder go für Rammstein?
PROGRAMNR 100930/ra13
Sprecher:
Und Markus?
Markus:
Also, ich glaube, es gibt die Gefahr, dass Texte falsch oder missverstanden
werden. Und zum Beispiel sind einige der Texte von Rammstein sehr brutal,
und vielleicht werden einige Leute dadurch eher dazu getrieben, Gewalt
auszuüben oder sich brutal selber zu benehmen.
Sprecher:
Mohammed Esa meint jedoch, dass diese kontroversen Themen genau die
Stärke von Rammstein seien.
M. Esa:
Viele Leute wollen alles unter den Teppich kehren. Sie wollen nicht darüber
reden, weil das zu schwierig ist. Da soll man nicht darüber reden. Aber
Rammstein sagt: „Nein, wir müssen darüber reden, sonst können wir nicht
lernen von unseren Fehlern.“
Sprecher:
Wie reagiert ihr auf das, was Mohammed jetzt gesagt hat? Benedict?
Benedict:
Natürlich ist es so, dass Rammstein schwierige Texte und auch provokante
Texte aufnimmt. Nur meiner Meinung nach machen sie das eher aus
Marketinggründen und nicht, um den Menschen die Wahrheit zu zeigen.
Sprecher:
Und Markus?
Markus:
Also, ich glaube, die Gesellschaft und die Menschen als solche können sich
nur dann entwickeln und besser werden sozusagen, indem man Probleme,
die es gibt, diskutiert und versucht, auch eine Lösung dazu zu finden.
Sprecher:
Mohammed Esa benutzt also Rammstein in seinem Unterricht. Ist das etwas,
was ihr euch auch vorstellen könnt? Markus?
Markus:
Also, ich sehe das nicht als ein Problem, wenn man halt die richtigen Lieder
nimmt. Also, ich würde sämtliche Texte von Rammstein ... würde ich
persönlich nicht singen wollen.
Sprecher:
Edward?
E. Dannenberg:
Ja, ich habe es schon mehrere Male gemacht. Der Grund ist erstens, dass
die Gruppe sehr populär ist unter vielen Schülern, dass es einfache Lieder
sind und es dadurch auch einfach ist, sie zu spielen.
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Sag’s mir!
Stopp oder go für Rammstein?
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Sprecher:
Mohammed Esa meint jedoch, dass man nicht alle Rammstein-Songs im
Schulunterricht verwenden kann. Deshalb hat er die Lieder in zwei Listen
aufgeteilt.
M. Esa:
Ich habe zwei Listen. Das ist eine grüne Liste oder eine rote ... schwarze
Liste. Und die grüne Liste, das empfehle ich auf allen Stufen, also ab zwölf,
ab 13 Jahren. Die grüne Liste – ich habe „Du hast“, „Ich will“, „Links, 2, 3, 4“.
„Amerika“ ist interessant, „Benzin“ ist auch interessant, „Sonne“.
/Rammstein: „Sonne“/
M. Esa:
Die andere Liste – viele Lieder sind gut, aber viele Lieder sind nicht geeignet.
Es geht um Sadomasochismus, es geht um Sachen, die sexuell expressiv
sind.
/Rammstein: „Mein Teil“/
Sprecher:
Auf der roten Liste hat Esa unter anderem Lieder wie „Tier“, „Mein Teil“ oder
„Bestrafe mich“. Diese Lieder spielt er eben nicht in seinem Unterricht für
Schüler unter 16 Jahren. Findet ihr das O.K., dass er die Musik auf diese
Weise zensiert? Edward?
E. Dannenberg:
Ja, ich sehe es aber in erster Hand nicht als Zensur an, sondern als
Entscheidung, dass dieses Lied ist gerade jetzt ungeeignet für diese
Schülergruppe.
Sprecher:
Benedict?
Benedict:
Ich finde ganz klar, dass das O.K. ist. Ich sehe es aber nicht als Zensur an.
Ich finde, er wählt ganz konkret, welche Lieder einen Sinn haben, im
Unterricht aufzunehmen, und welche nicht.
Sprecher:
Warum zensiert man dann eigentlich? Damit die Lehrer zufrieden sind, der
Schüler oder sogar die Eltern? Benedict?
Benedict:
Man zensiert aus zwei Gründen: erstens, um zu verstecken und zweitens, um
zu beschützen. Meiner Meinung nach sollte niemand vor Musik versteckt oder
beschützt werden. Deswegen sehe ich auch keinen Anlass zur Zensur.
Sprecher:
Und Markus?
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Sag’s mir!
Stopp oder go für Rammstein?
PROGRAMNR 100930/ra13
Markus:
Also, ich finde, es geht vor allem darum, die Kinder zu schützen oder die
Schüler. Genau wie Eltern nicht ihr Kind sämtliche Sachen machen lassen
oder sämtliche Sachen schauen lassen, würde ich, besonders als Lehrer, das
auch begrenzen.
Sprecher:
Was würde Mohammed Esa denn antworten, wenn ein Schüler ihn fragen
würde, ob er denn mal ein Lied von der roten Liste im Unterricht spielen
könnte?
M. Esa:
Wenn ein Schüler, und ich sage: ein Schüler in der Schule, am Gymnasium,
zu mir kommen würde und mich fragt, oder kommt und mich fragt: „Dr. Esa,
ich möchte dieses Lied hören!“ Ich sage dem Schüler: „O.K., geh nach
Hause und mach ein Projekt darüber. Ich möchte, dass du etwas über das
Lied machst und komm und erzähl uns, warum dieses Lied nicht geeignet ist
für die Schule.“
Sprecher:
Was sagt ihr denn dazu? Benedict?
Benedict:
Ich sehe hier eine direkt paradoxe Aussage. Zum einen will er, dass der
Schüler sich mit dem Lied auseinandersetzt, zum anderen aber nur unter dem
Aspekt, dass es nicht geeignet ist. Wenn er will, dass man sich mit dem Lied
auseinandersetzt, dann unter allen Aspekten.
Sprecher:
Edward?
E. Dannen- Ich finde die Methode von Esa eigentlich sehr interessant und ich glaube, ich
berg:
werde sie demnächst auch mal versuchen.
Sprecher:
Benedict, du hast noch ein Lied von Rammstein heute mitgebracht, um diese
Diskussion zu beenden. Warum?
Benedict:
Ich habe „Los“ von Rammstein ausgewählt, da ich finde, dass es sich von der
großen Masse von Rammstein-Liedern unterscheidet. Und auch zum anderen
ist es vom Text her interessant, da es eine direkte Antwort von Rammstein
selber auf die Kritiken ist.
/Rammstein: „Los“/
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