Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins - Zentral
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Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins - Zentral
tm • RntsbibüotheV l-KtMt*rt,l» MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 Jahrgänge 75-78 Schriftleitung: Felix Escher Claus P. Mader Wolfgang Neugebauer BERLIN 1979-1982 A O Inhaltsverzeichnis I. Aufsätze Berndal, Franz Carl Gustav Berndal zum 150. Geburtstag (m. 3 Abb.) 239 Biller, Thomas Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen von Spandau (m. 19 Abb.) 349 Börsch-Supan, Eva Das Schinkeljahr 1981 - Ein Rückblick (m. 1. Abb.) 485 Börsch-Supan, Helmut „Bildnis eines Gelehrten" Zur Neuerwerbung eines Gemäldes von Johann Carl Heinrich Kretschmar (m. 1 Abb.) Die Kunst auf der Preußenausstellung 16 392 Brummer, Gertrud Jugenderinnerungen an Onkel Toms Hütte (m. 3 Abb.) 201 Bunsas, Fritz Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks zum 125. Geburtstag von Paul Marcus (m. 10 Abb.) 97 Engeli, Christian, Gustav Böß und der Berliner Sport (m. 3 Abb.) 13 Erbe, Michael Ein Berliner Historiker: Friedrich Meinecke (1862-1954) Rückblick nach fünfundzwanzig Jahren (m. 4 Abb.) 25 Otto Hintze (1861-1940) (m. 2 Abb.) 157 Escher, Felix 100 Jahre elektrische Bahnen im Südwesten Berlins Zum Zusammenhang zwischen Siedlungsentwicklung und Fortschritten in der Nahverkehrstechnik (rar. 8 Abb.) 321 III Hengsbach, Arne Zur Verkehrsgeschichte von Tempelhof (m. 4 Abb.) „Odeum" und „Englischer Garten" Spandaus Theater im 19. Jahrhundert 2 430 Henning, Eckart In memoriam Dr. Franz Jahn (m. 1 Abb.) 106 Die Akademie des Bauwesens (m. 7 Abb.) 289 Jessen, Hans B. Berliner Altertums-Forscher und -Freunde Ihre Gräber und Grabdenkmale (m. 6 Abb.) 63 Kaiesse, Andreas Denkmalschutz in Spandau Bemerkungen zur gegenwärtigen Situation oder kein Grund zum Jubeln (m. 7 Abb.) 413 Klünner, Hans-Werner Die ehemalige Von-der-Heydt-Villa und ihre Umgebung (m. 7 Abb.) 121 Zur 1 lOjährigen Wiederkehr der Neuaufstellung der Gerichtslaube und der Stiftung der Fidicin-Medaille (Als Einleitung zum Nachdruck des Artikels) In der Gerichtslaube im Parke zu Babelsberg (m. 3 Abb.) 421 Krienke, Gerhard „Man hat nicht sehr strenge sein dürfen" Wildwuchs im Berliner Elementarschulwesen des 18. Jahrhunderts 305 Liedtke, Eleonore Die Überwindung der Diaspora I. Teil: Die Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottrfnburg (m. 4 Abb.) II. Teil: Zerstörung, Wiederaufbau und Ausbau (m. 5 Abb.) Lowenthal, Ernst G. Moses Mendelssohn und Berlin Zum 250. Geburtstag des Philosophen der Aufklärung (m. 1 Abb.) IV 189 229 89 Lowenthal, Ernst G. (Forts.) 100 Jahre Jüdischer Friedhof Weißensee (m. 8 Abb.) Der Maler-Entdecker Berlins Zum 50. Todestag von Lesser Uri am 18. Oktober 1981 (m. 2 Abb.) 373 Sein halbes Leben in Berlin Zum 50. Todestag des Graphikers Emil Orlik 507 Pierson, Kurt Berlin - Ursprung des elektrischen Bahnbetriebes (m. 5 Abb.) ." 266 57 Ribbe, Wolfgang Zur regionalen Strukturgeschichte des Spandauer Raumes in 750 Jahren (m. 16 Abb.) 449 Schachinger, Erika Käthe Schmidt-Jürgensen (1897-1979) Ein Berliner Künstlerschicksal (m. 2 Abb.) 144 Schneider, Edmund Das Spandauer Stadtarchiv 272 Schultze-Berndt, Hans G. Historische Porträtsbüste eines Berliner Brauherrn (m. 3 Abb.) 75 Schütze, Karl-Robert Die Kugel 1928/1929 Eine vergessene Arbeitsgemeinschaft schaffender Künstler (mit 7 Abb.) 494 Sommer, Klaus Daniel Friedrich Loos Ein Beitrag zur Berliner Münzgeschichte (m. 14 Abb.) 130 Stürzbecher, Manfred Stadtmedizinalrat Dr. Theobald Sütterlin (1893-1945) 397 Uhlitz, Manfred H. Der Glockenturm am Olympia-Stadion in Berlin (m. 3 Abb.) 173 Uhlitz, Otto Berliner Justizgeschichte 1945 bis 1980 Zu einem neuen Buch 500 Vietig, Jürgen Stanislaw Przybyszewski - Ein Pole in Berlin (m. 7 Abb.) Berlin als Ort der Verfolgung und des Widerstandes von Polen (m. 4 Abb.) 221 33 ° Wetzel, Jürgen Adelbert von Chamisso - Ein Wanderer zwischen zwei Welten Zum 200. Geburtstag des Dichters (m. 3 Abb.) 257 Wilde, Alexander Berliner M u s i k l e b e n i m 17. u n d frühen 18. J a h r h u n d e r t (m. 4 Abb.) 381 Wille, Klaus-Dieter D i e K i r c h e n g l o c k e n v o n Berlin ( W e s t ) Zwischenbilanz aus einer zweijährigen Inventarisationsarbeit (m. 7 Abb.) 33 Wippennann, Wolfgang W i d e r s t a n d u n d V e r f o l g u n g in Berlin Bemerkungen zu einer Neuerscheinung aus der D D R 165 II. Kleine Beiträge, Notizen, Berichte, Exkursionen Zur Geschichte der wissenschaftlichen Einrichtungen in Dahlem Spittelkolonnaden entstehen neu Neue Ausstellung im Landesarchiv Berlin Gesellschaft für Heimatgeschichte in der DDR Erstmals mehr als 100000 Besucher im Märkischen Museum 60 Brunnen im Ostteil der Stadt Bellevue - bessere Aussichten für die Zukunft 75 Jahre Zucker-Museum in Berlin . . . . Um den neunten Stadtbezirk in Ost-Berlin „Gemeinnützige Sammlung der Gründerzeit" Ausstellung zur Denkmalpflege im Bezirk Prenzlauer Berg VI 18 18 19 43 43 43 78 78 79 79 79 Standbild König Friedrich I. Denkmal von vier Bildhauern . . . . . . . . Historisches Archiv zur Ingenieurausbildung Ehrungen zum 50. Todestag Heinrich Zilles :.... Senat von Berlin fördert Berlin-Forschung Denkmal-Fotoausstellung in Ost-Berlin Freiwillige Denkmalpfleger restaurieren auf Ost-Berliner Friedhöfen Berliner Bär im Bischofswappen Heinrich Zille - Ausstellungen Willy Dammasch Forschungsvorhaben „Berlin - Symbol der Konfrontation, Prüfstein der Entspannung" Beiträge des Architekten Fritz Rothstein zur Berliner Denkmalpflege 110 111 111 149 149 150 150 178 179 207 207 25 Jahre Institut für Denkmalpflege in Ost-Berlin VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow . . Denkmalschutz für Treptower Bruno-Taut-Siedlung Märkisches Museum umgebaut . . . . . . Alter Hörsaal in Ost-Berlin renoviert . . . Groß-Berlin entsteht - Zum 60. Jahrestag Der Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner Senats - Bericht über den VerleihungsFestakt 570 Denkmale und historische Ensembles in Ost-Berlin Louise Northmann - genannt die „Harfenjule" Rekonstruktion des Alten Marktes in Potsdam Restaurierung des Alten Museums auf der Museumsinsel Restaurierung des Köpenicker Schlosses „Schinkel in Berlin" Schinkelwettbewerb 1980 Um den Berliner Stadtkern 300 Jahre Friedrichs-Werdersches Gymnasium Sonderausstellung zur Entwicklung des Märkischen Museums Eisenbahnanlagen in Ost-Berlin unter Denkmalschutz Ausstellung „Berlin und seine Kneipen" . . Schloß Friedrichsfelde wiedererstanden Historische Ausstellung in Spandau . . . . Eine interessante Ausstellung (Berlin-Museum) Historische Kommission zu Berlin mit neuer Sektion für die Geschichte Berlins Jetzt auch Historische Kommission der SPD Adolf-Glaßbrenner-Gesellschaft gegründet Historische Vorträge und Führungen im Stadtkern Berlins Beuth-Ausstellung im Historischen Archiv der TFH Geschichtskreis „Historisches Neukölln" Ehemalige Knorr-Bremse unter Denkmalschutz Gesprächskreis über die Ortsgeschichte des Prenzlauer Bergs Um den Wiederaufbau der historischen Innenstadt Förderverein zur Erhaltung und Nutzung des Hamburger Bahnhofs in Berlin e.V. Arbeitsgruppe „Geschichte der Fotografie in Berlin" 207 208 208 208 208 243 245 246 274 276 276 276 276 276 312 Kolloquium zur Berlin-Geschichte an der Humboldt-Universität 474 300 Jahre Friedrich-Werdersches Gymnasium zu Berlin 474 Paul Ortwin Rave, 1893-1962 509 Zum zweiten Mal Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner Senats 510 Berlinmodell im Märkischen Museum . . 511 Der „Hohle Zahn" ist krank 511 Studienfahrt 1979 nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land Programm 87 Bericht 112 Studienfahrt 1980 nach Minden Programm 219 Bericht 277 Studienfahrt 1981 nach Mölln Programm 346 Bericht 402 Studienfahrt 1982 nach Lemgo Programm 446,482 Mitglieder-Jahreshauptversammlungen (1979)80,(1980)209,(1981)340,(1982)474 312 340 III. Hinweise und Informationen 377 378 Kleine Mitteilungen: 18, 44, 54, 119, 150, 218, 255, 286, 319, 377, 378, 402,518 401 438 438 438 439 439 439 439 439 440 440 473 473 473 Veranstaltungskalender: 24, 56, 88, 120, 156, 188, 220, 256, 288, 320, 348, 380, 412, 448, 484, 520 Literaturhinweise: 53, 85, 86, 119, 155, 187, 215, 218, 253, 285, 316, 346, 519 IV. Personalien Würdigungen: Franz Berndal Ursula Besser Albert Brauer Karl Bullemer Walter Hoffmann-Axthelm Georg Holmsten Gerhard Kutzsch Julius Posener Harry Ristock Hans Schiller Axel C. Springer Irmgard Wirth 81, 341 440 181 278 113,511 440 180 312, 341, 375 312 246 341, 475 312 VII Nachrufe: Horst Behrend Hans Brendicke Joachim Lachmann Walter Mügel 150 277 210 210 Kurzmitteilungen: 19,44,81, 113, 151, 181,209,211,212,247,279, 312, 341, 342, 378,403, 440, 475, 512 Neue Mitglieder: 23, 54, 86, 119, 155, 187, 218, 255, 286, 319, 346, 379,411,447,483,518 V. Buchbesprechungen Adolph v. Menzel - Das graphische Werk, 1976 (Schultze-Berndt) Adolph Menzel. Skizzenbuch 1846, 1980 (Schultze-Berndt) Albertz: Blumen für Stukenbrock. Biographisches, 1981 (Köhler) Alfred Bengsch - Der Kardinal aus Berlin, 1980 (Escher) Ane: Berlin ssum Piep'n, 1979 (SchultzeBerndt) Architekturführer Berlin, Hauptstadt der DDR, 1976 (Escher) Aufgabestempel der Berliner Postanstalten, 1980 (Schultze-Berndt) Ausgrabungen in Berlin, Bd. 5/1978 (Escher) Behrens/Noth: Berliner Stadtbahnbilder, 1981 (Schiller) Beckiers/Schütze: Zwischen Leipziger Platz und Wilhelmstraße, 1981 (Börsch-Supan) Berg: Berlin damals - ein Spaziergang mit Witz, 1979 (Schiller) . Berlin - ma so jesehen, 1978 (SchultzeBerndt) Berhn - Zehn Kapitel seiner Geschichte, 1981 (Mader) Berlin 1737-1785. 32 alte Kupferstiche, 1979 (Mader) Berlin als Großstadt - lokale Lokale (Kalender), 1981 (Schultze-Berndt) Berlin und seine Kneipen (Katalog), 1981 (Schultze-Berndt) Berlin-Calender 1979 (Mader) Berliner Kulturstätten [Ost], 1978 (Letkemann) Bethsold: Schöneberg - eine Gegend in Berlin, 1977 (Schiller) Bödecker: Die grüne Stadt am Beispiel Berlin, 1981 (Schultze-Berndt) VIII 21 214 443 280 155 49 316 212 441 406 284 85 476 251 346 445 22 51 342 446 Böer: Das ehemalige Schloß in Schwedt/O. u. seine Umgebung, 1979 (Kutzsch) . . . . Bohle-Heintzenberg: Architektur der Berliner Hoch- und Untergrundbahn, 1980 (Schiller) Bois: Zu wahr, um schön zu sein, 1980 (Schultze-Berndt) Bonacker: Berlin im Werden des Stadtplanes, 1979 (Escher) Börsch-Supan: Die Kunst in BrandenburgPreußen, 1980 (Letkemanri) de Bruyn: Märkische Forschungen, 1979 (Gottke) Carstensen: Bismarck-Anekdotisches, 1981 (Schultze-Berndt) Clarke: Kaufhauswelt. Fotografien aus dem KaDeWe, 1980 (Schultze-Berndt) Clauswitz/Zögner: Die Pläne von Berlin von den Anfängen bis 1950, 1906/1979 (Escher) Constantin: Berliner Schimpfwörterbuch, 1980 (Schultze-Berndt) Das kleine Zille-Buch, 1969/1979 (Klünner/Mader) Das Kunstgewerbe-Museum zu Berlin. Festschrift zur Eröffnung 1881,1981 (Ndr.) (Börsch-Supan) Der Berliner zweifelt immer, 1977 (Mader) Dibelius: So habe ich's erlebt, 1980(Escher) Dogen: Spandow, eine der vornehmsten Festungen, 1648/1979 (Escher) Drewitz: Märkische Sagen, 1979 (Köhler) Dreyer: Kupferstichkabinett Beriin Ital. Zeichnungen, 1979 (Lethkemann) . . Dülffer/Thies/Henke: Hitlers Städte, 1978 (Escher) Eberhard (Hrsg.): Fritze Bollmann wollte angeln, 1980 (Mader) Eickemeyer: Berliner Ansichten, 1980 (Schiller) Eickemeyer/Skowronski: Berlin 1981 (Kalender) (Schiller) Etzold/Kirchner/Knobloch: Historische Friedhöfe der DDR I: Jüdische Friedhöfe in Berlin, 1980 (Bienwald) Festschrift für Martin Sperlich, 1980 (Schultze-Berndt) Fischer: Heinrich Zille, 1979 (Klünner/ Mader) . Franz Burchard Dörbeck, 1979 (SchultzeBerndt) Frecot (Hrsg.): Berlin 1870-1910, 1981 (Schiller) Friebel: Unterwegs in Berlin, 1978 (Schultze-Berndt) 315 409 316 182 403 152 481 445 182 315 183 406 51 280 182 185 513 114 345 283 283 378 344 183 154 475 52 Friedrich: Vom Friedensmuseum zur Hitlerkaserne, 1978 (Escher) Geographie in Wissenschaft und Unterricht. Festschrift für Helmut Winz, 1980 (Escher) Gottwaldt: Berliner Fernbahnhöfe, 1982 (Schiller) Gottwaldt: Berliner Verkehr, 1979 (Schiller) Gottwaldt: Eisenbahnbrennpunkt Berlin, 1982 (Schiller) Glotz: Die Innenausstattung der Macht, 1979 (Schultze-Berndt) Grothe: Gloria Victoria, 1981 (SchultzeBerndt) Grünfeld: Heimgesucht - Heimgefunden, 1979 (Köhler) Gundermann: Berlin als Kongreßstadt 1878, 1978 (Letkemann) Gurk: Berlin, 1980 (Köhler) Gurk: Tresoreinbruch, 1981 (Köhler) . '. . Gustav Stresemann 1878-1978,1978 (Erbe) Hamm/Schneider: Berlin - Landschaften einer Stadt, 1977 (Schultze-Berndt) . . . . Hardey: . . . damals war ich fünfzehn, 1979 (Schultze-Berndt) Heinroth: Mit Faltern begann's, 1979 (Köhler) Hirsch: Stresemann, 1978 (Erbe) Historische Grundrisse, Pläne u. Aussichten von Spandau. Blatt 3: Zitadelle Spandau, „Lynarplan", 1981 (Escher) - dass., Blatt 4: „Statt, Schloss und Vöstung Spandaw 1604" 1982 (Escher) Hoffmann: Kreuzberger Geschichten, 1980 (Schiller) Holmsten: Berlin-Charlottenburg. - BerlinSteglitz. 1980 (Mader) Huret: Berlin um 1900, 1909/Ndr. 1979 (Mader) Italiaander/Bauer/Krafft: Berlins Stunde Null 1945, 1979 (Köhler) Johanniterstraße 2-5 (1872-1944). Die Historie des berüchtigten Mietblocks . . . ün Bezirk Kreuzberg, 1979 (Schultze-Bemdt) Juden in Preußen (Katalog), 1981 (Escher) Kehrl: Frühling in Berlin u. anderswo in der Mark, 1978 (Schultze-Berndt) Kiersch/Klaus/Kramer/Reichardt-Kiersch: Berliner Alltag im 3. Reich, 1981 (Köhler) Kleberger: Preuße, Bürger und Genie: Adolph Menzel, 1981 (Köhler) Klebes: Die Straßenbahnen Berlins in alten Ansichten, 1981 (Schiller) Klöden: Von Berlin nach Berlin, 1976 (Bunsas) 20 247 512 213 512 514 481 152 47 284 514 51 20 252 250 46 342 440 314 251 478 252 249 515 214 476 410 479 Klös: Berlin und sein Zoo, 1978 (Gottke) Klünner: Spandau und Siemensstadt, so wie sie waren, 1978 (Escher) Klünner/Börsch-Supan: Berlin-Archiv, 1980ff. (Escher) Koch: Berliner Presse und europäisches Geschehen 1871, 1978 (Kutzsch) Kühne/Stephani: Evangelische Kirchen in Berlin, 1978 (Escher) Kuhnert/Rau: Der Reisende hat das Wort. Die Berliner S-Bahn, 1981 (Schiller) . . . . Kunstwerke u. Dokumente aus den Sammlungen der Stiftung Preuß. Kulturbesitz, 1978 (Schultze-Berndt) Lammert: David Gilly, 1981 (Escher) . . . Langenscheidt: Naturgeschichte des Berliners, 1878/Ndr. 1980 (Mader) Larsson: Die Neugestaltung der Reichshauptstadt, 1978 (Escher) Layer: Lebensbilder... / Nikolaus Geiger, 1980 (Schultze-Berndt) Lemmer: Alexanderplatz. Ein Ort deutscher Geschichte, 1980 (Schultze-Berndt) Lentz: Molle mit Korn, 1979 (SchultzeBerndt) Liese: Urlaub in Berlin, 1976 (SchultzeBerndt) Löffler: Berlin und die Berliner, 1856/Ndr. 1978 (Mader) Lowenthal (Hrsg.): Juden in Preußen, Ein biograph. Verzeichnis, 1981 (Escher) Lowenthal-Hensel: 50 Jahre Bistum Berlin, 1980 (Letkemann) Lux: Von der Wolga zur Bernauer Straße, 1979 (Bunsas) McBride: Knips! Berliner Bilder aus den 50er Jahren, 1979 (Schultze-Berndt) . . . . Meichsner: Der Kurfürstendamm gezeichnet von Oswin, 1979 (Escher) de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin, 1959 Neuaufl. 1981 (Mader) Monumental-Plan der Reichshauptstadt Berlin mit nächster Umgebung, 1896/1979 (Escher) Mühlenhaupt: Berliner Blau 1981, 1981 (Mader) Müller: Verkehrs- u. Wohnstrukturen in Groß-Berlin 1880-1980, 1978 (Schiller) Nagel/Lindenlauf: Berlin West. Ein Fotobilderbuch, 1977 (Schultze-Berndt) . . . . Neumeyer: Der Werkwohnungsbau der Industrie in Berlin, 1978 (Escher) Oncken: Friedrich Gilly 1772-1800, 1981 (Escher) 83 52 313 313 280 441 115 405 478 114 514 443 285 154 478 515 282 85 153 117 516 182 346 248 214 19 405 83 IX Oschilewski: Heinrich Zille-Bibliographie, 1979 (Klünner/Mader) Pabst: Taschenbuch Deutsche Straßenbahn-Triebwagen I, 1981 (Hengsbach) Paul: Technische Sehenswürdigkeiten in Deutschland, V: Berlin, 1980 (SchultzeBemdt) Pauli: Kirchtürme, 1977 (Escher) Peibst: Berlin-Brandenburgische Fayencen des 17. u. 18. Jahrhunderts, 1979 (SchultzeBemdt) Pitz/Brenne: Bezirk Zehlendorf. Siedlung Onkel Tom, 1980 (Escher) Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts (Kat. d. Hensel - Zeichnungen), 1981 (Lethkemann) Ranke: Heinrich Zille. Photographien Berlin 1890-1910, 1975 (Klünner/Mader) Ranke: Vom Milljöh ins Milieu, 1979 (Klünner/Mader) Reif: Albert Speer, 1978 (Escher) Rellstab: Berlin und seine nächsten Umgebungen in malerischen Originalansichten, 1852/Ndr. 1979 (Mader) Reuter: Schriften - Reden, Bd. 3 u. 4, 1974/76 (Wetzel) Reuther: Die Museumsinsel in Berlin, 1978 (Escher) Rhode: Berlin 1799 für Freunde des Geschmacks u. der Moden, 1977 (Ndr.) (Schultze-Bemdt) Ribbe: Spandaus besonderer Weg (Katalog), 1982 (Escher) Ribbe/Schultze: Das Landbuch des Klosters Zinna, 1976 (Vogel) Ries: Berliner Galerie, 1981 (SchultzeBemdt) Ritter: Berliner Wanderbuch, Teil I u. II, 1979/80 (Köhler) Rückwardt: Das kaiserliche Berlin, 1980 (Köhler) Scharf: Brücken und Breschen, 1977 (Escher) Schmidt: Berlin - Stadtlandschaft u. Menschen, 1978 (Schultze-Bemdt) Schmidt: Das Tiergartenviertel, T. I: 1790-1870, 1981 (Escher) Schmitz: Berliner Baumeister vom Ausgang d. 18.Jh.s, 1980 (Escher) Scholz: Wanderungen und Fahrten in die Mark Brandenburg, Bd. 4-6, 1976-78 (Gottke) - dass., Bd. 7, 1979 (Gottke) Schulze: Die Polizeigesetzgebung zur Wirtschafts- und Arbeitsordnung d. Mark Brandenburg, 1978 (Neugebauer) X 183 404 480 280 153 405 517 183 183 114 478 44 114 249 440 50 477 343 248 280 154 405 405 84 213 49 Schümann: Der Berliner Dom im 19. Jh., 1980 (Escher) Seelmann: Treffpunkt Kongreß- u. Messestadt Berlin, 1979 (Brauer) Seidenstücker: Von Weimar bis zum Ende, 1980 (Schultze-Bemdt) Seutter: Berlin die Prächtigst u. mächtigste Hauptstatt, 1728/1979 (Escher) Sichelschmidt (Hrsg.): Berlin! Berlin!, 1980 (Schiller) Sichelschmidt: Berliner Kirchen in alten Ansichten, 1979 (Escher) Skowronski: Berliner Landschaften, 1980 (Schiller) Solmssen: Berliner Reigen, 1981 (Mader) Speer: Architektur. Arbeiten 1933-42,1978 (Escher) Sperlich: Gedichte, 1980 (Schultze-Bemdt) Stahl/Wien: Berlin von 7 bis 7, 1977 (Schultze-Bemdt) Streicher/Drave: Berlin - Stadt und Kirche, 1980 (Escher) Strackmann: Staatsdiener als Zeitungsmacher, 1981 (Mader) Thibaut: Minna, jib 'ne Molle rüber, 1980 (Schultze-Bemdt) Tschechne: Heinrich Zille - Hofkonzert im Hinterhaus, 1979 (Klünner/Mader) . . . . Ulrich: Romantisches Berlin. Sechs Aquarelle, 1979 (Alberte) Verfassung von Berlin, Kommentar, 1978 (Franz) Von Moskau nach Berlin. Der Krieg im Osten 1941-45, 1979 (Köhler) v. Voß: Merkwürdiger Briefwechsel der blonden Karoline . . . 1813, 1978 (Ndr.) (Schultze-Bemdt) Voß: Reiseführer für Literaturfreunde Berlin, 1980 (Mader) Walther G. Oschilewski - Bibliographie, 1979 (Letkemann) v. Weiher: Tagebuch der Nachrichtentechnik von 1600 bis zur Gegenwart, 1980 (Hengsbach) Weihnachten im alten Berlin, 1978 (Köhler) Wille: 42 Spaziergänge, 1976 (Bunsas) . . . Wilms/Flor: Bummel durch Berlin, 1981 (Schultze-Bemdt) Wirth: Berlin 1650-1914, 1979 (Mader) Wirth: Eduard Gaertner, 1979 (Mader) Wirth: Von Berlin nach Potsdam, 1977 (Mader) Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der TU Berlin 1879-1979, 1979, (Escher) 405 186 444 182 314 280 283 481 114 344 22 280 516 345 183 253 82 153 249 482 255 282 117 116 444 118 251 48 247 Wodrich: Auf der Wippe des Lebens, o.J. (Schultze-Berndt) Wolters: Stadtmitte Berlin, 1978 (Escher) Wrede/Reinfels: Das geistige Berlin, 1897/98 (Ndr.) (Escher) Zema: Rieke - eine Liebesromanze aus alter Zeit, 1980 (Köhler) 345 114 50 285 Zick: Berliner Porzellan der Manufaktur vonW.C.Wegely 1751-1757,1978(Mader) 46 Zille: Die Landpartie, 1978 (SchultzeBerndt) 22 Zille: Hurengespräche, 1981 (Mader) . . . 446 Züge aus der Vergangenheit. Die Berliner S-Bahn, 1981 (Schiller) 441 Faekabt. dar fia^3r < .. " ^ A 1015 F X MITTEILUNGEN » DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 75.Jahrgang Heftl Januar 1979 Die schwimmende Jugendherberge „Gustav Böß" auf dem Landwehrkanal vor der Charlottenburger Brücke. Vgl. dazu S. 13. Foto: Landesarchiv Berlin 1 Zur Verkehrsgeschichte von Tempelhof Von Arne Hengsbach Die Beziehungen zu Tempelhof finden ihren Ausdruck auch in den verkehrsmäßigen Verknüpfungen Tempelhofs mit Berlin. Die Residenzstadt hatte das kleine Nachbardorf schon im ausgehenden 18. Jahrhundert in seinen Einzugsbereich gebracht, und die Entwicklung des von Berlin nach Tempelhof gerichteten Verkehrs ist ein Gradmesser oder auch Abbild der Einwirkungen und ihrer Intensität, die aus der Stadt auf das nahe Dorf ausstrahlten. Der Ausflugs- und „Bade"ort Schon Friedrich Nicolai erwähnt 1786 in seiner „Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam", daß „verschiedene Landhäuser von Privatpersonen in Berlin daselbst" seien. Aber nicht nur Berliner, die in Tempelhof eigene Häuser besaßen, hielten sich in dem Dorf auf, auch Sommerfrischler aus Berlin bezogen hier Sommerwohnungen. Johann Christian Gaedicke sagt 1806 in seinem „Lexicon von Berlin" von Tempelhof: „Es liegt angenehm und wird von den Berlinern sowohl zum Vergnügungsort als auch zu Sommerwohnungen stark benutzt." Die verschiedentlich wiedergegebene Schilderung des „Berliner lustigen Gesindels" in Tempelhof (hrsg. von F. Mussehl im Teltower Kreiskalender, Jg. 1910, S. 55 ff.) ist enthalten in einer anonymen Beschwerde über Mißstände in dem Dorfe, die von aus Berlin kommenden Besuchern hervorgerufen waren: „Bekannt ist es leider, daß sich das Dorf Tempelhof schon seit langem als der Sammelplatz alles Berliner lustigen Gesindels ausgezeichnet . . . Jetzt aber, da der Musikpächter Schehmel auch die Krugwirtschaft übernommen, ist der Zusammenfluß des Berliner Publikums so groß, daß besonders des Dienstags, daraus . . . eine Störung der landwirtschaftlichen Arbeiten entsteht . . ." Ein derart lebhafter Besuch der Berliner im Nachbardorf hatte auch einen Wagenverkehr zur Folge: „Sechzig bis hundert Wagen besetzten die Passage am Kruge, und wehe dem, der etwa mit einem beladenen Erntewagen oder anderm Fuhrwerk passieren wollte, denn ist er höflich, so wird er verlacht, und fordert er mit Ernst freie Passage, so stehen ihm unzählig nervige Fäuste der Fuhrleute, mit Knitteln, Peitschen und Steinen zu Diensten, wo es denn jedesmal zu Tätigkeiten kommt. . ." Auch in späteren Jahrzehnten hatte sich an der Funktion Tempelhofs als „Vergnügungsort", d.h. als Ausflugsort nicht viel geändert. Alexander Cosmar bemerkt in seinem „Wegweiser durch Berlin" (4. Aufl. Berlin 1840, S. 173) von Tempelhof: „Gewöhnlich Templow genannt, ein freundliches Dorf mit einer schönen Lindenallee, eine kleine halbe Meile südlich von Berlin gelegen, . . . ist dieser Ort gegenwärtig ein Ziel der mittleren und unteren Volksklassen, wenn sie an Sonn- und Festtagen ihren Vergnügen nachgehen. Das Wirtshaus von Kreideweiß ist sehr besucht." Noch Merget's „Heimatkunde von Berlin und Umgegend" (Berlin 1858, S. 325) sagt von Tempelhof: „Weil der Aufenthalt daselbst sehr gesund ist, haben sich mehrere Berliner hier angesiedelt, und viele andere wohnen dort während des Sommers zur Miete, auch sind die Wirtshäuser an den Sonntagen und Mittwochs von den Städtern zahlreich besucht." Schließlich noch zwei Hinweise auf den „Badeort" Tempelhof. Die „Vossische Zeitung" 2 brachte am 19. April 1847 folgende Anzeige: „Das bei Tempelhof gelegene Bad, welches sich in den letzten Jahren wegen seiner heilbringenden Wirkung bei Rheumatismus, Gicht, Nervenleiden, Unterleibsstockungen einer guten Aufnahme zu erfreuen hatte, soll auf 2 hintereinander folgende Jahre öffentlich meistbietend verpachtet werden." "Die im Jahre 1839 geborene Agathe Nalli-Ruthenberg vermerkt in ihrem Erinnerungsbuche „Das alte Berlin" (Aufl. 1912, S. 35): „Im Tempelhofer See-Tümpel, wie er heute heißt, wurde auch viel gebadet. Verschiedene Damen aus der Gegend vor dem Anhalter Tore fuhren im Sommer alltäglich zum Baden nach Tempelhof hinaus, Morgens schon um fünf Uhr hielt ein großer Kremser in der Schöneberger Straße; dieser führte die Badenden hinaus zum See und brachte sie um acht Uhr bereits wieder zurück, damit die Wirtschaft daheim nur ja nicht unter dem Fernsein der Hausfrau zu leiden hatte." Dieses Zitat möge überleiten zu der Frage, wie denn der offensichtlich ziemlich rege Verkehr von Berlin nach Tempelhof abgewickelt wurde. Die hier geschilderte Kremserfahrt der Damen zum Bade war übrigens noch öfter praktiziert worden; auch um zu den Bädern an der Unterspree zu gelangen, mieteten sich die badelustigen Damen Wagen. Torwagen, Omnibus, Pferdebahn Den ältesten einwandfreien Hinweis für einen Verkehr von Berlin nach Tempelhof mit dem ältesten öffentlichen Verkehrsmittel, das auf festgelegten Strecken lief, dem Torwagen, gibt uns Ludwig Hellings 1830 erschienenes „Geschichtlich-statistisch-topographisches Taschenbuch von Berlin" (S. 375) unter dem Stichwort „Spatzierfuhrwerke, offene Korbwagen zu 8—16 und auch Chaisen zu 4 —6 Personen, findet man im Sommer zum Fahren nach den nahe gelegenen Vergnügungsörtern bereit stehen . . . Vor dem Halle- 3 sehen Tore nach Tivoli ( = Kreuzberg) und Tempelhof. . ." Allerdings wird schon in dem Torfuhrwerks-Reglement vom 20. Juli 1812, das die Torwagen fahrten in verkehrspolizeilicher Hinsicht regelte, unter den Stellen, wo sich „viele Fuhrleute einzufinden pflegen", der Standort „vor dem Halleschen Tor" aufgeführt. Dieser Abfahnplatz gestattet die Vermutung, daß auch schon zu jener Zeit Torwagen nach dem benachbarten Tempelhof gefahren sein könnten. Das „Reglement für das öffentliche Tor-Fuhrwerk" vom 31. Juli 1843 nennt in seiner „Standplatz-Nachweisung" als Abfahrtstelle nach Tempehof „Hallesches Tor, im Mühlenwege, Spitze an der Chaussee bei Nr. 5 der Tempelhofer Straße", während die Rückfahrten nach Berlin von Tempelhof „auf dem Dorfplatze" ( = Alt-Tempelhof) ausgingen. Mit dem Wachstum der Stadt nahmen allmählich auch die Verkehrsbedürfnisse sowohl in der Stadt selbst als auch nach den Nachbarorten zu. Ein neues Verkehrsmittel wurde in Betrieb gesetzt, der Omnibus, der seit 1847 durch die Straßen der Stadt fuhr. Während der Omnibus innerhalb der Stadt tatsächlich ein neues Transportmittel für den Verkehr darstellte, bedeutete seine Einführung auf den Außenstrecken nach den Nachbarorten, die ebenfalls schon 1847 begann, nur eine Verbesserung des bisherigen Torwagenverkehrs. Schon dieser hatte feste Linienführungen und feste Tarife; nun trat beim Omnibus-Verkehr der feste Fahrplan hinzu. Die älteste Erwähnung einer Omnibuslinie nach Tempelhof mitsamt ihrem Fahrplan findet sich in dem 1855 erschienenen Berlin-Führer des Verlegers Bartholi: „Vom Halleschen Tor nach Tempelhof, 6V 2 bis 7V 2 Uhr Vormittags, 3V 2 bis 8V 2 Uhr abends stündlich. Außerdem von Unter den Linden 6 Uhr morgens und 3 Uhr nachmittags, zurück 7 und 8 Uhr morgens, 4 bis 9 Uhr abends stündlich. Preis ä Person von Unter den Linden bis Tempelhof 3 Sgr., vom Halleschen Tor bis Tempelhof 2 Sgr." Es war ein Wagen auf dieser Linie eingesetzt, der früh und nachmittags aus seiner Remise kommend, Unter den Linden einsetzte, sonst aber zwischen dem Halleschen Tor und Tempelhof pendelte. Die Fahrzeit betrug weniger als eine halbe Stunde. Auch 1856 und 1857 wird diese Omnibuslinie mit dem gleichen Fahrplan in Berlin-Führern verzeichnet. Robert Springers „Berlin" führt sie wieder auf mit dem Zusatz „nur im Sommer". Diesen Fahrplänen nach, die den Betrieb auf die Nachmittagsstunden in der warmen Jahreszeit beschränkten, kann der Omnibus nur den Ausflugsverkehr von Berlin nach Tempelhof vermittelt haben. Die Frühfahrten von Tempelhof mögen den Berliner Sommergästen, die in die Stadt fahren mußten, gedient haben. Im Winter bei Schnee, Eis und Matsch wurden kaum Ausflüge nach Tempelhof gemacht. Die Frequenz der Linie wäre so gering gewesen, daß sie dem Fuhrherrn, der sie betrieb, nur Verluste beschert hätte. Schon Ernst Bruch hatte 1867 in seiner Studie „Der Straßenverkehr in Berlin" (S. 15) von den Außenlinien, die von der Stadt nach den Nachbardörfern führten und die er als „divergierende Linien" bezeichnete, bemerkt: „Die Frequenz dieser sämtlichen divergierenden Linien, welche hauptsächlich durch das berechtigte Streben des Großstädters, die frischere Landluft zu genießen, bedingt wird, ist natürlich außerordentlich verschieden, je nachdem die Jahreszeit, der Wochentag, die Tagesstunde, namentlich auch das Wetter dieses Bedürfnis nach freierer Bewegung hervortreten läßt." Eigenartigerweise wird im Jahre 1864, als das Berliner Omnibuswesen mit 39 Linien, 303 Wagen und 4535 Fahrten pro Tag seine in damaliger Zeit größte Ausdehnung erreicht hatte, keine Linie nach Tempelhof in den Linienverzeichnissen aufgeführt. Auch in dem vom Polizeipräsidium am 13. April 1865 veröffentlichten Omnibusfahrplan für das Som4 merhalbjahr (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Potsdam 1865, S. 189ff.) fehlt unsere Linie. Erst in dem vom Polizeipräsidium am 3. Mai 1866 bekanntgegebenen „GeneralSommer-Fahrplan" erscheint sie wieder: „Hallesches Tor - Tempelhof . . . Auf dieser Linie gehen zwei Wagen . . . vormittags je 60 Minuten, Nachmittags je 30 Minuten geht ein Wagen von den Endpunkten ab." Dieser Fahrplan, der immerhin eine Verkehrsbedienung Tempelhofs den ganzen Tag über von 7 bis 22.30 Uhr ausweist, scheint aber später wieder eingeschränkt worden zu sein. Der „Berlin-Führer" des Verlags Kapp von 1869 enthält die Linie Hallesches Tor - Tempelhof mit dem Bemerken von 2XI2 Uhr mit einer Wagenfolge von 60 Minuten. Der letzte, unseren Tempelhofer Omnibus betreffende Fahrplan von 1875, veröffentlicht im „Wohnungsanzeiger für Steglitz, Lichterfelde (usw.)" (S. 83), führt an: „In Zwischenräumen von 80 Minuten, Fahrpreis 20 Pfg. Tempelhof: Von 7 U. Morgens bis 9 U. 40 Min. ( = 21.40 Uhr) abends. - Hallesches Tor: Von 7 U. 40 Min. bis 10 U. 20 Min. abends ( = 22.20 Uhr)". Im Juli 1875 wurde die Linie eingestellt, da sie nicht mehr rentabel war. Die schnellere und bequemere Pferdebahn war für den schwerfälligen alten Omnibus eine zu starke Konkurrenz, als daß er noch neben ihr hätte bestehen können. Seit 1868 wurde die Tempelhofer Linie von der damals neu gegründeten Allgemeinen Berliner Omnibus Aktien-Gesellschaft, kurz ABOAG, betrieben. Eine Schilderung von dem alten Tempelhofer Omnibus, offensichtlich nach persönlichen Erinnerungen niedergeschrieben, veröffentlichte das „Teltower Kreisblatt" am 11. November 1882: „Die Eröffnung der Pferdebahn verdrängte auch hier den Omnibus, früher das einzige Verkehrsmittel, der in Zeiträumen von ungefähr anderthalb Stunden zwischen Tempelhof und dem Halleschen Tore kursierte. Niemand, der dieses segensreiche Beförderungsmittel kennengelernt hat, besonders von den regelmäßig wiederkehrenden Sommergästen, wird sich ohne ein gewisses Gefühl der Behaglichkeit an die Fahrten im Tempelhofer Omnibus zurückerinnern, die zwar meist sehr unbequem, aber immer äußerst gemütlich waren. Und dann der unersetzliche Nutzen des Kondukteurs! Er war das Faktotum des ganzen Dorfes. Nie gab er das Zeichen zur Abfahrt, ohne Aufträge der verschiedensten Art erhalten zu haben. Er beförderte Briefe und Depeschen, er besorgte Arzneien, er kaufte Fleischwaren, Zucker, Kaffee u.a.m. ein, so daß der Raum für die Körbe und Pakete kaum ausreichte. Wurde auch die Zeit der Abfahrt vom Halleschen Tore nicht immer regelmäßig innegehalten, bei schlechtem Wetter wohl gar eine Tour auszusetzen beliebt, des Abends waltete die größte Pünktlichkeit ob, und daher wurde von verspäteten Nachzüglern sehr gern die Post benutzt, die damals noch ungefähr V21 Uhr nachts Tempelhof auf dem Wege nach Zossen berührte." Die Frequenz des Tempelhofer Omnibusses läßt sich, wenn auch nur grob, abschätzen. Wenn man die Zahl der nachmittäglichen Fahrten pro Tag mit etwa 6 bis 8 ansetzt und das Fassungsvermögen der einzelnen Omnibuswagen mit etwa 15 Personen annimmt, dann konnten von Berlin nach Tempelhof in den 5 bis 6 Sommermonaten am Tage etwa 100 Personen befördert werden und ebensoviel auch wieder von Tempelhof zurück nach Berlin, vorausgesetzt, daß schönes Wetter war. Im Monat konnten also bei voller Besetzung in beiden Richtungen zusammen etwa 6000 Personen befördert werden. Das waren im Sommerhalbjahr etwa 30 000 bis 35 000 Fahrgäste. Schon aufgrund der geringen Einwohnerzahl Tempelhofs (1858: 928; 1864: 1081; 1867: 1153; 1875: 2205) konnte der Anteil der Tempelhofer am Aufkommen des Omnibusverkehrs nur einen Bruchteil bilden. Die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung Tempelhofs verfügte übrigens vielfach über eigenes Fuhrwerk, war also von dem Omnibus nicht so sehr abhängig, wenn sie zu Besu5 chen, Besorgungen usw. in die Stadt fahren mußte. Während der ganzen Omnibuszeit blieb das Kreideweiß'sche Lokal mit seinem großen, schattigen Wirtsgarten das Ausflugsziel der Berliner und das Dorf Tempelhof auch Ziel der Sommerfrischler. Noch als 1885 der Plan aufkam, in Tempelhof einen Kirchhof der Heiligen-Kreuz-Gemeinde (am Halleschen Tor) anzulegen, protestierten die Einwohner des Dorfes. Die Tempelhofer führten in ihrer Petition an, daß der Ort auch „in seiner Eigenschaft als Sommerfrische eine ganz erhebliche Einbuße erleiden" werde. Durch die mitten durch das Dorf gehenden Berliner Leichenzüge würden auch die Sommerfrischler abgeschreckt. Der Omnibusverkehr Berlin-Tempelhof war also ziemlich einseitig ausgerichtet. Er führte in der Regel seine Fahrgäste aus Berlin heraus und nahm sie abends mit den letzten Wagen wieder zurück. Er diente hauptsächlich dem Ausflugs- oder „Vergnügungsverkehr", wie man damals sagte und vielleicht auch den Bedürfnissen der Sommerfrischler; er war also wenig differenziert. Umlanderschließung und Verkehrsanbindung In den sechziger Jahren begann die Verwischung des hergebrachten Stadt-Umland-Verhältnisses. Die Bodenspekulation entstand und griff allmählich auch auf die Fluren der Nachbarorte über. Die nähere und weitere Umgegend der Residenz- und bald auch Reichshauptstadt wurde von den Terrain- und Bauunternehmen erfaßt, von Lübars bis Marienfelde, von Haselhorst bis Hirschgarten. Überall begannen Geschäftsleute und die von ihnen ins Leben gerufenen Aktiengesellschaften Kartoffel- und Roggenfelder und Wiesenland anzukaufen, um „Colonien", „Cottages", Villenstädte oder auch neue Stadtteile ins Leben zu rufen, wenn auch mit wechselnder Intensität und unterschiedlichem Erfolg. Während aber diese Siedlungen der „Gründer" und der „Gründerzeit" in noch freiem Gelände meist für wohlhabendere Kreise konzipiert waren, beschäftigte man sich in der Öffentlichkeit und bei Behörden auch mit der Frage, wie man die Lage der in der engen und überbauten Stadt zusammengedrängten, weniger bemittelten Bevölkerungsschichten, die zudem noch Wohnungsnot und Mietstreibereien schutzlos ausgesetzt waren, lindern könne. Auch ihnen sollte Gelegenheit zu billigerem und gesünderem Leben im Umland gegeben werden. Da aber das Umland Berlins, wo nun an zahlreichen Stellen die Siedlungen der Gründer angefangen wurden, noch völlig unerschlossen war - allenfalls einige Chausseen gingen radial von der Stadt aus - , so mußte den Bemühungen der Gründer und auch der Reformer der Erfolg versagt bleiben. Erst wenn die neuen Wohnsiedlungen für die künftigen Landhausbewohner oder die Wohnungen für die „arbeitenden Klassen" durch geeignete Verkehrsmittel, Eisenbahnen und Pferdebahnen mit der Stadt, wo ja die Arbeitsstätten der künftigen Umlandbewohner sich in jedem Falle befanden, verbunden waren, ließen sich - so glaubte man - die Vorstellungen der Gründer und der Reformer realisieren. Ohne ausreichende Nahverkehrsmittel konnten die neuen Kolonien tatsächlich nur in Kümmerformen bestehen. Auch das Verkehrswesen wurde nun Gegenstand spekulativer Unternehmungen. Einige Gründer erkannten die Lücke und riefen Nahverkehrsunternehmungen ins Leben, wobei man sich den Pferdebahnen zuwandte, die seit den sechziger Jahren in mehreren europäischen Städten eingeführt worden waren und mit Gewinn betrieben werden konnten. Einer der Spekulanten, der die Gründung der „Großen Berliner PferdeeisenbahnAktiengesellschaft" mit vorbereitete, führte am 18. April 1871 in einem Antrage an das 6 Polizeipräsidium u.a. aus, er habe sich „im Hinblick auf den steigenden Wohnungsmangel, welcher die Schaffung neuer und billiger Kommunikationsmittel zur Verbindung der Stadt mit ihrer nächsten Umgebung zu einer immer dringenderen Notwendigkeit macht", entschlossen, ein vollständiges Netz von Pferdeeisenbahnen ins Leben zu rufen. Bei der Planung für derartige Pferdebahnnetze in dieser Frühzeit des Pferdebahnwesens war auch eine Linie vom Halleschen Tor nach Tempelhof vorgesehen, das ebenfalls in den Bannkreis der Terrain- und Bauspekulation geraten war. Das Gut Tempelhof war, ein frühes Beispiel für die Grundstücksgeschäfte der frühen Gründerzeit, bereits im Jahre 1863 in das Eigentum der Disconto-Gesellschaft übergegangen, die aber nur wenig veränderte und den großen Grundstückskomplex 1872 an ein englisches Konsortium veräußerte, das hier eine jener damals üblichen Villenstädte plante. Südlich des alten Dorfes und längs des Tempelhofer Dammes sollte diese Schöpfung entstehen, zu der u.a. die Werder-, die Blumenthal-, die Friedrich-Wilhelm-, die Kaiserin-Augusta-Straße usw. gehörten. Die Unternehmer haben, um die verkehrliche Erschließung ihrer Terrains zu fördern, der Großen Berliner Pferdebahn-Gesellschaft das Grundstück für den künftigen Betriebshof an der Kaiserin-Augusta-Straße und am Tempelhofer Damm unentgeltlich übereignet. Der Ausbau der Tempelhofer Strecke wurde bereits im ersten Baujahr dieses jungen Pferdebahnunternehmens begonnen. Am 24. Dezember 1873 konnte die erste kurze Teilstrecke im Mehringdamm bis zur Baruther Straße dem Verkehr übergeben werden, am 27. Februar 1874 wurde der zweite Teilabschnitt bis zur Ecke der Bergmannstraße eröffnet. Auf diesen Neubaustrecken im Mehringdamm verkehrte zunächst die Pferdebahnlinie Potsdamer Tor - Stresemannstraße - Hallesches Tor - Bergmannstraße. Sie war 2519 m lang, und die Fahrt auf ihr kostete 10 Pf. Die Strecke bis Tempelhof wurde am 7 15. Juni 1875 in Betrieb genommen. Der „Staatsanzeiger" schrieb am 17. Juni: „Die Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Gesellschaft hat die neu erbaute Linie vom Fuße des Kreuzberges (Bergmannstraße) bis nach Tempelhof eröffnet. Der Betrieb auf dieser Strecke wird in der Weise gehandhabt, daß die Abfahrt am Halleschen Tore, gegenüber dem Rotherstift, auf der daselbst eigens für diesen Verkehr hergerichteten Weiche stattfinden wird. Die Bahn ist vom Kreuzberg an eingleisig ausgeführt, hat aber so lange Weichen erhalten, daß mehrere Wagen darauf Platz finden können. In Tempelhof findet die Bahn vor dem Kreideweiß'schen Etablissement vorläufig ihren Abschluß. Die Fortsetzung bis zu dem an der Kaiserin-Augusta-Straße errichteten Depot ist beinahe vollendet und wird in etwa 8 Tagen dem Verkehr übergeben werden. Die Wagen laufen vorläufig in Zwischenzeiten von 30 Minuten; da die Weichenanlagen aber auf einen 10-Minutenverkehr eingerichtet sind, so wird es von der Frequenz abhängen, ob ein häufigerer Waggonwechsel eintreten wird." Auf ihrem eingleisigen Teil waren in jeweils 800 m Entfernung Ausweichen von je 110 m Länge angeordnet. Am 12. Oktober 1875 erfuhr die Tempelhofer Linie eine Erweiterung. Sie wurde vom Halleschen Tor auf der neu erbauten Strecke durch die Linden-, Kommandanten-, Krausen- und Jerusalemer Straße bis zum Dönhoffplatz verlängert; die nun über 6 km lange Linie brauchte 42 Minuten Fahrzeit von der einen zur anderen Endstelle. Die Tempelhofer Strecke zählte zu den weniger ertragreichen, von 1880 bis 1885 blieb die Zahl der Fahrgäste alljährlich mit etwa 560,000 bis 575 000 konstant. Der rentable Verkehr blieb aus, einmal weil der Staffeltarif die Fahrten über längere Strecken - Tempelhof - Dönhoffplatz kostete 25 Pf - verteuerte, so daß die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten sich keine regelmäßige Fahrt auf derartigen Pferdebahnstrecken leisten konnten. Außerdem war der Rausch der Gründerjahre verflogen. Die „Deutsche Bauzeitung" schrieb im Jahre 1877 (S. 369): „In der Gründerzeit hat demnächst ein englisches Konsortium das Terrain des Dominiums gekauft und auf den kahlen, reizlosen Sandfeldern desselben ein zur Bebauung mit Villen bestimmtes Netz mit hochtönenden Namen benannter Straßen und Plätze projektiert bzw. zum Teil schon angelegt, wie es umfangreicher kaum auf einem Punkt der Umgegend Berlins von der Gründer-Phantasie geträumt war. Der Erfolg ist hier wie fast überall ausgeblieben . . ., als man in völliger Verkennung der Verhältnisse lediglich auf eine in Luxusvillen lebende Bevölkerung gerechnet hatte . . ." Lediglich in der Nähe des Pferdebahnhofes zu beiden Seiten des heutigen Tempelhofer Dammes sei eine Bebauung, „und zwar durchweg mit Häusern untergeordneten Ranges[,] erfolgt". Die Tempelhofer Linie hat dem Pendlerverkehr anfangs nur in bescheidenem Umfange gegedient. Anfang 1884 wird einmal „eine Anzahl von Geschäftsleuten" erwähnt, die „sich lediglich in Rücksicht auf die Pferdebahnverbindung" in Tempelhof niedergelassen hätten. Am 20. Juni 1885 wurde der Berliner Endpunkt wieder bis zum Blücherplatz zurückgezogen, vielleicht wegen des geringen Verkehrsaufkommens. Während bis dahin ein 24-Minutenverkehr ausgereicht hatte, wurde mit der Verkürzung zugleich der 12-Minutenbetrieb eingerichtet. Daß die Strecke auch noch die Funktionen einer Ausflugslinie zu erfüllen hatte, geht u.a. daraus hervor, daß 1886 die Zahl der beförderten Personen in den Sommermonaten z.T. um ein Drittel höher war als im übrigen Teil des Jahres. Auf jeden Fall beklagt der Geschäftsbericht für 1887 der Großen Berliner Pferdebahngesellschaft: „Die nach Tegel, Dalidorf, Tempelhof, Charlottenburg und Treptow führenden Linien erfordern alljährlich nicht unerhebliche Zuschüsse", was einem privatkapitalistischen Unternehmen, das hohe Dividenden erwirtschaften sollte, unangenehm war. 8 Betriebstechnisch hatte die Tempelhofer Strecke eine Besonderheit aufzuweisen. Bei starkem Schneefall wurde die Linie, die über freies Feld führte, nicht mehr mit Wagen, sondern mit Schlitten betrieben. So berichtete das „Schöneberger Wochenblatt" am 22. Januar 1881: „Nach Tempelhof und nach andern außerhalb der Peripherie gelegenen Stationen sind statt der Tramway Schlitten eingelegt worden." Ausführlicher schrieb am 12. Februar 1889 das „Teltower Kreisblatt" über diesen Betrieb aus Tempelhof: „Die sich stündlich vermehrende Schneefülle hat es zu Wege gebracht, daß die Pferdeeisenbahn die Fahrten nach und von Berlin mittelst der gewöhnlichen Pferdebahnwagen eingestellt und an die Stelle der letzteren große offene Korbschlitten gesetzt hat, um so die Verbindung aufrecht zu erhalten. Liebhabern einer angenehmen und dabei billigen Schlittenfahrt ist hierdurch eine schöne Gelegenheit zu einem Vergnügen gegeben, wie es sobald nicht wiederkehren wird. An der Ecke der Belle-Alliance-Straße ( = Mehringdamm) und Kreuzberg steigt man in den Schlitten, der ungefähr 12 Personen aufnehmen kann, und dann geht es im lustigen Trab bei lustigem Schellengeklingel hinaus auf die Chaussee, zu deren Seiten sich die weiten schneebedeckten Flächen des Tempelhofer Feldes hinziehen. Zur Auffrischung der durch die Kälte etwas klamm gewordenen Glieder bietet sich dann in den hiesigen beliebten Lokalen reichlich Gelegenheit." Die Tempelhofer Pferdebahn war auch die einzige in der Berliner Verkehrsgeschichte, die mit einem Luftfahrzeug einen Zusammenstoß hatte. Am 19. März 1898 riß sich bei Sturm ein Fesselballon, der sich auf dem Hofe der Luftschiffer-Abteilung befand, los und fegte über das Tempelhofer Feld mitsamt dem mit ihm verbundenen Kabelwagen. In der Höhe der Kaiserpappel auf dem Tempelhofer Feld rammte dieser von dem Ballon gezogene Kabelwagen den Pferdewagen 88, der sich bei dem Zusammenstoß auf die Seite legte. Die fünf Fahrgäste, Fahrer und Schaffner kamen aber mit dem Schrecken davon. v Noch einer weiteren Verkehrseinrichtung, die allerdings nicht dem öffentlichen Verkehr diente, sei gedacht: der Lazarett-Pferdebahn. Das Berliner Gamisonlazarett II, das heutige Wenckebach-Krankenhaus, 1878 fertiggestellt, erhielt Anschluß an das Berliner Pferdebahnnetz, damit durch das damals verhältnismäßig schnelle Verkehrsmittel der Pferdebahn verunglückte, verletzte oder erkrankte Soldaten aus ihren Kasernen der ärztlichen Betreuung im Lazarett zugeführt werden konnten. Zu diesem Sonderdienst, der von der Pferdebahngesellschaft mit versehen wurde, noch einige zeitgenössische Berichte aus dem „Teltower Kreisblatt": Am 2. Januar 1878 berichtete dieses: „Ein Seitenstrang der BerlinTempelhofer Pferdebahn bis zum Lazarett wird es ermöglichen - da sämtliche Kasernen des Lazarett-Bezirks gleichfalls an das Netz der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn angeschlossen werden sollen —, der Anstalt die Kranken in eigens hierzu eingerichteten, auf der Pferdebahn laufenden Krankenwaggons zuzuführen . . . " 1882 wird erwähnt, der Krankentransport geschehe in besonderen Krankenwagen, die mit Sitzen versehen und durch Tragevorrichtungen auch für Schwerkranke benutzbar seien. Am 24. März 1888 schrieb die Zeitung: „Die Verwaltung des Militär-Lazaretts entsandte in den letzten schneereichen Tagen Krankenwagen auf Schlitten. Die bekannten Militärkrankenwagen der Pferdebahn mit ihren undurchsichtigen Scheiben, die ihre geheimnisvollen Fahrten alltäglich in die Kasernen lenken, hat man auf Kufen gesetzt und drei schnelle Pferde fliegen mit leichten Gefährten über die schneegeglättete Fläche der Chaussee, um dann zunächst in der Belle-Alliance-Straße in Berlin die ersten Kranken aus der Dragonerkaserne aufzunehmen." Als Entschädigung für die Beförderung der „Königlichen Lazarethwagen" erhielt die Pferdebahngesellschaft 1883 und 1886 etwa 6500 Mark. Anfang der neunziger Jahre wird diese Lazarettbahn noch erwähnt. Der Anschluß nach Mariendorf Als die Tempelhofer Linie über ein Jahrzehnt bestanden hatte, regte sich in Mariendorf das Interesse, an das Berliner Pferdebahnnetz angeschlossen zu werden, und es verhandelte deswegen mit der Großen Berliner Pferdebahngesellschaft über eine Verlängerung der Tempelhofer Linie. Nun galt damals ganz allgemein der Grundsatz bei den privaten Pferdebahnunternehmungen: Wer eine Verbesserung verkehrlicher Leistungen, insbesondere Neubaustrecken in noch verkehrsschwache Gebiete wünsche, müsse dafür auch bezahlen. Der Bau der 2,5 km langen Anschlußbahn von Tempelhof bis Mariendorf wurde von der Pferdebahngesellschaft „auf Ansuchen und für Rechnung der Gemeinde Mariendorf" ausgeführt und dann von dieser für ein Drittel der Gesamtbaukosten übernommen. Die Eröffnung erfolgte am 6. August 1887, worüber folgender Bericht im „Teltower Kreisblatt" vom 9. August zu finden ist: „Am Freitag abend wurde die neuerbaute Pferdebahnstrecke Tempelhof - Mariendorf unter Teilnahme des Herrn Landesdirektor Reinhard, verschiedener höherer Beamter und der Gemeinde-Vertretung zum ersten Male befahren und hierauf feierlich dem Betriebe übergeben, den sie am Sonnabend aufgenommen hat. Der zur Probefahrt bestimmte Wagen wurde in Tempelhof reich mit Kränzen und Blumengewinden verziert und fuhr ungefähr um 6 Uhr, nachdem das Festcomite Verdeck und Innenraum besetzt hatte, in scharfem Tempo, voran ein berittener Gendarm, seiner ersten Station, der Tempelhofer Badeanstalt zu. Dort hatte auf Veranlassung des Besitzers der Badeanstalt der Gastwirt Kreideweiß ein hübsches Buffett aufge10 Triebwagen der „Grossen Berliner Straßenbahn", Linie 96: Friedrichstraße, E. Behrenstraße — Mariendorf, Lichtenrader Chaussee. schlagen und eine kleine Musikkapelle stationiert, welche die Ankömmlinge mit einem kräftigen Tusch empfing. Nach kurzem Aufenthalte wurde die Fahrt fortgesetzt. In Mariendorf selbst, wo die Bevölkerung Kopf an Kopf gedrängt stand, hielt Herr Oberlehrer Hoffmann vom Vorderperron des Pferdebahnwagens die Festrede, in welcher er den Behörden und allen, die sich um das Zustandekommen des Werkes verdient gemacht hatten, im Namen der Gemeinde den Dank aussprach. Sein Hoch galt unserem allverehrten Heldenkaiser. Die Musik spielte dazu die Nationalhymne und ,Nun danket alle Gott'. Die Festteilnehmer begaben sich nun unter Vorantritt der Musik in das Freiberg'sche Etablissement, wo ein kleines Festmahl sie erwartete, das von manch kernigem Trinkspruch gewürzt wurde . . ." Die Fahrpläne der Tempelhofer und der Mariendorfer Linie wurden so gestaltet, daß bis Tempelhof wie bisher 12-Minutenverkehr bestand, während nach Mariendorf alle 24 Minuten ein Wagen lief. Die Linie wurde vom 1. Juni 1888 wieder durch die Lindenstraße zum Dönhoffplatz verlängert; die Fahrzeit betrug 57 Minuten, die Länge der Linie 8,3 km. Die ganze Strecke von Mariendorf, Kirche bis zum Dönhoffplatz kostete 30 Pf. Am 22. Oktober 1894 erfuhr die Linie eine Änderung in der Linienführung. Sie fuhr nun vom Halleschen Tor durch die Friedrich-, Koch-, Charlotten- und Behrenstraße bis zur Ecke der Friedrichstraße; Länge nun 8,95 km, Fahrzeit 60 Minuten. Die Frequenz der Linie nahm in den späten achtziger Jahren mit der weiteren Bebauung Tempelhofs zu, das seit 1885 auch als militärischer Standort Bedeutung gewann. Zu dem Militär-Lazarett gesellten sich das Kasernement des Garde-Train-Bataillons, das TrainDepot sowie ein Proviantamt. Auch einige Kirchhöfe entstanden an der Tempelhof1 I Mariendorfer Grenze, so daß der Pferdebahnbetrieb durch den Verkehr zu den militärischen Instituten und den Friedhöfen eine weitere Differenzierung erfuhr. Mariendorf war als „Bäckerdorf bekannt, weil hier zahlreiche Bäckereien bestanden, die auch Berlin belieferten. Wenn es auch kein bevorzugtes Ausflugsgebiet war - dazu bot die flache Landschaft zu wenig - , so hatte es doch einige Gartenlokale, die auch von Berlinern aufgesucht wurden. Es blieb aber ziemlich farblos und hat den Verkehr in den ersten Jahren kaum verstärkt. Erst um die Jahrhundertwende wurde Mariendorf von der Bau- und Terrainspekulation erfaßt und entwickelte sich nun schnell zum typischen Berliner Wohnvorort und zugleich zu einem Industriestandort. 1888 überschritt die Zahl der Fahrgäste auf der Tempelhofer und Mariendorfer Linie erstmals die Millionengrenze, und zwar um knapp 50 000, um dann auf etwa 1,3 Mio. Fahrgäste in den frühen und 1,8 Mio. in den späten neunziger Jahren zu steigen. Die „Elektrische" Das Pferdebahnzeitalter fand in Tempelhof ziemlich spät sein Ende. Die Ablösung der pferdebespannten Wagen durch die „Elektrische" fand abschnittsweise statt, je nach Fortschritt des Straßenausbaues des Tempelhofer Dammes. Am 21. April 1901 wurde die Strecke Behrenstraße bis Ringbahnhof Tempelhof auf elektrischen Betrieb umgestellt. Am 4. Juni wurde er bis zur Dorfstraße (Alt-Tempelhof) ausgedehnt. In drei weiteren Teilabschnitten drang er bis zum 14. September an die Mariendorfer Grenze vor und schließlich wurde wenige Wochen vor dem Ende des Pferdebahnbetriebs in Berlin am 9. Juli 1902 die ganze Strecke bis zur neuen Endstelle südlich des Dorfes dem elektrischen Betrieb übergeben. Bis dahin mußte an den jeweiligen Endstellen der elektrischen Straßenbahn auf die Pferdebahn umgestiegen werden, die auf den noch nicht umgestellten Teilstrecken weiterverkehrte. Die neue Zeit in Gestalt der elektrischen Straßenbahn war allerdings schon vorher, am 1. Juli 1899, nach Tempelhof gekommen. Damals eröffnete nach jahrelangen Verhandlungen mit den beteiligten Behörden die „Südliche Berliner Vorortbahn" ihre neue Ringlinie, die vom Blücherplatz ausgehend über Schöneberg, Tempelhof, Britz und Neukölln wieder zum Blücherplatz zurückkehrte. Diese Linie, die meist durch unbebautes Gebiet fuhr und daher im Volksmund bald den Namen „Wüstenbahn" erhielt, wies auf ihrer südlichen Hälfte nur eine geringe Frequenz auf, da der Tangentialverkehr zwischen den südlichen Landgemeinden und Vororten noch unbedeutend war. Diese stille Ringlinie, die übrigens auch durch die Britzer Rosenfelder fuhr und nur alle 24 Minuten verkehrte, war die Stammmutter der Straßenbahnlinie 6, die einst auch „Südring" hieß. Aus ihr ist am 1. Juli 1961 die Autobuslinie 73 hervorgegangen. Als Nachfahren der Tempelhofer Pferdebusse und Pferdebahnen kann man die jetzige U-Bahn nach Tempelhof und Mariendorf (Linie 6) ansehen. Anschrift des Verfassers: Joachim-Friedrich-Straße 2, 1000 Berlin 31 (Die Bildvorlagen stammen aus dem Besitz von Herrn Hans-Werner Klünner.) 12 Gustav Böß und der Berliner Sport Von Christian Engeli Am 9. Dezember letzten Jahres wurde im Bezirk Wedding (Koloniestraße 82 — 87) eine neugeschaffene Sportstätte eingeweiht und nach Gustav Böß benannt. Die Namensnennung erfolgte im Wissen um die besonderen Verdienste des Berliner Oberbürgermeisters der Zwanziger Jahre, die dieser sich um die Förderung des Sportes in der Reichshauptstadt erworben hatte. Sein Amtsbeginn 1921 fiel in die schlimme Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der die Situation der Stadt durch katastrophale Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Unterernährung, durch körperliche und geistige Verelendung breiter Teile der Bevölkerung gekennzeichnet war und in der gleichzeitig, bedingt durch die wirtschaftliche Stagnation, öffentliche und private Wohlfahrtspflege schmerzlichen finanziellen Restriktionen unterlagen; nachzulesen etwa in der 1923 erschienenen, aufrüttelnden Schrift von Gustav Böß über „die Not in Berlin". Böß schloß damals seine traurige Bilanz mit dem Aufruf, über der Linderung des schlimmsten Elends nicht das Hauptziel der Beseitigung und künftigen Verhütung der gesundheitlichen Schädigung der Bevölkerung aus den Augen zu verlieren, und nannte als wichtigste Vorbedingung der Gesundwerdung und Gesunderhaltung „Spielplätze für die Kinder, Gelegenheit zu Sport und Leibesübungen für die Jugend, Volksparks zur Erholung". Noch in seinem ersten Amtsjahr als Oberbürgermeister veranlaßte er eine Bestandsaufnahme der Spiel- und Sportstätten im 1920 neugeschaffenen Groß-Berlin. Ergebnis: Berlin erreichte nur gerade 10% des vom Reichsausschuß für Leibesübungen aufgestellten Richtwertes für die Ausstattung der Städte mit Freizeitanlagen. Böß' Antwort auf diese Bilanz war ein Gesamtkonzept zum Erholungs-, Spiel- und Sportstättenbau mit über 60 einzelnen Anlagen, das noch 1921 von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung verabschiedet und im Laufe der Zwanziger Jahre weitestgehend realisiert wurde - so daß 1929, am Ende seiner Amtszeit, der erwähnte Richtwert immerhin zur Hälfte erreicht war — in absoluten Zahlen war dies ein flächenmäßiger Zuwachs von über 4 Millionen Quadratmeter. Es entstanden u.a. die Volksparks Jungfernheide im Nordwesten und Wuhlheide im Südosten der Stadt, es erfolgte die Umwandlung der staubigen Dünenlandschaft der Rehberge - bis vor dem Ersten Weltkrieg militärisches Übungsgelände in eine Parklandschaft, in der die Bevölkerung der nahegelegenen Mietskasernenviertel Platz für Erholung, Spiel und Sport finden konnte, oder auch etwa der Ausbau des Badeplatzes am Wannsee zu dem großzügig angelegten Strandbad, das bis auf den heutigen Tag ein Wallfahrtsort der sonnen- und lufthungrigen Berliner geblieben ist. Die Schaffung städtischer Anlagen war dabei für Gustav Böß Teil eines Gesamtkonzeptes, in das auch private Initiative eingeplant war. Sportvereine bauten mit städtischer Unterstützung ihre Plätze aus, und vor allem fiel die Anregung bei der Berliner Wirtschaft auf fruchtbaren Boden: der Betriebssport nahm großen Aufschwung, und entsprechend entstanden in großer Zahl Betriebssportstätten. Die Berliner Wirtschaft wurde noch in einer anderen Weise in die Sportförderung des Oberbürgermeisters eingespannt. Hätte der Bau der Anlagen lediglich aus städtischen Haushaltsmitteln finanziert werden können, so wäre die Realisierung des Gesamtkonzeptes nur langsam vorangekommen. Gustav Böß wählte deshalb den Weg der Organisation 13 Oberbürgermeister Gustav Böß (rechts) und Dr. Carl Diem bei der Eröffnung der Turn- und Sportwoche 1925. ' jÄ**^/5»^S 5fB Foto: Aus dem Privatbesitz der Familie Böß ssrfHB ^Ä__jfL__*.^B • r ^H ^^Hj Jk jj ^'Sfe-'aB p I^P^^F'-''.. privater Spenden - eine Maßnahme, die er bekanntlich auch auf dem Gebiet der Kunstpflege und der Sozialfürsorge im engern Sinne erfolgreich praktizierte. Für ihn war es eine Selbstverständlichkeit, die zahlreichen Unternehmen, die von den Standortvorteilen Berlins profitierten und hier ihre Erträge erwirtschafteten, zu zusätzlichen freiwilligen Sozialleistungen heranzuziehen. Mit seiner 1922 gegründeten Stiftung „Park, Spiel und Sport" konnten die von der Stadt zur Verfügung gestellten Mittel über Jahre hinweg mehr als verdoppelt werden. Aber nicht nur Anlagen wurden dank seiner Förderung geschaffen. Gustav Böß setzte auch ein vielbeachtetes und fortwirkendes Zeichen zur aktiven sportlichen Betätigung der Bevölkerung. 1922 ergriff er die Initiative zur Durchführung einer die ganze Stadt mobilisierenden Turn- und Sportwoche und schuf damit ein Markenzeichen, das, wie die Funkausstellung oder die Grüne Woche, alljährlich wiederkehrend für einige Zeit der Stadt den Stempel aufdrückte. Die Berliner Turn- und Sportwoche brachte die Bevölkerung in Kontakt mit den Sportvereinen, weckte in ihr das Verständnis für die sozialpolitische Bedeutung des Sportes und regte sie zu eigener aktiver Betätigung an. Aus der 14 Sportverbände im Lustgarten bei der Eröffnung der Berliner Turn- und Sportwoche 1925. Foto: Landesarchiv Berlin Berichterstattung der Berliner Presse, die diesem Ereignis jeweils breiten Raum gewährte, ist der hohe Stellenwert der Veranstaltung in der Öffentlichkeit unschwer abzulesen. Heutzutage gehört es für einen Politiker zum guten Ton, sich für die Belange des Sportes einzusetzen. Anfang der Zwanziger Jahre aber mußte sich die Erkenntnis von seiner gesundheitspolitischen Bedeutung und für die der öffentlichen Hand daraus erwachsenden Verpflichtung zur Sportförderung erst noch Bahn brechen. Dies unterstrichen 1928 Theodor Lewald und Carl Diem, Präsident bzw. Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, als sie in einer Betrachtung über „Berlin als Sportstadt" Gustav Böß als einen Vorkämpfer auf dem Gebiet der Spiel- und Sportplatzfürsorge bezeichneten. „Er ist nicht müde geworden", schrieben sie, „mit seiner ganzen Tatkraft und mit dem Gewicht seines Ansehens und seiner Stellung immer wieder auf diese Forderung, daß jedem Bürger Spielplätze, Turnhallen und Schwimmbäder zur Verfügung stehen müssen, hinzuweisen, und er hat sie trotz aller Widerstände und trotz mancher Anfeindung und Verhöhnung allmählich in der öffentlichen Meinung zur Anerkennung gebracht". 1 Der Dank der Sportvereine und -funktionäre, aber auch der Öffentlichkeit und der politischen Parteien war ihm für diese Pionierarbeit seinerzeit vielfach abgestattet worden. Als 1925 im Rahmen der Berliner Turn- und Sportwoche als besondere Attraktion die erste schwimmende Jugendherberge ihrer Bestimmung übergeben werden konnte, verlieh man ihr in Anerkennung seiner Fürsorge für die Bedürfnisse der Jugend den Namen „Gustav Böß". Doch gerieten seine Verdienste um die Förderung des Berliner Breitensports genauso in Vergessenheit wie sein erfolgreiches Wirken in anderen Bereichen der Stadtverwal15 tung, als er im Gefolge des Sklarek-Skandals im Winter 1929/30 als ein Opfer überbordender politischer Leidenschaften von seinem Amt zurücktreten mußte 2 . Mit der Benennung einer Sportstätte nach Gustav Böß haben der Senat von Berlin und der Bezirk Wedding einen begrüßenswerten ersten Schritt getan, das Berliner Stadtoberhaupt der Zwanziger Jahre dieser unrühmlichen und ungerechtfertigten Vergessenheit wieder zu entreißen. Anschrift des Verfassers: Dr. Christian Engeli, Spindelmühler Weg 27,1000 Berlin 45 1 2 Lewald, Theodor, und Carl Diem: Berlin als Sportstadt, in: Unser Berlin. Ein Jahrbuch von Berliner Art und Arbeit, Berlin 1928, S. 111. Vgl. hierzu Christian Engeli, Gustav Böß. Oberbürgermeister von Berlin 1921 — 1930, Stuttgart u.a. 1971 (Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften, Bd. 31), S. 226 ff. „Bildnis eines Gelehrten" Zur Neuerwerbung eines Gemäldes von Johann Carl Heinrich Kretschmar Von Helmut Börsch-Supan Kurz nach dem Erscheinen des Artikels über Johann Carl Heinrich Kretschmar im Jahrbuch des Vereins, 1978, „Bär von Berlin" konnte die Verwaltung der Staatl. Schlösser u. Gärten ein weiteres Werk des Malers erwerben. Im Katalog Nr. 77 des Kunsthauses am Museum in Köln wurde für eine Versteigerung vom 18. bis 21. Oktober 1978 als Nr. 1826 ein 89 X 71,5 cm großes „Bildnis eines Gelehrten" mit der Zuschreibung an Kretschmar verzeichnet. Hinsichtlich des Malers kann es keinen Zweifel geben. Das Bildnis besitzt alle Merkmale von Kretschmars Stil. Die Hände, vor allem die rechte, besitzt die typische Kraft des Ausdrucks. Das Stilleben im Vordergrund läßt die Bewußtheit des Komponierens spüren. Wie ein Sockel für die rechte Hand mutet das Buch an, dessen Aufschrift auf dem Rücken „Quinti Horatii Flacci opera omnia" lautet. Darunter liegt eine dünne Mappe, wie es scheint, mit Zeichnungen oder Stichen. Rechts ist Schreibzeug angeordnet: Tintenfaß, zwei Schreibfedern, Federmesser und zugehöriges Etui. Die Schräge des aufgeschlagenen Buches kreuzt wirkungsvoll die horizontalen Linien, die besonders durch die Hände und Arme unterstrichen werden. Zu diesem Gefüge paßt der strenge, klassizistische Stil des breiten, nur mit der Lehne sichtbaren Stuhles. Das Problem des Bildes liegt in der dargestellten Person. Da die Attribute auf einen Schriftsteller verweisen, ist der Kreis eingeschränkt, der Versuch einer Identifikation also aussichtsreich. Zu der einzigartigen Bildnisgalerie deutscher Schriftsteller und Gelehrten des späteren 18. Jahrhunderts, die Johan Wilhelm Ludwig Gleim in seinem Wohnhaus in Halberstadt angelegt hat, gehört auch ein Porträt von Johann Joachim Eschenburg, das um 1793 von Georg Friedrich Weitsch gemalt worden ist. Die Ähnlichkeit mit dem Bildnis Kretschmars ist unverkennbar. Die lange, gebogene Nase, die eigentümliche Form der Nasenflügel, der Mund mit der vorgeschobenen Unterlippe und die Schädelform stimmen überein (Die Bildnisse im Gleimhaus Halberstadt. 1963, S. 13). Ein zweites Bildnis Eschenburgs von Weitsch im Städtischen Museum in Braunschweig, das 1801 datiert ist, 16 ,.Bildnis eines Gelehrten". Öl a.Lwd. 89X71,5 cm. Berlin, Staatl. Schlösser u. Gärten. zeigt auch die nach hinten gekämmten, ziemlich langen gelockten Haare (Annedore Müller-Hofstede: Der Landschaftsmaler Pascha Johann Friedrich Weitsch 1723 — 1803. Braunschweig 1973, Abb. 8). Eschenburg, 1743 in Hamburg geboren, war seit 1767 Hofmeister am herzoglichen Hof in Braunschweig und hielt seit 1769 Vorlesungen über beinahe alle damals gepflegten Gebiete der Geisteswissenschaften und der Künste am Collegium Carolinum in Braunschweig. Er war mit Lessing eng befreundet. Da Kretschmar aus Braunschweig stammte, hat er Eschenburg wahrscheinlich gekannt, zumal er bestrebt war, sich vielseitig zu bilden. Für eine Datierung des Bildes geben das Alter des Dargestellten und der Stil nur einen relativ vagen Anhalt. Eschenburg wirkt auf dem Porträt Kretschmars wesentlich greisenhafter als auf Weitschs Bildnis von 1801. Der flüssige und routinierte Farbauftrag sprechen eher für ein spätes als für ein frühes Werk des Malers. Eine technische Besonderheit deutet sogar auf eine Entstehung erst in der letzten Schaffensphase des 1847 gestorbenen Kretschmar. Das Bild ist auf eine fertig grundierte Leinwand gemalt, wie sie seit etwa 1840 im Handel war. Eschenburg starb 1820. Es handelt sich demnach um ein posthumes Bildnis, das vielleicht aus Anlaß seines hundertsten Geburtstages gemalt wurde. In der Ausbreitung der Einzelheiten auf dem Tisch liegt ein genrehafter Zug, wie überhaupt in dem Umstand, daß der Dargestellte liest, statt auf den Betrachter oder in die Ferne zu schauen. Der Verzicht auf Positur und die Porträtaufnahme bei ruhiger Beschäftigung findet sich oft bei gezeichneten Bildnisstudien. Während der Porträtierte arbeitet, gibt er dem Maler Gelegenheit zu einer Zeichnung. Vielleicht liegt auch dem Gemälde Kretschmars eine solche eher beiläufige Studie zugrunde, die zu Lebzeiten Eschenburgs enstanden ist. Anschrift des Verfassers: Prof Dr. Helmut Börsch-Supan, Leistikowstraße 2, 1000 Berlin 19 17 Nachrichten Z u r G e s c h i c h t e d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n E i n r i c h t u n g e n in D a h l e m Am 31. Oktober 1978 hielt Dr. Michael Engel über dieses Thema einen Lichtbildervortrag im Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. Da uns eine Kurzfassung seiner Ausführungen zur Verfügung steht, sei sie des allgemeinen Interesses wegen nachstehend wiedergegeben: Auf der Domäne Dahlem wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Reihe von wissenschaftlichen Instituten errichtet, in denen sich sowohl die Entwicklung der Naturwissenschaften - insbesondere auch die der Chemie und Biochemie - als auch die damalige Wissenschafts- und Kulturpolitik ausdrückt. Die Planung und Errichtung dieser Lehr- und Forschungsstätten ist besonders mit dem Wirken von Althoff, Schmidt-Ott, E. Fischer, v. Harnack und v. Bode verbunden. Wenn auch die meisten Institutionen solche der medizinisch-naturwissenschaftlichen Fächer waren, so dachte man jedoch auch an solche der Geisteswissenschaften und der Volksbildung, die jedoch aus finanziellen Gründen meist nicht verwirklicht wurden. In Dahlem wurden Institute der Universität (Botanischer Garten und Botanisches Museum, Pharmazeutisches und Pflanzenphysiologisches Institut, Astronomisches Recheninstitut), der Landwirtschaftlichen Hochschule, die Höhere Gärtnerlehranstalt (beide bildeten später die Fakultät für Landbau der Technischen Universität Berlin), einiger Reichs- und Staatsbehörden (Kaiserliches Gesundheitsamt, Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, heute Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft sowie Bundesgesundheitsamt; Materialprüfungsamt, heute Bundesanstalt für Materialprüfung) sowie die der 1911 mit bedeutenden Privatmitteln gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) errichtet. Bodes Dahlemer Museumspläne blieben ein Torso und wurden erst jetzt mit den Neubauten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wieder aufgegriffen. Zu dieser Stiftung gehört auch das Geheime Staatsarchiv. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt Berlin Treuhänder der Behörden, bis diese wieder einen eigenen Status erhielten. Für die KWG wurden die Forschungsgruppe Dahlem und die Deutsche Forschungshochschule als Auffanginstitutionen gegründet, aus denen die Berliner Institute der MaxPlanck-Gesellschaft (MPG) und die ersten Institute der Freien Universität hervorgingen. Im Umkreis der genannten Forschungs- und Lehrstätten wurden in Dahlem weitere wissenschaftliche Einrichtungen angesiedelt (Oskar-Helene-Heim, Deutsches Archäologisches Institut, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung u.a.). Eine ausführliche Darstellung des Vortragenden findet sich unter dem Titel „Dahlems wissenschaftliche Einrichtungen im Wandel der Zeiten" in dem „Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung" (Jg. 78,1975, H. 1 - 3 und Jg. 79,1978, H. 1). Spittelkolonnaden entstehen neu Die um 1780 von Carl von Gontard vollendeten Spittelkolonnaden standen in der Leipziger Straße, bis sie während des Krieges zerstört wurden. Sie sollen jetzt zwischen zwei Hochhäusern auf einer Seite der Leipziger Straße ihren neuen Standort finden. Jürgen Klimes hat 20 etwa 1,50 m hohe Vasen und zwei ebenso große Puttengruppen geschaffen, die links und rechts der großen Mitteltrophäe auf dem Gesims aufgestellt werden sollen. Für die Innenwände der Spittelkolonnaden wurden mehrere Reliefs mit Handelssymbolen gestaltet. Dieselbe Künstlergruppe schuf auch die zehn großen Säulenkapitale sowie 26 Pilasterkapitäle mit den für die Zeit der Erbauung typischen Voluten. * Die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zeigt anläßlich der Eröffnung ihres Berliner Neubaus vom 15. Dezember 1978 bis Juni 1979 eine Ausstellung der kostbarsten Sammelstücke aus ihren Beständen abendländischer und orientalischer Handschriften, Autographen, Karten und Atlanten, Inkunabeln und Einbände sowie aus den SpezialSammlungen seltener und illustrierter Drucke vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit. Der Katalog wird alle 90 ausgestellten Objekte abbilden. 18 Neue Ausstellung im Landesarchiv Berlin Unter dem Titel „Berlin vor hundert Jahren" wurde im Landesarchiv Berlin eine neue Ausstellung eröffnet. Sie zeigt Bilder, Karten und Pläne vom Schloß, vom Rathaus, von Museen und Theatern. Die Ausstellung vermittelt eine Vorstellung vom Berliner Hofleben mit prunkvollen Ordensverleihungen und von der industriellen Welt des Arbeiters. Neben dem Attentat auf Kaiser Wilhelm 1. werden die Auswirkungen des Sozialistengesetzes mit Flugblättern und Darstellungen dokumentiert. In der „Kongreß-Vitrine" zeigt die Ausstellung eindrucksvolle Porträts der Akteure und die Feder, mit der der Berliner Vertrag unterzeichnet wurde. Vor hundert Jahren erschien Fontanes erster Roman „Vor dem Sturm". Die Erstausgabe und Briefe mit der schwungvollen Schrift des Dichters sind ebenso zu bewundern wie Autographen von vielen prominenten Berlinern. Die Ausstellung ist vom 1. Dezember 1978 bis zum 28. Februar 1979 montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Von unseren Mitgliedern Am 8. Oktober 1978 ist unser Mitglied, der Verleger Axel Springer, vom Leo-Baeck-Institut als erste Persönlichkeit mit dessen neu gestifteter Leo-Baeck-Medaille ausgezeichnet worden. Das Motto dieser Leo-Baeck-Medaille lautet „Daß die Vergangenheit nicht untergeht". Dieser Satz ist auch in der Würdigung für Axel Springer enthalten, in der das Institut „die Verdienste des deutschen Verlegers um das Institut und sein Verständnis dafür, daß die Erinnerung an eine große Vergangenheit nicht untergehen darf", hervorhebt. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Margarete Cahn, Frau Herta von Daak, Herrn Prof. Dr. Richard Dietrich, Herrn Georg Fränkel, Frau Hildegard Kuckuck, Herrn Maximilian Woyda; zum 75. Geburtstag Frau Martha Anklamm, Herrn Hans-Joachim Kohlmorgen, Frau Prof. Dr. Margarete Kühn, Frau Elisabeth Melcher, Herrn Lothar Schulz, Herrn Friedrich Schwulera, Frau Hedwig Wollstein; zum 80. Geburtstag Herrn Franz Berndal, Frau Alexandrine-Charlotte Eichbaum, Frau Hildegard Napirala, Herrn Oskar Stolle. Buchbesprechungen Fritz Neumeyer: Der Werkwohnungsbau der Industrie in Berlin und seine Entwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dissertation TU Berlin 1978, 405 S., 120 Abb., brosch. 27 DM (zu beziehen über Buchhandlung Wasmuth). Im Gegensatz zu anderen Industriegebieten Deutschlands, etwa des Ruhrgebietes mit seinen vielen industrieeigenen Arbeiterkolonien, besaß der Werkwohnungsbau in der ehemaligen Reichshauptstadt eine nur geringe Bedeutung. So wohnten 1875 lediglich 0,3 % der Bevölkerung Berlins in Wohnungen, die Eigentum von Industriebetrieben waren (S. 8). Nicht nur viele Betriebe, sondern auch die Mehrheit der Berliner Arbeiterschaft lehnten die doppelte Bindung an den Industrieunternehmer in Form des Arbeitgebers und des Vermieters ab (S. 56). Nur 28 Industriefirmen errichteten im weiten Einzugsbereich der Berliner Industrie Werkwohnungen im späten 19. und frühen 20. Jh. So bedeutete es für den Verfasser der im Fachbereich Bauplanung und -fertigung der Technischen Universität Berlin vorgelegten Dissertation eine schwere Aufgabe, die speziellen Formen des Berliner Werkwohnungsbaus von dem allgemeinen Wohnungsbau, vor allem vor der Jahrhundertwende von Typen des allgemein üblichen Wohnungsbaus zu scheiden. Dies gelingt lediglich für die neueren Wohnbereiche der aus der inneren Stadt ausgesiedelten Industriebetriebe, etwa die Wohnbauten der 19 Färberei Spindler in Spindlersfeld b. Köpenick, die seit der Jahrhundertwende zu einer Stadt gewachsene Siedlung Wildau der Berliner Maschinenbau AG und den ab 1899 teilweise mit betriebseigenen Häusern bebauten Ortsteil Borsigwalde durch die Firma A. Borsig. Als Höhepunkte des funktionalen und ästhetischen Werksiedlungsbaus sind die Arbeiterwohnhäuser, die Peter Behrens im Auftrage der AEG in Hennigsdorf und Oberschöneweide errichtete, zu verstehen. Sie nehmen zu Recht einen breiten Raum dieser Arbeit ein, die durch einen am Vorbild der Neuausgabe von „Berlin und seine Bauten" gestalteten Inventarteil auf vorzügliche Weise ergänzt wird. Leider beschränkt sich die vorliegende Dissertation lediglich auf den Werkwohnungsbau, der durch die Industrie gefördert wurde. So fehlen die militärfiskalischen Arbeiterwohnhäuser, die ganzen Stadtteilen wie Haselhorst oder Staaken das Gepräge geben, ebenso wie der Wohnhausbau der Eisenbahnen, die kommunalen Wohnhäuser und der weite Bereich des Wohnhausbaus für landwirtschaftliche Arbeiter auf domänenfiskalischen, privaten und städtischen Gütern. Das Verhältnis der Industriebetriebe zu den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, z.B. der Berliner Baugenossenschaft zu Borsig in Borsigwalde und der Charlottenburger Baugenossenschaft zu Siemens in Siemensstadt, hätte durch eine vertiefte Untersuchung deutlich gemacht werden können. Diese Erläuterungen sind jedoch nicht als Kritik, sondern als Anregung zu weiterer Beschäftigung mit dem Berliner Wohnhausbau vor 1914 zu verstehen. Felix Escher Berlin - Landschaften einer Stadt. Fotografiert von Manfred Hamm. Hrsg. von Richard Schneider. Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1977. 150 S. mit z.T. farbigen Abb., Leinen, 48 DM. Das Buch ist vom Verlag mit dem Anspruch annonciert, künftige Berliner Bildbände und Fotokunstbücher „werden sich an dieser Qualität messen lassen müssen". In der Tat zeigen die Fotografien neue Blickwinkel jenseits des Klischees Berliner Ansichten. Hierauf wird im Vorwort verwiesen, das davon spricht, die Stadt Berlin sei von ihren Gegensätzen geprägt, und der Anspruch dieses Buches bestehe darin, sie in Bildern und Gegen-Bildern sichtbar zu machen. Die Beschränkung auf Berlin (West) kann sicher von einem Verleger mehr gutgeheißen werden als von einem Historiker. Wenn es allerdings in der Einführung, die sich dann am Althergebrachten orientiert, heißt, die Bürgerstadt des Mittelalters und die Renaissancestadt der Kurfürstenzeit seien aus dem Stadtbild verschwunden, muß sich der Autor belehren lassen, daß in Berlin (West) weder Mittelalter noch Renaissance stattgefunden haben. Die ergänzende Aussage, wer heute durch Berlin gehe, merke nicht, daß er sich auf historischem Boden bewege, wird durch die Fotografien widerlegt. Natürlich kann man darüber streiten, ob Geschichte erst vor der Königin Sophie Charlotte und ihrem Schloß Charlottenburg beginnt oder ob man die alte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche schon in eine geschichtslose Zeit verlegt. Wenn das Schloß Charlottenburg übrigens als „eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse barocker Baukunst in Berlin" bezeichnet wird, so muß Frau Professor Dr. Margarete Kühn ein hohes Lob gezollt werden, wenn das von ihr aus einem Trümmerhaufen wieder aufgebaute Schloß heute in der Auffassung der nachgeborenen Generation schon das Prädikat „erhalten geblieben" trägt. Der Fotograf hat eine Vorliebe für Wände mit verfallenden Strukturen und mit verblaßter Reklame; er teilt sie mit jenen Kollegen, die diesen Abschnitt Berliner Wirklichkeit zum Gegenstand verfremdender Fotokunst machen (Thomas Höpker z.B.). Den Lichthof der Technischen Universität Berlin mit Garnierung schlafender Studenten (?) zu zeigen, ist sicher ein Zugeständnis an das Berlin der siebziger Jahre. Das im Tiergarten errichtete sowjetische Ehrenmal verdankt seinen Marmor allerdings nicht der Neuen Reichskanzlei; diesen Marmor findet man vielmehr jetzt am Ehrenmal im Treptower Park. Diese Anmerkungen schmalem den vorzüglichen Gesamteindruck dieses 1001. Bildbandes über Berlin nicht, der von der gängigen Schönbiidnerei erfreulich absticht. H. G. Schultze-Berndt Ernst Friedrich: Vom Friedensmuseum . . . zur Hitlerkaserne. Mit einem Beitrag über Ernst Friedrich von Walther G. Oschilewski. Berlin: Libertad 1978, 237 S. m, Abb., brosch., 14 DM. Der zunächst in der Schweizer Emigration 1935 in kleiner Auflage gedruckte Bericht über Entstehung, Ausstrahlung und Zerstörung des „Anti-Kriegsmuseums" in dem schmalbrüstigen, zweigeschossigen Uraltbau in der Parochialstraße 28 (zwischen 1923 und 1933) liegt nun in einer Neuauflage vor. Mehr als das Werk steht hier der Gründer und Betreuer des Museums, Ernst Friedrich, im 20 Vordergrund, der für seine Überzeugung unmittelbar nach der Machtergreifung in die berüchtigten SA-Gefängnisse verschleppt wurde und trotz unmenschlicher Folterungen ungebrochen nach acht Monaten auf freien Fuß gesetzt wurde. Seine Freunde Ernst Mühsam und Hans Litten waren ähnlichen Qualen erlegen. In einem Nachwort zeichnet unser Ehrenmitglied Walther G. Oschilewski ein persönliches Bild des kompromißlosen Pazifisten Ernst Friedrich, der zwischen den Kriegen auch der anarcho-syndikalistischen Bewegung nahestand, mit manchen Einzelheiten, die über die 1977 erschienene Biographie Friedrichs von Ulrich Linse hinausgehen. Ein neues „Anti-Kriegsmuseum" vermochte der seit dem Krieg bis zu seinem Tode 1967 in Frankreich lebende Friedrich nicht mehr zu gründen. Es dürfte der Stadt Berlin zur Ehre gereichen, vor 1933 nicht nur ein Zeughaus, sondern auch das erste und einzige „Anti-Kriegsmuseum" der Welt in ihren Mauern beherbergt zu haben. Felix Escher Adolph von Menzel - Das graphische Werk. Ausgew. v. Heide Ebertshäuser, Einführung v. Jens Christian Jensen. München: Rogner u. Bernhard 1976. 2 Bde. insges. 1500 §., 1400 Abb., Ln., _98 DM. (In Leder gebunden als Vorzugsausgabe 168 DM.) Der Regierende Bürgermeister von Berlin, unser Mitglied Dietrich Stobbe, hat den großen Erfolg der Stuttgarter Staufer-Ausstellung zum Anlaß genommen, um für Berlin eine Preußen-Ausstellung vorzuschlagen. Ein unter dem Kultursenator gebildeter „Lenkungsausschuß" hat das Jahr 1981 aus Anlaß des 200. Geburtstages Schinkels als Zeitpunkt der Ausstellung gewählt. Offensichtlich denkt man aber weniger an eine Preußen-Ausstellung aus einem Guß als, wie es wörtlich heißt, an einen „Zyklus vielseitiger Ausstellungen und Veranstaltungen" in Verbindung mit den Berliner Festwochen. Der Mindererfolg gegenüber Stuttgart ist damit bereits programmiert. Bei preußisch verbrämten Festspielen von Daniel Chodowiecki bis Boris Blacher wird dann auch Adolph Menzel nicht fehlen, dessen graphisches Werk über Friedrich den Großen und seine Zeit ein Ersatz für die historische Gestalt Friedrichs II. sein dürfte. Insofern kommt die hier vorliegende Ausgabe beinahe zu früh, wenn sie in ihrem Umfang und in ihrem Gegenstand nicht zeitlos wäre oder allgegenwärtig sein sollte. „Nulla dies sine linea" - kein Tag ohne Linie oder Zeichnung, war der Wahlspruch Adolph von Menzels, dessen Persönlichkeit der Direktor der Kieler Kunsthalle, Jens Christian Jensen, würdigt. Allerdings sieht er das Genie des Zeichners und Illustrators Menzel zeitbezogen (er spricht von dessen „tragischer Beschränkung") und stellt einen Zusammenhang her zwischen Preußen, das ausgelöscht worden ist, und dem Teil des Werkes von Menzel, der ihn in seiner Zeit berühmt gemacht hatte und nun gleichfalls dem Orkus verfallen ist. „Menzels Preußentümelei . . . wird dem Gesamtwerk dieses großen Künstlers und Menschen weltweite Anerkennung vermutlich für immer vorenthalten". Jensen konzediert Menzel die „sensationelle Weise der Modernität", die „aus der totalen Unvoreingenommenheit Menzels (kommt), die die Wirklichkeit immer in ihrem Recht beläßt". Hingegen spricht er Menzel den sozialen Scharfblick ab, der ihm vielfach etwa für sein Bild „Das Eisenwalzwerk" von 1875 attestiert worden ist, weil der Künstler gleichzeitig auch Waffen, Uniformen, Soldaten und Generäle gezeichnet hat. Anders sieht dies Max Liebermann in einem nachgestellten musterhaften Essay, der die Illustrationen des jungen Menzels zu Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen allem vorzieht, was der alte Menzel gemacht hat. „Menzel war kein Pionier, der den Weg bahnt für die neue Epoche, er war der Vollender seiner Epoche", schreibt Liebermann. Und Theodor Fontane reiht die kleine Exzellenz durchaus zutreffend ein: „Von Kopf bis Fuß loyal, allem Utopischen abgeneigt, ist er doch zugleich durch und durch ein Mann der Freiheit und als solcher immer da zu finden, wo von alter Zeit her die richtigen Preußen, die Leute von festem Rückgrat, gestanden haben. Und diese haben - Gott sei Dank - vordem wie heute noch immer ihre Widersacher überdauert." Dieses zweibändige Werk, das wie alle handlichen Kunstbücher an dem einzigen Mangel leidet, daß alle Reproduktionen über den Leisten desselben kleinen Formats geschlagen werden müssen, könnte so etwas wie ein Menzel-Hausbuch werden. Bis zum heutigen Tage gilt das Schlußwort aus dem Essay Max Liebermanns: „Dostojewski schreibt in einem seiner Romane: Es gibt keine traurigere Zeit, als in der wir nicht wissen, wen wir zu verehren haben. Freuen wir uns, in dieser traurigen Zeit in Menzel einen Mann zu besitzen, den wir als Künstler und als Menschen gleicherweise verehren dürfen." H. G. Schultze-Berndt 21 Berlin-Calender 1979. 12 Handsiebdrucke nach alten Motiven. Berlin: Göpfert Verlag, 1978. 43 DM. (Vorzugsausgabe 59 DM.) Die großformatigen Blätter (59x68 cm, Querformat inkl. Kalenderteil) zeigen Ansichten Berlins, die oft schon vor der Jahrhundertwende „eingefangen" wurden. Mehrfach vergrößert auf ein Format von 51 X67 cm, strahlen sie dadurch heute den Reiz, der Druck-Graphiken zu eigen ist, aus. Hierzu trägt auch der Farbton bei, der für die Wiedergabe gewählt wurde. Neun Blätter des Kalenders haben noch einen silbernen Untergrund. Als Reproduktionsverfahren fand der Handsiebdruck Anwendung, ein weiteres Plus, zumal die technische Ausführung als sehr gelungen bezeichnet werden muß. Die Auflage, mit 350 Stück in der Normal- und 50 Stück in der Vorzugsauflage - alle Blätter auf Silber und signiert - angegeben, dürfte auch für Sammler von Druck- oder Photo-Graphik interessant sein. Die Preise sind für das Gebotene sehr bescheiden. Der kleine Verlag, der auch direkt verkauft, ist in der Skalitzer Straße 101, Berlin 36 (Tel.: 6 18 22 98) zu erreichen und bietet Selbstabholern noch 10% Rabatt. Es ist fast zu viel des Guten für diesen schönen Berlin-Calender. Claus P. Mader Walter Stahl und Dieter Wien: Berlin von 7 bis 7, ein ungewöhnlicher Führer durch eine außergewöhnliche Stadt. Mitautorin Monika Wien. 7., verb. Aufl. Hamburg: Falk-Verlag, 1977. 444 S., geb., 24,80 DM. Sic transit gloria mundi - besonders schnell scheint die Herrlichkeit der gastronomischen Welt in Berlin zu vergehen, wenn man in der neuesten Auflage dieses bekannten handlichen Führers so klangvolle Namen wie Resi, Eierschale, Ratskeller Schöneberg, Alter Fritz und Bierpalast liest, die nun auch schon ein Stück Vergangenheit sind. Der Schwerpunkt des Buches liegt im Bereich der Gastronomie, der, unterteilt nach den Sparten Restaurants; Abendlokale, Weinstuben, Bars; sowie Nightclubs, unter Einschluß des Berliner Ostens mehr als die Hälfte des Bandes gewidmet wird. Dabei ist jeder dieser Abschnitte noch einmal nach den einzelnen Himmelsrichtungen Berlins aufgegliedert. Nicht ganz logisch erscheint es, daß am Schluß des Buches, nachdem Kulturelles, Sport und Spiel, Sehenswürdigkeiten, Wissenswertes über Berlin und Dienstleistungen abgehandelt worden sind, dann noch einmal gastronomische Betriebe aufgeführt werden (Cafes, Ausflugslokale, Diskotheken, Frühlokale usw.), die man an dieser Stelle nicht mehr vermutet. Als ein Zeichen der Zeit mag angesehen werden, daß nur vier Lokale mit Berliner Küche aufwarten (ebenso viele mit indonesischer und japanischer), daß aber beispielsweise 35 Restaurants für die italienische Küche Zeugnis ablegen, 28 ChinaRestaurants der Aufnahme für würdig befunden worden sind und immerhin noch 17 französische Eßlokale die Berliner Szene bereichern. Die Beschreibungen sind prägnant und zutreffend, und wo man anderer Auffassung ist, kann man sich über seine eigene Meinung freuen. Gelegentlich stutzt man, wenn etwa das nach dem portugiesischen Küstenstreifen Algarve benannte Abendlokal mit „spanischem Flair" erfüllt sein soll. Der „Leierkasten" trägt einen Stern (mehr werden nicht verliehen) und den Zusatz „Berlin um DM 1 , — " , was wohl „Bier" heißen soll. Nicht zuletzt die Dauerspalte in den Sonntagsnummern der Berliner Morgenpost trägt dazu bei, daß die Aktualität dieses besonderen Führers und das Interesse auch an Neuauflagen ständig gewahrt bleiben. H. G. Schultze-Berndl y * /Vfj[ j Heinrich Zille: Die Landpartie. Zwanglose Geschichten und Bilder. Hannover: Fackelträger-Verlag, 1978. 60 Blatt mit teilw. farbigen Abb., Ln., 22 DM. Vom Druckhaus Schmalfeldt in Bremen wurde 1978 faksimilegetreu, aber um etwa ein Drittel verkleinert eine von H. Zille handkolorierte und seinem „lieben Hermann Frey im Juli 1921" gewidmete Ausgabe der Landpartie nachgedruckt. Die ursprünglich 1920 auf Stein gezeichneten Lithographien mit Text dieser kleinen Humoreske waren in einer einmaligen Auflage von 100 Exemplaren gedruckt worden. Es ist vergnüglich, die Vorbereitungen zu dieser Landpartie zu lesen, die vom Osten Berlins bis zum Spandauer Bock führen sollte, aber wohl nicht über Charlottenburg hinaus gelangte. Selbst bei Zille hat man selten so viele nackte Popos gesehen. 22 Gleichfalls um etwa ein Drittel verkleinert wurde im selben Druckhaus eine faksimilegetreue Schwarzweiß-Ausgabe der zwanglosen Geschichten und Bilder nachgedruckt, deren Originallithographien nebst Text im Jahre 1919 vom Künstler auf den Stein gezeichnet und in zwei Auflagen von 200 bzw. 50 Exemplaren abgezogen wurden. Alle diese Geschichten spielen sich in einem Milieu ab, das man mit Recht das Zillesche genannt hat und das heute wohl den Unterprivilegierten zuzurechnen wäre. Zille-Freunde werden den Nachdruck begrüßen, auch wenn der Gegenstand bei aller Überzeichnung nicht nur Freude auslöst. H. G. Schultze-Berndt Im IV. Vierteljahr 1978 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Irmgard Albrecht Mansfelder Straße 47,1000 Berlin 31 Tel. 87 86 41 (Brauer) Ingeborg Bannier, Bibliotheksangestellte Margaretenstraße 32, 1000 Berlin 45 Tel. 8 32 45 78 (Schlenk) Brigitte Berghoff, Hausfrau Rüdesheimer Straße 37,1000 Berlin 33 Tel. 8 22 28 29 (Helmut Georg) Werner Berghoff, Chem.-Ingenieur Rüdesheimer Straße 37, 1000 Berlin 33 Tel. 8 22 28 29 (Helmut Georg) Dr. Werner Bollert, Musikwissenschaftler Hermannstraße 8, 1000 Berlin 37 Tel. 8 13 2014 (C.P. Mader) Ilse Bornhöft, Rentnerin Wilhelm-Hauff-Straße 12, 1000 Berlin 41 Tel. 8 5165 77 (Ellen Wiegand) Elsa Demmel Martin-Luther-Straße 62, 1000 Berlin 30 Tel. 2 13 66 62 (Alice Hamecher) Wolfgang Ernst, Präsident d. Justizprüfungsamts Tempelhofer Damm 82, 1000 Berlin 42 Tel. 7 86 11 34 (Manfred Schneider) Rainer Garschagen, Bibliothekar Paul-Schneider-Straße 5, 1000 Berlin 46 Tel. 7 743914 (Brauer) Ellen Haehling v. Lanzenauer, Verwaltungsangestellte Pfadfinderweg 23,1000 Berlin 28 Tel. 4 01 48 23 (Dr. Schultze-Berndt) Oswald Hensler, Verwaltungsangestellter Mehringdamm 105, 1000 Berlin 61 Tel. 6 91 36 16 (Bibliothek) Dr. Bernd Ulrich Hucker, Wiss. Assistent Gertrudenstraße 4, 2800 Bremen 1 Tel.(04 21)7 7176 (H. Hofmann) Immo Koester, Industriekaufmann Dubrowplatz 3, 1000 Berlin 38 Tel. 8 01 21 83 (Brauer) Hans-Joachim Krost, Anwaltsangestellter Bahnstraße 15, 4020 Mettmann Tel. (0 21 04) 2 33 82 (Brauer) Margarete Löschel Orlamünder Weg 46,1000 Berlin 46 Tel. 7 75 37 36 (R. Koepke) Erwin Lüdtke, Bankkaufmann Lüdtkeweg 14, 1000 Berlin 10 Tel. 3 92 85 31 (Bibliothek) Frank PascheT Beamter (Baurat) Siegener Straße 38, 1000 Berlin 20 Tel. 3 72 83 91 (Bibliothek) Erika Radmann, pens. Beamtin Lefevrestraße 29,1000 Berlin 41 Tel. 8 518117 (Fr. Kabisch) Anna Sehl Offenbacher Straße 2, 1000 Berlin 33 Tel. 8 21 04 16 (Alice Hamecher) Klaus Sommer, Kaufmann Heyenfeldweg 120,4150 Krefeld-Verberg Tel. (0 21 51) 56 15 39 (Schriftführer) Anneliese Schaper, Rentnerin Oberlandgarten 6, 1000 Berlin 42 Tel. 6 26 19 45 (Marg. Jeske) Peter Springer, Dipl. Bibliothekar Nußbaumallee 15,1000 Berlin 19 Tel. 3 02 24 23 (Dr. Ingeb. Stolzenberg) Ilse Stendel, Verwaltungsangestellte Friedrichstraße 215/216,1000 Berlin 61 Tel. 2 5186 88 (Horst Schramm) Dr. Richard v. Weizsäcker, Rechtsanwalt Gelfertstraße 37,1000 Berlin 33 (Alice Hamecher) Beilagenhinweis: Den Heften an unsere Mitglieder und Dauerbezieher liegt das Inhaltsverzeichnis für die Jahrgänge 71 bis 74 (1975 bis 1978) bei. 23 Veranstaltungen im I. Quartal 1979 1. Freitag, den 19. Januar 1979, 16 Uhr: Besuch der Ausstellung „Bürgerliches Leben im Berliner Biedermeier", im Berlin-Museum, Lindenstraße 14. Führung: Frau Ingeborg Preuß. 2. Sonnabend, den 3. Februar 1979, 11 Uhr: Besuch der Ausstellung „Berlin vor 100 Jahren" im Landesarchiv, Kalckreuthstraße 1 (Ecke Kleiststraße). Führung: Herr Dr. Jürgen Wetzel. 3. Freitag, den 16. Februar 1979, 17 Uhr: Anläßlich des 114. Jahrestages der Gründung des Vereins Eisbeinessen im Restaurant der Hochschul-Brauerei, Berlin 65, Amrumer Straße 31 (Ecke Seestraße), Fahrverbindungen: U-Bahnhof Amrumer Straße, Busse 16, 64, 65 u. 89. Vortrag: Herr Dr. Hans Günter Schultze-Berndt „Streiflichter aus der Geschichte des Berliner Brauwesens". 4. Sonnabend, den 24. Februar 1979, 10 Uhr: Besichtigung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin 30, Potsdamer Straße 33, Fahrverbindungen: Busse 24, 29, 48, 75 u. 83. Führung: Herr Bibliotheksdirektor Dr. Werner Schochow. 5. Dienstag, den 6. März 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wieland Schmidt „Friedrich der Große und die Berliner Aufklärung". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Dienstag, den 27. März 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Goerd Peschken „Schinkels architektonisches Lehrbuch". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Freitag, den 26. Januar, 23. Februar und 30. März, ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Landesarchiv, 1000 Berlin 30, Kalckreuthstraße 1 - 2 (Ecke Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank. 1000 Berlin 19. Kaiserdamm 95. Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 10 01, App. 2 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 24 Rotsfe'bÜothek A l o 15 FX Fachabt. der Berliner Stadtbibliothek MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 75. Jahrgang Heft 2 Friedrich Meinecke April 1979 Ein Berliner Historiker: Friedrich Meinecke (1862 -1954) Rückblick nach fünfundzwanzig Jahren Von Michael Erbe Von dem wohl namhaftesten Historiker dieses Jahrhunderts, dessen Wirken mit Berlin verknüpft ist, weiß die heute heranwachsende Generation kaum mehr, als daß das Institut für Geschichte an der Freien Universität nach ihm benannt wurde. Die Bezeichnung Friedrich-Meinecke-Institut erhielt es im Oktober 1951 aus Anlaß des fünfzigsten Professorenjubiläums dieses Historikers (erste Berufung nach Straßburg im Oktober 1901), der damals bereits zu Legende und Symbolfigur zugleich geworden war. Die Historikergeneration, die zu seiner Schülerschar zählte, hat ihn selten kritisch gesehen, sondern im großen und ganzen hoch verehrt. Die jüngeren Historiker haben ihn entweder vergessen oder strikt abgelehnt bzw. geradezu verdammt1. Nur wenige von den Jüngeren beurteilen ihn noch aus echter Kenntnis seines Werkes heraus mit dem gebührenden historischen Verständnis2. Anläßlich der fünfundzwanzigsten Wiederkehr seines Todestages wird nun das Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin im April dieses Jahres ein Gedenk-Kolloquium abhalten, zu dem sich noch lebende Schüler und jüngere Meinecke-Forscher vereinigen werden. Auf die Bilanz darf man gespannt sein. Vorweg jedoch soll eine kurze Betrachtung wieder etwas Licht auf einen Gelehrten werfen, der zum Ruf Berlins als bedeutendes wissenschaftliches Zentrum nicht wenig beigetragen hat. Dabei soll allerdings nicht nur sein bereits des öfteren umfassend gewürdigtes Werk3, sondern auch sein Dasein als „Berliner" im Vordergrund stehen. Friedrich Meinecke wurde am 20. Oktober 1862 in Salzwedel in der Altmark geboren. Mit neun Jahren kam er nach Berlin, als sein Vater, ein Postmeister, in die Hauptstadt versetzt wurde. 1871 bezog die Familie zunächst eine Wohnung in der Strausberger Straße nahe dem Friedrichshain. Später siedelte sie in die Bülow-, dann in die nahe gelegene Kulmstraße über. Man lebte in den bescheidenen Verhältnissen, welche die Einkünfte einer mittleren Beamtenfamilie ermöglichten, allerdings nicht ohne das gerade für diese Schicht charakteristische Bildungsstreben. Die Beschäftigung mit Musik, vor allem mit der Bachs, und mit der klassischen deutschen Literatur war ebenso selbstverständlich wie der Besuch des Gymnasiums und später das Universitätsstudium für den nach drei Schwestern geborenen Sohn, obwohl die Familie gerade dafür harte Entbehrungen auf sich nehmen mußte. Meinecke besuchte das Köllnische Gymnasium an der Ecke Insel- und Wallstraße, wo er 1882 das Abitur ablegte. Anschließend bezog er die Berliner Universität, die er indes nach kurzer Frist verließ, um 1883/84 zwei Semester in Bonn zu verbringen. Die letzten vier Semester absolvierte er in Berlin, wo er im Mai 1886 mit einer von Reinhold Koser angeregten Arbeit bei Treitschke promovierte. Zur Geschichte hat Meinecke, dessen Interessen zunächst mehr der Germanistik zuneigten, erst allmählich während seines Studiums gefunden. Große Bedeutung kommt dabei der berühmten Historik-Vorlesung Droysens zu, die er im ersten Semester hörte. Nach Abschluß des Studiums arbeitete er kurz als Hauslehrer auf einem mecklenburgischen Gut, und im April 1887 trat er in den preußischen Archivdienst ein. In dem damals noch zwischen Kloster- und Neuer Friedrichstraße hinter dem Lagerhaus gelegenen Gebäude tat Meinecke bis 1901 seine Arbeit, andere Größen der Zunft bei ihrer Forschungstätigkeit 26 Friedrich-Meinecke-Institut bis 1972. Heute Präsidialamt der Freien Universität Berlin. Foto: Ellen Brast beobachtend wie den inzwischen stocktauben Treitschke, der für seine „Deutsche Geschichte" die „Akten mit Emotion" las, so daß dabei „dumpfe Laute des Staunens oder der Entrüstung zuweilen aus seinem Munde kamen" 4 . Angeregt durch den damaligen Direktor der preußischen Staatsarchive, Heinrich von Sybel, verfaßte er während dieser Zeit seine zweibändige Biographie des Generalfeldmarschalls von Boyen (1771 — 1848), die 1896 bis 1899 erschien. Mit dem ersten Teil habilitierte er sich 1896 an der Berliner Universität. Seit 1893 redigierte er auch die von Sybel begründete „Historische Zeitschrift", die er nach Sybels Tod 1895 bis 1935 herausgab, allerdings auch in der ihm eigenen geistesgeschichtlichen Richtung etwas einseitig beeinflußte. Für damalige Verhältnisse recht spät trat Meinecke erst 1901 in die Universitätskarriere ein, als er auf sein erstes Ordinariat nach Straßburg berufen wurde. Dies hing einmal mit seiner Neigung zum Stottern zusammen, die er in seinen Lebenserinnerungen auf den Schulstreß nach der Übersiedlung von Salzwedel in die Reichshauptstadt zurückführt und die er erst im Laufe der Jahre allmählich bei Lehrveranstaltungen überwinden konnte; hinzu kam aber, daß er an sich ein sich nur langsam zur Höhe seiner geistigen wie schriftstellerischen Fähigkeiten entwickelnder Charakter war, der Zeit brauchte, um zu reifen, dessen Natur ihm aber, da sie ihm ein hohes Alter bescherte, auch die nötige Zeit zum Reifen vergönnt hat. In Straßburg lehrte er von 1901 bis 1906, wechselte dann nach Freiburg über und folgte 1914 einem Ruf an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. In seinen Erinnerungen hat sich die Zeit, die er in der anregenden Kulturlandschaft an 27 beiden Ufern des Oberrheins verbrachte, zur glücklichsten seines Lebens verklärt, obwohl die große Zeit seines Wirkens wohl doch die anschließende in Berlin gewesen ist. In Freiburg entstand indes jenes Buch, das ihn auf einen Schlag auch über die Historikerzunft hinaus bekannt machte, „Weltbürgertum und Nationalstaat", eine ideengeschichtliche Analyse zur „Genesis des deutschen Nationalstaats" (erste Auflage 1907). Es ging ihm in diesem Buch darum, an Hand der Gedankenwelt einiger weniger Geistesgrößen wie Wilhelm v. Humboldt, Friedrich Schlegel, Fichte, Stein, Hegel, Ranke und Bismarck die Entstehung des deutschen Nationalstaatsgedankens im Widerstreit zwischen konservativer und liberaler Staatsidee sowie zwischen nationalem Empfinden und kosmopolitischer Einstellung nachzuzeichnen und diesen Widerstreit zur Auflösung zu bringen. Auf die junge Historikergeneration vor 1914 hat diese ideengeschichtlich fundierte Harmonisierung des Spannungsverhältnisses Preußen-Deutschland, die dem Machtstaat letztlich eine sittlich-kulturelle Qualität zubilligte und ihn mit dem am wilhelminischen Reich irre werdenden politisch sensibleren Teil des Bildungsbürgertums zu versöhnen trachtete, nach dem Zeugnis von Meineckes Schüler Ludwig Dehio wie „ein warmer Frühlingsregen" gewirkt. Meinecke selbst sah sein Buch bald mit Distanz. Im Vorwort zur fünften Auflage am Vorabend der Novemberrevolution von 1918 notierte er, daß die jüngsten Ereignisse an die Wurzeln der beiden in dem Werk von ihm behandelten Probleme rührten, und in der Auflage von 1927 gab er unumwunden zu, daß sich seine Stellung gegenüber manchem, was er zuvor ausgeführt, gewandelt hätte, wenn auch „die letzten hohen Werte, die damals mein Urteil leiteten - Staat, Nation und Menschheit - , mir unerschüttert geblieben (sind)" 5 . Inzwischen war das zweite von seinen großen ideengeschichtlichen Büchern erschienen: „Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte" (1924). Es behandelt - anders als ursprünglich vorgesehen - einen Teilaspekt des Verhältnisses zwischen Geschichtsauffassung und Staatskunst, nämlich den des Zusammenhangs zwischen Politik und Moral von Machiavelli bis auf Friedrich den Großen sowie „Machiavellismus, Idealismus und Historismus" im deutschen Staatsdenken von Hegel bis Treitschke. Die Staatsräson der alten Zeit, in der Machttrieb noch durch Sittlichkeit mehr oder weniger gebändigt wurde, hing zusammen mit den „Traditionen einer christlich-abendländischen Solidarität", und selbst noch im 19. Jahrhundert wirkte diese weiter, nachdem man während der französischen Expansion nach 1789 in die Abgründe einer von reinem Machtstreben erfüllten Politik geblickt hatte. Im späten 19. Jahrhundert brachten die neuen Mächte Nationalismus, Militarismus, Industrialisierung und Imperialismus eine Hypertrophie des Machttriebs, den die Staatsräson nicht mehr zu zügeln vermochte. Das Buch lief aus in eine Warnung vor blinder Idealisierung „der Machtpolitik durch die Lehre, daß sie einer höheren Sittlichkeit entspräche", und vor falscher Vergötterung des Staates,7 zu der auch die deutsche Historikerzunft neigte. War damit eine mit der Betrachtungsweise des Historismus verbundene Gefahr, nämlich des Verlusts des Gefühls für die politische Ethik angesprochen worden, so stellte sich die Frage nach dem Ursprung der historisierenden, auf das Einmalig-Individuelle gerichteten Betrachtungsweise um so dringender. Ihr ging der inzwischen emeritierte und aus allen öffentlichen Funktionen, die er als einer der mittlerweile führenden Historiker Deutschlands innegehabt hatte, verdrängte Meinecke in seinem 1936 erschienenen Werk „Die Entstehung des Historismus" nach, in dem er das Werden dieses neuen Geistes- und Lebensprinzips von Shaftesbury bis Goethe verfolgte8. Zu diesen bedeutenden Werken treten zahlreiche Aufsätze mit politischer und geschichts28 Der Gedenkstein am Friedrich-Meinecke-Weg im Schwarzen Grund in Dahlem. Foto: Ellen Brast theoretischer Thematik, seine „zeitgeschichtliche" Untersuchung über die „Geschichte des deutsch-englischen Bündnisproblems 1890 bis 1901" von 1927, vor allem aber seine 1946 erschienene Analyse des deutschen Verhängnisses „Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen". Es ist eine sehr persönlich gefärbte Auseinandersetzung mit den negativen Traditionen der deutschen Geschichte, die sich durch Verkettung unglückseliger Umstände so verbanden, daß sie den „Hitlerismus" ermöglichten, der zwar z.T. in der deutschen Geschichte vorgeprägt, aber nicht unausweichlich war. Meinecke sah einen Ausweg in der Wiederanknüpfung an die guten deutschen Kulturtraditionen der Goethezeit unter Aufgabe aller machtstaatlichen Ambitionen. Dieses Buch eines von der Hitlerzeit nicht belasteten Historikers fand kurz nach 1945 im In- und Ausland große Verbreitung und ließ den Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft zur Symbolfigur einer geistigen Erneuerung in Deutschland werden. Es soll uns aber hier vor allem ein Wirken im Zusammenhang mit Berlin interessieren. Geht man Meineckes Lebenserinnerungen, die er zwischen seinem siebenundsiebzigsten und zweiundachtzigsten Lebensjahr verfaßte9, durch, so fällt das eigentümlich zwiespältige Verhältnis auf, das er zu der Stadt, in der er die meisten Jahre verbrachte, besessen hat. Meinecke lebte nach seiner Berufung an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1914 im von der Innenstadt weit abgelegenen Villenbezirk Dahlem, in seinem damals neuerbauten Haus Am Hirschsprung Nr. 13, das er nur während des Zweiten Weltkriegs und gegen Kriegsende wegen der Bombardierungen des Stadtgebiets verließ. An der Verpflanzung aus der altmärkischen Kleinstadt in die sich stürmisch zur Reichsmetropole mausernde preußische Hauptstadt, muß bereits der Knabe schwer getragen haben, und sein in der 29 Schule auftretendes Sprachleiden hängt sicherlich damit zusammen. Noch nach Jahrzehnten sah er den roten Backsteinbau des Köllnischen Gymnasiums nur mit Beklommenheit. Die neue Umgebung war in vielem ungewohnt. „Alles roch nach Neubauten in den Gründerjahren, und in den zu hastig aufgeführten Mietskasernen klappte bald dies und bald das nicht. . .", schrieb er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. „Berlin, von heute aus gesehen, war eigentlich nur eine große, mäßig bewegte Provinzialstadt. . . Wieviel schöne alte Häuser, sogar Schlüterbauten, gab es damals noch in der Königsstadt und Friedrichswerder, und in den Straßen der Friedrichstadt gab es noch überall die alten kleinen Häuser des 18. Jahrhunderts mit ihren Mansardendächern" 1 ". Auch wenn die Neubauten, die das Stadtbild immer deutlicher prägten, ihm als Kind mehr imponierten, so legte er doch später Wert darauf, daß er aus „westelbischem" Gebiet stammte, ja er träumte noch auf seine alten Tage davon, daß seine Geburtsstadt eine Universität erhalten und man ihn dorthin berufen habe. Sein Studienjahr in Bonn, seine Professoren]ahre am Oberrhein, die freilich in die gemeinhin besonders aktiv-schöpferischen Lebensjahre um die Vierzig fielen, nehmen in seinen Erinnerungen breiten Raum ein und gewinnen aus der zeitlichen Distanz an Schönheit, während die Schilderung Berlins eher nüchtern-preußisch ausfällt. Freilich fallen in die Berliner Lebensjahre einige Schlüsselerlebnisse. 1871 erlebten Meinecke und seine Familie, von Verwandten mit Freikarten versehen, vom zweiten Stock des nördlichen Flügels der Universität den Einzug der siegreichen Truppen, die von einigen Veteranen aus den Befreiungskriegen begleitet wurden, durchs Brandenburger Tor mit. Im Dezember 1918 hielt er an derselben Stelle Vorlesung, als vom Frankfurter Tor her die aus dem Osten zurückkehrenden Truppen mit Militärmusik die Linden entlangzogen. „Die Erinnerung an den Juni 1871 ergriff mich. Ich pausierte und überlegte, was und wie ich meinen Studenten von dem Einst und Jetzt, das ich von dieser selben Stelle aus erleben mußte, sprechen könnte. Ich tat es nicht, weil ich spürte, daß der Schmerz meine Stimme ersticken würde, und fuhr fort, von Ludwig XIV. zu erzählen." 11 Man kann verstehen, was das Bekenntnis zur Weimarer Republik für diesen Mann, der im Herzen Monarchist war. an der Schwelle des siebten Lebensjahrzehnts bedeutete, und man sollte ihm das „Vernunftrepublikanertum" nicht voreilig zum Vorwurf machen. Denn wichtiger war, was er 1944 angesichts des sich abzeichnenden zweiten, endgültigen deutschen Zusammenbruchs als sein damaliges politisches Leitbild beschrieb: nachdem er anfangs für Annexionen im Osten eingetreten war, stand es nun für ihn fest, daß man im Hinblick auf „das alte Ideal der abendländischen Völker- und Kulturgemeinschaft, die Achtung vor den Rechten unserer Nachbarvölker" auf äußere Annexionen verzichten müsse. Statt dessen sah er die Notwendigkeit „innerer Annexionen", d.h. „Ausbau der Errungenschaften der Augusttage" 1914 und „endgültige Gewinnung der deutschen Arbeiterschaft", und zwar mit den „Mitteln der liberalen und demokratischen Gedankenwelt" 12 . Sich aktiv politisch zu betätigen, wie es manch einer seiner Kollegen tat, hat der stillen, sensiblen Gelehrtennatur Meineckes allerdings nicht gelegen. Seit 1910 trat er lediglich als politischer Publizist in Erscheinung. Seine politische Einstellung hat sich seit den neunziger Jahren vom Konservatismus über die Gedankenwelt der Nationalliberalen bis hin zu der des Naumann-Kreises gewandelt. Politisch willensbildend wirkte er - gemeinsam mit Kollegen wie Otto Hintze, Ernst Troeltsch, Heinrich Herkner, Max Sering und Werner Weisbach - auf gelegentlich dazustoßende Politiker auf dem sog. Dahlemer Spaziergang, der seit den Weltkriegsjahren gewissermaßen zur Institution wurde: sowohl der - Meinecke 30 Am Hirschsprung 13, das Wohnhaus von Friedrich Meinecke. Foto: Ellen Brast allerdings nicht sonderlich sympathische - spätere Außenminister Rathenau gehörte dazu als auch die zeitweiligen Reichsminister Groener und Schiffer. Später allerdings mag Meineckes ironische Beschreibung eher zugetroffen haben: „Dieselben alten Herren . . . treffen sich an demselben Punkte, gehen denselben Weg in den Wald, kehren in derselben Konditorei ein, bestellen dieselben Getränke, führen dieselben Gespräche und gehen denselben Weg nachhause." 13 Erst 1943 mit Beginn der großen Evakuationen aus dem bombengefährdeten Berlin fanden diese Spaziergänge ihr Ende, politisch hatten sie bereits seit 1933 nichts mehr zu bedeuten. Für Meinecke, der zu den Initiatoren der Deutschen Demokratischen Partei zählte, war es nur zu deutlich, daß mit Hitler Diktatur und Verhängnis über Deutschland hereinbrechen würden. Bis zuletzt hat er davor eindringlich gewarnt. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verlor er sämtliche wichtigen Ämter, die ihm nach seiner Emeritierung 1932 außer dem Sitz in der Berliner Akademie der Wissenschaften noch verblieben waren: 1934 die Leitung der Historischen Reichskommission, die auf seine Initiative 1928 zur Förderung von Editionen und Darstellungen der deutschen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert eingerichtet worden war, 1935 die Herausgeberschaft der Historischen Zeitschrift. Er erlebte, daß einige seiner bedeutendsten Schüler als Juden in 31 die Emigration gezwungen wurden, er erlebte endlich während des Krieges als über Achtzigjähriger, daß auch auf sein Haus Bomben fielen und mußte Berlin verlassen. Nach dem Krieg stellte er, nachdem er 1946 in die inzwischen geteilte Hauptstadt hatte zurückkehren können, sich wieder der Universität zur Verfügung und hielt in seiner Dahlemer Villa noch Seminare ab, obwohl ihm mit zunehmender Seh- und Hörschwäche und seiner immer labiler werdenden Gesundheit diese Arbeit neben der wissenschaftlichen Tätigkeit nicht leicht fiel. Die Drangsalierungen von Dozenten und Studenten durch die sowjetische Besatzungsmacht und die SED hat er, da er in der im Osten Berlins liegenden Universität nicht mehr arbeitete, zwar nicht direkt zu spüren bekommen, sich aber, als sich die Sezession zur Gründung einer Freien Universität im amerikanischen Sektor vollzog, dieser vorbehaltlos angeschlossen. Am 27. Oktober 1948 teilte er der Deutschen Verwaltung für Volksbildung mit: „Als ich vor zwei Jahren eine kleine Lehrtätigkeit an der hiesigen Universität wieder aufnahm, geschah es in der Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander marxistischer und nichtmarxistischer Richtungen in den Geisteswissenschaften. Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. . . Ich fühle mich zu dem schmerzlichen Entschlüsse gedrängt, das Band, das mich seit Jahrzehnten mit der Berliner Universität verknüpft, zu lösen und ab 1. November d.J. auf meine Stellung als Ordinarius in der Philosophischen Fakultät zu verzichten. . ," 14 Zugleich wurde er an die neugegründete Freie Universität berufen, an der er sowohl die Leitung des Historischen Seminars als auch das erste Rektorat übernahm, dieses allerdings eher ehrenhalber, da der Prorektor und Nachfolger im Amt im folgenden akademischen Jahr, der Kunsthistoriker Edwin Redslob, für ihn die Geschäfte führte. Die Symbolkraft des Namens Meinecke hatte aber nicht geringen Anteil daran, daß die anfangs auch im westlichen Teil Deutschlands durchaus umstrittene Universitätsneugründung allmählich als Notwendigkeit begriffen wurde. Zieht man heute Bilanz aus diesem fast zweiundneunzig Jahre währenden, reichen Forscherleben, so wird man Meineckes Werk sicherlich als weniger bedeutsam für den Fortgang der Geschichtswissenschaft einschätzen als das seiner großen Zeitgenossen und Berliner Kollegen Otto Hintze, Max Weber und Ernst Troeltsch (welch letztere, obwohl nicht unmittelbar zur Fachzunft gehörig, doch als für die Geschichte in Deutschland von eminenter Bedeutung angesehen werden müssen). Daß Meinecke im sog. Lamprechtstreit die Partei der traditionellen Richtung ergriff, daß er die Entwicklung von Geist und Staat überbetonte und durch seinen starken Einfluß auch nach 1918 diese einseitige Richtung stabilisierte und nach 1945 lange zum Schaden einer umfassenden Geschichtssicht neu begründen half, wer wollte es leugnen? Aber ist all dies nicht weniger ihm als den beiden Gelehrtengenerationen vorzuwerfen, die sich dieser Art von Historie nur allzu gern anschlössen und innovatorische Impulse, wie sie etwa bereits seit Ende der zwanziger Jahre von der „Annales"-Historie in Frankreich ausgingen, bewußt verpaßten? Das Faszinierende an Meineckes Werk und an seiner Persönlichkeit bleibt. Zudem sollte man das überaus breite Spektrum seines Schülerkreises im Auge behalten, dem der Abgott der sich heute im westlichen Deutschland progressiv einschätzenden Historiker Paul Eckehart Kehr ebenso angehörte wie - wenigstens mittelbar - der bedeutende Engels-Biograph Gustav Mayer. Namentlich unter denjenigen, die nach 1933 in die USA emigrierten und die dortige Geschichtswissenschaft ungemein befruchteten, befanden sich viele MeineckeSchüler wie Hans Baron, Dietrich Gerhard, Felix Gilbert, Hajo Holborn, Gerhard Masur, Hans Rosenberg und Hans Rothfels. Meineckes Toleranz gegenüber Wissenschaftlern, die sich politisch und weltanschaulich nicht unbedingt auf seiner Linie bewegten, ist viel3: leicht angesichts der sich mehr und mehr politisierenden Universitätslandschaft gerade in Berlin immer noch verpflichtendes Vorbild. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Michael Erbe, Ringstraße 23, 1000 Berlin 28 1 2 3 4 5 6 7 a 9 10 11 12 13 14 Ein ebenso krasses wie mißglücktes Beispiel ist Immanuel Geiss: Kritischer Rückblick auf F. M, in ders.: Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt/Main 1972, S. 89—107. Der beste neuere Überblick stammt von Ernst Schulin: F. M., in Hans Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker I, Göttingen 1971, S. 39 — 57. Sehr instruktiv sind die Vorworte der verschiedenen Herausgeber von M.s „Werken" (hg. im Auftrag des F.-M.-Instituts der FU Berlin), bisher 8 Bde., Stuttgart-München-Darmstadt 1957 ff. Übersicht bei Schulin, S. 57. - Eine vorläufige Bibliographie von M.s Schriften hat Anne-Marie Reinold in der HZ 174 (1952), S. 503-523 zusammengestellt. Meinecke: Erlebtes 1862-1901, in: Werke VIII, 1969, S. 83. Vgl. Werke V, 1962, S. 3 bzw. 4. Werke I, 1957, S. 485. Ebd., S. 505. Vgl. dazu die meisterhafte Einleitung von Carl Hinrichs in: Werke III, 1959. Erlebtes, 1862-1901, Leipzig 1941; Straßburg - Freiburg - Berlin 1901-1919, Stuttgart 1948, beides in: Werke VIII, S. 1 -134 und 135 - 320. Ebd. S. 37. Ebd. S. 25. Ebd. S. 315. Ebd. S. 236. Werke VI, 1962, S. 295 f. Die Kirchenglocken von Berlin (West) Zwischenbilanz aus einer zweijährigen Inventarisationsarbeit Von Klaus-Dieter Wille Aufgabenstellung. Im Frühjahr 1976 bildete sich auf privater Basis eine Forschergruppe, die den Bestand der in Berlin (West) hängenden Glocken erfassen will. Vorangegangen war das durch Besuche sakraler Bauwerke erweckte Interesse, Angaben über die in diesen Gebäuden vorhandenen Klangkörper zu erhalten. Da nämlich die meisten veröffentlichten Kirchenchroniken und heimatgeschichtlichen Darstellungen, aber auch wissenschaftliche Architektur- und Kunstführer präzise Ausführungen über die Glocken vermissen lassen, sah sich die aus drei Berlinern bestehende Gruppe in ihrem Gedanken bestärkt, ein sachkundiges und mit sämtlichen kunsthistorischen und technischen Daten versehenes Inventar von den in der Stadt sich befindenden Glocken zu erarbeiten. Der modus procedendi war durch die vom Landeskonservator am bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, Dr. Tilmann Breuer, bereits begonnene Forschungsarbeit festgelegt. Sinn und Zweck dieser Arbeit ist, die Erzeugnisse der deutschen Erzgießkunst nach Form und Dekor, nach Inschrift und Jahreszahl oder sonstige bildnerische Attribute zu untersuchen, damit eine exakte Darstellung der über den Zweiten Weltkrieg geretteten Glocken für die an diesem spezifischen Thema interessierte Öffentlichkeit zugänglich 33 gemacht werden kann und die darüber hinaus eine fundierte Basis für die spätere Forschung bilden soll. Von den bisher von der Gruppe in etwa 75 Kirchen und Kapellen fotografierten und vermessenen rund zweihundert Glocken konnten für die Kulturgeschichte Berlins recht bemerkenswerte Daten gesammelt werden. Es wurde u.a. festgestellt, daß die im 20. Jahrhundert erbauten Kirchen über mittelalterliche Klangkörper verfügen, während einige, zum kulturgeschichtlichen Erbe dieser Stadt zählende Dorfkirchen längst nicht mehr ihr altes Geläut besitzen. Die Ausführung der Inventarisationsarbeit, d.h. das Vermessen der Höhe des Glockenkörpers, des unteren Durchmessers und der Höhe des Kronenbügels, sowie die Identifizierung der Inschriften und die Bestimmung der Ornamente, gestaltet sich oft unter beträchtlichen Schwierigkeiten. Die in den Glockenstuben in luftiger Höhe aufgehängten Klangkörper sind meist durch Umwelt- und Witterungseinflüsse arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Die korrodierten Bronze- und Gußstahlmäntel der Glocken lassen daher oft Dekor und Inschriften mühsam erkennen. Hinzu kommt, daß die Arbeit im Glockenstuhl nicht ungefährlich ist, da die in den Gerüsten hängenden Glocken meist schwer zu erreichen sind. Einige der unter diesen Kriterien ermittelten Fakten werden nach einer kurzen geschichtlichen Betrachtung im folgenden wiedergegeben. Historischer Überblick: Die Kunst des Glockengusses ist sehr alt; sie hatte in Europa ihren Höhepunkt vom 12. bis 16. Jahrhundert. Der Bezug zu den ehernen Klangkörpern ging in den darauffolgenden Jahrhunderten mehr und mehr verloren. Im 19. Jahrhundert verflachte dann die hohe Tradition des Glockengießens zusehends. Namentliche Überlieferungen aus der Frühzeit des Berliner Glockengießerhandwerks gibt es nicht. Erst mit dem Jahr 1494 taucht der Name des ersten, in der Stadt ansässigen Glockengießers auf: Hans Handeke goß als kurfürstlich-brandenburgischer Büchsenmeister in jenem Jahr eine Glocke für die Kirche in Kraatz/Kreis Ruppin. Über hundert Jahre später läßt sich in Spandau Martin Grundt als Glockengießer nieder und schuf über einen Zeitraum von zehn Jahren (1605 — 1615) bronzene Glocken für die umliegenden Gemeinden. Der Ruf Berlins als „Glockengießerstadt" wurde aber erst Ende des 17. Jahrhunderts begründet.Ludwig Buchholz(1628 — 32)und Michael Jakob Neuwert(1636 —66)waren als erste qualifizierte Glockengießer in der Stadt tätig. Ihnen folgten Michael Martin Heintze (1674-92), Johann Jakob Schultz ( 1 6 7 9 - 1716) und Otto Ehlers ( 1 6 9 7 - 1709). Aus dem anfänglich sehr zögernd betriebenen Gewerbe erwuchs bald darauf eine beständige und äußerst produktiv arbeitende Glockengießerzunft, die mit ihren Erzeugnissen nicht nur die Berliner Sprengel, sondern viele, fern des Gießortes liegende Gemeinden belieferte.Namen wie Jakobi, Meurer, Hackenschmidt, Schultze, Thiele und Collier trugen dann in späterer Zeit den Ruf des Berliner Qualitätsgusses weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Einige der von diesen Handwerksbetrieben hergestellten Klangkörper befinden sich noch heute in den Berliner Kirchengemeinden. Viele der in und für Berlin gegossenen Glocken gingen in beiden Weltkriegen zugrunde. So wurde aufgrund der Verordnungen vom 1. März 1917 und vom 15. März 1940 ein Großteil des Berliner Glockenbestandes für Rüstungszwecke konfisziert. Über 100 000 Kirchenglocken wurden 1942 in Deutschland beschlagnahmt und in Hamburg gesammelt. Hier bestand seit 1940 ein Depot im Hamburger Hafengebiet, das insgesamt dreizehn verschiedene Sammelplätze enthielt. Einer lag z.B. auf einem Holzlager 34 Bronzeglocke aus dem Jahre 1732, gegossen von J. F. Thielen in Berlin. Dorfkirche zu Rudow. Zu C 3 b: Bronzeglocke 14./15. Jh. Dorfkirche Schmargendorf. am Reihersteg im Freihafen. Darüber hinaus gab es noch Lagerplätze in Hettstedt, Ilsenburg, Lünen und Oranienburg. Dort konnten rund 14 000 Glocken aus deutschem Eigentum vor der Verhüttung bewahrt werden. Rund 90 000 moderne Glocken aus der Zeit von 1850 bis zur Gegenwart wurden jedoch eingeschmolzen und gingen damit endgültig verloren. Insgesamt etwa 16 000 Geläute entgingen aber ihrer Zerstörung; 9 7 % davon wurden einwandfrei identifiziert und konnten nach Kriegsende ihren Heimatgemeinden wieder zurückgegeben werden. Die Entschlüsselung nahm drei Jahre in Anspruch. Sie wurde von der deutschen Denkmalpflege in Verbindung mit den Kirchengemeinden und den Sachverständigen für Glockenguß und Glockenakustik durchgeführt. Ein Ausschuß übernahm die Archivierungsarbeiten. Dadurch konnte die schon 1942 begonnene Hauptkartei des Glockenarchivs wesentlich erweitert werden. Für 1300 Glocken aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten war eine Rückführung allerdings nicht mehr möglich. Diese Glocken wurden an Patengemeinden vermittelt. Das in Nürnberg,im Germanischen Nationalmuseum, beheimatete wissenschaftliche Archiv hat die Geläute in einer Kartei erfaßt und fotografisch festgehalten. Von den bedeutendsten und schönsten Glocken sind Graphitdurchschreibungen, Fliespapierabdrücke und Gipsformen vorhanden. Die kunsthistorisch wertvollen Kirchenglocken, die in der Regel aus Bronze bestehen (dies gilt auch für diejenigen, die in Berlin [West] vorhanden sind), M Zu C 7: Bronzeglocke aus dem Jahre 1870, gegossen von E. Voß in Stettin. Dorfkirche Lankwitz. Bronzeglocke aus dem Jahre 1786, gegossen von J. Ch. F. Meyer in Berlin. Gemeindehaus Giesensdorf. zeigen neben ihrer Formensprache auch die Entwicklung der Schrift bis in das 19. Jahrhundert hinein, wobei in typischen Beispielen die Buchstabenform abzulesen ist. Neben der schmuckreichen Unziale treten besonders die ausdrucksstarken Majuskel- und Minuskelinschriften hervor. Die sinnvollen lateinischen Texte auf den Flanken der Glocken ergänzen die mittelalterlichen deutschen Inschriften, die nicht selten eine Bannformel gegen eine Krankheit, Krieg oder Unwetter beinhalten. Über alle Jahrhunderte aber hat sich das früheste christliche Glockengebet erhalten: O REX GLORIE XRE (CHRISTE) VENI CUM PACE (O König der Herrlichkeit, Christus, komm mit Frieden). Wir finden diesen Spruch heute u.a. auf den Glocken der Dorfkirchen von Schmargendorf, Hermsdorf, Reinickendorf und Mariendorf. Das Wortbild der gotischen Glocken wird dagegen häufig durch bildnerischen Schmuck in Form von Medaillons ersetzt, die meist die Leidensgeschichte Christi darstellen. Biblische und Heiligendarstellungen (z.B. in Gatow), die im Mittelalter als Pilgerzeichen verwendet wurden, spielen als Schmuckelemente ebenfalls eine große Rolle. In der Renaissancezeit erweitern sich schließlich die Themen in mythologische und profane Darstellungen (z.B. Johanneskirche/Lichterfelde), die oft von überaus reichem ornamentalen Schmuck begleitet werden. All diese Verzierungen gehören ihrem Charakter und ihrer Gestaltung nach in den Kreis der Volkskunst und sie sind, abgesehen von der seelischen 3€ Bronzeglocke 14./15. Jh. Dorfkirche Gatow. Zu C 6 a: Bronzeglocke aus dem Jahre 1688, gegossen von M. Heintz aus Berlin. Ev. Kirchengemeinde Nikolassee. Auch diese Glocke mußte abgegeben werden. Die Nummer vom Glockensammelplatz ist noch deutlich zu erkennen. Einstellung zur Glocke selbst, neben der rein religiösen Bedeutung in das Gebiet der Volkskunde einzuordnen. Glockenform und Werkstoff: Frühe nachweisbare Glocken hatten die Form eines Bienenkorbes. Er wird im 12. Jahrhundert von der schlanken Zuckerhutform mit sechs Bügeln abgelöst. Aus der sich anschließenden Synthese beider Formen entwickelte sich gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine neue Rippenform, die gotische Dreiklangrippe von polyphonem Klang. Sie gab drei harmonische Töne von sich, den Grundton am Schlagring, die Beitöne der Oktave am Hals und die große oder kleine Terz oder auch die Quart an der Flanke. Aus der Zuckerhutform ging dann die etwas breitere Kelchform hervor. Von den genannten Glockentypen konnte während der Berliner Inventarisationsarbeit keine Glocke mit Bienenkorbform nachgewiesen werden. In der Johanneskirche/Schlachtensee, der Buckower Dorfkirche und der Kirche in der Gartenstadt Staaken sind dagegen drei Glocken des zweiten Typs vorhanden. Die am häufigsten, vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart vertretene Glockenform ist die des Kelches. Für Berlin (West) bedeutet das, daß von den bisher erfaßten 203 Glocken und zwei Glockenspielen (Dorfkirche Mariendorf und Kirche am Stölpchensee) mit insgesamt dreiunddreißig einzelnen Klangkörpern nur drei der sogenannten Zuckerhutform zuzuordnen sind. 37 Von in die Inventarliste aufgenommenen Glocken bestehen 157 Exemplare, einschließlich der Glockenspiele, aus Bronze, wobei die Zusammensetzung der Legierung vermutlich unterschiedlich sein wird. 79 Glocken wurden aus Stahlguß gegossen. Nach ihrer Entstehungszeit und gegenwärtigem Standort können die Glocken in folgende Gruppen gegliedert werden: A A1 A2 A3 Glocken der Dorfkirchen Undatierte, aus dem Mittelalter stammende Glocken befinden sich in Britz, Buckow, Gatow, Lichterfelde, Lichtenrade und Schmargendorf. Datierte Glocken hängen in Buckow (1322), Mariendorf (1480), Wittenau (1484, 1583), Reinickendorf (1491), Hermsdorf (1507), Giesensdorf (1686, 1786), Rudow (1732), Rixdorf (1738) und Lankwitz (1870). Über ein neues Geläut verfügen die Kirchen von Dahlem, Heiligensee, Kladow, Lübars, Marienfelde, Stolpe, Tempelhof und Zehlendorf. Die Glocken der ehemaligen Dorfkirchen von Steglitz, Tegel und Wilmersdorf konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Vermutlich sind sie der Verhüttung zum Opfer gefallen. Eine Glocke aus der alten Lützower Dorfkirche befindet sich heute in dem Glockenträger der Kapelle auf dem Luisen-Kirchhof III. Die Dorfkirche von Schöneberg besitzt als einzige Dorfkirche in Berlin (West) kein Geläut. B B1 B2 Glocken in nach 1850 erbauten Kirchen Undatierte, aus dem Mittelalter stammende Glocken befinden sich in der Johanneskirche/Schlachtensee, der Johanneskirche/Lichterfelde, der Lindenkirche/Wilmersdorf und der Kirche in der Gartenstadt Staaken. Datierte Glocken hängen in der Matthias-Claudius-Kirche (1518), der Kapelle auf dem Luisen-Kirchhof III (1646), der Kapelle auf dem Martin-Luther-Friedhof (1664), der Kirche zu Nikolassee (1688, 1755), dem Klosterfelder Gemeindehaus (1704), der Luisenkirche zu Charlottenburg (1823) und der Andreas-Kirche in Wannsee (1896). Bemerkenswert sind darüber hinaus zwei Glocken in der Peter und Paul-Kirche (1836, 1894), eine Glocke in der Kirche der Apostel-Andreas-Gemeinde, die vermutlich aus dem 18. Jahrhundert stammt, und die um 1900 gegossene Glocke der schwedischen ViktoriaGemeinde. Zu einigen kulturhistorisch wertvollen Glocken sollen hier Auszüge aus dem Inventar folgen. 1. J o h a n n e s k i r c h e Bezirk Zehlendorf, Ortsteil Schlachtensee/Matterhornstraße. Bronzeglocke von schlanker Zuckerhutform, die aufgrund eines um die Schulter herumlaufenden etwa neun Zentimeter hohen, von zwei kräftigen Bändern begleiteten, romanischen Frieses dem 13. Jahrhundert zugeordnet wird (vermutlich gegossen unter Markgraf Johann IL, 1266—1281). Die Glocke trägt keine Inschrift, ihre Kronenbügel sind rund und mit seilartigen Verzierungen besetzt. Sie hing bis 1912 in der Dorfkirche Zehlendorf. 38 Technische Daten: Höhe 680 mm, Höhe des Kronenbügels 160/170 mm, unterer Durchmesser 830 mm, Gewicht 311 kg, Tonlage c. Beschreibung des romanischen Bogenfrieses: In vier Abteilungen, durch Hochreliefs voneinander getrennte bildnerische Darstellungen, die folgenden Inhalt haben: 1. in einem spitzen Bogenschild ein märkischer Adler (etwa aus der Zeit um 1280), 2. ein von der Lilie abgeleitetes stilisiertes Ornament, 3. ein Stierkopf und 4. eine geöffnete Rose mit Blütenkelch. Je zwölf Blätter bilden die äußere und innere Reihe der Rose. Die Darstellungen in den zwanzig Bogenhallen bedeuten: 1. zwischen dem Adler und der Lilie: a) ein junger Vogel mit dickem, gebogenen Schnabel, b) vermutlich der Evangelist Johannes, c) Christus oder ein Märtyrer das dreiarmige Kreuz über der linken Schulter tragend; der Leib ist abgemagert und die Rippen treten deutlich hervor, d) ein betender Engel und e) ein Lamm mit wehendem Bande. 2. zwischen der Lilie und dem Stierkopf: a) ein springendes Pferd, b) ein knieender betender Engel, c) predigender oder segnender Christus, d) ein knieender Engel, in der Rechten ein Schwert haltend und e) ein springender Löwe. 3. zwischen dem Stierkopf und der Rose: a) ein geflügeltes vierfüßiges Tier, b) ein Heiliger, c) ein gekrönter, auf einem Sessel ruhender Fürst mit Zepter und Reichsapfel; das Zepter trägt einen Adler auf der Spitze, d) eine dem Fürsten entgegen schreitende, ein Schwert tragende Gestalt und e) ein Greif. 4. zwischen der Rose und dem Adler: a) ein Greif, b) ein Apostel, ein gezogenes Schwert haltend, c) ein Apostel mit einem offenen Buch, drei Finger zum Schwur hoch haltend, d) ein Apostel mit einem großen Schlüssel und e) ein schreitendes geflügeltes Tier nach rückwärts sehend. 2. D o r f k i r c h e Buckow Bezirk Neukölln, Ortsteil Buckow/Alt-Buckow. a) Bronzeglocke von sehr schlanker Zuckerhutform, bei der es sich wahrscheinlich um einen Guß aus der Zeit um 1250 handelt. In diesem Zeitraum entstand wohl auch die Feldsteinkirche. Die Glocke ist undatiert und trägt keine Verzierungen, der Kronenbügel ist nicht mehr vorhanden. Technische Daten: Höhe 530 mm, unterer Durchmesser 580 mm, Gewicht 98 kg, Tonlage as. b) Bronzeglocke mit reichen Ornamenten und in gotischen Majuskeln ausgeführten Inschriften. Zwischen den Buchstaben befinden sich filigranhafte Verzierungen, die sich in dem Spruch auf der Schulter und teilweise auch am unteren Rand des Frieses wiederholen. Technische Daten: Höhe 820 mm, Höhe des Kronenbügels 180/190 mm, unterer Durchmesser 1030 mm, Gewicht 497 kg, Tonlage ges. Text der Inschriften: O REX GLORIE - XRE (Christe) VENI CUM PACE - anno domini M CCC XX II in die johannis ante portam latinam erat campana ista consumata in nomine domini amen. (Im Jahre des Herrn 1322 am Tage Johannes vor der lateinischen Pforte [6. Mai] ist diese Glocke vollendet worden. Im Namen des Herrn. Amen.) 3. D o r f k i r c h e S c h m a r g e n d o r f Bezirk Wilmersdorf, Ortsteil Schmargendorf/Breite Straße. a) Aus dem Mittelalter stammende Bronzeglocke, in deren Flanke sich eine 80 mm hohe Christus- oder Marienfigur sowie je zweimal vier, sich gegenüberstehende Münzen befinden. Die Schulter umlaufen vier kräftige Bänder. Technische Daten: Höhe 510 mm, Höhe des Kronenbügels 120 mm, unterer Durch39 messer 660 mm, Gewicht 152 kg, Tonlage a. Aus dem Mittelalter stammende Bronzeglocke von schlanker Form, in deren Schulter zwischen zwei kräftigen Bändern sich der Spruch O REX + GLORIE + CHRISTE + VENI CUM PACE + befindet. Technische Daten: Höhe 580 mm, Höhe des Kronenbügels 120 mm, unterer Durchmesser 670 mm, Gewicht 158 kg, Tonlage a. 4. D o r f k i r c h e W i t t e n a u Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Wittenau/Alt-Wittenau. a) Bronzeglocke aus dem Jahre 1484 mit der Inschrift M CCCC L XXX IV - O REX GLORIE XRE VENI CUM PACE. Technische Daten: Höhe 585 mm, Höhe des Kronenbügels 150 mm, unterer Durchmesser 695 mm, Gewicht 165 kg, Tonlage g. b) Bronzeglocke aus dem Jahre 1583 mit vier umlaufenden Inschriftreihen und einem ebenfalls umlaufenden Ornament zwischen kräftigen Bändern. Diese Glocke ist insofern bemerkenswert, da sie die älteste Glocke in Berlin (West) ist, die die Namen der Gießer nennt. Der Kronenbügel fehlt hier. Technische Daten: Höhe 670 mm, unterer Durchmesser 880 mm, Gewicht 333 kg, Tonlage b. Inschrift der 1. Reihe: b) YACOB WARTEN BERCK SCVLTZ PAVL STEYN YN DAL DORF MARTYNVS HEVBT PFHAR HER Inschrift der 2. Reihe: PETER FYSCHER HANS HAWERSTRO DYSE ZW[E]N GOCZLEVT MCLXXXIII 3. Reihe zeigt ein Ornamentband. Inschrift der 4. Reihe: BIN YCH GEFLOSEN YM NAME GOTES Inschrift der 5. Reihe: HANS ZYDLER VND YORG BEHEM HABEN MYCH GOSEN 5. M a t t h i a s - C l a u d i u s - K i r c h e Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Heiligensee/Schulzendorfer Straße. Bronzeglocke von schlanker Form und seilartig gedrehtem Kronenbügel. Es wird vermutet, daß diese Glocke aus einer schlesischen Kirchengemeinde stammt. Technische Daten: Höhe 625 mm, Höhe des Kronenbügels 125 mm, unterer Durchmesser 660 mm, Gewicht 150 kg, Tonlage eis. Inschrift zwischen fünf Blumenornamenten ANNO DOMINI MCCCCCXVIII. 6. Ev. K i r c h e n g e m e i n d e N i k o l a s s e e Bezirk Zehlendorf, Ortsteil Nikolassee/Kirchweg. a) Reich beschriftete und ornamentierte Bronzeglocke aus dem Jahre 1688. Diese und die im folgenden beschriebene Glocke gehörten nicht zum ursprünglichen Geläut der Kirche. Beide Klangkörper stammen vermutlich aus der Mark Brandenburg. Sie wurden 1949 von einem Sammelplatz geholt. Technische Daten: Höhe 720 mm, Höhe des Kronenbügels 160 mm, unterer Durchmesser 950 mm. Die sich in vier bzw. fünf Reihen gegenüberstehenden Inschriften haben folgenden Wortlaut: 40 Bronzeglocke aus dem Jahre 1704, gegossen von J. Jacobi für den ehem. Münzturm. Danach in St. Nikolai/ Spandau, jetzt im Klosterfelder Gemeindehaus. b) CASPER UND CARL VALENTIN VON PARIS, GEBRUDER AUF MENDELKOW - HANS GUNTER VON PARIES UND ERICH REINHOLTZ VON PARIS GEBRUDER ERBHERREN A. MANDELKOH - PETRUS ZITELMANNUS PER ANNOS GEWESEN PASTOR KIRCHENVORSTEHER PETER SCHWANTZ. AGNESIA GERTRUD VON WREECH (Schrift im Halbkreis um zwei Wappen) - D[OMINUS] ERNST A CROCKOW ELECT[ORIS] BRANDENBURGENSIS MINISTER - STAT[U] ET IVST-ITIAE PER POMERAN[IAM] PRAESES ORD[I]NUS 10HA[N]1T1CI EQVES ET COMMENDATOR IN WITTERSHEIM ETQETERA] ET PATRONUS EX HAEREDI[TA]E IN - PLAVENT1N KRINIHE MANDELKOW ET[CETERA] ETQETERA]. Inschrift im Schlangring: GOSS MICH MARTIN HE1NTZ AUS BERLIN ANNO 1688. Diese Bronzeglocke besitzt neben fünf Schriftreihen und einer überaus reichen Verzierung ein ovales Medaillon mit hebräischen (?) Buchstaben. Technische Daten: Höhe 680 mm, Höhe des Kronenbügels 130 mm, unterer Durchmesser 820 mm. Text der auf einer Seite stehenden Inschrift: DIESE FALCKENWALDISCHE GLOCKE IST ANNO 1740 ZERBROCHEN UND ANNO 1755 IM MONATH OCTOBER WIEDER UMGEGOSSEN, DA DER HERR PATRONUS FRIDERICH WILHELM V: SYDOW ERBHERR AUF GOSSOW, BELGEN, FALCKENWALDE UND GRAEBENDORFF 1753 D. 21. MAY GESTORBEN UND - HINTERLASSEN SEINE GEMAHLIN FRAU EUPHENIA LOU1SA V: - WINTERFELDT NEBST VIER SOEHNEN UND FÜNF TÖCHTER - ERNST AUGUST BERTUCH AUS BUTTELSTEDT BEY WEIMAR PREDIGER - DURCH GOTTES GNADE GOS MICH JOH: HEINR: SCHEEL IN STETTIN. 41 7. Dorfkirche L a n k w i t z Bezirk Steglitz, Ortsteil/Alt-Lankwitz. Reichornamentierte Bronzeglocke aus dem Jahre 1870 mit äußerst ausdrucksvoll gearbeiteten Kronenbügeln (Engels- oder Mädchenköpfen). Bei dieser Glocke handelt es sich um das alte Geläut der Kladower Dorfkirche, das während der Kriegswirren nach Lankwitz geschafft wurde. Technische Daten: Höhe 510 mm, Höhe des Kronenbügels 125 mm, unterer Durchmesser 620 mm. Inschrift in vier Reihen: SIE MÖGE NOCH IN SPÄTEN TAGEN - HIER RÜHREN VIELER MENSCHEN OHR - NUR SELTEN MIT BETRÜBEN KLAGEN - UND STIMMEN ZU DER ANDACHT CHOR. GEGOSSEN VON E. VOSS IN STETTIN 1870. No. 436. 8. Ev. B ö h m i s c h - l u t h e r i s c h e B e t h l e h e m s - K i r c h e (Dorfkirche Rixdorf) Bezirk Neukölln/Richardplatz. Bronzeglocke, die neben einem umlaufenden Ornamentfries, der von zahlreichen Engelsfiguren durchsetzt ist, in der Schulter zwischen je zwei kräftigen Bändern eine Inschrift trägt. In der Flanke befindet sich ein in großen Buchstaben aufgesetzter Bibelspruch, der vermutlich nachträglich angebracht wurde. Technische Daten: Höhe 580 mm, Höhe des Kronenbügels 90 mm, unterer Durchmesser 670 mm. Inschrift in der Schulter: VANA JOACHIM V. HANS V. GÖTZEN 1618 VOCOR CAMPANA NVNQ[U]AM. Inschrift in der Flanke: RENOVATA ANNO 1738 PATRONUS MAGISTRATUS BEROLINI FUDIT J. P. MEURER BELLO DELETA 1945 ITERUM RENOVATA ANNO 1948 (F. SCHILLING) - EHRE SEI GOTT IN DER HOEHE + Zusammenfassung: Der vorliegende Bericht ist ein Auszug aus einer nach fast sechs Jahrzehnten wieder erstmals durchgeführten Bestandsaufnahme der Berliner Kirchenglocken. Infolge des letzten Weltkrieges hat das bis dahin als Standardwerk geltende Inventar „Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer" von F. Wolff, 1920, nur noch bedingt seine Gültigkeit. Wie bereits erörtert, wurden während des Krieges zahlreiche Glocken eingeschmolzen oder an andere, außerhalb Berlins liegende Kirchengemeinden vergeben. Es bot sich daher an, die heute in den Berliner Gemeinden vorhandenen Geläute zu inventarisieren. Ein weiterer Grund, eine Auflistung vorzunehmen, lag in den fehlerhaften Angaben der von namhaften Berliner Kunsthistorikern veröffentlichten Arbeiten. So enthalten beispielsweise die Inventare der Bezirke Charlottenburg, Spandau und Tiergarten z.T. unvollständige oder gar völlig falsche Beiträge über die Glocken der in diesen Bezirken stehenden Kirchen. Die vom Verfasser dieses Berichts unter Mitwirkung seines Bruders, Herrn Hans-Günter Wille, und Herrn Lothar Fender durchgeführte Inventarisationsarbeit steht unter dem Protektorat des Berliner Landeskonservators. Nach Abschluß der noch einige Zeit in Anspruch nehmenden Arbeit ist geplant, das gesammelte Material in seiner Gesamtheit zu veröffentlichen. Anschrift des Verfassers: Aschaffenburger Straße 20,1000 Berlin 30 42 Literaturnachweise: Wille, K.-D., H.-G. Wille und L. Fender: Glocken in Berlin (West) (Unveröffentlichtes Manuskript). Wolff, F.: Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer. Zirkel, Architekturverlag GmbH, Berlin 1920. Kühnlein, M.: Die Kirchenglocken von Groß-Berlin und seiner Umgebung. Verlag Ernst Reiter, Berlin 1905. Sauermann, E., Zimmermann, W. und Grundmann, G.: Aus der Arbeit des deutschen Glockenarchivs. Sonderdruck aus der Zeitschrift: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. 1952, Heft 1. Deutscher Kunstverlag München/Berlin. Alle Fotos aus dem Archiv des Verfassers. Nachrichten Gesellschaft für Heimatgeschichte in der DDR Unter dem Vorsitz von Professor Willibald Gutsche wurde in Berlin (Ost) eine Gesellschaft für Heimatgeschichte im Kulturbund der DDR gegründet. Aufgabe dieser Gesellschaft ist es, die Tätigkeit der zentralen Fachausschüsse Heimatgeschichte/Ortschronik, Kultur/Geschichte/Volkskunde, Urund Frühgeschichte, Numismatik und kulturhistorische Zinnfiguren zusammenzufassen und zu koordinieren. In rund tausend Arbeitsgemeinschaften beschäftigen sich gegenwärtig etwa 25 000 Bürger im Kulturbund der DDR mit heimatgeschichtlichen Themen. Professor W. Gutsche bezeichnete es als eine wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung „sozialistischen Geschichtsbewußtseins", das Wissen um die historische Entwicklung zu vertiefen, insbesondere seit Gründung der DDR. Erstmals mehr als 100 000 Besucher im Märkischen Museum Das Märkische Museum konnte im Jahre 1978 nach Aussagen von Direktor Herbert Hampe 107 425 Besucher verzeichnen und damit erstmalig die Grenze von 100 000 Gästen überschreiten. Hierzu haben auch Sonderausstellungen wie „Historisches Kinderspielzeug", „Berliner Biedermeier", Malerei und Grafik von Eduard Gärtner, Plastiken von Christian Daniel Rauch sowie die StudioAusstellungen „75 Jahre Fontane-Manuskripte im Märkischen Museum" und Kinderspielzeug von Berliner Künstlern beigetragen. Die Reihe der stets ausverkauften Konzerte im Märkischen Museum wird 1979 fortgesetzt. 60 Brunnen im Ostteil der Stadt Auch wenn man unsere Stadthälfte nicht mit Rom messen oder mit München vergleichen will, kann man über die geringe Zahl von Brunnen und über das häufige Ausbleiben des Wassers als des belebenden Elements nur betrübt sein. Zu den in Ost-Berlin laufenden rund 60 Brunnen kommt nun auch wieder die „Scholle" neben dem Alten Museum hinzu, die seit Kriegsende kein Wasser mehr von sich gab. Gegenwärtig wird die alte Brunnenplastik aus Muschelkalk rekonstruiert. In der Grünanlage auf dem Pappelplatz soll die 1907 von Ernst Wank geschaffene Plastik „Geldzähler" wieder Aufstellung finden, für die seinerzeit ein Sportler Modell stand. Auch dieser historische Brunnen wird von der Brunnenspezialbrigade des VEB Stadtgrün gewartet. SchB. 43 1979 jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag Gotthold Ephraim Lessings. Unser Verein hat in der Öffentlichkeit dieses Ehrentages nicht gedacht. Wie der Verein vor einhundert Jahren reagierte, geht aus der Rubrik „Die Welt von einst" im „Tagesspiegel" vom 21. Januar 1979 hervor: Aus Anlaß des 150. Geburtstags von Lessing „fand die Bekränzung der Büste Lessings, die das Wohnhaus des Dichters, Königsgraben 10 hierselbst, schmückt, durch den Verein für die Geschichte Berlins um 1V2 Uhr statt. Der prachtvolle Lorbeerkranz, der dem Dichter auf die Stirn gedrückt wurde, war mit mächtigen weißen Atlasschleifen geschmückt, die eine goldene Borte hatten". SchB. Von unseren Mitgliedern Im Rahmen der 30-Jahr-Feier der Vaganten-Bühne erhielt deren Mitbegründer und langjähriger Leiter, Horst Behrend, am 9. Februar 1979 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Günther Bahr, Frau Else Jette Heckel, Herrn Horst Kienapfel, Frau Margarete Weber; zum 75. Geburtstag Herrn Gerhard Ammerlahn, Herrn Dietrich Franz, Frau Herta Kiewitz, Frau Irma Wullkopf; zum 80. Geburtstag Herrn Gerhard Schwulera. Buchbesprechungen Ernst Reuter: Schriften - Reden. Hrsg. von Hans E. Hirschfeld f u. Hans J. Reichhardt. Bd. 3 u. 4. Berlin: Propyläen 1974 u. 1976. 943 u. 1087 S., Ln., je Bd. 74 DM. Anfang 1976 konnte die Edition der Schriften und Reden Ernst Reuters abgeschlossen werden. Umfaßten die in den Mitteilungen Nr. 14/1974 bereits vorgestellten Bände I und II einen Zeitraum von rund vier Jahrzehnten (1904—1946), so die beiden übrigen nur den von sechseinhalb Jahren (1946—1953). Sie enthalten jedoch eine Fülle von sorgfältig ausgewählten Dokumenten aus der Zeit, als Ernst Reuter die „eigentlich bestimmende politische Kraft der Stadt" war. Trotz vielfacher Inanspruchnahme fand er die Zeit, seine Gedanken, seine Pläne und die Ziele der Stadtregierung in zahlreichen Reden, Artikeln und Interviews der Öffentlichkeit zu erläutern. Es war ein Beitrag zu der von ihm geforderten demokratischen Erneuerung, die auch die Transparenz politischer Entscheidungen beinhaltete. Der Herausgeber und Bearbeiter Hans J. Reichhardt hat beiden Bänden eine ausführliche Einleitung vorangestellt, die den allgemeinen und persönlichen Hintergrund umreißt. Hervorzuheben sind ferner das Personenverzeichnis und der mit großer Sorgfalt zusammengestellte Apparat von Anmerkungen, der zu fast jedem abgedruckten Dokument eine Fülle von Erläuterungen bietet. Band III enthält die Reden, Artikel und Briefe Ernst Reuters vom Zeitpunkt der Rückkehr aus der Emigration im November 1946 bis zur Aufhebung der Blockade im Mai 1949. Seine Rolle im erregenden Kampf um die Selbstbehauptung Berlins wird hier dokumentiert. Aus der Türkei zurückgekehrt, hatte sich Reuter nach kurzem Zögern für Berlin entschieden, für die Stadt, von der nach seiner Ansicht noch immer die entscheidenden politischen und kulturellen Impulse für ganz Deutschland ausgingen. In Berlin sah er die „Treuhänder der deutschen Einheit" und die „Vermittler von Ost und West". Trotz der „Arbeit wie ein Galeerensklave" hatte er diese Entscheidung nie bereut. Im Dezember 1946 zum Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe gewählt, wurde Reuter bald durch seine Sachkompetenz und durch seinen leidenschaftlichen KiKBpf für Demokratie und Freiheit der eigentliche Motor des Magistrats. Nach der Ostrowski-Krise auch zum Oberbürgermeister gewählt, konnte er dieses Amt wegen des Vetos der Sowjets erst nach der Spaltung antreten. Der selbstbewußt auftretende Politiker war bald auch den Alliierten unbequem, 44 paßte er doch gar nicht in ihre Vorstellung von dem besiegten Deutschen. In seinen Reden und Schriften wird immer wieder der moralische Aspekt seines Handelns deutlich. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit konnten die Deutschen seiner Meinung nach sich nur dann einen Platz in der Völkerfamilie sichern, wenn sie sich auf die unverzichtbaren moralischen Werte als Grundlage jedes politischen Handelns wiederbesinnen. In Berlin, in der Auseinandersetzung mit dem östlichen Totalitarismus konnte das deutsche Volk beweisen, daß es die Freiheit liebt und dafür Opfer zu bringen bereit ist. Nur so konnte das für die deutsche Zukunft notwendige Vertrauen zurückgewonnen werden. In Berlin mußte sich deshalb seiner Meinung nach das Schicksal Deutschlands entscheiden. Noch heute ist es erregend, die aufrüttelnden Reden Reuters zu lesen, die Appelle an die „Völker der Welt", mit denen er den Widerstandswillen der Berliner wachhielt und den Westen daran hinderte, die Stadt aufzugeben. Vor welchem Forum Reuter auch immer sprach, er konnte stets mit einer aufmerksamen Hörerschaft rechnen. Auf Parteiversammlungen brillierte er durch scharfsinnige Analysen und weitsichtige Prognosen. Vor Stadtpolitikern erwies er sich als profunder Sachkenner der kommunalpolitischen Probleme und auf Massenversammlungen zog er die Menschen durch kämpferisches Pathos in seinen Bann. Seine überragende Persönlichkeit hatte nicht nur einige Berliner Kollegen verunsichert, auch die Genossen in der SPD-Parteizentrale verfolgten besonders seine außenpolitischen Aktivitäten mit mißtrauischer Zurückhaltung. In London, Paris und Washington jedoch war er den Außenministern der Westmächte als entschiedener Gegner der stalinistischen Berlin- und Deutschlandpolitik ein stets willkommener Gesprächspartner. Neben dem Kampf um die Freiheit, um die Einbeziehung Berlins in die westdeutsche Währungsreform, gegen die sowjetische Blockade und die Spaltung der Stadt gibt dieser Band Aufschlüsse über Reuters Rolle bei der Erarbeitung des Grundgesetzes. Er strebte die Einbeziehung Berlins als 12. Land in die entstehende Bundesrepublik an, um die Stadt fest im Westen zu verankern. Die Aufhebung der Blockade im Mai 1949 war ein Triumph Reuters, der „Höhepunkt seines Lebens", zugleich aber auch „sein tragischer Wendepunkt". Desillusionierung und Enttäuschung kennzeichnen den Zeitraum vom Juni 1949 bis zu seinem Tode im September 1953, den der IV. Band behandelt. Reuter hatte geglaubt, daß die Aufhebung der Blockade nur der erste Schritt zur Wiedervereinigung Berlins und Deutschlands war. Stattdessen bedeutete sie den Beginn der sich vertiefenden Teilung. Nicht einmal eine von ihm zumindest erwartete Berlin-Regelung mit bindenden Zusagen für den ungehinderten Zugang war erreicht worden. Mit Besorgnis registriert Reuter, daß nach Aufhebung der Blockade das Interesse an Berlin in Westdeutschland abnahm. Aber nur in der engen Verbindung mit dem Bund sah er eine Zukunft für die Stadt. In zähem Ringen verfolgte er deshalb die Verankerung Berlins in das Rechts-, Finanz- und Wirtschaftssystem der Bundesrepublik. Die Dokumente spiegeln auch die Auseinandersetzungen Reuters mit seinen Parteifreunden in Hannover um den neuen Kurs der SPD in der Deutschland- und Europapolitik. Die Politik Adenauers verfolgte er mit Mißtrauen, glaubte er doch, daß diesem die Wiedervereinigung Deutschlands weniger am Herzen lag als der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik und ihre Westintegration. Reuter unterstützte zwar diese Ziele, wollte aber alle wirtschaftlichen und politischen Energien für die Rückgewinnung des Ostens einsetzen. Durch Einheit und Stärke konnte die Anziehungskraft des Westens auf die Bevölkerung gesteigert und Druck auf die Sowjets ausgeübt werden. Energisch wandte er sich gegen den Vorwurf, die Aufnahme der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone sei eine selbstmörderische Humanität. Der Selbstmord beginne dort, erwiderte Reuter, wo die Humanität aufhöre. Nur echte Humanität könne die Grundlage der moralischen und politischen Existenz der Deutschen sein. Wichtiger als das materielle Wohlergehen war ihm die geistige Erneuerung, vor allem die umfassende Erziehung der Jugend. Engagiert schloß er sich der Initiative von Studenten zur Gründung der Freien Universität an. Gern hielt sich Reuter in den Hochschulen auf. In den Ansprachen vor den Studenten wird immer wieder die heimliche Sehnsucht spürbar, fernab vom politischen Geschäft sich ganz der Wissenschaft zu widmen und in der Beschäftigung mit den Klassikern, mit der Kunst sich selbst zu finden. Der Ausbau Berlins zum geistigen und kulturellen Mittelpunkt war ihm deshalb stets ein besonderes Anliegen. Durch die sorgfältige Auswahl der Texte ist es der Edition gelungen, uns eine Vorstellung von dem kämpferisch bewegten Leben Ernst Reuters zu vermitteln. Sie dokumentiert darüber hinaus eine wichtige Periode der Berliner und gesamtdeutschen Geschichte. Der Senat hat mit dieser Edition dem Andenken Reuters ein würdiges Denkmal gesetzt. Dem Herausgeber und Bearbeiter Hans J. Reichhardt gebührt für diese hervorragende Leistung Respekt und Dank. Jürgen Wetzet 45 Felix Hirsch: Stresemann. Ein Lebensbild. Göttingen/Frankfurt/Zürich: Musterschmidt 1978. 335 S., 31 Abb., Ln., 48 DM. Als der Vf. in seinem 1964 im gleichen Verlag in der Reihe „Persönlichkeit und Geschichte" erschienenen Lebensabriß (Gustav Stresemann, Patriot und Europäer) ankündigte, daß er an einer großen Biographie Str.s arbeite, durfte man mit Recht gespannt sein. Denn er besaß schließlich noch aus den zwanziger Jahren als politischer Redakteur verschiedener Str. nahestehender Blätter eine intime Kenntnis der damals agierenden politischen Persönlichkeiten, die auch das gründlichste Aktenstudium des lebenden Historikers nicht wettmachen kann. Außerdem hatte Hirsch sich seit dem zweiten Weltkrieg wiederholt in Zeitungsartikeln und Aufsätzen über Str. geäußert und als Emigrant früh Einblick in die mit den Aktenbeständen des Auswärtigen Amtes nach den USA verlagerten StresemannNachlaßpapiere erhalten. Dies, seine Ausbildung als Historiker und seine im gehobenen Journalismus ausgereifte stilistische Fertigkeit ließen ein Werk erwarten, das - als es für das Jubiläumsjahr 1978 angekündigt wurde - bei nicht wenigen die Hoffnung nach einem vorläufigen Abschluß der nun seit Jahrzehnten andauernden und kontroversen Str.-Forschung weckte. Leider sind diese Erwartungen enttäuscht worden. Dies heißt nun keineswegs, daß es sich um ein schlechtes Buch handelt. Hirschs Stärke liegt in der Schilderung des persönlichen Bereichs. Elternhaus, Berliner Milieu, Schul- und Studentenjahre und früher Werdegang werden sehr eindringlich von einem Kenner der Szene geschildert. Außerdem hat der Vf. Str. persönlich gekannt, mit anderen, die Str. nahestanden, gesprochen und damit manche Quelle zum Fließen gebracht, für die spätere Historiker, für die sie verstummt ist, dankbar sein werden. Auch die Umstände von Str.s Krankheit, die ihn schon mit einundfünfzig Jahren ins Grab brachte, sind bisher nie so ausführlich in einer Biographie beschrieben worden. Was das Persönlich-Private anlangt, so haben wir ein ausgezeichnetes Werk vor uns, an dem künftig niemand wird vorbeigehen können. Kritik muß allerdings gegen die historisch-politische Einordnung Str.s als Vorläufer einer europäischen Integrationspolitik vorgebracht werden, selbst wenn der Vf. deutlich macht, daß es sich hier angesichts der nach 1918 im Vergleich zu heute ganz unterschiedlichen politischen Mentalität erst um Ansätze, wörtlich genommen höchstens um die von Str. selbst zitierte „europäische Briefmarke" handelte, gegen die er nichts einwenden wollte. Demgegenüber ist festzuhalten, daß Str. im großen und ganzen doch den traditionellen Machtpolitiker in der Tradition Bismarcks verkörperte, der mit seiner Verständigungspolitik letztlich eine Revision der Fesseln von Versailles anstrebte, und dies nicht nur hinsichtlich der Räumung des Rheinlands und der Reparationsfrage, sondern auch in Bezug auf militärische Gleichberechtigung und Veränderung der Ostgrenzen zuungunsten Polens (wenn in diesem Zusammenhang auch festzuhalten bleibt, daß Polen gleichfalls utopischen Grenzen und Großmachtträumen der Frühen Neuzeit nachjagte). Ebenso muß bezweifelt werden, ob Str. - hätte er länger gelebt und wäre er bei guter Gesundheit geblieben - dazu in der Lage gewesen wäre, die „Machtergreifung" Hitlers zu verhindern. Dem Vf. entgeht die innere Morschheit der Weimarer Republik, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise fast zwangsläufig zum Verhängnis führen mußte, ebenso wie die zutiefst unrepublikanische Gesinnung weiter Teile des Volkes. Dabei schildert er eines der vielen Symptome für den inneren Verfall des Staatswesens recht anschaulich, wenn er die ständigen, nervenaufreibenden Differenzen beschreibt, die zwischen Str. und seiner eigenen Partei bestanden. Insgesamt sind also Weimarer Republik wie ihr bedeutendster Staatsmann wesentlich kritischer zu sehen, als es das - ansonsten gut gemeinte - Buch dem Leser vorspiegelt. Qualität und Mängel halten sich also in etwa die Waage. Auf die große Str.-Biographie - die ein wichtiges Desiderat bleibt - werden wir wohl noch lange warten müssen. Hirschs Versuch wird indessen als liebevoll ausgeführtes und lebendiges Portrait seinen Wert behalten. Michael Erbe Gisela Zick: Berliner Porzellan der Manufaktur von Wilhelm Caspar Wegely 1751 — 1757. Berlin: Gebr. Mann 1978. X, 322 S. m. 321 Abb. u. 12 Farbabb., Leinen, 135 DM. Am 7. Juli 1978 stellte der angesehene Kunstverlag, in Anwesenheit der Autorin, das Buch der Presse und der Fachwelt vor. Diese Buchpremiere fand in den Räumen der KPM in der Wegelystraße am Rande des Tiergartens statt - sicherlich der beziehungsreichste Ort für dieses Thema. Als das Kurfürstentum Sachsen mit der Manufaktur in Meißen bereits Weltberühmtheit erlangt hatte, war man hier in Preußen noch nicht über erste Versuche hinausgekommen. Erst als der Berliner Textilkaufmann Wegely 1751 dem preußischen König Friedrich dem Großen „in aller Untertänigkeit" ver46 sicherte, über die notwendigen Kenntnisse zu verfügen, konnte er vom König ein Privileg erwirken und danach im „Alten Kommandantenhaus", Neue Friedrichstraße 22 — 23, eine „echte Porcellainfabrique" einrichten. Diese erste Porzellanmanufaktur auf Berliner Boden bestand jedoch nur sechs Jahre, bis 1757. Von dieser Zeit wurde vier Jahre produziert. Der Katalog nennt 570 Stücke, die in dieser kurzen Zeit mit dem blauen „W" unter der Glasur entstanden sind und heute einen außerordentlich hohen Seltenheitswert besitzen. Wer - wenn nicht gerade Sammler oder Kunsthistoriker hat schon eine Ahnung von dem figürlichen Reichtum jener ersten Jahre; teils von zauberhafter Anmut, teils skurril und oftmals hart die Grenze des Kitsches streifend, Nippes jener Tage - das sind die Schäferszenen, die Putten, die Pärchen und Tiere. Professor Dr. Gisela Zick, Kunsthistorikerin an der Universität Köln, trug in 15 Jahren die Materialien über das Schicksal dieser Manufaktur und ihrer Künstler zusammen und schuf damit die Voraussetzung zu diesem repräsentativen Text/Bild-Standardwerk über ein bislang wenig bekanntes Kapitel der kunsthistorischen Vergangenheit unserer Stadt. Der gut gedruckte Bildteil des Bandes umfaßt rund 300 Katalognummern und zeigt seltene, bisher kaum veröffentlichte Stücke des Werkes von Wilhelm Caspar Wegely, soweit sich dieses heute noch rekonstruieren läßt. Im Textteil erfährt der Interessierte noch viel über die Porzellanherstellung im friderizianischen Preußen, über Marken und Markierungen und natürlich über die Objekte selbst. Kulturgeschichtliche Dokumente und Kupferstiche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind ergänzende Belege jener Jahre. Die Herstellung dieses Bandes mit einer Erstauflage von 1200 Exemplaren wurde durch die Stiftung Ceramica, Basel; die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, Berlin, gefördert, was sich sicher auf den angemessenen Preis von 135 DM positiv ausgewirkt hat. Diese Publikation dürfte vor allem bei den Sammlern, Kunsthistorikern, Händlern, Bibliotheken und Museen auf lebhaftes Interesse stoßen. Ort und Zeitpunkt mögen recht sein, dem Verlag auf eine weitere, bestimmt ebenfalls reizvolle und dankbare Aufgabe hinzuweisen. Man wünschte sich eine Gesamtdarstellung zur Geschichte und Werk der Porzellanmanufaktur seit der Zeit Wegelys bis in unsere Tage in gleicher Qualität und Ausstattung. Diese Aufgabe wäre in Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern und der KPM durchaus zu lösen. Die Gründe, die diesen Wunsch tragen, sollen kurz im folgenden aufgezeigt werden. Altes Berliner Porzellan erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit. Es gibt jedoch nur wenige, sehr teure und meistens nur Teilgebiete behandelnde Veröffentlichungen. Zu nennen wären die zweibändige Ausgabe von Erich Köllmann „Berliner Porzellan 1763 bis 1963", 1966 bei Klinkhardt u. Biermann in Braunschweig erschienen, die Veröffentlichung von Irene v. Treskow „Die Jugendstil-Porzellane der KPM - Ein Bestandskatalog", 1971 bei Prestel in München erschienen. Das Standardwerk von Georg Lenz „Berliner Porzellan" von 1913 ist selbst für Geld und gute Worte schon seit Jahren nicht mehr zu haben; das gilt auch für den Katalog zur Ausstellung der KPM und der Sammlung Bröhan aus dem Jahre 1969. Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß die Berliner sehr gute Möglichkeiten haben, Porzellan der Wegely-Zeit zu betrachten. Man findet Originale im Märkischen Museum, in der von Dr. Baer betreuten Ausstellung im Belvedere des Schlosses Charlottenburg (leider ein veralteter Katalog) sowie im Berlin-Museum, in der Sammlung Bröhan, im Kunstgewerbemuseum, im SchinkelPavillon und im Köpenicker Schloß. Im Ausland besitzen Stockholm und Leningrad größere Sammlungen von Wegely-Porzellan. Claus P. Mader Iselin Gundermann: Berlin als Kongreßstadt 1878. Berlin: Haude & Spener 1978. 137 S. mit Abb., Pappbd., 16,80 DM. (Berlinische Reminiszenzen, 49.) Die Reichshauptstadt Berlin war im Sommer 1878 ein Ort weltpolitischen Geschehens. Im soeben bezogenen Reichskanzlerpalais, dem bisherigen Palais Radziwill in der Wilhelmstraße 77, tagte vom 13. Juni bis 13. Juli der Berliner Kongreß, der sich aus Vertretern der sieben europäischen Großmächte zusammensetzte mit dem Ziel, die neuerliche Balkankrise beizulegen. Voraufgegangen war der russisch-türkische Krieg von 1877, der nach dem Vorstoß der Russen bis an die Meerengen und dem demonstrativen Aufmarsch der britischen Flotte im Marmarameer die Gefahr eines Weltkrieges heraufbeschworen hatte. Sowohl die Einsicht in die Notwendigkeit, den Frieden zu wahren, als auch das politische Gewicht Bismarcks, der als „ehrlicher Makler" den Kongreß mit geschickter 47 und straffer Hand leitete, sicherten diesem schließlich den Erfolg und eine weitere, 36 Jahre währende Friedensperiode in Europa. Im vergangenen Jahr würdigte das Geheime Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz dieses Ereignis in einer vielbeachteten Ausstellung. Das hier anzuzeigende Buch bietet eine überaus sachkundige und lebendige Darstellung des Kongreßablaufs. Es beschreibt die politisch-militärische Vorgeschichte, die Besonderheiten der Organisation, der Berichterstattung, der technischen Vorkehrungen und der Räumlichkeiten. Die einzelnen Kongreßteilnehmer sind nicht nur in ihrem äußeren Habitus, sondern in farbigen Charakterstudien eingefangen - zugleich ein Stück europäischer Diplomatiegeschichte im 19. Jahrhundert. Obwohl hier mehr eine nüchterne Arbeitstagung als ein großes gesellschaftliches Ereignis vonstatten ging, überrascht die Fülle der Details, die die Autorin ausbreitet und mit denen es ihr gelingt, hinter die Kulissen des offiziellen Ablaufs zu schauen, ohne im Anekdotischen steckenzubleiben. Gerade das Fehlen äußerer Höhepunkte lenkt den Blick z.B. auf die Leistungen im organisatorischen Bereich, für den der Botschafter und Kongreßsekretär v. Radowitz verantwortlich war. Seine glänzenden Erfolge auf diesem Gebiet trugen nicht unerheblich zum raschen Fortgang der Konferenz bei; selbst das vielgerühmte ständige Büffet im Konferenzsaal ist unter seine „Erfolgsgeheimnisse" zu zählen. So entsteht ein facettenreiches Bild von jenem Kongreß, der im Berliner gesellschaftlichen Leben zwar keine Furore machte, der aber der aufstrebenden Weltstadt in vieler Hinsicht zur Ehre gereichte. Ihr Beitrag hatte sogar die nachhaltigste publizistische Wirkung: Der Magistrat gab das - in Generationen von Lesebüchern verbreitete - Bild in Auftrag, das Anton v. Werner von der Abschlußszene des Kongresses malte und das 1881 seinen Platz im Roten Rathaus erhielt. Hintergründe und Begleitumstände zum Entstehen dieses Werkes bilden den Abschluß des materialreichen und sorgfältig gearbeiteten Buches, das zudem durch hervorragende Bildbeigaben ausgezeichnet ist. Peter Letkemann Irmgard Wirth: Von Berlin nach Potsdam. Malerische Ansichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. 15 Faksimile-Offset-Lithographien der schönsten und lohnendsten Berlin-Ansichten von Sandmann, Haun u. Meyer. Hrsg.: Wolfgang Schwarze. Wuppertal: Wolfgang Schwarze Verlag 1977. 12 S. Text u. 15 Klapptafeln, Leinen, 78 DM. Die in diesem Band gezeigten Farblithographien entstanden in der nachbiedermeierlichen Zeit, d.h. wahrscheinlich zwischen 1850 und 1860. Diese Arbeiten von Xaver Sandmann (10 Blätter), August Haun (4 Blätter) und Fritz Meyer (1 Blatt) erschienen seinerzeit in verschiedenen Kunstverlagen, ähneln sich jedoch sehr, trotz erkennbar unterschiedlicher künstlerischer Auffassung und Ausführung. Alle Blätter sind großformatig und wirken gleich Gemälden. Sie weisen deutliche Merkmale der Architekturmalerei und -graphik der Biedermeierzeit auf. Gerade diese Zeit brachte in Berlin eine Reihe bedeutender Künstler hervor. Stellvertretend sei hier nur an Eduard Gärtner, Johann Heinrich Hintze, Friedrich Wilhelm Klose und Ludwig Emil Lütke erinnert. Die drei hier vereinigten Künstler blieben als Persönlichkeiten im Hintergrund und ihre Werke sind wohl kaum noch lückenlos zusammenzubringen. Sandmann, Landschaftsmaler und Lithograph, ist hier u.a. mit dem „Kgl. Schloß und die Bauakademie", dem „Kgl. Zeughaus und das Alte und Neue Museum", „Potsdam und die Mühle von Sanssouci" und dem „Marmorpalais im Neuen Garten" vertreten. Haun war der bekannteste der drei Künstler und übte seine Tätigkeit auch in dieser Stadt aus. Mit Landschafts- und Genrebildern war er fast immer auf den Berliner Akademieausstellungen vertreten. Mit dem „Schloß Charlottenburg" von der Ehrenhof-Seite aus, und dem „Blick auf Potsdam vom Boettcherberge" ist er neben zwei weiteren Bildern hier vertreten. „Das kgl. Schloß und der Schloßplatz" konnte als einziges Werk m dieser Publikation aufgenommen werden, da andere Arbeiten von Fritz Meyer völlig im Dunkeln liegen. Nur wenige Stadtansichten von Berlin sind noch bekannt. Der Wert dieser hier gebotenen Auswahl ist als positiv anzusehen, zeigt sich doch ein recht hübsches und dank der erklärenden Texte auch verständnisvolles - Bild unserer Stadt und ihrer Umgebung zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nun einige Anmerkungen zur technischen Herstellung dieses Bandes. Zunächst sei festgestellt, daß hier der Begriff Faksimile (mit dem Original in Größe und Ausführung genau übereinstimmend) falsch ist, vor allem auch in der Wortschöpfung „Faksimileoffset". Das Papier, die Farbtöne bei den einzel48 rten Abbildungen (Farben sind insgesamt zu schwer) und die buchbinderische Verarbeitung lassen den Begriff „Originalgetreu" nicht zu. Gerade die Tatsache, daß die einzelnen Blätter hier in der Mitte gefalzt - was sehr unschön ist - und dann fest in eine Decke eingebunden sind, belegt diesen Vorwurf, denn: die Originale lagen piano in Mappen. Wenn nun schon aus Formatgründen die Blätter gefalzt werden mußten, so hätte man sich die Merian-Bände des Verlages Hoffmann u. Campe zum Vorbild nehmen können. Dieser Verlag hing die einzelnen Doppelbögen linksseitig auf Fälzel. Zwar entsteht hier auch ein in jedem Falle unschöner Bruch, doch können die Blätter bequem ausgelegt und betrachtet werden. Der Einband entspricht in seiner Stärke nicht dem großformatigen Inhalt, und der Schutzumschlag mit derartig schmalen Klappen wirkt geradezu lachhaft. So positiv dieses Unternehmen vom Inhalt her zu werten ist, so negativ ist eben die technische Konzeption. Negativ um so mehr, als hier im Titel Qualität versprochen wird, die später nicht gewährt werden kann. Leider! Claus P. Mader Reiner Schulze: Die Polizeigesetzgebung zur Wirtschafts- und Arbeitsordnung der Mark Brandenburg in der frühen Neuzeit. Aalen: Scientia Verlag 1978. 199 S., brosch., 48 DM. (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Neue Folge, Band 22.) Reiner Schulze untersucht in seiner gesetzgebungsgeschichtlichen Studie, einer Frankfurter Dissertation aus dem Jahre 1976, Formen und Funktionen der Rechtssetzung der Mark Brandenburg am Beispiel der „Polizeigesetzgebung" zur Wirtschafts- und Sozialordnung. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 16, Jahrhundert bis in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms 1. Der Verfasser betrachtet zunächst die Rechtssetzung zur ständischen Sozialstruktur und die wirtschaftsfördernden Verordnungen um 1600, wobei z.B. die Polizeiordnung für Berlin und Kölln aus den Jahren 1580 und 1604 herangezogen werden, die Abdrängung ständischer Mitsprache und Mitwirkung wird beispielhaft verfolgt und schließlich die Rezeption naturrechtlicher Vorstellungen und die Anfänge des „modernen" Gesetzesbegriffs untersucht. Dabei entgeht Schulze einer oberflächlichen Identifikation von Gesetzesnorm und Rechtswirklichkeit, weist er doch selbst auf die beschränkte Durchsetzungskraft polizeirechtlicher Bestimmungen hin (S. 44, S. 47, S. 69 f., S. 81, S. 111). Schulzes Arbeit ist sicherlich gedankenreich und inhaltlich bemerkenswert. Geschmälert wird die positive Wertung der Arbeit allerdings durch die Tatsache, daß eine Reihe einschlägiger Editionen und Studien, von denen Hinweise auch auf größere Zusammenhänge hätten erwartet werden dürfen, nicht ausgewertet wurden. Dies gilt z.B. für die von Otto Meinardus bearbeiteten „Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates", für die Arbeiten von Kurt Breysig und Friedrich Wolters zur brandenburgischen Finanzgeschichte des 17. Jahrhunderts, sowie von Rudolph Stadelmanns Werk über „Friedrich Wilhelm I. in seiner Thätigkeit für die Landescultur Preussens" (1878). Kein einziger Titel aus dem umfangreichen und für die Analyse des frühmodernen Staates grundlegenden Werk von Gerhard Oestreich wurde verwendet und so eine Möglichkeit vergeben, das Niveau der Betrachtung auf eine höhere Bedeutungsebene zu heben. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß entgegen der Ansicht Schulzes (S. 25) die Frage der Veräußerbarkeit von Adelsland schon vor dem 18. Jahrhundert, nämlich in dem bekannten Revers von 1653 behandelt wurde, und den Begriff der „Leibeigenschaft" für Brandenburg zu verwenden (S. 38), dürfte einen zumindest umstrittenen Punkt berühren. Der von Schulze geleistete Beitrag zu einer auf Gesetzesinhalte abhebenden Rechtsgeschichte bleibt gleichwohl zu begrüßen. Wolfgang Neugebauer Architekturführer DDR - Berlin Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin (Ost): VEB Verlag für Bauwesen 1976. 100 S. m. Abb., brosch., 6 Mark. Die Reihe der Architekturführer - neben Berlin sind inzwischen auch die Bände Leipzig und Halle erschienen - will einen Überblick über architektonisch bedeutsame Objekte des jeweiligen Bezirks geben. Neben kunsthistorischen und denkmalpflegerischen Gesichtspunkten werden auch solche Baulichkeiten aufgenommen, die eine wichtige Rolle im Stadtorganismus haben, dazu gehören Verkehrsund Industriebauten, aber auch Parkanlagen und Erholungszentren. In dem vorliegenden Band Berlin, der wie alle Bände der Reihe die Objekte in eine topographische 49 nicht aber chronologische Ordnung bringt, ist der Teil über das Stadtzentrum selbstverständlich am ausführlichsten gehalten. Zwischen den vielen Nachkriegsbauten sind es vor allem die geretteten Bauten des alten Berlin, die besonderes Interesse finden werden, z.B. die barocken ehemaligen Pfarrwohnhäuser an der Taubenstraße oder die Kolonnaden an der Mohrenstraße als Beispiel für weniger bekannte Baudenkmale. Die Architektur des späten 19. Jhs. ist durch zahlreiche typische Beispiele vertreten, z. B. durch das Borsighaus in der Chausseestraße und zahlreiche Bürohäuser der alten City. Die von der Denkmalpflege wiederhergestellten klassizistischen Bürgerhäuser in der Schumann- und Marienstraße fehlen, ebenso wie „komplex instandgesetzte" gründerzeitliche und wilhelminische Mietshäuser zwischen Pankow und Lichtenberg, der von Messel entworfene Wohnblock Proskauer Straße des Berliner Spar- und Bauvereins und die um 1856 von der ältesten Berliner Wahnungsgenossenschaft, der Berliner Gemeinnützigen Baugesellschaft errichteten Bauten in der heutigen Wilhelm-Pieck-Straße im Bezirk Mitte. Selbstverständlich sind auch die in den Außenbezirken von 1914 und 1918 — 33 angelegten Siedlungen, z.B. die von Peter Behrens konzipierten Industrie- und Wohnbauten in Schöneweide, die Gartenstädte Falkenberg und Elsengrund und viele andere gebührend berücksichtigt. So gibt der Band mit seinen 242 Objekten eine gute Übersicht über die Architektur im Ostteil unserer Stadt, von ihren Anfängen im Mittelalter bis hin zur Gegenwart. Obwohl der Band von der Anlage her als Exkursionsführer gedacht ist, sei doch von der Mitnahme auf einer Begehung gewarnt, da weder die Broschur noch das Papier mit seiner extremen Feuchtigkeitsempfindlichkeit derartige Strapazen aushalten können. Felix Escher Richard Wrede u. Hans Reinfels (Hrsg.): Das geistige Berlin. Eine Encyclopädie des geistigen Lebens Berlins. Neudruck der Bde. 1 u. 3 (Berlin 1897/98) Leipzig: Zentralantiquariat 608 u. 232 S. Ln., 150 Mark. Zu den vorzüglichsten Hilfsmitteln jeder wissenschaftshistorischen Arbeit gehören biographische Nachschlagewerke. Gerade im 19. Jh., einer Zeit, da Berlin zum geistigen und wirtschaftlichen Mittelpunkt Deutschlands wurde, erschienen eine Reihe, heute nur noch in großen Bibliotheken vorhandener Übersichten zu Persönlichkeiten des gelehrten und künstlerischen Berlin. Nachdem bereits die Biographien von Schmidt und Mehring, Hitzig und Koner durch das Zentralantiquariat Leipzig nachgedruckt worden sind, unternahm es der gleiche Verlag, auch die sehr selten gewordene „Encyclopädie des geistigen Lebens Berlin" von Wrede in einem unveränderten Nachdruck vorzulegen. Während der erste Band Künstlerbiographien enthält — zu den Schriftstellern werden hier auch die heute als „Sachbuchautoren" bezeichneten Autoren gerechnet —, liegt das Scnwergewicht des dritten Bandes im naturwissenschaftlichen Bereich. Nicht nur dem an einer speziellen Biographie interessierten Fachmann, sondern auch jedem am „geistigen Leben" Berlins vor der Jahrhundertwende Interessierten seien die beiden Bände als Lektüre nachdrücklich empfohlen. Felix Escher Wolfgang Ribbe/Johannes Schnitze: Das Landbuch des Klosters Zinna. Editio prineeps. Berlin: Colloquium 1976. 216 S., 3 Kartenskizzen, brosch., 54 DM. (Zisterzienser-Studien II.) Landbücher oder Urbare, aus denen sich die Einkünfte und Gerechtsame geistlicher oder weltlicher Herrschaften ergeben, sind im brandenburgischen Raum verhältnismäßig selten. Um so begrüßenswerter ist die Publikation des vorliegenden Landbuches des Klosters Zinna, das in sechs Handschriften überliefert ist. Einleitend werden die texteditorischen Probleme vorgeführt, gefolgt von einer Erläuterung der damaligen Maß- und Münzverhältnisse. Hieran schließt sich die mustergültige Edition, ausführliche Register helfen bei der Benutzung. Über das Schema des Landbuches von 1375 hinausgehend, werden nicht nur Hufenzahl, Besitzverhältnisse und Abgaben mitgeteilt, sondern Bauern und Kossäten auch namentlich erfaßt. Das Kloster hatte seinen Besitz in zwei Gebieten zusammengefaßt: 28 Klosterdörfer lagen im Land Jüterbog, 11 im Barnim. Daneben verfügte es natürlich auch noch über Streubesitz. Ein besonderer Abschnitt enthält die Einkünfte und Leistungen aus den Klosterämtern für 1480 und 1566/68. Für die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschung bietet diese Veröffentlichung eine Fülle von Details, aber auch die Familienforschung wird Nutzen daraus ziehen können. Werner Vogel 50 Berliner Kulturstätten. Hrsg. von Alfred Doil. Leipzig: VEB F.A. Brockhaus 1978. 256 S. mit Abb., Leinen, 24 Mark. Dieses Buch beschreibt in übersichtlich angeordneten und gut bebilderten Kurzartikeln insgesamt 71 Ost-Berliner Pflegestätten von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre, Bildung und Unterhaltung. Hervorgegangen aus einer Artikelfolge im „Neuen Deutschland" wurde der Rahmen sehr weit gesteckt und reicht von den großen weltbekannten Museen bis zu den „proletarischen" Gedenkstätten, von der Staatsoper Unter den Linden bis zu den Lichtspielbühnen unter dem „Pionierpalast". Als Autoren zeichnen durchweg die Leiter der jeweiligen Institutionen verantwortlich, so daß Informationen aus erster Hand vorliegen. Den nachhaltigsten Eindruck vermitteln naturgemäß die „klassischen" Kulturstätten, die großen Museen, Kunstsammlungen, Theater und Bibliotheken, die auf eine ehrwürdige Tradition zurückblicken können und vom Ruhm früherer Epochen zehren, als sie Berlins kulturelle Weltgeltung mitbegründeten. Imponierend sind nach wie vor die Bestände auf der Museumsinsel, von denen einzelne Abteilungen wie die Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum oder das Münzkabinett mit ungewöhnlichem Reichtum aufwarten können. Die mehr als 25 Mio. naturwissenschaftlicher Objekte des Museums für Naturkunde sind ebenso einmalig wie die Komponistenautographen in der Musikabteilung der Dt. Staatsbibliothek. Genießen diese Schätze noch eine annähernd wertneutrale Betrachtung, so tendiert z.B. das Märkische Museum bereits zu einem „Zentrum sozialistischer Kulturarbeit", die dann im Museum für deutsche Geschichte im ehemaligen Zeughaus sich selber und weniger der deutschen Geschichte Denkmäler setzt. Die Lehr- und Forschungsstätten schließlich - Hochschulen, Akademien, Bildungszentren - unterliegen der strengen parteilichen Ausrichtung, eingeengt auf das sozialistische Welt- und Menschenbild, was immer man darunter auch verstehen mag. Selbst altrenommierte Bühnen- und Bildungseinrichtungen erhalten in der kurzen historischen Rückschau nur eine Würdigung, sofern in ihnen Momente des „Kampfes der Arbeiterklasse" sichtbar werden. Die ideologische Abgrenzung läßt denn auch den Kulturaustausch nur in östlicher Richtung zu. Die westliche Seite wird nur dann erwähnt, wenn es um die im 2. Weltkrieg diesseits des Eisernen Vorhangs ausgelagerten und demnach „widerrechtlich vorenthaltenen" Kunstschätze der früheren Staatlichen Museen geht - als ob die Bundesbürger und West-Berliner keinen Anspruch auf das preußische Kunsterbe hätten. Daß auch diese Kunst dem Volke dient, beweisen die weit über 2 Mio. Besucher des Jahres 1978 in den z.T. nach modernsten Gesichtspunkten errichteten Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Peter Letkemann Gustav Stresemann 1878 — 1978. Berlin: Berlin Verlag (in Zusammenarbeit mit Inter Nationes, Bonn) 1978. 152 S., 23 Abb., brosch., 18,80 DM. Das Gedenkbüchlein stellt eine recht heterogene Sammlung von Einzelbeiträgen von und über Str. dar. Die Geleitworte von Wolfgang Stresemann und der gegenwärtigen Staatsministerin im Auswärtigen Amt Hildegard Hamm-Brücher sind davon weniger wertvoll als das „Biographische Portrait" von Felix Hirsch, eine Kurzfassung seines Lebensabrisses über Str. von 1964 in der Reihe „Persönlichkeit und Geschichte". Es folgen einige Texte aus Str.s Feder über literarhistorische, wirtschaftliche und politische Fragen, außerdem einige Betrachtungen über ihn, u.a. von Ernst Reuter, Theodor Eschenburg und Carl von Ossietzky. Diese Stücke stammen sämtlich aus der bereits im Jg. 74 (1978) dieser Mitteilungen auf S. 494 angezeigten Sammlung von Stresemann-Schriften von Arnold Harttung. Auf dieses Buch wird auch bei den Kurzbiographien S. 146-152 zurückgegriffen. Zusammen mit den gut ausgewählten Illustrationen und der Auswahlbibliographie bietet die vorliegende Sammlung eine zwar nicht sehr originelle, aber doch brauchbare erste Einführung in das „Problem Stresemann". Michael Erbe Der Berliner zweifelt immer. Seine Stadt in Feuilletons von damals. Vorgestellt von Heinz Knobloch. Berlin (Ost): Verlag Der Morgen 1977. 520 S„ Ln„ 14,80 M. Die hier vorliegende Anthologie ist gut! Sie hat Feuilletons zum Inhalt, die uns unser Berlin und seine Bewohner mit ihren kleinen, oftmals aber auch großen Sorgen und auch Freuden näher bringen wollen. Neben vielen Unbekannten ist alles, was literarischen Rang und Namen hatte - und noch hat hier vertreten, angefangen von Glassbrenner über Robert Springer, H. Seidel, J. Rodenberg, Fontane, P. Lindenberg bis hin zu A. Kerr, Tucholsky, Kisch, Brecht, Döblin, Zuckmayer, H. Mann, Mehring 51 und Polgar, um nur einige zu nennen. Den einzelnen Beiträgen ist jeweils - soweit bekannt - die Vita des Autors vorangestellt. Eine Einleitung, die auf Zeit- und Lebensbedingungen eingeht und in einigen Passagen zum Widerspruch anregt, sowie ein ausführliches Personen-, Straßen- und Literaturregister ergänzen diesen hübschen Band. Übrigens: Der Titel des Buches ist ein Zitat und stammt aus einem Brief Fontanes an Paul Heyse. Claus P. Mader Hans-Werner Kliinner: Spandau und Siemensstadt - so wie sie waren. Düsseldorf: Droste 1978. 104 S. m. Abb., Ln., 34 DM. Nach dem vorzüglichen Potsdam-Band, der vor zwei Jahren hier angezeigt werden konnte (vgl. die „Mitteilungen", 73. Jg., 1977, S. 260 f.), ist von Hans-Werner Klünner der Teil Berlins, der sich bis heute noch am stärksten seine Eigenart bewahrt hat, in der gleichen Buchreihe behandelt worden. Ebenso wie den Vorgängerband zeichnet auch diese Arbeit sowohl gründliche Kenntnis des zu behandelnden Gebietes als auch hohe Sorgfalt bei der Auswahl des Bildmaterials aus. So wird die besondere Atmosphäre der durch Festung, militärische Fabriken und Garnison weitgehend bestimmten Stadt Spandau durch Photos, auch ihrer ehemaligen Bewohner, vom Oberbürgermeister bis hin zu Mitgliedern der diversen Vereine und Schulen deutlich gemacht. Ihre Art zu leben und Feste zu feiern kann nicht besser als mit der auf Seite 51 abgedruckten Einladung zum Erntefest „Waldschlößchen Haakenfelde" gezeigt werden. Doch ist dies nur ein Teil des hier vom Verfasser gegebenen Bildes von Alt-Spandau. Eine Vielzahl von bisher unbekannt gebliebenen Aufnahmen - es sind vor allem Luftphotos aus der Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zu nennen geben eine gute Übersicht über die bauliche Entwicklung und Struktur der Festungsstadt, ihrer Umgebung, ihrer Fabriken und Verkehrsmittel. Die vielen Informationen zu einzelnen Bauten stellen in ihrer Gesamtheit auch eine zuverlässige Baugeschichte des Bezirks dar; dies ist um so wichtiger, als der Band „Stadt und Bezirk Spandau" aus der Reihe der „Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin" dieser Aufgabe in keiner Weise gerecht geworden ist. unter den ab 1920 zu Spandau geschlagenen Stadtteilen nimmt die Siemensstadt als wichtiges Produktionszentrum der Elektroindustrie und als Wohnstadt eine besondere Stellung ein. Auch hier gelingt es, die Entwicklung des Stadtteils und der Siemensbetriebe mit ihren im Stadtbild erkennbaren Produkten in Wort und Bild nachzuzeichnen. Da Spandau einer jener Stadtbezirke von Berlin ist, der, obwohl von Kriegszerstörungen bis auf einige Kernbereiche wenig betroffen, dennoch nahezu täglich Teile seiner historischen Substanz verliert, kommt dieser Zusammenstellung des „Gewesenen" gerade heute eine besondere Aktualität zu. Felix Escher Bernhard Friebel. Unterwegs in Berlin. Zeichnungen und Aquarelle. Berlin: Rembrandt 1978. 88 S. Text m. 41 Abb.,Ln„ 16,80 DM. Der verlegerische Mut ist zu bewundern und zu begrüßen, mit dem Bernhard Friebels Zeichnungen und Aquarelle zu einem gefälligen Band zusammengefaßt worden sind. Auf 88 Seiten werden 41 Abbildungen geboten, darunter zwölf mehrfarbige, zu denen der Verleger Klaus J. Lemmer die knapp beschreibenden Texte beisteuert. Herrscht noch - nicht nur des Materials wegen - bei den Zeichnungen der nüchterne und etwas trockene Strich vor, so geben die Aquarelle einen Hauch farbiger Romantik. Daß der Künstler an einer Berlin-Mappe arbeitet, deren Blätter vorwiegend die Überreste der alten oder bereits wieder aufgebaute Teile der neuen Stadt zeigten, beweist, daß die Zahl der traditionsreichen „Architekturmaler" in Berlin auch einen erfreulich großen Kreis von Einzelgängern umfaßt. H. G. Schultze-Berndt 52 Eingegangene Bücher (Besprechungen vorbehalten) Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Beiträge der Wissenschaft. Stuttgart: DVA 1976. 714 S., Ln., 48 DM. Altmann, Walter: Ohne das Lachen zu verlernen. Roman. Berlin: Fr. Nolte Vlg. 1977. 242 S. m. Abb., Ln.,27DM. Bergaust, Erik: Wernher von Braun. Ein unglaubliches Leben. Düsseldorf: Econ 1976. 640 S. u. 16 S. Abb., Ln., 38 DM. Brandenburg, Dietrich: Berlins alte Krankenhäuser. Berlin: Haude u. Spener 1974. 107 S. m. Abb., brosch. 14,80 DM. (Berlinische Reminiszenzen, 39.) Braune, Rudolf: Das Mädchen an der Orga Privat. München: Damnitz 1975. 160 S., brosch., 6,80 DM. (Reihe: Kleine Arbeiterbibliothek) Das Vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung. Dokumente 1971 —1977. Berlin (Ost): Staatsverlag der DDR 1977. 336. S., Pappbd., 9,20 M. Dada Berlin. Texte, Manifeste, Aktionen. In Zusammenarbeit m. Hanne Bergius, hrsg. v. Karl Riha. Stuttgart: Reclam 1977. 184 S., brosch., 3,20 DM. (RUB9857) Edel, Peter: Die Bilder des Zeugen Schattmann. Frankfurt/M.: Röderberg 1973. 560 S., Ln., 11,80 DM. Eisenkolb, Gerhard: Die vierzehn Stunden des Peter David. München/Wien: Molden 1973. 447 S., Ln.,26DM. Erläuterungen und Dokumente zu Carl Zuckermayer: Der Hauptmann vonKöpenick.Hrsg.v.Hartmuz Scheible. Stuttgart: Reclam 1977. 180S., brosch., 3,20 DM (RUB 8138) Fagyas, Maria: Die Zwillingsschwestern. Roman einer preußischen Affäre. (A. d. Amerikan. v. Irene Ohlendorf) Reinbek: Rowohlt 1977. 359 S„ Ln., 29,80 DM. Fassbinder, Horant: Berliner Arbeiterviertel. Berlin: VSA-Vlg. 1977. 202 S. m. Abb., 16,80 DM. Fontane, Theodor: Werke, Teil I Bd. 6. Balladen, Lieder, Sprüche, Frühe Gedichte, Fragmente. Hrsg. v. Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. München: Hanser 1978. 1298 S., Ln., 92 DM. Friedenthal, Richard: . . . und unversehens ist es Abend. Von und über R. F. Essays, Gedichte, Fragmente, Würdigung, Autobiographisches. Hrsg. v. Klaus Piper. München: Piper o.J. 304 S., Ln., 28 DM. Fürst, Max: Scheherezade. München: Hanser 1976. 448 S., Ln. Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnis und Konfessionspolitik der brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union 1540-1815. Bielefeld: Luther 1977. 260 S., brosch., 40 DM. (Reihe: Unio und Confessio, Bd. 6) Goeser, Johannes P.: Die Geschwister Michelsohn aus der Flamingostraße. Bremen: Jacobi 1975. 484 S., Ln., 28 DM. Hegemann, Werner: 1930 - Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der Weit. Braunschweig: Vieweg u. Sohn 1976 (2. unveränd. Aufl.). 344 S. m. 85 Abb. u. 22 Karten, brosch., 26 DM. (Bauwelt - Fundamente, Bd. 3) lngwersen, Erhard: lmma uff Draht. Köpfe und Käuze an der Spree. Berlin: arani 1977. 144 S. m. 32 Abb., lam. Pappbd., 16,80DM. Klabund: Die Hafenjule. Gedichte, Lieder und Chansons. Reinbek: Rowohlt 1976. 100 S., Ln., 9,80 DM. Kleine Bettlektüre für kesse Berliner. Ausgew. v. Katharina Steiner. Bern/München: Scherz 1974. 160S.,Ln.,9,80DM. Kretzer, Max: Meister Timpe. Sozialer Roman. Nachw. v. Götz Müller. Stuttgart: Reclam 1976. 309 S., brosch., 6,40 DM. (RUB 9829) Lavater-Sloman, Mary: Der vergessene Prinz. August Wilhelm, Prinz von Preußen, Bruder Friedrichs des Großen. München: Artemis 1973. 416 S., Ln.. 28,60 DM. Moosdorf, Johanna: Die Freundinnen. Roman. München. Nymphenburger 1977, 297 S., Ln., 26 DM. Mühr, Alfred: Deutschland, deine Söhne. München: Langen-Müller/Herbig 1977. 376 S„ Ln., 28 DM. Mutter Krausens Fahrt ins Glück. Reihe Dialog, hrsg. v. Rudolph Freund u. Michael Hanisch. Berlin (Ost): Henschel 1976. 192 S., m. Abb., brosch., 6 M. 53 Nabokov, Vladimir: Die Mutprobe. (Deutsch v. Susanne Rademacher). Reinbek: Rowohlt 1977. 256S..I n .26 DM. ders.: Maschenka. Roman. (A. d. Amerikan. v. Klaus Birkenhauer). Reinbek: Rowohlt 1976. 160 S., Ln., 16,80 DM. Noack, Barbara: Das kommt davon, wenn man verreist. Roman. München: Langen-Müller/Herbig 1977.288S.,Ln.,22DM. Palmer, Alan: Bismarck. Eine Biographie. (A. d. Engl. v. Ada Landfermann u. Cornelia Wild) Düsseldorf: Ciaassen 1976.456 S. m. 19 Abb., Ln. 38 DM. Rathcnau. Walther. Band II: Hauptwerke und Gespräche. Hrsg. v. Dieter Hellige u. Ernst Schulin. Heidelberg: Lambert Schneider 1977. 980 S., Ln.. 138 DM. Rehn, Jens: Morgen Rot - Die Kehrseite des Affen. Roman. Stuttgart: DVA 1976. 168 S., Ln., 19,80 DM. Schünemann, Peter: Gottfried Benn. München: C. H. Beck 1977. 157 S., brosch., 8 DM. (Autorenbücher, Bd. 6) Soschka. Cyrill: Wer dann die Sonne noch sieht. Jahre einer Jugend - Fast ein Roman. München: Thiemig 1974. 304 S., Ln., 28 DM. Taack, Merete v.: Königin Luise. Eine Biographie. Tübingen: Wunderlich 1977. 496 S. m. 19 Abb., Ahnentafel u. Karte, Ln., 34 DM. Turnier, Franz: Pia Faller. München: Piper 1973. 183 S., Ln., 20 DM. Vocke, Dr. Roland: Friedrich der Große - Person, Zeit, Nachwelt. (Reihe: Geschichte in Lebensbildern) Hrsg. v. Dr. Heinrich Pleticha. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon-Verlag 1977. 400 S. m. 40 Abb., Ln., 36 DM. Wawrzyn, L./Kramer. D.: Wohnen darf nicht länger Ware sein. Neuwied: Luchterhand 1974. 236 S. m. Abb., brosch., 10,80 DM. (Slg. L., Bd. 164) Westheim, Paul: Heil Kadlatz! München: Rogner u. Bernhard 1977. 252 S., Ln., 24,80DM. Von den früheren Ausgaben des Jahrbuchs DER BÄR VON BERLIN sind noch folgende Bände erhältlich: 1953, 1957/58 und 1960 je 4,80 D M ; 1 9 6 1 , 1 9 6 2 , 1963 und 1964 je 5,80 D M ; 1965 (Festschrift) 38 D M ; 1 9 6 6 , 1 9 6 7 , 1 9 6 8 und 1969 j e 9 , 8 0 D M ; 1971 und 1972 je 11,80 D M ; 1 9 7 3 , 1 9 7 4 und 1975 j e 12,80 D M ; 1976 und 1977 je 18,50 D M ; 1978 = 22,80 D M . Bestellungen nur an die Geschäftsstelle des Vereins. Im I.Vierteljahr 1979 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Henryk Bajor, Dipl.-lng. Argentinische Allee 5, 1000 Berlin 37 Tel. 8 02 82 99 (Katzur) Klaus Benecke, Industriekaufmann Hartmannsweilerweg 52, 1000 Berlin 37 Tel. 8 13 33 23 (Benecke) Sophie-Charlotte Berggreen Wiesbadener Straße 73 a, 1000 Berlin 33 Tel. 8 2143 68 (Anneliese Schaper) 54 Horst Bode, Fleischermeister Wielandstraße 5 A, 1000 Berlin 12 Tel. 3 12 92 35 (J. Methlow) Thomas Cordel, Student cand. med. Rudolf- Virchow-Straße 9,4530 Ibbenbüren Tel. (0 54 51)25 93 (Bartels) Waltraut Fischer, Bibliothekssachbearb. i. R. Buggestraße 10a, 1000 Berlin 41 Tel. 8 24 18 20 (Schriftführer) Erika Haberland, Buchhändlerin Forstweg 26,1000 Berlin 28 Tel. 4 Ol 53 90 (E. Alberts) Brigitte Hellmuth, Innenarchitektin Devrientweg 35, 1000 Berlin 45 Tel. 7 7163 89 (Brauer) Christel Holtz, Pensionärin Eisenzahnstraße 61,1000 Berlin 31 Tel. 8 92 93 93 (Schriftführer) Klaus von Krosigk, Dipl.-Ing. Fontanestraße 21, 1000 Berlin 33 (Schriftführer) Fritz Kuschke, Lehrer Calvinstraße 13 a, 1000 Berlin 21 Tel. 3 91 48 54 (Schriftführer) Hubert Malouschek, Student Peschkestraße 8, 1000 Berlin 41 Tel. 8 51 65 29 (Alice Hamecher) Arthur Manke, Architekt BDB Jänickestraße 43, 1000 Berlin 37 Tel. 8 17 34 69 (Irmgard Zeye) Hans Mielke, Sozialarbeiter Stallschreiberstraße 45,1000 Berlin61 Tel. 6 14 58 86 (Edith Mielke) Edith Mielke, Beschäftigungstherapeutin Stallschreiberstraße 45,1000 Berlin 61 Tel. 6 14 58 86 (Schriftführer) Hildegard Neumann, Rentnerin Blankeneser Weg 1A, 1000 Berlin 20 (Schriftführer) Christel Nickling, Hausfrau Zwickauer Damm 27,1000 Berlin 47 Tel. 6 61 49 50 (Schriftführer) Elke Reimann, med.-techn. Assistentin Barbarossastraße 41, 1000 Berlin 30 Tel. 2 11 11 76 (Alice Hamecher) Liselotte Scholz, Rentnerin Am Schweizerhof 5 A, 1000 Berlin 37 Tel. 8 1133 47 (Schlenk) Gudrun Striebeck, Lehrerin Halker Zeile 101,1000 Berlin 49 Tel. 7 42 21 54 (Schriftführer) Walther Wiese, Rentner Heiligenseestraße 9,1000 Berlin 27 Tel. 4 3164 98 (Brauer) Dieter Woskowiak, Justizbeamter Wielandstraße 24,1000 Berlin 41 Tel. 8 52 25 80 (Schriftführer) Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu senden. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten. * Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. Tagesordnung der ordentlichen Mitgliederversammlung 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts Berichte der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer Aussprache Entlastung des Vorstandes Wahl des Vorstandes Wahl von je zwei Kassenprüfern und Bibliotheksprüfern Festsetzung des Mitgliedsbeitrags Verschiedenes Anträge aus den Kreisen der Mitglieder sind bis spätestens 14. April 1979 der Geschäftsstelle einzureichen. Um sehr pünktliches Erscheinen wird gebeten. 55 Veranstaltungen im II. Quartal 1979 1. Dienstag, den 24. April 1979, 19.30 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung. Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg. Die ausführliche Tagesordnung ist auf Seite 55 abgedruckt. 2. Freitag, den 4. Mai 1979, 16 Uhr: Besichtigung der Ausstellung „Berlin und die Antike" in der Orangerie des Schlusses Charlottenburg. Führung: Herr Dr. Wolfram Hocpfner. 3. Dienstag, den 15. Mai 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Dr. Friedrich Weichert „Die Anfange der sozialen Fürsorge in Berlin". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. 4. Sonnabend, den 26. Mai 1979, 10 Uhr: Führung durch den Humboldthain unter der Leitung von Herrn Gerhard Croon. Treffpunkt: S-Bahnhof Humboldthain. Fahrverbindungen: Busse 61 und 64, U-Bahn bis Gesundbrunnen. 5. Donnerstag, den 7. .luni 1979. 16 Uhr: Führung durch den Park und das Schloß Bellevue unter der Leitung von Herrn Günter Wollschlaeger. Treffpunkt: Am Hauptportal. Fahrverbindungen: Busse 16 und 24, U-Bahn bis Hansaplatz. S-Bahn bis Bahnhof Bellevue. 6. Sonntag, den 10. Juni 1979. 10 Uhr: Gemeinsame Wanderung mit den Mitgliedern des Bundes für Naturschutz durch den Tegeler Forst entlang der für den Autobahnbau vorgesehenen Trasse. Treffpunkt: Gaststätte „Alter Fritz", Karolinenstraße. Fahrverbindungen: Busse 13, 14, 15 und 20. 7. Mittwoch, den 27. Juni 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Horst Behrend „Eosander von Goethe". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. Zu den Vortragen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Freitag, den 27. April, den 25. Mai und 29. Juni 1979. ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der Vercinsbibliothek im Rathaus Charlottcnburg. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch. Landesarchiv. 1000 Berlin 30. Kalckreuthstraße 1—2 (Ecke Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Sehultze-Berndt. 1000 Berlin 65. Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepkc. 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89. Ruf 6 93 67 91. Postseheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank, 1000 Berlin 19. Kaiserdamm 95. Bibliothek: 1000 Berlin 10. Otto-Suhr-Allcc 96 (Rathaus). Telefon 34 10 01. App. 2 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader. 1000 Berlin 41. Bismarckstraßc 12; Felix Escher, Wolfgang Neugcbauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 56 Fachabt. der Berliner Stadtbibliothek A 1015 F X MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 75. Jahrgang Werner Siemens 1879 Heft 3 Juli 1979 Erste elektrische Eisenbahn Berliner Gewerbeausstellung TWl 38604 Erste elektrische Eisenbahn der Welt auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879. I 57 / JBerlin - Ursprung des elektrischen Bahnbetriebes Von Kurt Pierson Im vergangenen Vierteljahr hat es zwei Tage gegeben, die wert waren, ihrer zu gedenken: die Wiederkehr des 175. Geburtstages von August Borsig und der Tag, an dem vor hundert Jahren Werner Siemens der Öffentlichkeit die erste elektrische Lokomotive der Welt präsentierte. Beide Männer haben in der modernen Verkehrsgeschichte weltweite Akzente gesetzt; die elektrische Lokomotive freilich hatte schließlich die Dampflokomotive in unserer Zeit überflügelt und beherrscht heute das Bild des Schienenverkehrs. Man schreibt das Jahr 1879. Im neuen Landesausstellungspark am Lehrter Bahnhof ist die Berliner Gewerbeausstellung eröffnet. Das breite Spektrum des Maschinenbaues zeigt die neuesten Erzeugnisse. Für das große Publikum gab es eine besondere Attraktion: eine Ausstellungsbahn, die ohne Qualm und Dampf ihre Runden auf dem Gelände dreht. Am 9. Juni hält Werner Siemens von der Firma Siemens & Halske im „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes" seinen Aufsehen erregenden Vortrag über diese Bahn, in dem er u. a. ausführte: „Die erste Veranlassung zu dieser Eisenbahn gab eine Anfrage des Baumeisters Westphal aus Cottbus über die Möglichkeit, die Kraft der verbrannten Kohle nach Berlin zu transportieren. Der Betreffende hatte nämlich eine Bemerkung meines Bruders Wilhelm in London über die Möglichkeit des Transportes von Kraft des Niagarafalles gelesen und wollte dies hier in die Praxis übertragen. Ging dies auch nicht an, so sind wir doch der Sache näher getreten, um zu sehen, wie weit sich die elektrische Krafttransmission zum Transportieren auf Schienenbahnen benutzen lasse. Der Versuch, den wir hier machten, ist recht gut ausgefallen. Die Einrichtung, wie sie Ihnen in der Ausstellung entgegentritt, ist folgende: Es ist eine kleine, schmalspurige Bahn, bei der die Schienen in einer Ellipse angelegt sind. In der Mitte des Gleises befindet sich eine dritte Schiene, ein aufrecht stehendes Flacheisen. Die Lokomotive bestreicht diese vermittels zweier Rollen. Eine dynamo-elektrische Maschine steht in der Maschinenhalle und eine gleiche bildet die Lokomotive. Die Maschine in der Kraftwerkshalle wird durch eine Dampfmaschine gedreht. Einer ihrer Pole steht in Verbindung mit der inneren Stromschiene, während der andere Pol mit den äußeren Schienen verbunden ist. Infolgedessen entsteht eine elektrische Differenz zwischen der mittleren und den äußeren Schienen und die dynamo-elektrische Maschine der Lokomotive, die jetzt als elektro-magnetisch arbeitende Maschine auftritt, leitet durch ihre Umwicklungsdrähte den elektrischen Strom über die Räder von der inneren zu den äußeren Schienen und die Lokomotive setzt ihren Lauf so lange fort, bis der Strom unterbrochen wird. Die Kraftübertragung und damit die Geschwindigkeit lassen sich innerhalb weiter Grenzen steigern. Die ganze Sache ist aber noch zu neu, um schon jetzt bestimmte Angaben über die Grenzen des praktisch Erreichbaren machen zu können. Ich meine aber, es wird schon jetzt viele Fälle geben, wo elektrische Kraftübertragung sowie auch elektrische Lokomotiven praktisch mit Vorteil verwendbar sind. Die Maschine der Ausstellung ist ursprünglich nicht dazu gemacht, um die drei eleganten kleinen Personenwagen mit 18 bis 24 Personen in ein bis zwei Minuten über die 300 Meter lange Bahn zu befördern, sondern um aus dem Kohlestollen des Herrn Westphal Kohlen zutage zu fördern." Soweit die Ausführungen von Werner Siemens. 58 Abb. 1: Erste elektrische Straßenbahn mit Oberleitung zwischen Charlottenburg und Spandauer Bock, 1882. Den Ausstellungsbesuchern bedeutete die kleine Bahn nicht viel mehr als ein Amüsement, und es fiel keinem von ihnen auf, daß hier die epochale Erfindung der ersten elektrischen Lokomotive der Welt ihre praktische Verwirklichung täglich von neuem unter Beweis stellte. (Siehe Titelbild.) Siemens selbst hatte ihre ungeheure Zukunft ebenfalls noch nicht erkannt - stand doch zu jener Zeit der Dampflokomotivbau im Begriff, mit Hilfe des sog. überhitzten Dampfes einen neuen Höhepunkt seiner Entwicklung zu erreichen. Und so fand die elektrisch betriebene Lokomotive zunächst ihre Anwendung beim Bau von Grubenlokomotiven, womit übrigens auch die AEG einige Jahre später ihren Lokomotivbau begann. Das Gebiet, auf dem sich die neue Verkehrstechnik in der Öffentlichkeit selbst durchsetzen sollte, war das der Straßenbahnen. Bis 1879 kannte man im wesentlichen nur Pferdebahnen, teils als Einspänner, teils als größere Zweispänner, teilweise mit offenem Oberdeck. Viele Jahre genügten diese Verkehrsmittel, doch bei wachsendem Verkehr war ihre Grenze eines Tages erreicht, und man wandte sich dem neu aufgekommenen Dampfwagen zu, der im Stadtverkehr bereits eine bessere, wenn auch aufwendigere Transportart darstellte. Der Verbrennungsmotor steckte noch „in den Kinderschuhen" und kam daher für öffentliche Verkehrsmittel noch nicht in Betracht. Unter diesen Umständen kam der elektrische Antrieb wie gerufen. Der Elektromotor brauchte während der Fahrt keinerlei Wartung und Bedienung, und seine Zugkraft regelte sich von selbst so, wie es der Bahnbetrieb erforderte: hohe Anzugskraft beim Anfahren, 59 Abb. 2: Siemens-Schnelltriebwagen auf der Versuchsstrecke der Militär-Eisenbahn, 1902 bis 1903. allmählich nachlassend mit steigender Geschwindigkeit des Fahrzeuges. Das einzige Problem war die Stromzuführung, zumal die städtischen Behörden vielfach Oberleitungen aus mannigfachen Gründen ablehnten. Als Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Bauunternehmer Carstenn bei der Erschließung der Lichterfelder Fluren auch die Kadettenanstalt baute, wurde hierfür vom Bahnhof „Groß-Lichterfelde" an der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn ein etwa 2,5 km langes Anschlußgleis gelegt, dessen Schienen später wieder entfernt wurden. Auf dem verbliebenen Bahnkörper legte Siemens 1880—1882 die erste, 3,9 km lange elektrische Straßenbahn des öffentlichen Verkehrs in der Welt an. Die Hinleitung des Stroms erfolgte durch die eine, die Rückleitung durch die andere Schiene bei einer Spannung von nur 165 Volt. Diese Anordnung ergab jedoch beträchtliche Verluste durch Erdströme. Trotzdem wird so manchem älteren Berliner noch der Straßenbahnbetrieb auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor in Erinnerung sein, wo zur Kaiserzeit keine Oberleitung für die Straßenbahnlinie 23 angelegt sein durfte. Siemens ging schon ein paar Jahre später zur Oberleitung über, und zwar bestand diese anfangs aus zwei dicht nebeneinander liegenden Fahrdrähten, auf denen ein kleiner Kontaktwagen rollte (Abb. 1), wie z.B. bei der Berlin-Charlottenburger Straßenbahn auf der Strecke zum Spandauer Bock. Später wurde in Berlin ganz allgemein die Eindraht-Fahrleitung mit dem beliebt-berüchtig60 Abb. 3: Siemens-Versuchslokomotive ohne Transformatoren für 10 000 Volt Fahrdrahtspannung. ten Rollen-Stromabnehmer eingeführt, der so manches Mal zum Ärger des Schaffners an den Abzweigstellen heraussprang. Im Gegensatz zum Dampflokomotivbau, der noch lange den Schienenverkehr auf Eisenbahnen beherrschte und ein Jahrhundert benötigte, um das Traumziel der Fahrgeschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde zu erreichen, übertraf das elektrisch angetriebene Schienenfahrzeug diese Marke bereits nach fünfundzwanzig Jahren, seit dem Tag, da die erste elektrische Lokomotive mit einer Stundengeschwindigkeit von etwa 10 km auf der Ausstellungsbahn ihre Kreise gezogen hatte. In den Jahren 1902 und 1903 fanden jene weltberühmten Schnellfahrversuche statt, an denen sowohl Siemens als auch die AEG mit je einem Triebwagen beteiligt waren, die in der Endphase eine Geschwindigkeit von über 200 Kilometern auf einer Versuchsstrecke der preußischen Militär-Eisenbahn zwischen Marienfelde und Zossen ausfuhren (Abb. 2). Im gleichen Versuchsprogramm probierte Siemens eine Lokomotive aus, bei der unter Fortlassung der Transformatoren eine Fahrdrahtspannung von 10 000 Volt Drehstrom unmittelbar auf die Fahrmotoren wirkte, während die bekannten beiden Schnelltriebwagen von Siemens bzw. AEG noch mit Transformatoren ausgerüstet waren (Abb. 3). Auch bei dieser Maschine waren die Stromabnehmer mit seitlicher Abnahme nach einer hierfür besonderen Konstruktion ausgeführt worden. Die Verwendung von auf der Lokomotive untergebrachten Transformatoren war zunächst allgemein üblich. Der Großlokomotivbau der drei Berliner Elektrokonzerne - Siemens, AEG und Bergmann - weitete sich allmählich aus. Zunächst lehnten sich die einzelnen Lokomotivbauarten mit ihrem Stangenantrieb noch dem Dampflokomotivbau an; der 61 Abb. 4: l'Cl'-elektrische Schnellzuglokomotive aus dem Jahre 1913 mit einem Motor und Stangenantrieb. Aufbau des elektrischen Teils jedoch wurde zunächst weitgehend von der Motorleistung bestimmt. So sind dem Autor die ersten elektrischen fünfachsigen Schnellzuglokomotiven mit drei gekuppelten Achsen der Königl.-Preußischen Staatsbahnen unvergeßlich, wie sie im letzten Quartal 1913 im Ausbesserungswerk Tempelhof zur Abnahme durch die Eisenbahndirektion Halle aufgestellt waren und als auffallendstes Merkmal einen riesigen unverkleideten Elektromotor aufwiesen (Abb. 4). Bald aber nahmen diese Lokomotiven eine äußere Gestalt an, die bereits der heutigen nahe kam, wenn auch ihre Entwicklungsstufen noch vielfältiger Natur waren. Insbesondere die preußischen und bayerischen Staatsbahnen übten einen großen Einfluß auf die Entwicklung aus. Der Stangenantrieb wurde noch bis Ende der zwanziger Jahre ausgeführt; daneben freilich nahm der Einzelachsantrieb einen immer breiteren Raum ein. In dieser Zeit bestand eine ständige Verbindung zwischen Siemens und den klassischen Lokomotivfabriken, wie Borsig, die den Fahrzeugteil bauten, während die AEG in Hennigsdorf, Bergmann in Wilhelmsruh und Maffei-Schwartzkopff in Wildau eigene Montagewerkstätten besaßen, in denen die Installation der elektrischen Ausrüstung erfolgte. Aus der einstigen Liliputlokomotive auf der Gewerbeausstellung 1879 haben sich jene Großlokomotiven entwickelt, die heute - nach hundert Jahren - unserer Zeit das Gepräge geben. Von dem ersten 3-PS-Lokomotivmotor für 110 V Gleichstrom bis zur sechsachsigen 6750-PS-Schwerstlokomotive mit Silicium-Gleichrichtern für die Oststrecken der Transsibirischen Eisenbahn der UdSSR war ein weiter, aber erfolgreicher Weg. Heute werden mit solchen Maschinen Güterzüge mit einem Gewicht von 5000 t befördert. Auch für diese Lokomotiven lieferte Siemens in Erlangen die elektrische Ausrüstung, während der fahrzeugtechnische Teil bei Krupp in Essen entstand. 62 Die Entwicklung der Schnellzuglokomotive unserer Tage bis zu einer Spitzengeschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde vollzog sich in Richtung der Leichtbauweise und damit zur Senkung der Herstellungskosten und Schonung des Schienengleises. Nun ist die Eisenbahntechnik allerdings an die Trassierung des historisch gewachsenen Eisenbahnnetzes und die heutige dichte Belegung der Strecken mit langsamen und schnellfahrenden Zügen gebunden. Aus diesem Grunde will die Deutsche Bundesbahn gewisse Teile des vorhandenen Schienennetzes zu Schnellstrecken umbauen, wobei etwa zwei Drittel derselben mit Geschwindigkeiten von 200 km/h befahren werden. Die technische Verbesserung und Beschaffung des rollenden Materials, der Lokomotiven und Wagen, bedingt auch für den Schnellverkehr einen Serienbau entsprechend leistungsfähiger Lokomotiven. Diese sind für Einphasenwechselstrom von 15 000 Volt, 16 2 / 3 Hertz zur planmäßigen Beförderung von Wagenzügen mit 300 t Anhängelast bei einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h bestimmt. Diese Anhängelast entspricht einem Zug aus sieben bis acht vollbesetzten neuen D-Zug-Wagen. Die erreichbaren Fahrzeitgewinne betragen im Mittel 25 v. H. der jetzigen F- und D-Zug-Fahrzeiten. Wie sagte doch Werner Siemens in seinem historischen Vortrag am 9. Juni 1879: „Die ganze Sache ist aber noch zu neu, um schon jetzt bestimmte Angaben über die Grenzen des praktisch Erreichbaren machen zu können." Der Erfinder von damals, würde er die heute weltweite Elektrifizierung des Schienenverkehrs sehen, er würde lediglich in seiner sachlichen Betrachtungsweise feststellen, daß sein Prinzip an sich keine grundlegende Veränderung erfahren hat und nur die Größenordnung eine andere geworden ist. Das Quellen- und Bildmaterial stammt aus dem Institut für die Geschichte des Hauses Siemens in München sowie aus den Erinnerungen von Erich Metzeltin: Von Lichterfelde zur AEG, in: Der Bär von Berlin, Bd. 9,1960. Anschrift des Verfassers: Meierottostraße 4, 1000 Berlin 15 Berliner Altertums-Forscher und -Freunde Ihre Gräber und Grabdenkmale Von Hans B. Jessen Überblickt man in Berlin die Gräber derer, die hier - ob ein Leben lang, ob Jahrzehnte oder nur Jahre - forschend, lehrend, sammelnd, aber auch bildnerisch und schriftstellerisch sich mit der Antike auseinandergesetzt haben, ihr Tun von den Alten berühren, lenken oder gar, zu welchem Teile immer, erfüllen ließen, leidet es keinen Zweifel, daß eine Stätte die vornehmste ist, die Wilhelm von Humboldts zu Tegel, des Staatsmannes, KunstDeuters und Sprachforschers, als Deutsch-Römer Vorvater des Archäologischen Instituts, eines seiner ersten Ehrenmitglieder. Und das nicht allein des Mannes und seines Werkes als des „vielleicht eigentümlichsten" Platzes wegen, inmitten der Grablege „einer Familie, die, wie kaum eine zweite, diesen Sand zu Ruhm und Ansehen gebracht hat". Jenseits der 63 großen Parkwiese gelegen, hart am Rande des Waldes, von dessen lichteren Bäumen einst durch dunkle Tannen „wandartig" abgesetzt, noch in Sichtweite des Palazetto - denn das sollte er nach Wunsch und Willen seiner Gestalter vorzüglich sein - , umfangen von Schinkels pompejanischer Bank, von Thorvaldsens strenger gräzisierender Hoffnung überschwebt. Das alles hat der Wanderer Fontane, ahnungsbewegt wie selten, angeschaut, mit schier zauberischer Hand aufgezeichnet - eigenartig ähnlichen Sinnes im selben Jahrzehnt Treitschke, der im Juli 1866 dort draußen war, an dieser „Stätte sonniger heidnischer Heiterkeit" - Hellas und Rom mitten im Märkischen. Schließen wir einige gewiß kaum unwürdig folgende Männer aus jenem Kreise an, dem „es in den Fingerspitzen wieder bildend" ward, die nicht ohne Glück und allgemeinere Gunst bewiesen, daß man auch ultima Thule antiken Künsten, wenn nicht gleich, doch in Ehren gerecht zu werden vermochte. Sämtlich liegen sie, die zumeist auch in den Mitgliederlisten des Instituts geführt, auf dem Friedhofe der Dorotheenstädtischen und Friedrich-Werderschen Gemeinden, mitten im alten Berlin also, wo auch Gelehrte wie Boeckh, Buttmann, Solger, Wilken, Joh. Schulze und Bunsens wissensreicher römischer Gesandtschaftsprediger, später Lepsius' Expeditionsgefährte (und auch Bismarcks vielgelobter Adlatus), Heinrich Abeken, begraben wurden. Prächtige Steine und Bilder aus Marmor, Granit und Erz zieren manchen der Plätze. Gitterwerk schirmt sie nicht bloß, teilt auch einen ausgesprochenen Würde-Charakter mit, steigert, wie bei den Königs- und Feldherren-Denkmälern der Stadt, im Betrachter Ehrfurcht und Ehrerbietung. Schinkel, dem Schöpfer der Neuen Wache, des Schauspielhauses, der Bau-Akademie, des Alten Museums — nach Herman Grimm „Reproduktion griechischer Baukunst im höchsten Sinne" — gesellt sich Schadow, der Bildhauer. Er neben jenem d e r bildnerische Genius Preußens, ohne alle Schablone wieder .griechisch', wesenhaft antik werdend, Natur und Geist zu reiner Form fassend. Bis auf den Grund ist er Plastiker, „gleichsam unmittelbar mit der Materie" verbunden, „in welcher er zu arbeiten hat", was nach Goethe „einer der großen Vorzüge der alten Kunst" — und sichtlich auch der Schadows — war. Wenig entfernt, sein zeitgenössischert)berschatter,ChristianDanielRauch,Paradebeispiel desHofkünstlers(- welche ara pacis hätte der erst dem Augustus geschaffen), mit elegant geschmeidigem Geschmack und einer jede Klippe meisternden Technik sich der Großen seines stolzen Staates bemächtigend, der Leuchten der Friedrich-Zeit, der Freiheitskriege. Aber auch sanfteren Genien ist er zugetan, Victorien, Nymphen, Hören, sie im schönen Scheine über das Leben setzend. Von der Schülergeneration - auch diese dem Institut und den Archäologen Berlins häufig verbunden, immer noch, wie zu Beginn des Jahrhunderts, eine „ungebrochene Einheit von Kunstwissenschaft und Kunst" bezeugend - seien auf demselben Friedhofe nur die Stüler und Strack (Persius liegt in Potsdam, auf dem Bornstedter Friedhofe), die Hitzig, Blaeser, Dankberg und Schievelbein genannt, meist um 1800 oder nicht lange danach geboren. Wie wechselnd in der Regelstrenge, erscheinen ihre Werke geeint durch die Herkunft von den Schinkel, Schadow und Rauch, einen im Grundsätzlichen kaum abirrenden antikischen Kanon, den das neue, zarter zeichnende, malerisch sentimentalisierende Biedermeier höchstens zu dämpfen, zu modifizieren, nie aber ganz zu löschen vermag. Wilhelm Stier, auch Schinkels Schüler noch, der Verfasser der anmutig von mittelmeerischen Reisen und Künstlern erzählenden „Hesperischen Blätter", Mitarbeiter Bunsens bei dessen vielbändiger Rom-Beschreibung, soll nicht ausgelassen werden, besonders seines stattlichen Grabmals halber. Von der Hand Stülers, steht es auf dem Schöne- 64 Grabmal von Wilhelm Stier Friedhof an der Schöneberger Dorfkirche Grab von Richard Scheibe Friedhof an der Schmargendorfer Dorfkirche berger Dorffriedhof, ist dem fast gleichzeitigen, in manchem konziser durchgearbeiteten, gleichfalls klassizistischen Borsig-Naiskos von Strack auf dem Dorotheenstädtischen verwandt. Zehn Jahre später, 1867, gab Stüler dieser Grabmal-Idee, für die Familie Ravene, eine romanische Fassung. Und weiterzu in den Jahren - den modernistisch paraphrasierenden, vom Jugendstil zart unterströmten, immer aber noch prachtvoll imperialen Klassizismus der wilhelminischen Aera bezeugt Messeis Grabdenkmal, eines Schülers von Strack und Boetticher, Erbauers des Pergamon-Museums, auch glücklichen Umgestalte« im Palazzo Caffarelli zu Rom, dem deutschen Missionssitz und Gründungsort des Instituts. Eugen Schmohl hat es 1914 auf dem Schöneberger Matthäifriedhof errichtet. Wenig zuvor hatte Messeis Kollege, Peter Behrens, den heutigen Institutssitz in Dahlem erbaut, damals das Haus Wiegands, wobei er sich als gedankenscharfer, auch in der Architektur-Theorie schöpferisch exzellierender Forttreiber des „Preußischen Stils" antiker Genesis erwies. Er wurde in den Urnenhallen des Wilmersdorfer Krematoriums beigesetzt. 65 Grab von Theodor und Marie Wiegand Waldfriedhof in Dahlem Grab von Heinrich Brugsch Luisenstädtischer Friedhof, Fürstcnbrunner Weg Der stillere, minder ostensible Kreis jener, die nicht aus höherer, weithin sichtbarer Schöpferlust, sondern schlichtweg von Amts wegen mit der Antike, den Klassischen Wissenschaften, sich befaßt, muß füglich mit Eduard Gerhard eröffnet werden. 1829 in Rom segretario fondatore des Instituts, das die Römer, nicht zuletzt dieses Mannes wegen, instituto prussiano zu nennen liebten, dann, seit 1832, mehr als ein Menschenalter bedachtsam dessen Geschicke von Berlin aus umsorgend. Früh der Notwendigkeiten einer lebendigen traditio inne geworden, wußte er auch an der Spree den größeren Kreis der Humanisten jedweden Berufes und Herkommens „wohldurchdacht" zu pflegen. Die ersten beiden Palilienfeste von 1833 und 1835 am 21. April, dem Geburtstage Roms wie des Instituts, lehren es. Kaum ein Name des geistigen und musischen Berlin stand nicht auf der Teilnehmerliste. So wurde vornehmlich durch ihn als des Instituts eigentlichen (wenn auch nicht ranghöchsten - das ist Bunsen) Spiritus rector dieses, bei zwar bleibender römischer Aktivität und Nativität, tiefverwurzelt eine Berliner Institution. Als solche ward und wird es wohl weit über die engere Fachgenossenschaft angesehen, ja mit einem gewissen Besitzerstolz betrachtet. 66 Grabmal von Joh. Carl Wilhelm Moehsen Friedhof am Halleschen Tor Grabmal der Familie Eduard Arnhold Friedhof in Wannsee, Lindenstraße Einst zierte Gerhards Grab auf dem Matthäifriedhof eine „einfache Marmorstcle mit der von Afinger ausgeführten wohlgelungenen Relieffigur", vermutlich von der Art des für Goethes Sohn an der Cestius-Pyramide aufgeführten Mals, wenn auch gewiss bescheideneren Ausmaßes. Nach dem Tode von Frau Gerhard, ein Vierteljahrhundert später, 1892, trat, nun für beide, das heute noch stehende, konventionellere Kreuzdenkmal aus poliertem, schwarzem Granit an die Stelle. Die „Relieffigur", eine Tondo-Büste, später im Institut aufbewahrt, ist seit 1945 verschollen. Nahebei wurde, 1858 schon, Theodor Panofka, Akademiemitglied und Professor, zur Ruhe gelegt, Gerhards Urfreund, auch schlesischer Landsmann, Weggenosse aus den Tagen der römischen Hypcrboräer, jener ,Johannesse' des Instituts, zu denen noch Kestner, „Lottes" Sohn, und der baltische Philhellene Stackeiberg gehören. Auf diesem gedenkenreichen Gräberfeld des Geheimratsviertels um die biedermeierliche Matthäikirche - nach Rang und Namen der hier Ruhenden wohl Gegenstück des Dorotheenstädtischen in Stadtmitte - folgen in den 1870er Jahren Carl Friederichs, der Entdecker der Tyrannenmörder-Gruppe, und, allzu jung, Friedrich Matz d.Ä., dem Otto Jahn die Forführung des Corpus antiker Sarkophage, heute eine Monumentaledition des 67 Instituts, zugedacht hatte. Noch steht auf Matz' Grab die Stele, aus guter, allerdings anonymer Berliner Bildhauerschule, die als solche hier die Rauch-Schüler Fr. Drake und A. Kiss repräsentieren. Daß gerade in antikenverbundenen Kreisen das Thema der sepulkralen Stele immer wieder .durchgespielt' wird, man kann sagen, mehr als ein Jahrhundert, wenn man von Schinkels bis Wiegands Grab in Dahlem blickt, lehrte jüngst noch, in zeitsymptomatisch herber Reduktion, Richard Scheibes Grabstein, mit des Angelus Silesius (nicht ganz korrekt zitiertem) Sinnreim, auf dem Schmargendorfer Kirchhof - er der letzte der Berliner Bildhauer, denen die Alten, wenn auch kaum mehr unabdingbares Vorbild, so stets stillerer, verläßlich klärender Wegweis waren. 1896 wurden auf das Matthäifeld überführt Ernst Curtius, der begeistert-begeisternde ErÖffner der deutschen Grabung in Olympia und glückhafte Berliner Museumsmann und Professor, 1914 — im wilhelminisch prunkvollen Familiengrab aufgenommen - Fritz Toebelmann, eine vom Kriege gebrochene Hoffnung der damals ins Große drängenden antiken Bauforschung. Auf dem Friedhofe vor dem Halleschen Tore, nicht weit vom Matthäi-Feld, liegt Ernst Heinrich Toelken, Heyneschüler, Stackeibergs, des Hyperboräers, römischer Reisegefährte, später an der Universität und am Antiquarium im 1830 eröffneten Museum am Lustgarten tätig, ein Vorgänger also der genannten Friederichs und Curtius. Die lange Enfilade der Gräberbezirke an der Bergmannstraße, fast an den Tempelhofer Flughafen grenzend, weiß auch von manchem bedeutenden Namen, so dem des um erste Campagnen in Olympia verdienten Architekten Friedrich Adler, Gründers der „Bauschule von Berlin" (Friedrichs-Werderscher Friedhof). Auf dem anschließenden Dreifaltigkeits-Areal, im Grabe August Kopischs, dessen Witwe er heiratete, ruht der Verfasser der „Tektonik der Hellenen'", Carl Boetticher, aus der Schule Schinkels kommend, zuletzt Direktor der Berliner Skulpturen-Sammlung. Eine mächtige Marmorstele - das Porträtmedaillon ist längst entwendet - ziert die Stätte. Auch hier liegt Richard Borrmann, durch seine Mitarbeit an der Grabung in Olympia vor allem bekannt geworden. Zwischen Franz Bopp wenige Schritte zur Rechten und Heines „Molly" zur Linken ruht, im Erbbegräbnis der verwandten Verleger-Familie Reimer, Theodor Mommsen. Der Platz grünverwuchert, ohne Daten und Denkmal wie ausdrücklich gewollt, nur ein schwarzes Namensschild an der Umfriedung. Der kleine Grabbezirk der Grunewalder Villenkolonie, hart am Geleise beim Bahnhof Westkreuz, birgt Alexander Conze, den Pergamon-Ausgräber und selbstbewußten Leiter des Instituts bis über die Jahrhundertwende, sowie Richard Schöne, von Haus aus Archäologe, als Vorgänger W.v.Bodes den neuen Glanz der Museen heraufführend, und Max Georg Zimmermann, Kunsthistoriker an der Technischen Hochschule, in seinen Arbeiten sich häufiger des Nachwirkens antiker Kunst in Berlin und der Mark annehmend. Der Stadtregion nach nicht weit entfernt ist der Friedhof am Krematorium in Wilmersdorf. Auf ihm liegen, wie der schon erwähnte P. Behrens, zwei Forscher, Zeitgenossen und Kollegen an der Universität, die zu den eindringsamsten Erhellern antiken Glaubens gehören: der eine, Ludwig Deubner, mehr dem Paganen, der andere, Hans Lietzmann, ganz dem frühen Christentum zugewandt. Ein anderes Gelehrtenpaar, Spezialisten früher und frühester Epochen, trug man fast gleichzeitig, 1932 und 1933, hierher: Otto Hauser, glücklich fundreicher Paläolithiker, und Hubert Schmidt, Erforscher des Schliemannschen Troja und alter Kulturen Osteuropas, bedeutsam auch als Museumsmann und Erschließer der „gewaltigen Schätze der Berliner Sammlung" aus frühgeschichtlicher Zeit. Weiter vom Stadtzentrum entfernt, nahe dem Reichssportfeld, auf dem landschaftlich §8 empfindungsvoll angelegten Friedhof an der Heerstraße trifft man Daniel Krencker, vornehmlich im östlichen Mittelmeerraum an nicht wenigen deutschen Großgrabungen führend beteiligt, später, wie mancher seiner Fachkollegen, so Adler, Borrmann und Andrae in Charlottenburg an der Technischen Hochschule den für diese Unternehmungen so notwendigen Nachwuchs heranziehend. Der Direktor des weltberühmten Münzkabinetts auf der Museumsinsel, Kurt Regling, weiteren Kreisen durch eine rege Publizistik bekannt, noch von Wiegand mit einem sehr warmherzigen Gedenken bedacht, wurde 1935 auf dem Alten Luisenfriedhof an der Königin-Elisabeth-Straße beerdigt. Auf dessen neuem Trakt am nahen Fürstenbrunner Weg liegt seit 1894, mit imposantem granitenem Sarkophagdeckel aus Sakkara zu Häupten, Heinrich Brugsch, der Ägyptologe, dem schon als Primaner des unermüdlich hilfsbereiten Alexander von Humboldts Sorge zuteil wurde, und seit 1903 Ulrich Köhler, von 1875 über ein Jahrzehnt die Athener Zweiganstalt des Instituts leitend, dann, 1886, Professor für Alte Geschichte in Berlin, der penibelsten Epigraphiker einer. Im Norden der Stadt, auf dem Dom-Friedhof an der Müllerstraße, findet man — die Grabwand hinter der sehr schlichten Stele geschmackvoll ägyptisierend — Brugsch' Antagonisten Richard Lepsius, wie jener Forschung und fundreiche Erkundung im Nilland mit breiter Hand betreibend. Schon die Häufung der Ämter - dazu ist Lepsius Stammvater einer großen, ungewöhnlich tätigen Nachkommenschaft - deutet Weite und Gewicht seines sehr persönlich regierten Wissenschafts-Imperiums an. Nur die wichtigsten: Präses des Instituts, Direktor der Königlichen Bibliothek, Professor für Ägyptologie an der Universität, Direktor der Ägyptischen Abteilung der Museen. Im Südwesten der Stadt hat der Dahlemer Waldfriedhof 1936 Theodor Wiegand aufgenommen. Eine schlichte Stelle mit besonders wohlgelungener Schrift steht auf seinem und seiner Frau Grab, einer Tochter des Gründers der Deutschen Bank, Georg von Siemens. Auch Wiegand war, wie Conze, in einer wissenschaftspolitisch bewegten Zeit Führer des Instituts, mit Diplomatie und Entschlossenheit Wohl und Wehe Klassischer Archäologie glücklich beschirmend, für diese, ähnlich Gerhard, gerade die Berliner Gesellschaft, die wirtschaftlichen wie die politischen Spitzen der Reichshauptstadt ertragreich genug gewinnend, feinsinnig erwärmend. Als Archäolog ist er weithin bekannt geworden durch die weiträumige Freilegung - dies der neue Grabungsstil - kleinasiatischer Griechenstädte von Priene bis zum Königssitz der Attaliden, fast noch mehr aber als bewundernswert erwerbender Direktor der Antiken-Abteilung, deren Pergamon-Säle er mit Takt und faszinierendem Großsinn zu einem Maximum modernen Museums auszubauen verstand. Die beiden frühgriechischen Göttinnen, die sitzende wie die stehende, hat er in den Schinkelbau gebracht, mit entscheidender Hilfe eben jener, ihm nicht bloß monetär mäzenatisch, sondern mit Herz und Geist folgenden Berliner - angefangen vom Kaiser. Diese Bemühungen haben ihn nicht gehindert, eigentlich von Jugend an die Kunst seiner Gegenwart lebhafter zu verfolgen, nach Möglichkeit zu fördern. Die Verbindung zu Peter Behrens, zu Gaul und, besonders mutig in der Hitler-Zeit, zu Barlach belegt es, dokumentiert eine Hinwendung zu Künstlern eigener Zeit, wie sie, an sich kaum vermutet, Archäologen doch zu eigen sein kann, angefangen vom Paare Winckelmann-Mengs bis zum Nolde-Verehrer Rodenwaldt und zu Botho Graef aus Berlin, der Hodler und BrückeLeute so resolut und vorbehaltlos protegierte. 1945 bestattete man aul diesem Waldfriedhof Karl Anton Neugebauer, durch viele Jahrzehnte der sorgsamste Betreuer des Berliner Antiquariums, wie er auch der Archäologischen 69 Gesellschaft als Schriftführer die nützlichsten Dienste leistete. Einen anderen großen Gelehrten des Antiquariums nahm das selbe dunkle Jahr 1945, Robert Zahn, einzigartig als Kenner antiken Schmucks. Er liegt auf dem Friedenauer Friedhof an der Stubenrauchstraße. Doch auf dem Waldfriedhof soll und darf jener nicht vergessen werden, welchen wohl als letzten Berliner Literaten, fern jeglichem Historisieren ä la Wildenbruch, die Antike so sehr getroffen hat, daß durch eignes, sprödes Wort längst gewonnenes Wissen wieder zu wirken begann: „Schaffe den Dingen Dauer / strömt es vom Mittelmeer" Gottfried Benn. Die beiden ersten Vertreter der Klassischen Archäologie an der nach dem letzten Kriege in Dahlem gegründeten Universität, Erika Schmidt und Friedrich Wilhelm Goethert, ruhen ebenda auf dem Dorffriedhof. 1922 wurde dorthin, nach mehr als vierzigjähriger Lehrtätigkeit, der Philologe und so kundige Kenner griechischer Philosophen, Hermann Diels, gebracht und 1930 Albert von Le Coq, der Zentralasien-Forscher, dem die Staatlichen Museen ein Cimelium verdanken, das anderwärts schwerlich seines Gleichen hat, die Turfan-Fresken gräko-östlichen Bildgehabes. Gerhart Rodenwaldt: vielbewundert nicht bloß als Organisator des Centenarjubiläums desInstituts 1929, dieser letzten Feier des abendländischen Humanismus vor den Katastrophen des Jahrhunderts, sondern überhaupt als breit ausgreifender Gelehrter, dem ein durch Instinkt wie Intellekt gleich glänzende, eigentlichere' Deutung antiker Kunst gelang. Dazu von so glücklicher Hand als besonnen operierender Chef eines von Berlin aus über den ganzen Mittelmeerraum sich breitenden Forschungsorganismus von solcher intensiven Modernität, daß er, nach Gerhard und Conze, zum dritten Gründer des Instituts erwuchs. Er schied mit seiner Frau während des Endkampfes um Berlin aus dem Leben. Nach zweimaliger Umbettung liegt er jetzt auf dem Ehrenfeld des Lichterfelder Parkfriedhofs - zunächst, 1945, notbestattet im Garten seines Lichterfelder Hauses, dann in einem Waldgrab des Lichterfelder Parkfriedhofs, wo sich auch die Memoria für den im Kriege gebliebenen Sohn Gert befand. Weiter westwärts, auf dem Wege nach Potsdam, hat der erst nach dem Zweiten Weltkriege angelegte Waldfriedhof Zehlendorf 1956 Walter Andrae aufgenommen, den großen Schüler eines großen Meisters, Robert Koldeweys (dessen Grab sich auf dem Lichterfelder Parkfriedhof, nahe dem des Universalhistorikers der Alten Welt, Eduard Meyer, befindet). Ausgräber im Zweistromland und Berliner Museumsmitarbeiter von hohen Graden, ist sein Name auf der Museumsinsel verbunden mit dem Ischtar-Tor, der Prozessionsstraße aus Babylon und der Partherfassade, um nur einige Glanzstücke der eigentlich erst von ihm gestalteten Vorderasiatischen Abteilung zu nennen. Paul Ortwin Rave, 1962 auf dem Waldfriedhof bestattet, hat sich schon als Jüngling „Hellas ewig unsere Liebe" zugeschworen. Dem ist er als Kunstgelehrter und Berliner Museumsdirektor nicht untreu geworden, hat, oft in „dichterisch-überhöhter Sprache", diese „fast romantische Sehnsucht nach Griechenland" nicht zuletzt durch das entschiedene Eintreten für Schinkel, für Humboldts Tegel und, mutig vorausschauend vor allen anderen in Deutschland, für Thorvaldsen bezeugt. Auch auf den Gräberfeldern im Süden der Stadt trifft man auf Archäologen, auf Mitarbeiter der Antiken-Abteilung wie Carl Blümel, dem nach der Rückführung der Altertümer aus Rußland 1958 deren neue Aufstellung auf der Museumsinsel in überraschend kurzer Zeit gelang - er ruht bei seinen Eltern auf dem St. Michaels-Kirchhof in Neukölln - , und Gerda Bruns, nahe der Alt-Mariendorfer Kirche auf dem Heidefriedhof. Unmittelbar an dieser Kirche ist Carl Weickert beigesetzt. Nach der Kapitulation raffte er, damals 70 Leiter der Antiken-Abteilung und Inhaber des archäologischen Lehrstuhls, aus eignem Entschlüsse die Trümmer des Instituts, so gut es nur ging, zusammen, wobei ihm, vom gleichen Museum kommend, in einer, schließlich sich selbst verzehrenden Pflichterfüllung Gerda Bruns zur Seite stand. In diesem Memento, nach Künstlern und Gelehrten, auch der gestaltenreichen Schar der dilettanti zu gedenken, also jene, gerade Berlins geistig-gesellschaftliche Eigenart, eigentlich zu jeder Zeit, eindrucksvoll kennzeichnenden Stifter, Sammler und, wo und wie auch, literarisch Tätigen einzubeziehen, wird kaum unstatthaft sein. Ihr „Liebewerk" nicht selten im Stillen, nach eigner Weise, treibend, doch nach Außen, ideell wie auch materiell, des Anregenden und allgemeiner Nützenden Beachtliches, oft Rühmenswertes leistend, hebt die Reihe erlaucht genug an mit Friedrich Wilhelm, Luisens Erstgeborenem, dem Schüler Hirts, Niebuhrs und Buttmanns, von Schinkel ganz zu schweigen, ja eigentlich schon mit dem Großen Kurfürsten. In den Niederlanden humanistisch trefflich geschult, früh Anticaglien sammelnd, an ihnen fast täglich in seiner kleinen Kunstkammer im Schlosse sich freuend, leuchtet er solchermaßen dem Urenkel in Sanssouci vor, dem Nacheiferer Marc Aureis und geistig so engagierten Käufer des Betenden Knaben, der Polignac'schen und Stosch'schen Antiken, dem ungewöhnlichen und unverdrossenen Kenner und Leser klassischer Literatur. Drei gekrönte Häupter aus e i n e r Familie, die in dem noch ungeschriebenen Buche „Die Hohenzollern und die Antike", neben manchem anderem, ähnlich sich rührenden Familienghede, so dem Prinzen Carl und dessen Familie in dem reizvoll lehrhaft antikenbestückten Glienicke, beste Figur machten. War ihnen allen doch, in welchem Jahrhundert auch, jene scheinbar längst abgelebte Welt mehr als höfisch konventionelle Arabeske, mehr als irgendein modischer Putz, ein Divertimento, in dem man sich, neben vielen anderen, wohlig unverbindlich gefiel. Es war, und das eigenartig beharrlich bis auf den Letzten des Hauses, geistig-sinnliche Notwendigkeit, in Maß und Umfang der Neigung wohl unterschiedlich, mit Intervallen auch, doch im Grunde von ebenso ungewöhnlicher Konstanz wie Substanz, kaum häufiger beredet, doch um so dezidierter und gezielter. Ja, wäre der .Romantiker auf dem Throne' nicht gewesen, gäbe es wohl kaum ein Deutsches Archäologisches Institut. Weit über alles leutselige Floskeln hat dieser „größte aller jener geistreichen Dilettanten", wie ihn Treitschke nennt, hier Beständigkeit bewahrt, seine Privatschatulle wie überhaupt sein allerwegen rasch entzündbarer Einfallsreichtum, Jahrzehnte hindurch, gefährlich dürre Strecken überstehen helfen. Er ruht in der Potsdamer Friedenskirche, das Herz bei den Eltern im Charlottenburger Mausoleum, der Bruder Carl in der Kirche von Nikolskoe, der Kurfürst im Berliner Dom, Friedrich, bis 1945 in der Potsdamer Garnisonskirche, heute, im Exil, auf der Burg Hohenzollern. Daß auch Preußens Soldaten, insonderheit Militärs aus Berliner Führungsstellen, antiken Studien, archäologischer Forschung mancherlei Richtung und Art (Grabungshilfe, Expeditionsbegleitung, Geländeaufnahme, Kartierung und so fort) nicht abhold waren, läßt sich mehr denn einmal bezeugen. Moltke, der gern Archäolog und Historiker geworden wäre, gibt die besten Beweise, wie bei E. Curtius, Beiger und R. Stadelmann nachzulesen, doch nicht die einzigen. Aus jüngerer Vergangenheit sei nur auf Hans von Seeckts Berliner Rede „Antikes Feldherrntum" gewiesen, bei aller äußeren Bescheidung ein kaum gewöhnliches Dokument, eindrucksstark schon durch strenge, .lateinische' Begrifflichkeit von Wort und Gedankenfolge, die nüchtern knappe, doch keineswegs gefühlsunbetonte Faktizität dessen, was gesehen und was gesagt wird. „Die Verbindung zwischen 71 Soldatentum und humanistischer Bildung ist keine zufällige . . . Gerade der Soldat bedarf , . . der Aufrichtung an klassischen Vorbildern und der Schulung zur Ergebung in das Schicksal." Seeckts Grab ist, zertrümmert, erhalten auf dem fast ausgelöschten Invalidenfriedhof an der Scharnhorststraße. Noch in die Jahre und den Kulturstil des Großen Königs gehört ein „würdiger Zeitgenosse", der Arzt Joh. Carl Moehsen, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Besitzer umfänglicher, offensichtlich im Kunstkammer-Stil gehaltener Sammlungen, darunter zahlreiche Antiken verschiedenen Genres. Wie es bei ihm ausgesehen, kann vielleicht der gleichaltrigen Anna Dorothea Therbusch Bild eines Berliner Sammlers aus dem Jahre 1773 im Kaiser-Friedrich-Museum ahnen lassen. Ähnlichen Charakters werden die bemerkenswerten Sammlungen des Deutsch-Römers und langjährigen, sehr vertrauten Arztes der Tegeler Humboldts gewesen sein, Heinrich Kohlrausch, 1826 schon auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Liest man die liebevolle Schilderung seines Neffen, des Enkels Nicolais, Gustav Parthey, auch er einer der Berliner Humanisten und großen Donatoren des Instituts, wie er die vielen Ölbilder, Graphiken, Marmore, Abgüsse und Kleinkunst-Werke genau Revue passieren läßt, muß man nur staunen, womit schon damals, auch im Privaten, Berlin aufzuwarten wußte. Moehsens Grab vor dem Hallischen Tore, Hygieia, überlebensgroß in einer Wandnische auf der Tumba gelagert, ihre Schlange atzend, ist, wie arg auch inzwischen verunstaltet, für die Stadt ein Unikum, überraschend zartgestimmtes, gar nicht deklamatorisches Zeugnis märkischen DixhuitiemeKlassizismus, wohl aus dem Kreise des hiesigen Bildhauers Leo Friedmann. Daß in dieser Runde der jenseits vom Zunftritus Suchenden und Sich-Bildenden die in Berlin kurz nach 1840 von Ed. Gerhard nach dem Vorbilde des römischen Instituts bewußt als dessen märkischer Ableger konstituierte Archäologische Gesellschaft nach der Gesellschaft für Erdkunde von 1828 die älteste wissenschaftliche Sozietät der Stadt auf privater Basis - bis auf den Tag von kaum gering zu achtendem Bemühen ist, bedarf keiner Erläuterung. Kurd von Schlözer, Rankes und Ritters Doktor, viele Jahrzehnte dann Diplomat, auch in der Ewigen Stadt, von wo er den Seinen die nachgerade klassisch gewordenen „Römischen Briefe" schrieb, sprach 1844 die kaum bloß für damals gültige laudatio: „Eine solche Gesellschaft hat hier in Berlin durch die Menge von geistigen Kapazitäten immer etwas Großartiges." Der vielverdienten Exzellenz bismarckischer Schule wurde ein halbes Jahrhundert später an der Bergmannstraße auf dem Feld der Jerusalemer und Neuen Gemeinde eine noch wohlerhaltene Grabaedicula gesetzt. Nebenan, im Dreifaltigkeitsbezirk, liegt Ernst Assmann, fast vier Jahrzehnte Mitglied der Gesellschaft, von Beruf Mediziner, Marine-Arzt, und so, nicht fernliegend, Spezialissimus und Autorität antiken Seewesens, schon im ersten Bande des Jahrbuchs des Instituts 1886 mit einem einschlägigen Beitrag vertreten, 1926 ebendort von Rodenwaldt, da er auch Korrespondierendes Mitglied des Instituts, durch ehrenvollen Nekrolog gefeiert. In der Anciennität wird Assmann noch übertroffen durch Adolf Trendelenburg, Sproß einer alten Gelehrtenfamilie - der Berliner Aristoteliker und prononzierte Antihegelianer Friedrich Adolf Trendelenburg ist sein Onkel - , Schulmann und fruchtbarer archäologischer Autor. Nahezu siebzig Jahre, seit 1873, hat er der Gesellschaft angehört. 1941 verschieden, liegt er, wie sein Onkel und wie Lepsius, auf dem Dom-Friedhof an der Müllerstraße. Ein anderer Philosophen-Nachfahr und frei schaffender Humanist ist auf dem Matthäifriedhof, Ed. Gerhard ganz benachbart, zur Ruhe getragen worden, Hermann von Schelling, des Philosophen jünster Sohn. Jurist in hohen und höchsten Staatsämtern, hat 72 er noch als Emeritus die Odyssee in achtzeiligen Strophen übertragen. Der Verfasser der in den 1930er Jahren vielgelesenen, sehr solid informierenden „Archäologischen Entdeckungen im 20. Jahrhundert", eine nur erwünschte Fortsetzung des ähnlich betitelten, zeitlich freilich weiter ausgreifenden Werkes von Adolf Michaelis, Friedrich von Oppeln-Bronikowski, war bis zu seinem Tode eifriges Mitglied der Archäologischen Gesellschaft. Weit vor der Stadt liegt er auf dem zu Beginn dieses Jahrhunderts eröffneten Zentralfriedhof in Stahnsdorf. Waldemar Wruck, Schüler Wilhelm Webers, namhafter Numismatiker und Chef einer in Berlin fortblühenden Münzhandlung, ist auf dem Ruhlebener Friedhof bestattet. Der Kieferchirurg und Besitzer einer auch Antiken umfänglich und artenreich berücksichtigenden, bewundernswerten Sammlung, die der letzte Krieg so gut wie vollkommen vernichtete, Eduard Lubowski, ist der Gesellschaft, wie Waldemar Wruck, bis zum Tode treu geblieben, unermüdlicher Besucher der Sitzungen, kenntnisreich und lebhaft an deren Diskussionen teilhabend. Er liegt auf dem Friedhof der Luisengemeinde an der Königin-Elisabeth-Straße, einige Schritte von Wilhelm von Bode, der auch Mitglied der Gesellschaft war, schon seit seinen ersten Berliner Jahren, seit 1874. Allem Alten und Antiken aufgeschlossen, hat der große Museumslenker, durch eignes Finderglück und sehr persönliche Sammelleidenschaft, auch der zuständigen Abteilung seines Hauses manchen antiken Gewinn eingetragen, an der Spitze den Sarkophag Caffarelli, ein bedeutsames Werk der frühen römischen Kaiserzeit, heute, wenn auch mit argen Kriegsspuren, an alter Stelle auf der Museumsinsel. Werner Kallenbach, vielbeschäftigter Industriemann, besuchte dennoch fleißig die Referate der Gesellschaft, hatte sich, unterstützt durch die Autopsie vieler Erkundungsreisen in den Nahen Orient, zu einem versierten Liebhaber der Philologie und Archäologie des Zweistromlandes ausgebildet. Er liegt auf dem Waldfriedhof in Dahlem - ein rechter Berliner dilettanto in seinem nicht zu stillenden Wissenshunger, freilich wohlvorgebildet und aufgeweckt als Alumnus der Pforte. Ähnlich heimisch geworden in der Gesellschaft war Alois Scherhag, der Bildhauer, auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof an der Kolonnenstraße, bis in seine letzte Zeit auf Sitzung wie Nachsitzung gerne und kenntnisreich über eine, ihm durch seine Tagesarbeit besonders nahegebrachte Sorge, die der Gräber-Historiographie und Gräberpflege in Berlin berichtend, wobei ihm Archäologen an der Spitze standen. Fünf Persönlichkeiten, ähnlich in Neigung und freierem Wirken für die Alte Welt, seien nicht übergangen: der Bildhauer Kurt Kluge, ein technisch-handwerklich bestens beschlagener Mitarbeiter K. Lehmann-Hartlebens bei dessen Corpus der antiken Großbronzen, beerdigt auf dem Friedhof in Nikolassee nahe der Rehwiese; Wiegands unentwegt helfender Freund aus der Berliner Haute Finance, Eduard Arnhold, Mäzen von heute kaum noch zu begreifender Liberalität, einem James Simon zumindest ebenbürtig, Mitbegründer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, bis auf den Tag unmittelbar Segen spendend als Schenker der Villa Massimo zu Rom, immer wieder, so beim Erwerb der Sitzenden Göttin, der Großen Venus des Tizian, des Evangelienbuchs Kaiser Lothars, Museen und Bibliotheken, auch Hertziana und Florentiner Kunstbibliothek, hochdotierend, selber Bilder-Sammler besten Stils in seinem Hause in der Regentenstraße, als Besitzer der alten Böcklin-Villa Deutsch-Florentiner geworden, Hellas aber, wie er bekannt, als „etwas Religiöses", „im menschlich tiefsten Sinne" als „seelischen Besitz" in sich tragend: eine wahrhaft bewegende Gestalt der letzten Kaiserzeit; sein nach antikischer Weise stillmonumentales, vom Krieg verändertes Grab auf dem Neuen Friedhof in Wannsee vom Münchner Theodor Georgii, einem Hildebrandschüler, gestaltet. - Luise Humann, die 73 mitsorgende und mithandelnde Frau Carl Humanns (der einmal Schüler Stracks war), ihr Grab, eben jenseits der Mauer im Glienicker Schloßbereich, ziert eine kleine Säule aus dem auch ihr so vertraut und lieb gewordenen Pergamon - und endlich Vater und Sohn Virchow auf dem Matthäi-Feld: Rudolf, der Pathologe und Politiker, dessen noch heute in Berliner Museen spürbares Eintreten für die Alte Welt ebenso häufig wie weitgespannt und tatkräftig war; Hans, der Sohn, Mediziner und Anthropologe, bis zu Tode Mitglied der Archäologischen Gesellschaft. In der Tat, die Zahl derer, die sich der Antike verpflichtet, ihr, zu welchem und wie lange dauerndem Nutzen auch, zu dienen versucht haben, ist im Berlin der ferneren wie der näheren Vergangenheit weder gering noch geringfügigen Gewichts, was nur ein Ehrentitel mehr für die Stadt, die noch immer als Hauptstadt deutscher Archäologie sich zeigt und weithin wirkend bewährt. Über hundert nennt schon diese erste, vorläufige Aufstellung. Leicht ließe sie sich (von den außerhalb Bestatteten wie Parthey, Wilamowitz, Kekule, Deissmann überhaupt abgesehen) verlängern, etwa, um nur Gelehrte zu nennen, mit Droysen, Ritter, Dirksen, Nitzsch und Harnack, mit Bekker, Haupt, Meineke, Kiepert und Corssen, mit Bardt und Kern, Kirchhoff, Vahlen, Klaffenbach und Grumbach, mit Kiekebusch, Kossinna und Olshausen, mit Erman, Brückner, Sarre, Stuhlfauth, Moortgat, Ibscher und wie vielen noch, ganz zu geschweigen der Stammväter wie Lorenz Beger, Damm, Gedicke, Hirt, Levezow und gar des Platonikers Schleiermacher. Noch vieler Gänge über die Hunderte Berliner Grabbezirke wird es bedürfen, wo aus mehr denn einem, nicht immer verständlichen und verzeihlichen Grunde das Überkommene schnell und schneller sich lichtet, noch manches Suchens in alten Papieren, um sie alle - wirklich alle? — zu finden, wenigstens dem Friedhof nach zu orten: sie, die „größeren Heere", auch auf dem Felde der Humaniora, des Erkundens entschwundener Welten, die es den Enkeln unverzehrbar vererbt, dies DESINUNTISTA NON PEREUNT. Nachgewiesene Gräber ABEKEN Heinrich 1809-1872, Diplomat ADLER Friedrich 1827-1908, Architekt, Bauforscher ANDRAE Walter 1875-1956, Bauforscher ARNHOLD Eduard 1849-1925, Kaufmann, Sammler ASSMANN Ernst 187-1926, Arzt, Archäologe BEHRENS Peter 1862- 1940, Architekt BENN Gottfried 1886- 1956, Arzt, Schriftsteller BLAESER Gustav 1813-1874, Bildhauer BLÜMELCarl 1893-1977, Archäologe BODE Wilhelm v. 1845 -1929, Kunsthistoriker BOECKH August 1785-1867, Philologe BOETTICHERCarl 1806- 1889, Bauforscher BOPP Franz 1791-1867, Philologe BORRMANN Richard 1852- 1931, Bauforscher BRUGSCH Heinrich 1827-1894, Ägyptologe BRUNS Gerda 1905-1970, Archäologin BUTTMANN Philipp Karl 1764- 1829, Philologe CARL 1801 - 1883, Prinz von Preußen 74 CONZE Alexander 1831 -1914, Archäologe CURT1US Ernst 1814- 1892, Historiker DANKBERG Friedrich Wilhelm 1819-1866, Bildhauer DEUBNER Ludwig 1877-1946, Philologe DIELS Hermann 1848-1922, Philologe DRAKE Friedrich 1805-1882, Bildhauer FRIEDRICH IL 1712-1786, König in Preußen FRIEDRICH WILHELM 1620- 1688, Kurfürst von Brandenburg FRIEDRICH WILHELM IV. 1795-1861, König von Preußen FRIEDERICHS Carl 1838-1871, Archäologe GERHARD Eduard 1795-1867, Archäologe GOETHERT Friedrich Wilhelm 1907- 1978, Archäologe HAUSER Otto 1874- 1932, Archäologe HITZIG Friedrich 1811-1881, Architekt HUMANN Luise 1844-1928, Gattin Carl Humanns HUMBOLDT Wilhelmv. 1767-1835, Staatsmann KALLENBACH Werner 1902-1974, Kaufmann, Sammler K.ISS August 1 8 0 0 - 1865, Bildhauer KÖHLER Ulrich 1 8 3 8 - 1903, Historiker KOHLRAUSCH Heinrich 1777-1826, Arzt, Sammler KOLDEWEY Robert 1855-1925, Bauforscher KRENCKER Daniel 1874-1941, Bauforscher LE COQ Albert 1 8 6 0 - 1930, Ethnologe LEPSIUS Richard 1 8 1 0 - 1884, Ägyptologe LIETZMANN Hans 1875-1942, Theologe LUBOWSK1 Eduard 1 8 8 6 - 1966, Arzt, Sammler MATZ Friedrich d.Ä. 1843-1874, Archäologe MESSEL Alfred 1853-1909, Architekt MEYER Eduard 1855-1930, Historiker MOEHSEN Johann Carl 1722-1795, Arzt, Sammler MOMMSEN Theodor 1817-1903, Historiker NEUGEBAUER Karl Anton 1 8 8 0 - 1945, Archäologe OPPELN-BRONIKOWSK1 Friedrich v. 1875-1936, Schriftsteller PANOFKA Theodor 1801 - 1858, Archäologe PERSIUS Ludwig 1803-1845, Architekt RAUCH Christian Daniel 1 7 7 7 - 1856, Bildhauer RA VE Paul Ortwin 1893-1962, Kunsthistoriker REGUNG Kurt 1876-1935, Numismatiker RODENWALDT Gerhart 1886-1945, Archäologe SCHADOW Johann Gottfried 1764-1850, Bildhauer SCHEIBE Richard 1 8 7 9 - 1964, Bildhauer SCHELLING Hermann v. 1824-1908, Jurist SCHERHAG Alois 1890-1963, Bildhauer SCH1EVELBE1N Hermann 1 8 1 7 - 1867, Bildhauer SCHINKEL Karl Friedrich 1781 - 1841, Architekt SCHLÖZERKurdv. 1 8 2 2 - 1894, Diplomat, Historiker SCHMIDT Erika 1912-1974, Archäologin SCHMIDT Hubert 1 8 6 4 - 1933, Archäologe SCHÖNE Richard 1840-1922, Archäologe SCHULZE Johannes 1 7 8 6 - 1869, Philologe SEECKTHansv. 1866-1936, General STIER Wilhelm 1 7 9 9 - 1856, Bauforscher STRACK Johann Heinrich 1806-1880, Architekt STÜLER August 1800-1865, Architekt SOLGER Karl 1780-1819, Philosoph TOEBELMANN Fritz 1 8 7 4 - 1914, Bauforscher TOELKEN Ernst Heinrich 1785 - 1864, Archäologe TRENDELENBURG Adolf 1845-1941, Philologe TRENDELENBURG Friedrich Adolf 1802-1872, Philosoph VIRCHOW Hans 1852 - 1 9 4 0 , Anatom VIRCHOW Rudolf 1821 - 1902, Pathologe WE1CKE RT Carl 1885 - 1975, Archäologe WIEGAND Theodor 1 8 6 4 - 1936, Archäologe WILKEN Friedrich 1777-1840, Historiker WRUCK Waldemar 1902-1971, Numismatiker ZAHN Robert 1870-1945, Archäologe ZIMMERMANN Max Georg 18? - 1 9 1 9 , Kunsthistoriker Anschrift des Verfassers: Dr. H. B. Jessen, Podbielskiallee 69,1000 Berlin 33 Aufnahmen: Peter Grunwald, Berlin (1979). Historische Porträtbüste eines Berliner Brauherrn Von Hans G. Schultze-Berndt In einem Vortrag „Porträtplastik auf alten Berliner Friedhöfen" vor den Mitgliedern des Vereins für die Geschichte Berlins am 18. Januar 1941 hatte Pfarrer D r . Curt H ö r n auch eine „herrliche Büste des Bürgers und Brauherrn Karl Ludwig Fischer" von Karl (Carl) Wichmann aus dem Jahre 1812 am Halleschen Tor erwähnt. Derselbe A u t o r hatte bereits 1936 in einer Schrift „ D i e vor uns gewesen sind - Ein Bild Alt-Berliner Kulturgeschichte gesehen von den Friedhöfen a m Halleschen T o r im Jahre ihres zwei75 Abb. 1 (Foto: R. Mücke) Abb. 2 (Foto: R. Mücke) hundertjährigen Bestehens". Von Lic. Dr. Curt Hörn, Berlin SW 68, Georg Siemens Verlagsbuchhandlung GmbH, 1936, auf diese Porträtbüste hingewiesen und zwei Fotos veröffentlicht: „Hier steht in einer Nische (des Erbbegräbnisses) eine der schönsten Bildnisbüsten von so klassischer Formung, daß man an den Kreis um Tieck denken möchte. Ein vergeistigtes römisch strenges Gesicht mit tiefliegenden Augen. Sicherlich eine genaue Bildnisbüste." Aus Interesse an dem Bildnis eines alten Berliner Brauers wandte sich der Autor an Rudi Mücke und erfuhr, daß die Büste noch vorhanden ist, und zwar auf dem Jerusalemer und Neuen Friedhof II. Eingang Baruther Straße (Abb. 1). 1974 wurde der Verfasser von R. Mücke darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Plastik inzwischen die Nase abgeschlagen worden sei (Abb. 2). Der Autor hat dann in der Zwischenzeit die Büste durch den Restaurator Wilfried Bennstein von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in einen sehr guten Zustand bringen lassen (Abb. 3). Aus den Kirchenbüchern geht hervor, daß Carl Ludwig Fischer, der als Bürger und Brauherr bezeichnet wird, Sohn eines Brauers war und auch eine Berliner Brauerstochter geheiratet hat. Der Vollständigkeit halber seien die Angaben hier mitgeteilt: Laut Taufbuch von St. Marien in Berlin ist nachweisbar: Fischer, Carl Ludewig, geboren 27. September 1770, getauft 4. Oktober 1770. Vater: Fischer, Samuel, B. und Brauherr in der Rosenstraße. Mutter: Fischer, geb. Schultzen, Eva Catharina. Im Traubuch von Luisenstadt in Berlin ist folgende Trauung beurkundet: Herr Carl Ludewig Fischer Bürger und Braueigen allhier; mit Jungfer Johanna Dorothea 76 Wilhelmine Hoffmann des Bürger und Braueigen Herrn Carl Wilhelm Hoffmann ehelichen ältesten Jungfer Tochter Hochzeit 9. April 1799. Im Totenbuch von Jerusalem in Berlin ist weiterhin beurkundet: Carl Ludewig Fischer, Krausen Straße No. 70, Bürger und Brauherr, 39 Jahre 3 Monate alt, hinter!.: die Witwe keine Kinder aber noch die Mutter 4 Brüder und 4 Schwestern verstorben 11. Januar 1810 Früh 3/4 11 Uhr - beerdigt 14. Januar 1810 (Krankheit: Nervenfieber). Dem Bildhauer ist in der Allgemeinen Deutschen Bibliographie (ADB) 42. Band, Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot, 1897, eine ganze Seite gewidmet. Danach wurde Karl Friedrich Wichmann, Bildhauer, 1775 in Potsdam geboren. Er war Schüler seines Vaters, später unter anderem auch von Gottfried Schadow, war einer von dessen engsten Mitarbeitern und Freund von Rauch. Nach einem Aufenthalt in Italien richtete er sich 1821 mit seinem jüngeren Bruder Ludwig ein gemeinsames Atelier ein. Dieser, der bedeutendere, schuf unter anderem Skulpturen für das Schinkel-Denkmal auf dem Kreuzberg. Von Carl Wichmann, der 1826 Mitglied der Akademie der Künste wurde, stammt vornehmlich Porträtplastik, unter anderem die Büste des Ministers Hardenberg in der Dorotheenstädtischen Kirche sowie Porträts fürstlicher Persönlichkeiten in Berlin und Petersburg. Sein - 1943 zerstörtes - Hauptwerk war die Sitzstatue der Zarin 77 Alexandra Feodorowna von 1827 im Schloß Charlottenburg. In der Ausstellung „Abbilder - Leitbilder, Berliner Skulpturen von Schadow bis heute", die vom 20. Mai bis zum 23. Juli 1978 in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses veranstaltet wurde, war Carl Wichmann mit einer Marmorbüste von Karl Georg v. Raumer (1825) vertreten. Im Katalog der Ausstellung schreibt Professor Helmut Börsch-Supan: In Naglers Künstlerlexikon ist sein Stil treffend beschrieben. Danach zeichnen sich „sämtliche Werke dieses Künstlers durch Schönheit und Grazie der Form aus, und in ihrem beseelten Wesen nähern sie sich häufig der Malerei". Carl Wichmann ist 1836 verstorben. Die Überlegungen, wo diese künstlerisch bedeutende und ausdrucksstarke Büste aufgestellt werden könnte, führten zum Berlin-Museum, zum Institut für Gärungsgewerbe und Biotechnologie sowie schließlich zum Wirtschaftsverband Berliner Brauereien. Dort hat die Plastik am 27. April 1978 ihren zugleich passenden und würdigen Standort gefunden. Sie erinnert an die Frühzeit des Berliner Braugewerbes und verkörpert zugleich das klassische Menschenbild zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Anschrift des Verfassers: Dr. Hans G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13 Nachrichten Bellevue - bessere Aussichten für die Zukunft Seit genau zwanzig Jahren ist das Schloß Bellevue am Rande des Tiergartens wieder aufgebaut und dient als Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten. Der Zweite Weltkrieg hatte große Zerstörungen an dem frühklassizistischen Bauwerk, 1785 von Philipp Boumann im Sinne des sogenannten Zopfstils erbaut, angerichtet. Unsere Besichtigung am 7. Juni 1979 hinterließ einen sehr zwiespältigen Eindruck von seinem Neuaufbau. Die Fassade wurde mit dem erst 1938 angelegten Mitteleingang wiederhergestellt, wobei die ursprünglichen beiden Eingänge an den Enden des Mittelbaus nicht wieder eingebaut wurden. Diese durch die jetzige Funktion vielleicht zu rechtfertigende Änderung ist jedoch hier nicht der Ansatzpunkt der Kritik. Vielmehr ist es die Gestaltung der Innenräume, die dazu Anlaß gibt. Sie sind bis auf eine rühmliche Ausnahme nicht restauriert worden und zeigen dem heutigen Besucher ein (weder dem Bauwerk noch dem Zweck angemessenes) Bild mit unterschiedlichsten Einrichtungsgegenständen und problematischer Innenarchitektur. Will man die Räume weiterhin zur staatlichen Repräsentation nutzen, wären z.B. Rekonstruktionen sinnvoll, so wie sie beim ovalen Festsaal, 1791 von Gotthard Langhans geschaffen, vorgenommen wurden. Die anderen Zimmer, die sich nicht wiederherstellen lassen, sollten von Innenarchitekten geschmackvoll und dezent gestaltet werden. Mit diesen Baumaßnahmen würde nicht nur Berlin ein wertvolles Bauwerk gewinnen, sondern die Bundesrepublik sich ihrer Bedeutung gemäß ihren Gästen darbieten können. Es bleibt zu hoffen, daß der neue Bundespräsident Karl Carstens hierzu die Initiative ergreift. Rüdiger Brauer 75 Jahre Zucker-Museum in Berlin Das Zucker-Museum als der Traditionsträger des ehemaligen Instituts für Zuckerindustrie hat in Berlin als der historischen Welthauptstadt des Rübenzuckers einen Standort besonderer Art: 1747 entdeckte Andreas Sigismund Marggraf (1709 bis 1782), der berühmteste Chemiker seines Jahrhunderts im deutschen Sprachraum, in Berlin den Zucker in der Rübe. 1798 fabrizierte Franz Carl Achard (1753 bis 1821) im heutigen Berlin-Kaulsdorf den ersten Rübenzucker, den er in der „Berlinischen Zuckersiederey Compagnie" raffinieren ließ. 1867 schließlich gründete Carl Scheibler 78 (1827 bis 1899) das erste Zuckerinstitut der Welt, das zugleich das älteste Industrieinstitut der Erde im Lebensmittelbereich war und 111 Jahre bestanden hat. Das am 8. Mai 1904 in der Amrumer Straße 32 im Wedding eröffnete Zucker-Museum ist das älteste und bedeutendste seiner Art. Seit dem 1. Januar 1978 gehört es zur Technischen Universität Berlin. Diese hat sich jedoch zur Rückgabe des Museums an das Land Berlin verpflichtet, sobald die Pläne zur Errichtung eines naturkundlichen Museums in Berlin realisiert werden sollten. Dem traditionsreichen Zucker-Museum ist zu wünschen, daß es in einem angemessenen Rahmen auch künftig seine segensreiche Arbeit fortsetzen kann. H. G. Schultze-Berndt Um den neunten Stadtbezirk in Ost-Berlin Nachdem 1977 bereits die ersten 200 Wohnungen des als neunter (Ost-)Berliner Stadtbezirk herausgestellten Neubaugebiets für hunderttausend Einwohner im Nordosten Berlins fertiggestellt worden waren, soll bis 1980 das erste Wohngebiet vollständig bezugsfertig sein. Hierbei bedient man sich, beispielsweise beim Hochbau, neuer Methoden, wo die Badzellen gleichzeitig als Container für die Türen, Küchenmöbel und Herde genutzt werden. Ohne auf das Politikum der Errichtung eines neuen Bezirks einzugehen, der gegen die Viermächtevereinbarungen über Groß-Berlin verstößt, sei hier dem Chefarchitekten Roland Korn zu diesem Bauvorhaben das Wort gegeben. „. . . Die Dorfaue Marzahn ist ein typisches Beispiel für das Gefüge und die Bebauung alter märkischer Dörfer . . . Wir führten Untersuchungen und Analysen durch, nach deren Ergebnissen dann die zu erhaltenden historischen und für dieses Gebiet typischen Gebäude festgelegt worden sind. Wir haben uns bei der Auswahl beschränken müssen, denn schließlich muß der finanzielle Aufwand für solche Rekonstruierungen auch ökonomisch vertretbar sein. Im historischen Dorfkern Marzahn sollen gesellschaftliche Einrichtungen des Handels, der Gastronomie und des Dienstleistungsbereichs errichtet werden. Das Dorf ist als ein Nebenzentrum im 9. Stadtbezirk gedacht. . ." H. G. Schultze-Berndt „Gemeinnützige Sammlung der Gründerzeit" Als Ergebnis seines 40jährigen Sammeins präsentiert Lothar Berfelde allsonntäglich in BerlinMahlsdorf seine „Gemeinnützige Sammlung der Gründerzeit". 1978 waren es trotz des abgelegenen Ortes und der begrenzten Öffnungszeit rund 5000 Besucher, die sich diese für Berlin kulturgeschichtlich bemerkenswerte Ausstellung ansahen. Sie umfaßt beispielsweise ein neogotisches Speisezimmer von 1900, ein Wohnzimmer in Neorenaissance von 1890, einen Damensalon von 1891, ein Jagdzimmer von 1892 und einen „Großen Saal". Zur Unterhaltung trägt ein Tanzsaal-Orchestrion bei, das noch bis 1957 in einer Gaststätte in Eichwalde aufgestellt war. Man erfährt bei einem Rundgang, daß die Bezeichnung „Vertiko" auf den Berliner Tischlermeister Otto Vertiko zurückgeht. Im Keller des Hauses ist eine der letzten Original-Berliner Kneipen mit Biertresen, wenn auch leider ohne Ausschank, zu sehen. Es handelt sich um die ehemalige „Mulackritze", die zwischen Gormannstraße und Mulackstraße gelegen war und Heinrich Zille, Bertolt Brecht, Ciaire Waldoff und andere Künstler zu ihren Gästen zählte. H. G. Schultze-Berndt Ausstellung zur Denkmalpflege im Bezirk Prenzlauer Berg Eine Ausstellung „Denkmalpflege im Stadtbezirk Prenzlauer Berg" informierte in diesem Frühjahr im Kreiskulturhaus Prater in der Kastanienallee anhand von Schautafeln, Fotos und Plastiken über die 43 Objekte, die in diesem Bezirk unter Denkmalschutz stehen. Dazu gehören z.B. der 1875 als Hebewerk errichtete Wasserturm (heute Wohnhaus), das gegenwärtig erfaßte älteste und 79 zugleich kleinste Haus vom Prenzlauer Berg Kastanienallee 77 von 1840 und das Denkmal für Alois Senefelder (1771 - 1834), den Erfinder des Steindrucks, in der Schönhauser Allee. Von unseren Mitgliedern Mitgliederversammlung 1979 Der Vorsitzende Dr. G. Kutzsch konnte auf der ordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins für die Geschichte Berlins am 24. April 1979 im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg 54 Mitglieder begrüßen. Im vergangenen Jahr sind dem Verein 81 Mitglieder beigetreten, er zählt damit 875 Mitglieder. Zur Totenehrung für die nachstehenden vierzehn Mitglieder erhoben sich die Anwesenden von ihren Plätzen: Johannes Benecke, Johannes Dornemann, Hans Günther, Professor Dr. Georg Haeseler, Walter Jaroschowitz, Hildegard Krause, Dr. Joachim Kühn, Dorothea Macholz, Margarete Rettig, Professor Dr. Wilhelm Richter, Alois Rohde, Dr. Gerhard Siewert, Elisabeth von Strubberg, Dr. Johannes Stumm. Da der Tätigkeitsbericht des Schriftführers vervielfältigt vorlag (und auch im Jahrbuch 1979 abgedruckt wird), wurde auf seine Verlesung verzichtet. Schatzmeisterin Frau R. Koepke erstattete den Kassenbericht auf der Grundlage des den Mitgliedern gleichfalls vorliegenden Jahresabschlusses 1978 und des Voranschlags 1979. Sie dankte den Mitgliedern für ihre gute Zahlungsmoral und bat auch künftig um korrekte Überweisungen des Beitrages. Für die Betreuer der Bibliothek erstattete H. Schiller den Bibliotheksbericht. Die Kassenprüfer Degenhardt und Kretschmer hatten aus der Kassenprüfung am 2. März 1979 keine Beanstandungen vorzutragen, dies gilt auch für die Bibliotheksprüfer Schlenk und Mende, die mit dem Ergebnis ihrer Prüfung vom 30. März 1979 außerordentlich zufrieden waren, allerdings eine Überarbeitung der Benutzerordnung für die Bibliothek empfahlen. Eine Diskussion über „Trivialliteratur" und deren Bedeutung für unsere Bibliothek schloß sich an. Landgerichtsrat a. D. Rechtsanwalt D. Franz beantragte die Entlastung des Vorstandes und verband diese mit einem Dank für die geleistete Arbeit. Nach der einmütig ausgesprochenen Entlastung fungierte er als Wahlleiter. Dem Vorschlag des Vorsitzenden wurde in Einzelabstimmung mit dem folgenden Ergebnis bei einzelnen Enthaltungen entsprochen (für zwei Beisitzer wurde eine Gegenstimme abgegeben): Geschäftsführender Vorstand: 1. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch 1. Stellvertretender Vorsitzender: Hans-Werner Klünner 2. Stellvertretender Vorsitzender: Günter Wollschlaeger 1. Schriftführer: Dr. Hans Günter Schultze-Berndt Stellvertretender Schriftführer: Albert Brauer Schatzmeister: Frau Ruth Koepke Stellvertretender Schatzmeister: Frau Leonore Franz Beisitzer: Professor Dr. H. Engel, F. Escher, J. Grothe, Frau I. Köhler, Dr. P. Letkemann, C. P. Mader, Professor Dr. M. Sperlich, Dr. J. Wetzel. Im Namen des Vorstandes dankte Dr. G. Kutzsch dann für das ausgesprochene Vertrauen. Die Wiederwahl der bewährten Mitglieder Degenhardt und Kretschmer zu Kassenprüfern erfolgte einstimmig. Anstelle von Herrn J. Schlenk wurde Frau I. Bannier neben Herrn M. Mende als Bibliotheksprüferin gewählt. Da die Leistungen des Vereins unter anderem in Form der „Mitteilungen", des Jahrbuches und der Schriften in keinem rechten Verhältnis mehr zu dem vor vier Jahren letztmalig festgesetzten Mitgliedsbeitrag von jährlich 36 DM stehen, hatte der Vorstand besonders im Hinblick auf die überdurchschnittlich gestiegenen Druckkosten und Porto den Vorschlag unterbreitet, den Jahresbeitrag 80 mit Wirkung vom 1. Januar 1980 auf 48 DM zu erhöhen. In der Diskussion wurden Argumente für und wider diesen Antrag zu Felde geführt, mit nur einer Gegenstimme bei zwei Enthaltungen wurde dann aber dem Vorschlag des Vorstandes entsprochen. Einige Mitglieder beteiligten sich dann an der Aussprache über Fahrten des Vereins in die andere Stadthälfte und in die Nachbarschaft Berlins, wobei Fragen der zweckmäßigsten Organisation und Bekanntmachung angeschnitten wurden. Nach genau zweistündiger Dauer konnte der wiedergewählte Vorsitzende Dr. G. Kutzsch die Mitglieder mit einem Dank für ihr Interesse verabschieden. H. G. Schultze-Berndt Franz Berndal 80 Jahre Am 26. März 1979 konnte unser langjähriges treues Mitglied Franz Berndal, Schauspieler, Genealoge, Vortragender und Schriftsteller, dem eine Tageszeitung das Prädikat „Berliner Dichter" zuerkannte, sein 80. Lebensjahr vollenden. Absolvent des Askanischen Gymnasiums und späterer gelernter Bankkaufmann, schlug doch das Blut seines Großvaters, des Königlichen Hofschauspielers Karl Gustav Berndal, in ihm durch, er entschied sich für die Laufbahn eines Schauspielers und hat nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1966 auf den Bühnen des Hebbel-Theaters, des SchillerTheaters und des Schloßpark-Theaters gestanden. Von da an hat er nur noch als Schriftsteller gewirkt. Schon vor mehr als einem halben Jahrhundert mit einem Lyrik-Preis ausgezeichnet, dem dann noch viele andere Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften und Preise folgten, hat sich Franz Berndal in vielen Veröffentlichungen in Zeitungen und (schon seit 1926) auch im Hörfunk vornehmlich mit Berlin und seinen Menschen beschäftigt. Seine Gedichte sind auch in Buchform erschienen, zum Teil in Berliner Mundart wie die Bände „Det kann nur een Berliner sein" und „Herz für Berlin", zu denen sich in jüngster Zeit noch die Lyrikbände „Von Mensch zu Mensch" und „Begegnung mit dem Leben" sowie „Stille" hinzugesellten. Das Buch „Kröne dein Leben" ist soeben ausgeliefert worden. Franz Berndal, der vierzig Jahre im alten „Geheimratsviertel" gewohnt hatte, bis er vor sechs Jahren in die Künstlerkolonie am Breitenbachplatz übersiedelte, wurde an seinem Geburtstag im JacobiSaal des Gemeindehauses der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Wort und Gesang gewürdigt und geehrt. Nach einleitenden Worten von Pfarrer Kupsch sprachen Horst Behrend und Sozialstadtrat Heinschke, der die Grüße des Bezirks Charlottenburg mit denen des Berliner Autorenverbandes verband. Einem Grußwort von Kirchenrat Herbert Kriwath, dem der Jubilar aus vielfältiger kirchlicher Arbeit verbunden ist, schloß sich ein vom Sänger Langenfels vom Club Romantique vorgetragenes eigenes Gedicht an. Franz Berndal ist Ehrenmitglied dieses Clubs, dessen Leiterin Adeli Richter unter den Gästen weilte. Nachdem der Jubilar seiner Rührung über die Fülle der ihm dargebrachten Ovationen Ausdruck gegeben hatte, folgte ein musikalisches Programm, in dessen Verlauf Kantor Feldbach Balladen von Loewe vortrug, Frau Maria Eggemann, tatkräftige und ideenreiche Mäzenin Berndais, ein neues Gedicht aus dessen Feder rezitierte, und die Konzertsängerin Karena WilhelmFrieberg sieben „Lieder der Stille" des Jubilars sang, die Julian Werner Kuck vertont hatte. Übrigens hat auch der Komponist Alexander Ecklebe mehrere Gedichte Berndais vertont. Er war ebenso Geburtstagsgast wie Gerhard Gothe, der die Einführung zu Berndais neuem großen Lyrikauswahlband „Kröne dein Leben" geschrieben hat, auf den hier ausdrücklich hingewiesen wird (172 Seiten, 17,50 DM). Von dieser Stelle seien dem Jubilar herzliche Grüße aller Mitglieder und ein „Gott befohlen" für die Zukunft übermittelt. Schultze-Berndt * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Luise Bucher, Herrn Dr. Werner Engel, Herrn Dieter Möhring, Herrn Walter Schaefer, Herrn Heinz Schünemann, Herrn Kurt Schulze-Danneberg; zum 75. Geburtstag Herrn Ernst Alberts, Herrn Dr. Paul Hövel, Frau Anneliese Pinnow, Frau Charlotte Wodrich; zum 80. Geburtstag Frau Charlotte Nydahl, Frau Elisabeth Runge, Herrn Gustav Vogel; zum 85. Geburtstag Frau Gertrud Dreusicke, Herrn Johannes Freida. 81 Buchbesprechungen Verfassung von Berlin, Kommentar. Hrsg.: Gero Pfennig und Manfred J. Neumann. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1978. XXXIV/358 S., Ln., 86 DM (Sammlung Guttentag). Die Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 - damals von der Stadtverordnetenversammlung nach einer kontroversen Erörterung zwischen der SPD, CDU und LPD einerseits und der SED andererseits beschlossen - ist bereits im Jahre 1951 kommentiert worden. Der verdienstvolle Kommentar von Landsberg und Goetz ist durch die Zeitereignisse in manchem überholt. Damals konnte man noch hoffen, daß sich die vielfältigen Schwierigkeiten, denen sich die Stadt gegenübersah, in absehbarer Zeit beheben oder wenigstens mildern ließen. Der jetzt vorliegende Kommentar der Verfassung von Berlin, von den Herausgebern und weiteren fünf Juristen aus Wissenschaft und Praxis bearbeitet, ist in der bewährten Sammlung Guttentag erschienen. Hier liegt ein sehr gediegenes Werk vor, das sorgfältig die Rechtsprechung auswertet und sich mit Zweifelsfragen auseinandersetzt. Eine gesicherte Rechtsprechung in verfassungsrechtlichen Fragen lag den Kommentatoren allerdings nicht vor, da es - eine Folge der politischen Probleme kein für Berlin zuständiges Verfassungsgericht gibt. Das Bundesverfassungsgericht andererseits ist für das Land Berlin nicht zuständig, da es zu den obersten Verfassungsorganen der Bundesrepublik zählt und seine Rechtsprechung als Ausdruck unmittelbarer staatlicher Hoheitsausübung angesehen wird, die der Bundesrepublik in Berlin nicht zusteht. Da die Westmächte keine Maßnahmen getroffen haben, die die verfassungsrechtliche Zugehörigkeit zum Bund ausschließen, sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in ihrem materiellen Gehalt dennoch für Berlin kraft des Grundsatzes der sog. Bundestreue bedeutsam und richtunggebend. Berlin ist nach dem Willen seiner Verfassungsgeber „ein Land der Bundesrepublik Deutschland". Diese in Artikel 1 getroffene Bestimmung ist zwar mit Rücksicht auf den Besatzungsvorbehalt zum Grundgesetz in Artikel 87 der Verfassung von Berlin eingeschränkt, die Bundeszugehörigkeit Berlins damit jedoch nicht aufgeschoben worden. Die nach dem Grundgesetz (Artikel 23) bereits bestehende Bundeszugehörigkeit Berlins sollte nach dem Willen der Berliner Verfassungsgeber nicht gemindert werden. Dementsprechend ist Berlin nahezu vollständig in das Gerichts- und Rechtssystem der Bundesrepublik eingegliedert. Das Bundesverwaltungsgericht und der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs haben ihren Sitz in Berlin. Die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Finanz-, Arbeits-, Verwaltungs-, Steuer- und Sozialgerichtsbarkeit wenden dieselben materiellen und prozessualen Bestimmungen an, so daß auch die entsprechenden obersten Bundesgerichte als Rechtsmittelinstanzen fungieren können. Die Verfassung von Berlin - wie die anderer Bundesländer - enthält in ihrem Abschnitt 11 den Grundrechtskatalog. Die vielen rechtlichen Fragen, die sich für Berlin aus dem Verhältnis der grundsätzlich vorgehenden Bundesgrundrechte zu den Landesgrundrechten ergeben, sind in der Kommentierung eingehend und gut begründet dargelegt. Berlin ist Land und Stadt zugleich. Artikel 3 Absatz 2 lautet: „Volksvertretung, Regierung und Verwaltung nehmen die Aufgaben Berlins als Gemeinde, Gemeindeverband und Land wahr." Berlin ist als Stadt Einheitsgemeinde. Die Erwähnung des Gemeindeverbandes ist historisch zu erklären, da die Stadt durch das preußische Gesetz betr. die neue Stadtgemeinde Berlin von 1920 auch Aufgaben einer früheren Provinz (als Gemeindeverband) übernommen hatte. Da Staat und Gemeinde keine verschiedenen Rechtssubjekte sind, Landes- und Kommunalverwaltung nicht getrennt sind und ihre Aufgaben größtenteils von denselben Organen ausgeführt werden, ist es für den Laien nicht ohne weiteres zu erkennen, wann Berlin als Staat und wann es als Kommune handelt. Für die Praxis ist diese Frage gewöhnlich unerheblich. Die einzelnen Aufgaben des Staatswesens, nämlich die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt in der Volksvertretung, die der Exekutiven in Regierung, Verwaltung und Finanzwesen und die der judikativen Gewalt in der Rechtspflege, sind gründlich dargestellt. Es würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, auf diese Vorzüge im einzelnen einzugehen. Das Werk verfügt über ein eingehendes und hilfreiches Sachregister. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, daß alle Autoren sich um eine Darstellung bemüht hätten, die in Praxis, Politik, Unterricht und Studium sinnvoll Verwendung finden könne. Dieses Ziel ist erreicht; der Fachmann wie der interessierte Laie werden das Buch mit Befriedigung benutzen. Dietrich und Leonore Franz 82 Karl Friedrich Klöden: Von Berlin nach Berlin. Erinnerungen 1786-1824. Hrsg. v. Rolf Weber. Berlin (Ost): Verlag der Nation 1976. 524 S. m. Abb., Ln., 15,80 DM. Die Neuausgabe einer der originellsten Biographien der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durch Rolf Weber verdient den Dank der nach historischen Quellen (z.B. aus der Zeit König Friedrichs II. bis Friedrich Wilhelms III.) aus Berlin suchenden Leser. Das von K. F. Klödens Enkel bereits 1870 herausgegebene, unvollendete Maunskript enthält in der Schilderung des Lebensweges des großen Berliner Schulmannes, der als Berliner Stadthistoriker eine erbitterte Fehde mit Ernst Fidicin austrug, Einzelheiten aus dem Alltag verschiedener Bevölkerungskreise ebenso wie Charakterbeschreibungen namhafter Gelehrter, Bedrückende äußere Umstände begleiteten die geistige Entwicklung des anfänglich in einer Berliner Kaserne aufwachsenden und schulisch wenig betreuten Jungen. Nachdem er - offenbar als Spätentwickler - durch Begegnung mit Abenteuerliteratur eine Begeisterung für die Welt empfangen hatte, war er von einem gewaltigen Wissensdurst und unermüdlichem Lerndrang beseelt, sowie es die Gegebenheiten des kleinen preußischen Landstädtchens, in das der Vater versetzt worden war, erlaubten. Erst die Rückkehr nach Berlin zur Goldschmiedelehre bei seinem Onkel gibt ihm die Gelegenheit, nebenbei Sprachen zu lernen und sich das Zeichnen sowie das Gravieren anzueignen. Der wesentliche Zufall ist für ihn, freier Mitarbeiter bei dem bekannten Landkartenverlag Schropp zu werden. Unaufhörliches Lesen aller erreichbaren Literatur bringt Klöden soviel Wissen, daß er gute Kontakte zum Privat-Seminar von Piamann und zu Lehrern der Universität bekommt. Das genehmigte Hochschulstudium und das Praktizieren der neuen Lehrart des Schweizer Pädagogen Pestalozzi in der Berliner Schule bestimmen endgültig seinen Aufstieg zum Direktor des Seminars in Potsdam und zum Schluß als Direktor der ersten Gewerbeschule und des ersten Realgymnasiums unter Berlins tatkräftigem Bürgermeister v. Bärensprung. Leider enden damit (im Jahre 1824) die interessanten Aufzeichnungen, die sich wie ein Roman lesen. Fritz Bunsas Heinz-Georg Klos: Berlin und sein Zoo. Berlin: Haude und Spener 1978. 160 S. m. 110 Abb., Pappbd., 16,80 DM (Berlinische Reminiszenzen, 50). Zoodirektor Heinz-Georg Klös gibt ein eindrucksvolles Bild des Berliner Zoologischen Gartens und seiner Entwicklung, die alle Freunde des Zoos interessieren wird. Man erfährt, wie das Verständnis für die ausgestellten Tiere langsam gewachsen ist und sich ihr (trauriges) Gefangenenschicksal nach und nach verbesserte. Es begann mit einem fürstlichen „Hetzgarten", von dessen Zuschauertribüne man zusah, wie starke Hunde oder Wölfe auf andere Tiere gehetzt wurden. Für diese „öffentliche Belustigung" gab es bereits Löwen, Tiger, Bären und andere Tiere. Der Tiergarten war eingegattert und diente der Jagd. Friedrich III., den späteren König Friedrich I., bezeichnet Klös als „großen Nimrod und Freund aller Tiere", zwei Eigenschaften, welche wohl schwer vereinbar sind. Friedrich II. war kein Jäger, er ließ den Tiergarten durch Knobelsdorff zu einem Waldpark umgestalten, im südwestlichen Teil entstand eine Fasanerie, aus der die Hofküche beliefert wurde. Das Fasanengelände wurde zum heutigen Zoologischen Garten, den man am 1. August 1844 für die Berliner öffnete. Man muß dem Autor dankbar sein, daß er immer wieder verständnisvoll auf die Leiden der Tiere hinweist. Viele der überseeischen Tiere, welche für Zoologische Gärten bestimmt waren, erreichten Europa nicht lebend, andere gingen im Garten unter dem Freiheitsentzug ein. Die Käfige waren sehr eng; Bären befanden sich im „Bärenzwinger". Ein Bild zeigt die trostlose Unterbringung von Bären in einer „Bärengrube" - schon das veranschaulicht. Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erweiterte der Zoologische Garten sein Programm mit Völkerschauen. Eskimos, Nubier, Lappen, Kalmücken, Feuerländer u.a. konnten von den Berlinern bestaunt werden. Eine Gruppe von acht Labrador-Eskimos überlebte ihr „Gastspiel" nicht, sie starb „trotz zweimaliger Impfung" (oder wegen?) an den Pocken. Um die Jahrhundertwende entstanden Prunkstücke von eindrucksvollen Bauten nach Vorbildern aus der Heimat der gefangenen Tiere, die Tiere selbst mußten aber weiterhin auf engem Raum hinter Gittern vegetieren. Erst in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts begann man gitterlose Freianlagen zu bauen. Sie geben dem Besucher den Eindruck von Freiheit und den Tieren doch Erleichterung ihrer Gefangenschaft. Wenn man aber bedenkt, daß es immer noch große Tiere gibt, die niemals eine ihnen angemessene Bewegung, z.B. einen Lauf, unternehmen können, dann kann 83 man sich vorstellen, was der Freiheitsentzug körperlich und seelisch für diese Tiere bedeuten muß. Es ist ein aufschlußreiches Buch, welches trotz seiner schönen Fotos nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß auch in einem „modernen" Zoo Tiere hauptsächlich Schauobjekt für den Besucher sind und den ihnen angeborenen gesunden Neigungen meist nicht folgen können. Zu den schönen und ungetrübten Seiten des Berliner Zoologischen Gartens gehören die herrlichen Grünanlagen und die alten Bäume, der „Vierwaldstätter See" - eine seelenberuhigende Oase in der Großstadt. Vera Gottke Hans Scholz: Wanderungen und Fahrten in die Mark Brandenburg. Bd. 4. Berlin: Stapp 1976. 184 S. u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM. dass.: Bd. 5. Berlin: Stapp 1977. 176 S. u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM. dass.:Bd. 6. Berlin: Stapp 1978. 192 S. u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM. Für alle, in deren Jugend die Heimatkunde zu kurz kam, und das dürfte die meisten von uns betreffen, können die Bücher von Hans Scholz ein fesselnder Nachhilfeunterricht sein. Ein vom Thema und von seiner Aufgabe begeisterter, freundlicher Lehrer führt uns durch unsere nahe Umgebung, die wir so wenig kennen. Man wünscht sich, neben Scholz zu wandern und seinen Erklärungen zu lauschen. Die Fülle seiner genauen Beobachtungen überrascht immer wieder von neuem. Neben seiner Menschenund Geschichtskenntnis, ist es seine große künstlerische Begabung, die ihn gründlicher hinsehen läßt. Die Reproduktion der wunderschönen Aquarelle, deren Anblick so positiv stimmt, sind eine weitere Bereicherung seiner Bücher. Band 4: Dieses Buch hat Jüterbog mit Umgebung zum Hauptthema. Es beginnt mit dem Fürstentag 1611. Damals zählte man die Begleitung der Fürsten nach Pferden und nicht nach Personen; sie betrug 1112 Rösser. Scholz befaßt sich dann mit der„heydnischenGreul" und dem neurotischen Verhältnis derMärker zu ihren heidnischenAhnen.-AuchLuther fand das Land noch voller Teufel. - Da Scholz für den Ablaßhandel uns heute geläufige Ausdrücke aus der Staats-Ökonomie verwendet, wird dem Leser die doch sonst recht unverständliche Materie klar. Tetzel verbrannte danach Luthers Thesen auf dem Marktplatz von Jüterbog. Elisabeth, Gemahlin des Kurfürsten Joachim I. flüchtete, mit Zwischenstation in Jüterbog, nach Sachsen, weil sie heimlich zum neuen Glauben übergetreten war; welche Aufregung um diesen Übertritt. Was der Leser aber bisher kaum wußte: Sie nahm die Schuldscheine ihres Bruders, Christians II. („der Böse" von Dänemark) mit, nach heutiger Schätzung ein Wert von weit über 20 Mio. Mark, die sie ohne Einbruch in die kurfürstliche Kanzlei kaum bekommen haben kann. In dem aufregenden Band folgt dann eine Schilderung des Spreewaldes und von Schloß Lübbenau. Der Leidensweg von Hans Kohlhase („Michael Kohlhaas"), der den neuen Rechtsweg ehrlich beschreiten wollte, dabei aber keine Unterstützung der Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen erhielt, und darum scheitern mußte, schließt sich an. Die Schilderung der Burg Eisenhardt in Beizig und die Lehniner Weissagung sind die weiteren Themen dieses Buches. Band 5: Der Autor beginnt mit der Brandenburg und den Herulern auf ihrer Nordwanderung. Er versucht mit Ausdauer, die Vorurteile, die aus der „Slawophilie" des vorigen Jahrhunderts entstanden sind, und die wir noch lange nicht abgelegt haben, abzutragen. Denn: „Sclaveni" bedeutet seiner Auffassung nach nicht Slawen! Bis 1526 befand sich eine Triglaw Statue in Brandenburg, sie wurde König Christian II. von Dänemark überlassen und ist nun verschollen. Der Abriß der berühmten MarienKirche auf dem Harlunger Berg durch den Soldatenkönig und der Schaden, den die Kulturlandschaft Brandenburg dadurch erlitt, ist nicht recht zu ermessen: zuerst der 30jährige Krieg und dann dies. In Rathenow und Rhinow erlebte Hans Scholz das Kriegsende. - Am Gollenberg bei Stölln verunglückte Otto Lilienthal tödlich. Erschütternde Schilderungen des Untergangs bekannter Familien 1944 und Vertreibungen 1945. Bahnhof Lichtenberg. Neustadt/Dosse. Bad Wilsnak mit Wallfahrtsrummel. Fehrbellin. - Momentaufnahmen und persönliche Erlebnisse. Band 6: Ein Buch mit besonders vielen Wanderungen und Fahrten. Scholz führt uns von Nauen nach Friesack, nach Havelberg, Potsdam und Babelsberg, Zeuthen, Kyritz, Wittstock, Jerichow, Tangermünde und Stendal. Viele andere Orte berührt er dabei kurz, und über den Aufenthalt auf dem Bahnhof Henningsdorf erfreut er den Leser mit einer sehr gelungenen lyrischen Betrachtung. Eine „seelenbeflügelnde Weite des Eibtals" beim Ausblick von Tangermünde. Scholz ist zugleich Schriftsteller, Reporter, Künstler, Lyriker, Historiker, Forscher, Erzieher und ganz bestimmt noch mehr. Über den gelegentlich von ihm erwähnten „Westdrall" der Berliner möchte man gerne mehr hören. Unverständlich bleibt jedoch, warum der Autor es Bismarck anlastet, daß das Reich nur 74 Jahre ange- 84 dauert hat. Die Ansichten von Scholz über die ältere und jüngere Vergangenheit kann man vielleicht - sicher - nicht alle teilen, man kann sie j edoch stets respektieren. Zeitweise hat man den Eindruck, daß der Autor etwas zu depressiv ist, weil er sich „alt" findet. Solche Gedanken sollte man ihm ausreden. Wer derart lebendige Bücher schreibt, der ist wirklich nicht alt, ganz abgesehen von seiner Wanderleistung über viele Kilometer. Vera Gottke Wilhelm Lux: Von der Wolga zur Bernauer Straße. Berlin: Verlag Die Arbeitswelt 1979. 000 S. m. Abb., brosch. Mit seinen Erinnerungen eines Berliners aus der Zeit des 2. Weltkrieges bis zum Bau der Mauer in unserer Vaterstadt ruft der Verfasser alle - besonders aber die heutige Generation - auf, die geschichtlichen Lehren der Vergangenheit nicht zu vergessen! Leider betrachten heute viele Menschen diese Jahre schon als ein weit zurückliegendes „Märchen" - besonders, wenn sie diese Jahrzehnte nicht selbst erlebt haben. Gedanken und Gespräche von aufrechten Demokraten, die von den oft entsetzlichen Ereignissen damals betroffen wurden, geben dem aufmerksamen Leser ein klares Bild der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, eine richtige Antwort auf die heute oft verwundert gestellte Frage: Wie konnten die Deutschen diese Diktatur von 1933 bis 1945 mitmachen? Den Zeitgenossen schien dies einfach: Auf der einen Seite zeigten sich Reichtum und Korruption sowie versagende Parteien; dagegen standen auf der anderen Seite zwei radikale Arbeiterparteien mit einem Reservoir von 6 Millionen Arbeitslosen und ihren Familien, die verzweifelt auf einen Halt während der Fahrt in den sichtbaren Abgrund hofften. Da die meisten keine Sowjet-Diktatur wollten, wählten sie als „vorletzte" Chance deren schärfsten Gegner. So konnte der Reichspräsident die Bildung einer „nationalen" Regierung veranlassen. Weil Militär, Industrie und Banken ebenso wie die Geldgeber mitmachten, kam der unvorstellbare Aufschwung. Mit dem dann folgenden Größenwahn - ein Kennzeichen aller Diktaturen - ging es dann nach den friedlichen Erfolgen und den Blitzsiegen bis in das totale Chaos. Unter diesen Folgen erlebten - nach dem Ende des Krieges - die Berliner mit der Blockade, dem Aufstand vom 17. Juni 1953 und dem Bau der Mauer am 13. August 1961 die schlimmsten Zeiten. Jeder Zeitgenosse, der alles dieses mitgemacht hat, muß Wilhelm Lux für seinen Mut zum Versuch einer objektiven Darstellung dankbar sein. Fritz Bunsas Berlin . . . ma so jesehen . . . von Alex und Oskar. (Ähnlichkeiten mit lebendije Personen oda jewisse örtlichkeiten, ooch Insitutsjonen jenannt, sinn janz ßufällich!) Berlin: Stapp Verlag 1978. brosch., 81S., 12,80 DM. Alex und Oskar, die sich nur mit dem Vornamen vorstellen, haben gemeinsam einen bebilderten Gedichtband vorgelegt, der auch etwas Prosa enthält. Zumeist werden die Poeme in berlinischer Mundart wiedergegeben. Wo sie nicht zeitkritisch sind, sind sie doch wenigstens zeittypisch, z.B. auf Seite 31 „Paritätische Mitbestimmung in Kommunalbetrieben". Manche Gedichte erscheinen etwas sentimental-unberlinerisch. Einen sehr freien, zu Herzen gehenden Ton trifft Alex in seinem der Knef gewidmeten Gedicht „Der Star". Oskar zeigt sich mehr von seiner betulichen Seite. H. G. Schutze- Berndt V o n den früheren Ausgaben des Jahrbuchs DER BÄR VON BERLIN sind noch folgende Bände erhältlich: 1 9 5 3 , 1 9 5 7 / 5 8 und 1960 je 4,80 D M ; 1 9 6 1 , 1 9 6 2 , 1963 und 1964 je 5,80 D M ; 1965 (Festschrift) 38 D M ; 1 9 6 6 , 1 9 6 7 , 1968 und 1969 j e 9,80 D M ; 1971 und 1972 je 11,80 D M ; 1 9 7 3 , 1 9 7 4 und 1975 je 12,80 D M ; 1976 und 1977 je 18,50 D M ; 1978 = 22,80 D M . Bestellungen nur an die Geschäftsstelle des Vereins. 85 Nachdem jetzt vier weitere Jahrgänge dieser „Mitteilungen" vorliegen (1975 bis 1978), sei auf die Möglichkeit hingewiesen, durch eine Sammelbestellung das Einbinden der Hefte gegebenenfalls zu verbilligen. Interessenten an einer derartigen Aktion werden gebeten, zunächst Name und Anschrift an unseren Bibliothekar K. H. Grave, Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10 (Charlottenburg), zu leiten. Bei genügend großem Interesse kann dann ein entsprechender Preis ausgehandelt werden. Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 «• 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 — 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin41,zu richten. linser diesjähriges Jahrbuch „Der Bar von Berlin" wird im September erscheinen. Es enthält acht Beiträge mit insgesamt ca. 40 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band zugeschickt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr U.Z.. 36 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 22,80 DM. Bestellungen von Nichtmitgliedem, Zusatzbestellungen oder Bestellungen von Buchhandlungen direkt in der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, und beim Verlag: Westkreuz, Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49. Im II. Vierteljahr 1979 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Günther Bartels, Kaufmann Petersstraße 51, 4060 Viersen 1 Tel. (0 21 62) 1 83 70 (Cordel) Johannes Freida, Pensionär Onkel-Bräsig-Straße 39, 1000 Berlin 47 Tel. 6 06 87 39 (Schriftführer) Hans-Jürgen Gehrmann, Postbeamter Neuköllnische Allee 81, 1000 Berlin 44 Tel. 6 84 49 43 (Schriftführer) Gertrud Gudat, Krankenschwester Lauenburger Straße 115, 1000 Berlin 41 Tel. 7 95 75 08 (Schriftführer) Georg Hensel, Rentner Hortensienplatz 3, 1000 Berlin 45 Tel. 8 34 74 44 (Brauer) Gerhard Hintze, Senatspräsident Frankenhauser Straße 6,1000 Berlin 46 Tel. 7 11 32 24 (Schriftführer) Xh Karl Hoheusel, Sozialsekretär Zingster Straße 4, 1000 Berlin 65 Tel. 4 93 49 82 (Schriftführer) Gottfried Kopitzki, Dipl.-Ing. Hollabergweg 19, 1000 Berlin 42 Tel. 7 41 44 19 (Schriftführer) Horst Krieg, Verwaltungsangestellter Guineastraße 12,1000 Berlin 65 Tel. 4 5145 41 (Schriftführer) Helga Prouty Naunynstraße 9, 1000 Berlin 36 (Charlotte Wodrich) Christiane Ressel, Röntgenassistentin Jenaer Straße 6,1000 Berlin 31 Tel. 8 54 38 98 (Christa Riedel-Hartwich) Ilse Stein, Rentnerin Norderneyer Straße 12,1000 Berlin 33 Tel. 8 24 41 54 (Schriftführer) Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land Die diesjährige Exkursion führt in die Stadt Braunschweig und in deren Umland. Mit der freundlichen Unterstützung des Stadtarchivs Braunschweig (Dr. Garzmann) konnte für das letzte Wochenende der Berliner Schulferien das folgende Programm gestaltet werden: Freitag, 31. August 1979 7.30 Uhr Abfahrt von der Hardenbergstraße 32 (Berliner Bank) 12.00 Uhr Ankunft in Braunschweig, Hofbrauhaus Wolters, Begrüßung und Imbiß 13.30 Uhr Führung durch die Brauerei 15.00 Uhr Abtrunk mit Vortrag Dr. H. G. Schultze-Berndt: „Zur Geschichte des Braunschweiger Bieres und des 350jährigen Hofbrauhauses Wolters" 19.30 Uhr Gemeinsames Abendessen im „Haus zur Hanse", Güldenstraße 7 Sonnabend, 1. September 1979 9.00 Uhr Aufbruch zur Fahrt ins Braunschweiger Land 9.30 Uhr Besichtigung der Deutschordenskommende Lucklum, Führung Segeband von Henninges 11.00 Uhr Besuch des Eulenspiegelmuseums in Schöppenstedt; einführender Vortrag Otto Buhbe, Vorsitzender des Freundeskreises Till Eulenspiegels e. V. 13.00 Uhr Gemeinsames Mittagessen in der Gaststätte Reitling im Elm 14.30 Uhr Besichtigung der Stiftskirche in Königslutter, Führung Stadtarchivar Heinz Röhr 16.00 Uhr Kaffeetrinken im „Grünen Jäger" in Riddagshausen, anschließend Spaziergang über den Kleiderseilerweg zur Klosterkirche Riddagshausen unter Führung von Pastor Dr. Gottfried Zimmermann 19.30 Uhr Abendessen im Gewandhaus am Altstadtmarkt Sonntag, 2. September 1979 9.30 Uhr Stadtrundgang unter Führung von Dr. Garzmann: Altstadtmarkt, Magniviertel mit St. Ägidien, Burgbezirk 11.15 Uhr Besichtigung des Domes St. Blasii, Führung Domvogt Reuter 12.00 Uhr Besuch des Herzog-Anton-Ulrich-Museums, Führung Oberkustos Dr. Bodo Hedergott 13.30 Uhr Gemeinsames Mittagessen im Hotel Lorenz Anschließend Abfahrt nach Berlin. Für eine Kaffeepause wird noch eine geeignete Gaststätte gesucht. ca. 20.00 Uhr Ankunft in Berlin Änderungen vorbehalten Im Frühlingshotel, Bankplatz 7 (Stadtmitte), 3300 Braunschweig, sind vorsorglich zunächst 30 Einzelzimmer (36 DM) und 15 Doppelzimmer (66 DM Endpreis) reserviert worden. Alle Interessenten werden gebeten, sich formlos bei Dr. Hans Günter Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, schriftlich anzumelden. Meldeschluß ist wegen des dann beginnenden Urlaubs des Schriftführers der 31. Juli 1979. Für die Studienfahrt wird ein Teilnehmerhonorar von 53,50 DM je Person erbeten, das die Fahrt in einem neuwertigen Omnibus, den Ausflug in das Braunschweiger Land sowie alle Führungen und Eintrittsgelder einschließt. Dieser Teilnehmerbetrag kann bei Schulkindern gegebenenfalls ermäßigt werden. Für die gemeinsamen Mahlzeiten wurden bis jetzt folgende Gedecke vereinbart: Gaststätte Reitling im Elm: Spargelcremesuppe, gemischte Bratenplatte mit Rahmsauce, Rosenkohl und Schwenkkartoffeln, Caramelspeise = 15 DM; Grüner Jäger: Portion Kaffee und ein Stück Sahnetorte = 5,30 DM. Auch die weiteren Menüs, die später im Rundschreiben mitgeteilt werden, halten sich im Rahmen. Es ist vorgesehen, daß die Abendmahlzeiten ä la carte eingenommen werden. H. G. Schultze-Berndt 87 Veranstaltungen im III. Quartal 1979 1. Dienstag, den 17. Juli 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Bacher: „Alfred Döblin - Arzt und Schriftsteller in Berlin". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonnabend, den 21. Juli 1979, 14 Uhr: „Erinnerungen aus der Geschichte des Botanischen Gartens und des Museums". Vortrag und Führung von Herrn Dr. Zepernick. Treffpunkt: Eingang Museum, Königin-Luise-Straße 6. Fahrverbindungen: Busse 1 und 68, U-Bahn Dahlem Dorf. Im Monat August finden keine Veranstaltungen statt. 3. Freitag, den 31. August, bis Sonntag, den 2. September 1979: Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land. Bitte beachten Sie das Programm und den Anmeldetermin auf Seite 87. 4. Sonnabend, den 8. September 1979, 10 Uhr: „Von Lietzow nach Alt-Charlottenburg". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Alt-Lietzow, Ecke Warburgzeile. Fahrverbindungen: Busse 54, 55 und 62. 5. Sonnabend, den 22. September 1979, 10 Uhr: Besuch der Ausstellung „Max Liebermann". Treffpunkt: Vestibül der Nationalgalerie. Fahrverbindung: Busse 24, 29, 48, 75 und 83. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Freitag, den 20. Juli und 21. September, ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Landesarchiv, 1000 Berlin 30, Kalckreuthstraße 1 — 2 (Ecke Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 1801200 bei der Berliner Bank, 1000 Berlin 19, Kaiserdamm 95. Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 8S A1015FX MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 Ratshtbüothek 75. Jahrgang Heft 4 ^~J— Oktober 1979 89 Moses Mendelssohn und Berlin i Zum 250. Geburtstag des Philosophen der Aufklärung Von Ernst G. Lowenthal Er war zwar im anhaltischen Dessau geboren, Sohn bedürftiger Eltern, am 6. September 1729. aber den weitaus größten Teil seines tätigen, schöpferischen, auch richtungweisenden Lebens hat er, von 1743 an, im preußischen Berlin verbracht. Fast mittellos, jedoch beseelt von einem ungeheuren Lerneifer und Wissensdrang, war der vierzehnjährige Moses Mendelssohn nach Berlin gekommen, den Spuren seines ihm so vertrauten, von ihm so verehrten, talmudbeflissenen Lehrers folgend, des Rabbiners David Hirschel Fraenkel (Berlin 1707 — 1762), der erst kurz vorher aus Dessau als Oberland- und Stadtrabbiner nach Berlin berufen worden war. Das war drei Jahre nach dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen. Fraenkel fand für seinen Schüler bei dem wohltätigen Heimann Bamberger (1764 in Berlin gest.) eine erste Unterkunft; er besorgte für ihn auch den einen oder anderen Freitisch und, indem er ihn mit Abschriften seiner Arbeiten betraute, verschaffte er ihm sogar einen bescheidenen Erwerb. Mit Hilfe seiner kargen Ersparnisse kaufte sich Mendelssohn Bücher, auch um Deutsch zu lernen. Dr. Alexander Kisch (1725 — 1803), ein junger Arzt aus Prag, half ihm im Lateinischen, der philosophisch gebildete Israel Samocz (etwa 1700—1772) machte ihn mit den Grundlagen von Mathematik und Logik bekannt, und ein anderer Arzt, Aron Salomon Gumperz (1723—1769), unterrichtete ihn in neuen Sprachen und der dazu gehörigen Literatur. Er war es auch, der Moses Mendelssohn dem wohlhabenden Seidenfabrikanten Isaak Bernhard als Hauslehrer empfahl. Von 1754 an auch Buchhalter in Bernhards Geschäft, wurde Mendelssohn später der Geschäftsführer und schließlich der Teilhaber der Firma. Dadurch wirtschaftlich einigermaßen unabhängig geworden, konnte er fortan seinen Drang nach Bildung und Wissen weit leichter stillen als bis dahin. Durch Gumperz kam er in Verbindung mit Lessing und dessen Berliner Kreis, insbesondere mit dem Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai (1733 — 1811). In diesem Zusammenhang erhielt Mendelssohn die erste Anregung zu seinen philosophischen und ästhetischen Schriften. Mit seinen „Philosophischen Gesprächen", 1755 erschienen, trat er erstmals vor die literarische Öffentlichkeit. Es folgten seine „Briefe über die Empfindungen". Durch den „Phädon" (oder „Über die Unsterblichkeit der Seele", 1767) wurde er berühmt. So entwickelte sich manche Beziehung zu geistig führenden Persönlichkeiten, darunter Herder und Gleim, ja selbst Goethe. In Mendelssohns Berliner Haus in der Spandauer Straße 68 kam auch der schweizerische Theologe und Schriftsteller Johann Caspar Lavater (1741-1801), dessen offizielle Bekehrungsaufforderung Mendelssohn, „im Herzen von der Wahrheit des Judentums überzeugt", viel Kummer und Ärger bereitete. In „Nathan der Weise" hat Lessing der versöhnenden Haltung seines Freundes Mendelssohn ein nachhaltig-eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Manche französischen Zeitgenossen nannten ihn den „Juif de Berlin" oder den „Juif ä Berlin". In und von Berlin aus hat sich Moses Mendelssohn auch für die Reformbestrebungen unter den Juden, für die Verbesserung ihrer geistigen und gesellschaftlichen Lage eingesetzt, wie in Preußen so auch anderwärts, in Sachsen, im Elsaß und in der Schweiz. Aus dieser Situation heraus entschloß er sich, seine Übersetzung des hebräischen Pentateuch, ursprünglich 90 nur für seine Kinder gedacht und bestimmt, zu veröffentlichen (1780/83). Die Wirkung in Europa war, wenn auch im innerjüdischen Bereich keineswegs einhellig, höchst beachtlich. Dies ermutigte ihn zu weiteren Übertragungen jüdisch-religiöser Schriften ins Deutsche und, darüber hinaus, überhaupt zur Förderung der Bemühungen um die Emanzipation der Juden, wie sie der mit ihm befreundete preußische Kriegsrat Christian Wilhelm von Dohm (1751-1820) in seiner Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden" (1781) forderte. Zwei Jahre danach beschloß Mendelssohn sein philosophisch fundiertes Buch „Jerusalem" (oder „Über religiöse Macht und Judentum"), in dem er das Verhältnis von Kirche (beziehungsweise Synagoge) und Staat behandelt und für das Recht auf Glaubensfreiheit eintritt. Dieses weitfassende und vielartige kulturelle und politische Werk hat Moses Mendelssohn im Berlin der Jahre 1755 bis 1785 vollbracht. Erst 1763, zwanzig Jahre nach seiner Niederlassung in der preußischen Hauptstadt, hatte er - und zwar nur für seine Person - den Schutzbrief Friedrichs des Großen erhalten, während seiner Witwe und seinen sechs überlebenden Kindern das Generalprivileg 1787 von Friedrich Wilhelm II. gewährt wurde. Im gleichen Jahr 1763 hatte Moses Mendelssohn die von der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin zur Bearbeitung gestellte Preisfrage mit seiner Schrift „Über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" beantwortet. Er gewann den ersten Preis; Kant erhielt den zweiten. 1762 hatte er die Hamburgerin Fromet Gugenheim geheiratet (Mendelssohns zarte und innige Brautbriefe kamen 1936, zu seinem 150. Todestag, im Schocken-Verlag Berlin heraus, ein charakteristisches Zeitdokument). Der Ehe entsprossen zahlreiche Kinder, von denen mindestens sechs überlebten. Auch sie hatten reichen Nachwuchs. So ist Moses Mendelssohn zum Gründer und Ahnen einer großen, über Berlins und Deutschlands Grenzen hinaus weitverbreiteten Familie geworden. Dieser entstammen, außer seinem berühmten Enkel Felix Mendelssohn-Bartholdy (Hamburg 1809 - Leipzig 1847), dem Komponisten und Dirigenten, dessen Wirken zeitweise auch mit Berlin eng verbunden war, eine stattliche Reihe namhafter Repräsentanten des wissenschaftlichen, künstlerischen und Wirtschaftslebens (die jedoch in ihrer Mehrzahl seit Generationen dem Judentum nicht mehr angehören). Da, wo Moses Mendelssohn 1786, am Ende eines ungewöhnlichen Lebens, zur letzten Ruhe bestattet wurde, auf dem (1672 angelegten, aber 1943 von den nationalsozialistischen Machthabern vernichteten) jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße, dem ältesten jüdischen Gottesacker Berlins, steht jetzt ein einfacher, heller Gedenkstein mit dem Namen und den Lebensdaten des Mannes. Als sich vor wenigen Wochen sein Geburtstag zum 250. Mal jährte, fand in Berlin, gemeinsam veranstaltet vom Senat und der Mendelssohn-Gesellschaft e.V., in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz ein offizieller Gedenkakt statt. Gleichzeitig wurde die vom Mendelssohn-Arphiv der Staatsbibliothek vorbereitete Moses-Mendelssohn-Ausstellung eröffnet und der vom Land Berlin gestiftete Mendelssohn-Preis zur Förderung des Toleranzgedankens bekanntgegeben. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum erschien Band IV der „Mendelssohn-Studien" (Verlag Duncker & Humblot, Berlin), ausschließlich dem Gedenken an den Philosophen gewidmet. Die Landespostdirektion Berlin gab anläßlich des 250. Geburtstages eine 90-Pfennig-Sondermarke mit dem Bildnis Moses Mendelssohns heraus. Immer wieder im Verlauf der letzten 150 Jahre ist, insbesondere in Berlin, dieses bedeutenden deutsch-jüdischen Denkers und Reformers ehrend gedacht worden; das gilt vor 91 allem für das Jahr 1929, als sich die Veranstaltungen hauptsächlich auf Berlin und Dessau konzentrierten und von bemerkenswerten Veröffentlichungen in Buch- und Artikelform begleitet waren. Im folgenden seien zwei solcher Publikationen, namentlich weil sie sich mit Mendelssohns Beziehungen zu Berlin beschäftigen, auszugsweise wiedergegeben; beide stammen aus der Feder der angesehenen Historikerin und Publizistin Dr. Bertha Badt-Strauss (Breslau 1885 - USA 1970), die im Jubiläumsjahr gemeinsam mit ihrem Mann, dem Studienrat Dr. Bruno Strauss (1889—1969), auch das Buch „Moses Mendelssohn, der Mann und sein Werk" (Welt-Verlag, Berlin 1929) herausbrachte. Ihren Artikel „Mendelssohn und die Berliner" im Unterhaltungsblatt der „Vossischen Zeitung" (Berlin) vom 6. September 1929 schloß Bertha Badt-Strauss mit dieser Feststellung: Mendelssohns Leben im alten Berlin gliedert sich in drei große Abschnitte: da ist der Schüler aus Dessau im Kreise der jungen jüdischen und christlichen Aufklärer, von dem Doktor Gumperz bis zu den Alumnen des Joachimsthalischen Gymnasiums; der Mitarbeiter Lessings und Nicolais, der an der Berliner gelehrten Geselligkeit bescheiden teilnimmt; endlich der Hausherr in der Spandauer Straße, dessen Haus selbst zu einem in ganz bestimmtem und fast einzigen Sinne wichtigen Mittelpunkte dieser alten Berliner Gesellschaft geworden ist. Denn hier ist allgemach aus Moses Mendelssohn, dem jüdischen Bürger der Residenzstadt Friedrichs des Großen, der Bürger einer Welt geworden. Im übrigen führte Bertha Badt-Strauss in dem Aufsatz - zunächst ausgehend von Mendelssohns Lehrern — u.a. aus: Krönung und Anfang dieses gemeinsamen Strebens war es, als Gumpertz den jungen Mendelssohn im Anfang des Jahres 1754 zu Lessing führte. „In einer sehr kleinen Stube in einem sehr kleinen Hause auf dem Nicolaikirchhofe", so beschreibt Nicolai, der sie gut kannte, einmal Lessings derzeitige Wohnung, die ja dann und wann nicht nur dem Besitzer, sondern auch einem Stubengenossen, dem kleinen Bauzner Naumann, Obdach gewährte einer etwas unklaren Personnage von großen Aspirationen, über den sich Lessing weidlich lustig machte und der auch in Mendelssohns Briefen manchmal mit einem Lächeln abgetan wird. Diese kleine Stube war der Schauplatz jener berühmten „Morgengespräche" zwischen Lessing und Mendelssohn, wo zwischen sieben und neun Uhr in der Frühe hundert Probleme berührt und angeregt wurden, bald in raschem Vorbeigehen, bald in bedächtigerem Verweilen. - Nicht weit davon lag das Haus in der Spandauer Straße, um dessen Wiedererkennung sich noch kürzlich ein Streit erhob - heute ist es längst dem Durchbruch der Kaiser- WilhelmStraße zum Opfer gefallen - . „Unser Haus" nannten es damals die Freunde, wie Nicolai berichtet. Denn nacheinander hatten Lessing, Ramler, Nicolai, Mendelssohn dort gewohnt. Es ist das Haus, das heute die Nummer 33 trägt (früher Nr. 68). Hier im Herzen des alten Berlin scheint sich damals eine ganze Kolonie von Dichtern, Schriftstellern, Literaten - kurz „Luftmenschen" - niedergelassen zu haben. „Schwabing im alten Berlin", wie man es kürzlich nannte. Ganz nahe lag Vossens Buchhandlung im Viebahnschen Hause in der Königstraße, die 1753 ins Gewölbe unter dem Rathaus übersiedelte - der Ort, wo der Büchermensch täglich ein paar Stunden verbrachte, um das Neueste aus dem Reiche der Gelehrsamkeit kennenzulernen; und von wo Mendelssohn, dem tagsüber nicht so gut wurde, sich frühmorgens rasch Kleists eben erschienene Gedichte holen ließ, um Nicolai damit eine Freude zu machen. „Eine ganze Straße voll Freunde" nennt Ramler in dieser Zeit eine dieser Straßen einmal. Bald zerstiebt der freundliche Kreis. Lessing, der unermüdliche Anreger und Erwecker, verläßt nach seiner Art 1755 ziemlich plötzlich Berlin, um nach Leipzig zu gehen. Nun wird das 92 menschenreiche Berlin allgemach für Mendelssohn „die große, musenlose Stadt", die „Einöde", wo er wie in einer Einsiedelei lebt. Einzig mit Nicolai will er noch umgehen, weil ihm in seinen Gesprächen ein Abglanz der Lessingschen Morgengespräche zu leben scheint. Diesen guten Freund und freundwilligen Verleger der Literaturbriefe besucht er manchmal in seinem Garten. Damit lernen wir nun ein ander Bild von altberliner Geselligkeit oder geselliger Einsamkeit kennen, das allmählich im Briefwechsel Lessings und Mendelssohns immer deutlicher hervortritt - die Gartenfreuden. Der Berliner liebte ja schon damals, wie Rahel Levin es später als wichtigste ihrer Eigentümlichkeiten bezeichnet, „das Grüne". Aber man reiste noch nicht, um die Schönheit der Welt zu genießen; da mußte schon irgendwo ein heilkräftiger Brunnen winken, den man dann unter philosophischen Gesprächen schlürfte wie es etwa Mendelssohn in Pyrmont in Gesellschaft des Grafen von Schaumburg-Lippe und seiner holden Gemahlin tat. - Dafür tat man daheim etwas anderes in dem löblichen Bestreben, die Natur in den Alltag der Großstadt aufzunehmen: man mietete einen Garten. Beileibe nicht nur, um dort ungestört Vogellied zu hören und Blumenduft zu riechen. Nein: dieses menschenfrohe Geschlecht will auch dort unter grünen Bäumen mit guten Freunden erbauliche und belehrende Gespräche führen. So schildert Mendelssohn seine Stunden in Nicolais Garten: „Ich besuche Herrn Nicolai sehr oft in seinem Garten. . . Wir lesen Gedichte; Herr Nicolai liest mir seine eigenen Ausarbeitungen vor; ich sitze auf meinem kritischen Richterstuhl, bewundere, lache, billige, tadle, bis der Abend hereinbricht. Dann denken wir noch einmal an Sie, und gehen, mit unsrer heutigen Verrichtung zufrieden, auseinander..." Im Hintergrunde dieser intimen Zusammenkünfte von zweien oder dreien steht aber allgemach die gebildete Geselligkeit des erwachenden Berlin. Schon 1755 hat Müchler eine gelehrte Gesellschaft von etwa 100 Personen in dem berühmten „Gelehrten Kaffeehause" vereinigt. Man hat im Englischen Hause, wie der Gründer selbst in einem Briefe an Breitenbauch erzählt, zwei Zimmer gemietet, wo auch ein Billard steht, das die Gesellschaft auf ihre Kosten hat machen lassen — und das nun wieder bestimmt ist, einen Teil der Geselligkeitskosten zu tragen. Dort kommt man alle Tage hin, bekommt Kaffee und alles, was man haben will, für billigen Preis und findet immer angenehme Gesellschaft. Dort erklärt der Mathematiker Euler, Sohn eines berühmten Vaters, am Billard selbst, um das sich alle scharen, die Gesetze der Mathematik; dort bringt aber auch Mendelssohn seine Abhandlung über die Wahrscheinlichkeit zu Gehör. Gebildete Militärs wie der Leutnant Jacobi und der Oberst Möller, Theologen wie der spätere Feldprediger Lüdke, Naturwissenschaftler wie Aepinus, gehören zu den Mitgliedern. Mitten hinein in diese schönwissenschaftliche Geselligkeit stößt der siebenjährige Krieg. Alles stiebt auseinander. „Wir leben in einer düsteren, schwermütigen Zeit..." schreibt Mendelssohn an Abbt. „Zu Wasser und zu Lande, vom Aufgange bis zum Niedergange ist ein Menschenwürgen; Könige gehen zu Fuße, Geldwechsler fahren mit Sechsen. Dichter belagern Festungen, und Weltweise heiraten." — Der Dichter, der Festungen belagert, ist Lessing, der Sekretär des Generals Tauentzien; der Weltweise aber, der im Verfolg aller dieser trüben Weltwirren heiratet, ist niemand andres als Mendelssohn selbst. Rasch blitzt ein Bildchen wie aus „Hermann und Dorothea" auf; wie dort die Eltern nach dem Brande, nach dem Verlust alles Eigentums, ihren Lebensbund schließen, so wählt Moses Mendelssohn gerade diese bedrohte und angstvolle Zeit, um aus dem „friedsamen Hamburg" seine Mamsell Braut, die „zärtlichste Gugenheim", wie seine Brautstands-Briefe sie in etwas steifer Rokoko-Galanterie nennen, nach dem ringsum von Feinden umgebenen Berlin zu führen. Vorher aber war eine für die Gründung eines jüdischen Hausstandes im Berlin des 18. Jahr- 93 Hunderts unerläßliche Bedingung zu erfüllen. Am 26. März 1762 konnte Mendelssohn seiner Braut nach langem Hin und Her endlich melden: „Gestern ist unser Niederlassungsrecht mit Gottes Hilfe akkordiert worden. Nunmehr sind Sie so gut wie Herr Moses Wessely ein preußischer Untertan und müssen die preußische Partei ergreifen. Sie werden also auf gut preußisch alles glauben, was zu unserm Vorteil ist. Die Russen, die Türken, die Amerikaner stehen uns alle zu Dienst und warten nur auf unsern Wink. Unsre Münze wird noch besser als Banko, die ganze Welt wird Sicherheit in Berlin suchen, und unsre Börse wird berühmt sein vom Schloßplatz bis an unser Haus. Dieses Alles müssen Sie glauben, denn - Sie haben Niederlassungsrecht in Berlin." Aus der überströmenden Heiterkeit des Freiers Mendelssohn sieht man schon, von welcher Bedeutung dieser nach langem Mühen endlich geglückte Schritt auf seinem Wege zur Einbürgerung in Berlin ist. Damit beginnt eine neue Epoche auch in Mendelssohns Stellung zu den Menschen des alten Berlin. War der zugewanderte Fremdling bis jetzt Gast gewesen, wohin er auch kam - wenn auch geehrter und bald gefeierter Gast - so erscheint jetzt der Hausherr Mendelssohn in anderem Lichte. Bald fängt das Haus in der Spandauer Straße an, eine bestimmte und wichtige Rolle in der Berliner Geselligkeit zu spielen. Fast erscheint es wie ein Vorläufer jener „Republik des Geistes", wie sie sich ein paar Jahrzehnte später auf demselben Berliner Boden in den bescheidenen Räumen der Mauerstraße gegenüber der Seehandlung bei der jungen Rahel Levin zusammenfand; eine Freistätte, wo Christen und Juden, Offiziere und Beamte, Schriftsteller und Kaufleute sich vereinigten; und wo „ein jeder nicht mehr und nicht weniger Wert hatte, als er selbst durch seine gebildete Persönlichkeit geltend zu machen vermochte". Zugleich aber darf man bei der bescheidenen Geselligkeit im Hause des Philosophen vorahnend auch schon an die kunstverschönte Geselligkeit im Hause des Sohnes Abraham Mendelssohn am Potsdamer Platz denken. Gewiß, hier mußte die sparsame Frau Fromet, wie ihr Nachkomme erzählt, sorglich die Rosinen und Mandeln in die Glasschälchen zählen, auf daß nicht zu viel verbraucht würde - auch darin übrigens sich der sparsamen Berliner Gastfreundschaft anschließend. Aber sowohl Henriette Herz, deren Gatte Marcus Herz Mendelssohns Arzt und Freund war, wie die helläugige Rahel Levin, die mit Mendelssohns Tochter Brendel, der späteren Dorothea, befreundet war, ja selbst die gern etwas flunkernde Sara Meyer, später Baronin Grotthus, die aus bestimmten Gründen nicht gut auf Mendelssohn zu sprechen war: sie alle wissen nicht genug von der Anziehungskraft der Stunden in Mendelssohns Hause zu erzählen. Besonders hat uns David Friedländer, Schüler und Verehrer Mendelssohns, in seinen „Unterhaltungen mit Moses Mendelssohn" das Bild solcher Stunden aufbewahrt: wie in einem Kreise von eifrig disputierenden und scharf sich befehdenden jungen Leute der Hausherr selbst still und mit niedergeschlagenen Augen am Fenster in seinem Armsessel sitzt - und dennoch durch ein rasches Aufblicken, einen plötzlichen Zuruf, ein unvermutetes Eingreifen das Gespräch lenkt und belebt. „Somatische Denkwürdigkeiten" nannten die Zeitgenossen diese Gespräche im Hause Moses Mendelssohns. Zuhörer dieser denkwürdigen Gespräche waren neben Schülern und Freunden des Philosophen, zu denen in seinen letzten Jahren neben anderen auch die Brüder Humboldt gehörten, mit wenigen Ausnahmen alle Fremden von Distinktion, die in jenen Jahren Berlin besuchten. Oft kamen sie schon zu dem Zwecke und in der Absicht, den jüdischen Sokrates kennenzulernen. So etwa die schöne und geistreiche Elisa von der Recke, die schon im fernen Kurland durch die Beschäftigung mit Mendelssohns „Phädon" den Unwillen ihrer hochadligen Verwandtschaft erregt hatte. Ihrer Begleiterin, der Pfarrerstochter Sophie Becker, V4 verdanken wir die lebendigsten Schilderungen solcher Gespräche aus Mendelssohn letztem Lebensjahre. Da zeigt ein Tag im Schloß Friedrichsfelde bei Berlin, das Elisens Schwester, der Herzogin Dorothea von Kurland, gehörte, den „Philosophen im Judenbart" in schäferlich-galanten Rokoko-Unterhaltungen über die Idyllen des Schweizers Gesner. Nachmittags aber liest Ramler aus „Nathan dem Weisen" vor, und Mendelssohn sitzt mit verschlossenem Munde da, und seine Seele scheint sich bloß in die Augen zurückgezogen zu haben. Ach, was mußte er auch bald empfinden, da Lessing ihm so ganz Freund im Leben gewesen war. Indessen würde Lessing den Charakter des Nathan minder schön gezeichnet haben, wenn er nicht in seinem Freunde Mendelssohn das Urbild dazu gekannt hätte. Wenige Wochen später schickt die Herzogin Dorothea früh morgens ein Billet an Sophie Becker, dessen erste Zeilen ihr Her: erstarren lassen: „ Unser großer, weiser Mendelssohn ist diesen Morgen entschlafen." — „Du saßen wir und verstummten, keiner konnte sprechen. . ." schreibt Sophie Becker in ihrem Tagebuch. „ Welche unersetzliche Lücke hat Berlin, hat die ganze Welt erhalten!" War schon in dem vorstehenden, aus der „Vossischen Zeitung" zitierten Aufsatz von gebildeten Offizieren kurz die Rede, die an Zusammenkünften mit Mendelssohn interessiert teilnahmen, so ging Bertha Badt-Strauss im „Berliner Tageblatt" vom gleichen 6. September 1929 auf diesen besonderen Gesichtspunkt etwas näher ein („Der Philosoph beim Offizierskorps - Mendelssohn und die Grenadiere von Treuenbrietzen"). Hier schreibt sie: Sieht man aber näher hinein in die Zeit, so ist der Gegensatz zwischen fridericianischem Militär und Mendelssohnischer Philosophie bei weitem nicht so groß, als man glauben sollte. Der Philosoph auf dem Throne scheint Philosophen in der Kaserne erzeugt zu haben. Und es ist sonderbar, zu sehen, wie viele Offiziere, Obersten, Leutnants und Grenadiere gerade der „Jude von Berlin ", wie ihn die Zeit nannte, zu seinen philosophischen Schülern zählte. Durch Nicolai wußten wir schon von den soldatischen Mitgliedern des „Gelehrten Kaffeehauses", die Mendelssohns Abhandlung „Ueber die Wahrscheinlichkeit" mit anhörten: dem Obersten Möller, der nachher durch die Schlacht bei Rossbach berühmt wurde, und dem Leutnant Jacobi, einem „trefflichen Kopf und vorzüglichen Mathematiker", der bei Olmütz erschossen wurde. — Weniger bekannt aber ist vielleicht, daß es in Preußen ein Grenadier-Bataillon gab, dessen Offiziere geradezu eine kleine Kolonie von Verehrern und philosophischen Schülern Moses Mendelssohns darstellten. Das vollzog sich unmittelbar vor den Toren Berlins — in Treuenbrietzen. Der tapfere Oberst Joh. Andreas von Schölten, der in Treuenbrietzen kommandierte, ist auch sonst nicht unbekannt. Aus Hamburg gebürtig, zeichnete er sich in Friedrichs Feldzügen vielfach aus, wurde bei Prag und bei Zorndorf verwundet und kam 1778 als Chef des GrenadierBataillons nach Treuenbrietzen. Dort lernt man den eigentümlichen Mann von ganz anderer Seite kennen: er gründet nicht nur eine Soldaten-Kinderschule, sondern auch eine „Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften und des guten Geschmacks". Alle Monate einmal versammelt sich diese Gesellschaft auf dem Rathause „bey der Gegenwart sämtlicher Herren Offiziere und ihrer Damen wie auch distinguierter Personen beyderley Geschlechtes"; jedesmal halten zwei Mitglieder eine Vorlesung „militärischen, moralischen, historischen und ökonomischen Inhaltes"; es ist einigermaßen erfrischend zu hören, daß diese Vorlesung dann mit einem „sehr wohlbesetzten Konzerte und gesellschaftlichen Tanze" abschließt. - Der Oberst selbst, der Vorsteher dieser Gesellschaft, scheint etwa um diese Zeit mit Mendelssohn und seiner Philosophie näher bekannt geworden zu sein. Wir hören, daß er, wie alle Fremden 95 von Distinktion, den jüdischen Sokrates in seinem bescheidenen Studierzimmer in der Spandauer Straße in Berlin besuchte; ja, wohl öfter besuchte: denn wie er schreibt, waren ihm alle Gegenstände eben dieses Studierzimmers so vertraut und ehrwürdig, daß er später Marcus Herz' Beschreibung der Todesstunde Mendelssohns, die in eben diesem Zimmer spielte, vor innerer Bewegung nicht zu Ende lesen konnte, „da mir die ganze Einrichtung des Zimmers unseres erblaßten Freundes bekannt war; so sah, so hörte ich auch die kleinsten bei seinem Tode vorgefallenen Umstände", schreibt er selbst darüber. Schölten hatte dem Philosophen seine „Rede bei Eröffnung der Gesellschaft in Treuenbrietzen " geschickt; in einem sehr merkwürdigen Briefe an den Obersten dankt ihm Mendelssohn dafür (am 18. März 1782). Gerade weil diese philosophische Darlegung von einem philosophischen Laien kommt, gerade weil in ihr ein Mann der Tat und nicht ein Mann des Wortes spricht, hat sie seine Teilnahme gewonnen. Ja, sie regt in ihm den alten Plan einer utopischen Republik wieder auf: „wo nur derjenige die Erlaubnis haben soll, in seinem Alter Tugend und Weisheit zu lehren, welcher seine Jugend der Theorie und seine männlichen Jahre der Ausübung derselben gewidmet hat. Wer seine Zeit und seine besten Kräfte dem Staate aufgeopfert hat, der trete auf und rede von Liebe des Nächsten!" Man sieht: da ist die Brücke, die Mendelssohn, den Mann der praktisch wirkenden Philosophie, die den Menschen nicht nur besser, sondern auch glücklicher machen soll, mit Schölten, dem Manne des tätigen Lebens, verbindet. Von hier aus wird klar, was man oft übersah: warum bei dem Juden aus Dessau so viele Männer praktischen Wirkens — Landwirte, Staatsbeamte, Militärs, selbst Oberförster- Rat und Verstehen suchten. . . Von den Briefen Mendelssohns an Schölten, die der Oberst nach dem frühen Tode Mendelssohns an David Friedländer sandte, ist uns, wie es scheint, nur einer erhalten; eben jener vom 18. März 1782 datierte, den wir oben anführten. Aber etwas anderes ist uns zum Glück erhalten: ein Brief, den Schölten nach Mendelssohns Tode an David Friedländer schrieb; schönstes Denkmal einer philosophischen Freundschaft zweier nach Geburt und Lebensstil von Grund aus verschiedener Menschen. Zugleich auch wichtig als Beispiel wahrer Vorurteilslosigkeit, wie sie damals (dessen ist sich Schölten wohl bewußt) selbst unter den Gelehrten vom Range eines Michaelis nicht eben häufig war. „Die aufgeklärte Nachwelt, das einzige Tribunal, wo große Männer gerecht gerichtet werden, wird daraus lernen, daß in diesem Jahrhunderte wenigstens einige gelebt haben, die sich aus dem Joch der Nationaloder Sektenvorurteile loszuwinden, und in wahrem Geist eines Weltbürgers, jedem erhabenen Verdienste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Mut genug besessen haben." Hinter ihrem Obersten erscheinen — ob von ihm philosophisch beeinflußt oder wegen ihrer schon vorhandenen Neigung zur Weltweisheit herangezogen? — zwei Leutnants: von Böse und von Eberstein. Beide standen mit Mendelssohn im Briefwechsel. Aber ihr Hauptverdienst ist es, daß sie Mendelssohn einen Mann zugeführt haben, der unter den seltsamen Beichtkindern des jüdischen Sokrates gewißlich eins der seltsamsten ist. Das war der Benediktinermönch Frater Maurus Winkopp. Durch Mendelssohns Phädon war der junge Geistliche, wie er selbst erzählt, „in ein Meer von Zweifeln" gestürzt worden; die beiden Offiziere rieten ihm, sich in diesen Nöten an den Erreger selbst zu wenden, und Böse vermittelte seinen ersten Brief an Mendelssohn. Nach diesem ersten Schreiben entstand nun zwischen dem Philosophen und dem Mönch ein mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch, dem Winkopp später seine eigentliche seelische Errettung zuschreibt. Leider ist von den Zeugnissen dieser Schülerschaft nicht allzu viel erhalten; ganz besonders ist uns Winkopp die immer wieder versprochenen Gespräche mit Mendelssohn schuldig geblieben, die er sich damals nach eigener Aussage 96 sogleich aufzeichnete, und in denen über die letzten Fragen des Lebens verhandelt wurde. Seltsam berührt es, daß auch Winkopps „zweites Leben" mit Treuenbrietzen, der militärischen Kolonie der Mendelssohn-Verehrer, verknüpft zu sein scheint. Das Vorwort zu seiner Schrift „Leben, Schicksale und Verfolgungen des Priors Hartungus, oder geheime Philosophie und Charakteristik des Mönchswesens" (Leipzig 1782) ist aus Treuenbrietzen datiert. Peter Adolf Winkopp, wie er später heißt, ist nach seiner zweimaligen Flucht aus dem Kloster (mit der Mendelssohn übrigens, wie Winkopp bemerkt, nichts zu tun hatte) ein viel umgetriebener Mann geworden; er lebte als Buchhändler in Mainz, später als Hof-Kammerrat in Erfurt und Aschaffenburg und schrieb zahlreiche Bücher statistischen oder historischpolitischen Inhalts. Aber Mendelssohns Einfluß auf die entscheidende Wendung seines Lebens hat er, wie ein Abriß seiner Autobiographie zeigt, niemals vergessen. Anschrift des Verfassers: Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33,1000 Berlin 37 Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks Mm 125. Geburtstag von Paul Marcus Von Fritz Bunsas Bereits vor der Gründung des Deutschen Reiches (1871) hatte Berlin nicht nur auf den Gebieten von Wissenschaft und Kunst, sondern auch im Bereich des Kunstgewerbes eine Spitzenstellung in Deutschland erworben. Der Grund für diese Entwicklung ist neben den hohen Ansprüchen, die der königliche Hof an die kunstgewerblichen Erzeugnisse stellte, vor allem in der Förderung der preußischen Staatsverwaltung zu sehen. Der z. Z. im Wiederaufbau befindliche Bau des ehemaligen Kunstgewerbemuseums von Gropius und Schmieden (1877 — 81) legt dafür noch heute Zeugnis ab. Unter den verschiedenen Sparten des Kunsthandwerks nahm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Kunstschmiedewesen einen besonders starken Aufschwung. Während bis dahin, z.B. auf der Gewerbeausstellung 1.N44 in Berlin, nur gewerbliche Schlossererzeugnisse, wie Geldkassetten, Tresore u.a. vorherrschten, zeigte schon die Ausstellung 1879 in dem neu geschaffenen Universum-Landesausstellungspark an der Invalidenstraße zahlreiche sehenswerte Kunstschöpfungen der Eisenschmiederei (Halle VIII). Dazu führte die laufende Erstellung von vielen repräsentativen Regierungs-, Bank- und sonstigen Geschäftsgebäuden, deren aufwendige Stilfassungen umfangreiches Beiwerk von Schmiedekunst ermöglichten. Der Wunsch nach repräsentativer Gestaltung übertrug sich auch auf die Bauherren großer und kleinerer Wohnhäuser. Hierdurch wurde es vielen tüchtigen Schlossern und Schmieden ermöglicht, ihr altes Handwerk wieder selbständig zu beleben. Als einer der ersten, der die einsetzende Entwicklung erfaßte, muß Karl Hauschild genannt werden. Anläßlich eines Berichtes der Berliner Ausstellung von 1844 wird er schon als ausgezeichneter Schlossermeister erwähnt, der den kleinen Betrieb seines Vaters sehr erfolgreich erweitert hatte. Später fertigte er ein ganz beachtliches Gittertor für die Weltausstellung 1867 in Paris. Auf der Weltausstellung in London 1891 erregte er durch einen 47 mit kunstvoll geschmiedeten Ornamenten versehenen Geldschrank großes Aufsehen. Dort erhielt Hauschild auch sofort große Aufträge. Einen noch entscheidenderen Einfluß übte Eduard Puls aus, der seine Werkstatt im Jahre 1861 gründete. Ende der sechziger Jahre nahm er bereits eine Führungsrolle in der Berliner Schmiedekunst ein. Der größte Teil der bekanntesten Kunstschmiede ging als Mitarbeiter bzw. als Lehrlinge aus seiner Werkstatt hervor. Während die Ausdrucksformen zuerst die Renaissance zum Vorbild hatten - teils vermischt mit antiken Reminiszenzen - , ging man zu Beginn der achtziger Jahre zum Barock und Rokoko über. Die tüchtigen Schmiedemeister schafften ohne Schwierigkeiten alle diese Wandlungen und brachten so einmalige Werke wie z.B. das große Mitteltor im Eosander-Portal des Berliner Schlosses (von E. Puls) fertig. Es ist das größte geschmiedete Tor in den Schlössern Europas. Die Eigenart der deutschen Schmiede war es, durch eine grobe Ausführung, auch der Ornamente und Beibehaltung der Werkzeugeindrücke, den Charakter des kraftvollen Schmiedestückes zu erhalten. Im Gegensatz dazu liebten es die französischen Schlosser durch Feilen und Ziselieren, die Art der früheren Bronzekunst nachzuahmen. Berliner Kunstschlosser stellten damals zahllose Gebäudeausschmückungen, Firmenschilder und Kandelaber ebenso schön her wie Balkongitter und Portalüberdachungen. Besonders markant dafür waren seinerzeit die Arbeiten am Kaufhaus Heller in Berlins Prachtstraße Unter den Linden und des Kolonial-Hauses in der Potsdamer Straße (Werke der Firmen Paul Marcus und Schulz & Holdefleiss). Die ebenfalls bemerkenswerten Geländer der Potsdamer Brücke und die Leitungsmaste an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche stellte Ferdinand Paul Krüger her. Auf dem riesigen Gelände am Treptower Park mit seinen zahlreichen Pavillons und Hallen, die sogar einen Teil der alten Stadt Berlin mit dem Spandauer Tor wiedererstehen ließen, konnte man diese Erzeugnisse in der Gewerbeausstellung von 1896 bewundern. Die verschiedenen Werkstätten hatten bereits zu diesem Zeitpunkt ihre Fertigung auf besondere Produkte eingerichtet. Die Firma F. Stahl & Sohn (gegr. 1835) zeigte ein prächtiges zweiflügeliges Haustor mit technisch vollendet gearbeiteten Blumenornamenten, die sich zu einer Krone emporwinden. Dieselbe hohe Qualität boten auch die Schmiedearbeiten der Firmen A. M. Krause und Ferd. P. Krüger. Hervorragende Kleinkunst stellte die Firma Emil Klemm mit ihren Hänge-, Tisch- und Ständerlampen, Rauch- und Schreibtischgarnituren zur Ansicht aus. Dagegen präsentierte B. Wiksits kunstvolle Blumenkörbe. Schöne Treppengeländer aller Art stellten die Firmen P. Franke, Alb. Gossen und G. Kleinschmidt für die zahlungskräftigen Kunden her. Wie ferner zu sehen war, brachten die Werkstätten von R. Blume sowie Dregerhoff & Schmidt treffliche Leistungen bei der Anfertigung von Grabgittern und Türen. Künstlerisch gearbeitete Fahnenmasten waren hingegen die Spezialität von Xaver Kirchhoff. Durch mehrere große Tore, u. a. - im Renaissancestil - für das neue Abgeordnetenhaus, war Eduard Puls vertreten. Schulz & Holdefleiss glänzte mit der Gestaltung einer großen Treppe, von Springbrunnen und plastischem Schmiedewerk sowie einem knieenden Ritter mit Standarte. Paul Marcus stellte etliche Tische, Leuchter, Laternen und Kronen aus. Die Berliner Schmiedewerkstätten exportierten ihre Produkte bis in die entferntesten Länder der Erde; z.B. lieferte Hillerschmidt & Kasbaum die schmiedeeisernen Ausschmückungen für die Bauten der Equitable-Versicherung in Sydney und Melbourne, u. a. Treppen von 50 m Höhe. 98 Hofansicht der Kunstschmiedewerkstatt Paul Marcus in der Monumentenstraße 35, noch mit dem jetzt verschwundenen schmiedeeisernen Firmenschild Heute kann man nur noch wenige dieser alten, berühmten Namen in Berlin finden. Einer von ihnen ist der Name Puls; jedoch stellt die Firma heute moderne Feineisen- und Leichtmetallkonstruktionen her. Nun soll jedoch ganz besonders noch eines Mannes gedacht werden, dessen Geburtstag sich am 4. September d. J. zum 125. Male jährte und dessen Arbeiten noch überall in Berlin zu entdecken sind: Paul Marcus. Sein 1902 errichtetes Firmengebäude steht noch in der Schöneberger Monumentenstraße 35. Es fällt dem aufmerksamen Spaziergänger durch seine schön gegliederte - nach dem letzten Krieg leider etwas vereinfacht renovierte Fassade mit den bemerkenswerten schmiedeeisernen Verzierungen, u.a. dem Medaillon eines Schmiedes, auf. Ein vor 1945 gemachtes Foto zeigt noch das prächtige Hoftor und die Firmeninschrift „Kunstschmiede Paul Marcus" sowie einen Handwerkssinnspruch am obersten Stockwerk. Dieses Bauwerk, von Reg.-Baumeister Richard Kühnemann für den Eigentümer Paul Marcus entworfen und erbaut, ist ein Zeugnis für den Höhepunkt in der Entwicklung dieses Handwerksbetriebes. Der nach Berlin zugewanderte Schlossergeselle Paul Marcus, geboren am 4. September 1854 in Finsterwalde, hatte schon einen beachtlichen Berufsweg als Facharbeiter in den Fabriken wie Wöhlert, Schwartzkopff, L. Loewe und Siemens hinter sich, als der eifrige Besuch des Königlichen Kunstgewerbemuseums zur theoretischen und zeichnerischen Ausbildung ihm ein staatliches Stipendium einbrachte. Dadurch wurde ihm, der über keinerlei Geldmittel verfügte, der Besuch der Tagesklasse für Kunstschlosser und Kunstschmiede an vorgenannter Anstalt ermöglicht. Die Lehrer waren von dem Wissensdurst ihres Schülers Marcus so angetan, daß sie es ihm durch ein noch höheres Stipendium des „Vereins zur 99 PMIMNlIPlttft suuiam'm PAUL MARCUS Eisen- und Bronzebau BERLIN-SCH0NEBER6 MONUMENTENSTRASSE 35 TEL.: SAMMEL-NUMMER G 1 STEPHAN 4357 * R e i c h s b a n k s i e d l u n g Schmargendorf, Treppenanfanger. Aren. Werner March Werbeanzeige der Firma aus dem Jahr 1930 Förderung des Gewerbefleißes" gestatteten, im Jahre 1878 die Pariser Weltausstellung zu besichtigen. Hier erwarb er sich nun den klaren Blick für die modisch moderne Geschmacksrichtung anhand des Kunstgewerbes anderer Völker. So ausgerüstet vollendete er seine Ausbildung bei dem großen Berliner Lehrmeister Eduard Puls. Nachdem er bereits weitgehend selbständige Arbeiten ausgeführt hatte, entschloß sich Paul Marcus nur noch am eigenen - zunächst geliehenen - Schraubstock zu schaffen. Mit nie erlahmender Tatkraft und der damals üblichen Sparsamkeit gelang ihm bald der nächste Schritt: eine eigene Werkstatt in der Wilhelmstraße für eine Jahresmiete von 800 Mark zu mieten. Fortan arbeitete er mit einem Gesellen. Zur Weiterentwicklung seines Betriebes nahm er einen Kompagnon, einen Herrn Arndt, auf. So erschienen auf der Gewerbeausstellung 1879 in Berlin, die so sensationelle Objekte wie die erste elektrische Bahn von Siemens zeigte, kunstvolle Schmiedearbeiten der Firma Arndt & Marcus (Halle VII, Stand 12). Die erste Öffentliche Anerkennung erhielt der junge Berliner Meister 1887 durch ein Preisausschreiben des Badischen Kunstvereins: Ihm wurde der erste Preis (400 Mark) mit der Bemerkung: „Für Gesamtleistung unter Berücksichtigung der bewiesenen Tüchtigkeit und Vielseitigkeit in der Behandlung des Materials" zuerkannt. Dadurch erwarb sich Meister Marcus seinen guten Ruf unter den Fachleuten ebenso wie in der Öffentlichkeit. Der Titel eines Hofkunstschlossers - verliehen durch den Kaiser Friedrich III. - hat sicher auch weiter dazu beigetragen! 100 Wohnhaus Paul Marcus, Monumentenstraße 19, (jetzt Nr. 35) um 1903 Danach errang die Firma, die ihre Werkstatt wegen des steten Wachstums immer wieder verlegen mußte - von der Lützow- in die Gitschiner Straße und weiter zum Tempelhofer Ufer —, Diplome und Medaillen für Kunst- und Industrie-Erzeugnisse, so 1891 in London, 1893 in Chikago (Weltausstellung) und ein besonderes Lob 1896 in Berlin: „Für als hervorragende Leistung anerkannte, künstlerisch und technisch mustergültig durchgeführte Schmiedearbeiten in Eisen, Messing, Kupfer und Bronze, sowie Treibarbeiten in denselben Metallen". Die rastlose Energie von Paul Marcus erschöpfte sich jedoch nicht in den vorgenannten Aktivitäten. Im Jahre 1893 konnte man ihn als Sachverständigen für Kunstschmiedearbeiten sowohl beim Landgericht I wie auch beim Amtsgericht I finden. Ein stolzer Tag im Leben dieses fleißigen Handwerkers war sicher auch jener Tag, als er zum Obermeister der Berliner Schlosserinnung gewählt wurde. Zu dieser Zeit arbeiteten auf seinem eigenen Werksgelände in der Monumentenstraße bereits 150 Gesellen an zahl- und umfangreichen Aufträgen. Die gesamte Ausstattung seines Hauses wie Treppengeländer, Türen und Tore, 101 Hofansicht Monumentenstraße 35 Reliefs, Blumengitter, Laternen und die Wasserspeier der Dachrinnen zeigte Kunsthandwerk von bester Güte und war somit das beste Anschauungsmaterial für die Kundschaft. Ein ansehnlicher Teil dieser Arbeiten ist noch heute vorhanden. Die Schmiedestücke dieser Werkstatt schmückten aber nicht nur Privathäuser und öffentliche Bauten in Berlin, z.B. das Tor des Rathauses Charlottenburg in Alt-Lietzow und die Kirchentüren der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche, sie gingen auch zu alllen großen Ausstellungen in der Welt. Es fehlt hier der Raum, um die dem Meister verliehenen Auszeichnungen aufzuzählen. Erwähnenswert wäre jedoch eine seiner vielen Arbeiten für das Reichstagsgebäude: Das prächtige Tor für das Südvestibül. Es trug ihm auf der Pariser Weltausstellung 1900 den Grand Prix und die große goldene Medaille ein. Paul Marcus wurde auch zum Vorsitzenden des Zentralausschusses der vereinigten Innungsverbände Deutschlands gewählt und als Krönung seines Berufsweges - zum Präsidenten des Hansabundes für Gewerbe, Handel und Industrie berufen. Das Schicksal hat es ihm noch vergönnt, das Blühen seines Werkes nach der Misere des 1. Weltkrieges zu erleben und in der Führung des Betriebes tatkräftig von seinem Sohn, 102 Dipl.-Ing. Walther Marcus, unterstützt zu werden. In Deutschland lag zwar das Gewerbe darnieder, für das Ausland produzierte die Firma jedoch noch jahrzehntelang weiter. Vor allem nach Holland, England, Frankreich, Mexiko, Brasilien, Argentinien und Indien gingen nun die Erzeugnisse. Die mit dem Nachlassen der Exportaufträge verbundene Produktionsumstellung auf Feineisenbau und Aluminiumverkleidung für Geschäfte und Hausfassaden ergab zeitweilig einen neuen Aufschwung, so daß die Räume des Nachbargrundstückes, des ehemaligen Schöneberger Pferdeomnibus-Depots, gemietet werden mußten. Später verursachten ein gesättigtes Bauwesen, die nun große Zahl von Konkurrenten und die Einengung West-Berlins die Aufgabe des Betriebes (1957) und das Abwandern des Namens Marcus in die Bundesrepublik. Die nachfolgenden Besitzer des Berliner Grundstücks beseitigten als erstes den Firmennamen an der Straßenfassade und danach auch den gewaltigen, aus Stahl, Bronze und Kupfer geschaffenen Giebelschmuck der Werkhalle. Dieser bildete für lange Zeit eine Art Wahrzeichen an der Schöneberger Strecke der Wannseebahn und war weit nach Schöne103 Bronze-Medaillon eines bärtigen Schmiedemeisters (am Erker der Straßenfront) Schmiedeeisernes Treppengeländer im Vorderaufgang Ein jetzt mit graugrüner Farbe überstrichenes Bronzerelief im Vorderaufgang (Alle Aufnahmen aus dem Wohnhaus in der Monumentenstraße 35, Schöneberg) 104 Paul Marcus. Nach einem Gemälde von Franz Graf, Berlin berg hinein bis zur Manstein-, Bahn- und Langenscheidtstraße sichtbar. Kunstschmied Paul Marcus hat sich bereits zu Lebzeiten in dem Grabmal für seine Familie ein einmaliges Denkmal geschaffen; es enthält in den Ornamenten die wesentlichen Werkzeuge des Schmiedes: Amboß, Hammer und Zange. Am 17. Juli 1932 trat er dann seine letzte Fahrt zum Zwölf-Apostel-Friedhof in der Kolonnenstraße an. Wie das Haus in der Monumentenstraße durch Umbauten der heutigen Besitzer ist auch die Grabstelle durch Ablauf der Liegefristen in Gefahr. Uns alten Berlinern, die das Haus und die Grabstelle kennen, bleibt nur die Hoffnung, daß beides durch besonderen Schutz uns und der Nachwelt erhalten werden möge. Anschrift des Verfassers: Hoeppnerstraße 37, 1000 Berlin 42 Quellennachweis: Plan der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1879 von A. Delius, Berlin 1879. Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 von Paul Lindenberg, Berlin 1896. Hundert Jahre Architekten-Verein zu Berlin 1824-1924, Berlin 1924. Das Bildmaterial besorgte Rudi Mücke. 105 In memoriam Dr. Franz Jahn Von Eckart Henning Am 13. April 1979 wäre der in den letzten Kriegstagen 1945 bei Senst an der Elster gefallene Franz Friedrich Alwin Jahn 80 Jahre alt geworden, ohne daß in einem Gedenkartikel seine Verdienste um die preußische und besonders um die Berliner Baugeschichte gewürdigt worden wären. Das sei daher an dieser Stelle nachgeholt und damit im Jubiläumsjahr der Technischen Universität Berlin1 zugleich ihres früheren Architektur-Museums 2 gedacht, dessen Leiter Jahn gewesen ist. Er wurde am 13.4. 1899 in Züllchow bei Stettin als dritter Sohn des Pastors und Direktors der dortigen Fürsorge-Erziehungsanstalt Fritz Jahn 3 und seiner Ehefrau Katharine Richter geboren, besuchte in Stettin von 1906—1917 die Vorschule und auch das humanistische Marienstift-Gymnasium bis zur Reifeprüfung. Rückblickend heißt es in einem 1920 geschriebenen Brief: „Von frühester Jugend an habe ich mich zu Besonderem berufen gefühlt. . . Durch die Zeit der Jahrhundertfeier für die Freiheitsbewegung von 1813 wurde mein Suchen auf das Vaterländische, Heldische hingelenkt und der 1914 ausbrechende Krieg . . . bestärkte mich in dem Wahn, es sei meine Berufung, Offizier zu werden. . . " So meldete Sich Franz Jahn 1917, noch nicht achtzehnjährig, wie seine Brüder als Freiwilliger, wurde in das 2. Pionier-Bataillon aufgenommen und kehrte, nachdem beide Brüder gefallen waren, im März 1919 verwundet heim. Nach seiner Genesung studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt (1919/1920) und Kunstgeschichte an der Universität München (1920/21), überwiegend bei Heinrich Wölfflin. Dort vermißte er „hauptsächlich bei der Baukunst, die Berücksichtigung ihres Verhältnisses zum öffentlichen Leben". Er wandte sich daher der Geschichte zu, hörte noch in München Erich Marcks und promovierte 1926 bei Friedrich Meinecke in Berlin mit einer Arbeit über „Wolfgang Menzel als politischer Charakter — ein Beitrag zur Stellung der Burschenschaftler in der Geschichte der deutschen Einigung" 4 . Da 1926 gerade ein wissenschaftlicher Hilfsassistent für das Architektur-Museum der Technischen Hochschule Charlottenburg gesucht wurde, übernahm Dr. Jahn diese Stelle am 1. Oktober. Zu seinen besonderen Obliegenheiten gehörte von 1927 — 34 die Veranstaltung von Ausstellungen auf dem Gebiet der modernen und historischen Architektur, die er nicht allein aus Museumsbeständen, sondern auch mit geliehenem Sammlungsgut bestritt. Seine Themen waren 1927 „Deutscher Backsteinbau in alter und neuer Zeit" und „Kulturbauten in China und Japan", 1928 „Heinrich Tessenow", 1929 „Erwin Barth, Gartenanlagen", 1930 „Werner March" und „Paul Schmitthenner", 1932 „Max Läuger", „Norwegische Architektur" und „Schwedische Architektur", 1933 „Germanische Baukunst in Siebenbürgen" und „Dänische Architektur", 1934 „German Bestelmeyer", „Deutsche Gartengestalter" und „Junge faschistische Baukunst", schließlich 1935 „Die Umgestaltung des Tannenberg-Denkmals". Da das Architektur-Museum aber mit dem Lehrstuhl für Geschichte der Baukunst von Professor Krencker verbunden war, gehörte zu Jahns Aufgaben neben seiner Ausstellungstätigkeit auch die Verwaltung des Lehr- und Lichtbildmaterials, die Betreuung studentischer Seminararbeiten, die Durchführung von Exkursionen nach Süd- und Mitteldeutschland sowie nach Schlesien und die gelegentliche Kollegvertretung Krenckers, zuletzt in 106 dessen Rektoratsjahr durch eine eigene Vorlesungsreihe zur Geschichte der preußischen Baukunst (1930/31). Bereits 1931, noch während seiner Tätigkeit an der Technischen Hochschule, trat Jahn auch in ein dienstliches Verhältnis zum Preußischen Finanzministerium, dem die Betreuung der Hochbauabteilung im Verkehrs- und Baumuseum (dem ehemaligen Hamburger Bahnhof) in der Invalidenstraße 50/51 oblag. Die dortige überalterte Dauerausstellung sollte durch wechselnde Ausstellungen belebt werden, und da zur selben Zeit auch das Architektur-Museum in der Technischen Hochschule seine bisherigen Räume verlor, kam zwischen Kultusministerium und Finanzministerium eine Vereinbarung zustande, wonach das Architektur-Museum (künftig „Architektur-Archiv" genannt) in das Verkehrs- und Baumuseum übersiedeln und mit ihm gemeinsame Ausstellungen veranstalten sollte. Die Durchführung wurde wiederum Jahn übertragen, der 1932 seine Diensträume in der Invalidenstraße bezog und 1933 die erste größere Ausstellung „Preußische Baukunst aus der Zeit vor und nach Schinkel" eröffnen konnte. 1935 schloß sich eine Ausstellung zur „Berliner Baukunst von 1750-1900" 5 an, deren Mittelstück „400 Jahren Berliner Dom" 6 galt. So wie Jahns Schinkel-Arbeiten7, waren auch seine Knobelsdorff-Forschungen zum „Forum Fridericianum" für Berlins Kunstgeschichte weiterführend8, und auch seine Studie über „Alte Berliner Kasernen" 9 verdient Aufmerksamkeit. Im Jahr 1935 wurde Jahn neben seiner Assistententätigkeit durch die Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung Deutscher Bauforscher) mit der Herstellung eines umfassenden wis107 senschaftlichen Kataloges aller historisch wertvollen Bauzeichnungen Deutschlands beauftragt, für den der Preußische Finanzminister am 5. 9 1935 die erforderlichen Mittel bewilligte. Als erstes Arbeitsergebnis dieses Zentralkataloges legte Jahn bereits 1936 die Schrift „Der erste Konservator der Kunstdenkmäler des Preußischen Staates, Ferdinand von Quast" vor10. Vom 8. 9. bis 23. 10. 1937 konnte er, unterstützt durch die BoissonnetStiftung, zur Vorbereitung einer Arbeit über die Architekten König Friedrich Wilhelms IV., Ludwig Persius und Ferdinand v. Arnim, eine Studienreise durch Frankreich unternehmen; zu einer ergänzenden nach Italien ist es infolge des Kriegsausbruchs nicht mehr gekommen. Etwa 1937 begann Jahn mit der Hauptarbeit für den Koldewey-Katalog, und zwar der Verzeichnung aller in den Akten der Preußischen Staatsarchive verborgenen Bauzeichnungen. Den Anfang machte die Helmigk-Sammlung altpreußischer Landbaumeisterzeichnungen11, die er 1936 im Verkehrs- und Baumuseum ausstellte und anschließend auch in Breslau, Stettin und Königsberg zeigte. Leider gelangte Jahns vollständig erarbeitetes Katalog-Manuskript kriegsbedingt nicht mehr zum Druck. Am 1. 8. 1938 gab Jahn seine Assistentenstelle an der Technischen Hochschule Charlottenburg auf, da er als technischer Angestellter ganz von der Preußischen Bau- und Finanzdirektion übernommen wurde, wo er sich künftig ausschließlich dem Koldewey-Katalog und den Ausstellungen des Verkehrs- und Baumuseums widmen sollte. Im März 1939 wurde Jahn schließlich als Leiter des Architektur-Archivs 12 , obwohl nicht Mitglied der NSDAP, wegen seiner überragenden Kenntnisse damit betraut, bei dem Geschenk des Gaues Berlin zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers die wissenschaftliche Leitung zu übernehmen und das repräsentative Werk „Drei Jahrhunderte Baugeschichte Berlins" 13 zu erarbeiten, das er trotz der viel zu kurzen Arbeitszeit fristgerecht vorlegte. Am 3. Januar 1940 entschied der Preußische Finanzminister Professor Popitz, der Jahn gelegentlich auch für die Abfassung eigener Reden heranzog 14 , ihn mit der wissenschaftlichen Leitung eines von ihm angeregten Werkes zur Geschichte der Preußischen Staatsbauverwaltung zu betrauen. Für dieses als Sicherungsmaßnahme gegen Kriegszerstörungen gedachte Werk bestimmte Popitz die Akademie des Bauwesens zum Träger und stellte Jahn drei Mitarbeiterinnen (im Geheimen Staatsarchiv in Berlin sowie in den Staatsarchiven von Stettin und Königsberg) zur Seite. Von dem Erfolg dieses Unternehmens zeugen die noch heute vorliegenden Berichte Jahns 15 , die sich zunächst auf Pommern und die seit 1772 preußisch gewordenen polnischen Gebiete bezogen, weshalb man diese Arbeit als „kriegswichtig" ausgeben und ihren Leiter wiederholt vom Fronteinsatz freistellen konnte. Jahn nutzte diese Jahre noch für verschiedene andere Forschungen und war bestrebt, sie zu veröffentlichen, solange die Kriegsentwicklung es zuließ16. Zahlreiche angefangene und nahezu fertiggestellte Arbeiten, darunter einige in Zusammenarbeit mit der neugegründeten Landesstelle der Reichshauptstadt für Geschichte, Heimatforschung und Volkskunde, enthält zudem sein Nachlaß im Geheimen Staatsarchiv17. Seinen Leistungen entsprechend wurde Jahn als Leiter des Architektur-Archivs am 14. September 1943 endlich auch zum Regierungsbaurat ernannt und seine Bezüge im Februar 1944 nochmals erhöht. Doch als im August das Preußische Finanzministerium aufgelöst wurde, dessen Hochbauverwaltung Jahn mit seinen Arbeiten de facto direkt unterstellt war, auch wenn der Präsident der Preußischen Bau- und Finanzdirektion sein unmittelbarer Dienstvorgesetzter blieb, wurde er am 1. September doch noch zum Militär eingezogen und einem Baupionier-Bataillon zugeteilt. Jahn fiel am 28. April 1945 beim 108 Vorrücken der Roten A r m e e in der Nähe von Senst an der Elster. Ein Nachruf wurde Jahn als einem der besten u n d gründlichsten Kenner der Berliner Baugeschichte aufgrund der Zeitumstände nicht zuteil, auch seine noch erhaltenen Tagebücher (1939— 1944) und Briefe ( 1 9 4 4 — 1945) sind unveröffentlicht geblieben. Sie zeigen ihn, wie es seine noch heute am Tegernsee lebende Witwe G e r t r u d geb. Kirmse beschreibt, als einen U n b e k a n n t e n , der „wohl vieles zu sagen gehabt hätte, der aber zur Stummheit verurteilt war, weil G e d a n k e n wie die seinen in Deutschland nicht m e h r ausgesprochen werden durften, u n d den, ehe die Gewaltherrschaft ihr E n d e fand, der Krieg vernichtete". Diese autobiographischen Aufzeichnungen sind aber nicht nur ein Zeugnis für seine aufrechte christliche Gesinnung u n d seine vielseitigen Interessen, sondern auch für den Trost, der ihm im Dritten Reich aus den Schriften von Karl Kraus erwuchs und ihn schließlich den Plan fassen ließ, nach d e m Zusammenbruch eine Geschichte der „ F a c k e l " zu schreiben. Sein tragisch früher T o d hat diese wie die Ausführung aller übrigen Absichten verhindert, und so kann man nur hoffen, d a ß sich hinsichtlich des Jahn-Nachlasses wenigstens ansatzweise erfüllt, was er selbst im Tagebuch an Hoffnungen ausspricht. „Mir ist, als wenn ich tief unter der E r d e arbeitete, und die Zeit ist über mich hinweggegangen. Aber ich sitze an den Wurzeln u n d Quellen, und was ich tue, wird aufgehen und größere Kraft entfalten als alles, was an der Oberfläche geschieht." Sigismund v. Radecki, den Franz Jahn schätzte, beschreibt ihn als einen Denker, der die „geistige Not als Ursache aller unausweichlich folgenden materiellen N ö t e " begriff und der im „eigentlichsten Sinne Kustos jener Archivschätze" war, die „von den Hastigen für Staub genommen wurden, in denen er aber das stärkere Leben entdeckte". Anschrift des Verfassers: Lückhoffstraße 33,1000 Berlin 38 4 6 9 Eine Festschrift zum 100jährigen Bestehen der TU, zu dem gegenwärtig eine Jubiläumsausstellung vorbereitet wird, soll im November 1979 erscheinen. Vgl. schon Franz Jahn (künftig F. J.): Die Technische Hochschule Berlin 50 Jahre in Charlottenburg, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 54 (1934), S. 6 7 9 - 6 8 1 (d. Verf. behandelt nacheinander die verschiedenen Lokalitäten seit 1797). Vgl. A. Poltrock: Das Architektur-Museum in der Technischen Hochschule zu Berlin, in: Blätter für Architektur und Kunsthandwerk 1 (1888), S. 3 3 - 3 4 u. S. 4 4 - 4 5 ; s. ferner: Die Begründung eines Architektur-Museums an der Technischen Hochschule zu Berlin, in: Deutsche Bauzeitung 19 (1885). S. 231-232, u. 20 (1886), S. 5 2 9 - 5 3 0 . Fritz Jahn war auch Begründer des Züllchower Spielmuseums, vgl. über ihn F. J.: Pastor Fritz Jahn und seine Spiele, in: Deutsches Pfarrerblatt, 1931. Erschienen 1928, vgl. Rez. von Hermann Wendel, in: Deutsche Republik 3 (1928), S. 188-189. F. J.: Die neue Ausstellung der Preußischen Staatshochbauverwaltung im Verkehrs- und Baumuseum, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 55 (1935), S. 8 3 6 - 8 3 7 . F. J. : 400 Jahre Berliner Dom 1536-1936, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 55 (1935), S. 925 — 938 (mit reichen Bildbeigaben aus der Sonderausstellung). Vgl. dazu F. J.'s der Forschung neue Wege weisende Arbeit über Schinkels Stadtbaukunst, Versuch einer Deutung der städtebaulichen Absichten Schinkels an Hand seiner Entwürfe für Berlin, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 51 (1931), S. 29 — 43, s. auch ders.: Einige Grabmalsentwürfe Schinkels, in: Kunst und Kirche 8 (1931), S. 6 9 - 7 2 . F. J.: Knobelsdorffs Nord-Süd-Achse für Berlin und die Frage einer Verlängerung der Leipziger Staße nach Osten, in: Baugilde 16 (1934), S. 2 0 3 - 2 0 9 . Erschienen im Zentralblatt der Bauverwaltung 59 (1939), S. 383 - 397. 109 10 F. J.: Der erste Konservator der Kunstdenkmäler des Preußischen Staates, Ferdinand von Quast, und sein konservatorischer Nachlaß im Architekturarchiv der Technischen Hochschule zu Berlin. Als Ms. gedr. Berlin 1936 ( = Veröffentlichungen des Architettturarchivs der Technischen Hochschule zu Berlin, H. 1), ferner ders., Ferdinand von Quast und die Anfänge der Denkmalspflege in der Mark, in: Brandenburgische Jahrbücher 7 (1937), S. 80 — 88, u. ders.: Ferdinand von Quast. Der erste Konservator der preußischen Kunstdenkmäler, in: Märkische Zeitung (Neuruppin) vom 27728. 5.1939. 11 Der größte Teil der Ausstellungsunterlagen Jahns zum Schaffen der altpreußischen Landbaumeister befindet sich heute in der Plansammlung der Technischen Universität Berlin, der sie Ministerialrat Dammeier namens der Hochbauverwaltung am 23. 8.1947 leihweise übergab. 12 Vgl. die erhalten gebliebene Personalakte Jahns im Landesarchiv Berlin (Pr. Br. Rep. 42, Pers.-Nr. 501), wo er erstmals auf Bl. 28 auch amtlich als Leiter des Architektur-Archivs bezeichnet wird. 13 Das Werk, dessen Auftraggeber der Gauleiter von Berlin, Reichsminister Dr. J. Goebbels war, wurde auf Veranlassung von Albert Speer, dem ursprünglich vorgesehenen Bearbeiter, in nur einem Exemplar hergestellt und der Wunsch des Autors, wenige weitere Stücke bei der Akademie der Wissenschaften, der Preußischen Staatsbibliothek usw. zu hinterlegen, nach Aussage seiner Witwe vereitelt; lediglich ein Druckereiabzug des Textteils befindet sich noch im Nachlaß Jahns. 14 Zu nennen sind hier beispielsweise die Reden des Ministers „In memoriam David Gilly", die dieser am 30. 8. 1938 an der wiederaufgefundenen Grabstätte hielt, abgedruckt im Zentralblatt der Bauverwaltung 58 (1938), S. 1183 — 1191, und die am 22. 6. 1940 gehaltene Ansprache von Popitz zur „170jährigen Wiederkehr des Gründungstages der Preußischen Staatshochbauverwaltung", abgedr. ib. 60 (1940), S. 3 6 1 - 3 6 3 . 15 Vgl. Aus der Tätigkeit der Preußischen Staatsbauverwaltung in Pommern (1770—1809), bearb. von Eckart Henning auf der Grundlage eines amtlichen Berichtes von F. J., in: Baltische Studien N.F. 64 (1978), S. 41 — 65. Ungedr. blieb bisher der 2. Bericht über die Arbeiten am Geschichtswerk der Preußischen Staatsbauverwaltung, II. Reihe: Aus der Staatlichen Bautätigkeit in Neuostpreußen. H. 1: Allgemeine Übersicht über Verwaltung und Bautätigkeit im Kammer-Departement Plock 1793-1807, Masch.-Schr. Berlin 1941. 16 Vgl. etwa F. J.: Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schroetter. Zu seinem 200. Geburtstage am 1. Februar 1943, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 63 (1943), S. 60 f., u. ders.: Aus der Geschichte der Deutschen Baufachzeitschrift als Vorgeschichte des Zentralblattes der Bauverwaltung, ib. 61 (1941), S. 2 4 3 - 2 5 1 . 17 Der im Januar 1978 vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz erworbene Nachlaß (Rep. 92 Jahn) wird gegenwärtig verzeichnet und ausgewertet. Nachrichten Standbild König Friedrichs I. - Denkmal von vier Bildhauern Am 11. Juni 1979 konnte unser Vorstandsmitglied Professor Dr. Martin Sperlich, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, vor dem neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg eine stattliche Anzahl von Gästen begrüßen, die Zeuge waren, wie das Standbild des ersten preußischen Königs auf seinen Sockel kam. Dieses von Schlüter für den damaligen Kurfürsten Friedrich III. geschaffene Werk sollte ursprünglich auf der Langen Brücke aufgestellt werden, doch wurde dann dieser Platz für Schlüters Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten gebraucht. So wurde die Figur zunächst im Gießhaus abgestellt, 1728 als Dekoration zum Empfang Augusts des Starken auf dem Molkenmarkt aufgestellt und bis 1760 wieder im Gießhaus eingelagert, bis nämlich die Russen das Denkmal als Kriegsbeute nach Spandau entführten. Für den Rest des Jahrhunderts stand es dann unter Gerumpel in einem Winkel des Zeughauses, wäre um ein Haar eingeschmolzen worden und wurde schließlich 1802 in Königsberg in Preußen auf einem von Gottfried Schadow entworfenen Sockel aufgestellt. HO Professor Sperlich führte dann wörtlich aus: „Die Betreuer der Schlösser und Gärten wollten seit jeher das in Königsberg verlorene Werk in Bronze gießen lassen, weil der Gips der Gipsformerei allzu gefährdet ist. Dieser Gipsabguß nach dem Original ist nun nach dem Verlust des Bronzedenkmals als .Original' anzusehen, und wir haben die Pflicht, die so bewahrte Form dieses großen Kunstwerkes in dauerhaftem Material, d.h. wiederum in Bronze, aufzuheben. Wir wußten, daß es diesen Gips gab. Als es aber ernst wurde, als wir das Geld hatten, stellte es sich heraus, daß es wieder einmal Fatalitäten mit den Beinen der Hohenzollern gab: Die uns benachbarte Gipsformerei der Staatlichen Museen hatte nur das Oberteil der Statue, die Beine fehlten. Wir gaben also traurig diesen Akt der Denkmalpflege auf, bis eines Tages Waldemar Grzimek ins Schloß kam und uns mit Eindringlichkeit beschwor, Friedrich I. in Bronze gießen zu lassen, weil doch der Gips eben nicht ewig hält. Als er erfuhr, warum wir das noch nicht getan hätten, wurde er sogleich tätig und konnte freizügiger als wir feststellen, daß in der anderen Gipsformerei dieser Stadt (wir haben ja alles doppelt) das Modell vollständig war. Drüben wollte man von Gerhard Marcks eine große Figur haben, der sagte, ich will dafür kein Honorar, sondern nur, daß Ihr Schlüters Standbild in Bronze gießt, und durch diese so noble wie einfache Transaktion steht nun dieses Werk als das Werk von vier deutschen Bildhauern vor uns." Lapidar verkürzt faßte Professor Sperlich die lange Geschichte in die vier Bildhauernamen zusammen: Schlüter-Schadow-Marcks-Grzimek. Eine Marmorplatte am Sockel trägt den folgenden (neuen) Text: „Statue von Andreas Schlüter, 1698 für den Hof des Zeughauses bestimmt, 1801 von Friedrich Wilhelm III. der Stadt Königsberg in Preußen geschenkt. Auf einem von Gottfried Schadow entworfenen Sockel am Schloß aufgestellt und seit 1945 verschollen. Neu gegossen 1972 nach der Form der Staatlichen Gipsformerei zu Berlin mit tätiger Hilfe von Waldemar Grzimek als Geschenk von Gerhard Marcks." Von der linken Reliefplanke des Sockels, die nach Schadows Beschreibung mit Krone und Zepter geschmückt war, ist kein Foto überliefert. Denkmalpflegerische Gewissenhaftigkeit erlaubt es nicht, ein solches Emblem frei zu erfinden. Der Marmorbossen ist deshalb roh stehengeblieben, bis ein Königsberger Landsmann in seinem Fotoalbum einen Schnappschuß von der linken Seite findet, der die Nachgestaltung erlaubt. H. G. Schultze-Berndt Historisches Archiv zur Ingenieurausbildung Wie in unseren „Mitteilungen", Jahrgang 1977, Heft 3, Seite 324, bereits kurz gemeldet wurde, ist im Hause der Technischen Fachhochschule Berlin, Luxemburger Straße 10, 1000 Berlin 65, ein historisches Archiv eingerichtet worden, in dem alle erreichbaren Unterlagen über die Geschichte der Ingenieurausbildung in Berlin (ausgenommen die Technische Universität) gesammelt und ausgewertet werden. Einerseits will man Archivalien aus der Geschichte der im April 1971 zur Technischen Fachhochschule vereinigten Institutionen zusammentragen: der Ingenieurschulen bzw. -akademien für Bauwesen (früher Leinestraße und Kurfürstenstraße) sowie Beuth, Gauß und Gartenbau. Andererseits sollen Textmaterial und Bildunterlagen ähnlicher Institutionen gesammelt werden. Ziel ist es, einen Überblick über das Technische Bildungswesen in Berlin seit rund 200 Jahren zu erlangen. Das Archiv wird von Professor Wefeld betreut, Telefon 4 50 44 20. H. G. Schultze-Berndt Ehrungen zum 50. Todestag Heinrich Zilles Aus Anlaß des 50. Todestages, am 9. August 1979 werden Leben und Werk dieses Künstlers in mehreren Ausstellungen gewürdigt. So eröffnete das Berlin Museum am 7. September seine Ausstellung „Heinrich Zille und sein Berliner Volk". Bereits seit dem 9. August läuft im Märkischen Museum eine Sonderausstellung. In sechs Ausstellungsräumen werden bis zum November 1979 mehr als 300 Arbeiten (Zeichnungen, Druckgrafiken, Buchveröffentlichungen und Fotografien) gezeigt. Die Bestände des Märkischen Museums, das bereits 1928 dem Meister eine erste große Jubiläumsausstellung widmete und das seit 1966 ein Zille-Kabinett unterhält, werden durch Leihgaben des Kupferstich-Kabinetts und der Sammlung der Zeichnungen der Staatlichen Museen zu Berlin, der Akademie der Künste der DDR, des Kupferstich- 111 kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, des Kulturhistorischen Museums Magdeburg sowie aus Privatbesitz ergänzt. (Der Besuch dieser beiden Ausstellungen ist in das Veranstaltungsprogramm unseres Vereins für das IV. Quartal aufgenommen.) Die Galerie Pels-Leusden präsentiert aus dem selben Anlaß rund 200 Werke. In der Festspielgalerie gegenüber der Gedächtniskirche werden Heinrich Zille, Kenner des Berliner „Milljöhs", und Emile Zola, der große französische Romancier, mit ihren fotografischen Arbeiten vorgestellt. Es ist vorgesehen, im nächsten Heft einen wertenden Rückblick auf alle Ausstellungen und Veranstaltungen abzudrucken. Von unseren Mitgliedern Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land Es war akkurat eine halbe Hundertschaft, die sich vom 31. August bis 2. September 1979 vom Programm der Exkursion und vom herrlichen Sommerwetter nach Braunschweig und in sein Umland verführen ließ. Auftakt gleich nach der Ankunft am Ort war ein Besuch des Hofbrauhauses Wolters, wo ein bescheiden als Imbiß getarntes Mittagessen auf die Gäste wartete. Grußworten des Vorstandsvorsitzenden Wolf Horenburg folgte ein Rundgang durch die hochmoderne Brauerei, bei dem sich Betriebsleiter Schwind und Braumeister Meier als so zuverlässige wie geduldige Führer erwiesen. Das nötige Hintergrundwissen zu dieser Symbiose von Tradition und moderner Technik vermittelte Dr. H. G. Schultze-Berndt mit seinem Vortrag „Zur Geschichte des Braunschweiger Bieres und des 350jährigen Hofbrauhauses Wolters". Eine Kaffeetafel (es durfte aber auch Bier getrunken werden) beendete diese Station der Reise, und es war nur folgerichtig, daß sich die Gäste am Abend im Stammhaus der Brauerei, dem „Haus zur Hanse", einfanden. Noch um Mitternacht wurden dann unermüdliche Reiseteilnehmer in Gartenlokalen der Innenstadt angetroffen, was zumindest für die milde Nachtluft sprach. Am 1. September 1979 erwartete Segeband von Henninges die Besucher in der Deutschordenskommende Lucklum, wo er, selbst Johanniter und historisch bewandert, in die Geschichte des Deutschritter-Ordens einführte, dessen Bedeutung und heutige Stellung aufzeigte und schließlich die Kirche und den Rittersaal erläuterte. Pünktlich war die Reisegesellschaft dann im Eulenspiegelmuseum in Schöppenstedt zur Stelle, auf dessen Stufen sie von Otto Buhbe, dem Vorsitzenden des Freundeskreises Till Eulenspiegels e.V., empfangen wurde. Er zitierte die historische Gestalt Eulenspiegels und zeigte an den Objekten des Museums auf, wie sich Kunst und Volkstum im Laufe der Jahrhunderte mit jeweils eigenem Anspruch dieses Schalksnarren und Volkshelden angenommen haben. Es blieb dann noch Zeit zu einem Spaziergang im sonnigen Reitlingstal, das Mittagessen in der Gaststätte „Reitling im Elm" verdiente hohes Lob, und auf die Minute fuhr der Omnibus an der Stiftskirche in Königslutter vor, der der Stadtarchivar Heinz Röhr das Prädikat „Kaiserdom" verlieh. Er wußte von Baugeschichte und Historie dieses mittelalterlichen Kleinods mit Sachkunde zu berichten, mußte aber seine Gäste an der alten Linde verabschieden, damit diese die durch ein Chorkonzert eingeengte Zeit zur Besichtigung der Klosterkirche Riddagshausen unter Führung von Pastor Dr. Gottfried Zimmermann nicht versäumten. Im aufgeregten Trubel des Riddagshäuser Mühlenfestes vermochte er aber hinreichend Aufschluß zu geben über den Kirchenbau, wie er sich generell als profunder Kenner der Zisterzienser und ihrer Klostergründungen in ganz Europa erwies. Er führte über den schönen Kleiderseilerweg zum „Grünen Jäger" in Riddagshausen, dessen Geschichte (Stendhal, Wilhelm Raabe) von Dr. H. G. Schultze-Berndt kurz skizziert wurde. Der Hinweis von Frau Zimmermann auf die in Riddagshausen wieder erstandenen Fachwerkhäuser, die in anderen Landesteilen abgebrochen werden mußten, bescherte noch ein interessantes Erlebnis. Das historische Gewandhaus am Altstadtmarkt vereinte die Reisegefährten und war zumindest die erste Station eines vergnüglichen Abends. Der sonntägliche Stadtrundgang am 2. September 1979 unter Führung von Dr. Manfred Garzmann machte mit der Geschichte der in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1944 zu 90 % zerstörten Stadt Braunschweig und ihrer ursprünglichen fünf Weichbilder bekannt. Von den mehr als 800 Fachwerk112 häusern sind nur wenige erhalten geblieben, die heute vielfach in sogenannten Traditionsinseln konzentriert werden. Dr. Garzmann war so sachverständig wie einfühlsam, er wußte den Spaziergang in der Sonnenglut auch geschickt zu dosieren, verschaffte aber den Teilnehmern einen guten Überblick über die einzelnen Viertel der Stadt und über die beherrschenden Kirchen, sofern nicht Kaufhausneubauten neue Herrschaftsansprüche durchgesetzt hatten. Im Dom St. Blasii übernahm Domvogt Reuter das Regiment, führte zu den einzelnen Schätzen dieses Prachtbaus und ließ auch die Fürstengruft nicht aus. Dort in der Kühle stieß Oberkustos Dr. Bodo Hedergott zur Reisegruppe, der unter dem Löwen der Weifen Proben seiner Vortrags- und Lebenskunst gab, diese am Kaisermantel in der Burg Dankwarderode bewies und schließlich vor dem Familienbild Rembrandts im Herzog-Anton-Ulrich-Museum zur Meisterschaft entfaltete. Seine Mahnung, „wir Menschen sollten wieder die Kunst des Weglassens üben", galt nicht nur für die Stipvisite in diesem reichen Museum, sondern für die ganze Studienfahrt, die nicht mehr kann als einen Überblick verschaffen und nicht mehr will als Anregungen geben. So sah man dann beim Mittagessen im „Hotel Lorenz" und bei der Kaffeepause im „Quellenhof" zu Bad Helmstedt nur frohe Gesichter. Dies mag auf die allgemeine große Zufriedenheit zurückzuführen sein, die beim Wetter begann, beim vorzüglichen Frühlings-Hotel nicht endete und (man höre und staune) sogar den Omnibus und dessen Fahrer einschloß. Ziel der Exkursion 1980 soll das MindenRavefisbergische Land sein. . H. G. Schultze-Berndt Ehrenvorsitzender Professor Hoffmann-Axthelm verabschiedet In einem kleinen Kreis von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern der Bibliothek wurde Professor Dr. Dr. Walter Hoffmann-Axthelm am 20. Juli 1979 im Ratskeller Schmargendorf vor seiner Übersiedlung nach Freiburg (Breisgau) verabschiedet. Der Vorsitzende Dr. Gerhard Kutzsch würdigte in wohlgesetzten Worten die Tätigkeit seines Vorgängers in 14jähriger Amtsdauer und seine Verdienste um den Verein. Professor Hoffmann-Axthelm erinnerte sich des schweren Beginns als Nachfolger von Bruno Harms, als der Verein nur 350 Mitglieder hatte (heute rund 850) und als es auch finanziell schlecht aussah. An äußeren Dingen kann Professor Hoffmann-Axthelm für sich verbuchen, die Mitgliederverzeichnisse neu aufgelegt, die Reihe der „Grünen Schriften" fortgesetzt und die FidicinMedaille zu neuem Leben erweckt zu haben. Als Abschiedsgeschenk, zugleich im Namen seiner Frau, Dr. Irmtraut Hoffmann-Axthelm, überreichte er dem Verein eine Nachbildung der Freiheitsglocke aus Porzellan der KPM mit dem Wunsch, es mögen niemals Zeiten kommen, in denen das heute übliche Lächeln über diese Glocke erstirbt. Vom 1. August 1979 an lautet die Anschrift unseres Ehrenvorsitzenden und seiner Ehefrau wie folgt: Schlierbergstraße 84, 7800 Freiburg (Breisgau), Telefon (07 61) 40 65 10. Für das Einleben in der neuen Wahlheimat, die man nun wohl schon Altersruhesitz nennen kann, gelten unserem langjährigen Vorsitzenden gute Wünsche. H. G. Schultze-Berndt * Ohne Angabe des Absenders wurden wir davon informiert, daß unser Mitglied, der ehemalige Sparkassenrevisor Walter Ballin, im September sein 70. Lebensjahr vollenden konnte. Wenn er in der Liste der Geburtstagskinder nicht aufgeführt wurde, so deswegen, weil er seit geraumer Zeit unbekannt verzogen ist. H. G. Schultze-Berndt * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Egon Fouquet, Frau Frieda Haack, Herrn Sigismund Keuten, Frau Gittli Münckner, Herrn Leonard Rautenberg, Herrn Rudolf Schramm; zum 75. Geburtstag Frau Adelheid Beck, Herrn Helmut Otto Krüger, Herrn Dr. Ernst G. Lowenthal, Herrn Prof. Julius Posener, Frau Ilse Sarneck, Herrn Dr. Fritz Wegener; zum 80. Geburtstag Frau Käthe Hahn, Frau Eva Klauert, Frau Elisabeth Kliche; zum 85. Geburtstag Herrn Heinrich Kühn; zum 90. Geburtstag Herrn Walter Jagow. 113 Buchbesprechungen Neue Publikationen zur nationalsozialistischen Stadtplanung in Berlin Jost Dülffer/Jochen Thies/Josef Henke: Hitlers Städte. Baupolitik im Dritten Reich. Köln: Böhlau 1978. 320 S. m. Abb., brosch., 44 DM. *c Lars Olof Larsson: Die Neugestaltung der Reichshauptstadt. Albert Speers Generalbebauungsplan für Berlin. Stuttgart: Hatje 1978. 196 S., 188 Abb., brosch., 56 DM. Mak} vAdelbert Reif: Albert Speer. Kontroversen um ein deutsches Phänomen. München: Bernard u. Gräfe . 1978.501S.,Ln.,39DM. nM\/ Albert Speer: Architektur. Arbeiten 1933 — 1942. Mit einem Vorwort von Albert Speer und Beiträgen von Karl Arndt, Georg Friedrich Koch u. Lars Olof Larsson. Berlin: Propyläen 1978. 179 S., 64 Abb., Ln., 78 DM. / (Hans Reuther: Die Museumsinsel in Berlin. Berlin: Propyläen 1978. 160 S., 84 Abb., Pappbd., 68 DM. * f Rudolf Wolters: Stadtmitte Berlin. Stadtbauliche Entwicklungsphasen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Tübingen: Ernst Wasmuth 1978. 224 S., 321 Abb., Ln., 68 DM. Der Zusammenhang zwischen dem politischen System auf der einen und städtebaulicher und architektonischer Gestaltung auf der anderen Seite ist seit langem bekannt und in nahezu allen Geschichtsepochen nachzuweisen. Nirgends jedoch ist dieser Zusammenhang deutlicher zu erkennen als im totalen Staat Adolf Hitlers. Jochen Thies, der die unmittelbare Verbindung machtpolitischer Ideen und Architekturvorstellungen in dem Gedankengut Adolf Hitlers bereits früher in einer größeren Publikation dargelegt hat, publiziert nun gemeinsam mit Jost Dülffer und Josef Henke eine Reihe von Dokumenten, die einen Einblick in die nur ansatzweise verwirklichte Neugestaltung deutscher Städte geben. Besonders umfangreich Pläne wurden für die „Führerstädte" Berlin, Hamburg, Nürnberg und Linz a. d. Donau entwickelt. Die Planungsstäbe waren jeweils direkt von Hitler beauftragt und arbeiteten unabhängig von den städtischen Planungsämtern. Die so häufig im nationalsozialistischen „Führerstaat" zu beobachtende bewußte Doppelbeauftragung, die nicht selten zu erheblichen Reibungsverlusten führte, fehlte auch auf dem Gebiet der Neugestaltung der „Führerstädte" nicht, wie das in der Dokumentation abgedruckte Schreiben des „Generalbaurats für die Hauptstadt der Bewegung (München)", Hermann Giesler, aus dem Jahre 1944 (S. 269 f.) zeigt. Neben Giesler scheint sich überhaupt nur der „Generalinspekteur für die Neugestaltung der Reichshauptstadt", Albert Speer, einer beständigen Zustimmung Hitlers erfreut zu haben. Speer war ab 1936 mit der Berliner Planung befaßt, nachdem die städtischen Behörden, die bereits 1933 mit Hitlers Umgestaltungsplänen vertraut gemacht worden waren, in Hitlers Augen unzureichend gearbeitet hatten. Darüber hinaus enthält die Dokumentation einiges Interessante, z. B. zu Fragen der Baukosten, die in Berlin wie in den anderen Ausbaustädten in groben Überschlägen berechnet werden konnten, und zu Einzelobjekten, wie dem vorgezogenen Ausbau des Flughafens Tempelhof. Sämtliche Dokumente werden als reproduzierte Kopien, d.h. ohne jeden editorischen Aufwand, vorgelegt. Eine Ausnahme macht lediglich der Abdruck der programmatischen Rede Hitlers vom 10. Februar 1939. Da die Mühe der Herausgeber bei der Edition der Einzeldokumente doch denkbar gering war, hätte man die Überblicksinformationen zur Gesamtthematik und den einzelnen Ausbauorten leicht durch systematische Archivalienverzeichnisse ergänzen können. Die wohl umfangreichste Studie über die Planung Speers in Berlin legt der schwedische Architekturhistoriker Lars Olof Larsson in seiner Schrift: „Die Neugestaltung der Reichshauptstadt" vor. Der Nachlaß eines engen Mitarbeiters Speers, Hans Stephan, diente ihm als Ausgangspunkt, Einzelaspekte des in der Planung bis 1950 vorgesehenen Ausbaus Berlins zum Zentrum eines nationalsozialistischen Weltreiches vorzustellen. Die monumentalen Straßen wie die „Große Straße", die „Ost-West-" und „Nord-Süd-Achse" werden ebenso behandelt wie die neue „Hochschulstadt" (im Grunewald), die Grünplanung und der Wohnungsbau. Norden (Lehrter Bahnhof) und im Süden (Anhalter und Potsdamer Bahnhof) hätte den Ausbau der Prachtstraßen und -gebäude möglich gemacht. Dies städtebauliche Problem stellt sich mit neuer Aktualität den heutigen Planern! Bezeichnend ist, daß die Wohnungsplanung sich an den Kleinwohnungsbau der vorangegangenen Weimarer Epoche anschloß, ohne jedoch deren Qualität zu erreichen. — Der Wohnungsbau hatte keine Priorität. 114 Manche Einzelheiten zu Einzelproblemen der Speer-Planung enthält der von Hans Reuther verfaßte Band über die Museumsinsel. Wie viele andere Einrichtungen sollten auch die Museen gigantisch vergrößert werden. Dies hätte die Niederlegung des gesamten nordöstlich an die Museumsinsel angrenzenden Stadtteils erfordert. Neben den sehr informativen Arbeiten von Larsson und Reuther kann, trotz exzellenter äußerlicher Gestaltung, die Schrift „Stadtmitte Berlin" von Rudolf Wolters kaum bestehen. Der ehemalige SpeerMitarbeiter Wolters unternimmt hier einen Versuch, die baukünstlerische Gestaltung des Zentrums von Berlin bis in die Gegenwart zu beschreiben. Besonders breiten Raum nimmt dabei auch die nationalsozialistische Planung ein, ohne daß Neues berichtet wird. Speer hatte mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit wohl am besten die Intentionen Hitlers erfaßt und in seine Planungen aufgenommen. Ebenso wie für seinen Bauherrn standen für ihn sowohl in der stadtplanerischen wie auch in der architektonischen Gestaltung ästhetisch-baukünstlerische Momente im Vordergrund. In dem Vorwort seines vom Propyläen-Verlag in vorzüglicher Ausstattung herausgebrachten Werkes über Architektur, das neben den Berliner Bauten und Planungen u. a. auch die Entwürfe für die Gestaltung des Reichsparteitaggeländes in Nürnberg enthält, geht er zwar auf die von Karl Arndt im gleich Band näher erläuterten Zusammenhänge zwischen dem nationalsozialistischen Macht- und Unterwerfungswillen und der von ihm entworfenen Architektur ein, doch zeigt die Bildauswahl und -kommentierung eindeutig einen Schwerpunkt im ästhetischen Bereich. Die in dem Werk ebenfalls enthaltenen Aufsätze von Georg Friedrich Koch: „Speer, Schinkel und der preußische Stil" und „Klassizismus in der Architektur des 20. Jahrhunderts" von Lars Olof Larsson zeigen, daß die einzelnen Stilmomente sehr wohl in der zeitgenössischen Architektur enthalten waren, nicht jedoch deren maßstabslose Anwendung, sieht man von einigen, niemals über skizzenhafte Planungen herausgekommenen Ideen für Bauten in Moskau, Rom und Chikago ab. Albert Speer gehörte auch zu den wenigen führenden Personen, die eine Mitschuld an den Verbrechen des Dritten Reiches öffentlich bekannten, freilich in sehr eingeschränkter Form. Urteile und Meinungen über die vermeintliche oder tatsächliche Wandlung Speers von einem blinden Gefolgsmann zu einem kritischen Gegner des Naziregimes wurden von Adelbert Reif in dem Buch: „Albert Speer. Kontroversen um ein deutsches Phänomen" zusammengetragen. Außer den Akten des Nürnberger Gerichtshofes wurden vor allem Stimmen zu den beiden autobiographischen Schriften Speers aus der Feder namhafter Publizisten und Historiker erfaßt. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die von Eugen Gerstenmaier aufgeworfene Frage: „Was ist Schuld, was Schicksal?" (S. 485-489). Schuld haben sich alle, die an verantwortlicher Stelle an der Bauplanung für die „Führerstädte" beteiligt waren, aufgeladen: Polnische KZ-Häftlinge sollten 1940 in Hamburg zu den vorbereitenden Arbeiten herangezogen und die Klinkersteine im Lager Neuengamme hergestellt werden. Zwischen der Stadt Berlin und der SS, die auch ein entsprechendes Baustoffwerk im KZ Oranienburg unterhielt, bestanden ähnliche Verträge (Dülffer/Thies/Henke, S. 199 f.). Felix Escher Kunstwerke und Dokumente aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hrsg.: HansGeorg Wormit. Stuttgart: Kohlhammer 1978. 236 S. m. 216 Abb. (zum Teil farbig), Ln., 48 DM. Seit 1962 arbeitet die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Sie hat die Sammlungen des früheren Staates Preußen, die man ihr anvertraute, zusammengefaßt, Neubauten errichtet, Neuerwerbungen durchgeführt und damit begonnen, die Stiftungseinrichtungen im Innern planmäßig auszubauen. Sie wurde zu einem geistigen Organismus, der im deutschen Sprachgebiet seinesgleichen sucht - gemessen an der Vielfalt und dem Wert seiner Bestände, der Architektur und sachlichen Eignung seiner neuen Gebäude, dem Interesse der Öffentlichkeit an seinen Sammlungen und der Intensität der wissenschaftlichen Arbeit, die in ihnen geleistet wird. - Mit diesen Worten leitet Hans-Georg Wormit sein Vorwort ein. Als Zweck der vorliegenden Schrift bezeichnet er es, dem großen Kreis der Besucher und Benutzer der Museen, Bibliotheken, Archive und Institute einen Überblick über die Werte zu geben, die im Eigentum der Stiftung liegen, und Auskunft darüber zu erteilen, wo die einzelnen Gegenstände zu finden sind. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, daß die Herkunft des Preußischen Kulturbesitzes makellos ist und sich nirgends Beutestücke finden lassen. Am 25. Februar 1947 wurde der Staat Preußen durch das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats aufgelöst. Das Kulturerbe Preußens war über mehrere Länder verstreut, und es hätte nahegelegen, 115 die Sammlungen Preußens in Bundeseigentum überzuführen oder sie auf die Nachfolgeländer des aufgelösten Preußens aufzuteilen. Der Bundesminister des Innern als Vorsitzender des Stiftungsrates bezeichnet die schließlich gefundene Lösung, mit der gleichzeitig Berlin eine weitere Chance gegeben wird, sich als geistige Hauptstadt des deutschen Volkes zu behaupten, als „eine der bedeutsamsten kulturpolitischen Leistungen der Nachkriegszeit". Stephan Waetzoldt nennt den 3. August 1830, den Eröffnungstag des von Schinkel erbauten „Alten Museums", als das offizielle Gründungsdatum der Preußischen Staatlichen Museen und Wilhelm von Humboldt als deren geistigen Vater. Die Geschichte der Preußischen Kunstsammlungen beginnt aber rund 150 Jahre früher, in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten. Alle seine Nachfolger haben die Bestände vermehrt, vor allem Friedrich der Große, der die Gemäldegalerie von Sanssouci als den ersten selbständigen Museumsbau in Deutschland errichtete. Als die Preußischen Museen 1930 auf den Stufen des Pergamon-Altars ihr lOOjähriges Bestehen feiern konnten, waren aus den ursprünglich fünf Abteilungen inzwischen 19 geworden. Nach dem Kriege gelangten Sammlungen von insgesamt 14 Museen nach Berlin (West). Heute gehören dort die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz nach Umfang und Qualität ihrer Sammlungen, nach der Art ihrer Dienstleistungen und nach der Geltung ihrer Forschungstätigkeit wieder zu den ersten in der Welt. Über die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz berichtet Ekkehart Vesper. Von den drei Millionen Bänden, die während des Krieges ausgelagert wurden, fanden sich etwa 1,7 Millionen Bände in den westlichen Besatzungszonen wieder, Grundstock für den heutigen Bestand. Man erfährt Einzelheiten über die Sammelschwerpunkte wie auch über die Arbeit z.B. an den Gesamtverzeichnissen der Zeitschriften. Sicher ist nicht allgemein bekannt, daß das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz die zur Zeit größte historische Fachbibliothek in Berlin (West) besitzt. Gerhard Zimmermann weist überdies auf die Ausstellungen und auf die Publikationstätigkeit hin. 1930 führte die preußische Kulturpolitik in Berlin zur Errichtung des Ibero-Amerikanischen Instituts, deren einzelne Sammlungen und Veröffentlichungen von Hans-Joachim Bock vorgestellt werden. Schließlich erfährt man aus der Feder von Hans-Peter Reinecke, daß das Staatliche Museum für Musikforschung und Musikinstrumenten-Museum auf ein 1917 von Adolf zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg gegründetes Institut zurückgeht, das 1934 nach Berlin verlegt wurde. Heute gliedert es sich in vier Abteilungen: die Musikinstrumentenkundliche Abteilung mit Musikinstrumenten-Museum, die Historische Abteilung, die Abteilung für Musikalische Volkskunde und diejenige für Musikalische Akustik. Der Text beschränkt sich auf knappe Übersichten; wertvoller schien es dem Herausgeber zu sein, anhand von Abbildungen exemplarisch aufzuzeigen, wie reich und vielgestaltig der Bestand ist. Der Kenner wird so viele Beispiele finden wie auch vermissen. H. G. Schultze-Berndt v Klaus-Dieter Wille: 42 Spaziergänge. Historisches in Charlottenburg und Spandau. Berlin: Hessling 1976. Pappbd., 144 S. m. Abb., 19,80 DM (Berliner Kaleidoskop Bd. 17). Mit diesem Büchlein, das bequem in die Brusttasche jedes Wanderers paßt, hat der Autor eine hervorragende Orientierungshilfe nicht nur für den einheimischen Spaziergänger, sondern auch für jeden Berlin-Besucher geschaffen. Die jeweils zwischen den Artikeln eingefügten klaren Straßenpläne mit deutlicher Numerierung und Erläuterung der sehenswerten Objekte machen auch unkundigen Wissensdurstigen das Auffinden leicht. Gerade die sonst in dickleibigen Werken vernachlässigten weil von „höherer" Warte als unwichtig angesehenen - und doch für einen heimatliebenden Menschen so liebenswerten, oft versteckt liegenden Häuser, Plätze u. a. m. zu besuchen und Einzelheiten darüber zu vermitteln, lag in der Absicht des Verfassers, und dies ist dem Heimatforscher und Erzähler Klaus-Dieter Wille recht gut gelungen. Als alter Charlottenburger kann man eigentlich nur bedauern, daß nicht das ganze Buch mit Dingen aus unserem Bezirk ausgefüllt worden ist; denn sie sind doch vor allem hier reichlich vorhanden. Lobenswert war die Absicht des Autors, knappe Einführungen in die Geschichte der beiden ehemaligen selbständigen Städte zu geben. Demjenigen, der wie der Rezensent sein Leben in dieser Gegend mit offenen Augen und Interesse an der Heimatkunde verbracht hat, muß es aber u. a. seltsam erscheinen, warum der Autor z. B. bei dem Gefallenendenkmal am Bahnhof Zoo von Rätseln spricht, obwohl der Standort vor dem Landwehr-Kasino und die Inschrift am Sockel alles erklären. Enthält 116 der Satz: „Auf einem rechteckigen Sockel. . . " einen Druckfehler? Er soll doch sicher enden: . . .„Standbild eines idealisierten Kriegers." - nicht „eines Krieges." Es schmerzt auch alte „Lützower" sehr, wenn heute jemand abwertend von einer deklarierten oder einer Pseudo-Dorfaue in bezug auf den seit Jahrhunderten bestehenden Dorfplatz - heute AltLietzow benannt - spricht. Dieser Ort ist seit der Gründung des Dorfes der Mittelpunkt mit Friedhof und Kirche gewesen. Noch in den dreißiger Jahren „wanderten" hier die Kinder zur Kirche - selbst diejenigen, die nördlich der Spree wohnten - vorbei an den restlichen Grabkreuzen vor dem Kirchentor und vorbei an den letzten Bauernhäusern. Diese Dorfaue zeigt heute noch ihre historische Struktur, nur daß die ehemaligen Feldwege jetzt Straßen sind. Es wäre auch noch manche Ergänzung zum besseren Verständnis des ahnungslosen Betrachters angebracht, z.B. daß das Haus Tegeler Weg 21 nach Beendigung der Tätigkeit von Dreisbach jahrzehntelang ein nettes und vielbesuchtes Gartenlokal war und erst nach den Kriegszerstörungen 1945 als vorläufiges Provisorium einen Kindergarten aufnahm. Doch sollten diese Einzelheiten kaum die Lust mindern, den hier vorgeschlagenen Spazierwegen zu folgen. Fritz Bunsas Weihnachten im alten Berlin. Texte und Bilder gesammelt von Gustav Sichelschmidt. Berlin: Rembrandt 1978. 159 S. m. 26 Abb., geb., 14,80 DM. Das vorliegende Büchlein bietet uns eine recht umfassende Auswahl Altberliner Weihnachtsimpressionen, die einen Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten umfaßt und so bekannte Dichter wie Ludwig Tieck, Willibald Alexis, Adolf Glassbrenner, Heinrich Seidel und Julius Stinde - um nur einige zu nennen - zu Worte kommen läßt. Sie beschreiben zumeist das bunte Leben und Treiben auf dem Berliner Weihnachtsmarkt vor der Kulisse des Schlosses. Die dichte und fast sinnlich wahrnehmbare Atmosphäre wird noch angereichert durch eine Reihe guter, teilweise farbiger Bildwiedergaben von Chodowiecki, Hosemann, Zille u. a. - Ein anheimelndes Buch für die bevorstehende Adventszeit, doch sollte man sich beim Lesen und Anschauen der Bilder vergegenwärtigen, daß es auch Kinder waren, die bei klirrender Kälte, durchfroren und sicher oft hungrig ihre „Dreierschäfken", Pyramiden und „Walddeibel" verkaufen mußten - die Beunruhigung darüber brachte Theodor Storm in seinem Gedicht „Weihnachtsabend" zum Ausdruck. Irmtraut Köhler Oswald Meichsner: Der Kurfürstendamm gezeichnet von Oswin. Berlin: O. Meichsner (Selbstverlag) l°79,kart.,3()DM. In Form eines Leporellos legt Oswin ein getreues Abbild des Kurfürstendamms zwischen Gedächtniskirche und Adenauerplatz (Wilmersdorfer Straße) in seiner gegenwärtigen Gestalt vor. Der Bildspaziergang auf dem Flanier-Boulevard hat für jede Straßenseite eine Länge von 7,50 m. Dabei ist es Oswin gelungen, nicht nur die Fassaden darzustellen, sondern auch das Straßenleben einzufangen. Neben dem künstlerischen Wert kommt dem Werk auch eine zeitgeschichtliche Bedeutung zu. 1946 hatte sich Oswin nämlich schon einmal der gleichen Aufgabe unterzogen und das Ergebnis ebenfalls als Leporello herausgegeben. Obwohl als Werbegeschenk nachgedruckt, ist diese Ansicht des Kurfürstendamms seit längerer Zeit nicht mehr erhältlich. Die der Neuauflage beiliegende - im Format etwas kleinere - „Erstfassung" ermöglicht einen Vergleich, der nicht nur zugunsten unserer Zeit ausfällt. Trotz der noch zahllosen Ruinen hatte - das wird deutlich - der Kurfürstendamm sich bereits 1946 seine Stellung im Berliner Leben zurückerobert, wenn auch der Wiederaufbau zunächst meist auf das Erdgeschoß beschränkt bleiben mußte. Zahlreiche Geschäfte behielten trotz der Errichtung pompöser, den Stil der Straße störender Warenhäuser und Büropaläste ihren Standort bei. Der Charakter der Straße blieb unverändert, wenn auch die Gebäude, ebenso wie Oswins flanierende Berliner, in den letzten dreißig Jahren erheblich an Umfang zugenommen haben. Ebenso einfühlsam und liebevoll wie die zeichnerische Darstellung des Kurfürstendamms ist die Einführung des als Schriftsteller und Dramatiker nicht weniger bekannten Bruders des Künstlers, Dieter Meichsner. Es ist eine in ihrer Originalität und Qualität rundum gelungene Berlin-Publikation. Felix Escher 117 Irmgard Wirth: Berlin 1650—1914. Von der Zeit des Großen Kurfürsten bis zum Ersten Weltkrieg. Stadtdarstellungen aus den Sammlungen des Berlin Museums. Hamburg: H. Christians Druckerei und Verlag 1979. 218 S. m. 182 z. T. fbg. Abb., Pappbd., 98 DM. Nach Jahren einer gewissen qualitativen Bescheidenheit auf diesem Sektor der Berlinliteratur kam im Frühjahr dieser Berlinband heraus, der, um das Fazit voranzustellen, durchaus das Prädikat „hervorragend und repräsentativ" für sich beanspruchen darf. Dies gilt sowohl für den Inhalt als auch für die Gestaltung und, mit kleinen Abstrichen, die technische Ausführung. Aufgeteilt in die zwei Kapitel „1650—1871, Berlin - Haupt- und Residenzstadt des Kurfüstentums Brandenburg und des Königreiches Preußen" und „1871 — 1914, Hauptstadt des Deutschen Reiches", bietet dieser Band mit seinem überwiegend kulturgeschichtlichen Text und dem sehr guten Bildmaterial dem an der stadtgeschichtlichen Entwicklung Interessierten die Möglichkeit, seine Kenntnisse um ein Beträchtliches zu erweitern. Anhand von Plänen, Architekturzeichnungen, Urkunden, Gemälden und Druckgrafik kann der Leser nachvollziehen, wie sich die doch recht bescheidene Hauptstadt Berlin-Coelln des Kurfürstentums Brandenburg im Laufe der Jahrhunderte langsam zu einer der großen und bedeutenden europäischen Metropolen entwickelte. Deutlich wird hier außerdem, daß seit dem 17. Jahrhundert das Interesse an der topografischen Darstellung der Stadt wuchs. Eine Entwicklung, die dieser Band vorzüglich kommentiert. Auch das Loslösen von der reinen Architekturmalerei beginnt; Mensch und Tier beleben nun die Szene, schaffen somit Atmosphäre. Vom barocken bis zum klassizistischen Berlin ist leider kaum noch etwas erhalten geblieben und damit das ursprüngliche Gesicht dieser Stadt nur in Spuren erkennbar. Um so reizvoller dürfte daher der hier gebotene Rückblick sein. Irmgard Wirth, seit nunmehr zwölf Jahren Leiterin des Berlin Museums, konnte bei der Auswahl der Abbildungen voll aus dem doch inzwischen recht ansehnlichen Fundus des Museums schöpfen. So kann der Leser im ersten Kapitel u.a. die Prospekte und Stadtansichten von Caspar Merian, Johann Ruysche und Johann Stridbeck, den Vogelschauplan von Peter Schenk, Pläne und Zeichnungen von Graf von Schmettau, Andreas Schlüter und Paul Decker, Eosander Göthe, den Prospekt von Matthäus Seutter, Gebäudezeichnungen von J. D. Schleuen sowie Darstellungen aus dem damaligen Berlin von Daniel Chodowiecki, Joh. Georg Rosenberg, Carl Benjamin Schwarz, F. A. Calau, Lütke jun., Karl Friedrich Schinkel, Wilhelm Barth, Adolph Menzel, Theodor Hosemann und Eduard Gaertner betrachten. Im zweiten Kapitel reicht die Palette der Künstler u.a. von Julius Jacob d.J. über Franz Skarbina, Lesser Ury, Max Beckmann, Walter Leistikow, Max Liebermann und Paul Paeschke bis zu Heinrich Zille. Ein ordentliches Namens- und Sachregister sowie ein weiterreichendes Literaturverzeichnis ergänzen den Inhalt. Die grafische Gestaltung lag in den Händen von Andreas Brylka, der, wie bei allen seinen Arbeiten, auch hier um eine einheitliche Linie über alle Seiten des Bandes bemüht war, was leider z. B. bei den Titelseiten etwas unorganisch gegenüber dem Ganzen wirkt. Die Reproduktionen sind ausgezeichnet, wobei nicht verschwiegen werden darf, daß es Abbildungen gibt (z. B. auf Seite 143), die nicht die mögliche Farbgenauigkeit erreichen. Leider sind auch bei diesem Band wieder Abbildungen als Doppelseiten konzipiert und durch den Falz unschön zerteilt; ein Problem, das sicher nie befriedigend gelöst werden wird, will man Querformatiges noch in vernünftiger Verkleinerung abbilden. Auch der zu geringe Bundsteg, vor allem an jenen Seiten, die als Blätter an Bogenteile geklebt wurden, ist anzumerken. Dennoch: Die hier aufgeführten Unebenheiten schmälern nur in geringem Umfang den sehr guten Gesamteindruck, den diese Publikation hinterläßt. Claus P. Mader 118 Unser Verein hat vom Senator für Bau und Wohnungswesen ein Verzeichnis der Ehrengrabstellen Berlins, Stand August 1978, erhalten. Die Liste kann in der Bibliothek eingesehen werden. * Im Jahre 1980 werden die Tagesausfiüge zu lohnenden Zielen in die DDR wieder aufgenommen. Einzelheiten wollen Sie bitte den nächsten Heften der „Mitteilungen" entnehmen. * Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. * Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten. Unser diesjähriges Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird im Oktober ausgeliefert. Es enthält acht Beiträge mit insgesamt 34 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band zugeschickt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr </. Z. 36 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 22,80 DM. Bestellungen von Nichtmitgliedern, Zusatzbestellungen oder Bestellungen von Buchhandlungen direkt in der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, oder beim Westkreuz-Verlag, Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49. Im III. Vierteljahr 1979 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Ursula Dahlhaus, Lehrstuhlsekretärin TU Grolmanstraße 44/45, 1000 Berlin 12 Tel. 8 83 11 21 (Schriftführer) Ilse Giebeler, Dolmetscherin i. R. Romanshorner Weg 64, 1000 Berlin 51 Tel. 4 95 98 64 (H. D. Degenhardt) Käte Haberland Carl-Schurz-Straße 31, 1000 Berlin 20 Tel. 3 33 71 35 (Lucie Brauer) Dr. Anne-Marie Herbst, Biologin Erholungsweg 72,1000 Berlin 27 Tel. 4 33 63 53 (Dr. Schultze-Berndt) Dagmar Jabbusch, MTA Wedellstraße 33, 1000 Berlin 46 Tel. 7 75 16 23 (Dr. Balau) Susanna Janzen, Hausfrau Joachimsthaler Straße 24, 1000 Berlin 15 Tel. 8 81 27 16 (Maria Thiemicke) Werner Janzen, Richter Joachimsthaler Straße 24, 1000 Berlin 15 Tel. 8 81 27 16 (Maria Thiemicke) Reinhardt Link, Postbeamter Romanshorner Weg 73, 1000 Berlin 51 (Dieter Klatt) John Henry Richter, Bibliothekar P.O. Box 7978, Ann Arbor, Mich. 48107 USA (Hans Schiller) Wilhelmine Smink, Rentnerin Paulstraße 6 - 7 , 1000 Berlin 21 Tel. 3 91 84 27 (Lucie Brauer) 119 Veranstaltungen im IV. Quartal 1979 1. Dienstag, den 23. Oktober 1979, 14.00 Uhr: Auf Mitgliederwunsch Wiederholung der Führung durch Park und Schloß Bellevue unter der Leitung von Herrn Günter Wollschlaeger. Treffpunkt am Hauptportal. Fahrverbindungen: Busse 16 und 24. U-Bahn bis Hansaplatz. S-Bahn bis Bahnhof Bellevue. 2. Donnerstag, den 25. Oktober 1979, 16.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung „Heinrich Zille und sein Berliner Volk" im Berlin-Museum, Berlin 61, Lindenstraße 14. Treffpunkt im Foyer. 3. Mittwoch, den 14. November 1979, 11.00 Uhr: Spaziergang am Roseneck. Treffpunkt Rheinbabenallee, Ecke Luciusstraße. Fahrverbindungen: Busse 17, 19, 29, 50 und 60. 4. Sonntag, den 18. November 1979, 10.00 Uhr: Führung durch die Heinrich-ZilleGedenkausstellung im Märkischen Museum Berlin, DDR —Berlin 102, Am Köllnischen Park 5. Treffpunkt in der Vorhalle. Fahrverbindungen: S-Bahn bis Jannowitzbrücke. 5. Dienstag, den 27. November 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Günter Wollschlaeger: „Notizen zur Baugeschichte ehemaliger märkischer Herrenhäuser". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Dienstag, den 4. Dezember 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dr. Hartwig Schmidt: „Antike Motive an Berliner Miethäusern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 7. Sonnabend, den 15. Dezember 1979, 17.00 Uhr: „Musik zum Advent" in der Dorfkirche Alt-Mariendorf. Anschließend vorweihnachtliches Beisammensein im Gasthof „Heidekrug", Alt-Mariendorf 33. Fahrverbindungen: U-Bahn bis Alt-Mariendorf. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Freitag, den 19. Oktober, 16. November und 14. Dezember, ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, 1000 Berlin 19, Königin-Elisabeth-Straße 10. Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank, 1000 Berlin 19, Kaiserdamm 95. Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 10 01, App. 2 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 120 RafsbifaHc'/ FadiabtJ-der Berliner Sic A1015FX MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 76.Jahrgang Heftl Januar 1980 Haupteingang der Villa von der Heydt. Nach dem Entwurf von G. Linke und H. Ende, gezeichnet von A. v. Keller, Lithografie, 1864. 121 Die Villa von der Heydt. Zeichnung von Gottlob Theuerkauf. Holzschnitt, 1866. // Die ehemalige Von-der-Heydt-Villa und ihre Umgebung Von Hans Werner Klünner Im Januar 1980 beziehen Präsident und Verwaltung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihr neues Dienstgebäude - die wiederaufgebaute Villa „von der Heydt" in der Von-derHeydt-Straße 18 am Südrand des Tiergartenviertels. Dieser Wandel der letzten der alten hochherrschaftlichen Tiergartenvillen zum Verwaltungsgebäude ist der Anlaß zu einem Rückblick auf seine Geschichte und die seiner Umgebung. Als der preußische Handelsminister August von der Heydt im Jahre 1860 das Grundstück zwischen dem Gartenlokal Moritzhof und dem Landwehrkanal kaufte, um sich hier eine Villa bauen zu lassen, lag es noch auf Charlottenburger Gebiet, aber die Eingemeindung dieses Teils der Nachbarstadt nach Berlin war mit „Allerhöchster Kabinettsordre" vom 27. Januar 1860 bereits verfügt und sollte ab 1. Januar 1861 in Kraft treten. Das Grundstück des Ministers umfaßte damals die Hälfte eines 240 m langen und 60 m tiefen Geländestreifens, der durch die Von-der-Heydt-Straße nördlich, die Calandrelli-Anlage östlich, das Herkulesufer südlich und die Klingelhöferstraße westlich begrenzt wird und den 122 Wohnhaus des Stadtgerichtsrates Lehmann in Berlin. Nach dem Lntwurf von G. Linke, gezeichnet von A. v. Keller. Lithografie, 1864. heutigen Hausnummern 1 5 - 1 8 entsprach. (Der jetzige gebogene Verlauf der Von-derHeydt-Straße ist bei einem „verkehrsgerechten" Umbau vor etwa fünfzehn Jahren entstanden.) Die ganze Fläche war ursprünglich Ackerland, später Teil einer Maulbeerplantage und entstand durch den in den Jahren 1845 bis 1849 durchgeführten Ausbau des Schafgrabens zum Landwehrkanal nach Peter Josef Lennes Plänen. Bis dahin floß der Graben westlich der heutigen Calandrelli-Anlage nicht in seinem heutigen Lauf, sondern bog hier nach Nordwesten stark ab. um durch die heutige Köbisstraße zu fließen. Der neue Landwehrkanal hingegen fließt mit Benutzung des alten „Markhofschcn Grabens", eines Entwässerungsgrabens der Charlottenburger Feldmark, in Richtung des Zoologischen Gartens südlich am Tiergarten vorbei. In das so entstandene Dreieck der Wasserläufe ließ August von der Heydt seine Villa setzen, mit der Haupt- und Ansichtsseite bewußt nach Osten orientiert, wie der hier gezeigte Holzschnitt von Gottlob Theuerkauf es deutlich macht. Die Villa wurde nach einem Entwurf des Geheimen Oberbaurates im Handelsministerium, G. A. Linke, durch den Baumeister Hermann Ende von 1860 bis 1862 erbaut. Von Ende selbst entworfen waren die Nebengebäude im Schweizerhausstil und die Umfassungs123 mauer, vielleicht auch die Innendekoration des Hauses. Die Urheberschaft Linkes an der Villa wird von Irmgard Wirth in „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Bezirk Tiergarten", Berlin 1955, Seite 152 f., bestritten, ergibt sich aber m.E. erstens aus der Bezeichnung der beiden Lithografien im „Architektonischen Skizzenbuch" Heft LXVI (1864), Blatt 4 und 5, mit „Linke u. Ende"; zweitens aus der verblüffenden Ähnlichkeit mit Linkes Entwurf für das Wohnhaus des Stadtgerichtsrates Lehmann auf dessen Grundstück Tiergartenstraße 9 im „Architektonischen Skizzenbuch" Heft LXVII (1864), Blatt 2, das unsere Abbildung zeigt. Die Mitautorschaft Linkes an der Von-der-Heydt-Vüla vertritt auch Eva Börsch-Supan in ihrem Werk „Berliner Baukunst nach Schinkel 1840 — 1870", München 1977, Seite 570. Hinzu kommt noch, daß Linke als Vortragender Rat dem Minister dienstlich nahestand. August von der Heydt, geboren am 15. Februar 1801 in Elberfeld, ursprünglich Bankkaufmann, war von 1848 bis 1862 Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Er gab auch den Anstoß zur Erarbeitung des nach seinem Verfasser „Hobrechtplan" genannten Bebauungsplans von Berlin. Von März bis September 1862 war von der Heydt Finanzminister, im Januar 1863 wurde er in den erblichen Freiherrenstand erhoben. Nochmals von 1866 bis 1869 Finanzminister, starb er am 13. Juni 1874 in Berlin und wurde auf dem St.-Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße beigesetzt. Die Villa ging auf seinen Sohn, den Consul Eduard von der Heydt, über, der sie aber nicht bewohnte, denn er hatte draußen in Wannsee - Conradstraße Ecke Große Seestraße - eine eigene Villa. Im Sommer 1878 wurde die Tiergartenvilla an die Chinesische Gesandschaft beim Deutschen Kaiser vermietet. Inzwischen hatten sich entscheidende Veränderungen in der Umgebung abgespielt. Abgesehen davon, daß der Weg zwischen dem Moritzhof und dem Ministergrundstück ausgebaut und mit Wirkung vom 18. Oktober 1861 „Von-der-Heydt-Straße" genannt wurde, gingen die beiden benachbarten und jahrzehntelang beliebten und besuchten Ausflugslokale „Hofjäger" und „Moritzhof" 1872 in den Besitz der „Hofjäger- und CorsostraßenActiengesellschaft" über, die sie parzellierte und - im Gegensatz zum Villencharakter der Umgebung — mit mehrgeschossigen Mietshäusern bebauen ließ. Dabei wurde 1873 auch der Rest des Schaf grabens zugeschüttet und auf ihm eine neue Straße, die seit dem 5. September 1874 so bezeichnete „Kaiserin-Augusta-Straße", angelegt. Die auf Theuerkaufs Holzschnitt noch sichtbare „Moritzhofbrücke" verschwand damals und mit ihr auch der Kahnverkehr, der seitdem auf die engeren Tiergartengewässer rings um den Neuen See beschränkt blieb. Der Schauspieler Hugo Wauer beschreibt in seinen Erinnerungen „Humoristische Rückblicke auf Berlins ,gute alte' Zeit", Berlin 1908, auf den Seiten 48 bis 53 auch den Schafgraben und die Bootflottille, die von einem ihm bekannten Schiffbauer „Zander" betrieben wurde. Dieser Zander hieß eigentlich „Alexander" und besaß schon 1862 ein dreigeschossiges Wohnhaus mit fünf Mietparteien in der Von-der-Heydt-Straße 14, von wo aus er seinen Bootsbau und -verleih betrieb. Er war also direkter Nachbar des Ministers, den diese betriebsame Nachbarschaft aber nicht gestört zu haben scheint. Die Grundstücke Nr. 9, 10, 11 und 12 der Von-der-Heydt-Straße wurden in den Jahren 1867 bis 1871 bebaut, wobei die Villa auf dem Grundstück Nr. 10/11 schon um 1875 vier großen Mietwohnhäusern weichen mußte. Als Verbindung zwischen der „Albrechtshofer Brücke" und der Hofjägerallee wurde 1873 die „Friedrich-Wilhelm-Straße" über den ehemaligen Moritzhof gelegt. Ihren Namen nach dem deutschen Kronprinzen erhielt sie 124 August Freiherr von der Heydt (1801 -1874). Zeichnung von G. Kühn. Holzschnitt, 1869. Liu-Ta-jen, erster Gesandter Chinas in Berlin. Holzschnitt, 1878. 1874, heute heißt sie „Klingelhöferstraße", nach dem sozialdemokratischen Politiker aus den Jahren nach 1945. Die Albrechtshof er Brücke, 1849 nur aus Holz gebaut, wurde 1889/90 in Stein erneuert und nach den auf ihr aufgestellten Herkulesgruppen von der alten Brücke über den Königsgraben ebenfalls „Herkulesbrücke" genannt. Der Name „Kaiserin-Augusta-Straße" hat übrigens immer Anlaß zu Verwechselungen mit der benachbarten „Königin-Augusta-Straße" gegeben. Diese, aus dem Uferweg des Schafgrabens entstanden, hieß seit 1849 „Grabenstraße" und bekam mit Wirkung vom 15. Dezember 1866 den Namen nach der preußischen Königin; nach 1933 hieß sie „Tirpitzufer", und seit 1947 heißt sie „Reichpietschufer", während die „Kaiserin-AugustaStraße" nach einem Zwischenspiel als „Admiral-von-Schröder-Straße" seit 1947 „Köbisstraße" heißt. Von diesen Hin-und-Her-Benennungen ist die „Hohenzollernstraße" verschont geblieben, sie hat den ihr nach 1933 verliehenen Namen „Graf-Spee-Straße" behalten. Die Benennung dieser Straßen nach Angehörigen der ehemaligen kaiserlichen Marine ist auf die Lage des Reichsmarineamtes, des heutigen „Bendler-Blockes", am Reichpietschufer zurückzuführen. Doch zurück zur Chinesischen Gesandtschaft: Im Oktober 1877 war der Gesandte LiuTa-jen - als erster Gesandter des Chinesischen Reiches in Deutschland überhaupt - nach Berlin gekommen, hatte zunächst in der südlichen Friedrichstadt Wohnung genommen und zog im Sommer 1878 in die Villa von der Heydt ein. Emil Dominik, Redakteur der Zeitschrift „Über Land und Meer", beschreibt in Heft 8/1878 derselben die neue Wohnung des Gesandten: „Dieser schöne Bau wurde vor mehreren Jahren von Ende und Böckmann am Landwehrkanal für den damals reichsten Mann Berlins in einem schönen, 125 baumreichen Park aufgeführt . . . Die Villa ist in den edlen Stylformen der griechischen Renaissance aufgeführt und besteht aus einem herrschaftlichen Hause, das an der Ostseite durch einen Portikus geziert ist, während an der Westseite Nebengebäude den Wirtschaftshof umgeben. In dem hochgelegenen Parterregeschoß, dem Hauptstockwerk, liegen die Repräsentationsräume sowie die Wohnzimmer des Gesandten, in den oberen Räumen und den Nebengebäuden die Wohnungen der verschiedenen Beamten. Der Hauptaufgang führt von Norden her auf einer stattlichen Freitreppe, welche im Inneren durch eine breite, mit Teppichen belegte Marmortreppe fortgesetzt wird. Dieselbe läuft auf einen großen, reich verzierten Korridor aus, welcher mit den Marmorbüsten unseres Herrscherpaares geschmückt ist. Um alle diese Räume gruppieren sich die überaus geschmackvoll dekorierten Salons des Gesandten. Einzelne Porzellanvasen und Schalen, die aus der Heimat mitgebracht sind, haben in den Räumen Aufstellung gefunden. Nach der Hauptfront, der Ostseite, liegen drei große Empfangssalons, nach der Südseite die Räume, welche dem Gesandten zur persönlichen Benützung dienen; sie bestehen aus Arbeits-, Schlaf-, Toiletteund Badezimmer und den Räumen für den Leibdiener, welcher bei der Toilette behilflich sein muß." Soweit ein Auszug aus Dominiks Schilderung der Chinesischen Gesandtschaft. Über ein Jahrzehnt später - der Gesandte Liu-Ta-jen hatte schon den zweiten Nachfolger erhalten - , im April 1889, machte Theodor Fontane einen Spaziergang am Landwehrkanal zwischen Potsdamer und Lützowbrücke. Eine kleine Plauderei hierüber veröffentlichte er im Mai 1890 in der Zeitschrift „Freie Bühne für modernes Leben" unter dem Titel „Auf der Suche. Spaziergang am Berliner Kanal." 1894 ist die Plauderei dann in dem Sammelband „Von vor und nach der Reise" bei F. Fontane & Co. erschienen. Der Dichter teilt seine Absicht mit, die verschiedenen Ambassaden fremder Länder zu beschreiben und beginnt mit der Gesandtschaft Chinas. Am Landwehrkanal entlangflanierend, „war auch schon der Brückensteg da (die 1883/84 erbaute Lützowbrücke, eine im Kriege zerstörte Fußgängerbrücke in Fortsetzung der Graf-Spee-Straße; d.V.), der mich nach China hinüberführen sollte. So schmal ist die Grenze, die zwei Welten von einander scheidet. Eine halbe Minute noch, und ich war drüben. Kieswege liefen um einen eingefriedeten Lawn (die heutige Calandrelli-Anlage; d.V.), den, an dem einen Eck, ein paar mächtige Baumkronen überwölbten. Da nahm ich meinen Stand und sah nun auf China hin, das chinesisch genug dalag. Was das vorüberflutete, gelb und schwer einen exotischen Torfkahn auf seinem Rücken, ja, wenn das nicht der Yang-tse-kiang war, so war es wenigstens einer seiner Zuflüsse. Ganz besonders echt aber erschien mir das gelbe Gewässer da, wo die Weiden sich überbeugten und ihr Gezweig eintauchten in die heilige Flut. Merkwürdig, es war eine fremdländische Luft um das ganze her, selbst die Sonne, die durch das Regengewölk durch wollte, blinzelte sonderbar und war keine richtige märkische Sonne mehr. Alles versprach ethnographisch einen überreichen Ertrag, ein Glaube, der sich auch im Näherkommen nicht minderte; denn an einer freigelegten Stelle, will sagen da, wo die Maschen eines zierlichen Drahtgitters die solide Backsteinmauer durchbrachen, sah ich auf einen Vorgarten, darin ein Tulpenbaum in tausend Blüten stand, und ein breites Platanendach darüber. Alles so echt wie nur möglich, und so war es denn natürlich, daß ich jeden Augenblick erwartete, den unvermeidlichen chinesischen Pfau von einer Stange her kreischen zu hören". Da aber nichts kreischte, umrundete Fontane das Gesandtschaftsgrundstück, um dann die vor der Mauer spielenden Kinder zu beobachten: „Ich sah dem zu. Nach einigen Minuten aber ließen die Jungen von ihrem Murmelspiel und die Mädchen von ihrem über die Kordespringen ab und gaben mir, auseinanderstiebend, erwünschte und bequeme 126 •7'l7er etMenmauf ~7er rdMfsncfertfesa'iPßcfcr// Holzschnitt nach einer Zeichnung von A. Wanjura, 1887. Gelegenheit, die Zeichnungen und Kreideinschriften zu mustern, die gerade da, wo sie gespielt hatten, die chinesische Mauer reichlich überdeckten. Gleich das erste, was ich sah, erschien mir frappant. Es war das Wort ,Schautau'. Wenn das nicht chinesisch war, so war 127 es doch mindestens chinesiert, vielleicht ein bekannter Berolinismus in eine höhere fremdländische Form gehoben." Trotz allen Wartens ließ sich hier kein Sohn des Himmels blicken, und der Dichter trat den Rückweg an, um zu guter Letzt bei Josty am Potsdamer Platz, wo er sich mit einer Tasse Kaffee erquicken wollte, zwei bezopfte Chinesen in ihrer heimatlichen Tracht zu erblicken. - Unsere Zeichnung von A. Wanjura aus dem „Buch für Alle", Nr. 8/1887, zeigt Fontanes „chinesische Mauer" mit den spielenden Kindern, auch das Korde springende Mädchen ist dabei; ob Fontane die Zeichnung kannte und durch sie zu seiner Plauderei angeregt wurde? Im Jahre 1890 wurde die Chinesische Gesandschaft in das Haus „In den Zelten" Nr. 14 verlegt (etwa dort, wo jetzt die Kongreßhalle ist), weil ein Großneffe des Ministers, der Bankier Karl von der Heydt, die Villa für sich als Wohnhaus gekauft hatte. Dem vorausgegangen war um 1887/88 eine Grundstücksteilung, wobei das alte Grundstück mit den Hausnummern 14 und 15 in vier Teile zerlegt wurde, von denen das eigentliche Villengrundstück bei der kurz danach erfolgenden Umnumerierung der Hausnummern die Nr. 18 erhielt. Auf den Grundstücken Nr. 15, 16 und 17 wurden Mietswohnhäuser errichtet, wobei im Parterre von Nr. 17 Eduard von der Heydt, der Sohn des Ministers, selbst wohnte. Sein Vetter und Nachbar Karl von der Heydt war ein neben seinem Beruf vielseitig interessierter Mann, unter anderem Vorsitzender des „Orient-Komitees", Schatzmeister der „Vereinigung zur Erhaltung deutscher Burgen" (deren Vorsitzender Bodo Ebhardt baute ihm 1913 sein Bankgebäude in der Mauerstraße) und nicht zuletzt auch Schatzmeister des „Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins". Die wertvolle Gemäldesammlung des Bankiers, zum Teil auch mit dem Rat Wilhelm Bodes zusammengebracht, war in der Villa für die Freunde des Hauses zugänglich. Die Villa selbst wurde in diesen Jahren und später durch Anbauten an der Westseite und durch Aufsetzen eines weiteren Geschosses so stark verändert, daß sie ihren selbständigen Charakter verlor und von den benachbarten Mietshäusern nur noch durch den Säulenportikus an der Ostseite abstach. 1919 verkaufte Karl von der Heydt das Haus an den „Allgemeinen Deutschen Sportverein", der neben seinen Geschäftsräumen noch sechs weitere Mietparteien darin unterbrachte. Nach einem kurzen Zwischenbesitz durch die „Bayerische Vereinsbank" im Jahre 1937 erwarb das Reich das Haus und ließ es 1938 zur Dienstwohnung für den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. H.-H. Lammers, umbauen. Dabei entstand auch anstelle der alten gelben Backsteinmauer die wuchtige, abwehrende Mauer aus Muschelkalkstein, die das Grundstück noch immer umgibt. Der kleine Rasenplatz vor der Ostfront der Villa von der Heydt, der durch die Zuschüttung des Schafgrabenrestes entstanden war, wurde von der städtischen Parkverwaltung durch Bepflanzung mit Sträuchern und Blumen sowie Aufstellen von Ruhebänken in eine idyllische Grünanlage umgewandelt, deren Krönung aber das vor der Villa aufgestellte Marmorstandbild einer „Beim Bade überraschten Nymphe" war. Sie war im Auftrag der „Städtischen Kunstdeputation" nach einem vom Bildhauer Alexander Calandrelli 1885 geschaffenen Modell gearbeitet worden und kostete 10 500 Mark. Die Grünanlage, nach dem Künstler „Calandrelli-Anlage" genannt, ist durch Kriegseinwirkungen vernichtet worden, nur das alte Namensschild, noch mit einem kleinen Bären geschmückt, hat die Zeiten überdauert und findige Journalisten anscheinend angeregt, die Von-der-HeydtVilla „Calandrelli-Villa" zu nennen und dem Künstler auch ein Atelier in ihr anzudichten. Diese Mär hat sogar amtlichen Charakter erhalten, indem der frühere Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie in seinen Arbeitsbericht für das Jahr 1970 aufnahm, als 128 Alexander Calandrelli: „Beim Bade überraschte Nymphe". Marmorbildwerk, 1885/1897. er mitteilte, daß der Wiederaufbau der schwerbeschädigten Villa für die Verwaltung der Stiftung im Frühjahr 1971 beginnen solle. Der tatsächliche Ausbau und die Wiederherstellung der Fassade begannen 1978. Gegenüber dem ursprünglichen Umfang ist sie auf der Westseite um die Breite einer Fensterachse erweitert worden. Zusammen mit dem am 1./2. Dezember 1979 eröffneten neuen Museumsbau des Bauhaus-Archivs, der die Nachbargrundstücke bis zur Klingelhöferstraße einnimmt, wird die alte/neue Villa von der Heydt die Ergänzung zu dem im Ausbau befindlichen Kulturzentrum im ehemaligen östlichen Tiergartenviertel an der Potsdamer Straße bilden. Die 1937/38 entstandenen Pläne des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt" sahen den völligen Abriß des Tiergartenviertels östlich der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) und seine Neubebauung mit öffentlichen Gebäuden, unter anderem einen riesigen Komplex für das Oberkommando des Heeres, vor. Dadurch wurde eine große Anzahl diplomatischer Vertretungen aus diesem Gebiet zum Umzug in das westliche Tiergartenviertel, das jetzt amtlich zum „Diplomatenviertel" bestimmt wurde, veranlaßt. Diese neuerbauten Botschafts- und Gesandtschaftsbauten haben ja fast alle den Krieg überstanden. Seinen Charakter als vornehmes, ruhiges Wohnquartier hatte das Tiergartenviertel sofort nach dem Ersten Weltkrieg verloren, als infolge der Wohnungszwangswirtschaft viele der großen Villen leer standen und in Büro- und Verwaltungsgebäude umgewandelt und die einst ruhige Tiergartenstraße zu einer der Hauptdurchgangsstraßen nach dem Westen wurde. Für die Entwicklung der Von-der-Heydt-Straße ist es interessant zu sehen, daß 1938 die der Villa benachbarten Mietshäuser Nr. 13 bis 17 in den Besitz des Oberkommandos der Kriegsmarine übergingen, um als Bürogebäude genutzt zu werden. 129 Weitere Grundstücke waren bei Kriegsbeginn im Besitz des Staates, und so war es in allen Straßen. Das Tiergartenviertel war damals schon ebenso entvölkert wie die Innenstadt, wo in vielen Straßen nur noch die Hausmeister der Bürogebäude wohnten. Wie wird dieser einstmals schönste Stadtteil von Berlin in der Zukunft aussehen? Anschrift des Verfassers: Felixstraße 13, 1000 Berlin 42 Die Abbildungen stammen aus dem Archiv des Autors. aniel Friedrich Loos n Beitrag zur Berliner Münzgeschichte Von Klaus Sommer Daniel Friedrich Loos ist mit dem preußischen Münzwesen so eng verbunden wie kein anderer Künstler auf diesem Gebiet. Mehr als 60 Jahre hat er an preußischen Münzstätten als Künstler, Stempelschneider und Techniker gearbeitet. Die Sammler preußischer Münzen besitzen viele Stücke, zu denen er die Stempel geschnitten hat. Darüber hinaus finden wir in den Münzauktionen immer wieder Medaillen von seiner Hand. Seine Person aber ist im Dunkel der Vergangenheit verschwunden. Kein allgemeines Lexikon enthält seine Biographie. Mit seiner Wahlheimat Berlin blieb er stets eng verbunden. Er war nicht nur ein angesehener und weit über Berlin hinaus berühmter Mann zu seiner Zeit, er hat auch mit seinen Medaillen das Andenken an die Stadt Berlin und ihrer Geschichte, an Berliner Persönlichkeiten, Begebenheiten und Gebäude erhalten. Gründe also genug, mit diesem Aufsatz zu versuchen, Daniel Loos vor dem völligen Vergessenwerden zu bewahren. Am 4. Mai 1816 berichtete die Zeitung „Berlinische Nachrichten": „Ein seltenes Dienstjubelfest wurde am lsten d. M. auf der hiesigen Börsenhalle gefeiert. Vor 60 Jahren ward an diesem Tage der jetzige Königl. Hofmedailleur, Herr Daniel Friedrich Loos bei der Königl. Münze zu Magdeburg als Graveur angestellet. Das Andenken hieran und an die seit 50 Jahren bei der hiesigen Königl. Hauptmünze mit Auszeichnung und grosser Treue nützlich geleisteten Dienste des trefflichen Künstlers und ehrwürdigen, noch immer thätigen Greises zu feiern, erhielt die General-Münz-Direktion von dem Königl. Finanzministerium den ehrenvollen Auftrag. Nächst dem Jubelgreise wurden Räthe des Finanzministeriums, das gesammte hiesige Münzbeamtenpersonal, die nächsten Angehörigen, Freunde und Kunstgenossen des Gefeierten zu einem Mittagsmahle eingeladen. Als er in der Mitte der Versammelten erschien, überreichten des Hrn. Geh. Staats- und Finanzministers Grafen v. Bülow Excell. unter Bezeigung von freudiger Theilnahme an dem seltenen Feste, dem tiefgerührten Jubelgreise ein allergnädigstes Schreiben Sr. Majestät des Königs und mit demselben, als wohlverdiente Belohnung so vieljährig treu geleisteter Dienste, das Allerhöchst verliehene allgemeine Ehrenzeichen Ister Klasse. Mit diesem geschmückt und von allen Anwesenden herzlich begrüßt, wurde der Gefeierte nun zur Tafel geführt und auf den Ehrenplatz gesetzt. Ein sinnvolles Gedicht, von einem ungenannten theilnehmenden Freunde übersandt, erhöhete die Freuden des Mahles, und eine 130 Medaille, von 2 Schülern des verehrten Veterans ihrer Kunst, für diesen Tag verfertigt und Ihm überreicht, auf der Hauptseite Sein wohlgetroffenes Bildnis, auf der Kehrseite der Eichenkranz für diesen in jeder Beziehung trefflichen deutschen Ehrenmann darstellend, verschönerte dieses Fest, dessen Jahrestag unter gleicher Fülle von Gesundheit und Kraft dem Gefeierten oft wiederkehren möge." Mit dieser Feier vollendete sich das Lebenswerk des Mannes, der 81 Jahre zuvor, am 15. Juni 1735 in Altenburg an der Pleiße in Thüringen als achtes Kind des aus Grünhain stammenden Weißbäckers Christian Gottfried Loosse und seiner zweiten Ehefrau Dorothea Elisabeth geboren worden war. Bald darauf starb die Mutter und 1743 auch der Vater. Als sich die Familie zerstreute, nahm sich der älteste Bruder des achtjährigen Kindes an und zog mit ihm nach Grünhain. Ob die aus Süddeutschland bekannten Stempelschneider Carl Friedrich und Georg Friedrich Loos zu der Verwandtschaft gehörten, ist unwahrscheinlich. Daniel wurde schließlich von seinem Bruder in die Lehre zum HerzoglichGothaischen Hofsteinschneider und Graveur Johann Friedrich Stieler (1729—1790) nach Altenburg geschickt. Bei Stieler lernte der Junge die Kunst des Petschierstechens und Beinschneidens. Er machte rasche Fortschritte, so daß der Meister die Entwicklung des talentvollen Lehrlings mit Eifersucht beobachtete. Die Wege der beiden trennten sich, als Stieler 1750 aus Altenburg abwanderte. Auch Loos verließ mit 15 oder 16 Jahren seine Vaterstadt und ging, „kaum bekleidet", nach Leipzig und fand dort bei dem Stempelschneider Ludwig Arbeit. Ludwig erkannte bald, daß er sich eine nützliche Kraft ins Haus geholt hatte. Die Münzbehörde und die private Kundschaft lobten die vorzügliche Arbeit, ohne zunächst zu wissen, wer für die verbesserte Qualität der Stempel und Siegel verantwortlich war. Ludwig wollte sich mit fremden Federn schmücken und versteckte den Gesellen in seinem Haus. Aber nicht lange konnte er den Künstler aus der Hinterstube verheimlichen, und als die Beamten der Leipziger Münze erfuhren, von wem die gute Arbeit stammte, wollten sie Ludwig entlassen und an dessen Stelle den jungen Loos zu ihrem Münzstempelschneider ernennen. Loos wollte sich darauf aber nur einlassen, wenn auch Ludwig bleiben dürfte. 1756, wohl noch vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, verließ Loos Leipzig mit der Absicht, in die Schweiz zu dem berühmten Medailleur Hedlinger zu gehen. Unterwegs wollte er von seiner Kunst als Petschierstecher leben. Auf das Gerücht, Hedlinger sei gestorben, änderte er die Reiserichtung und wanderte von Erfurt nach dem zu Hannover gehörenden Göttingen. Von hier aus hoffte Loos nach England zu gelangen, um dort als Graveur oder Mechaniker sein Glück zu versuchen. In Göttingen blieb er nur kurze Zeit, denn eine Falschmünzerbande versuchte, den jungen Künstler in ihre Dienste zu zwingen. Dieser Gefahr entzog er sich durch die Flucht nach Helmstedt. Hier fand er einen hilfsbereiten Freund in Professor Franz Dominicus Häberlin (1720—1787), der an der Universität Geschichte lehrte. Mit einem Auftrag Häberlins kam Loos eines Tages nach Magdeburg und nahm bei der Gelegenheit Kontakt zu der preußischen Münze dort auf. Er muß noch im Jahre 1756 hier eine Anstellung erhalten haben, denn sonst hätte das Jubiläum 1816 zur falschen Zeit stattgefunden. Die Verbindung zu Häberlin blieb bestehen. Der Gelehrte drängte seinen Schützling, in Helmstedt das Mathematikstudium aufzunehmen, um seine Begabung auch auf dem Gebiet der Mechanik zu entwickeln. Tatsächlich ließ sich Loos auch unter dem 18. Oktober 1757 an der Universität Helmstedt immatrikulieren. Außer der Matrikel ist von Loos in Helmstedt nichts zu finden, und wir dürfen deshalb annehmen, daß aus dem Studium nichts geworden ist. 131 Der Stich aus der Großen Französischen Encyklopädie aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zeigt einen Medailleur bei der Arbeit. So etwa können wir uns auch Loos beim Stempelschneiden vorstellen. Der Graveur schnitt nach einer Skizze für die beiden Münzseiten negativ Ober- und Unterstempel in Weichstahl, der anschließend durch Ausglühen gehärtet wurde. Die Stempel drückten beim Prägevorgang die Gravur in den Schrötling. Auf der geprägten Münze erschien nun das Münzbild positiv. Die Münzstempel nutzten sich durch den Gebrauch ab und mußten deshalb immer wieder nach einer Mustermatrize gleichförmig neu geschnitten werden. Das Vermögen, exakte Stempelkopien herzustellen, machte den guten Stempelschneider aus. Ein vollbeschäftigter Stempelschneider mußte im Jahr an die 3000 Stempel schneiden. Die Medailleure erleichterten sich ihre Arbeit durch den Gebrauch von Punzen. Für immer wiederkehrende Zeichen, Zahlen, Wappen oder gar Porträts hatten sie positive Stahltypen hergestellt, die sie vor dem Härten in die Stempel einsenkten. Da die Reduktionsmaschine noch nicht bekannt war, mußten die Graveure die Stempel in der Größe der Münze schneiden. Loos kam zu Beginn des Siebenjährigen Krieges an die preußische Münze nach Magdeburg und erwarb sich dort bald hohes Ansehen. Er war nicht nur ein erstklassiger Stempelschneider, sondern auch ein geschickter Techniker. Obwohl die eigentlichen Prägearbeiten nicht zu seinen Aufgaben gehörten, führte er einige Verbesserungen in der Münztechnik durch, und es war vor allem eine Tat, die ihn berühmt machte: Er machte hier die entscheidende Erfindung des Einsenkens bekannt. Ähnlich der Punze, stellte Loos für die ganze Münze einen positiven Stahlstempel her, eine Patrize, den er in den noch ungehärteten Stempel einsenkte und auf diese Weise die negative Matrize schuf. Nun war es nicht mehr nötig, immer wieder neue Stempel zu schneiden, wenn die alten abgenutzt waren. Mit Hilfe der Patrize konnte ein vollkommen gleiches Matrizenpaar hergestellt werden. Diese Technik erschwerte außerdem den vielen Münzfälschern jener Zeit ihre Arbeit. Durchgesetzt hat sich das Einsenkverfahren in Preußen allerdings erst 1806. Die Magdeburger Münze war während des Siebenjährigen Krieges stark beschäftigt, vor allem, als 1760 die Berliner Münze ausfiel. Hier wurde auch der Silberschatz des Berliner Schlosses vermünzt. Neben der Routinearbeit des Stempelschneidens nach den aus Berlin kommenden Mustermatrizen schuf Loos in Magdeburg sein erstes Münzbild. Zwar sind leider die Unterlagen aus der Magdeburger Münze verlorengegangen, aber aus den verfügbaren Hinweisen können wir schließen, daß das Bild des Magdeburger Talers und der entsprechenden Teilstücke aus der ersten Jahreshälfte 1764 sein Werk sind. Der Bildtyp unterscheidet sich auffallend von den früheren, von Georgi stammenden und späteren, von Abraham ausgeführten Typen. Die ersten Jahre als preußischer Untertan fielen in die Kriegsjahre. Die preußischen Beamten mußten auf die Barauszahlung ihrer Gehälter verzichten. Ob es Loos auch so erging, wissen wir nicht. Ohnehin war sein Einkommen gering. Es wird bei 300 Talern im Jahr gelegen haben. Loos lebte in ärmlichen Verhältnissen. Trotzdem ging er in dieser Zeit, er war jetzt um die 30 Jahre alt, die Ehe mit Dorothea Sophia Hetrich ein, die ihm hier, Anfang 1767, den Sohn Friedrich Wilhelm und dann die Tochter Johanna Dorothea schenkte. - Kleine private Aufträge, ein Siegel hin und wieder, werden den kümmerlichen Etat etwas aufgebessert haben. 1769 wurde die Magdeburger Münze geschlossen und das Personal entlassen. Loos allerdings wollte man nicht verlieren. Er erhielt ein geringes Wartegeld, zog mit seiner Familie nach Berlin und nahm die Stelle des 1768 gestorbenen Stempelschneiders Ernst an der alten Münze ein. 132 General-Münzdirektor war zu dieser Zeit Martin Kröncke und Münzmeister an der Alten Münze auf dem Friedrichswerder Aug. L. F. Nelcker. Beide hatten ihre Wohnung in der Münze. Zum Personal gehörten außerdem ein Assistent des General-Münzdirektors, das war seit 1770 K. G. Lessing, der Bruder des Dichters, ein Justitiar, ein Rendant, Buchhalter, Kassierer, der Münz-Wardein, ein Assistent des Münzmeisters, ein Kassendiener und zwei Stempelschneider. Neben Loos war das Jakob Abraham (1732 — 1800). Zwei Söhne Abrahams arbeiteten unbezahlt mit: Abraham Abramson (1752— 1811) und Hirsch Abramson (1764—1803). Neben diesen Officianten waren mehrere Arbeiter an der Münze beschäftigt. Das Münzgebäude befand sich auf dem Friedrichswerder in der Unterwasserstraße zwischen Schleusen- und Jungfernbrücke, im ehemaligen Dalenconschen Haus, das für den neuen Zweck 1750 erweitert worden war und einen Zugang auf den Werderschen Markt zwischen Friedrichswerderschem Rathaus und dem Fürstenhaus erhalten hatte. Unter Schlüter war das Spreewasser durch den Münzkanal in die Münze umgeleitet worden. Die Alte Münze arbeitete demnach mit Wasserkraft. Als Ende des Jahrhunderts das Friedrichwerdersche Rathaus abbrannte, wurde 1799 bis 1800 auf dem Grundstück am Werderschen Markt ein größeres Münzgebäude von Gentz, dem Sohn des General-Münzdirektors, errichtet. Als Schmuck erhielt es einen von F. Gilly und G. Schadow geschaffenen Fries, der die Metallgewinnung und -bearbeitung sowie die Münztechnik in aktikem Reliefstil darstellt. (Das Relief ist erhalten geblieben und befindet sich an der Fassade eines Altenheimes in Charlottenburg in der Nähe des Schlosses; vgl. Otto Uhlitz: „Der Berliner Münzfries" in: Bär von Berlin, 27, 1978, S. 51 ff. Diese Ausgabe enthält auch Abbildungen des Münzgebäudes von 1800.) 50 Jahre hat Loos an dieser Stelle, erst in dem alten und ab 1800 in dem neuen Münzgebäude gearbeitet. Loos war, wie die meisten kleineren Beamten, auf einen Nebenverdienst angewiesen. Noch lebte er mit seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen. Nach dem Anstellungsvertrag war es ihm ohne Genehmigung der Vorgesetzten nicht gestattet, Medaillen oder andere private Graveurarbeiten auszuführen. Wir wissen nicht, warum und wer dafür verantwortlich war, aber diese Genehmigung wurde Loos anfangs verweigert. „Mißgünstige Obere" sollen es gewesen sein. Diese Behinderung drängte ihn zu einem völlig anderen Nebenerwerb. Er hörte nämlich, daß Berliner Fabrikanten französische Modebänder nachzuahmen suchten. Man nannte sie „goffres ä la reine". (Das Muster wird beim Gaufrieren mittels einer gravierten Walze in das Gewebe gepreßt.) Versuche waren bisher kläglich gescheitert. 133 Loos, als Graveur besonders gut dafür geeignet, kam mit dieser Industrie in Berührung, entwickelte eine geeignete Technik und baute die Maschinen. Der Erfolg stellte sich schnell ein. Das von ihm entwickelte Verfahren bewährte sich vorzüglich. Die Muster waren klar und entsprachen vollkommen dem Modegeschmack. Zudem waren die Produkte von guter Haltbarkeit und billiger als die französischen Importe. Die Arbeit als Walzengraveur und Maschinenbauer muß Loos viel Geld eingebracht und, damit verbunden, den Zugang zur Berliner Gesellschaft verschafft haben. Wir wissen nicht, was ihn dazu bewogen hat, sich aus dieser Industrie wieder zurückzuziehen und ganz den Münzen zuzuwenden. Wir vermuten, daß das Münzdepartement den tüchtigen Stempelschneider nicht verlieren wollte und deshalb zu Zugeständnissen bereit war. Die Gehaltserhöhung allein wird es wohl nicht gewesen sein, denn sein Einkommen für das Jahr 1778 wird mit nur 400 Talern angegeben. Vielmehr hatte man das Verbot, Medaillen herstellen zu dürfen, aufgehoben, und schon 1771 erscheint seine erste Medaille, und zwar auf die Gründung der neuen zweiten Assecuranz-Compagnie in Hamburg, 1776 gefolgt von der Medaille auf die Ankunft des Großfürsten von Rußland in Berlin. Sein offizielles Gehalt war gering. Aber besondere amtliche Aufträge wurden zusätzlich vergütet. So wurden ihm beispielsweise 1780 für 2 Matrizen und 110 Alphabet- und Zahlenpunzen für die Königsberger Münze 65 Taler gezahlt, oder er erhielt 1802 für Matrizen und Medailleninstrumente 100 Taler. Für die 1803 von ihm angefertigten Majestätssiegel berechnete und erhielt Loos 300 Taler. Erheblich mehr jedoch brachte ihm das Medaillengeschäft ein. Loos erwähnt 1802, daß der Gewinn aus der Weihnachtsund Neujahrssaison 2000 Taler ausmachte. Wenn auch seine bedeutendsten Einkünfte aus der Medaillenarbeit flössen, so war er doch in erster Linie preußischer Beamter und hatte als solcher seine Pflicht zu erfüllen. Das tat er auch vorbildlich. Schon während des Siebenjährigen Krieges hatte Friedrich IL in preußischen Münzstätten polnische Münzen herstellen lassen. Da sie unterwertig waren, zog der König einen erheblichen Gewinn aus diesem Betrug. Ihre Verbreitung übertrug er jüdischen Kaufleuten. Aber auch nach dem Kriege setzte der König diese zweifelhaften Geschäfte fort. Angeregt durch den Erfolg der Österreicher mit dem Maria-Theresia-Taler in der Levante, genehmigte Friedrich einem Bankier Schweigger das Nachmünzen russischer Rubel. Zunächst schlug das Unternehmen fehl, weil die nachgemachten Stücke sofort 134 als Fälschungen aufgefallen waren. Der Versuch wurde 1769 wiederholt. Nach der Vorlage echter Rubel sollte der geschickteste preußische Medailleur identische Münzen herstellen. Das machte Loos. Unter größter Geheimhaltung und unter Androhung harter Strafen lief die Aktion an. Sie war erfolgreich und wurde über Jahre hin fortgesetzt. Auch die Stempel für russische Imperiale (10 Rubel aus Gold) wurden von Loos geschnitten. Es folgten holländische Taler und wieder polnische Gepräge. Im Gegensatz zu seinem Göttinger Erlebnis hatte er diesmal keine Skrupel, seine Kunst in den Dienst der Münzfälschung zu stellen. Seine diskrete Loyalität dem König gegenüber ist ihm mit Wohlwollen vergolten worden. 1768 wurde den Eheleuten die Tochter Carolina Friderica und 1773 Gottfried Bernhard geboren. Allmählich wurde Loos ein angesehener und wohlhabender Mann. Seine Wohnung in Berlin hat er mehrere Male gewechselt. 1772 wohnte die Familie in der Kurstraße beim Tischler Voigt, 1775 in der Jerusalemstraße nahe Schinkenbrücke im Hause der Frau von Carlowitz, 1780 in der Neuen Friedrichstraße beim Buchdrucker Rellstab, 1784 in der Wallstrasse beim Brauer Fick. 1787 schließlich finden wir Loos im eigenen Haus, in der Französischen Straße 21, ein paar Schritte vom Gendarmenmarkt entfernt. Das Haus Nr. 20 gehörte ihm auch. Sein Sohn Friedrich Wilhelm wohnte im Hause des Vaters. In der selben Straße hatte die Familie Bolle, damals Bierbrauer, ihre Häuser und in der Behrenstraße, auch nur „um die Ecke" wohnte Chodowiecki mit seiner Familie. Auf dem Wege zur Münze ging Loos, den Gendarmenmarkt überquerend, die Jägerstraße entlang bis zum Werderschen Markt. Im Berlin dieser Zeit muß er eine stadtbekannte Persönlichkeit gewesen sein. Wir wissen aber nicht, in welchen gesellschaftlichen Kreisen die Familie Loos verkehrte. Wir können annehmen, daß Loos zu einer der damals beliebten Ressourcen (Clubs) gehörte. Im Hause seines Wirtes, des Buchdruckers und Musikalienhändlers Rellstab, trafen sich die angesehensten Künstler. Jeden zweiten Sonntag fanden dort große Konzerte statt. Daniel Loos war Freimaurer. Er war Mitglied der Johannes-Loge „Zu den drei goldenen Schlüsseln" und gehört zu den Stiftern der Großloge „Zum Goldenen Pflug", 1776. Er hat sich rege am Leben der Loge beteiligt. Auch seine Söhne waren Logenmitglieder. Mit seiner Vaterstadt Altenburg blieb er in Verbindung. Zumindest zwischen 1803 und 1809 reiste er jährlich einmal nach Altenburg und unterstützte seine dort noch lebenden Verwandten. Loos bildete seine beiden Söhne auch zu Graveuren aus. Künstlerisch und handwerklich war Friedrich Wilhelm der begabtere. Für ihn bemühte er sich, ihm die Nachfolge in seinem Amt zu sichern und gewann dafür die Unterstützung des Ministers von Heinitz. Als Assistent seines Vaters bezog Friedrich das kümmerliche Gehalt von 1 bis 3 Taler die Woche. Über die Lebensdaten dieses Mannes ist fast gar nichts bekannt. Er war verheiratet und hatte zumindest eine Tochter, die 1795 geboren wurde. Wie sein Geburtsdatum, so ist auch unbekannt, wann er gestorben ist. Da eine Medaille auf den Frieden zu Paris, 1814, noch von ihm stammen soll, er andererseits 1819 nicht mehr unter den Personen erscheint, die den Tod Daniel Loos' bekanntgeben, wird er wohl zwischen 1814 und 1819 gestorben sein. 1812 wird er noch im Adreßbuch der Stadt Berlin genannt. Sein Bruder Gottfried Bernhard erwähnt später rückblickend den schlechten Gesundheitszustand seines Bruders. Die Medaillen von Friedrich Loos lassen ein beachtenswertes Talent, das keineswegs hinter dem seines Vaters zurücksteht, erkennen. Eine andere Entwicklung nahm das Leben des zweiten Sohnes Gottfried Bernhard. Er wurde 1773 in Berlin geboren und sollte auch Stempelschneider werden. Er hat dieses 135 Handwerk zwar auch erlernt, es aber kaum ausgeübt. Vielleicht hat er an einer Medaille auf die Jennersche Pockenimpfung durch Dr. Bremer mitgearbeitet (1803). Als Gottfried sah, daß sein älterer Bruder viel talentierter auf diesem Gebiet war, wurde er Eleve bei der Münze, dann Kassierer und schon 1797 Wardein bei der Neuen Münze, der zweiten Münze in Berlin. Er wurde dann Münzmeister-Assistent und leitete während der Besetzung Berlins durch die Franzosen die Münze. Seine Karriere ging über den Vice-Münzmeister zum General-Wardein. 1823 wurde er Münzrat. Er ist mit einer Anzahl von Veröffentlichungen über münztechnische Themen an die Öffentlichkeit getreten. Wo es sich ergab, ließ er dabei diskret lobende Hinweise auf die gediegene Arbeit seines Vaters einfließen. Gottfried Bernhard Loos ist vor allem als Leiter der Berliner Medaillen-Münze bekanntgeworden, ein Institut, das sich aus der Medaillenherstellung seines Vaters entwickelte. Gottfried Bernhard Loos starb 1843. Sein Sohn Friedrich Wilhelm (1811 - 1893) setzte die Familientradition fort. Er wurde auch Münzmeister. Sein Fleiß, seine Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit seit über 25 Jahren an preußischen Münzstätten, schließlich auch seine gewonnene gesellschaftliche Stellung, trugen Daniel Loos staatliche Anerkennung ein. 1782 erhielt er die Rechte eines Hofmedailleurs und wurde 1787 zum Hofmedailleur ernannt. Damit konnte er einen Sitz im Senat der Akademie der Künste einnehmen. Der König, jetzt Friedrich Wilhelm IL, stand als Protektor an der Spitze der Akademie. Freiherr von Heinitz, der Chef des Münzdepartements, war zu dieser Zeit Kurator, Rhode Direktor und Chodowiecki Vice-Direktor. Zum akademischen Rat gehörten Langhans, Frisch und Schadow. Zu den ordentlichen Assessoren gehörten der Minister von Wöllner und der Oberbergrat Rosenstiel, auch ein leitender Beamter an der Münze, und schließlich Loos, „wegen der Medaillen und Stempel zu den Münzen". An der praktischen Arbeit der Akademie hat er sich kaum beteiligt. In den Senatsprotokollen von 1803 bis 1819 taucht sein Name kein einziges Mal auf. Zu dieser Ehrung beigetragen hatte auch das Wohlgefallen des Königs an den neuen Münzen mit seinem Porträt. Besonders auffallend ist die nach alten Vorbildern von Loos entworfene Rückseite der neuen Taler. Die ansprechenden Porträtmünzen aus den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms III. sind schon ein Werk von Friedrich Loos. Der Vater verwandte diesen Typus bei einigen seiner Medaillen, beispielsweise auf das 100jährige Jubiläum des Königreiches Preußen. Diese Medaille ist ein gutes Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen Daniell Loos und seinem ältesten Sohn. Für dieselbe Medaille schnitt oft der eine den Stempel für die Vorder- und der andere den für die Rückseite. Der zeichnerische Entwurf für die Münzen und Medaillen wurde meistens von Malern, Bildhauern oder anderen Künstlern geliefert. Aber auch Loos selbst fertigte Entwürfe. Das Verhältnis zwischen Daniel Loos und Jakob Abraham war erträglich. Sicherlich hat es Abraham geschmerzt, daß Loos und nicht er Hofmedailleur wurde. Loos respektierte den erfahrenen Kollegen. Als 1800 Abraham starb, änderte sich das Klima an der Alten Münze. Es begann damit, daß Loos und Abramson bei der damals üblichen Aufteilung des Gehaltes eines Verstorbenen in Streit über die Aufteilung der Einkünfte von Jakob Abraham gerieten. Wie der Streit ausging, erkennen wir aus der Gehaltsliste für das Jahr 1806. Loos lag mit 660 Talern vor Abramson mit 560 Talern Jahresgehalt. Über den häßlichen Streit zwischen Loos und Abramson berichtet ausführlich Tassilo Hoffmann in seinem Buch über Abraham und Abramson. Loos und Abramson versuchten sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. So unterbot beispielsweise Loos seinen Kollegen mit 136 Medaillen auf ein bestimmtes Ereignis, zu dem Abramson auch Denkmünzen gearbeitet hatte, indem er sie zum halben Preis auf den Markt brachte. Loos beschwerte sich wiederholt über Abramson: Dieser blockiere mit seinen Privatprägungen das Stoßwerk der Münze (auf dem Loos wohl lieber seine eigenen Aufträge abgeprägt hätte) oder vernachlässige seine amtliche Arbeit als Stempelschneider. An diesem Vorwurf schien etwas Wahres zu sein. Der Münzdirektor Goedeking versuchte in dem schwelenden Streit zu vermitteln und ordnete deshalb an, daß jeder nur jeweils 50 Medaillen hintereinander abprägen dürfe, sofern beide Künstler Medaillen auf das selbe Ereignis herstellen wollten. Abramson verlegte daraufhin seine Arbeiten in die Nachtstunden. Loos wurde zu dieser Zeit von der Münzdirektion bevorzugt. Von 1810 an ließ der General-Münzdirektor alle seine das Münzwesen betreffenden Anordnungen von Loos gegenzeichnen. Außerdem durfte Loos wählen, auf welchem der beiden Stoßwerke er seine Medaillen herstellen wollte. Abramson seinerseits ging 1809 zur Akademie der Künste und legte dort seinen Entwurf für eine Münze mit dem Porträt des Königs vor und bat die Akademie festzustellen, daß sein Entwurf gelungener sei als der von Loos. Die Akademie hielt sich aus dem Streit heraus, obwohl sie das Ansinnen von Abramson als lästig empfand. Loos prägte seine Medaillen in der Alten Münze. Er und die anderen Medailleure mußten für jede neue Medaille zuvor die Approbation des Münzdepartements einholen. Im übrigen 137 förderte die Münzbehörde die Medailleure und ihre Produktion, zumal die Münzkasse an einem flotten Geschäftsgang interessiert war. Loos mußte das Silber von der Münze zu einem von ihr festgesetzten Preis kaufen und außerdem Prägekosten nach Gewicht entrichten. Für die Münze war das Geschäft so lohnend, daß sie für diesen Zweck das zweite Stoßwerk anschaffte. Loos fertigte seine Medaillen in verschiedenen Größen und Gewichten in Silber und Bronze an, einige auch in Gold und bis 1814 in der Königl. Eisengießerei bei Gleiwitz auch in Eisenguß. 1802 kostete eine Silbermedaille in der Standardgröße von knapp 42 mm 3 Taler (heute im Handel zwischen 200 und 300 DM). Von den das Königshaus und dessen Geschichte betreffenden Medaillen pflegte Loos den Erstabschlag seinem König „alleruntertänigst zu Füssen zu legen", begleitet von einem in devoter Form gehaltenen Schreiben. Der zuständige Referent ließ Loos dann entweder den Preis der Medaille oder, falls das Gepräge besonderen Beifall gefunden hatte, ein königliches Geschenk von mehreren Goldstücken auszahlen. Das Medaillengeschäft, das Loos betrieb, war außerordentlich erfolgreich. Er hatte sich mit der Zeit einen gut funktionierenden Verkaufsapparat aufgebaut. In Berlin vertrieb er seine Medaillen von seiner Wohnung aus, in den großen Städten Deutschlands und des Auslandes bediente er sich als Kommissionäre der bedeutenden Buchhandlungen oder anderer, das anspruchsvolle Publikum beliefernder Geschäfte. In Hamburg waren es die Bijouterie-Handlung C. A. Rosenhauer und Hermanns Erben, in Frankfurt die berühmte Jägersche Buchhandlung, in Nürnberg die Riegel- und Wiesnersche Buchhandlung. Kommissionäre hatte er in St. Petersburg, Amsterdam und Kopenhagen. Auch auf der Leipziger Messe bot er seine Medaillen an. Daniel Loos war in der kultivierten Welt ein berühmter und geschätzter Mann. Wer immer zu einem Jubiläum oder zur Erinnerung an einen Freund oder eine Begebenheit eine Medaille verschenken wollte - und das war zu dieser Zeit große Mode - , dachte an Loos. Zu seinen vielen Kunden gehörten nicht nur Privatpersonen, sondern auch gekrönte Häupter und Regierungen. Der Herzog Karl August von Weimar, die Fürstin Pauline zur Lippe, der dänische Hof, die Städte Frankfurt, Hamburg, Bremen, das Bistum Münster und viele andere wandten sich mit ihren Medaillenwünschen an Loos. Es ist bekannt, daß Loos nicht immer seine Medaillen selbst hergestellt hat, sondern daß auch andere tüchtige Medailleure mit Loos zusammen- oder für ihn gearbeitet haben. Die wichtigsten Mitarbeiter waren sein Sohn Friedrich und seit 1796 Johann Veit Doli (1750— 1835) aus Suhl. Fast alle Medaillen sind signiert, meist mit LOOS, manchmal nur mit L, einige mit F. LOOS (Friedrich L.) oder D. LOOS (Daniel L.). Wie viele verschiedene Medaillen aus dem Atelier des Daniel Loos überhaupt stammen, wird nicht genau festzustellen sein. Bis zu seinem Tode waren es mindestens 300. Wir können das Medaillenwerk in drei Gruppen einteilen: die staatlichen, die von der Privatkundschaft bestellten und schließlich solche Medaillen, die Loos von sich aus in der Meinung herstellte, daß sie von allgemeinem Interesse sein könnten. Bei den Arbeiten auf Bestellung mußte er sich weitgehend nach dem Geschmack seiner Kunden richten. Aus den vielen Medaillen der dritten Gruppe erkennen wir seinen eigenen Geschmack besser, obwohl er sich wegen der Verkäuflichkeit seiner Werke dem Zeitgeschmack anpassen mußte. Betrachten wir seine Medaillen, so fällt uns die Vorliebe für einen antikisierenden Stil auf. Nicht Menschen des 18. oder 19. Jahrhunderts finden wir (auf den Kehrseiten) vieler Münzen, nicht Bäume und Pflanzen, die in der Mark Brandenburg gedeihen, nicht die 138 Medaille zum 300. Jahrestag der Reformation, 1817 Medaille als Geschenk für junge Frauen, o. J. (vor 1802) Medaille zur Rückkehr des Königspaares nach Berlin, 1809 Kanonen und Musketen der friderizianischen Heere, vielmehr wird dem Betrachter das Ereignis in antiken Bildern vorgeführt. Minerva zeigt auf einen Olivenbaum, der Götterbote Merkur in kurzem Röckchen schreitet durch Zypressenhaine, und der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. steht in der Tracht eines römischen Legionsfeldherrn zwischen Schild und Wurfspieß und sieht dabei aus wie ein Kind zwischen seinen Weihnachtsgeschenken. Es fällt uns Menschen von heute schwer, das richtige Verständnis für diese Bildersprache zu finden. 139 Medaille zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III.. 1797 Im Urteil der Fachleute gilt Loos als ein erstklassiger, künstlerisch begabter Handwerker, der die Medaillenkunst wieder auf ein höheres Niveau gestellt hat. Wenn es ihm auch noch nicht gelang, den angestrebten reinen antiken Stil zu erreichen, so ist er doch in einer Zeit der Geschmacklosigkeit dem Vorbild der antiken Typen gefolgt. Unter seinen Medaillen beziehen sich viele auf Berliner Personen und Ereignisse. Die dynastischen Denkmünzen stehen ohnehin oft mit Berlin in Verbindung. Die Besuche des Großfürsten von Rußland (1776) und des Zaren Alexander (1805) gehören zur Berliner Geschichte, ebenso das Jubiläum des medizinischen Oberkollegiums (1785) oder die Hochzeit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der Prinzessin Luise (1793), die Berliner Huldigungen, der Tod der Königin Luise (1810), das Mausoleum für sie in Charlottenburg (1810) und das Friedensfest nach den Befreiungskriegen (1816). Daneben sind uns private Medaillen von Loos mit Bezug auf das Berlin um 1800 bekannt: die Berlinische See-Assekuranz (1777), die Akademie der Wissenschaften (1786), General-Chirurg Theden (1787), Blanchards Luftfahrt (1788), das Franz.-Reform. Gymnasium (1789), Minister Anton von Heinitz (1795), Hans R. von Bischoffwerder (1797), der Montagsklub (1798), der Schauspieler Iffland (1800), die Ballonfahrt des Ehepaares Garnerin (1803), die Pockenimpfung des Dr. Bremer (1803), C. F. Beyme (1803), Besuch des Phrenologen Dr. Gall (1805), General-Chirurg Joh. Goerke (1805, 1817), Medaille auf das 100jährige Bestehen des med. Oberkollegs, 1785 140 Rückkehr von Alexander von Humboldt (1805), Fr. Ph. Rosenstiel (1811), eine Serie von kleinen Medaillen auf die Befreiungskriege, u.a. auf die Schlacht bei Großbeeren (1813). — Loos stellte ein Viertel des Verkaufserlöses hieraus den Lazaretten zur Verfügung. - Die chirurgische und augenärztliche Klinik (1819) und der Arzt Dr. H. Meyer (1819). Wissen wir viel über sein Werk, über die Persönlichkeit des Daniel Loos konnten wir leider fast nichts in Erfahrung bringen. Aus den wenigen Anhaltspunkten, denen wir begegnet sind, können wir uns einen selbstbewußten, aber doch die Öffentlichkeit scheuenden Mann vorstellen. Er war sich des Wohlwollens des Königs und seiner Beamten sicher. Durch seine Medaillen war er in der „großen Welt" ein bekannter Mann geworden. Personen von Rang aus aller Welt kamen in sein Haus. So sandte auch der Herzog von Weimar einen Bevollmächtigten nach Berlin, damit er mit Loos über einen Medaillenauftrag verhandelte. Dabei erwies sich Loos als zäher Geschäftsmann, denn der Versuch, Loos im Preis zu drücken, scheiterte. „Er sah, wie bestimmt Herr Loos überhaupt spricht und handelt." Auch aus dem Streit mit Abramson können wir Schlüsse auf seinen Charakter ziehen. Obwohl kerngesund, bezeichnen ihn seine Vorgesetzten als einen Hypochonder. Aus seiner Geschäftskorrespondenz geht eine sachliche, ja kühle Haltung hervor. Loos war seinem König treu ergeben, doch scheute er sich nicht, auch ihm gegenüber seine Meinung zu vertreten. 1804 erhielt Loos den Auftrag, ein neues Majestätssiegel anzufertigen. Der König wollte darin seine Person in einem Kostüm sehen, das keinem Zeitalter 141 Medaille mit Mausoleum für die Königin Luise in Charlottenburg, 1810 Huldigungsmedaille, 1803 angehörte. Loos war anderer Ansicht. Er schlug vor, den König in die Tracht der Zeit zu kleiden und wies auf die von Tassaert und Schadow ausgeführten Statuen auf dem Wilhelmplatz und im Lustgarten hin. (Seiner Vorstellung dürfte das Bild seiner Huldigungsmedaillen von 1803 entsprochen haben.) Sein Einwand war jedoch vergeblich. Er mußte das Siegel nach den Wünschen des Königs anfertigen. Durch seine Schule sind einige beachtenswerte Medailleure gegangen: sein Sohn Friedrich Wilhelm, Anton König, Andreas Hoffmann, Gottlieb Götze (von ihm stammt die Medaille auf Loos anläßlich des 60jährigen Jubiläums, 1816), J. J. G. Stierle, Franke, Stadelmann und Jos. Krüger. 1817 wurde Loos von der praktischen Arbeit entbunden, behielt aber die Aufsicht über die ihm vertraute Arbeit in der Münze. Am 7. Juni 1818 endlich, 83 Jahre alt, trat er mit einem Jahresgehalt von 1000 Talern in den Ruhestand. Zu seinen letzten, von ihm veranlaßten und von seinen Schülern Rollenbach und Voigt ausgeführten Werken zählen zwei Medaillen aus dem Jahre 1819 auf Dr. Heinrich Meyer (1767—1828), den Freund und Arzt von Loos. Am 5. Oktober 1819 meldeten die Berlinischen Nachrichten: „Das heut am Entzündungsfieber erfolgte Ableben des Königl. Hof-Medailleurs Loos, zeigen wir tiefgebeugt 142 Medaille für Daniel Loos zu seinem 60jährigen Dienstjubiläum unseren Verwandten und Freunden hiermit ergebenst an. Berlin, den 1. Oktober 1819 Der General-Münz-Wardein Loos — Köls, geb. Loos Der Geheime Kriegsrath Köls." Loos wurde am 4. Oktober 1819 auf dem Alten Friedhof, nahe Alexanderplatz, beigesetzt. Anschrift des Verfassers: Heyenfeldweg 120, 4150 Krefeld-Verberg Ein ausführliches Verzeichnis der Quellen und der benutzten Literatur findet sich bei meinem Aufsatz im Numismatischen Nachrichten-Blatt, Oktober 1978, „Daniel Friedrich Loos, Königlicher HofMedailleur in Berlin, Sein Leben und Werk". Die wichtigste benutzte Literatur ist: Friedrich Freiherr von Schrötter: Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. Acta Borussica. Münzgeschichtlicher Teil. Berlin 1904-1913. Beschreibender Teil, 2. und 3. Heft. Tassilo Hoffmann: J. A. Abraham Abramson, 55 Jahre Berliner Medaillenkunst, 1755 — 1810, Frankfurt am Main 1927. Adreß-Kalender der Königl.-Preußischen Haupt- und Residenz-Stadt Berlin (versch. Jahrgänge, Landesarchiv Berlin). Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen vom 4. Mai 1816, 5. Oktober 1819 und 7. Oktober 1819. Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Conversations-Lexikon, Leipzig 1827 und 1846. Die Abbildungen stammen aus dem Archiv des Verfassers. Die Medaillen und Münzen sind, wenn nicht anders angegeben, in Originalgröße abgebildet. 143 Käthe Schmidt-Jürgensen (1897-1979) Ein Berliner Künstlerschicksal Von Erika Schachinger Obwohl Käthe Schmidt-Jürgensen nur einem engeren Kreis bekannt war, kann ihr Leben stellvertretend für viele Künstlerschicksale in Berlin stehen. Mit ihr dürfte eine der letzten Persönlichkeiten, die das Theaterleben der Wilhelminischen Zeit aus eigener, sehr persönlicher Erfahrung kennengelernt hatten, von uns gegangen sein. Katharina (genannt Käthe) Schmidt wurde am 20. März 1897 in Köln-Ehrenfeld als Tochter des Maschinenmeisters Theodor Schmidt und seiner Ehefrau Elisabeth geb. Reuter geboren. Ihre schauspielerische Ausbildung erhielt sie am Stadttheater in Köln, außerdem studierte sie privat Gesang bis zur Opernreife. 1916 starb ihr Vater, der im Kölner Gaswerk gearbeitet hatte. Am 4. Mai 1918 heiratete sie in Chemnitz (heute KarlMarx-Stadt) den Schauspieler und Theaterdirektor Max Friedrich Louis Albert Samst, den sie wahrscheinlich während seiner kurzen Bühnentätigkeit während des Ersten Weltkrieges in Köln kennengelernt hatte. Max Samst war am 29. November 1859 in Ortrand, Kreis Liebenwerda, Provinz Sachsen, geboren worden. Schon sein Vater Emil Christian Camillo Samst war Theaterdirektor gewesen. Zum Zeitpunkt der Eheschließung mit Käthe Schmidt war Max Samst als Theaterdirektor am Chemnitzer Thalia-Theater tätig. In Chemnitz vollendete Käthe Schmidt-Samst ihre Gesangstudien und arbeitete von 1920 bis 1924 als erste Liebhaberin an der Chemnitzer Volksbühne, bis sie ihrem Mann nach Berlin nachfolgte. Aus ihrer Chemnitzer Zeit ist Käthe Schmidt auch als Bearbeiterin des romantischen Schauspiels „Ennod Mainas Lied vom Glück" bekannt, das ihr Mann inszenierte und in dem sie nicht nur die weibliche Hauptrolle spielte bzw. sang, sondern als vielseitige Künstlerin im letzten Akt „Das Lied vom Glück" auch tanzte, wie es - laut Stadt-Anzeiger (leider ohne Datum) - eine Berufstänzerin kaum besser gekonnt hätte. In Berlin wurde Käthe Schmidt-Samst nach eigener Aussage in fast allen Privattheatern in führenden Rollen tätig. Zu ihrem Repertoire gehörten kleinere oder größere Rollen in Schauspielen und vor allem in Operetten. 1927 spielte sie eine Nebenrolle in dem Film „Das rosa Pantöffeichen" (mit Hanni Reinwald in der Hauptrolle). Nach dem Tod von Max Samst 1932 arbeitete Käthe Schmidt-Samst auch für den Rundfunk. Nach 1932 gab sie außerdem öffentliche Konzerte, u. a. mit Liedern von Schumann, Schubert und Mozart. Zu Lebzeiten ihres ersten Ehemannes Max Samst stand die künstlerische Zusammenarbeit mit diesem im Vordergrund ihrer Tätigkeit. Da sein Lebensweg für die Berliner Theatergeschichte nicht uninteressant ist, sei es gestattet, an dieser Stelle näher auf ihn einzugehen. Max Samst, aus einer Schauspielerfamilie stammend, war im Alter von knapp 20 Jahren nach Berlin gekommen, wo er als Schauspieler in Klassikerrollen am Alten Nationaltheater am Weinbergsweg seine Bühnenlaufbahn begann. Dort stand er u.a. neben Josef Kainz und Ludwig Barnay auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Mit 25 Jahren übernahm Max Samst bereits die Leitung eines der vielen kleinen Berliner Privattheater jener Zeit, in denen er aber auch als Schauspieler wirkte. Er sollte 48 Jahre lang Theaterdirektor bleiben, in wechselnden Theatern, mit wechselndem Erfolg, meistens in den nördlichen und östlichen Vorstädten des alten Berlin, in denen die Arbeiterschaft wohnte. Am berühmtesten wurde seine Direktion des Ostend-Theaters in der Großen Frankfurter 144 Käthe Schmidt-Samst (um 1919) Max Samst (um 1929) Straße, des späteren Rose-Theaters, das er 1889 übernahm (zeitweilig hatte er die Leitung nicht allein inne, vgl. Neuen Theater-Almanach). Hier gastierte von Mai bis September 1890 unter Samsts Leitung der große Schauspieler Josef Kainz, als dieser am Deutschen Theater vertragsbrüchig geworden war und deshalb vom Deutschen Bühnenverein - aus dem Samst schnell ausgetreten war - geächtet wurde, d.h. an keinem anderen Theater mehr engagiert werden durfte. Mochte hinter diesem Engagement, das Besucher aus allen Teilen Berlins anlockte, in erster Linie Geschäftssinn stehen, so wußte Samst doch auch die Gelegenheit für sein kleines Theater zu nutzen, eine große Schauspielerleistung in klassischen Stücken zu bieten (vgl. u.a. Edith Krull und Hans Rose, Erinnerungen an das Rose-Theater, Berlin 1960, S. 17). Am in Nationaltheater umbenannten Ostend-Theater führte Max Samst als Mitbegründer der Freien Volksbühne als erster - 1893 in einer Serie von Vorstellungen - das damals noch verbotene Schauspiel „Die Weber" von Gerhard Hauptmann auf, eine Mutprobe, die ihm dieser nicht vergaß, auch in der Würdigung von Samsts Bemühungen, „Kunst dem Volke und das Volk der Kunst zuzuführen "(so Gerhard Hauptmann zum 70. Geburtstag von Max Samst, zitiert nach: Tempo, Berlin, 29. November 1929). Andere Aufführungen der Freien Volksbühne folgten. Ibsens Schauspiel „Stützen der Gesellschaft" hatte in Deutschland seine erste Aufführung im Ostend-Theater (bereits im Oktober 1890, vgl. Edith Krull und Hans Rose, Erinnerungen an das Rose-Theater, Berlin 1960, S. 17). In die Zeit von Samsts Leitung des in Nationaltheater umbenannten Ostend-Theaters fällt auch die Freundschaft mit Otto Lilienthal, dem berühmten Pionier des Fliegens. Samst wollte 1892/93 für die Heizung seines Theaters einen sog. Schlangenrohr-Kessel einführen, den sein Erfinder, Otto Lilienthal, selbst einzubauen sich erbot. Aus dieser Begegnung wurde eine Freundschaft, die dazu führte, daß Lilienthal sich an der Leitung 145 des Theaters nicht nur finanziell beteiligte. Zwei Wechsel mit der Unterschrift von Samst und Otto Lilienthal gehören zu den Erinnerungsstücken von Käthe Schmidt-Jürgensen an ihren ersten Gatten. Unter dem Pseudonym Carl Pohle schrieb Otto Lilienthal ein Theaterstück „Gewerbeschwindel, Berliner Geschichten aus dem Winter 1894", das im Nationaltheater aufgeführt wurde. Das handgeschriebene Souffleurbuch ist ebenfalls noch vorhanden. In dem Volksstück „Preciosa" trat er auch als Räuberhauptmann auf. Otto Lilienthal nahm auch den Gedanken von Wilhelm Meyer-Förster, dem späteren Verfasser des Bühnenstückes „Alt-Heidelberg" auf, Theaterbillets für 10 Pf zu verkaufen, um so Bühnenkunst den sozial schlechter gestellten Volksschichten zugänglich zu machen. Wie volkstümlich eine Schiller-Aufführung im Ostend-Theater angeboten wurde, kann man MeyerFörsters Rückblick auf jene Zeit entnehmen: „Man sah ,Maria Stuart', ging während der langen Pause in den Garten, wo man Karussell fuhr, sah wieder einen Akt ,Maria Stuart', ging wieder in den Garten, um nach der Scheibe zu schießen, sah endlich Mortimer sterben und aß dann im Garten sein Abendbrot" (zitiert und berichtet nach: Vossische Zeitung, Berlin, Morgen-Ausgabe, 12. Mai 1932). Auch und gerade bei dem Bemühen, kunsterzieherisch und sozialpädagogisch zu wirken bei niedrigen Eintrittspreisen, blieb das Theaterspiel ein wirtschaftliches Risiko. Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit O. Lilienthal endete jäh durch dessen tragischen Tod am 10. August 1896, nachdem dieser am Vortag bei einem seiner Flugversuche abgestürzt war. Kurze Zeit später übernahm Max Samst die Leitung des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters in der Chausseestraße 30/31. Aus dieser Zeit ist eine Mietquittung überliefert, die für die Hauptspielzeit 13 750 Goldmark Miete nachweist. Der Spielplan jener Zeit ist mir nicht bekannt, aber es ist anzunehmen, daß er hauptsächlich aus sog. Volksstücken bestand. Während des Krieges und in der nachfolgenden Inflationszeit wich Max Samst mit seinem kleinen Familienensemble in die „Provinz" aus, u.a. nach Königsberg, Magdeburg, Hamburg, Köln und Chemnitz, um dort Theater zu spielen. Er konnte sich aber jeweils nur kurze Zeit halten. Schon damals bestand sein Ensemble, das er patriarchalisch leitete, z. T. aus seiner Familie; so arbeiteten einer seiner Söhne als Kapellmeister, sein Neffe und seine Nichten als Schauspieler bzw. Schauspielerinnen mit. Die Kritik bemängelte im Laufe der Jahre - mindestens seit dem Ersten Weltkrieg - immer stärker und sicher zu Recht, daß Samst hauptsächlich das Volksstück, den Kitsch bis hin zur Schmiere bevorzugte, ohne so recht anzuerkennen, wie schwierig das Theatergeschäft in der Kriegs- und Nachkriegszeit für den alternden Theaterfachmann geworden war. Später kam noch das aufstrebende Kino als Konkurrenz hinzu. Unternehmungsfreudig wie Max Samst war, fing er immer wieder von vorn an, wobei ihm sein schlagfertiger Witz und sein Einfallsreichtum halfen, mit denen er manchmal selbst seine Mitspieler aus dem Konzept bringen konnte. Als Charakterdarsteller hatte er eine gute Presse. Nach Augenzeugenberichten muß er als lebensfroher Mensch und als Komiker eine große Ausstrahlungskraft gehabt haben, gerade auch auf junge theaterbesessene Menschen wie seine zweite Frau. Schon früh rankten sich Anekdoten um seine Person. Als er die junge Käthe Schmidt 1918 in zweiter Ehe heiratete, leitete er das Thalia-Theater in Chemnitz, das er 1922 aufgeben mußte und das kurze Zeit später in ein Kino umgewandelt wurde. Max Samst ging wieder nach Berlin zurück, arbeitete zunächst als Schauspieler (z.B. als Graf Cohn mit zahnlosem Mund im Theater „Folies Caprice" am Oranienburger Tor) und versuchte dann wieder sein Glück als Pächter verschiedener kleiner 146 Theater, in denen er auch selbst noch spielte. Das Neue Theater am Zoo, das Residenztheater, das Wallner-Theater, das Zentraltheater (die Reihenfolge ist unverbindlich) und zuletzt das Walhalla-Theater wurden von ihm - stellenweise mit Compagnons - in der Nachkriegszeit gepachtet, zeitweilig drei Theater gleichzeitig. Auf die Dauer gesehen hatte Max Samst im Berlin der Nachkriegszeit finanziell kein Glück mehr - auch nicht, als er das Bon-System einführte, um das Publikum heranzulocken. Er verschickte Eintrittskarten durch die Post, die den Stempel „Freibillet" trugen, in deren Ecke sich aber der Vermerk „Steuergebühr 60 Pf." befand. Dies war dann der tatsächliche Preis für die Karte, der beim Eintritt in das Theater bezahlt werden mußte. Mit dieser Methode schaffte er sich auch Gegner. Mit Hilfe von Preisrätseln, gestellten und gespielten Bildern versuchte Max Samst ebenfalls, Publikum zu gewinnen. Aber trotz der finanziellen Schwierigkeiten gelang es ihm als Kleinunternehmer und „Bühnenvater" immer wieder, die Gagen für seine Mitspieler pünktlich zu bezahlen. Das Repertoire umfaßte hauptsächlich Operetten, Schwanke und Possen, die in starkem Maße aus dramatisierten (Zeitungs-) Romanen bestanden, die gespielt bzw. gesungen wurden. Als Beispiel seien hier nur „Die Koblanks" erwähnt, eine rührselige Familiengeschichte aus dem Berliner Kleinbürgertum nach dem Roman von Erdmann Graeser, dramatisiert von dem Verfasser unter Mithilfe von G. Burghardt, Musik von Richard Hirsch, uraufgeführt im Residenztheater Berlin am 18. Juli 1925, weibliche Hauptrolle: Käthe Schmidt-Samst. Nicht immer verlief die Zusammenarbeit zwischen Bühnenautor, Komponist und Theaterdirektor freundschaftlich und reibungslos wie in diesem Falle. Bei einer Auseinandersetzung im Zentraltheater zwischen Max Samst und dem Bühnenautor Ernst Neubach ergriff Käthe Schmidt-Samst derart Partei für ihren Mann, daß sie den Textautor ohrfeigte. Es fällt auf, daß in den noch vorhandenen Kritiken (oder wurden nur solche aufgehoben?) Käthe Schmidt-Samst gut abschneidet, auch dann, wenn die Niveaulosigkeit der von Max Samst zur Aufführung gebrachten Stücke - im Vergleich zu seiner früheren Tätigkeit am Ostend-Theater - kritisiert wurde. 1930 mußte sich Max Samst aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berliner Theaterleben zurückziehen. Er starb am 11. Mai 1932 in Berlin in großer wirtschaftlicher Bedrängnis und nach schwerem Leiden (u.a. Diabetes), so daß Freunde des Ehepaares von einer Erlösung sprachen. Am 14. Mai 1932 wurde er unter großer Anteilnahme auf dem Jerusalemer Friedhof in der Baruther Straße beigesetzt. Nach dem Tode ihres Mannes Max Samst arbeitete Käthe Schmidt-Samst weiter für Privatbühnen und für den aufkommenden Rundfunk, wobei ihr von Kollegen immer wieder Mut zugesprochen wurde. Es folgte eine kurze unglückliche Ehezeit mit Wolfgang Neusch, einem Rundfunksprecher, von dem sie sich schnell wieder scheiden ließ. Am 29. Juni 1938 heiratete sie in dritter Ehe Wilhelm Jürgensen, einen erfolgreichen Exportkaufmann. Auch diese Ehe blieb für sie kinderlos. Wilhelm Jürgensen, geb. am 9. Juni 1891 in Schleswig, stammte aus einer alten Gastwirtsfamilie. Er lernte zuerst bei einer Reederei in Kiel, die er dann in Königsberg/Ostpr. vertrat, und machte sich später mit seinem Freund Karl Jurisch in Berlin selbständig. Ihre Firma „Seeverkehr KG Jürgensen und Jurisch", Berlin, hatte als Tätigkeitsbereich die Befrachtung von Seedampfern für Berliner Großhandelsfirmen, d.h. die Tätigkeit eines Schiffs- und Befrachtungsmaklers der Seeschiffahrt als Vermittler zwischen den Verladern in Berlin und den Reedereien in den Seehäfen. Als Wilhelm Jürgensen 1937 seine zweite Frau Käthe geb. Schmidt kennenlernte (seine 147 erste Frau Hedwig geb. Doering starb 1935), war er bereits seit langem den schönen Künsten zugetan. Mindestens seit 1923 war er als hochqualifizierter Amateur-Pianist hervorgetreten, vorwiegend für klassische Musik und zur Begleitung von Sängern, u.a. bei Wohltätigkeits- und Kurkonzerten. Nach ihrer Eheschließung mit Wilhelm Jürgensen am 29. Juni 1938 in Berlin gab Käthe Schmidt-Jürgensen ihre berufliche Tätigkeit als Schauspielerin und Sängerin (im Sinne der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft der deutschen Bühnenangehörigen bzw. bei der Reichstheaterkammer) auf, bestärkt von ihrem Mann in dem Glauben, daß sie dies nicht mehr nötig hätte. Sie wandte sich nun unter dem Einfluß ihres Mannes oder/und als Ausdruck eines neuen Lebensabschnittes der ernsten Musik gänzlich zu. Bei ihren privaten Auftritten standen die Lieder von Schubert, Schumann und Brahms im Vordergrund, aber auch J. S. Bach, Max Reger, Richard Strauß, Hugo Wolf, Puccini und Verdi standen auf dem Programm. Unvergeßlich im Hause und bei Freunden waren die Musiknachmittage („Musik am Nachmittag") bei Jürgensens in der Nikolsburger Straße 10 in Berlin-Wilmersdorf, zu denen mit Programmzetteln eingeladen wurde. Käthe Schmidt-Jürgensen sang Sopran, Gerty Bresser Alt, am Flügel begleitete Wilhelm Jürgensen die Damen, die auch Duette sangen. Zeitweilig wirkte auch Barbara Techow geb. Schmeidler bei diesen Konzerten mit. Sie war eine ausgebildete Opernsängerin und wohnte ebenfalls in der Nikolsburger Straße 10. Während des Krieges sang Käthe Jürgensen auch in Lazaretten. Vereinzelt erteilte sie Gesangsunterricht. Nach dem Krieg gab Käthe Jürgensen Konzerte in Krankenhäusern, nicht nur in Berlin, sondern auch in Potsdam (nachweislich für 1947). Am Flügel begleitete sie 1947 und 1948 (Wilhelm Jürgensen war bereits verstorben) Ernst Günther von Cleve, von Beruf Kaufmann, ebenfalls wohnhaft in der Nikolsburger Straße 10. Es war dies eine höchst musikalische Hausgemeinschaft, deren Menschlichkeit sich in der Kriegs- und Nachkriegszeit bewährte. Am 10. Februar 1946 starb Wilhelm Jürgensen in Berlin. Damit begann für seine Witwe eine schwere Zeit, da durch den Krieg und die Nachkriegsereignisse die materielle Grundlage der Familie zerstört worden war. Doch die Gabe, jederzeit das Beste aus ihrem Leben zu machen, sollte nun bei Käthe Jürgensen unter den widrigsten Umständen zur vollen Entfaltung kommen. Bereits 1946, anläßlich des Todes von Wilhelm Jürgensen, schrieb ihr eine Frau aus der Nachbarschaft, deren Mann sich noch in Kriegsgefangenschaft befand: „Ich bin ja immer mit meinen Sorgen in Ihrer Küche zunächst gelandet und bin gut beraten oder doch getröstet und meistens erheitert wieder gegangen." Diese Haltung können auch die noch lebenden Hausbewohner und die vielen Untermieter bestätigen, die Käthe Jürgensen aufnahm, um die Kosten für die große Neun-Zimmer-Wohnung zu bestreiten. Von dieser Wohnung wollte sie sich angesichts der vielen damit verbundenen Erinnerungen nicht trennen, obwohl sie 1945 teilweise von den Russen geplündert worden war. Immer wieder verkaufte sie lieb gewordene Gegenstände wie ihre alte Bühnenkleidung, um ihren Lebensunterhalt aufzubessern, selbst als sie eine kleine, mühsam errungene Sozialrente erhielt. Soweit es ihr möglich war, nahm sie bevorzugt Musikliebhaber in ihrer Wohnung auf. Für junge Amateurmusiker und Musikstudenten war Käthe Jürgensen eine geradezu ideale Wirtin, die nicht nur Verständnis für das ständige Üben entgegenbrachte, sondern die jungen Leute in den Stunden ihrer Mutlosigkeit immer wieder dazu anspornte, weiterzumachen. Dies war ihr letztes und zugleich größtes Verdienst als Künstlerin und als Mensch. Stellvertretend für andere kann hier ein ehemaliger Musikstudent zitiert werden, der während seines Cello-Studiums von 1964 bis 1968 bei Käthe Jürgensen wohnte und 148 jetzt Solocellist an einer westdeutschen O p e r ist. 1971 schrieb er an Käthe Jürgensen: „Voll größtem Entzücken d e n k e ich noch an Ihre Fähigkeit, die netten Feiern bei Ihnen durch Ihren H u m o r , Ihr T e m p e r a m e n t und nicht zuletzt durch Ihre Kochkünste zu unvergeßlichen Stunden zu machen. Auch hat meine Frau längst ,spitz gekriegt', daß die Zeit bei Ihnen durch Sie zu meiner entscheidenden Studienzeit geworden ist. Dabei haben Sie es ja ganz schön schwer mit mir gehabt." W e n n Käthe Jürgensen bis Anfang der siebziger Jahre mit ihren Musikstudenten und Amateurmusikern - darunter Cellisten und Geiger - im großen Berliner Z i m m e r ihrer W o h n u n g musizierte, weitete sich dieser R a u m (mit dem anschließenden Balkonzimmer waren es ca. 60 m 2 ) für die Beteiligten zu ihrer kleinen Philharmonie. Sie selbst sang oder spielte Klavier. Hier sang auch Erwin Schindler, ein ehemaliger Kammersänger, der als Halbjude unter den Nationalsozialisten Berufsverbot hatte und sich in der Nachkriegszeit als Trauerredner betätigen mußte, weil er beruflich den Anschluß nicht mehr fand. 1946 erkrankte K ä t h e Jürgensen an Gelbsucht, die nicht richtig ausheilte. A b Mitte der sechziger Jahre litt sie an Arthrose, ab 1970 an Bluthochdruck mit langsam zunehmender Herzinsuffizienz. 1971 brach sie sich das Bein. Später stürzte sie erneut und zog sich eine Platzwunde am Kopf zu. Bis zuletzt spielte Käthe Jürgensen täglich Klavier, trotz der zunehmenden Arthrose in den Fingern und Beinen. Nach einem tapfer durchgestandenen Leben starb sie am 15. Mai 1979 in Berlin. Ein liebevolles G e d e n k e n bei der jungen und jüngsten Generation innerhalb und außerhalb Berlins ist ihr gewiß! Anschrift der Verfasserin: Reichsstraße 28a, 1000 Berlin 19 Nachrichten Senat von Berlin fördert Berlin-Forschung Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat für das Jahr 1979 für ein Förderungsprogramm der Freien Universität Berlin für junge Wissenschaftler zur Berlin-Forschung 2 Mio. DM bereitgestellt und eine Weiterführung in Aussicht genommen, die für 1980 einen Finanzaufwand von 6 Mio. DM und für 1981 von 8 Mio. DM erfordern würde. Neben wissenschaftlicher Qualität und berlinbezogener Thematik waren auch Anwendbarkeit in der Praxis und Kooperation mit Einrichtungen außerhalb der Hochschule als Förderungskriterien genannt worden. Die zunächst eingereichten 122 Projektanträge umfassen wesentliche Fragen der Stadtforschung, darunter Stadtplanung und Stadtstruktur, natürliche Umwelt, politische Entwicklung und Kultur, doch ist die Auswahlkommission der Meinung, daß darüber hinaus eine Reihe von Themen, die für Berlin wichtig sind, eingereicht werden könnte. H. G. Schultze-Berndt D e n k m a l - F o t o a u s s t e l l u n g in O s t - B e r l i n In der (Ost-)Berliner Stadtbibliothek wurde im September eine Ausstellung unter dem Titel „Denkmale in Berlin, Hauptstadt der DDR" eröffnet. Darin wird dargelegt, wie mannigfaltig die Bemühungen sind, Denkmale der Geschichte, Kunst, Wissenschaft und Technik im Ostteil unserer Stadt zu erhalten und zu pflegen. H. G. Schultze-Berndt 149 Freiwillige Denkmalpfleger restaurieren auf Ost-Berliner Friedhöfen Im Zusammenhang mit dem Aufsatz „Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks zum 125. Geburtstag von Paul Marcus" von Fritz Bunsas im Heft 4/1979 der „Mitteilungen" verdient die Meldung Aufmerksamkeit, daß Mitglieder der Interessengemeinschaft „Denkmalpflege, Kultur und Geschichte unserer Stadt Berlin" im Kulturbund der DDR an der Restaurierung des Berliner Garnisonfriedhofs in der Kleinen Rosenthaler Straße 3 im Bezirk Mitte mitarbeiten. Seit Januar 1978 haben sie den Rost an kostbaren gußeisernen Grabdenkmalen und schmiedeeisernen Grabgittern entfernt. Anschließend erhielten die Zeugnisse Berliner Eisengußkunst vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert einen Anstrich mit Rostschutzfarbe und mit schwarzem Lack. H. G. Schultze-Berndt B e r l i n e r B ä r im Bischofswappen Dr. jur. Johannes Dyba ist Pro-Nuntius (im Range des Botschafters) in Liberia und Gambia sowie Apostolischer Delegat in Guinea und Sierra Leone. Unlängst wurde der 50 Jahre alte gebürtige Berliner als Priester der Erzdiözese Köln im Kölner Dom zum Bischof geweiht. Sein Bischofswappen ziert neben den drei Kölner Kronen der Berliner Bär. Sein Wahlspruch: „Filii Dei Sumus,, - Kinder Gottes sind wir. H. G. Schultze-Berndt * Die Leitung des Frühlings-Hotels in Braunschweig, Bankplatz 7, Telefon (05 31) 4 93 17/18, versichert im Anschluß an die Studienfahrt nach Braunschweig, daß auch in Zukunft Mitglieder unseres Vereins dort bevorzugt untergebracht werden. H. G. Schultze-Berndt Von unseren Mitgliedern Horst Behrend, Christ und Preuße t Am 22. November ist unser Mitglied Horst Behrend im Alter von 66 Jahren verstorben. Als Sohn des Senatspräsidenten Dr. Ernst Behrend in Stettin geboren, war er nach dem Abitur in Berlin und einer Kaufmannslehre im Übersee-Speditionshandel in Bremen zunächst als freier Schriftsteller tätig, bis Kriegsdienst und sowjetische Gefangenschaft seinen Weg unterbrachen. 1949 gründete er die Vaganten-Bühne Berlin, mit der er im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Thespis-Karren über die Lande zog und den Menschen mit aufrüttelnden Stücken seine Botschaft nahebrachte. Seine Tätigkeit als Theaterdirektor und als Schriftsteller wurde 1960 durch Verleihung des Silbernen Blattes des Deutschen Schriftsteller- und Komponisten-Verbandes und 1967 durch die Luther-Plakette in Silber ausgezeichnet. 1979 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Den Mitgliedern unseres Vereins ist das vielfältige Wirken des Verstorbenen zumeist aus den Vorträgen bekannt, mit denen er thematisch einen weiten Bogen durch Brandenburg-Preußen zog und die ihn ebenso in Strafanstalten und Volkshochschulen wie zur Urania und in eine Vielzahl von Vereinen führten. Horst Behrend war Rechtsritter des Johanniter-Ordens und Mitglied unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen von den Lions bis zum Zollernkreis. Überall war er mit „ethischem Ernst und christlichem Weltbewußtsein", wie Friedrich Luft schrieb, engagiert, ohne daß man den Eindruck gewann, irgendeiner dieser Vereine habe ihn sich „einverleibt". Horst Behrend, der noch aus einer Zeit stammt, in der auch die selbst auferlegten Pflichten Gewicht hatten, war ein „Multiplikator" seiner Ansichten über Gott und die Welt, über Preußentum und den Wert von Tradition und Geschichte. Wenn er konservativ genannt werden kann, dann nur in dem Sinn, daß in unserem Lande derjenige konservativ heißt, dem auch bittere Einsichten ein paar Jahre früher dämmern als anderen. Ohne Titel, quasi als Ein-Mann-Unternehmen, oder — hochgegriffen - als „Institution" 150 Foto: Starck-Otto 1970 wirkte Horst Behrend in unserer Stadt, setzte sein Wissen und seine Erfahrungen gegen die Trägheit der Herzen und fühlte sich nicht dem „Zeitgeist" verpflichtet, sondern dem Geist. Daß beim Trauergottesdienst in der Luisenkirche, in der er einmal monatlich als Prediger wirkte, Verse von Paul Gerhardt und von Jochen Klepper gesungen wurden und Bischof Dr. Martin Kruse als einziger neben den Gemeindepfarrern zu Worte kam, kennzeichnet selbst in dieser Abschiedsstunde unser Mitglied Horst Behrend, Christ und Preuße, wie er genannt wurde, Freund und Mensch. H. G. Schultze-Berndt * Unser Mitglied Axel Springer wurde in einer Feier der Stiftung „Ruf des Gewissens" (Appeals of Conscience Foundation) in New York im Beisein des früheren Berliner Stadtkommandanten Frank Howley und des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, Rüdiger von Wechmar, als „Mann des Gewissens" geehrt. Der Präsident der Stiftung, Rabbiner Arthur Schneier, überreichte Verleger A. Springer die Ehrenurkunde und würdigte dessen historischen Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschen und Juden. H. G. Schultze-Berndt * Unserem Mitglied Franz Berndal wurde im Rahmen der Eröffnungsfeier der letztjährigen Kreuzberger Festwochen von Stadtrat Gerhard Schultze die Gedenkplakette des Bezirks Kreuzberg von Berlin überreicht. Damit sollten seine früheren Leistungen und Vorträge in diesem Bezirk gewürdigt werden. H. G. Schultze-Berndt * Unser Mitglied Horst Kintscher wird als Nachfolger von Hans Rosenthal Leiter der UnterhaltungsAbteilung beim RIAS Berlin. H. G. Schultze-Berndt Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Gerhard Koch; zum 75. Geburtstag Herrn Dr. H. H. Beerbohm, Herrn Albert Brauer, Herrn Max Göhler, Herrn Dr. G. B. von Hartmann, Herrn Hans Schiller, Herrn Ernst Schmidt, Herrn Paul Weihe; zum 80. Geburtstag Frau Gertrud Hartmann, Herrn Erich Kemnitz, Frau Eva Paproth, Frau Elisabeth Roßberg, Frau Gertrud Warzecha, Frau Erna von Wolff; zum 85. Geburtstag Herrn Dr. H. Fricke, Herrn Karl Lortzing. 151 Buchbesprechungen Günter de Brnyn: Märkische Forschungen. Erzählungen für Freunde der Literaturgeschichte. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1979 (Liz.). 152 S., geb., 22 DM. Der Autor - er wohnt und arbeitet in der DDR - hat die Personen seines Buches in der Mark Brandenburg und in Berlin (Ost) angesiedelt. Ein Grund dafür besteht nicht, die Handlung könnte überall vor sich gehen. Zwei Männer, welche eine Leidenschaft für das gleiche Hobby haben, nämlich die Forschung nach einem verschollenen märkischen Dichter, werden Freunde. Einer der beiden ist ein Universitätsprofessor und Institutsleiter im besten Alter, der andere ein junger Dorfschullehrer und Hobbyhistoriker. Als der Lehrer in den Forschungen des Professors mögliche Fehler aufdeckt und dieser sein Lebenswerk gefährdet sieht, macht der Wissenschaftler den einstigen Freund, den er nun als unerträglichen Widersacher betrachtet, mundtot. Der junge Lehrer geht daran zugrunde. Die Beziehungen der beiden Männer zueinander und zu ihrer Umwelt sind psychologisch sehr genau, spannend und überzeugend geschildert. Das einzige, was nicht überzeugt, ist eine ideologisch begründete Ablehnung der von ihm angestrebten Veröffentlichung in der Bundesrepublik. Der Autor braucht jedoch diese Ablehnung, um das Vernichtungswerk an dem unerfahrenen und einflußlosen Laienforscher zu vollstrecken. Vera Gottke Fritz V. Grünfeld: Heimgesucht - Heimgefunden. Betrachtung und Bericht des letzten Inhabers des Leinenhauses Grünfeld. Berlin: arani-Verlag 1979. 233 S. m. Abb., Ln., 29,80 DM. Wer von den Älteren kennt sie nicht, die „Grünfeldecke" Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße das Leinenhaus Grünfeld, dessen letzter Inhaber das Buch seinen Enkelkindern widmet, „auf daß sie wissen und nicht vergessen . . .". Einige biographische Daten: Geboren wurde er 1897 im schlesischen Landeshut, wo sein Großvater 1862 die „Landeshuter Leinen- und Gebildweberei F. V. Grünfeld" gegründet hatte. Um die Jahrhundertwende Übersiedlung der Familie nach Berlin, Leipziger Straße; hier Schulzeit und Studium, dann Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, danach Studienabschluß und 1926 Eröffnung des zweiten Geschäfts am Kurfürstendamm. Er kommt, u.a. über seinen Schwiegervater Max Osborn, Schriftsteller und Kunstkritiker, mit vielen Repräsentanten des kulturellen Berlins der zwanziger Jahre zusammen. Wir erleben mit ihm „den Höhepunkt und den Untergang der kurzen glanzvollen Emanzipation der Juden in Deutschland". Aus der Nazizeit — die Auswanderung erfolgte nach zwangsweisem Verkauf der Geschäfte 1938 — erfahren wir von so mancher Groteske: daß u. a. Görings Frau bei Grünfeld kaufte oder daß im Wäschelager in Landeshut auf der einen Seite Bettbezüge mit hebräischen Inschriften für ein Krankenhaus in Tel Aviv, auf der anderen Seite solche für das Wehrkreiskommando III lagerten. Das Buch handelt von dem Heimgesuchten, der ein zweites Heim in Israel gefunden hat. Grünfeld beschreibt vier Etappen seiner Wandlung: vom Deutschen über den jüdischen Deutschen und den deutschen Juden bis hin zum Juden in Israel. Es ist ihm allem Anschein nach nicht gelungen, sein Geschäft dort in einem ähnlichen Rahmen wie früher wieder aufzubauen. Dabei darf natürlich nicht vergessen werden, daß die Neugründung der eigenen Existenz mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und später mit dem Kampf Israels um eine eigene Staatsgründung zusammenfiel. So finden wir Grünfeld in einem Komitee für Soldatenhilfe, als Organisator für Rationalisierung und Zuteilung auf dem Gebiet der Textilwirtschaft wieder und schließlich - bis zu seiner Pensionierung - mit dem Auf- und Ausbau einer Kette von Textilgeschäften befaßt. Das wird alles sehr genau geschildert, und wir nehmen - aus Grünfelds Sicht - teil am Werden und an der Verwirklichung des neuen Judenstaates. Keiner der vielen Glieder der Familie Grünfeld ist auf Dauer nach Deutschland zurückgekehrt. Zuweilen denkt man, daß Grünfeld auch gegenüber den Israelis Rechenschaft ablegt wegen seines besonderen Verhältnisses zu Deutschland, was wohl im Zusammenhang mit seinem ursprünglichen Sclbstverständnis als Deutscher gesehen werden muß. Hier klingt - jedenfalls für die Ohren der Rezensentin - ein Stück der Tragik des jüdischen Volkes an, die gerade 1979, im Jahr der Veröffentlichung des Buches, durch die sich zuspitzende Problematik um Israel aktualisiert wurde. Es ist sicher kein Zufall, daß er 1973 schon „die Feder dazu ansetzte", zu einem Zeitpunkt, als der „Überfall der arabischen Übermacht auf meine neue Heimat alles Private überschattete". Irmtraut Köhler 152 Swantje Peibst: Berlin-Brandenburgische Fayencen des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin (Ost): Märkisches Museum 1979. 97 S. m. z.T. fbg. Abb., brosch., 8 M. Die Fayencesammlung des Märkischen Museums umfaßt rund 500 Stücke aus Berlin-Brandenburgischen Manufakturen. 90 Prozent davon stammen aus dem Besitz des Potsdamer Kunsthistorikers Dr. Paul Heiland, dessen Versuche, ein deutsches Fayenceforschungszentrum und-museum zu gründen, in den 20er Jahren fehlschlugen. Er hat seine Sammlung dann auf Museen in den Herkunftsgebieten der Fayencen aufgeteilt, so auf München, Potsdam, Berlin, Nürnberg, Dresden, Bunzlau, Würzburg, Frankfurt am Main, Bayreuth, Zerbst, Uffenheim, Ellwangen, Stuttgart und Erfurt. Für die dem Märkischen Museum aus sieben Manufakturen überlassenen Fayencen zahlte ihm dieses jährlich eine Rente von 15 000 RM. Eine Auswahl von 155 Gegenständen wurde unter dem Thema „Berlin-Brandenburgische Fayencen des 17. und 18. Jahrhunderts" in einer Ausstellung des Museums gezeigt. Diese gab einen Überblick über die Entwicklung der Fayence in der Mark Brandenburg und über den Beginn der Herstellung von Steingut in der Rheinsberger Manufaktur. Der Große Kurfürst errichtete 1678, also ein Jahrhundert vor der Gründung der ersten Porzellanmanufaktur durch Wegely, eine eigene Manufaktur für das sogenannte „Delfter Porzellan", die Fayence nach holländischem Vorbild. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts verdrängte das nach englischem Vorbild hergestellte billigere Steingut die Fayence; einige Manufakturen stellten darum ihre Produktion auf das neue Material um. 155 Stücke aus der Fayencesammlung werden in dem vorliegenden Band beschrieben und 32 von ihnen ganzseitig abgebildet, zum Teil farbig. Vorangestellt ist die Geschichte der einzelnen Manufakturen bis zu deren Erlöschen. Es handelt sich im einzelnen um die Manufakturen Pieter Fransen van der Lee, Gerhard Molin, Gerhard Wolbeer und Erben (1678 bis um 1764, erster Standort vor dem Spandauer Tor), Cornelius Funcke und Erben (1699 bis 1747, in der Straße „Neucölln am Wasser"), Johann Gottlieb Menicus (1747 bis 1767, gleichfalls „Neucölln am Wasser"), Carl Friedrich Lüdecke und Erben (1756 bis 1866 in der Baumgasse vor dem Königstor), Johann Carl Heinrich (nach 1763 bis 1795, in der Dammvorstadt in Frankfurt/Oder), Christian Friedrich Rewendt und Erben (1756 bis 1866, in der Nauener Straße 7 in Potsdam) sowie Constantin Sartori (1775 bis um 1796). Es mag noch interessieren, daß 1978 eine aus der Manufaktur Gerhard Wolbeer stammende Fayence dem Berlin Museum von dessen Verein der Freunde und Förderer als Dauerleihgabe übergeben worden ist. H. G. Schultze-Berndt Von Moskau nach Berlin. Der Krieg im Osten 1941—45, gesehen von russischen Fotografen. München: Stalling 1979. 152 S. m. 125 Fotos, geb., 36,80 DM. Dieser Bildband wurde bereits 1975 von zwei Tschechen herausgegeben, von dem englischen Historiker A. J. P. Taylor kommentiert und mit einem Vorwort von Heinrich Böll versehen, der u. a. die Inschrift auf dem Mahnmal für die Opfer der Belagerung Stalingrads zitiert. „Wisse ein jeder niemand ist vergessen und nichts ist vergessen." Gerade diese - von anderer Seite schon so oft geschriebene - Geschichte in Bildern zu betrachten, mag hin und wider etwas schwierig erscheinen, ist doch häufig schon in Vergessenheit geraten, daß die Sowjetunion zwanzig Millionen Tote beklagt in einem Krieg, der von Deutschland zu verantworten ist. Problematisch bleibt dieses Thema auch deshalb, weil die Themen „Vertreibung" und „Befreites Polen" mit hineinspielen; Böll deutet es in seinem Vorwort an. Es sind sehr eindrucksvolle, aber zugleich grauenhafte Bilder, welche die Deutschen - und den Krieg! - anklagen, die das Elend jedes Frontsoldaten und der Zivilbevölkerung gleichermaßen zeigen. Hier wünscht man sich, daß diese Bilder und auch das „Nichts ist vergessen" allen Völkern und ihren Regierungen allgegenwärtig bleiben. Irmtraul Köhler Will McBride: Knips! Berliner Bilder aus den 50er Jahren. Berlin: Rembrandt 1979. 72 S. m. 60 Abb. Ln., 29,80 DM. Mit diesem Buch stattet der inzwischen weltberühmte amerikanische Fotograf Will McBride seinen Freunden einen Dank ab. Seine nun schon ein Vierteljahrhundert alten Aufnahmen spiegeln die Begeisterung der 50er Jahre wieder, als in Berlin im Gegensatz zu anderen Orten jeder zunächst einmal die ganze Stadt und dann erst sich selbst verteidigte. Vielleicht sind die den Bildern beige- 153 gebenen Unterschriften für einen Amerikaner etwas zu pathetisch („das Tack-tack-Geräusch des Meißels im zarten, weißen Marmor erregt mich"), wie sie wohl auch für die Zeit, für die Stadt und für die „Knips'-Bilder zu viel Poesie ausströmen mögen. Nachdem die Welle der Bildbände „vor hundert Jahren" hoch aufgebrandet ist und wir auch eine stattliche Anzahl von Büchern über die Zeit vor fünfzig Jahren zu registrieren hatten, stehen jetzt die 50er Jahre nicht nur in Mode und Zeitgeschmack im Vordergrund, sondern auch auf dem Büchermarkt. Hierfür ist der vorliegende Band ein gutes Beispiel im doppelten Sinn. Der nachstehende Satz mag beim Übertragen etwas verunglückt sein: „Während des Kalten Krieges lebten wir in Berlin etwas schizophren, weil wir von Rußland umzingelt waren, und unterstützten Ostdeutschland (D.D.R.)," H. G. Schultze-Berndt Michael Schmidt: Berlin, Stadtlandschaft und Menschen. Einführung: Heinz Ohff. Berlin: Stapp 1978. 92 S. m. 62 Abb., geb., 28 DM. Die Zeiten, als man noch zwischen Landschaft und Stadtschaft zu unterscheiden wußte, sind vorüber, sonst wäre es nicht möglich, daß hier der „Stadtlandschaft" und den Menschen gesonderte Bildteile gewidmet würden. Heinz Ohff wertet die Fotografien auf, wenn er Michael Schmidt „als eine Art von Merian" bezeichnet, der sich in erster Linie als Dokumentarist bezeichnet und dessen Handschrift in der von ihm betroffenen Auswahl aus der Stadtlandschaft liegt. Schmidt bevorzugt die Schwarzweißfotografie, wobei die Grautöne überwiegen. So kann als das einzige Motiv Michael Schmidts „Berlin strukturell" gelten oder, wie Heinz Ohff es nennt, das nackte Berlin, Berlin als Aktbild oder gar als Skelett. Bei den Menschen wird auf den demokratischen Charakter gewisser unverkennbarer Nivellierungserscheinungen hingewiesen und der „Einbezug nach anfänglichem Widerstand", der die Hugenotten nach zwei oder drei Generationen in Berlin heimisch werden ließ, mit den ausländischen Gastarbeitern, besonders den Türken, für möglich gehalten. Diese sind dann auch im Bildteil hinreichend repräsentiert, der die Menschen berlinischer zeigt als die Landschaft. Wenn dies als Dokumentation heutiger Zeitverhältnisse und Gegebenheiten angesehen wird, so doch vielleicht mit der Einschränkung: Auch das ist Berlin. H. G. Schultze-Berndt Franz Burchard Dörbeck. Hrsg.: Hans Ludwig. Berlin: Stapp 1979. 114 S. m. Abb., Ln., 19,80 DM. Der Blick zurück auf Franz Burchard Dörbeck (1799—1835) ist ein wenig von Theodor Hosemann verstellt, der ihm als Illustrator der Heftreihe Adolf Glaßbrenners „Berlin, wie es ist - und trinkt" folgte. Es ist erstaunlich, wie sich der in Estland geborene und in St. Petersburg ausgebildete Künstler nach seiner Übersiedlung nach Berlin als 24jähriger in Geist und Erscheinung dieser Hauptstadt einfühlte. In dem vorliegenden Band sind die frühen Zeichnungen Dörbecks zum ersten Mal zusammengefaßt worden. Zu seiner Zeit waren Dörbecks Figuren zwar so populär wie einige Jahre später diejenigen von Hosemann, doch blieb der Zeichner fast so anonym wie die Schöpfer der Neuruppiner Bilderbogen. Anerkennung blieb ihm zeitlebens versagt, und die offizielle Kritik beachtete ihn kaum. Eine Ausnahme bildet der Historiker Franz Kugler, aus dessen Feder die Lebensgeschichte Friedrichs des Großen stammt. Zum Tode Dörbecks 1835 hieß es u.a.: „Die Dörbeckschen Blätter sind ein meisterhaft geschriebenes Kapitel in der Stadtgeschichte Berlins; sie werden unseren Nachkommen von unschätzbarem Werte sein." Von den rund 200 Blättern, die von Dörbeck erhalten geblieben sind, hat etwa die Hälfte in diesem Buch Aufnahme gefunden, dem Hans Ludwig, mit einer Reihe von Büchern über Alt-Berlin, seine Künstler und Typen rühmlich hervorgetreten, ein einfühlsames Nachwort mit auf den Weg gegeben hat. Der Bemerkung, der Name Franz Burchard Dörbeck komme aus dem Deutschen, und im 19. Jahrhundert wurde in den baltischen Provinzen neben Russisch auch Deutsch gesprochen, wäre wohl ergänzend anzufügen, daß bis zum Hitler-Stalin-Pakt im Baltikum das Deutsche neben den Landessprachen Estnisch, Lettisch und Litauisch die Lingua franca war. H. G. Schultze-Berndt Robert Liese: Urlaub in Berlin. Texte in Berliner Mundart mit Zeichnungen von Richard Gohlke. Darmstadt: J. G. Bläschke Verlag 1976. 80 S., 9,80 DM. Robert Liese hat, mit Zeichnungen von Richard Gohlke, bereits mehrere Bücher veröffentlicht, von denen die „Berlinische Poesie" und „Willkommen! Aus Berlin?" (humorvolle Texte in Berliner Mundartl eleichfalls unsere Stadt zum Gegenstand haben. Der vorliegende Gedichtband läßt einen 154 Mann statt in fernen Gegenden in Berlin seinen Urlaub machen und von der Buckower Kirche bis zum Todesstreifen allerlei Abenteuer erleben und Erfahrungen sammeln, die auf jeweils einer Druckseite mit einem zugehörigen Bild wiedergegeben werden. Die Lyrik und Grafik sind dem Gegenstand angemessen, und für eine abermalige Variante, die Berliner Mundart in Schriftform wiederzugeben, mag das folgende Beispiel herhalten, „Kleistpark" überschrieben: Könichskolonaden,/Assoziation:/ Marschmusik, Paraden,/Jarde-Jarnison./Keene rechte Freude,/ab'n härtet Muß./Fahnen am Jebäude,/strenga Habitus./Hauch von Schuid und Sühne/fühlste uffgeschreckt./Selbst im Park det Jrüne/ atmet hier Respekt. H. G. Schultze-Berndt Ane: Berlin ssnni Piep'n. Karikaturen. Berlin: Stapp 1979. 64 S. m. z. T. fbg. Abb., Pappbd., 9,80 DM. Mit dem Zeichenstift legt Ane, stadtbekannter Berliner Karikaturist, einen Gang durch das Jahr 1978/79 zurück. So ist ein für diesen Zeitabschnitt typisches Geschöpf entstanden, was sich aus den Stichworten Fußball-Weltmeisterschaft, Jahr des Kindes, Jahrhundertwinter, Kopfläuse, ICC, Laubsäcke, „Grüne" und Bockbierfest ergibt. Angefügt sind eigentlich etwas unvermittelt zwei Betrachtungen, die Ane über Sylt und über Roma aeterna anstellt. Diese Glossen sind ihm so gut geraten, daß man sich fragt, warum er eigentlich nicht nur schreibt. Daß der Springbrunnen auf der Piazza Navona vier Füssen gewidmet ist, scheint weniger wahrscheinlich als daß es sich um vier Flüsse handelt. Der Zufall wollte es, daß dem Rezensenten gleichzeitig ein vergleichbares, zeitgebundenes Buch aus dem Jahre 1947 in die Hand fiel: „Berlin ohne Worte" von Horst von Möllendorff mit einem Vorwort von Aribert Wäscher. Da dachte man doch, daß nicht nur mehr als drei Jahrzehnte zwischen diesen beiden Veröffentlichungen liegen. H. G. Schultze-Berndt * Im Jahre 1980 werden die Tagesausflüge zu lohnenden Zielen in die DDR wieder aufgenommen. Einzelheiten wollen Sie bitte den nächsten Heften der „Mitteilungen" entnehmen. Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 7 1 - 7 4 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. * Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten. Im IV. Vierteljahr 1979 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Dr. med. Klaus Brandes, Facharzt Lerchenweg 17, 2121 Vögelsen Tel.(0 4 1 3 1 ) 6 2100 (Ruth Koepke) Kurt Hohnhäuser, Rechtsanwalt Westfälische Straße 82, 1000 Berlin 31 Tel. 87 36 68 (H. Grigers) Heribert Kremers, Kaufmann Wilhelmsruher Damm 97, 1000 Berlin 26 Tel. 4 15 58 58 (H. Grigers) Bernhard Linke, Student phil. Altonaer Straße 9, 1000 Berlin 21 Tel. 3 91 32 60 (Günther Linke) Volker Spieß, Verlagskaufmann Großgörschenstraße 6,1000 Berlin 62 Tel. 7 81 35 14 (Schriftführer) Helmut Will, Rentner Elberfeider Straße 14, 1000 Berlin 21 Tel. 3 91 24 67 (Brauer) Ruth Lüer Warmbrunner Straße 37, 1000 Berlin 33 Tel. 8 23 81 06 (1. Köhler) Hans-Jörg Bonz, Beamter Bolivarallee 17A, 1000 Berlin 19 Tel. 8 65 23 75 (Bibliothek) 155 Veranstaltungen im I. Quartal 1980 1. Dienstag, den 15. Januar 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Professor Dr. Werner Stein: „Einstein - Hahn - von Laue - Meitner, Zeugen für ein Jahrhundert Wissenschaft". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonnabend, den 26. Januar 1980, 10.30 Uhr: Anläßlich des 115. Jahrestages der Gründung des Vereins „Winterspaziergang durch den Park des Prinzen Carl am Schloß Klein-Glienicke" unter der Leitung von Herrn Michael Seiler. Anschließend Beisammensein im Schloß-Restaurant. Treffpunkt am Johanniter-Tor. Fahrverbindungen: Busse 18, 48 umsteigen in Bus 6; S-Bahn: Wannsee, dann Bus 6. 3. Donnerstag, den 7. Februar 1980, 16.30 Uhr: Besuch der Ausstellung „Von der kurfürstlichen zur königlichen Residenz - Berlin um 1700" im Landesarchiv, Kalckreuthstraße 1 (Ecke Kleiststraße). Führung: Herr Dr. Jürgen Wetzel. 4. Sonnabend, den 16. Februar 1980, 11.00 Uhr: Anläßlich des Geburtstages des Großen Kurfürsten Besuch der hiesigen Französischen Kirche (Hugenottenkirche) in Haiensee, Joachim-Friedrich-Straße 4. Referentin: Frau Pfarrerin Horsta Krum. Fahrverbindungen: Busse 4, 10, 19, 21, 29, 69. 5. Dienstag, den 26. Februar 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Professor Dr. Wolfgang Ribbe: „Charlottenburg als Residenz in Brandenburg-Preußen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Dienstag, den 4. März 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr. Helmut Engel: „Zur historischen Entwicklung des Tiergartens". Bürgersaal des des Rathauses Charlottenburg. 7. Dienstag, den 18. März 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Wolfgang Neugebauer: „Die Entwicklung des Schulwesens in der Residenzstadt Charlottenburg im 18. und 19. Jahrhundert". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 8. Dienstag, den 25. März 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Felix Escher: „Die Westausdehnung Charlottenburgs von 1900 bis 1945". Bürgersaa) des Rathauses Charlotten bürg. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank, Kaiserdamm 95, 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 156 Ratsbibliotfaefc Fadiabt, der Berliner Stadtbibliothek A 1015 F X MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 76. Jahrgang Heft 2 April 1980 ~P U 157 \ / Otto Hintze (1861 -1940) / v o n Michael Erbe / „Diejenigen, die das Werk Otto Hintzes kennen, betrachten ihn einhellig als einen der wichtigsten, wenn nicht überhaupt als den bedeutendsten deutschen Historiker in der Zeit Wilhelms II. und der Weimarer Republik. Doch die Zahl derer, denen seine Schriften bekannt sind, ist gering, und sein Einfluß auf die Geschichtswissenschaft ist, so tief und entscheidend er sich in einzelnen Fällen ausgewirkt hat, begrenzt geblieben." Mit diesen Worten beginnt einer von Hintzes Schülern, den die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nach 1933 in die Emigration zwang, seine Einleitung zu einer Auswahl von HintzeAufsätzen in englischer Sprache, die vor fünf Jahren veröffentlicht wurde 1 . Der 25. April dieses Jahres ist nun der 40. Todestag dieses Berliner Historikers. Zwar erinnert sich an seinen Namen außerhalb der Fachwelt kaum noch jemand, aber gerade in den letzten anderthalb Jahrzehnten ist er von einem Teil der jüngeren Historikergeneration gewissermaßen wiederentdeckt worden. Zumindest am Vorabend der Preußenausstellung tut man in unserer Stadt gut daran, dieses Gelehrten zu gedenken, ohne den unsere Kenntnisse über Preußen wesentlich geringer wären2. Wie viele bedeutende Gelehrte Berlins ist Hintze nicht hier zur Welt gekommen 3 . Am 27. August 1861 wurde er in Pyritz (Regierungsbezirk Stettin) als Sohn eines dort tätigen mittleren Beamten geboren. Bis 1878 besuchte er das Pyritzer Gymnasium, studierte dann bis 1880 zunächst in Greifswald und danach in Berlin Geschichte, Germanistik und Philosophie. Von seinen Lehrern haben vor allem Johann Gustav Droysen und Wilhelm Dilthey nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt. 1884 promovierte er über „Das Königtum Wilhelms von Holland" bei dem Mediävisten Julius von Weizsäcker. Für seine weitere Laufbahn ist dann die Begegnung mit dem Nationalökonomen und Historiker Gustav Schmoller (1838 — 1917), der seit 1882 in Berlin lehrte, entscheidend geworden. Schmoller rief 1887 mit Hilfe der Berliner Akademie der Wissenschaften das Publikationsunternehmen „Acta Borussica" („Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert") ins Leben und übertrug Hintze die Bearbeitung der preußischen Seidenindustrie. Bis 1892 legte der junge Historiker zwei Aktenbände und einen Darstellungsband zu diesem Gegenstand vor, um sich dann auf Schmollers Anregung hin der Behördenorganisation seit 1740 zuzuwenden. Bleibende Frucht seiner Arbeit an diesem Stoff war seine umfangreiche Einleitung zu den insgesamt fünf von ihm bearbeiteten Aktenbänden, in der er den Zustand des preußischen Behördenwesens beim Regierungsantritt Friedrichs des Großen darstellte4. Hintze verfolgt hier die preußische Verwaltung von der zentralen Gewalt bis hinein in die kleinsten Verästelungen der unteren Behörden, wobei der Wirtschaftspolitik - der Natur eines „merkantilsitischen" Staatswesens entsprechend - breiter Raum gewidmet wird. Die Arbeit an den „Acta Borussica", die er nach Schmollers Tod als Leiter des Unternehmens weiter koordinierte, ließ ihn im Lauf der Jahre zum besten Kenner der älteren preußischen Geschichte werden. Hiervon zeugen seine zahlreichen Aufsätze zu Problemen der Entwicklung dieses Staates ebenso wie sein 1915 im Auftrag des Kaisers vorgelegtes Buch „Die HohenzoUern und ihr Werk" 5 . Diese heute noch als Gesamtdarstellung unübertroffene, kürzlich deshalb nachgedruckte Geschichte Preußens entstand anläßlich des fünf hundertjährigen Jubiläums des Herrschaftsantritts der HohenzoUern in der Markgrafschaft Brandenburg. Sie enthält 158 deswegen einen längeren einleitenden Teil über das Haus Hohenzollern vor 1415, behandelt dann die Geschichte der Mark Brandenburg vor ihrer Zeit und bezieht anschließend mit den territorialen Erwerbungen der neuen Dynastie immer größere Räume ein, bis sie seit dem 17. Jahrhundert in eine „preußische" und ab 1871 in eine „deutsche" Geschichte einmündet und mit den Ereignissen der ersten Weltkriegsjähre endet. Die Stärken des Buches liegen zweifellos in der Behandlung der Zeit vor 1806, und diese füllt etwa zwei Drittel des Umfangs. Danach - und vor allem je näher sie der Gegenwart des Verfassers rückt - wird die Darstellung sehr zeitbedingt und wirkt für den heutigen Leser allzu einseitig von der HohenzoUernverehrung durchtränkt, die um 1900 einem großen Teil der deutschen Historiker eigen war, sofern sie ein von den gesellschaftlichen Problemen ihrer Zeit ungetrübtes Weltbild in sich trugen. Hintze hat seine monarchische und im Programm der Nationalliberalen angesiedelte politische Einstellung denn auch nie verleugnet, obwohl er in die schrillen Töne der Annexionslüstigen während des 1. Weltkriegs nicht mit einstimmte. Diese - aus heutiger Sicht durchaus rückschrittliche - politische Einstellung paart sich bei Hintze freilich mit einer Aufgeschlossenheit in der Anwendung neuer, noch jetzt als „modern" geltender Methoden bei der wissenschaftlichen Arbeit, die immer noch erstaunlich anmutet und zeigt, wie wenig das bequeme und auch unter Intellektuellen weit verbreitete Schubladendenken, das einen Politiker oder Wissenschaftler scheinbar problemlos „links" oder „rechts" einordnet, als „progressiv" oder „reaktionär" ein159 stuft, in den meisten Fällen einem Menschen in all seiner komplexen Natur gerecht zu werden vermag. Hintze mußte bei seiner Beschäftigung mit der preußischen Verwaltung des 18. Jahrhunderts tief in die Wirtschaftsgeschichte eindringen, um sich einem Staatswesen mit dem gebührenden historischen Verständnis nähern zu können, das notgedrungen nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges und der Depression in den Jahrzehnten danach wirschaftlich unternehmend tätig werden mußte, um bestehen bleiben zu können. Hierzu war die Aneigung und Weiterentwicklung des wirtschaftshistorischen Instrumentariums erforderlich. Daß Hintze dabei erfolgreich war, hat er 1894 auf einem anderen Feld bewiesen, nämlich in einem längeren Aufsatz über „Die Schweizer Stickereiindustrie und ihre Organisation 6 ". Hierin analysierte er beispielhaft die Wechselwirkungen zwischen den Interessen der verschiedenen Wirtschaftsträger und den sozialpolitischen Zielsetzungen des Staates, wobei er als Anhänger des damaligen „Kathedersozialismus" gerade darauf sein Augenmerk richtete. Es ist dabei bezeichnend, daß Hintze Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte nicht als Selbstzweck betrieb, sondern in den Bereichen von Administration und Ökonomie stets den Menschen als aktiv oder passiv Beteiligten sah (freilich dabei stets an der Möglichkeit festhielt, soziale Probleme von „oben" zu regeln). So gelangte er zur Sozialgeschichte, ja er gilt bis heute als unbestrittener Meister einer Verbindung zwischen Verwaltungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Diese Verbindung war um 1900 in der deutschen Historikerzunft ebenso ungewöhnlich wie eine verständnisvolle Bereitschaft, sich mit der damals als Wissenschaftsdisziplin institutionalisierenden Soziologie auseinanderzusetzen. Hintze war einer der ersten deutschen Historiker, die das Werk Max Webers vorurteilsfrei rezipierten. Dabei galt die Soziologie in der deutschen Geschichtswissenschaft keineswegs als hoffähig. Für den Rankeschüler Alfred Dove etwa war sie wegen ihres von Fremdwörtern durchsetzten Begriffsapparats nichts als ein „Wortmaskenverleihinstitut 7 ". Und Sozialgeschichte, zumal wenn sie bestimmte typische Verläufe in der Geschichte nicht von vornherein in Abrede stellte, galt den meisten als marxistisch und damit geradezu als vaterlandsverräterisch. Hintze, der konservativ-borussisch dachte, war freilich über solche plumpen Unterstellungen erhaben, und er konnte es sich leisten, in den Streit um die Methoden des Leipziger Historikers Karl Lamprecht mäßigend einzugreifen, ohne seine Reputation zu verlieren. Dieser „Lamprecht-Streit" entbrannte in den neunziger Jahren um das damals erscheinende Hauptwerk des Gelehrten, die „Deutsche Geschichte", deren Ziel es u.a. war, „die gegenseitige Befruchtung materieller und geistiger Entwicklungsmächte innerhalb der deutschen Geschichte klarzulegen sowie für die Gesamtentfaltung der materiellen wie geistigen Kultur einheitliche Grundlagen und Fortschrittsstufen nachzuweisen8". Hintzes 1897, auf der Höhe der Auseinandersetzungen um die Methode Lamprechts, bei denen sich fast alle Beteiligten durch Schläge unter der Gürtellinie hervortaten, veröffentlichter Aufsatz „Über individualistische und kollektivistische Geschichtsauffassung" 9 zeigt, daß er einer der wenigen damaligen deutschen Historiker war, die das Grundanliegen beider Seiten begriffen und sachlich zu werten verstanden. Unnötig zu sagen, daß sein vermittelndes Wort nahezu ungehört verhallte. Hintze war damit lange, ehe er zum preußischen Hofhistoriographen ernannt wurde und den Auftrag erhielt, die schon erwähnte Jubiläumsschrift zu verfassen, über die „preußische Schule" der Geschichtswissenschaft hinausgewachsen. Dies war sowohl hinsichtlich seiner Methode der Fall, betrieb er doch keine politische Ereignisgeschichte wie 160 noch Sybel oder Treitschke, als auch von seinen Forschungsschwerpunkten her. Denn die Beschäftigung mit Preußen diente einem weiterreichenden Anliegen. Hintze ging es um eine vergleichende Sicht der Entstehung des modernen Staatswesens, und der brandenburgisch-preußische Staat war für ihn nur ein typisches Beispiel, gewissermaßen der Modellfall eines Verwaltungssystems in seiner Entwicklung von der rudimentären Form des Mittelalters bis hin zur strikten Ressorttrennung und sachlich durchorganisierten Verwaltung im 19. Jahrhundert. Ein gutes Beispiel dafür, wie er diese Art vergleichender Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte betrieb, ist sein 1908 publizierter Aufsatz über „Die Entstehung der modernen Ressortministerien", als deren Wurzel er sowohl mittelalterliche Hofämter wie die frühneuzeitlichen Sekretäre der Landesherren aufzeigt, die anfangs noch sämtliche Angelegenheiten bestimmter Regionen eines Territoriums zu bearbeiten hatten 10 . Ebenso aber waren die Träger dieses sich im Lauf der Jahrhunderte wandelnden Verwaltungssystems, die Beamten, Gegenstand seiner Untersuchungen 11 . Sie mündeten schließlich in eine nach dem Ersten Weltkrieg verfaßte „Allgemeine vergleichende Verfassungsgeschichte der Neuzzeit" ein, die freilich wegen Querelen mit dem dafür vorgesehenen Verlag nicht publiziert wurde und deren Manuskript während des Zweiten Weltkriegs verlorenging. Hintze ist indes hierbei nicht stehengeblieben, sondern stieß im Zusammenhang mit diesen Studien zu Überlegungen über welthistorische Probleme vor, deren Ergebnisse noch heute bedeutsam sind und innerhalb der Geschichtswissenschaft erörtert werden. Sie wurden vor allem in zwei Aufsätzen vorgetragen: „Wesen und Verbreitung des Feudalismus" (1929) und „Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentatiwerfassung" (1931) 12 . In dem inzwischen klassischen ersten Aufsatz hat Hintze zunächst versucht, die Verwirrung um den Begriff Feudalismus zu beenden. Dieser ist nur dort anwendbar, wo die drei Elemente einer ritterartigen Kriegerkaste, deren Grundherrschaft über bäuerliche Hintersassen und die Aneignung hoheitlicher Rechte durch diesen Adel zusammentreffen, ferner eine Gesellschaft sich die imperialen Ideen einer anderen Kultur zu eigen macht und sich plötzlich ausdehnt, ohne über ein dafür erforderliches Verwaltungssystem zu verfügen. Dies alles trifft aber nur auf die Nachfolgestaaten des Karolingerreiches und Japan voll zu, partiell freilich auch auf die islamische Welt und Rußland. Der zweite Aufsatz legt die Ursachen dafür bloß, warum sich das Repräsentativsystem, das auf dem Ständestaat beruht, nur im abendländischen Europa (und Amerika) durchsetzen konnte. Hier hat die weitgehend selbständige Kirche die weltlichen Gewalten durch ihre Rechtsethik geprägt, und der ständige Konkurrenzkampf innerhalb des europäischen Staatensystems führte dazu, daß die Obrigkeiten die maßgebenden gesellschaftlichen Gruppen zur politischen Mitbeteiligung und Mitbestimmung heranziehen mußten. Angesichts der Schwierigkeiten, die uns im atlantischen Bereich geläufigen Staatsformen auf die Dritte Welt zu übertragen, gewinnen derartige Gedankengänge wieder an Aktualität. Das gleiche gilt für Hintzes andere bedeutende Arbeiten vor 1933 über den modernen Kapitalismus und über die Herausbildung des modernen (europäischen) Staatswesens überhaupt. Mit diesen Arbeiten eilte er z. T. seiner Zeit weit voraus, und auch in den modernen Sozialwissenschaften sind sie noch längst nicht überholt. Dennoch ist Hintzes akademische Karriere nicht so glänzend verlaufen, wie sie bei einem Gelehrten dieses Ranges zu erwarten gewesen wäre. Neben seinem stolz-zurückhaltenden Wesen, das sich nur wenigen Geduldigen in seiner Tiefe offenbarte und das wenig publikumswirksam war, trugen daran auch persönliche Schicksalsschläge die Schuld. 161 Nachdem Hintze sich 1895 an der Berliner Universität habilitiert hatte, wurde er 1899 dort Außerordentlicher Professor für „Verfassungs-, Verwaltungs-, Wirtschaftsgeschichte und Politik". Diese von ihrem Lehrauftrag ganz auf seine Person zugeschnittene Professur wurde 1902 in ein persönliches Ordinariat umgewandelt. 1914 wurde Hintze zudem wegen seiner Preußenforschungen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Rufe an andere Universitäten hat er nicht erhalten, und so blieb er mit der preußischdeutschen Hauptstadt, in deren Wirtschaftsbetrieb er wurzelte, für die Dauer seines Lebens verbunden. Hierbei spielte es eine entscheidende Rolle, daß er um 1910 infolge einer seit der Jugendzeit bestehenden Herzschwäche eine schwere gesundheitliche Krise durchstehen mußte, von der er sich nie wieder zu voller Arbeitskraft emporschwingen konnte. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs trat dieses Herzleiden erneut auf, und eine hartnäckige Augenkrankheit kam hinzu, so daß er sich 1920 von allen Lehrverpflichtungen dispensieren lassen mußte. Er hat freilich noch weiterhin Doktoranden betreut. Dennoch war es ihm versagt, gerade in dem Augenblick durch Lehrveranstaltungen bedeutenderen Einfluß auf die jüngere Wissenschaftlergeneration auszuüben, als er aus seiner Forschungsarbeit jene bedeutenden Ansätze zu welthistorischen Synthesen entwickelte, die die Beschäftigung mit seinen Aufsätzen heute noch so reizvoll machen. Lediglich seine Wohnung, in der besonders Geladene des öfteren zusammenkamen, war eine Stätte anregender geistiger Auseinandersetzungen, an die sich Gleichaltrige wie jüngere Kollegen noch später gerne erinnerten. An dieser häuslichen Atmosphäre hatte Hintzes Frau einen bedeutenden Anteil. In den meisten Lebensabrissen über ihn tritt sie unberechtigterweise fast ganz zurück, obwohl sie selbst eine Historikerin von Rang gewesen ist. Hedwig Hintze 13 war dreiundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann, den sie in einem seiner Seminare kennengelernt hatte. Sie stammte aus der Münchner Bankiersfamilie Guggenheimer und gehörte zu den wenigen jungen Frauen, die - gestützt freilich auf den finanziellen Rückhalt ihres Elternhauses - sich vor dem Ersten Weltkrieg eine höhere Schulbildung aneignen und ein Universitätsstudium beginnen konnten. Seit 1910 studierte sie in Berlin, im Dezember 1912 heiratete sie Otto Hintze. Man kann sich denken, daß diese Ehe mit einer Frau jüdischer Herkunft, die noch dazu nach der Heirat die eigene akademische Laufbahn keineswegs aufzugeben gedachte, im Geheimratsmilieu der Friedrich-Wilhelms-Universität auf zwiespältige Reaktionen stieß. Ein Nachklang davon ist eine Stelle in den Lebenserinnerungen von Hintzes Freund Friedrich Meinecke, der 1914 nach Berlin berufen wurde und u.a. über die Zeit damals - nicht ohne einen Anflug von Stirnrunzeln - schreibt: „Er [Hintze] hatte . . . 1912, als Fünfziger, endlich geheiratet, und zwar eine seiner Schülerinnen, die sich in seine wissenschaftliche Eigenart ganz eingelebt hatte und bald auch selbständigen wissenschaftlichen Ehrgeiz entwickeln sollte. Eine Ehe eigener Art, wie sie wohl nur im modernen Gelehrtenleben möglich wird und von Hintze nun mit ritterlicher Würde durchgeführt wurde. Die Ehe blieb kinderlos, und die elegante Wohnung am Kurfürstendamm [in dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Haus Nr. 44] beherbergte zwei Arbeitszimmer, in denen harmonisch nebeneinander gearbeitet wurde." 14 Hedwig Hintzes Pflege war es, wie Meinecke berichtet, hauptsächlich zu danken, daß sich die angegriffene Gesundheit ihres Mannes zunächst wieder stabilisierte. Was dieser darüber hinaus dem Gedankenaustausch mit seiner Frau, einer hervorragenden Kennerin der französischen Geschichte, verdankt, die 1924 promovierte und sich 1928 mit einem noch heute grundlegenden Werk über „Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich 162 und in der Revolution" 15 habilitierte, läßt sich nur ahnen. Einen Hinweis gibt Hintzes Rezension von 1927 über die von der Witwe Max Webers verfaßte Biographie ihres Mannes 16 . Die Anteilnahme, mit welcher diese Frau den gleichfalls um die Mitte seines Lebens von einer schweren gesundheitlichen Krise betroffenen Gelehrten sich wiederaufrichten half, wird hier so eindringlich hervorgehoben, daß man sich unwillkürlich an die Anfänge von Hintzes Ehe selbst erinnert fühlt. Freilich deutet manches auf eine später eingetretene Entfremdung hin, bei der nicht nur die politisch entgegengesetzten Auffassungen beider eine Rolle spielten - Hedwig Hintze war im Gegensatz zu ihrem konservativ denkenden Mann linksliberal eingestellt und dem Sozialismus gegenüber recht aufgeschlossen —, sondern auch das Auseinanderleben durch die nach 1933 notwendigen längeren Auslandsaufenthalte der aufgrund des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von ihren Lehrverpflichtungen an der Berliner Universität entbundenen Privatdozentin. Hintze hat seiner Frau, so gut er es vermochte, die Stange gehalten, wie es seiner Charakterfestigkeit, aber auch seiner grundsätzlich ablehnenden Haltung Hitler und seinem Herrschaftssystem gegenüber entsprach16. Daß sie auf Veranlassung der Herausgeber der Historischen Zeitschrift, Friedrich Meinecke und Albert Brackmann, kurz nach der „Machtergreifung" ihre ständige Mitarbeit (sie betreute den Rezensionsteil zur Geschichte der Französischen Revolution) an diesem wichtigsten Fachorgan der deutschen Historikerzunft einstellen mußte, weil man befürchtete Einmischungen von oben so vermeiden wollte, führte zu einer nachhaltigen Verstimmung zwischen Hintze und Meinecke. Als Hintze 1938 einen Fragebogen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin über „Rassenzugehörigkeit" ausfüllen sollte, beantwortete er die Frage, ob er „jüdisch versippt" sei, mit „Ja" und kündigte gleichzeitig seine Mitgliedschaft auf. Kurz darauf emigrierte seine Frau in die Niederlande. Dort erhielt sie 1940 die Nachricht vom Tod ihres Mannes. Die kurze Zeit später erfolgende deutsche Invasion der Benelux-Länder hinderte sie an der Abreise nach den USA, wohin sie einen Ruf auf eine Professur erhalten hatte. Um dem Schicksal der Deportation und der Vernichtung zu entgehen, das bald fast alle in den Niederlanden ansässigen Juden traf, nahm sie sich — vermutlich 1943 — das Leben. Ebenso wie ihr wissenschaftliches Werk ist auch das Otto Hintzes ein Torso geblieben. Nur seine Preußenforschungen haben in der erwähnten Jubiläumsschrift eine Synthese gefunden. Leider ist - offensichtlich bis auf ein Kapitel über Polen17 - sein Werk zur „Allgemeinen vergleichenden Verfassungsgeschichte" verloren. Freilich kann man sich aufgrund der vielen einzelnen Aufsätze in etwa vorstellen, wie es ausgesehen hat. Daß dieses zusammenfassende Buch nie erschienen ist, mag indes mit ein Grund für seine Anziehungskraft auf viele jüngere Historiker sein, natürlich neben seiner Aufgeschlossenheit für sozialwissenschaftliche Methoden, denen gegenüber ein großer Teil der deutschen Geschichtswissenschaft sich noch immer recht spröde verhält. Fertige Werke scheinen rascher zu altern als Skizzen und Einzelstudien, denen notwendig etwas Unvollendetes anhaftet und die daher eher zur Weiterführung reizen18. Denn das Werk Hintzes weiterzuführen, bleibt die Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Michael Erbe, Ringstraße 23,1000 Berlin 28 1 Felix Gilbert (Hrsg.), The Historical Essays of Otto Hintze, New York - Oxford 1975, S. 3-30, 163 (Weiter Anmerkung 1) wiederabgedruckt in Gilberts Aufsatzsammlung „History. Choice and Commitment", Cambridge/ Mass. -London 1977, S. 3 9 - 6 5 ; vgl. dort auf S. 39. 2 Vom 24. bis 26. April 1980 veranstalten daher das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin und die Historische Kommission zu Berlin ein „Hintze-Gedenk-Symposion". 3 Eine Biographie H.s, die der 1978 verstorbene beste Kenner seines Werkes, Gerhard Oestreich plante, gibt es bisher nicht. Vgl. aber seinen Artikel in der NDB 9 (1972), S. 1 9 4 - 1 9 6 . Weitere Überblicke bieten neben Gilbert (Anm. 1) Fritz Härtung, O. H.s Lebenswerk, in: O. H , Staat und Verfassung ( = Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1) Göttingen 3 1970, S. 7 bis 33, und Jürgen Kocka in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Bd. 3, Göttingen 1972, S. 41—64 (dort auch weitere Literatur, instruktiv davon vor allem: Dietrich Gerhard, O. H. His Work and His Significance in History, jetzt in: ders., Gesammelte Aufsätze, Göttingen 1977, S. 268 — 295). Wichtig sind auch die Einleitungen Oestreichs zu H.s Gesammelten Abhandlungen, Bd. 2: Soziologie und Geschichte, 2 1964, und Bd. 3: Regierung und Verwaltung [Preußen betreffend], 2 1967. Ein Verzeichnis von H.s Schriften befindet sich in den Ges. Abhh.I,S. 5 6 7 - 5 8 6 . 4 Vgl. das Schriftenverzeichnis Nr. 18, 27, 33, 37 und 45. Die einleitende Darstellung, 639 Seiten umfassend, erschien 1901. 5 Die Hohenzollem und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, Berlin 1915, ND 1979. 6 Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 18 (1894), S. 1251-1299. Vgl. bei Kocka (Anm. 3), S. 42f. 7 Vgl. Georg v. Below, Die deutsche Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen. München - Berlin 2 1924, S. 35. 8 Zitat bei Hans Josef Steinberg, Karl Lamprecht, in: H.-U. Wehler (wie Anm. 3), Bd. 1, 1971, S. 58 — 68, S. 59. Zum Lamprecht-Streit vgl. auch G. Oestreich, Die Fachhistorie und die Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland, Hist. Ztschr. 208 (1969), S. 3 2 0 - 3 6 3 . 9 Hist. Ztschr. 78 (1987), S. 6 0 - 6 7 , auch in: Ges. Abhh. II, S. 3 1 5 - 3 2 2 . 10 Ges. Abhh. I, S. 2 7 5 - 3 2 0 . 11 Vgl. etwa „Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte [1910], Ges. Abhh. I, S. 2 4 2 - 2 7 4 ; „Der Beamtenstand" [1911], Ges. Abhh. II, S. 6 6 - 1 2 5 . 12 Ges. Abhh. I, S. 8 4 - 119 bzw. S. 1 4 0 - 1 8 5 . 13 Vgl. über sie den gelungenen, u.a. auf Archivalien der philosophischen Fakultät der alten Berliner Universität fußenden Überblick von Hans Schleier, Die bürgerliche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin/DDR 1975, S. 2 7 3 - 3 0 2 . 14 Friedrich Meinecke, Straßburg/Freiburg/Berlin 1901-1919 [verfaßt 1943/44], in: ders., Autobiographische Schriften, Stuttgart 1969 ( = Werke, Bd. 8), S. 232 f. 15 Erschienen: Berlin —Leipzig 1928. 16 Wie Meinecke in seiner „Deutschen Katastrophe" (Autobiographische Schriften, wie Anm. 14, auf S. 383) berichtet, hat Hintze über Hitler einmal gesagt: „Dieser Mensch gehört ja eigentlich nicht zu unserer Rasse. Da ist etwas ganz Fremdes an ihm, etwas wie eine sonst ausgestorbene Urrasse, die völlig amoralisch noch geartet ist." 17 Abgedruckt in: Ges. Abhh. I, S. 5 1 1 - 5 6 2 . 18 Vgl. dazu die Gedanken von Werner Kaegi in seiner Einleitung zur Neuausbage von Jacob Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, München 1977, Bd. 1, p. LV. 164 Widerstand und Verfolgung in Berlin Bemerkungen zu einigen Neuerscheinungen aus der DDR Von Wolfgang Wippermann 35 Jahre nach Kriegsende fehlt in unserem Teil Deutschlands noch immer eine umfassende Darstellung des Widerstandes und der Verfolgung unter dem Naziregime. Die Wichtigkeit der Aufarbeitung auch dieses Teiles der deutschen und damit auch Berliner Geschichte steht außer Frage. Im folgenden sollen einige - zum Teil schwer zugängliche — Publikationen zu diesem Themenkreis aus dem anderen Teil Deutschlands vorgestellt werden. „Das Autorenkollektiv der Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der SED-Bezirksleitung Berlin erarbeitet eine Gesamtdarstellung der Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung. Sie soll dazu beitragen, die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse wirksam in der massenpoliti-1 sehen Arbeit der Partei zu nutzen. Die Gesamtdarstellung soll für Berlin zeigen: ,. . . Sie (gemeint ist die SED) setzt das Werk der Kommunistischen Partei Deutschlands fort und erfüllt das Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Sie ist die Erbin alles Progressiven in der Geschichte des deutschen Volkes' (Programm der SED, angenommen auf dem IX. Parteitag der SED 1976, S. 5)." 1 Diese Sätze stehen in der „Vorbemerkung" zu dem Buch „Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung 1933 — 1939", das von der Sektorenleiterin am Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Margot Pikarski, geschrieben ist. Diese, im plattesten Sinne des Wortes .parteiliche' Tendenz, die mit einer marxistischen Geschichtsauffassung nur noch den Namen gemein hat, bestimmt ihr Buch. Konkret bedeutet dies, daß sie programmatisch von der Definition des Faschismus ausgeht, die vom XIII. Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale im Dezember 1933 formuliert wurde. Danach ist der Faschismus die „offene, terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals 2 ". Dieser dogmatisch-marxistischen Definition fühlt sich die Geschichtswissenschaft der DDR nach wie vor verpflichtet, obwohl ihre empirische Brauchbarkeit auch von Historikern aus Ungarn, Polen und der CSSR schon seit einiger Zeit angezweifelt wird3, und obwohl in einigen neueren Veröffentlichungen der DDR, etwa in den bisher zwei Bänden der „Geschichte des Zweiten Weltkrieges", ein differenzierteres Bild des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Faschismus entworfen wird.4 Während sich in dieser Hinsicht eine gewisse selbstkritische Sicht durchzusetzen scheint, zeichnen sich neuere Arbeiten zum Thema Antifaschismus und Widerstand durch eine scharfe Polemik am Verhalten der SPD und eine mehr oder minder kritiklose Verherrlichung des antifaschistischen Kampfes der KPD aus. Ähnlich wie es ihr Kollege Klaus Mammaen in seinem Buch, „Die KPD und die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933 — 1939" getan hat5, wirft auch Pikarski der Berliner Führung der SPD und des ADGB vor, noch im Jahre 1933 durch ihre „Kompromiß- und Stillhaltepolitik" die von den Kommunisten immer wieder angebotene Einheitsfront verhindert zu haben (S. 24) 6 . Während der Widerstand sozialistischer Splittergruppen innerhalb der Arbeiterbewegung wie KPD-Opposition, SAP, ISK usw. überhaupt nicht erwähnt wird7, heißt es zu den „illegalen sozialdemokratischen Gruppen", 165 daß sie „ohne klare politische Zielsetzung im Lande am illegalen antifaschistischen Kampf" teilnahmen (S. 52) 8 . Die KPD sei die „einzige Partei" gewesen, die „ein Programm zum Sturz der Hitlerdiktatur" besessen habe. Tatsächlich hat die KPD-Führung jedoch noch im Dezember 1933 die Ansicht vertreten, in Deutschland stünde ein revolutionärer Aufschwung bevor; erst auf dem VII. Weltkongreß der Komintern von 1935 wurde die fatale Sozialfaschismusthese revidiert. Eine offene Frage ist und bleibt, ob und in welchem Umfang sich Sozialdemokraten und Kommunisten an der Basis des antifaschistischen Kampfes auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt haben. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hinweis Pikarskis auf ein Memorandum der Bezirksleitung BerlinBrandenburg der KPD vom Herbst 1934, in dem offen zugegeben wurde, daß die Schaffung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse in Berlin nicht vorangeschritten sei, ja daß der Einfluß der KPD in Berlin, in der 1934 noch 6000 Personen, ein Fünftel der Mitgliedschaft vom Januar 1933, organisiert waren, zu wünschen übrig lasse (S. 96 f.). Am 16. Juni 1935 hätten dann Vertreter der Bezirksverbände von KPD und SPD ein Abkommen „unbeschadet ihrer sonstigen politischen Anschauung auf der Basis vertrauensvoller Ehrlichkeit und Kameradschaftlichkeit" unterzeichnet (S. 123). In welchem Umfang es jedoch in Berlin tatsächlich zu einem „Zusammenwirken von KPD-Organisationen" und „noch existierenden SPD-Gruppen und versprengten sozialdemokratischen Mitgliedern" gekommen ist, wird nicht gesagt. Pikarski weist zwar auf die „Volksfront Gruppe Berlin" von Otto Brass und Heinrich Brill hin (S. 164ff.), in der eine solche Zusammenarbeit praktiziert wurde, betont aber an verschiedenen Stellen, daß sich „viele Sozialdemokraten und führende Gewerkschaftler den kommunistischen Parteiorganisationen angeschlossen hätten" (S. 125) oder daß „klassenbewußte Sozialdemokraten" von der KPD in die „Diskussion über die Rolle der Parteiorganisation im antifaschistischen Kampf" einbezogen worden seien. Derartige Angaben bestätigen eher die Befürchtungen der zeitgenössischen Exil-Führung der Sopade, wonach die Kommunisten auch nach 1935 keine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, sondern eine vorherrschende Stellung innerhalb der Arbeiterbewegung angestrebt haben 9 . Mit diesen kritischen Bemerkungen soll keineswegs die Tatsache relativiert werden, daß die KPD in Berlin (wie in anderen Orten) von Anfang an entschieden Widerstand gegen den Faschismus geleistet hat, obwohl sie immer wieder „empfindliche Verluste" zu beklagen hatte (S. 53). Dies gilt vor allem für die Terrormaßnahmen des Jahres 1933, wobei die Gestapo und SA systematisch ganze Arbeiterviertel durchkämmte (S. 54). Besonders bekannt ist die berüchtigte Köpenicker Blutwoche vom 21. bis 27. Juni 1933 (S. 46). Ende 1935 und Anfang 1936 kam es zu einer neuen großen Verhaftungswelle, der auch Erich Honecker zum Opfer fiel, der im Sommer 1935 die Leitung des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD) in Berlin übernommen hatte (S. 127 f.). Insgesamt sollen nach Angaben der Gestapo dabei 1688 Kommunisten und Sozialdemokraten festgenommen worden sein. Obwohl auch im Zeitraum von 1936 bis 1938 neben 200 Mitgliedern der illegalen SPD etwa 500 Kommunisten verhaftet und verurteilt wurden (S. 185), sei es der KPD, die sich immer wieder neu organisieren mußte, im Sommer 1937 gelungen, die Berliner Parteiorganisation zu stabilisieren. Bezeichnend für die politische Blindheit damaliger und heutiger Kommunisten ist die Darstellung der Auswirkungen des Hitler-Stalin-Paktes auf den antifaschistischen Widerstand. Pikarski schreibt: „Das ZK der KPD richtete bereits am 25. August (1939) einen Aufruf an die deutsche Arbeiterklasse, in welchem sie den deutsch-sowjetischen 166 Nichtangriffsvertrag als eine Friedenstat der Sowjetunion begrüßte und alle klassenbewußten Arbeiter aufforderte, im eigenen Interesse und im Interesse der Sowjetunion für dessen Erhaltung einzutreten" (S. 211). Zumindest indirekt gibt Pikarskis sogar zu, daß sich die Kommunisten von diesem Vertrag offensichtlich eine Verbesserung der Situation in Deutschland versprochen haben, denn: „Die Möglichkeit der Diskussion und Aussprache über die internationale Lage waren nämlich in diesen Tagen günstiger als sonst.. ." 10 Der Wert der Darstellung Pikarskis ist einmal darin zu sehen, daß hier Dokumente verwertet worden sind, die im Ostberliner Institut für Marxismus-Leninismus (IML) liegen und für westliche Forscher in der Regel nicht zugänglich sind. Hervorzuheben ist ferner, daß sich Pikarski darüber hinaus auf verschiedene Erinnerungen von Widerstandskämpfern stützen konnte. Dies gilt im besonderen Maße für eine weitere Veröffentlichung der Autorin über die Widerstandsgruppe Baum, die unter dem Obrtitel „Jugend im Berliner Widerstand" im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (!) erschienen ist11. Die Gruppe Baum ist von der westlichen Forschung bisher als eine isolierte jüdische Widerstandsgruppe angesehen worden 12 . Ziel Pikarskis ist es, zu beweisen, daß „Herbert Baum und seine Kampfgefährten" aus dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) hervorgegangen und im engen Kontakt mit kommunistischen Widerstandsorganisationen wie der von Schulze-Boysen/Harnack gestanden hätten (S. 82). Dabei kann sie als Beleg neben Zeugnissen ehemaliger Mitglieder vor allem eine Meldung der Gestapo vom Anfang des Jahres 1935 anführen, in dem es heißt, daß sich „in den letzten Wochen und Monaten . . . die Fälle gehäuft" hätten, wonach „jüdische Elemente als Träger der illegalen Arbeit der kommunistischen Partei festgestellt werden konnten" (S.53). Doch auch Pikarski leugnet nicht, daß viele Mitglieder der Gruppe Baum gleichzeitig im „Ring-Bund-Deutsch-Jüdischer Jugend" (RBDJJ) waren und nach dessen Auflösung im Jahre 1938 der zionistischen Jugendorganisation „Hashomer Hazair" beigetreten sind (S. 50), die die Auswanderung nach Palästina organisierte und durch Umschulungslehrgänge für landwirtschaftliche Berufe vorbereitete 13 . Offen bleibt also die Frage, ob diese jungen Menschen jüdischer Herkunft den genannten Gruppen und der ebenfalls erwähnten jüdischen Jugendorganisation „Schwarzer Haufen" in erster Linie als Juden oder als Kommunisten bzw. als Sozialisten beigetreten sind, denn einige Mitglieder stammten auch aus der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Auf jeden Fall wirkt es äußerst abstoßend, wenn im Vorwort dieses Buches ungenannte „Überlebende der Widerstandsgruppe" betonen, daß die jungen Kommunisten der Gruppe Baum den „Zionismus, wie jeglichen Nationalismus und den Imperialismus überhaupt" entschieden abgelehnt hätten (S. 8). Ist es schon generell zu bedauern, daß die Darstellung und Würdigung des deutschen Widerstandes von beiden Seiten in die tagespolitisch bestimmten Auseinandersetzungen zwischen West und Ost hineingezogen worden sind, so ist eine derartige Widerspiegelung der antiisraelischen und antizionistischen Politik der heutigen DDR in einem Buch über den antifaschistischen Widerstand m. E. fehl am Platz. Ausführlich wird in diesem Buch, das neben den Biographien einzelner Mitglieder der Gruppe Baum auch verschiedene Photos und Auszüge aus Flugblättern und Dokumenten enthält, die antifaschistische Tätigkeit beschrieben, die vor allem in der Anfertigung und Verteilung von Flugblättern bestand. Nachdem Herbert und Marianne Baum, 167 Ilse Haak, Gerhard Meyer und Heinz Rotholz seit 1940 in den sogenannten „Judenabteilungen" des Elektromotorenwerkes der Siemens-Schuckert AG (Elmo-Werk) in Siemensstadt zusammen mit 500 jüdischen Leidensgefährten Zwangsarbeit verrichten mußten (S. 91), hätten sie ihre Tätigkeit selbst unter diesen Bedingungen fortgesetzt. In diesem Zusammenhang werden Kontakte zu französischen Zwangsarbeitern und Sabotageakte an Elektromotoren, die für die deutschen U-Boote bestimmt waren, erwähnt. Am 18. Mai 1942 verübten Mitglieder dieser Gruppe einen Brandanschlag auf die nazistische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies", die nach einer Meldung des „Völkischen Beobachters" vom 9. April 1942 den „Schleier" vor der „Hölle des angeblichen Sowjetparadieses" zerreißen sollte (S. 123) Bei dem Anschlag wurden 11 Besucher leicht verletzt, die Schäden selber konnten schnell beseitigt werden, eine Berichterstattung in der Presse wurde verhindert. Die führenden Mitglieder der Gruppe Baum wurden kurz darauf verhaftet und hingerichtet. Darüber hinaus befahl SS-Obersturmbannführer Eichmann am 30. Mai 1942 die Vertreter der Reichsvereinigung der Juden in Berlin zu sich in das Reichssicherheitshauptamt. Er teilte ihnen mit, „daß im Zusammenhang mit einem Anschlag auf die Ausstellung ,Das Sowjetparadies' in Berlin, an dem fünf Juden aktiv beteiligt waren, fünfhundert Juden in Berlin festgenommen, davon 250 erschossen und 250 in ein Lager abgeführt worden sind, daß weitere Maßnahmen dieser Art zu erwarten sind, falls noch einmal ein Sabotageakt vorkommen sollte, an dem Juden beteiligt sind" (S. 125). Dies war der Beginn des Holocausts der Berliner Juden und einer der Höhepunkte des faschistischen Terrors in unserer Stadt 14 . An die Stätten einer bis heute nicht bewältigten Vergangenheit erinnert ein interessanter Aufsatz von Laurenz Demps, der unter dem Titel „Konzentrationslager in Berlin 1933 bis 1945" im Bd. 3 des Jahrbuchs des Märkischen Museums erschienen ist15. Demps, der einleitend darauf hinweist, daß die Geschichte der Konzentrationslager in Berlin trotz umfangreicher Nachforschungen nach wie vor im Halbdunkel liege (S. 7) 16 , betont, daß man dabei zwischen drei Etappen unterscheiden müsse. In der ersten Phase, die in der Nacht des Reichstagsbrandes beginne und bis in das Jahr 1934 reiche, seien von SA und SS in den verschiedensten Stadtteilen etwa 30 Konzentrationslager eingerichtet worden. In der Regel handelte es sich dabei um Sturmlokale und Kasernen der SA und SS, in denen zunächst Kommunisten, dann auch Sozialdemokraten und Gewerkschaftler zusammengetrieben, geschlagen, gefoltert und in vielen Fällen auch ermordet worden sind. Im Anhang findet man eine Liste dieser sogenannten „wilden KZs", deren Existenz der Bevölkerung übrigens weitgehend bekannt war. Auf dem Gebiet des heutigen West-Berlins waren es: die SA-Kasernen in der Hedemannstraße bzw. Friedrichstraße 234 in Kreuzberg, die Kasernen General-Pape-Straße in Tempelhof, Unter den Eichen in Zehlendorf sowie die SA-Lokale Rudower Straße in Neukölln, Liebenwalder, Utrechter und Genter Straße im Wedding, Prinzenstraße 100 in Kreuzberg und Rosinenstraße in Charlottenburg. Ihren Höhepunkt erreichte diese Terrorwelle während der schon erwähnten Köpenicker Blutwoche, in der etwa 91 Menschen unter grausamen Umständen ermordet wurden (S. 11). In der zweiten Phase, von Mitte 1934 bis zum Kriegsausbruch, wurden diese ,wilden' Lager mit Ausnahme des Columbia-Hauses, das der SS gehörte, aufgelöst. Das „Konzentrationslager Columbia-Haus, Berlin SW 29, Columbiastraße 1 — 3" wurde (wie das vor den Toren der Stadt liegende ursprünglich ,wilde' Lager der SA Oranienburg) zum „staatlich anerkannten" KZ 17 . Während dieser Zeit wurden sogenannte „Schutzhaftgefangene" 168 aber auch in den Folterhöhlen der Gestapo und SS gequält. Besonders berüchtigt war das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. In der dritten Etappe, nach 1939, wurden in Berlin KZ-Häftlinge zum Beseitigen und Entschärfen von Blindgängern eingesetzt. Diese Tätigkeit sollte, wie aus einem Befehl der Schutzpolizei vom 21. Oktober hervorgeht, „auf Anordnung des Luftgaukommandos III ausschließlich durch Häftlinge" erfolgen (S. 12). Außerdem wurden vor allem seit 1942 KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen und Ravensbrück in verschiedenen Berliner Betrieben eingesetzt (S. 13). Im Raum des heutigen West-Berlins gehörten das Reichsbahnausbesserungswerk Grunewald, das DEMAG-Panzerwerk in Haiensee, das Luftgerätewerk in Hakenfelde, die Siemensbetriebe in Haselhorst, die Henschel-AG in Mariendorf, die Krupp-Registrierkassen in Neukölln, die Borsig-Werke in Tegel, die Zehlendorfer Spinnstoffwerke sowie verschiedene SS-Dienststellen in Lichterfelde dazu. Die Häftlinge aus den KZs Sachsenhausen und Ravensbrück waren in Berlin in Außenlagern untergebracht. Dies waren zumeist Barackenlager, umgebaute Gaststätten oder Keller direkt in den Betrieben. Medizinische Betreuung und Verpflegung waren gänzlich unzureichend, so daß es wiederholt zu Fleckfieber- und Typhuserkrankungen kam. Schließlich gab es in Berlin noch verschiedene sogenannte „Arbeitserziehungslager18". Bekannt sind solche Lager in Grunewald, Spandau, Reinickendorf sowie das Lager Wuhlheide auf dem Gelände des heutigen Ostberliner Tiergartens, über das das „Komitee der antifaschistischen Widerstandskämpfer der Deutschen Demokratischen Republik Kreiskomitee Berlin-Lichtenberg" einen sehr interessanten „Forschungsbericht" vorgelegt hat 19 . Diese „Arbeitserziehungslager" waren nicht dem Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS, sondern der jeweiligen Gestapo-Leitstelle zugeordnet. Die Insassen wurden ähnlich wie bei den anderen erwähnten Lagern von der Reichsbahnbaudirektion beschäftigt. In solche Lager kamen, wie es in einem Vermerk der Gestapo-Leitstelle Berlin vom 20. Januar 1940 hieß, Menschen, die als „Arbeitsscheue und Arbeitsverweigerer" inhaftiert worden waren. Dabei muß es sich um einen relativ großen Personenkreis gehandelt haben, denn in einer Meldung der Gestapo Berlin vom März 1943 wird berichtet, daß von den 2663 verhafteten Personen allein 201 Deutsche, 455 Sowjetbürger, 264 Polen, 475 Franzosen, 191 Tschechoslowaken, 125 Holländer, 90 Belgier, 118 Angehörige anderer osteuropäischer Völker sowie 123 Personen verschiedener Nationalitäten wegen „Arbeitsniederlegung" verhaftet worden seien (S. 10). Der Aufenthalt in einem „Arbeitserziehungslager" sollte bei schwerster körperlicher Arbeit, bei Hungerrationen, Quälereien und Folterungen bis zu 3 Wochen, im Wiederholungsfall bis zu 50 Tage dauern. Sollte danach, wie man in einer Verordnung des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, vom 25. August 1941 lesen konnte, der „Haftzweck nicht erfüllt" sein, so sei eine „Einweisung in ein Konzentrationslager zu beantragen" (S. 16). Nach einiger Zeit wurden neben sogenannten „Arbeitsverweigerern" auch politische Gefangene nach Wuhlheide gebracht, bevor sie dann von hier aus meist in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald oder Mauthausen verschleppt wurden (S. 17). Seit 1942 gelang es vor allem den kommunistischen Häftlingen in dieser Gruppe, die wichtigsten Lagerfunktionen zu übernehmen (S.33ff.) Im Lager Wuhlheide waren temporär 700 Häftlinge untergebracht, insgesamt waren es in den fast 5 Jahren des Bestehens 30 000, von denen etwa 3000 ermordet wurden 169 (S. 21 und 25). Als Todesursachen sind neben den Folgen schwerer Mißhandlungen vor allen Dingen die mangelhafte Ernährung und die schlechten hygienischen Verhältnisse zu nennen, die zu mehreren Ruhr- und Typhusepidemien führten. Unter den Häftlingen befanden sich auch Kinder und Greise. Namentlich erwähnt werden die 10jährige Lidija Cholodonek, die bei einem Stundenlohn von 24 Pfennigen für 160 geleistete Stunden in der Verkupferei eines Betriebes insgesamt 17,07 Mark ausgezahlt bekam; sowie die 78jährige Anna Wolkowa, die bei einem Stundenlohn von 48 Pfennigen für 228 Stunden geleistete Arbeit 20 Mark ausgezahlt bekam (S. 19). Die meisten Häftlinge mußten beim Reichsbahnbauamt Köpenick arbeiten, wo sie Bahnanlagen und andere Einrichtungen bauten und ausbesserten. Ihre tägliche Arbeitszeit betrug einschließlich des An- und Abmarsches bis zu 16 Stunden (S. 23). Sie erhielten nur 60 % des Verpflegungssatzes, den die Reichsbahn ihren ausländischen Zwangsarbeitern zubilligte. Die Häftlinge wurden nicht nur im Lager, sondern auch bei der Arbeit mißhandelt, was der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben konnte. So wird gemeldet, daß nach der Ermordung eines Häftlings am Bahnhof Karlshorst etwa 30 bis 50 empörte Bürger das Häftlingskommando bis fast zum Lagertor begleiteten und erst verschwanden, als ihnen die Festnahme angedroht wurde (S. 28). Im Anhang dieser Broschüre sind verschiedene Auszüge aus dem Standesamt-Register in Faksimile abgedruckt, aus denen hervorgeht, daß Häftlinge durch Selbstmord und Gewalteinwirkungen starben oder „auf der Flucht erschossen" wurden. Ferner findet man hier neben einem Lageplan Fotokopien aus dem Betriebsarchiv der Siemens-PlaniaWerke. Darunter gibt es Auszüge aus den Lohnlisten sowie Anzeigen wegen „Arbeitsvertragsbruches und Disziplinwidrigkeit" sowie „staatsfeindlichen Verhaltens". Besonders hervorzuheben ist, daß in diesem Band nicht nur auf das Schicksal kommunistischer Widerstandskämpfer - unter ihnen Werner Seelenbinder und Dr. Georg Benjamin - hingewiesen, sondern auch erwähnt wird, daß in diesem Lager auch Domprobst Bernhard Lichtenberg sowie Pfarrer Josef Lenzel inhaftiert waren. Lenzel hatte für verschleppte Polen Gottesdienste abgehalten und politisch Verfolgten geholfen (S. 44/45). Beide sind dann im KZ ermordet worden 20 . Zusammenfassend und abschließend möchte ich betonen, daß eine nähere Auseinandersetzung mit den Arbeiten der DDR zur Geschichte des Widerstandes und der Verfolgung in Berlin aus folgenden wissenschaftlichen, methodischen und didaktisch-politischen Gründen unbedingt erforderlich ist: 1. In den wissenschaftlich meist beachtenswerten Publikationen zum regionalen und lokalen Widerstand findet man Angaben und häufig sogar ganz oder zumindest teilweise abgedruckte Dokumente 21 , die aus Archivbeständen stammen, die westlichen Forschern in der Regel nicht zugänglich sind. Natürlich ist mir bewußt, daß dies kein Ersatz für wissenschaftliche Archivstudien sein darf. 2. Während in der Bundesrepublik lange Zeit der Begriff Widerstand sehr eng gefaßt wurde, wobei man meist nur solche Handlungen in diese Rubrik einordnete, die unmittelbar zum Sturz des Regimes führen konnten 22 , ging man in der DDR von Anfang an von dem viel weiter gefaßten, aber zugleich wieder stark auf die Tätigkeit der KPD eingeengten Begriff des antifaschistischen Widerstandes aus. Beides, die Ausdehnung wie die meist ideologisch geprägte Betonung des kommunistischen antifaschistischen Widerstandes, sind nicht unproblematisch. In einigen vor kurzem in der Bundesrepublik veröffentlichten Publikationen kann man 170 die Tendenz feststellen, den Widerstandsbegriff zugunsten eines umfassenden Terminus der „Nonkonformität" aufzugeben, wobei allerdings unterschiedliche politische Intentionen verfolgt werden 23 . So wichtig es nun ist, auch Formen des nonkonformen Verhaltens der Bevölkerung zu beachten, die ja keineswegs ganz dem nationalsozialistischen ,Ideal' der „Volksgemeinschaft" entsprach, so wichtig scheint mir doch die Feststellung zu sein, daß ,Widerstand' an dem Endpunkt einer Skala einzuordnen ist, die vom nonkonformen Verhalten über Resistenz und Opposition eben zum offenen Widerstand reicht. Bei der Diskussion dieser methodischen und terminologischen Fragen sollte man die zahlreichen Veröffentlichungen aus der DDR zum regionalen und lokalen .antifaschistischen Widerstand' stärker, als es bisher geschehen ist, heranziehen. 3. In jüngster Zeit ist in der Bundesrepublik m.E. zu Recht gefordert worden, bei der Behandlung der NS-Zeit in der Schule müsse man vor allem eine emotionale Betroffenheit bei den Schülern erzeugen 24 . Dies ist nur dann möglich, wenn die Geschichte auch und sogar zunächst ,von unten' betrachtet wird, die anonym, abstrakt und ,so weit weg' wirkenden Ereignisse in die unmittelbar erfahrbare lokale Umgebung des Schülers gestellt — kurz, wenn die Auswirkungen der sogenannten .großen Politik' auf den Alltag verdeutlicht werden. Gerade unter diesem didaktischen Aspekt sollte die Erforschung des Widerstandes und der Verfolgung in Berlin intensiviert und Materialien, die für den Schulunterricht geeignet sind, bereitgestellt werden. Notwendig ist es jedoch auch, die .parteiliche' Darstellung, die in den durchaus beachtenswerten Arbeiten der DDR zu finden ist, zu kritisieren. Wenn Historiker und Propagandisten der DDR behaupten, das „Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer" erfüllt zu haben, so ist diesem ,Alleinvertretungsanspruch' energisch entgegenzutreten. Die Zeit des Nationalsozialismus war und ist ein Bestandteil der gesamtdeutschen Geschichte, aus der man für die Gegenwart und Zukunft die ,Lehre' ziehen kann und muß, daß die Demokratie tagtäglich zu verteidigen und zu verwirklichen ist. Anschrift des Verfassers: Dr. Wolfgang Wippermann, Waltharistraße 22, 1000 Berlin 39 1 2 3 4 Margot Pikarski: Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung 1933—1939, Berlin (Ost) 1978 ( = Beiträge zur Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung. Sonderreihe: Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung von den Anfängen bis zur Gegenwart), S. 8. XIII. Plenum des EKKI, Dezember 1933, Moskau - Leningrad 1934, S. 277. Zur Faschismusdiskussion der DDR s.: Wolfgang Wippermann: Faschismustheorien. Zum Stand der gegenwärtigen Diskussion, Darmstadt, 3. Aufl. 1976, bes. S. 49ff.; ders., The Post-War German Left and Fascism, in: Journal of Contemporary History 11, 1976, S. 185 — 220. Hinweise darauf bei: Hans-Ulrich Thamer/Wolfgang Wippermann: Faschistische und neofaschistische Bewegungen. Probleme empirischer Faschismusforschung, Darmstadt 1977, bes. S. 3 f. und 85 ff. Deutschland im zweiten Weltkrieg, hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann und Gerhart Hass, Bd. 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis zum 22. Juni 1941, Berlin (Ost) 1974; Bd. 2: Vom Überfall auf die Sowjetunion bis zur sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad, Berlin (Ost) 1975. 171 5 Klaus Mammaen: Die KPD und die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933 bis 1939, Frankfurt a.M. 1974. Kritisch zur Widerstandsforschung in der DDR vgl. bes.: Gunter Plum: Widerstandsbewegung, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 6, Freiburg 1972, Sp. 9 6 1 - 9 8 3 . 6 Zur Relativierung und Richtigstellung dieser Behauptungen vgl.: Siegfried Bahne: Die KPD und das Ende von Weimar. Das Scheitern einer Politik 1932 — 1936, Frankfurt a.M. 1976; Arnold Sywottek: Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD 1935-1946, Düsseldorf 1971. 7 Diese Gruppen leisteten auch in Berlin Widerstand. Angaben dazu bei: Karl-Hermann Tjaden: Struktur und Funktion der „KPD-Opposition", Meisenheim 1964; Werner Link: Die Geschichte des Internationalen Jugendbundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen KampfBundes (ISK), Meisenheim 1964; Hanno Drechsler: Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), Meisenheim 1965. 8 Zum sozialdemokratischen Widerstand in Berlin vgl.: Hans J. Reichhardt: Möglichkeiten und Grenzen des Widerstandes der Arbeiterbewegung, in: Walter Schmitthenner/Hans Buchheim (Hrsg.): Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Vier historisch-kritische Studien, Köln - Berlin 1966, S. 1 6 9 - 2 1 3 , bes. S. 1 7 1 - 1 9 9 ; Frank Moraw: Die Parole der „Einheit" und die Sozialdemokratie, Bonn-Bad Godesberg 1973. Die in den Anmerkungen 6, 7 und 8 genannten Arbeiten werden übrigens bei Pikarski nicht erwähnt. 9 Verschiedene Äußerungen dieser Art in: Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, hrsg. von Erich Matthias und bearbeitet von Werner Link, Düsseldorf 1968. 10 Vgl. dazu bes. Sywottek, Deutsche Volksdemokratie a. a. O. 11 Margot Pikarski: Jugend im Berliner Widerstand. Herbert Baum und Kampfgefährten, Berlin (Ost) 1978. 12 So von: Arno Klönne: Gegen den Strom. Bericht über den Jugendwiderstand im Dritten Reich, Hannover - Frankfurt a.M. 1957, S. 102; Günter Weisenborn: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 — 1945, Hamburg 1962, S. 150 und 164; Ger van Roon - Widerstand im Dritten Reich, München 1979, S. 45f. nennt die Gruppe Baum im Kapitel über „Widerstand der Jugend". 13 Zum Widerstand der Juden vgl.: Lucien Steinberg: La revolte des Justes. Les Juifs contre Hitler, 1933-1945, Paris 1970; ders., Der Anteil der Juden am Widerstand in Deutschland, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Stand und Problematik des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, Bad Godesberg 1965, S. 1 1 3 - 1 4 3 . 14 Vgl. dazu: Kurt Jakob Ball-Kaduri: Berlin wird judenfrei, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 22, 1973, S. 197 — 241. Sieht man von den Verfolgungen während und nach der Reichspogromnacht ab, begann die Massendeportation der Berliner Juden allerdings schon im Herbst 1941. Vgl. dazu: Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972, S. 311 und ff. 15 Laurenz Demps: Konzentrationslager in Berlin 1933 bis 1945, in: Jahrbuch des Märkischen Museums III, 1977, S. 7 - 1 9 . 16 Vgl. dazu neben den von Demps erwähnten Band: Vorläufiges Verzeichnis der Haftstätten unter dem Reichsführer SS, 1933—1945, Internationaler Suchdienst, Arolsen 1969 Bd. 1; - Olga Wormser-Migot: Les Systeme concentrationnaire Nazi (1933 — 1945), Paris 1968, S. 103; Falk Pingel: Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager, Hamburg 1978, bes. S. 238. Dazu generell ferner: Anatomie des SS-Staates, Bd. 1 und 2, München, 2. Aufl., 1967; Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 1 bis 2, München 1958 und 1966. 17 Diese Ergänzung nach Pingel: Häftlinge unter SS-Herrschaft a. a. O., S. 238. 18 Vgl. dazu allgemein: Hellmuth Auerbach: Arbeitserziehungslager 1940—1944, in: Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte a. a. O., Bd. 2, S. 1 9 6 - 201. 19 Kurt Roßberg/Kurt Krautter (f)/Max Prengel: Forschungsbericht über das faschistische GestapoLager Wuhlheide, erarbeitet von der Kommission zur Erforschung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes beim Kreiskomitee Berlin-Lichtenberg, Berlin (Ost) o. J. 20 Der religiöse geprägte Widerstand von Protestanten, Katholiken und Bibelforschern wird innerhalb der Forschung der DDR nach wie vor vernachlässigt. Vgl. für Berlin die maßgebende 172 Studie des allzu früh verstorbenen Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933 bis 1945, Berlin 1965. Eine wahre Fundgrube zum Thema Widerstand und ,nonkonformes Verhalten' (s.u.) im Dritten Reich ist die mit zahlreichen Photos und Photokopien von Dokumenten und Flugblättern versehene Sammlung: Ausgewählte Dokumente und Materialien zum antifaschistischen Widerstandskampf unter Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Provinz Brandenburg 1933-1939, hrsg. von der Bezirksleitung Potsdam der SED, Bd. 1 und 2, Potsdam 1978. Vgl. dazu: Peter Hoffmann: Widerstand gegen Hitler. Probleme des Umsturzes, München 1979, S. 19: „Wirksamer Widerstand muß definiert werden als ,zum Sturz des Regimes führend'. In der Begrenzung liegt keine Schmälerung des Heldentums der namenlosen vielen, oben kollektiv Genannten, sondern die Klärung der Begriffe." Exponent dieser Richtung ist vor allem: Timothy W. Mason: Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1975; ders.: Sozialpolitik im Dritten Reich, Opladen 1978. Mit weiterführenden Literaturangaben zu dieser Frage: Peter Hüttenberger: Vorüberlegungen zum „Widerstandsbegriff", in: Jürgen Kocka (Hrsg.): Theorien in der Praxis des Historikers, Göttingen 1977, S. 117-139; Detlev Peukert: Der deutsche Arbeiterwiderstand 1933-1945, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Bd. 28 und 29/79, S. 22-36. Als Beispiel für viele andere: Alfred Krink: Nationalsozialismus und Widerstand als erfahrbare Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Bd. 22/79, S. 3 — 18; und neuerdings: Nationalsozialismus im Unterricht. Empfehlungen des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, o. O., 1980. Der Glockenturm am Olympia-Stadion in Berlin Von Manfred H. Uhlitz Seit dem Sommer 1979 haben die Berliner und die Gäste der Stadt wieder die Möglichkeit, den von Kennern viel gerühmten Rundblick von der Plattform des Glockenturmes auf das Olympia-Gelände, die Berliner Innenstadt, Spandau und das Havelland mit Fernsichten bis Potsdam, Nauen und Henningsdorf zu genießen. Im Osten sind bei klarer Sicht die Müggelberge zu sehen, und auf den Funkturm glaubt man hinabzuschauen. Nach Süden blickt man auf die weite Fläche des Grunewalds, die auswärtige Besucher immer wieder zu der erstaunlichen Frage führt: „Das alles ist West-Berlin?" Viele meinen, daß man von keiner anderen Stelle aus einen besseren Eindruck von der schönen Lage Berlins inmitten der Wälder und der Seen der märkischen Landschaft gewinnen kann. Der Glockenturm gehört zur Gesamtanlage des 1934 bis 1936 nach den Plänen von Professor Werner March (mit Unterstützung seines Bruders Walter March) für die XI. Olympischen Spiele 1936 erbauten 132 ha großen „Reichssportfeldes". Im Mittelpunkt dieser in ihrer Übersichtlichkeit und Landschaftsverbundenheit einmaligen Anlage liegt das Olympia-Stadion, welches das 1913 für die ausgefallenen Olympischen Spiele von 1916 inmitten der Rennbahn Grunewald errichtete Deutsche Stadion ersetzte. Die Entwürfe des Stadions beruhen auf einem gründlichen Studium ähnlich großer ausländischer, insbesondere amerikanischer Sportanlagen (vgl. W. March, Kunst und Technik im Stadionbau, Zentralblatt der Bauverwaltung, 1933, 497 ff.). Sie waren schon 1933 fertig, wurden aber noch im gleichen Jahr abgeändert, nachdem es gelungen war, die Widerstände gegen die Beseitigung der Pferderennbahn des exklusiven Union-Klubs zu überwinden. 173 Glockenturm mit Langemarckhalle, Straßenansicht Dadurch wurde eine großzügigere Gestaltung des Stadions und des Gesamtgeländes möglich. Der Glockenturm steht als besonderes Kennzeichen dieser Gesamtanlage in der Mitte der von den Seiten langsam bis zu 19 m Höhe (Höhe des Olympia-Stadions 17 m) ansteigenden, mit Zuschauertribünen versehenen westlichen Umwallung des Maifeldes. Es schließt die Gesamtanlage nach Westen ab und überragt sie mit seiner lichten Höhe von 77,17 m (145 m über Normalnull) weithin. Durch ihn wird dem Besucher schon lange vor dem Betreten des Olympia-Geländes von Osten her der Zusammenhang aller Bauwerke klar (vgl. W. March, Die Olympia-Bauten auf dem Reichssportfeld in Berlin, Zentralblatt der Bauverwaltung, 1936,693). Auf den Glockenturm gelangt man mit einem Expreßaufzug (Fahrzeit 25 Sekunden), der den Besucher bis zur Glockenstube fährt. Hier hängt die nach dem Vorbild der beschädigten alten Glocke gegossene neue Olympia-Glocke. Sie trägt auf ihrem unteren Rand neben den fünf olympischen Ringen die Inschrift „Ich rufe die Jugend der Welt - Olympische Spiele 1936" und außerdem auf dem Mantel als Symbole das Brandenburger Tor und den Adler. Von der Glockenstube aus ist es nur noch ein kurzer Aufstieg bis zur Plattform, der den Besuchern den eingangs geschilderten herrlichen Ausblick auf Berlins City, Seen und Wälder gewährt. Hier erkennt der Besucher, daß der Glockenturm „dasjenige Stück in der Gesamtgliederung des Reichssportfeldes darstellt, auf das hin die wichtigsten Bauteile aus174 Luftaufnahme des Gesamtgeländes, 1936 gerichtet sind" (G. Krause). Nur von hier aus kann man heute das 1926 bis 1929 ebenfalls von Werner March erbaute und 1934 bis 1936 erweiterte „Deutsche Sportforum" mit der ehemaligen Reichsakademie für Leibesübung und dem Haus des Deutschen Sports (heute Hauptquartier der britischen Militärregierung) sowie den wegen der Schießstand» i lienfalls weitgehend unzugänglichen nördlichen Teil des Grunewalds zwischen Glockcnturmstraße und Charlottenburger Chaussee und die Waldbühne sehen. In den zahlreichen Geschossen des Turmes waren zu den Olympischen Spielen Beobachtungsstände der Festleitung, der Polizei, des Sanitätsdienstes sowie der Rundfunk- und Filmreportage untergebracht. Das 75 Meter lange Mittelstück der Maifeldtribünen rechts und links vom Turm ist nicht als Wall geschüttet, sondern als dreigeschossiges Bauwerk errichtet. In ihm war während des Krieges u.a. das Reichsfilmarchiv eingelagert, das nach dem Einmarsch der russischen Truppen, vermutlich durch die Unachtsamkeit eines Soldaten, in Brand geriet. Die beim Brand entstandene große Hitze wurde über den Glockenturm wie durch einen Schornstein abgeleitet. Dadurch wurden tragende Teile der Stahlskelettkonstruktion derart deformiert, daß die Standfestigkeit des Turmes nicht mehr gegeben war. 1947 wurde er durch britische Pioniere gesprengt und anschließend enttrümmert. Die bei der Sprengung heruntergefallene Olympia-Glocke erhielt einen vertikalen Sprung. Sie wurde zunächst auf dem Platz vor dem Glockenturm vergraben, dort nach mühevollen Sucharbeiten mit Hilfe von Geigerzählern wiederentdeckt, im Dezember 1956 geborgen und kurze Zeit später auf einem Sockel vor dem Südportal des Olympia-Stadions aufgestellt. Wer seine Schießkünste mit einer panzerbrechenden Waffe ausgerechnet an der wehrlosen Olympia-Glocke ausprobiert und den heute sichtbaren Durchschuß verursacht 175 Blick vom Glockenturm auf das Olympiastadion hat, ist unbekannt. Die Glocke muß damals noch gehangen haben, denn sie wurde von innen nach außen durchschossen. Wegen der Beschädigungen war die alte Glocke als Klangkörper nun nicht mehr verwendbar. In den Jahren 1960 bis 1962 wurde der Glockenturm nach einem Entwurf von Professor Werner March, dem Architekten des alten Turmes, im Auftrag des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes vom Bauamt Nord der Sondervermögens- und Bauverwaltung unter der Oberbauleitung von Heinz Boehm mit einem Kostenaufwand von 1,16 Mio. DM in Stahlbetonweise mit einer Muschelkalkkernstein-Verkleidung auf den alten Fundamenten wieder aufgebaut. Im Erdgeschoß ruht er jetzt auf 6 Stahlbetonstützen von je einem Quadratmeter Grundfläche. Der Querschnitt des Turmes beträgt unten 11,2 X 6,53 m, oben 9,46 X 6,53 m. Verbaut wurden 720 m 3 Beton, 130 t Rundstahl, 5000 Stück Natur-Kalksteinplatten. Das Gewicht des Turmes beträgt 2500 t. Das Gewicht der vom Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation gegossenen Stahlglocke mit der Tonart fis 0 ist den statischen Verhältnissen der neuen Bauweise angepaßt. Es beträgt 4,5 t gegenüber 9,61 der alten, von der gleichen Firma gegossenen Glocke. Den größten Teil des Mittelgeschosses des unter den Maifeldtribünen errichteten Bauwerkes nimmt die sogenannte Langemarck-Halle ein, die ebenfalls besichtigt werden kann. Sie ist dem Andenken der im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Jugend gewidmet, insbesondere der überwiegend aus Abiturienten und Studenten gebildeten FreiwilligenRegimenter, die, unzureichend ausgebildet und ausgerüstet, beim Sturm auf Langemarck (bei Ypern in der belgischen Provinz Westflandern) am 10. November 1914 einen ungeheuer hohen Blutzoll entrichten mußten. 176 Die damals 12 Pfeiler der Halle trugen die 76 Fahnen der an der Schlacht beteiligten Regimenter. Am Massiv des mitten durch die Halle stoßenden Glockenturmes waren 12 Schilde mit den Namen der Divisionen und ihrer Truppenteile angebracht. Diese vor der Sprengung von den Engländern sichergestellten Schilde hängen heute an der östlichen Längsseite der Halle rechts und links von den Türen zu den Maifeldtribünen. Der in der Mitte der Halle eingebaut gewesene Schrein mit Erde vom Friedhof in Langemarck ist nicht mehr vorhanden. Die Schmalseiten der Halle tragen zwei Sprüche von Hölderlin und Walter Flex. Die eingemeißelten Namen dieser Dichter wurden in den sechziger Jahren durch die Jahreszahlen 1770-1843 (bei Hölderlin) und 1887-1917 (bei Flex) ergänzt. Nach Westen ist die Halle mit Blick auf die märkische Landschaft geöffnet. Es gibt Bestrebungen, eine frühere Idee von Werner March wieder aufzugreifen und in der Halle eine würdige Gedächtnisstätte mit einer Ehrentafel für die Olympiateilnehmer einzurichten, die in den beiden Weltkriegen gefallen sind oder durch politische Verfolgung und Bombenangriffe ihr Leben verloren haben. Auch die Aufstellung von Skulpturen würde dem Charakter der Ehrenhalle keinen Abbrauch tun. Zu Füßen des Glockenturmes liegt das 112 000 m2 große Maifeld. Hier fanden während der Olympischen Spiele die Polo- und Dressur-Wettkämpfe der Reiter und eine Vorführung von 20 000 Berliner Schulkindern statt. Später sollte es, wie der Name besagt, insbesondere für die Feiern zum 1. Mai Verwendung finden. Das Maifeld kann 250 000 Teilnehmer aufnehmen. Die Wälle bieten noch einmal Platz für 60 000 Zuschauer. Heute finden hier die alljährlichen, von Tausenden von Berlinern gern besuchten Geburtstagsparaden für die englische Königin statt. Das Maifeld gehört zum Areal der britischen Schutzmacht, die hier Polo-, Rugby- und andere Wettkämpfe veranstaltet. Die Rosselenker am Ostrand des Maifeldes stammen von Josef Wackerle. Die Kolbe-Plastik „Der Zehnkämpfer", die nach der Wiederherstellung des Turmes zunächst auf der Maifeldtribüne zentral vor der Langemarckhalle aufgestellt wurde, steht seit 1974 wieder auf dem ursprünglichen Platz im jetzigen britischen Hauptquartier. Die vom Platz am Glockenturm aus sichtbare Vorderfront des massiven Mittelbaues mit der Langemarckhalle und den Zugängen und Zufahrten zum Glockenturm und zum Maifeld sowie die seitlichen Haupttreppen sind mit kräftigem Nagelfluh, einem Naturgestein aus dem Voralpengebiet, verkleidet, das dem Bauwerk einen urwüchsigen Eindruck verleiht. Öffnungszeiten: Vom 1. April bis 31. Oktober täglich von 10 bis 17.30 Uhr. Beliebig lange Verweildauer. Anschrift des Verfassers: Westendallee 71, 1000 Berlin 19 Literatur: Außer den im Text zitierten Aufsätzen von Werner March: Gerhard Krause, Das Deutsche Stadion und Sportforum, Berlin o.J. (1926); Ph. Nitze, Das Deutsche Sportforum zu Berlin, Deutsche Bauzeitung, 1928, 701 ff.; Gerhard Krause, Das Reichssportfeld, Berlin 1936; Werner March, Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936; Das Reichssportfeld, hrsg. vom Reichsministerium des Innern, Berlin 1936; Franz Bräckerbohm, Der Glockenturm auf dem Reichssportfeld Berlin, vermutlich aus dem Jahre 1938 stammender, undatierter Sonderdruck aus der Zeitschrift „Der P-Träger" (Archiv des Verfassers); Gerhard Küchler, Das ehemalige Reichssportfeld in Berlin, Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, Nr. 60 vom 1. 1. 1969: Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin-Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Berlin 1961, S. 220 ff. Für wertvolle Hinweise und Auskünfte ist Herrn Architekt Heinz Boehm und dem Bauamt Nord der Sondervermögens- und Bauverwaltung zu danken. Fotos: Aus dem Besitz des Verfassers. 177 Nachrichten Heinrich Zille — Ausstellungen Wie alles - so muß die Stadt Berlin auch ihren Zille teilen. Aber tröstlich ist es, erlebt zu haben, daß sie trotzdem den 50. Todestag ihres Künstlers in mehreren Ausstellungen ehren konnte und wollte. Diese verdeutlichten Werden und Wirken des am 10. Januar 1858 im sächsischen Radeburg geborenen Zeichners, der am 9. August 1929 in Berlin verstorben war und auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf seine letzte Ruhe gefunden hat. Jenseits der Mauer eröffnete daher das Märkische Museum am 9. August des vorigen Jahres seine Sonderausstellung. Es hatte bereits 1928 den 70. Geburtstag ,Pinselheinrichs' mit einer so erfolgreichen Zille-Schau gefeiert, daß damals numerierte Einlaßkarten für die Besucher und Verehrer ausgegeben werden mußten, und es hat als Hüter des Nachlasses eine Generation später im Jahre 1966 ein „Zille-Kabinett" eingerichtet. So zeigte es jetzt mehr als dreihundert Arbeiten — Zeichnungen, Druckgrafiken, Illustrationen und Fotografien - vereint mit Leihgaben des Kupferstichkabinetts und der Zeichnungensammlung der Staatlichen Museen, der Akademie der Künste der DDR, des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens, des Kulturhistorischen Museums Magdeburg und aus Privatbesitz. Ein Überblick, der die künstlerische Entwicklung unseres liebenswürdigen Sozialkritikers anschaulich machte. Vor allem der frühe Zille unter dem Einfluß Hosemanns war in vielen Zeichnungen vertreten. Erwähnenswert, weil vom Format her ungewöhnlich, das winzige Marxportrait, das die Brücke von der Jahrhundertwende in die Gegenwart schlägt. Diesseits der Mauer zog einen knappen Monat später das stadtgeschichtliche Berlin-Museum in der Lindenstraße mit der Eröffnung seiner Gedächtnisausstellung am 7. September nach. Auch hier Zeichnungen, Druckgrafiken, Buchillustrationen, Fotografien, Öl- und Glasbilder. Auch hier Leihgaben der Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, des Senators für Bundesangelegenheiten in Bonn und aus Privatbesitz. Eine beachtliche Dokumentation seiner fotografischen Arbeiten legte hier die Quellen frei, aus denen der Meister schöpfte. Etwa um 1890 hatte er zu sich selbst und dem Thema Großstadt gefunden. Die Milieuschilderungen seiner populären Rinnsteinkunst von Hinterhof und Kaschemme wiederholen oft - manchmal in fast wörtlichem Zitat - die mit der Kamera festgehaltenen Motive. Auch hier war sehr liebevoll Bekanntes und weniger Bekanntes zusammengestellt. Flankierend präsentierte das Festspielzentrum in der Budapester Straße 48 die Ausstellung „Zille Zola, Berlin und Paris in Photographien um 1890—1900" vom 2. September bis zum 5. Oktober. Die Arbeiten des französischen Romanciers waren erstmals in Deutschland zu sehen. Berlin, Paris und auch London abseits der Prachtstraßen, in Ateliers und der Umgebung. Beide Künstler sahen die Fotoserien ihrer Apparate, bei Zola angelehnt an die französische Malerei der Epoche, als eine Art Skizzenbuch. Denn auch Zola fotografierte mit besonderer Vorliebe das Milieu, in dem er dann die Sequenzen seiner Novellen und Romane ansiedelte. Zur gleichen Zeit hatte am Kurfürstendamm 159 die Galerie Pels-Leusden eine Verkaufsausstellung von 200 Exemplaren bekannter Druckgrafik und unbekannterer Zeichnungen Heinrich Zilles organisiert. Blätter wie „Das Eiserne Kreuz", „Krähen über dem Sumpf" oder „Ferienkolonie" lassen auch hier den weitgespannten Bogen in der Aussage erkennen. Als Letzte sei eine Schau erwähnt, die die Sparkassenzentrale in der Bundesallee 171 vom 5. September bis zum 31. Oktober veranstaltet hatte. 92 Zeichnungen, Radierungen und Lithografien Zilles eines bekannten Mülheimer Privatsammlers, als Leihgaben zur Verfügung gestellt, waren zu betrachten. Besondere Aufmerksamkeit galt auch hier dem jungen Zille, der mit fünf Arbeiten aus seinem 16. Lebensjahr vertreten war. Diese fünf Ausstellungen ermöglichten dem Interessierten - dem Kunstliebhaber oder dem Berliner sich noch einmal in großen Zügen das Lebenswerk Heinrich Zilles vor Augen zu führen und dessen Entwicklung zum „Berliner Hofmaler" zu verfolgen. Ein umfassendes, ehrendes und auch geglücktes Gedenken seiner „Heimatstadt". Günter Wollschlaeger 178 Willy Dammasch Foto: Malte v. Blumröder Berlin-Pichelsdorf 1908 Bleistift auf grauem Papier 310 X 232 mm / Willy Dammasch Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder von Willy Dammasch waren vom 11. Januar bis 23. Februar 1980 in den Räumen der Galerie -rst- zu sehen. In seinem 93. Lebensjahr wurde damit diesem in Berlin, am Wedding, geborenen Künstler erstmalig in seiner Vaterstadt eine Einzelausstellung gewidmet. Willy Albert August Dammasch wurde am 20. Mai 1887 als Sohn eines Eisenbahnbeamten geboren. Nach dem üblichen Schulbesuch studierte er von 1907 bis 1912 an der Hochschule der Akademie der Künste in Berlin, deren Direktor damals noch Anton von Werner war. Von den äußeren Erschütterungen der Kunstszene - Entwicklung des Kubismus, Manifest der Futuristen - ist in den frühen überkommenen Arbeiten nichts zu spüren. Seine Lehrer waren hauptsächlich der Landschafter Paul Vorgang und der Marinemaler Carl Saltzmann; beide hatten ebenfalls an der Akademie studiert und waren dort zu Professoren ernannt worden. Saltzmann, der auch ordentliches Mitglied der Akademie war, war dem Kaiserhause in Anbetracht seines Spezialgebietes sehr verbunden, so waren nicht nur einige seiner Bilder im Besitz des Kaisers, sondern er konnte auch mit guten Auftragen rechnen. Er hat u.a. eine größere Anzahl von Bildern für das Museum für Meereskunde (Berlin NW 7, Georgenstraße 3 4 - 3 6 ) am Bahnhof Friedrichstraße gemalt und offenbar derartige Aufträge auch an seine Schüler weitergegeben, darunter an Willy Dammasch. Dessen Darstellung „Finkenwärder" beruhte auf äußerst genauer Kenntnis der dortigen Verhältnisse. Häufige Besuche an der Küste, auch mit Studienkollegen und Lehrer, förderten sein Interesse für die Küstenregion. Für zehn Jahre ließ er sich nach dem Studium auf Finkenwerder nieder, wurde immer vertrauter mit den Fischern seiner Umgebung und mit deren Schiffen. Mit schnellem und genauem Strich gibt er in seinen nur teilweise aquarellierten Zeichnungen nicht nur den Gesamteindruck der vielen Segelschiffe, Kutter und Ewer wieder, 179 übertreibt nicht den phantastischen Eindruck, den das Gewirr der Masten und Bäume, der Wanten und Seile auf den binnenstädtischen Besucher normalerweise macht, sondern versteht es, die Takelage in ihrer Funktion darzustellen. Noch heute kennt er die vielen speziellen Bezeichnungen. Meist hat er dann unweit der Küste gewohnt. Worpswede, wo er seit 1922 mit Unterbrechungen beheimatet ist, scheint da schon weit entfernt. Dammasch gehört in dieser Künstlerkolonie zu den bedeutenden Vertretern, die nach dem Ersten Weltkrieg die lähmende Stagnation der Routine überwinden konnten, die in ihrer Wertschätzung aber noch immer hinter der Gründergeneration zurückstehen müssen. Nur Bernhard Hoetger und Bram van Velde ist es gelungen, größere Aufmerksamkeit bei einem weitergestreuten Publikum auf sich zu ziehen. Zu dieser Zeit hatte er sich bereits vollständig vom Akademismus gelöst. Mit breitem Spachtel brachte er Farben auf die Leinwand, nutzte auch deren weiße Grundierung für das Bild. Bei aller Expressivität wird gerade in diesen Bildern die gründliche Schulung durch die Akademie deutlich. So sind ihm wesentliche Portraits gelungen; er beschäftigte sich auch mit mythologischen Darstellungen und Stilleben und natürlich mit der Worpsweder Landschaft. Wie so viele andere unterlag auch Willy Dammasch dem Malverbot, viele seiner Bilder gingen verloren, wurden zerstreut oder zerstört, so daß heute nur schwer ein Überblick über das in siebzig Jahren Erarbeitete zu gewinnen ist. Bei der Vorbereitung der genannten Ausstellung ließ sich nur noch ein Berliner Motiv finden, die frühe, akademische Zeichnung „Picheisdorf", die bereits 1907 den Hang zur Waterkant deutlich macht. Obwohl Willy Dammasch nahezu ständig von Berlin abwesend war, hielt er die Verbindung zu seiner Vaterstadt durch die Mitgliedschaft in der Vereinigung bildender Künstler Berlins stets aufrecht. Karl-Robert Schütze Von unseren Mitgliedern Verabschiedung von H e r r n Dr. G e r h a r d Kutzsch, Direktor des Landesarchivs Berlin Die offizielle Verabschiedungsfeier für den bisherigen Direktor des Landesarchivs Berlin Dr. Gerhard Kutzsch, der am 30. August 1979 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand trat, fand am 13. September 1979 in Anwesenheit des Senators für Kulturelle Angelegenheiten Dr. Dieter Sauberzweig in den Räumen des Landesarchivs statt. Neben zahlreichen Vertretern der Senats- und Bezirksbehörde sowie verschiedener wissenschaftlicher Institutionen waren auch ehemalige Kollegen und alle Mitarbeiter des Landesarchivs eingeladen, ein Spiegelbild des Kreises, von dem Dr. Kutzsch während seiner langjährigen Tätigkeit als Archivdirektor umgeben war. Senator Dr. Sauberzweig zeichnete in seiner Ansprache den Lebensweg und den beruflichen Werdegang von Dr. Kutzsch nach und würdigte seine ständigen Bemühungen, das Landesarchiv nach der schwierigen und langandauernden Aufbauphase zu einer bedeutenden Dokumentationsstätte für die Berliner Stadtgeschichte auszubauen. Äußerlich wurde diese Aufwärtsentwicklung nicht zuletzt 1976 durch den Einzug des Landesarchivs in die neuen Räume in der Kalckreuthstraße deutlich. Dr. Kutzschs in über 25 Jahren im Berliner Archivwesen gesammelten Erfahrungen haben das Institut, an dessen Spitze er seit 1964 stand, entscheidend geprägt: So wurde unter seiner Leitung die Zeitgeschichtliche Sammlung mit den Schwerpunkten 1848er Revolution und Berliner Studentenbewegung der 60er Jahre zur wichtigsten Dokumentation des nichtstaatlichen Schriftgutes. Ebenso ist es Dr. Kutzschs Verdienst, im Landesarchiv die größte Sammlung Berliner Zeitungen konzentriert zu haben. Diese ist mit Hilfe der ebenfalls seiner Initiative zu verdankenden modernen Kopier- und Lesegeräte optimal benutzbar, was von vielen Archivbesuchern lobend und anerkennend vermerkt wird. Abschließend dankte Senator Dr. Sauberzweig dem aus dem Amt scheidenden Archivdirektor im Namen des Senats von Berlin für seine geleistete Arbeit und wünschte ihm einen aktiven und erfüllten Ruhestand. Im Namen der Mitarbeiter des Landesarchivs dankte Archivrat Dr. Wetzet Dr. Kutzsch für die langjährige und gute Zusammenarbeit, die durch gegenseitige Achtung und das Vertrauen auf Leistung und Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Mitarbeiter gekennzeichnet war. In einer sehr launigen Rede würdigte Dr. Schulze-Berndt, Schriftführer des Vereins für die Geschichte Berlins, Dr. Kutzschs Tätigkeit als 1. Vorsitzender des Vereins und Herausgeber des Ver180 einsjahrbuches „Der Bär von Berlin". Begleitet vom Beifall aller Anwesenden wünschte er ihm und dem Verein noch viele Jahre intensiver und fruchtbarer Zusammenarbeit. Bewegt dankte Dr. Kutzsch allen für die so freundliche und aufmerksame Würdigung seiner Arbeit, die mit dieser Verabschiedungsfeier zwar ihren offiziellen Abschluß gefunden hat, die aber trotzdem weiterwirken wird. Sabine Preuß Albert Brauer 75 Jahre jung Ein Berliner, der in Berlin geboren ist, ist heute fast eine Rarität - Albert Brauer ist es! Er wurde am 6. März 1905 in Berlin geboren. Seine Vorfahren waren Großbauern in der Mark, in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten dort angesiedelt. Sie waren echte Märker: fleißig, treu, beharrlich, preußisch. Wie viele Menschen um die Jahrhundertwende, so zogen auch sie in die Hauptstadt. Man verkaufte seinen Besitz, um als Berliner Bürger gut zu leben und an allen historischen Ereignissen teilhaben zu können. Die Inflationszeit machte diesem Traum zumeist ein Ende. Der Familie Brauer ging es nicht anders. Albert Brauer, als Schüler bereits begeistert für Sport und Spiel, war bis in die „Altherrenjahre" aktiv als Leichtathlet und Handballschiedsrichter tätig. Gleichzeitig galt sein besonderes Interesse der Historie in jeder Form. Gefördert wurde diese Neigung nicht nur von seinem Onkel, der als Lehrer auf diesem Gebiet tätig war, sondern vor allem von seinem Geschichtslehrer Dr. Hermann Kügler, mehrere Jahre Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins. Dr. Kügler verstand es, die Jugend für die Geschichte Berlins und Preußens zu begeistern. Wenn auch die Zeitumstände seinen verständlichen Berufswunsch, Geschichtslehrer zu werden, zunichte machten und der Weg des Kaufmanns Albert Brauer seine Höhen und Tiefen hatte, so sind doch seine Begeisterung und sein Interesse für viele Gebiete nicht erloschen. Der Musik und dem Theater, besonders aber der Vor- und Frühgeschichte (u.a. Museumsdorf Düppel, Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte) und vor allem als stellvertretender Schriftführer unseres, seines Vereins für die Geschichte Berlins widmet er viele Stunden des Tages, seines Lebens. Dabei wird der Name dieses Vorstandsamtes der immensen Arbeit gar nicht gerecht, die sich aus der Leitung der Geschäftsstelle des Vereins und aus der Bedeutung dieses Ehrenamtes ergibt. Seine Familie (drei Söhne und auch eine Frau) hat Verständnis für seine Tätigkeit und teilt seine Vorliebe in jeder Weise. Möge unserem verehrten Albert Brauer, dem man seine Jahre wahrlich nicht ansieht, auch künftig die Gesundheit erhalten bleiben. Wir danken für sein unbeirrbares Engagement und für sein langjähriges umsichtiges Wirken und gratulieren sehr herzlich. Wenn dieser Glückwunsch erst mit Verspätung abgedruckt wird, so geht dies auf die Bescheidenheit des Jubilars zurück, der von seinem Ehrentag kein Aufhebens machen wollte. H. G. Schultze-Berndt * Dem langjährigen verdienstvollen Geschäftsführer der Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens E.V. (GGB), unserem früheren stellvertretenden Schriftführer Erich Borkenhagen, jetzt Faßberg, ist auf der letzten Mitgliederversammlung einmütig die Ehrenmitgliedschaft der GGB verliehen worden. Neuer Geschäftsführer der GGB wurde als Nachfolger E. Borkenhagens Dr. Hans Günter Schultze-Berndt. . SchB. * Wie unser Mitglied Pfarrer i. R. Harald Hasper mitteilt, ist entgegen der Angabe im Nachruf auf Horst Behrend im letzten Heft unserer „Mitteilungen" der Trauergottesdienst neben dem Gemeindepfarrer der Luisenkirche von ihm selbst als langjährigem Freund des Verstorbenen und vom Charlottenburger Superintendenten Dr. Hans Storck gehalten worden. SchB. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Dr. Otto Boese, Frau Dr. Edna Crantz, Herrn Günther Groebe, Herrn Gerhard Hintze, Herrn Werner Lengricht, Herrn Johann Majewski; zum 75. Geburtstag Herrn Karlheinz Knirsch, Frau Frieda Senger, Frau Ilse Stein; zum 80. Geburtstag Frau Dorothea Axthelm, Frau Rose Marie Cramer, Frau Eva Paproth, Herrn Erich Starick; zum 85. Geburtstag Frau Toni Gundermann, Frau Lucie Schulze. 181 Buchbesprechungen Paul Clauswitz, Lothar Zögner: Die Pläne von Berlin von den Anfängen bis 1950. Nachdruck der Ausgabe von 1906 mit bibliographischen Ergänzungen und Standortverzeichnis. Bearb. v. Lothar Zögner unter Mitwirkung v. Elke Günther u. Gudrun K. Zögner. Berlin: Seitz 1979. IX u. 241 S., Ln., 78,50 DM. Wilhelm Bonacker: Berlin im Werden des Stadtplanes. Berlin: Kiepert 1979. 24 S. m. Abb., kart. 12 DM. Monumental-Plan der Reichshauptstadt Berlin mit nächster Umgebung. Maßstab 1:17 777. Bearb. u. hrsg. v. Julius Straube. Berlin: Schacht 1979. 44 DM. (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Julius Straube 1896.) 'Berlin die Praechtigst und mächtigste Hauptstatt des Churfürstenthums Brandenburg, auch Residenz des Königes in Preussen und florissanter Handels-Platz. Matthäus Seutter. Berlin: Kiepert 1979. 9,10 DM. (Nachdruck der Ausgabe Augsburg 1728.) Spandow - eine der vornehmsten Festungen der Christenheit. Aus der Architectura militaris moderna des Mathias Dogen (Historische Grundrisse, Pläne und Ansichten von Spandau, Blatt 1). Hrsg. vom Bürgerbeirat Zitadelle Spandau in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Spandau. Kommentiert von Hartwig Neumann unter Mitwirkung von Barbara Nowak und Andreas Kaiesse. Limitierte Auflage auf Bütten. Berlin-Jülich: Bürgerbeirat Zitadelle Spandau 1979. 25 DM. (Zu beziehen über: Bürgerbeirat Zitadelle Spandau, Andreas Kaiesse, Billstedter Pfad 2, Berlin 20; Buchhandlung Kiepert; Altstadtgalerie Spandau.) Das Interesse an älteren Publikationen zur Stadtgeschichte Berlins hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr auch auf den Bereich der historischen Karten ausgedehnt. So sind in letzter Zeit auch zahlreiche Neudrucke aus diesem Gebiet erschienen. Einige davon sollen im folgenden vorgestellt werden. Den besten Einstieg in die oft verwirrende Vielfalt der historischen Karten des Berliner Raumes gibt noch immer die von dem damaligen Stadtarchivar Paul Clauswitz verfaßte und von unserem Verein als Sonderpublikation — außerhalb der „Schriften" und der „Mitteilungen" - anläßlich der silbernen Hochzeit Kaiser Wilhelms II. 1906 herausgegebene Arbeit „Die Pläne von Berlin und die Entwicklung des Weichbildes". Dem jetzigen Direktor der Kartenabteilung in der Staatsbibliothek der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Lothar Zögner, gebührt das Verdienst, das 233 Nummern umfassende Kartenverzeichnis von Clauswitz um ein Vielfaches ergänzt und bis 1950 fortgeführt zu haben. Anders als Clauswitz fügt Zögner auch die Standorte der Karten hinzu. Hier zeigt sich freilich, daß ein beachtlicher Teil der von Clauswitz aufgeführten Karten heute für Zögner nicht mehr auffindbar ist. Dies dürfte nicht allein auf die Kriegsverluste — z. B. erlitt die einst umfangreiche Kartensammlung unseres Vereins beim Brand des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt die schwersten Verluste — zurückzuführen sein. Noch schwerer wiegt m. EL, daß das Stadtarchiv im Ostteil der Stadt nach wie vor unzugänglich blieb. Die Bestände der Staatsbibliothek (Ost), ohnehin durch gute publizierte Kartenverzeichnisse erschlossen, konnten dagegen voll einbezogen werden. Auf den Inhalt der Clauswitzschen Ausführungen zur Entwicklung des Weichbildes der Stadt Berlin geht der Herausgeber der Neuauflage hingegen nicht ein. Doch führte gerade die Beschäftigung mit diesem Problemkomplex, der 1906 hochaktuellen Frage der Stadterweiterung, zur systematischen Erfassung der Karten! Hier muß freilich angemerkt werden, daß zahlreiche hier geäußerte Auffassungen durch Ernst Kaeber, den Amtsnachfolger Clauswitz' im Stadtarchiv, revidiert worden sind. Trotz dieser Abstriche wird die leider zu einem sehr hohen Preis erhältliche Neuausgabe für jeden, der sich mit der Kartographie der Stadt Berlin beschäftigt, unentbehrlich sein. 1949 begründete der seinerzeit als Kartenverleger tätige Paul Lippa eine eigene Schriftenreihe, die „Kartographischen Miniaturen". In dem ersten Heft dieser Reihe, das hier als Nachdruck vorliegt, stellt Wilhelm Bonacker grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen Stadt und Stadtplan an. Für die Zeit vom 17. Jahrhundert an nahm er die Beispiele aus der Berliner Kartographie. In ansprechender Aufmachung und entsprechendem Preis liegt nun der Nachdruck des „MonumentalPlans der Reichshauptstadt Berlin" von 1896 vor. In der vielfarbig gedruckten Karte fallen vor allem die zahlreichen rot angelegten Eisenbahnlinien mit ihren Kopfbahnhöfen an der Peripherie der älteren Stadtviertel auf. Das Berliner Eisenbahnwesen befand sich zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung. Freilich ist in diesem „Monumental-Plan" nicht das ganze, 1896 verstädterte Gebiet, nicht einmal innerhalb der Ringbahn, enthalten. So fehlen etwa die bereits dicht bebauten Stadtteile 182 Rixdorf-Neuköllns. Im Westen hingegen, etwa im Bereich des damals noch zu den selbständigen Gemeinden Charlottenburg und Wilmersdorf gehörenden Kurfürstendamms, zeigt die Karte weite, unbebaute Rächen. So kann die Karte gleichsam als eine „Momentaufnahme" eines Zustands in der sich rasch entwickelnden Vergrößerung des städtischen Bereiches dienen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte Berlin mit ca. 100 000 Einwohnern die Bevölkerungszahl einer Großstadt. Einen guten Eindruck des Stadtumfanges dieser Zeit gibt der unter Verwendung zeitgenössischer Vorlagen entstandene Plan des Augsburger Geographen Seutter. Vor allem für den Bereich der Vorstädte erhält der Betrachter einen guten Überblick über den Stand der Bebauung zu dieser Zeit. Neben dem Stadtgrundriß enthält das Blatt eine ebenfalls nicht nach der Natur, sondern nach fremden Vorlagen erstellte Stadtansicht. Neben den hier vorgestellten, aus kommerziellen Erwägungen edierten Publikationen verdient das von interessierten Bürgern, dem „Bürgerbeirat Zitadelle Spandau", begonnene Unternehmen, historische Pläne und Ansichten von Spandau herauszugeben, besondere Beachtung. Das Blatt 1 der bibliophil gestalteten, jeweils numerierten Karten enthält einen Grundriß der Festung Spandau aus der in Amsterdam 1647/48 in drei Sprachen (lateinisch, französisch und deutsch) erschienenen Architectura militaris moderna des aus der Mark Brandenburg gebürtigen Festungsbaumeisters Mathias Dogen. Dem auf Bütten gedruckten Plan liegt eine gediegen gearbeitete, knappe Einführung mit den wichtigsten Informationen über die Karte und deren Autor bei. Man kann dem Unternehmen der Spandauer Bürger nur Glück wünschen! Felix Escher Walther G. Oschilewski: Heinrich Zille Bibliographie. Veröffentlichungen von ihm und über ihn. Hrsg. v. Gustav Schmidt-Küster. Hannover: Heinrich-Zille-Stiftung e. V./Fackelträger 1979. 84 S. m. 30 z.T. fbg. Abb., biblioph. Pappbd., Schutzgebühr 20 DM. Lothar Fischer: Heinrich Zille. Reinbek: Rowolt 1979. 158 S. m. Abb., brosch. 6,80 DM. (Rowohlt Bildmonographien, Bd. 267.) Winfried Ranke: Vom Milljöh ins Milieu. Heinrich Zille 1858-1929. Aufstieg in der Berliner Gesellschaft. Hannover: Fackelträger 1979. 344 S. m. z. T. fbg. Abb., Ln., 69 DM. Winfried Ranke: Heinrich ZUle. Photographien Berlin 1890-1910. München Schirmer/Mosel 1975/1979. 80 u. 196 S. m. Abb.,£rosch., 24,80 DM. Wolfgang Tschechne: Heinrich ZUle - Hofkonzert im Hinterhaus. München: Deutscher-TaschenbuchVerlag (Liz.) 1979. 192 S. m. Abb., brosch., 6,80 DM. Das kleine Zille-Buch. München: Heyne 1969 (7. Aufl. 1979). 108 S. m. Abb., brosch., 5,80 DM. (Reihe: Heyne Ex Libris.) Der 50. Todestag Heinrich Zilles am 9. August 1979 war Anlaß zu einigen Gedenkausstellungen und einer Anzahl neuer Zille-Bücher bzw. Neuauflagen älterer Werke. Wir stellen dieser Sammelrezension voran die sehr begrüßenswerte, von unserem Ehrenmitglied Walter G. Oschilewski für die Heinrich-Zille-Stiftung e.V. Hannover zusammengestellte Heinrich-Zille-Bibliographie. Aufgeteilt auf zwölf Abschnitte bringt der Verfasser eine 567 Nummern umfassende Übersicht über Bücher, Mappen werke, Vorzugsausgaben sowie Bilder in anderen Büchern / Texte von Heinrich Zille / Bühnenausstattungen, Plakate, Gelegenheitsarbeiten / Selbstbildnisse / Ausstellungskataloge / Über Heinrich Zille (Beiträge in Büchern und Zeitschriften) / Zille-Porträts / Verse und Lieder auf Zille / Zille-Filme, Zille-Bälle / Heinrich-Zille-Stiftung e.V. / Nachträge zu den verschiedenen Kapiteln. Man sieht, daß hier weit mehr geboten wird, als nur ein Literaturverzeichnis, zumal sehr viele Titel mit kommentierenden Hinweisen versehen sind. Eine kleine Richtigstellung der den unvorbereiteten Benutzer wohl irreführenden bibliographischen Angabe sei nachstehend gegeben. So steht unter Nr. 206 auf Seite 49: „Ausflug des Sparvereins Hoffmann nach Stralau". Großes Ölbild. 1913. In: Ehemals Landkreis Weißbierstuben, Berlin-Schöneberg, Siegfriedstraße 1. Die richtige Angabe muß lauten: „Ausflug des Sparvereins .Hoffnung' nach Stralau." Öl/Lwd., 1,11 X 5,40 m. 1913. Gemalt für Landres Weißbierstuben, Stralauer Straße 36/37. Zuletzt im Lokal Siegfriedstraße 1 (jetzt Czeminskistraße) in Berlin-Schöneberg. Das Verzeichnis ist mit farbigen und einfarbigen Abbildungen von Arbeiten Zilles illustriert; der einführende Text über Leben und Werk des Künstlers ist freilich durch die inzwischen erschienenen Biographien von Fischer und Ranke teilweise überholt. (Die Angabe auf Seite 14, daß Walter Zille, 183 drittes Kind von H. Z., 1901 geboren sei, dürfte ein Druckfehler sein, allgemein wird der 9. Januar 1891 als Geburtstag angegeben.) Gustav Schmidt-Küster, Chef des Fackelträger-Verlages, der die Rechte an Zilles Werk treuhänderisch verwaltet, stellt dem Band ein Vorwort voran, in welchem er darauf hinweist, daß das künstlerische Werk Heinrich Zilles bis jetzt noch keinen wissenschaftlichen Bearbeiter gefunden hat, bzw. über Anfänge hinaus nicht weiter gediehen ist, und ruft dazu auf, „daß sich doch noch eines Tages ein Zille-Enthusiast findet, der das gesamte Werk des Künstlers zu einem Werkverzeichnis zusammenfügt". „ . . . aber es gibt keine, auch nur ansatzweise, kritische Würdigung seines Werks und seines Lebens". Dieser Satz aus dem Vorwort der Zille-Bildmonographie von Lothar Fischer verliert jetzt seine Gültigkeit, denn hier liegt nun eine durchaus kritische Aufarbeitung dieses Themas vor. Der Autor, bereits mit zwei Bänden über Max Ernst bzw. Georg Grosz in dieser Reihe vertreten, legt mit diesem Band eine Arbeit vor, die zunächst einmal durch ihre sachliche Sprache und wohltuende Distanz auffällt. Dort, wo diese Sachlichkeit langatmig zu werden droht, läßt der Autor Zille zugeschriebene Zitate, Ausschnitte aus Briefen, Tagebuchnotizen und Anekdoten einfließen. Zeitgeschichtliches und teils bekannte teils unbekannte Fotos tragen dazu bei, daß Zille - endlich - von jenem Podest gehoben wird, das sich schon zu Lebzeiten des Künstlers aus falsch verstandener Verehrung, Sentimentalität, Halbwahrheiten und einem gewissen Wunschdenken zu bilden begann. Hier wird der gelungene Versuch unternommen, klar zu stellen, wie Zeit und Umwelt zum Werden und zum Ruf eines Heinrich Zille entscheidend beigetragen haben. „Pinselheinrich", wie er zunächst spöttisch, später liebevoll genannt wurde, konnte eben dadurch, getragen vom „Milljöh" jener Zeit, zum wohl populärsten Künstler Berlins werden, was sich auch in den letzten Jahren durch reichlich fließende Honorare auszahlte und damit die Mär vom „armen alten Zille" forträumt. Wie bei allen Heften dieser Reihe ergänzen Anmerkungen, Zeittafel, Zeugnisse seiner Zeitgenossen und eine kleine Bibliographie auch diesen Band. Für wenig Geld eine gute Sachinformation! Wesentlich umfangreicher, größer, mit vielen - teilweise farbigen - Bildern versehen ist die ZilleBiographie, die der Kunsthistoriker Winfried Ranke für den Fackelträger-Verlag geschrieben hat. Schon der Untertitel „Heinrich Zilles Aufstieg in der Berliner Gesellschaft" setzt den Schwerpunkt. Ranke, der wie Fischer, bemüht ist, mit den Legenden und Vorurteilen, die sich um die Vita Zilles ranken, aufzuräumen, bleibt manchmal etwas vorsichtig und deutet nur an. Andererseits sagt aber auch er ganz klar, daß Zille nicht der arme Arbeiter, sondern jahrelang der technische Leiter der „Photographischen Gesellschaft" war, bis er zu Ende des Jahres 1907 aus ungeklärten Gründen dort entlassen wurde. Auch an manch anderem Lack wird gekratzt. So wird u.a. der künstlerische Werdegang kritisch beleuchtet und betont, daß Zille eben nicht nur Meisterwerke geschaffen hat. Rankes Zurückhaltung kann man vielleicht damit entschuldigen, daß er gerade für jenen Verlag schreibt, der am tüchtigsten zur Ausbreitung der unkritischen Zille-Legenden beigetragen hat. Nach Ranke hatte bis Ende 1978 der Fackelträger-Verlag 342 860 Exemplare seiner Zille-Bücher verkauft und weitere 422 462 Exemplare waren durch Buchgemeinschaften als Lizenzausgaben verkauft worden. Es ist beiden, Autor wie Verlag, mit diesem Buch eine gute Publikation gelungen. Besonders die vielen erstmals farbig reproduzierten und teilweise unbekannten Abbildungen - Zille-Zeichnungen, Heliogravüren, Radierungen, Lithographien und Skizzen, kaum, wie bei Fischer, Familienfotos - machen den Band zusätzlich interessant. Sorgfältige Gestaltung und technische Ausführung sind positiv anzumerken, muß man doch bedenken, daß es sich hier keineswegs um eine bibliophile Ausgabe handelt, sondern um eine Publikation, die weite Leserkreise ansprechen will; wenn auch mit mehr sachlicher Information. Auch dieser Band verfügt über einen ausführlichen Anmerkungsteil, ein sehr sorgfältiges Abbildungsverzeichnis und eine Bibliographie; jedoch leider über kein Register. Nicht verschwiegen sei der Hinweis, daß dieses Buch von der Büchergilde Gutenberg/Frankfurt a. M. übernommen wurde und daß es auch zwei Vorzugsausgaben mit je einer Heliogravur bzw. Originalradierung gibt. Bereits 1975 erschien die erste Auflage eines Buches, das den Fotografen Heinrich Zille würdigt und das gleichzeitig der Katalog fUr die Wanderausstellung dieser 1967 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellten Fotografien war, die u.a. auch im Berlin Museum gezeigt wurde und deren Fotos später in den Besitz des Museums übergingen. Mit diesem Band machte Winfried Ranke zum ersten Male mit einer Arbeit über Heinrich Zille auf sich aufmerksam. Die Presse zollte ihr wohlwollende Anerkennung. Erst um 1967 begann man sich dafür zu interessieren, daß Heinrich Zille auch intensiv und mit Erfolg fotografierte, was aus der ansehnlichen Zahl von 318 Negativen und etwa 120 Abzügen, deren 184 Negative nicht mehr existierten, gut zu belegen war. Als Einstieg Zilles in jenes Metier kann etwa das Jahr 1888 belegt werden. Er benutzte verschiedene Plattenkameras, am häufigsten das Format 9 X 12 cm. Die ersten Motive gab die Familie her, bis dann Aufnahmen von Künstlerkollegen, Motive von Alt-Berliner Häusern und Straßen, Motive aus Charlottenburg und zahlreiche andere Dinge folgten. Die Fotografien Zilles sind wertvolle, gekonnt aufgenommene Zeitdokumente. Hin und wieder drängt sich der Vergleich mit jenen von Atget auf, doch liegt der entscheidende Unterschied darin, daß jener die Fotografie um ihrer selbst willen pflegte, während Zille sie auch zum Festhalten von Ideen und Gegebenheiten benutzte; vieles aus diesen Aufnahmen finden wir daher in seinen Zeichnungen wieder. Der Katalog bringt die in der Ausstellung gezeigten Exponate. Im Text, als geschlossener Block den Abbildungen vorangestellt, geht Ranke intensiv auf jedes einzelne Bild ein. Hier ist auch Kritik angezeigt insofern, daß zwar die Bildnummern im Text durch fette Auszeichnung hervorgehoben sind, die Titel jedoch nicht unter den Bildern stehen. Die eventuelle Meinung, daß diese Zeilen vielleicht den individuellen Eindruck des Bildes zerstören könnten, wiegt u.E. nicht so schwer, wie das lästige Suchen durch achtzig Seiten hindurch nach dem Bildtitel, der sich, wie gesagt, im Vortext befindet. Auch drucktechnisch ist noch ein störendes Moment anzumerken. Die Abbildungen, die, um den alten Fotocharakter zu erhalten, mit einem gelben Fond unterlegt sind - ein durchaus richtiger Weg - „schwimmen" teilweise (z.B. Abb. 22, 23, 2 ) in diesem Fond und nehmen den Bildern, technisch bedingt, einen großen Teil der Tonwerte im hellen und mittleren Bereich. Sorgfältigere, bzw. weniger Farbführung wäre den Bildern sehr zugute gekommen. Die letzten beiden Bände „Hofkonzert im Hinterhaus" und „Das kleine Zille-Buch" schwimmen noch auf der Zille-Welle mit, deren Fragwürdigkeit nach dem Studium der beiden Biographien noch offenkundiger wird. Zille als Zentralfigur des „Milljöhs", der Schickeria der „Goldenen Zwanziger" war für den wirklichen Kenner der Zeit nie akzeptabel und müßte durch die zuvor besprochenen beiden Zille-Biographien endgültig widerlegt sein. Ebenso überholt für die Vermittlung des Künstlers Heinrich Zille sollten nun Komplikationen wie „Kleine" (und ähnliche) Zille-Bücher sein, die durch die ermüdende Wiederholung der bekanntesten Zille-Zeichnungen nichts Neues mehr bringen. Um der Chronistenpflicht zu genügen, muß noch vermerkt werden, daß neben vielen Gedenkartikeln für den Künstler in Zeitschriften und Tageszeitungen auch der Bertelsmann-Lesering in Gütersloh seinen Mitgliedern ein Zille-Buch anbot. Der Verlag Schirmer/Mosel in München brachte in einer wohlgestalteten Faksimile-Ausgabe die „Hurengespräche" heraus, die 1913 von Heinrich Zille unter dem Pseudonym ,W. Pfeifer' geschrieben und gezeichnet und vom Verlag Fritz Gurlitt herausgegeben wurden. H.-W. Klünner IC. P. Mader Märkische Sagen. Berlin und die Mark Brandenburg. Hrsg. v. Ingeborg Drewitz. Düsseldorf/Köln: Diederichs 1979. 306 S. m. Abb., geb., 19,80 DM. Ingeborg Drewitz zeigt uns, welch reichen Sagenschatz Berlin und die (alte) Mark Brandenburg aufzuweisen haben. Sie geht von Berlin aus über die Randgebiete vom Müggelsee bis Postdam hinein in die Mark und dann im großen Bogen über Luckau und die Prignitz bis zur Neumark. Den Abschluß bilden die Sagen aus dem wendisch-sorbischen Kulturkreis, dem Spreewald und der Lausitz, mit ihren unergründlichen Mooren und tiefen Wäldern, wo sich germanische, slawische und christliche Bräuche vermischten. Aus Berlin erfahren wir - um nur einige Beispiele zu nennen von dem von einem Menschen erschlagenen Riesen, dessen eine Rippe am Molkenmarkt aufgehängt wurde, oder von der unschuldig am „Galgenhaus in der Brüderstraße" gehenkten Dienstmagd und wie die Jungfernbrücke ihren Namen erhielt. Es fehlt nicht die Sage vom Ritter Kahlbutz, dessen Leichnam noch heute - weder einbalsamiert noch sonst präpariert - als dreihundertjährige Mumie in der Kirche zu Kampehl eine Touristenattraktion darstellt. Das Buch ist mit einer Fülle von Lithografien und einigen Stichen illustriert und mit einem umfangreichen Ortsregister sowie Literatur- und Quellenverzeichnis versehen. Sicher kann es den einen oder anderen Leser, vor allem der jüngeren Generation, anregen, auf den Spuren der Herausgeberin die nähere und weitere Umgebung Berlins zu erkunden. Irmtraut Köhler 185 Gabriele Seelmann: Treffpunkt Kongreß- und Messestadt Berlin. Führer mit Stadtplan 1:27 500, Straßenverzeichnis, Übersichtskarte der Sehenswürdigkeiten 1:42 500. Vorwort: Ilse Wolff. Berlin: Kiepert 1979. 104/32 S. m. zahlr. Abb., brosch.. 12,80 DM (Stadtplan und Übersichtskarte ohne Führer 6,40 DM). „Nach dem Motto so knapp wie möglich, aber so ausführlich wie nötig zeichnet die Journalistin Gabriele Seelmann ein lebendiges Kurzportrait von Berlin." Diesen einführenden Worten der ehemaligen Leiterin des Verkehrsamtes, Frau Dr. Ilse Wolff, kann man sich anschließen, wirft man einen Blick in den Führer. In Form einer Stadtführung werden die Sehenswürdigkeiten vorgestellt. Jedoch muß man wissen, daß allein der „City-Bummel" gut 40 km lang ist, ganz zu schweigen von den „Kurz-Trips durch die Bezirke". Der Text liest sich recht flüssig und weist z.T. sehr prägnante oder humorvolle Formulierungen auf. Leider haben sich einige sehr ärgerliche Fehler eingeschlichen. So war z.B. Schlüter nicht direkt am Bau des Charlottenburger Schloßes beteiligt; das vermeintliche Foto vom Schloß Bellevue zeigt die Gemäldegalerie Dahlem, der außerdem noch die Bilder von Friedrich, Menzel, Courbet, Manet und Monet zugeschrieben wurden. Diese Werke gehören jedoch zum Bestand der Nationalgalerie. Auch war Carstenn vor jetzt 114 Jahren der Begründer der Villenkolonie Lichterfelde und lebte und wirkte nicht im 17. Jahrhundert. Bei weiteren Auflagen sollte man den - im kulturellen Bereich - recht ausführlichen Führer von diesen Fehlern befreien und - um ihn noch vielseitiger verwendbar zu machen — u. a. Hotels, Gaststätten und typische Berliner Lokale in den Inhalt aufnehmen. Ein Viertel des Führers behandelt den Ostteil der Stadt und Potsdam, wobei leider nicht gesagt wird, wie man dorthin gelangt. Der beiliegende Stadtplan vom Reise- und Verkehrsverlag zeigt auf der einen Seite den größten Teil von West-Berlin außer den Randgebieten nördlich von Tegel und des Nordgrabens und südlich der Linie Alt-Mariendorf—Rathaus Zehlendorf. Auf der Rückseite ist eine ausführliche und nützliche Übersichtskarte mit den Sehenswürdigkeiten der ganzen Stadt. Über die Hälfte der 172 Hinweise sind bildlich dargestellt, was ein leichtes Wiedererkennen an Ort und Stelle zwar gewährleistet, doch wäre eine Karte von Potsdam und ein Verzeichnis der wichtigsten BVG-BusLinien sinnvoller gewesen. Der Verlag empfiehlt seinen Führer „zur Information und als Erinnerung an Berlin". Diesen Anspruch erfüllt er nur unvollkommen. „Zur Urlaubsplanung in und als Begleiter durch Berlin" ist daher noch die zusätzliche Benutzung eines Programm-Magazins anzuraten, wo die notwendigen Angaben zu finden sind. Der nächsten Auflage sind diese jetzt fehlenden Ergänzungen unbedingt zu wünschen. Rüdiger Brauer Voranzeige der Studienfahrt nach Minden Die diesjährige Exkursion soll von Freitag, 26. September, bis Sonntag, 28. September 1980, nach Minden führen. Eine hinreichende Zahl von Hotelzimmern wurde bereits vorsorglich reserviert. Das Programm sieht u. a. eine ganztägige Exkursion durch das Gebiet des ehemaligen preußischen Fürstentums Minden sowie einen Vortrag und eine Stadtführung mit Besichtigung des Domes und des Domschatzes in Minden vor. Ferner ist eine Rundfahrt am Wasserstraßenkreuz geplant, die gegebenenfalls bis zur Porta Westfalica fortgesetzt werden soll. Im Heft 3/1980 der „Mitteilungen" wird das ausführliche Programm veröffentlicht. Unverbindliche Voranmeldungen können jetzt schon an den Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, gerichtet werden. SchB. 186 Unser Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird im Herbst erscheinen. Die Mitglieder erhalten dann den Band zugestellt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr entrichtet haben. Der Ladenpreis wird bei ca. 24 DM liegen. * Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (lt. Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehender Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM). * Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten. Tagesordnung der ordentlichen Mitgliederversammlung 1. Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts 2. Berichte der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer 3. Aussprache 4. Entlastung des Vorstands 5. Wahl von je zwei Kassenprüfern und Bibliotheksprüfern 6. Verschiedenes Anträge aus den Kreisen der Mitglieder sind bis spätestens 26. April 1980 der Geschäftsstelle einzureichen. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten. Im I. Vierteljahr 1980 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Michael Altmann, Versicherungskaufmann Holsteinische Straße 17, 1000 Berlin 41 Tel. 8 5157 35 (Fr. Pakasa) Hans-Jörg Bonz, Beamter Bolivarallee 17 A, 1000 Berlin 19 Tel. 8 65 23 75 5 (Bibliothek) Klaus-Peter Fleck, Verwaltungsbeamter Hilssteig 26,1000 Berlin 37 Tel. 8 13 26 96 (K. H. Kretschmar) Dr. Armgard v. Gaudecker, Ärztin Joachim-Friedrich-Straße 42, 1000 Berlin 31 Tel. 8 91 69 84 (Frau Brast) Alfred Krause, Bartningallee 4, 1000 Berlin 21 Tel. 3 92 51 25 (Frau Kaatz) Ursula Raths, Abteilungsleiterin Schwäbische Straße 7 b, 1000 Berlin 30 Tel. 2 1164 71 (Brauer) Jürgen Riedel, Dipl.-Ing. Bonhoefferufer 4, 1000 Berlin 10 Tel. 3 44 19 49 (Günther Linke) Fritz Schaletzke, Verwaltungsdirektor i. R. Sächsische Straße 52,1000 Berlin 31 Tel. 87 59 26 (Frau Brader) 187 Veranstaltungen im II. Quartal 1980 1. Dienstag, den 15. April 1980, 19.30 Uhr: Herr Wolf Rothe präsentiert „Wenn Du meine Tante s i e h s t . . . " Berliner Impressionen der 20er Jahre in Film- und Tondokumenten. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonnabend, den 26. April 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Beständeausstellung im Neubau des Bauhaus-Archivs, Klingelhöferstraße 13/14. Führung: Herr Hans-Werner Klünner. Fahrverbindungen: Busse 9, 16, 24, 29. 3. Dienstag, den 6. Mai 1980, 19.30 Uhr: Jahreshauptversammlung. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. Die Tagesordnung ist auf Seite 187 abgedruckt. 4. Sonnabend, den 10. Mai 1980, 10.30 Uhr: „Von Deutsch-Rixdorf nach BöhmischRixdorf". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Richardplatz, Ecke Richardstraße. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Karl-Marx-Straße, Busse 41, 65, 95. 5. Dienstag, den 20. Mai 1980, 17.00 Uhr: Besuch der Ausstellung „Danzig - Bild einer Hansestadt" im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Archivstraße 12, 1000 Berlin-Dahlem. Führung: Herr Archivoberrat Dr. Peter Letkemann. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Dahlem-Dorf, Busse 1 und 68. 6. Dienstag, den 3. Juni 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Ing. Rudolf Krug „Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen von Berlin aus" mit „handlichen" Beispielen. Vortragsraum des Berliner Post- und Fernmeldemuseums, An der Urania 15. Fahrverbindungen: Busse 19, 29, 73, 85 und U-Bahnhof Wittenbergplatz. 7. Sonnabend, den 14. Juni 1980, 11.00 Uhr: Besuch des Hugenotten-Museums, Platz der Akademie, DDR —Berlin 108. Treffpunkt vor dem Französischen Dom. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Hausvogteiplatz, Busse 32,57, 59. 8. Freitag, den 27. Juni 1980, 15.00 Uhr: Führung durch das Schillertheater der Staatlichen Schauspielbühnen. Treffpunkt vor dem Eingang, Bismarckstraße 110, 1000 Berlin 12. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank, Kaiserdamm 95, 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 4 1 ; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 188 'WM'. ^öi~~i^.;C:, A1015FX MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 76. Jahrgang Heft 3 Juli 1980 *ClM(Ae*JLtAy. 189 IMe Überwindung der Diaspora /Die Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottenburg Von Eleonore Liedtke In dem gleichen Jahr, in dem Charlottenburg sein 275jähriges Bestehen feiert, kann das Bistum Berlin auf 50 Jahre seiner Geschichte zurückblicken. Zudem findet 1980 zum dritten Mal ein Deutscher Katholikentag in Berlin statt, und Charlottenburg ist für die Zentralveranstaltungen der gastgebende Bezirk. Dieses Zusammentreffen historischer Jubiläen bildet Anlaß, Rückschau zu halten. Bei der Gliederung der folgenden Ausführungen war leitender Gesichtspunkt, die Anfänge der katholischen Kirche in Charlottenburg von der Gründung der Mutterkirche Herz-Jesu in Alt-Lietzow Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Ausfaltung in die einzelnen Tochtergemeinden und Seelsorgezentren aufzuzeigen. An einigen Stellen lassen sich, bedingt durch die geschichtliche und systematische Aufgliederung, Überschneidungen nicht ganz vermeiden. Zur Zeit der Gründung des Bistums Berlin umfaßte das Archipresbyterat Charlottenburg das heutige Dekanat Charlottenburg und die Stadtteile Deutsch-Wilmersdorf, Haiensee und Grunewald. Heute umfaßt das Dekanat Charlottenburg die Pfarreien Herz Jesu, St. Canisius, Heilig Geist, St. Kamillus, Maria Himmelfahrt, Regina Martyrum und St. Thomas 1 . Wenn auch Charlottenburg keine lange katholische Tradition aufzuweisen hat, so fallen die Anfänge einer katholischen Gemeindebildung in Charlottenburg in die Zeit, da noch der Fürstbischöfliche Delegaturbezirk Berlin, Brandenburg, Pommern bestand, der von 1821 bis 1930 zum Erzbistum Breslau gehörte. Diesen Delegaturbezirk leitete der Fürstbischöfliche Delegat, der der jeweilige Propst von St. Hedwig, Berlin, war. Jener Pioniergeneration schlesischer Priester sind der Aufbau und die erste Ausbauphase der katholischen Kirche sowohl in Berlin als auch in Charlottenburg zu verdanken. Sie bilden gleichsam die „Säulen", auf denen das junge Bistum ruht, dessen Tag der Errichtung sich in diesem Jahre, am 13. August 1980, zum 50. Male jährt. l.Teil Von den Anfängen bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft Die Entstehung des Wirkens der katholischen Kirche in Charlottenburg seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist der Initiative einiger katholischer Laien zu danken. Einen eigenen katholischen Seelsorger2 hatten weder das Dorf Lietzow, das später zu Charlottenburg gehörte, noch die Stadt Charlottenburg vor dem Jahre 1858 gehabt. Die einzeln hier wohnenden Katholiken hielten sich zur St.-Hedwigs-Kirche in Berlin. Zu einer Art Gemeindebildung kam es im Jahre 1845, als der katholische Eichsfelder Barbier August Meer etwa 30 Glaubensgenossen, meist Handwerker, um sich sammelte, um Gottesdienste von St. Hedwig aus einzurichten; Propst Anton Brinkmann selbst feierte die erste heilige Messe im Hause des Justizrates Robert in der Wilmersdorfer Straße für die damals 150 in Charlottenburg wohnenden Katholiken. Geistliche von St. Hedwig - und ab 1848 waren es geistliche Abgeordnete - waren bereit, in Mietlokalen Gottesdienst zu halten. Im Herbst 1851 kam der Saganer Pfarrer Eduard Müller3 als Missionsvikar nach Berlin. 190 Müller, mit dem Beinamen Mües Christi und Apostolus Berolinensis, hielt in Abständen von zwei bis drei Wochen in stets wechselnden Lokalen Charlottenburgs Gottesdienste ab. Am 16. August 1855 konnte Propst Leopold Pelldram auf dem Grundstück Lützowplatz 10 eine kleine Kapelle benedizieren, die der auf über 400 Seelen angestiegenen Gemeinde einen festen religiösen Mittelpunkt gab. Als auf Veranlassung von Propst Pelldram und Missionsvikar Müller die „Schwestern vom guten Hirten" aus München zur Übernahme eines Heimes für gefallene und gefährdete Mädchen am 11. Februar 1858 in Charlottenburg eintrafen, wurden ihnen Missionshaus und Kapelle zur Verfügung gestellt. Die Bonifatius-Kapelle wurde fortan gemeinschaftlich von der Orts- und Klostergemeinde genutzt, und der Hausgeistliche des Klosters übernahm zugleich die Gemeindeseelsorge. 1863 wurde die 500-Seelen-Gemeinde zur Missionspfarrei erhoben und im September staatlich anerkannt. Wie armselig die Anfänge der Gemeinde waren, zeigt die Tatsache, daß der Unterricht an der auf eigene Faust vom Pfarrer gegründeten katholischen Schule in der aus zwei Räumen bestehenden Pfarrwohnung stattfand. Die pfarrherrliche Eigeninitiative fand zwar nicht den Beifall des Magistrats, zeitigte jedoch den Erfolg einer nachträglichen Anerkennung der katholischen Privatschule. Als die Bonifatius-Kapelle für die sonntäglichen Gottesdienste und die abendlichen Herz-Jesu-Andachten zu klein geworden war, wurden ausgedehnte Sammlungen für den Neubau einer Herz-Jesu-Kirche abgehalten. Am 8. September 1875 konnte der Grundstein für das von Hubert Stier entworfene Gotteshaus gelegt werden, einem dreischiffigen roten Backsteinbau mit gotisierenden Formen. Die Kirchweihe jedoch war mit etlichen Komplikationen verbunden, denn sie durfte nur mit Genehmigung des zuständigen Bischofs vollzogen werden. Doch dieser, der Erzbischof von Breslau, war im Zuge der Auseinandersetzungen des Kulturkampfes abgesetzt und der Vollzug bischöflicher Handlungen mit Gefängnisstrafen bis zu sechs Monaten belegt worden. Daher vernichtete man vor der Weihe die schriftliche Genehmigung. Die Chronik berichtet, daß die Kirche nicht konsekriert werden konnte, daß sie aber auf Christi Himmelfahrt, am 17. Mai 1877, bei verschlossener Tür frühmorgens um 4 Uhr von Propst Rudolf Herzog benediziert wurde. Sechzig Jahre später, am 3. Oktober 1937, konnte nun endlich das nachgeholt werden, worauf die Herz-Jesu-Gemeinde so lange gewartet hatte, daß nämlich die bisher nur benedizierte und inzwischen gründlich renovierte Kirche von Bischof Konrad von Preysing konsekriert wurde. Eine Wende trat im Leben der Herz-Jesu-Pfarrei ein, als am 18. März 1913 Bernhard Lichtenberg zum Pfarrer investiert wurde. Bis zu seiner Berufung zum Pfarrer an der St.-Hedwigs-Kirche und in das Domkapitel zur Heiligen Hedwig Anfang 1931 wirkte er siebzehn Jahre lang als „Pastor bonus" von Charlottenburg. Er ist der eigentliche Schöpfer des katholischen Charlottenburg. Weit über die Grenzen Berlins hinaus ist Lichtenberg jedoch bekannt geworden durch sein öffentliches Eintreten gegen die Tötung von Geisteskranken und für sein abendliches Beten in der St.-Hedwig-Kathedrale für die verfolgten „nichtarischen Christen und Juden" in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Der Leidensweg des Bekennerpriesters Lichtenberg führte von der Untersuchungshaft in Moabit ins Strafgefängnis Tegel. Sein Leben besiegelte er als Blutzeuge am 5. November 1943 auf dem Transport ins KZ Dachau bei Hof in Bayern, Diözese Bamberg. Bernhard Lichtenberg gehört zu jener aus Schlesien stammenden und sich in der Berliner Seelsorge voll entfaltenden Priestergeneration, die am Aufbau des Bistums Berlin in verantwortlicher Stellung mitwirkte. 191 Kapelle der Schwestern vom Guten Hirten in Alt-Lietzow, Vorläufer der Herz-Jesu-Kirche (Ausschnitt aus einem Ölgemälde von 1853). Im schlesischen Ohlau an der Oder am 3. Dezember 1875 geboren, lernte er in diesem überwiegend protestantischen Städtchen von Kindheit an die Auswirkungen und das Zusammenhalten von Katholiken in der Kulturkampfzeit kennen. An der im 19. Jahrhundert wohl berühmtesten theologischen Fakultät des Kontinents, in Innsbruck, begann er seine theologischen Studien, die er dann an seiner Heimatuniversität Breslau vollendete. Seine Heimatprimiz in Ohlau war dort die erste öffentliche Prozession seit dem Kulturkampf. Seine erste Kaplanstelle führte ihn nach Neiße, ins „schlesische Rom". Die Jahrhundertwende brachte auch für Lichtenberg eine schicksalhafte Wende. Am 13. August 1900 wurde er in die Reichshauptstadt Berlin versetzt, genauer gesagt, nach St. Mauritius in Friedrichsberg bei Berlin, einer Poststation beim „Dorfe" Lichtenberg, wo ihn Pfarrer Nikolaus Kuborn in die Berliner Vorstadt- und Vorortdiaspora einführte. Im November 1902 wurde er als Kaplan für ein Jahr an die Charlottenburger Herz-Jesu-Kirche versetzt, um nach einem Umweg als Kaplan bei St. Michael, als Kuratus in Karlshorst-Friedrichsfelde und Berlin-Pankow am 18. März 1913 in diese Gemeinde zurückzukehren. Er betrat bekanntes Terrain. Auch jetzt legte er wie draußen in der weiten Diaspora seine ausgedehnten Wege im Dienste der Seelsorge am liebsten nach Art der Apostel zu Fuß zurück. Seine Versehgänge machte er nur in Soutane, Rochett und Stola. Über seine Abgeordnetentätigkeit äußert sich Lichtenberg später: „Ein Mitglied seiner Gemeinde, früherer Gouverneur von Ostafrika, regte Fridoiin (d.i. Lichtenberg) an, sich für ein Stadtverordnetenmandat zur Verfügung zu stellen. So kam Fridoiin zuerst in die Stadtverordnetenversammlung von Charlottenburg und dann von Groß-Berlin. In Charlottenburg schloß er sich der bürgerlichen, in Groß-Berlin der kleinen Zentrumsfraktion an. 192 Die Beteiligung am Windhorstbunde und an Zentrumsversammlungen sah Fridolin vom seelsorglichen Standpunkt an." 4 Als in Berlin der Schulkampf tobte, setzte sich Lichtenberg sehr für die katholische Schule ein. Im Charlottenburger Stadtparlament debattierte er heftig und gezielt gegen einen immer stärker nach vorwärts strebenden „Schriftsteller" von der Rechten, den späteren Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels. Leider sind aus jener Zeit keine Stenogramme erhalten. Aus dem Gebiet der Pfarrei Herz-Jesu war durch die ansteigende Bevölkerungszahl und die damit verbundene Katholikenzahl 1897 der Pfarranteil Deutsch-Wilmersdorf ausgegliedert und die Pfarrei mit der Kirche St. Ludwig errichtet worden. Als Lichtenberg seine Pfarrei übernahm, zählte sie 36 000 Seelen, die jetzt in der kleinen Kirche nur unzulänglich am Sonntag Platz fanden. Da eine solch große Gemeinde auch pastoral nicht zu erfassen war, ging der Pfarrer selbst auf Bettelreisen, kaufte mit diesem Geld Grundstücke für spätere Kirchen, richtete mit Hilfe seines beachtlichen Männervereins (etwa 400 Mitglieder) Gottesdienststellen ein, gewann drei Obere für die Übernahme von Kuratien, bekam Weltpriester für zwei Kuratien, und er behielt für sich die finanziell schwächste Pfarrei Herz Jesu. „Strategisch" teilte er sein Pfarrgebiet auf und errichtete in wenigen Jahren fünf Kuratien. Zwei Kuratien konnte er mit eigenen Kaplänen besetzen, für die drei anderen gelang es ihm, Orden für die Seelsorge in Charlottenburg zu gewinnen. Die Kuratie Jungfernheide hat sich erst in unseren Tagen durch die Gründung von Maria Regina Martyrum verwirklicht. Die Kuratie im alten Ortsteil Martinikenfelde, wohin auch die von Dominikanern geleitete Kuratie St. Paulus einen Pfarranteil hätte abtreten sollen, ist bis heute nur in Lichtenbergs Planung geblieben. Diesen Tochtergründungen von Herz Jesu, die sich zunächst mit Kapellen in Kellern, Reitbahn, Schulaula und Vereinssaal begnügen mußten, verhalf der Pfarrer zum Aufbau durch die jahrelang ausgedehnten Bettelreisen und Sammlungen in deutschsprachigen Diözesen. Diese Gründungen werden nun im einzelnen vorgestellt. Sie geben zugleich ein Bild des katholischen Lebens im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts. Als erster Männerorden ließ sich nach Lichtenbergs Wunsch der Jesuitenorden in Charlottenburg nieder. In seinen Sommerferien, die der Fürstbischöfliche Delegat und Propst Joseph Deitmer noch als Pfarrer von Berlin-Steglitz regelmäßig in Ordrupshoj bei Kopenhagen verbrachte und von wo er sich auch seine Vertretungen holte, kannte er das dortige deutsche Progymnasium. Außerdem hatte er wie Lichtenberg an der von Jesuiten geleiteten Universität Innsbruck Theologie studiert. Lichtenberg war zu diesem Plan, in Berlin das erste katholische Gymnasium nach der Reformation in Berlin zu gründen, aus seelsorglicher Besorgnis gekommen, nachdem Auseinandersetzungen mit Vertretern des evangelischen Bundes und Beobachtungen an der Haltung von Lehrern gegenüber katholischen Schülern vorausgegangen waren. Die angefragte niederdeutsche Ordensprovinz der Gesellschaft Jesu war durch das ideelle und finanzielle Angebot, auch in Berlin ein Vollgymnasium aufzubauen, arg in Verlegenheit gebracht. Aber das Berliner Angebot lockte trotz aller anderen Planungen. Der Provinzial sah ein, daß die Berliner Neugründung Vorrang vor allen anderen Plänen haben müsse, und gegen den Bischof von Osnabrück argumentierte er, daß ohne die Hilfe der Jesuiten die Berliner Katholiken, die fast zehnmal stärker an Zahl und Bedeutung waren als die Hamburger, überhaupt keinen katholischen höheren Unterricht für die männliche Jugend erhalten, während in Hamburg schon katholische höhere Schulen bis zur mittleren Reife bestanden. 3 Allen anderen verlockenden Angeboten zum Trotz entschied sich die Leitung der nieder193 deutschen Ordensprovinz der Jesuiten für den Aufbau eines Vollgymnasiums in der Reichshauptstadt Berlin. Über die räumliche Lage schreibt der damalige P. Provinzial: „An der Neuen Kantstraße lag das herrschaftliche, in seiner ganzen Einrichtung sehr solide, um 1906 erbaute Mietshaus und auf dem Platze stand ein zwei Stockwerk hohes, über 1000 qm bedeckendes früheres Fabrikgebäude mit Zentralheizung, das seit Jahren vom Magistrat von Charlottenburg gemietet und für die katholische 33. Gemeindeschule eingerichtet war. Das ganze stellte Pfarrer Lichtenberg für die Gründung von Kuratie und Gymnasium zur Verfügung." 6 Zunächst wurde die Canisius-Kuratie von der Pfarrei Herz-Jesu abgetrennt, und am 16. November 1921 konnte Jesuitenpater Rembert Richard die erste heilige Messe feiern. Als Patron hatte man sich den „Praeceptor Germaniae" gewählt, den ersten deutschen Jesuiten mit dem latinisierten Namen Petrus Canisius. Ihren liturgischen Mittelpunkt fand die Gemeinde in der am 24. August 1924 benedizierten anheimelnden Kapelle in den Parterre- und Kellerräumen des späteren Gymnasiums am Lietzensee, Neue Kantstraße 2. Wegen der Genehmigung zur Gründung des Canisius-Kollegs durch den preußischen Kultusminister sollte noch Zeit vergehen. Der Antrag auf Bestätigung des Gymnasiums 1923/24 durch den Preußischen Landtag blieb unberücksichtigt, da sich ihm Kultusminister Otto Boelitz, der Sohn eines evangelischen Pfarrers in Wesel und Direktor des protestantischen Gymnasiums in Soest war, der Genehmigung persönlich widersetzte. Boelitz, seit 1921 Kultusminister, war Mitglied der von der sogenannten Großen Koalition gebildeten Regierung in Preußen, die zunehmend in Schwierigkeiten geriet. Von der Rechten und von der Linken wurde dem Zentrum ein Regierungsangebot gemacht mit dem Lockmittel der Genehmigung des Jesuiten-Gymnasiums in Berlin 7 . Da sich das Zentrum für die Zusammenarbeit mit der Linken entschied, verlor Boelitz seinen Posten als Kultusminister. Der bisherige Staatssekretär Carl Heinrich Becker von der Demokratischen Partei wurde sein Nachfolger. Schon während der Zeit der Vorverhandlungen war er dem Jesuitenkolleg in Berlin wohlwollend gesonnen, um sich damit beim Zentrum den Aufstieg zu ebnen. Nachdem auch die Frage des Konfessionsverhältnisses im Interesse des künftigen Canisius-Kollegs als Gymnasium mit rein katholischem Charakter gelöst war, schickte Kultusminister Becker seine grundsätzliche Zustimmung an den Fürstbischöflichen Delegaten, den Propst und Weihbischof Joseph Deitmer, in der „das Bedürfnis eines katholischen Gymnasiums für Berlin, die Hauptstadt Preußens und des Reiches" 8 anerkannt wurde. „An die Zentralbehörden seien ständig katholische Staats- und Reichsbeamte zu berufen, die daheim katholische Lehranstalten für ihre Kinder hatten und in Berlin nicht missen möchten; sie dürften hier nicht schlechter gestellt werden. So bestehe dieses Bedürfnis einzigartig in Berlin und auch dort nur für eine einzige höhere Lehranstalt für katholische Knaben." 9 In dem Schreiben des Provinzial-Schulkollegiums der Provinz Brandenburg und von Berlin vom 19. Februar 1925, in dem die Genehmigung erteilt wurde, zu Ostern 1925 eine katholische private höhere Schule für Jungen zu errichten, hieß es dann noch: „Der Herr Minister hat es im Interesse des konfessionellen Friedens und zur Vermeidung unnötiger Beunruhigung als erwünscht bezeichnet, daß bei der Wahl des Namens für die neue Schule auf die Empfindungen der evangelischen Bevölkerung Rücksicht genommen wird. Da nach einer Mitteilung des Herrn Fürstbischöflichen Delegaten an den Herrn Minister seitens der Gründer kein ausschlaggebender Wert auf die Bezeichnung ,Canisius-Colleg' gelegt wird, legen wir im Auftrage des Herrn Ministers nahe, bei der Wahl des Namens diesem Gesichtspunkte Rechnung zu tragen." 10 Als Name für das 194 Gymnasium am Lietzensee, Eingang. genehmigte Jesuitengymnasium wurde jetzt ein landschaftsgebundener gewählt, „Gymnasium am Lietzensee", aufgrund der Lage der Schule in der Nähe des sogenannten „Taufbeckens von Berlin", dem Lietzensee. Als der neue Pfarrer von Charlottenburg, Pfarrer Lichtenberg, zum ersten Mal seine Riesenpfarrei von etwa 36 000 Seelen durchwandert hatte und nach stundenlangem Marsch zu seiner Kirche zurückkehrte, sagte er sich: „Dieses Kirchlein soll also der religiöse Mittelpunkt für ein ganzes Armeekorps von Katholiken sein? Dabei hegt in dieser Pfarrei noch eine zweite eigene Pfarrei, die Gemeinde der Kranken, dort oben am Spandauer Berg, das städtische Krankenhaus Westend mit 1000 Betten, auf der Kirchstraße das ehemalige Krankenhaus der Stadt Charlottenburg, auf der Sophie-Charlotten-Straße und Pulsstraße das Bürgerhaus, das Auguste-Viktoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, das Entbindungshaus, das Kinderheim, auf der Berliner Straße die Edelsche Anstalt mit 400 Insassen, gegenüber der Augenklinik der Grauen Schwestern ein Sanatorium und dann eine Menge Privatkliniken, verborgen auf den großen Höfen der Berliner und Bismarckstraße. Diese große Gemeinde der Kranken und Alten verlangt nach einem eigenen Pfarrer. Wo nehmen wir den her?" 1 Durch die Anstellung eines vierten Kaplans in der Herz-Jesu-Gemeinde und durch das Entgegenkommen der Stadt Charlottenburg, die die Aula in der Nehnngstraße 10 für gottesdienstliche Zwecke an den Sonn- und Feiertagen zur Verfügung stellte, konnte am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1914 der erste Gottesdienst für die spatere St-Kamillus-Pfarrei stattfinden. Dieses Datum betrachtet die St.-Kamillus-Gemeinde als ihren 195 Geburtstag. Als Geistlicher wurde ein Kamillianerpater gewonnen, auch konnte der Provinzial der Kamillianer einen weiteren Mitbruder nach Charlottenburg schicken, um als Hausgeistlicher der Karmelitinnen und zugleich als Krankenhausseelsorger an den Charlottenburger Krankenanstalten zu wirken, denn gemäß ihrer Regel sind die Kamillianer zur besonderen Seelsorge an den Kranken verpflichtet. Obgleich dieser Orden zur damaligen Zeit noch keine selbständige Pfarrseelsorge auszuüben pflegte, machte Rom in diesem besonderen Falle eine Ausnahme. Am 27. November 1921 konnte der zuständige Bischof von Breslau, Adolf Kardinal Bertram, die Genehmigung zur Niederlassung des Kamillianerordens und zur Übernahme der Kuratie am Friedrich-Karl-Platz erteilen. In der Aula Danckelmannstraße wurde der erste Kuratus P. Hubert Beckers am 16. Juli 1921 in einem feierlichen Levitenamt eingeführt; zugleich wurde in allen Charlottenburger Gottesdiensten angekündigt, daß die ehemalige Reitbahn der Gardekürassiere in der Magazinstraße in eine Kapelle zu Ehren des Ordensstifters, des heiligen Kamillus de Lellis, umgebaut werden sollte. Dieser umgebaute Raum wurde am 25. März 1923 eingeweiht. Inzwischen hatte die Gemeinde das Grundstück Friedrich-Karl-Platz 7/8 erworben, das zwischen Miethäusern eingebaut, mit nur geringer Straßenbreite, sich weit in die Tiefe erstreckt. Hier wurden zunächst Pfarrhaus, Kloster und der Gemeindesaal eingerichtet. Die St.-Kamillus-Kirche, erbaut nach dem Entwurf von Hermann Mohr, ist umgeben vom Klostergebäude und vom Pfarramt und wurde am 26. Juni 1932 eingeweiht. Wie in der Mutterpfarrei Herz Jesu, so weist die Existenz des Kamillusheimes, direkt über der Kirche erbaut, auf den besonderen Akzent der Seniorenseelsorge in dieser Pfarrei hin. Die Pflege im Kamillusheim, einem Altenheim mit 47 Plätzen in Einzelzimmern - früher waren es in Mehrbettzimmern 100 Plätze - , sowie die Betreuung des pfarreigenen Kindergartens haben heute freie Schwestern und Kindergärtnerinnen übernommen, einen Dienst, der einst in den Händen der Schwestern Unserer Lieben Frau gelegen hatte. Da die Kamillianer als ein Krankenpflegeorden gegründet waren, nimmt es nicht wunder, daß einem Kamillianerpater die Krankenhausseelsorge an den städtischen Krankenanstalten Charlottenburgs, besonders im Universitätsklinikum Westend, anvertraut wurde. Die Anfänge der St.-Thomas-Gemeinde reichen bis in das Jahr 1913 zurück. Auf Antrag des neuen Pfarrers der Herz-Jesu-Gemeinde, Bernhard Lichtenberg, genehmigte die Schuldeputation der Stadt Charlottenburg, daß die Aula der 10. (katholischen) Gemeindeschule in Charlottenburg, Goethestraße 22, gegen Miete für katholische Gottesdienste zur Verfügung gestellt werden könne, denn es wurde eine gesonderte seelsorgliche Betreuung der Katholiken des sogenannten Charlottenburger Hochschulviertels angestrebt. Mit der am 5. Oktober 1913 von Pfarrer Lichtenberg in dieser Aula gefeierten heiligen Messe begann die Entwicklung der jetzigen St.-Thomas-Pfarrei. Fast zehn Jahre lang blieb diese Aula das religiöse Zentrum für die Katholiken südlich der Bismarckstraße zwischen Wilmersdorfer Straße und dem Zoo bzw. dem Knie, ein Gebiet, das wirtschaftlich blühte und zu den fortschrittlichsten Gemeinden Groß-Berlins gehörte 12 . Eine kirchliche Anfrage bei der Stadt Charlottenburg, ob ein öffentlicher Platz für den Bau einer römisch-katholischen Kirche zur Verfügung gestellt werden könne, wurde mit dem Hinweis beantwortet, daß die Plätze der Stadt als Grünflächen gedacht seien13. Doch blieb der künftige Seelsorgebezirk zunächst ohne eigene Kultstätte, denn die Schulaula mußte nach jedem Gottesdienst wieder für den Gesang- und Zeichenunterricht der Schule sowie für Schulfeste geräumt werden. Nur der leere Notaltar auf einem behelfsmäßigen Podium, durch einen Vorhang von der Aula getrennt, durfte stehen bleiben 14 . Erst Mitte des Jahres 1922 196 erhielt die werdende Kuratie einen festen eigenen Mittelpunkt, als für einen Preis von 1 500 000 RM das Grundstück Schlüterstraße 72 gekauft werden konnte. In diesem Hause war das katholische Privatlyzeum für katholische Mädchen unter Leitung von Fräulein Muche untergebracht, das zweitweilig von etwa 400 Schülerinnen besucht wurde. Als erster Kuratus wurde der langjährige Kaplan von Herz Jesu, Alois Piossek, bestellt, ein Seelsorger, der mit den Charlottenburger kirchlichen Verhältnissen bestens vertraut war und dem bald ein Kaplan beigegeben wurde. Diese am Tage Maria Lichtmeß 1924 durch Pfarrer Lichtenberg benedizierte Notkapelle St. Thomas und ein Zimmer, das als „Marienkapelle" benutzt wurde, dienten der bis 1936 kanonisch nicht errichteten Kuratiegemeinde mit einer Seelenzahl von 7000 Katholiken bis zum 13. November 1932, dem Tage der Benediktion der neuerbauten Thomaskirche in der Schillerstraße 102 durch Generalvikar Paul Steinmann, als Gottesdiensträume. Im Hinblick auf die Studenten der Umgebung war die Kapelle dem heiligen Thomas von Aquin geweiht. Diese Kapelle in der Schlüterstraße, später in St. Benedikt umbenannt, wurde der Ort, an dem Johannes Pinsk und Romano Guardini ihre Studentengottesdienste hielten. Als dritter Männerorden kamen die „Steyler Missionare" nach Charlottenburg. Als im Jahre 1921 der bekannte Ethnologe P. Wilhelm Schmidt aus der Gesellschaft des Göttlichen Wortes in Breslau seine „Christusvorträge" hielt, befand sich unter den Zuhörern auch Pfarrer Lichtenberg. Er trag P. Schmidt sein Anliegen vor, seine Riesengemeinde aufzugliedern, und bat um Vermittlung bei den Oberen, die sich ihrerseits schon mit dem Plan einer Niederlassung im Berliner Norden getragen hatten. Die Verhandlungen zogen sich noch ein Jahr hin, bis P. Eustachius Riedel in Berlin eintraf, um seine Wohnung im St.-Elisabeth-Krankenhaus bei den Grauen Schwestern in der Nußbaumallee 37/39 zu nehmen. Von diesem Standquartier aus „missionierte" er den westlichen Zipfel desjenigen Charlottenburger Pfarreigebietes, der bisher am meisten vernachlässigt war. Zu dem dichtbesiedelten älteren Teil zwischen dem heutigen Theodor-Heuss-Platz und der KöniginElisabeth-Straße trat ein ausgedehntes Villengebiet im alten Westend, das sich immer mehr nach Norden und Westen schob, mit Villen, Lauben, Siedlungen und Wohnblocks. P. Riedel bemühte sich sehr um die Seelsorge bei den Hausangestellten der reichen Villengegend. Da für diese neue Gemeinde noch keine Kirche vorhanden war, wurde der erste Gottesdienst am 16. Juli 1922 im St.-Elisabeth-Krankenhaus gefeiert. Weil die Zahl der Gemeindemitglieder erheblich anwuchs, wurde nun der Gottesdienst in die 1926 neugegründete Kapelle des St.-Hildegard-Krankenhauses, Thüringer Allee 12, verlegt. Eine neue Epoche begann für die Gemeinde, als durch die tatkräftige Unterstützung Pfarrer Lichtenbergs der Bau der Heilig-Geist-Kirche in der Bayernallee 28 gelang. Weil man die Kirche nur für ein Provisorium hielt, wurde sie am 18. Dezember 1934 durch Generalvikar Dr. Paul Steinmann nur benediziert. Martin Braunstorfinger lieferte den Plan zu dem schlichten einschiffig rechteckigen Bau, dessen rechts angefügter Glockenturm im Erdgeschoß die Eingangshalle bildet. Gedämpftes Licht erfüllt den flach gedeckten Kircheninnenraum durch beidseitige farbige Oberfenster, die christliche Symbole zieren. Bemerkenswert ist die Neugestaltung der Apsiswand durch Goldmosaik und dreizehn rote Feuerflammen des Heiligen Geistes, in die als Ptingstzeugin auch die Gottesmutter eingeschlossen ist. Nach einer Gesamtrenovierung des Gotteshauses, die den Zustand des Provisoriums beendete, wurde die Kirche endlich am 16. November 1960 von Julius Kardinal Döpfner konsekriert. Der Name Heilig Geist 197 weist hin auf die dritte Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die der Stifter der Steyler Missionare besonders verehrt hat. Erwähnenswert ist die Tatsache, daß in ein und derselben Gemeinde alle drei Gründungen von P. Arnold Janssen 15 präsent sind: 1. die Steyler Patres in der Gemeindeseelsorge, 2. die Dienerinnen des Heiligen Geistes von der ewigen Anbetung im Anbetungskloster St. Gabriel, das 1937 gegründet wurde, und 3. die Steyler Missionsschwestern, die von 1934 bis 1974 im St.-Hildegard-Krankenhaus arbeiteten. Als höhere Mädchenschule war die „Katholische Schule Liebfrauen" entstanden; und zwar gründete am 13. Mai 1895 Frau von Borell in der Spreestraße die erste katholische Privatschule für Mädchen in Charlottenburg, die später von Frau Burcyk geleitet wurde. 1909 übernahm Frau Direktorin Elfriede Muche die Leitung der Schule, verlegte sie in die Schlüterstraße 72 und erwirkte ihr die Anerkennung als „Lyzeum Muche". Im Jahre 1926 rief Pfarrer Lichtenberg die Schwestern Unserer Lieben Frau an diese seit 1895 bestehende private Töchterschule. Pfarrer Lichtenberg war von einer Genossenschaft zur anderen gewandert, um Schwestern für seine Schule zu gewinnen. Überall hatte er vergebens angeklopft, bis ihn sein Weg nach dem kleinen Ort Mühlhausen am Niederrhein geführt hatte, einen Ort, den er nicht einmal im Baedeker habe finden können. Anfangs schien die Hoffnung gering, aber durch die Verhandlungen mit der ehrwürdigen M. Maria Antonie gelang es, daß die Schwestern Unserer Lieben Frau vom 1. April 1926 ab die Schule als „Liebfrauenschule" übernahmen und weiterführten. Msgr. Lichtenberg blieb der Schule weiterhin als Religionslehrer verbunden und war den Schwestern bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo ein tatkräftiger Freund und Helfer. Sr. Borgia schreibt: „Als es in einer Abstimmung der Stadtverordneten um die dringend notwendige finanzielle Hilfe für die Schule ging, kam er, der selbst im Stadtrat war, von Wien mit dem Nachtzug herüber, gab seine Stimme ab und fuhr wieder zurück nach Wien. Die e i n e Stimme hatte die Finanzhilfe durchgebracht." 16 Im Jahre 1927 verlegten die Schwestern Unserer Lieben Frau die „Liebfrauenschule" nach dem Königsweg 23 und eröffneten eine einjährige allgemeine Frauenschule, einen Kindergarten sowie ein Internat. 1929 konnten zweijährige Lehrgänge zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen angegliedert werden. In „Maria am See", Kuno-FischerStraße 3, brachte man 1932 einen Teil der Vollanstalt unter, zu der das Lyzeum 1931 ausgebaut worden war. Die erste Reifeprüfung an der „Liebfrauenschule" wurde 1934 abgehalten. Im gleichen Jahre konnten die Schwestern das Schülerinnenheim „Maria Regina" in der Ahornallee 33 erwerben, ein Grundstück, auf dem noch heute die „Katholische Schule Liebfrauen" steht. Neben den großen Pfarreien und katholischen Schulen waren noch andere religiöse Mittelpunkte entstanden, die sich um Schwesternkonvente zentrierten. Eng mit der seelsorglichen Aufbauarbeit der Herz-Jesu-Pfarrei während der ersten fünfzig Jahre waren die „Schwestern vom Guten Hirten" verbunden. Die Wiege der Schwestern der Kongregation Unserer Frau von der Liebe des Guten Hirten in Berlin stand in Charlottenburg, wo ihr erstes Haus neben der Kapelle in Alt-Lietzow lag. Auf Veranlassung des Propstes von St. Hedwig, Leopold Pelldram, waren am 11. Februar 1858 vier Schwestern aus dem Provinzialhaus in München nach Charlottenburg gekommen. Obwohl es König Friedrich Wilhelm IV. nicht erwünscht war, eine derartige Anstalt in der Nähe seiner Residenz entstehen zu sehen, gab er doch seine Zustimmung für den Bau des Ordenshauses 17 . Allerdings waren die Räumlichkeiten anfangs sehr beschränkt. Der Strom der jungen Mädchen, die den Verlockungen der aufsteigenden 198 Anbetungskloster St. Gabriel, Inneres der Kirche. Großstadt zur Hauptstadt des Deutschen Reiches nicht gewachsen waren, nahm ständig zu. Sittlich gefährdete Jugendliche, denen die leitende Hand eines sorgenden Elternhauses meist fehlte, wurden ebenfalls den Nonnen zugeführt. Der Ruf, den die Fürsorge der Schwestern vom Guten Hirten genoß, war so groß, daß das Charlottenburger Heim bald überfüllt war, um alle aufnehmen zu können, die ihrer Hilfe bedurften. So plante man die Erweiterung oder auch die Einrichtung eines neuen Hauses in einer anderen Stadtgegend. 1887 konnte ein altes Fabrikgelände in Berlin-Reinickendorf erworben werden. Für Charlottenburg war der 8. Februar 1905 insofern ein dies ater, als die Schwestern mit 345 Zöglingen nach Marienfelde übersiedelten, weil sie dort ein großes Grundstück erworben hatten, auf dem nun ihr neues stadtbekanntes Kloster entstanden ist, das sie aber inzwischen aus Mangel an Schwesternnachwuchs an den Bischöflichen Stuhl abgetreten haben. Nur etwa zehn Jahre nach dem Wegzug der Schwestern vom Guten Hirten zogen in die Räumlichkeiten in der Lützowstraße die Karmeliterinnen vom Göttlichen Herzen Jesu ein. Diese Kongregation der Konvertitin Maria Teresa Tauscher van den Bosch, einer evangelischen Pfarrerstochter aus der Mark, ist 1891 auf dem Boden des Delegaturbezirks selbst entstanden. 1915, dem Jahre ihrer kirchlichen Anerkennung als Kongregation mit dem Ziel der Kinderpflege und Waisenerziehung, wurde in Charlottenburg das St.-Josephs-Heim für heimatlose Kinder gegründet, nach dem Modell des Josephsheims in der Pappelallee. Hier auf dem größeren Gelände der Niederlassung in Charlottenburg, das bis zur Spree hinunterreicht, wurde auch das Noviziat untergebracht. Heute wirken die Karmeliterinnen vom Kloster Sta. Trinita, dem Provinzialhaus, im Kinderheim und in der Kindertagesstätte von Herz Jesu. Auf dem Gelände des St.-Hildegard-Krankenhauses, Thüringer Allee 12, befand sich bereits 1870 ein Reservelazarett des Königin-Elisabeth-Regiments. Der Neubau des Garni199 sonslazaretts im Pavillonstil für ein westlich vom damaligen Exerzierplatz gelegenes Grundstück 18 war 1901 fertiggestellt. Bis 1926 soll es als Altenheim gedient haben. Vermutlich wird für die künftige Trägerschaft und Leitung dieses Hauses auch hier Pfarrer Lichtenberg seine vermittelnde Hand mit im Spiel gehabt haben, denn 1925 erfolgte die mietweise Übernahme der Anlage durch das Krankenhaus Reichskanzlerplatz GmbH; 1926 schloß der Deutsche Caritasverband in Freiburg einen Pachtvertrag mit der Stadt Berlin ab und übernahm die Trägerschaft dieses Krankenhauses. Im gleichen Jahre nahmen die Schwestern von der heiligen Hildegard ihre Arbeit im Krankenhaus auf und benannten es nach ihrer Schutzpatronin, nach der heiligen Hildegard von Bingen. Sie leiteten es bis zum 1. April 1934, da sie es aus Mangel an Kräften nicht länger halten konnten 19 . Aus dem Mutterhause zu Breslau stammt die Kongregation der Grauen Schwestern von der heiligen Elisabeth, die auf Betreiben Eduard Müllers nach Berlin gekommen waren. 1889 zogen sie in die Nußbaumallee 37/39 und gründeten das St.-Elisabeth-Stift, ein Krankenhaus mit fünfzig Betten. Ein kleines Erholungsheim, einen Kindergarten sowie eine Suppenküche für Arme richteten sie ein. Heute leiten sie dort das St.-Joseph-Krankenhaus, eine Spezialklinik für Augen-, Ohren-, Hals- und Nasenkranke. Ihre Hauskapelle ist die Urzelle der Heilig-Geist-Gemeinde. Im Anschluß an seine Teilnahme am Eucharistischen Weltkongreß in Chicago im Jahre 1926, nur mit einer Aktentasche als Reisegepäck, besuchte Msgr. Lichtenberg in Philadelphia das Anbetungskloster der Göttlichen Liebe. Der Wunsch des Pfarrers von Charlottenburg, auch in seiner Gemeinde ein Anbetungskloster zu errichten, traf sich genau mit der Absicht der Generaloberen, in Schlesien eine Niederlassung zu gründen, nur schwankte man hier zwischen Berlin und Schlesien. Die Entscheidung von seiten der Genossenschaft der Dienerinnen des Heiligen Geistes von der Ewigen Anbetung fiel zunächst zugunsten Schlesiens aus, da der Bischof von Olmütz zu seiner Genehmigung der Gründung in Leobschütz den Schwestern das frühere Kloster der Schulschwestern anbieten konnte. Die glaubensmäßige Situation der Millionenstadt Ende der zwanziger Jahre forderte die Errichtung eines Anbetungsklosters in Berlin als Oase der Stille und Anbetung heraus. Prälat Lichtenberg durfte selbst am 27. Mai 1937 den Grundstein zur Kapelle legen, die dann Bischof Konrad von Preysing gegen Jahresende konsekrierte. Das Anbetungskloster St. Gabriel, benannt nach dem Engel der Verkündigung, in Westend, Preußen- Ecke Bayernallee, ist das einzige Kloster seiner Art in ganz Berlin. Die Steyler Anbetungsschwestern, im Volksmund auch „Rosa Schwestern" genannt wegen ihrer rosafarbenen Tracht, sehen ihre Aufgabe in der immerwährenden Anbetung, in der restlosen Verfügbarkeit für Gott, um betend die Tätigkeit der Menschen in der Welt zu begleiten, auch während der Nachtstunden. Neben der Hostienbäckerei und der Paramentenfertigung liegt heute auch eine wichtige Aufgabe in der Wahrnehmung des Briefapostolats, um dem in der Großstadt sich einsam Fühlenden Antwort aus dem Glauben zu bieten. Anschrift der Verfasserin: Eleonore Liedtke, Ceciliengärten 25,1000 Berlin 41 1 2 Neue Dekanatseinteilung vom Dezember 1962, in: Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin vom 1. Januar 1963 (35. Jg.), Stück 1, S. 2 f. Diese Ausführungen lehnen sich stark an die unter dem Namen „Chronik der katholischen Gemeinde von Charlottenburg" geschriebene Pfarrchronik von Herz-Jesu an. Papst Pius DC. dehnte 1856 das Herz-Jesu-Fest auf die ganze Kirche aus. 200 3 Eduard Müllers Grab befindet sich in der St.-Eduard-Kirche in Berlin-Neukölln. Aufzeichnungen Lichtenbergs aus dem Gefängnis unter dem Pseudonym „Fridolin", Privatbesitz von Lichtenbergs Pfarrschwester an St. Hedwig, Schwester Stephana Ostendorf. 5 Bernhard Bley, Zur Geschichte des Canisius-Kollegs in Berlin, in: Mitteilungen an die deutschen Provinzen der Gesellschaft Jesu, 20 (1964), S. 196. 6 Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 195. 7 Bei der zögernden Einstellung der Ministerialbeamten hinsichtlich der Gründung eines Jesuitengymnasiums muß man auch berücksichtigen, daß seit der Aufhebung des „Jesuitenparagraphen" im Jahre 1917 erst verhältnismäßig kurze Zeit vergangen war. 8 Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 202. 9 Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 202. 10 Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 203. 11 Kamillusbote, 18. Jg. (1971), Mai-/Juni-Ausgabe. 12 Chronik von St. Thomas. 13 Chronik von St. Thomas. 14 Chronik von St. Thomas. 15 Gründer der Gesellschaft des Göttlichen Wortes, kurz Steyler Patres genannt nach ihrem Gründungsort Steyl in Holland an der Maas. P. Janssen stammte aus Goch am Niederrhein und wurde am Weltmissionssonntag 1975 selig gesprochen. 16 Petrusblatt, Nr. 19 (1976): Sr. M. Borgia: 50 Jahre Katholische Schule Liebfrauen. T. 1. 17 Kabinettsordre vom 19. Juni 1857, abgedruckt bei Wilhelm Gundlach, Geschichte Charlottenburgs. Berlin 1905, Bd. II, S. 462. 18 Chronik des St.-Hildegard-Krankenhauses. 19 Chronik des St.-Hildegard-Krankenhauses. Die Schwestern von der heiligen Hildegard gingen nach Alexanderdorf und gründeten später dort das Priorat St. Gertrud. 4 Jugeaderinnerungen an Onkel Toms Hütte >Von Gertrud Brummer Die Jugenderinnerungen der heute hochbetagt in einem Altersheim lebenden Gertrud Brummer geb. Kluge führen uns zurück in die große Zeit der Berliner Ausflugslokale um die Jahrhundertwende, als der Vater der Autorin 1904 das bereits zwei Jahrzehnte bestehende Ausflugslokal, das heute einem Teil Zehlendorfs seinen Namen gegeben hat, übernahm. Die hier leicht gekürzten Erinnerungen beginnen mit einer Beschreibung der Baulichkeiten. Diese entsprachen nicht denen der zuvor vom Vater gepachteten Restaurationen, z.B. „Habeis Neue Weinstuben" und das „Zoo-Restaurant". Frau Brummer führt aus: Hier war ein weites Betätigungsfeld für meinen Vater, Emil Kluge. Während in „Habeis Weinstuben" alles in hellstem elektrischem Licht erstrahlte, mußten wir in „Onkel Toms Hütte" mit Handlampen treppauf, treppab und von Zimmer zu Zimmer ziehen. Auf dem Hof befand sich eine Lampenkammer, in der 40 Messinglampen standen, die alle von einem dafür zuständigen Hausdiener gewartet wurden. Fließendes Wasser gab es auch nicht, es mußte mühselig aus zwei Brunnen - einer vor der Waschküche in der Nähe der Küche und der andere vor dem Garten auf dem mittleren Wagenplatz - herangeschleppt werden. Zur Wasserspeicherung stand ein großer Kupferkessel vor der Küche zur Verfügung, der durch einen schweren Deckel vor Verunreinigung geschützt war. Diese Mängel 201 waren für ein größeres Restaurant auf die Dauer nicht tragbar, und so mußte Vater viele Besprechungen mit Dr. Pasewaldt, dem Eigentümer von Onkel Toms Hütte und von dem ganzen umgebenden Wald, und mit der Gemeinde Zehlendorf pflegen. Das Resultat dieser Unterredungen war, daß binnen weniger Jahre die Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt wurden und wir elektrisches Licht und fließendes Wasser hatten. Auch draußen sorgte mein Vater für das Nötige. Er hatte einen Gärtner, der zusammen mit zwei Hausdienern einen Morgen Wald in einen Garten umwandelte. In diesem Garten ließ mein Vater mehrere Pfirsichbäume pflanzen, deren duftende Früchte die Bowlen für die Gäste verschönten. Neben dem Garten wurden allmählich große Mengen Holz gestapelt, und darunter fand ein Fuchs seine Behausung. Nachts bei hellem Mondenschein hörten wir sein heiseres Gebell, das bis in unsere Schlafzimmer drang. Für uns Kinder ließ mein Vater Turngeräte anbringen: eine Schaukel, ein Paar Ringe, ein Reck und eine Kletterstange, an denen wir unsere Kräfte erproben konnten. Montags ging mein Vater meistens nach guten Geschäftssonntagen zur Deutschen Bank nach Berlin, um dort das Geld - in kleinen Säckchen nach Werten sortiert — abzuliefern. Der Direktor der Deutschen Bank war damals Mankiewitz, der zu der Zeit auch Berater des Kaisers war. Als Reiter war er ein regelmäßiger Gast bei uns, und ich lernte ihn kennen, als er sich im Kontor mit meinem Vater unterhielt, und hatte das Glück, gemeinsam mit seiner Nichte, Luise Mankiewitz, auf sein Gut Selchow eingeladen zu werden. Noch weitere berühmte Leute - vor allem Schauspieler, Sänger und Tänzer - verkehrten bei uns; aus der Diplomatenwelt kehrte Dr. Solf, Staatssekretär im Reichskolonialamt, oft bei uns ein. Er kam mit seinen „Freitagsherren" jede Woche zum Abendessen und ließ sich von Küche und Keller verwöhnen. Eine andere Prominenz, die ich meiner schlechten Augen wegen des öfteren besuchen mußte, war der Berliner Augenarzt Professor Silex. Sein Wartezimmer war recht prunkvoll eingerichtet. Was mir am meisten imponierte, war ein rundes Sofa, von dem aus man gut die verschiedenen echten Gobelins bewundern konnte, die an den Wänden hingen. Er selbst zeigte sich nur im schwarzen Gehrock und kassierte für eine Untersuchung ein 20-Mark-Goldstück. Er riet mir, mich nach der Schulentlassung an Frau Dr. Castner zu wenden, die in Marienfelde eine Gartenbaulehranstalt leitete, was ich dann auch tat. Herr und Frau Silex machten weite Spaziergänge im Grunewald, wenn sie müde waren, pflegten sie bei uns einzukehren und ließen sich den Kaffee - wenn das nur immer möglich war — in der ersten Etage im Schlafzimmer meiner Eltern servieren. Dabei rauchte Frau Professor ihre Zigarre, und dies zu einer Zeit, wo ein solches Vorgehen bei Frauen unmöglich war, und gab meiner Mutter zu verstehen, daß es für eine Frau töricht wäre, so zu schuften. Das Arbeiten sei Sache des Mannes. In ihren vielen Arbeiten wurden meine Eltern von der „polnischen Anna" unterstützt. Mein Vater hatte sie auf der Suche nach Personal bei einer Vermittlung angetroffen und sie gefragt, ob sie Lust hätte, bei uns in der schönen freien Natur zu arbeiten. Sie sagte zu, und dies war der günstigste Griff seines Lebens. Anna arbeitete sich schnell ein. Sie blieb 20 Jahre bei uns in Onkel Toms Hütte und oblag vielen Pflichten; dazu gehörte das Beziehen der Leutebetten, die damals noch mit rot und blau karierten Bezügen versehen waren. Ferner zog sie die Küken in der warmen Badestube auf, von denen wir bald hundert Stück besaßen, auch fütterte sie die Hühner, Kaninchen und Tauben. Eine polnische Eigenart von ihr war, daß sie meinen Eltern als Dankesbezeugung die Hand küßte. Wir stellten dies immer mit Erstaunen zu Weihnachten fest. Zwischen ihr und uns Kindern entwickelte sich 202 Restaurant Onkel Toms Hütte, 1907. bald große Vertrautheit, so daß wir uns auch untereinander duzten. Ihr Charakter war nur lobenswert. Als Vater uns einen eleganten, offenen Landauer kaufte, waren wir hell begeistert. Er war dunkelblau ausgeschlagen, und noch heute sehe ich seine Lampen leuchten. Er wurde in dem Raum untergestellt, wo die große Wäschemangel stand und auf das sorgsamste gepflegt. Außer dem Landauer besaßen wir noch eine Art Kremser, der zu den Markttagen in Zehlendorf gebraucht wurde, und einen hohen vierrädrigen Wagen, der uns jeden Tag zur Schule beförderte. Im Winter war das Aufregendste für uns Kinder der Besuch der „Eiser", die mit schweren Pferden und Wagen kamen und die Stille der Natur mit dem Geräusch ihrer Eissägen unterbrachen. Sie hatten natürlich durch ihre schwere Arbeit einen gesunden Appetit und wurden auch immer bestens von meiner Mutter verpflegt. Das vom Riemeistersee losgesägte Eis, das der Frischhaltung des Fleisches diente, wurde auf die Wagen geladen und zu einem Teil in den muffig riechenden Eiskeller gebracht oder auch in die unterirdische Kelleranlage unter dem Hof. Ein anderer Teil des Eises wurde im Walde gelagert und durch eine dicke Schicht Kiefernnadeln gegen die Sommerhitze geschützt. Wir Kinder wußten damals nicht, daß Kiefernnadeln ein so gutes Isolationsmittel darstellen, so daß sich das Eis bis zum Hochsommer hielt. War dieses Eis verbraucht, so kamen die anderen, besser geschützten Eisvorräte an die Reihe. Im Winter war der Besitz eines Schlittens unumgänglich. Unser Gefährt galt als besonders schön, es war wie eine Muschel gestaltet und mit hellgrünem Samt ausgeschlagen. Wir Kinder saßen mit Fußsäcken voller heißer Steine im Fond des Schlittens, und der Kutscher thronte hinter uns, mit Stroh in den Stiefeln. Während die Winter sehr kalt waren, waren die Sommer damals oft unerträglich heiß. Im Sommer 1911 trocknete der Riemeistersee plötzlich aus. Zentnerweise blieben die Fische obenauf liegen. Niemand konnte sich der Gefahr aussetzen, in dem schlammigen Untergrund zu versinken, und so blieben die Fische als Futter für die Krähen. Das Austrocknen und somit Verschwinden des Sees war 203 ein großer Verlust für die Schönheit der Gegend, der uns und das Publikum sehr traf, zumal sich unmittelbar am See ein kleines Restaurant etabliert hatte, von dem man die Schwäne und die Wasserrosen bewundern konnte. Dieses kleine Restaurant war sehr beliebt, da die Gäste dort in Hemdsärmeln sitzen konnten, während das oben bei uns in Onkel Toms Hütte streng verboten war. Meine Mutter, eine sehr tüchtige und ordnungsliebende Partnerin meines Vaters im Geschäft, verstand es, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Sie ging nie spazieren, ohne zugleich alle herumliegenden Papiere aufzuheben. Dabei traf sie auf „Kümmelneese", der vor dem Eingang unseres Restaurants an der Chaussee Ansichtskarten verkaufte und mit einem kräftigen Zug aus der Flasche seinen Durst vertrieb. Nicht weit ab von „Kümmelneese" hatte Herr Richter ein kleines Holzhäuschen, in dem er Unterschlupf fand, und einen Leierkasten, dessen Melodien bis nach Onkel Toms Hütte hinhallten. Während „Kümmelneese" ein alter Mann war, stand Herr Richter in den besten Jahren. Er hatte ein Bein im Kriege 1870/71 verloren, und sein Einkommen bezog er durch die Bezahlung beim öffnen des großen Gatters über die Spandauer Chaussee (Onkel-Tom-Straße). Meine Mutter lehrte uns frühzeitig, daß man seinen bedürftigen Mitmenschen helfen muß, und kein Tag verging, an dem wir Kinder diesen beiden Männern nicht einen Teller Suppe hintrugen, über den sie sich stets sehr freuten. Meine Mutter hatte in der Jugend am eigenen Leibe erfahren, wie ihre Eltern durch die Industrialisierung der Webereien arbeitslos wurden und sich nicht ein Mensch um sie kümmerte. Darum ging Mutter mit 13 Jahren zu Frau von Böse und lernte dort die Hauswirtschaft. Meine Mutter und Anna sorgten überall für die peinlichste Sauberkeit. So kümmerten sie sich darum, daß der Hof, auf dem die Angestellten unter einer großen Kastanie ihre Mahlzeiten einnahmen, stets blitzblank war. Es war immer ein großes Hallo, wenn der Hof gescheuert wurde. Meine Mutter stand mit einem dicken Straßenbesen da und die Hausdiener mit Wassereimern und Schläuchen; sie spülten die Wanderwege der zahlreichen Ratten durch, die dann - ins Freie getrieben - von dem kräftigen Biß eines Hundes ins Jenseits befördert wurden. Da meine Eltern mit der Führung des Restaurants vollauf beschäftigt waren, hielten sie es für angemessen, eine Gouvernante und eine Klavierlehrerin für uns einzustellen. Eine der Gouvernanten, Fräulein Matrowitz, brachte es fertig, unseren sehr beliebten Oberkellner zu heiraten und ihn nach einiger Zeit sogar zu entführen. Dies war ein Schlag, der meinen Vater sehr traf, da besagter Oberkellner nicht nur sehr beliebt bei den Gästen war, sondern es außerdem ausgezeichnet verstand, die Speisekarten mit großem Schwung und Geschick fertigzustellen. Daß es ihm bei uns nicht schlecht ging, geht daraus hervor, daß wir ihn eines Abends, als alle Gäste schon weg waren, lang ausgestreckt neben seinem Stuhl auf dem Boden der Gaststube schnarchend fanden. Aus seinen Taschen waren zahlreiche 10- und 20-Mark-Goldstücke herausgerollt. Er hatte wieder einmal zu tief ins Glas geschaut, aber seine Frau brachte es schließlich fertig, ihn von seiner Trunksucht zu kurieren. Er nahm jedoch ein tragisches Ende, Seine Frau wurde schwer krank und verstarb. Er wußte sich allein nicht zurechtzufinden und machte seinem Leben ein Ende. Regelmäßig engagierte Vater einen Seifensieder, der im Sommer selbständig aus Fettstücken, die in großen Bottichen gelagert waren, Seife herstellte. Es war dies ein sehr durchdringender Geruch; aber wenn die Seife erst in Riegeln trocknete, so war die unangenehme Seite überstanden, und wir konnten uns auf die handlichen Stücke, die Mutter dann schnitt, freuen. Meine Eltern waren sehr tierliebend, und wir Kinder erbten diese Vorliebe von ihnen. Als wir 1904 Onkel Toms Hütte übernahmen, stand im Stall ein schöner, schwarzer, hoch204 Restaurant Onkel Toms Hütte, 1909. gewachsener Hengst, Neuling genannt. Zu unserem großen Leidwesen erkrankte er an Darmverschlingung, und es blieb nichts anderes übrig, als das schöne Tier vom Tierarzt erschießen zu lassen. Eine Menge Schwalben hatten wir als Hausgenossen, und in der Nacht machten sich die Eulen bemerkbar, deren Schreie ich fürchtete, da man mir erzählt hatte, daß bei jedem Eulenruf ein Mensch sterben müsse. In der Nähe der Gartentür stand ein großes Wasserfaß mit einer stark duftenden Pflanze, wo sich von Zeit zu Zeit eine possierliche Kröte sehen ließ. Sie verstand es, mit den Hinterbeinen ein Loch in die Erde zu graben, ohne daß das augenfällig war, und in diesem Loch verschwand sie allmählich, was beinahe wie Hexerei wirkte. Wenn ich abends im Bett lag, konnte ich sie mir nur mit einer Krone auf dem Köpfchen vorstellen, so entzückend und märchenhaft fand ich dieses Tier. Weniger schön fanden meine Eltern die zahlreichen Frösche, die ein großes Konzert auf der Wiese veranstalteten und sie mit ihrem Gequake nachts nicht schlafen ließen. Diesen Fröschen dienten Millionen von Mücken als Nahrung. Letztere waren für unsere Gäste alles andere als angenehm, während wir gegen Mückenstiche immun waren. Ein großes Vergnügen bestand für uns Kinder darin, auf der Wiese mit den Füßen zu stampfen, was das Erscheinen einer lustig hopsenden Schar von Fröschen hervorrief. Drückte man vorsichtig auf die Kehle dieser possierlichen Tierchen, so verfielen sie in eine kurze Betäubung, die wir dazu nutzten, sie reihenweise hinzulegen. Wer von uns die längste Reihe hatte, war „Sieger". Freude hatten wir Kinder gleichfalls an zahmen Eichhörnchen, die sich in einem offenen Käfig tummelten, der neben dem sogenannten Eiskeller lag. Die Tierchen besaßen sogar einen Kletterbaum in ihrem aus zwei Riesenkisten zusammengestellten Bau und fühlten sich so wohl bei uns, daß sie ein Nest bauten. Wir waren natürlich hell begeistert, als Nachwuchs ankam. Mein sonst so freundlicher Vater konnte sehr ungemütlich werden, wenn nicht vorsichtig genug mit dem Geschirr umgegangen wurde, das viel Unkosten verursachte, denn in den 205 Der Restaurant-Garten Onkel Toms Hütte, um 1928. Links im Bild das Restaurant nach dem um 1925 durchgeführten Umbau. Für die Innenausstattung hatte der Bauhaus-Meister Hinnerk Scheper den Entwurf geliefert. Friedensjahren von 1904 bis 1914 kam jedes Jahr ein Wagen - später ein Auto - von der Firma Jacobi heraus zu uns, der Ersatzgeschirr brachte. Eine Lieblingsbeschäftigung meines Vaters war es, auf das Barometer zu klopfen, um festzustellen, wie wohl das Wetter werden würde, was von ausschlaggebender Bedeutung für den Restaurantbetrieb war. An schönen Fest- und Sonntagen kamen bis zu 300 Reiter zu uns heraus. Da der vorhandene Platz für die Pferde nicht ausreichte, ließ mein Vater noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg 20 neue Stände auf dem Schwarzen Weg" errichten. Wie groß unser Restaurant war, kann man daran ermessen, daß vor dem Kriege um die 30 Kellner an schönen Sonntagen beschäftigt waren. Zur Kaffeezeit schleppten sie Tabletts mit 20 Tassen Kaffee, der zu dieser Zeit ausschließlich dreipfundweise gebrüht wurde. In der Küche wirkten zwei Köche, und in der „kalten Küche" arbeiteten eine Mamsell und unsere Tante Jennie, die nie ohne ihr Tageblatt und Aufsätzen von Theodor Wolff in ihrem Zimmer verschwand, denn sie war eine politisch sehr interessierte Persönlichkeit. Die zum Abwaschen nötigen zwei Männer wurden bei Bedarfsfall per Telefon herangerufen. Sie mußten schwere Körbe voller schmutzigen Geschirrs vom Garten in die Abwaschküche schleppen, und für diese Arbeit waren Männerkräfte erforderlich. Abends wurde mit den Kellnern abgerechnet, und wir Kinder setzten zur Addition die Registrierkasse in Bewegung. Damit dem Personal die Zeit nicht zu lang wurde, hielt meine Mutter einen Riesentopf mit einer vorzüglichen Brühe auf dem Feuer, mit der sich unsere Mitarbeiter stärken durften. 1913/14 kamen die ersten Autobusse zu uns nach Onkel Toms Hütte heraus vom Zoo und anderen Abfahrtsstellen. Damit die Autobusse beim Wenden nicht im Sande stecken206 blieben, wurden riesige Sandflächen mit Quadersteinen unterlegt. Welch ein Gewühl war das! Menschen, Räder, Motorräder, Autos in jeder Größenordnung, Autobusse und Kutschwagen. E s war nicht zu übertreffen. Dies blieb bis zum Kriegsbeginn 1914 so. D a nach ging es nur noch bergab. Anschließend kann man wohl sagen, daß wir ein arbeitsreiches Leben in Onkel Toms Hütte führten, aber auch ein sehr glückliches. Meinen Eltern blieben noch 15 ruhige Jahre des Privatlebens nach Aufgabe des Restaurants im J a h r e 1924. Die Fotos stammen aus dem Archiv Hans-Werner Klünner. Nachrichten Forschungsvorhaben „Berlin — Symbol der Konfrontation, Prüfstein der Entspannung" Die Stiftung Volkswagenwerk hat dem American Council on Germany (New York) einen Betrag von etwa 200 000 DM für eine Studie bewilligt, in der die Nachkriegsgeschichte Berlins erforscht werden soll. Schwerpunkt der Untersuchungen wird das Viermächte-Abkommen von 1971 und dessen Anwendung sein. Weitere Gegenstände der Forschung sind im Rahmen der allgemeinen Ost-WestBeziehungen die Blockade, die Ära Chruschtschows, die Beziehungen zwischen Berlin (West) und der Bundesrepublik Deutschland, die innerdeutschen Abkommen sowie die Mitgliedschaft in der UNO. Es ist vorgesehen, daß amerikanische und deutsche Wissenschaftler in Arbeitsgruppen, bei Vortragsveranstaltungen und in Seminaren mit ehemaligen und noch tätigen Politikern aus Deutschland und aus den Vereinigten Staaten zusammentreffen. H. G. Schultze-Berndt Beiträge des Architekten Fritz Rothstein zur Berliner Denkmalpflege Im Märkischen Museum wurde parallel zu der des großen Interesses wegen bis Februar 1980 verlängerten Heinrich-Zille-Ausstellung eine Sonderschau der Beiträge des Architekten Fritz Rothstein zur Berliner Denkmalpflege von 1948 bis 1975 gezeigt. Aus Entwürfen, Modellen, Fotografien und Veröffentlichungen konnte abgelesen werden, welchen Objekten in Berlin (Ost) das Bemühen Fritz Rothsteins galt. Am bekanntesten wurde er durch die Neugestaltung des Köllnischen Parks mit dem steinernen Freilichtmuseum und durch die Verpflanzung und den Umbau des Ermeler-Hauses. H. G. Schultze-Berndt 25 Jahre Institut für Denkmalpflege in Ost-Berlin Das Institut für Denkmalpflege in Ost-Berlin konnte im September 1979 auf ein Vierteljahrhundert seines Bestehens zurückblicken. Es verfügt über fünf Arbeitsstellen in Berlin (für die Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder, Berlin), Dresden (für Cottbus, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig), Erfurt (für Gera, Suhl, Erfurt), Halle (für Magdeburg, Halle) und Schwerin (für Rostock, Schwerin, Neubrandenburg). Das Institut berät bei denkmalpflegerischen Maßnahmen, wirkt bei der Ausbildung des Nachwuchses mit und arbeitet an einer Denkmälerliste, die gegenwärtig 40 000 Objekte umfaßt. Die 1977 gegründete Gesellschaft für Denkmalpflege beim Kulturbund der DDR unterstützt das Institut. 207 Dieser Gesellschaft gehören mittlerweile 260 Interessengemeinschaften mit 3500 Mitgliedern an, deren Hilfe beim Erfassen und Betreuen von Denkmälern eine wertvolle Ergänzung bildet. Aus Anlaß des Jubiläums wies Generalkonservator Professor Dr. Ludwig Deiters auf die wachsende Bedeutung der historischen und zeitgeschichtlichen Denkmale im Bewußtsein der Öffentlichkeit hin. Insbesondere würdigte Professor Deiters die Forschungsarbeit des Instituts zur Methodik und Technik der Denkmalpflege. H. G. Schultze-Berndt VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow Der seit rund drei Jahren bestehende VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow sorgt mit seinen etwa 160 Mitarbeitern in Ost-Berlin und in den benachbarten Bezirken für die Erhaltung und die Wiederherstellung von nahezu 50 Denkmälern. Die Arbeit wird von einer Vielzahl von Handwerkern geleistet (Maurer, Putzer, Zimmerer, Elektriker, Tischler, aber auch Stukkateure, Kunstschmiede, Kunsttischler sowie Restauratoren), die in diesem Betrieb auch eine Spezialausbildung erhalten. Das Institut für Denkmalpflege arbeitet eng mit dem VEB Denkmalpflege zusammen und sorgt für dessen Aufträge. Gegenwärtig werden die Innenräume des Schlosses Köpenick, 1674 bis 1685 von Rütger van Langerveld in holländischem Barock erbaut, wiederhergestellt. 1980 sollen u.a. auch die Fassade und der Säulengang des 1824 bis 1830 von Karl Friedrich Schinkel erbauten Alten Museums restauriert werden. Bereits im Dezember 1979 konnten die Spittelkolonnaden in der Leipziger Straße, 1776 von Carl von Gontard entworfen, in der Nähe ihres ursprünglichen Standortes wieder der Öffentlichkeit übergeben werden. SchB. Denkmalschutz für Treptower Bruno-Taut-Siedlung Die Siedlung „Am Falkenberg" im Bezirk Treptow, 1913 bis 1915 nach Plänen von Bruno Taut errichtet, wurde in die Bezirksdenkmalliste von Ost-Berlin aufgenommen. Die Verwaltung hat den Bewohnern dieser Siedlung in einem Faltblatt die Entstehung dieser Gartenstadt-Siedlung mitgeteilt und versucht, Anregungen zu vermitteln, wie das schöne Gesamtbild erhalten bleiben kann. Weitere Gegenstände der Denkmalpflege in Treptow sind u.a. das Jugendstilhaus Scheiblerstraße 27, zu Beginn unseres Jahrhunderts als Musterbau einer Bauausstellung errichtet, das ehemalige Späthsche Wohnhaus am Arboretum sowie Wohnhäuser, die 1905 unter dem Einfluß des Jugendstils erbaut wurden und jetzt sorgfältig restauriert worden sind. SchB. Märkisches Museum umgebaut Die gegenwärtig noch laufenden Arbeiten zur Renovierung der Ausstellungsräume im Erdgeschoß des Märkischen Museums sollen Mitte 1980 abgeschlossen sein. Die ständige Ausstellung zur Berliner Geschichte von den ersten Spuren der Besiedlung vor 8000 Jahren bis 1848 wird dann wieder zugänglich sein. Der Abschnitt zur Stadtentwicklung zwischen 1648 und 1813 sowie die anderen Ausstellungsbereiche wurden überarbeitet. Im April gedachte das Märkische Museum mit einer Studienausstellung in der Eingangshalle des 110. Geburtstags Lenins und seiner Besuche in Berlin, im Mai des traditionsreichen Berliner Volkstheaters der Familie Rose. Im ersten Quartal 1980 verzeichnete das Märkische Museum annähernd 25 000 Besucher. SchB. Alter Hörsaal in Ost-Berlin renoviert Der Hörsaal für experimentelle Physik der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 42 weist die typischen architektonischen Merkmale eines solchen Saales aus den Anfängen unseres Jahrhunderts auf. Er wurde jetzt unter Aufsicht der Denkmalpflege gründlich renoviert, wobei darauf geachtet wurde, daß er in seinem Charakter erhalten blieb. SchB. 208 Von unseren Mitgliedern Mitgliederversammlung 1980 Vor einem leider nur kleinen Auditorium konnte der Vorsitzende Dr. G. Kutzsch die Ordentliche Mitgliederversammlung am 6. Mai 1980 mit der Totenehrung einleiten. Seit der letzten Hauptversammlung sind die folgenden Mitglieder verstorben, zu deren Ehren sich die Anwesenden von ihren Plätzen erhoben: Herbert Adam, Horst Behrend, Professor Volkmar Denckmann, Gertrud Dreusicke, Alfred Hartmann, Dr. B. von Hartmann, Werner Haube, Irmgard Herrmann, Herman Holzhausen, Dr. Katharina Hussels, Dr. Joachim Lachmann, Margarete Muthmann, Otto Penneckendorf, Gerhard Raths, Annelise Richter, Lothar Schulz. Der Tätigkeitsbericht des Schriftführers und der Kassenbericht der Schatzmeisterin lagen vervielfältigt vor. Einige Fragen wurden von den beiden Vorstandsmitgliedern zur Zufriedenheit der Fragesteller beantwortet. Aus dem Bibliotheksbericht von H. Schiller wurde von C. P. Mader zitiert, daß bei den Mitarbeitern keine Veränderungen eingetreten sind, der Leihverkehr weiter zunimmt und die Zusammenarbeit mit den Besuchern gut ist. Eine Modifizierung der Einstellweise ist in Angriff genommen worden. Zur Unterstützung der Bibliotheksbetreuer wird ein Ausschuß erbeten. Die Kassenprüfung am 4. Februar 1980 hat nach Testat der Kassenprüfer Degenhardt und Kretschmer keine Beanstandungen ergeben. Dies gilt auch für den Bericht der Bibliotheksprüfer Frau Bannier und M. Mende, deren Anregungen berücksichtigt werden sollen. In der Aussprache stellt Frau I. Köhler im Namen der Bibliotheksbetreuer den satzungsgemäßen Antrag, die Öffnungszeiten der Bibliothek von freitags auf mittwochs zu verlegen. In einer Abstimmung schloß sich die überwiegende Mehrheit der Anwesenden diesem Vorschlag an. Hinsichtlich des von Dr. Hugo angeregten Neudrucks des Mitgliederverzeichnisses ermächtigte die Versammlung den Vorstand mit Mehrheit, dem Vorschlag des Schriftführers folgend ein Mitgliederverzeichnis in ansprechender Aufmachung mit einem Limit von 5000 DM zu drucken. Mit einem Dank für die geleistete Arbeit beantragte Landgerichtsrat a.D. Rechtsanwalt D. Franz die Entlastung des Vorstands. Diesem Antrag wurde ebenso einmütig stattgegeben wie der Wiederwahl der bewährten Mitglieder Degenhardt und Kretschmer zu Kassenprüfem und der Bestätigung von Frau Bannier und M. Mende als Bibliotheksprüfer. Dem Ehrenmitglied W. Mügel und seiner Gattin, die beide am Tage der Mitgliederversammlung ihr 79. Lebensjahr vollendeten, wurden die Glückwünsche des Auditoriums übermittelt. Bezirksbürgermeister Lindemann hatte gebeten, der Mitgliederversammlung seine besten Grüße zu übermitteln. Am Jahresbeginn 1980 hatte die Bibliothek einen Bestand von rund 10 000 Bänden; die Zahl der Mitglieder belief sich auf 895. H. G. Schultze-Bemdt * Unser Mitglied Pastor Heinrich Albertz, der frühere Regierende Bürgermeister, ist mit dem von der SPD gestifteten „Gustav-Heinemann-Bürgerpreis" für 1980 ausgezeichnet worden. In der Begründung für die Verleihung heißt es, Albertz habe sein ganzes Leben lang mutig und folgerichtig die Bürgertugenden bewiesen und die Grundsätze verwirklicht, die mit dem Preis allen Bürgern eingeschärft werden sollten. SchB. * Unser Schriftführer, Dr. Hans Günter Schultze-Bemdt, ist auf dem Deutschen Braumeistertag in Hamburg am 3. Mai 1980 in das Präsidium des Deutschen Braumeister- und Malzmeister-Bundes (Technisch-wissenschaftliche Vereinigung) e.V. gewählt worden. * Unsere Schatzmeisterin Frau Ruth Koepke bittet, daß sich derjenige telefonisch melden möge, der 12 DM als Restzahlung für 1980 überwiesen hat, ohne den Absender anzugeben. 209 % Walter Mügel t Unser langjähriges Mitglied, unser Freund und Gönner Walter Mügel, ist 79jährig verstorben. Geboren im alten Deutsch-Wilmersdorf, wurde bald Charlottenburg sein Heimatbezirk, in dessen Dienst er auch sein berufliches Wirken stellte. Als Verwaltungsdirektor des Bürgerhaus-Hospitals und der Frauenklinik schied er 1966 aus dem Amt, um einen wohlverdienten Ruhestand zu genießen. Nahezu 30 Jahre lang war Walter Mügel Mitglied unseres Vereins. Er begnügte sich nicht mit dem Besuch der Vorträge und Stadtführungen - den Mann, der so überzeugt vom Werte geschichtlicher Kenntnisse für unsere Gegenwart war, drängte es nach Mitarbeit und Mitgestaltung im Verein der Freunde der Stadthistorie. Seine reichen Verwaltungskenntnisse konnte er als unser Schatzmeister vieljährig nutzen. In zahlreichen Sitzungen diente Walter Mügel dem Vorstand mit Rat und Tat: Auch daß wir Räume im Rathaus Charlottenburg für unsere Veranstaltungen erhalten und für die Bibliothek ein Unterkommen finden konnten, verdanken wir ihm. Am 27. November 1973 wurde er unser Ehrenmitglied („Mitteilungen", Oktoberheft 1973). An dieser Stelle sei auch auf die Beiträge in den „Mitteilungen", Juliheft 1971 und Aprilheft 1976, hingewiesen. Walter Mügel war immer für uns da, wenn wir ihn brauchten und nach ihm riefen. Wir danken ihm für seine Bereitschaft und seine Arbeit in unserem Kreise und werden stets seiner in Ehren gedenken. Gerhard Kutzsch Jjemchim Lachmann f Im 81. Jahr seines Lebens starb Joachim Lachmann am 1. Juni 1979 in Berlin, der Stätte seines langjährigen Wirkens. Wer den kleinen, schmächtigen, immer leicht gebeugt dahergehenden Mann kannte, hätte ihm das Erreichen eines fast biblischen Alters nicht zugetraut. Oft genug warfen Krankheit und Schwäche den anscheinend so Zerbrechlichen nieder, aber ein starker Wille zu Gesundung und Leben, auch die unermüdliche Pflege durch seine Gattin, verliehen ihm immer wieder die Kraft des Überwindens aller physischen Malaisen. Viele Reisen dienten gleichem Zweck - für Österreich und die Schweiz hatte man in Joachim Lachmann so etwas wie einen lebendigen Baedeker vor sich, der auch über den entlegensten Winkel eines Alpentales noch einiges zu berichten wußte. Gemessene Distanz zum Archivwesen seitens der Oberen in der Berliner Verwaltung ließen den Jahrzehnten steter Leitung des Stadt- bzw. Landesarchivs durch Ernst Kaeber, der 73jährig 1955 in den Ruhestand trat, viele Jahre der Unbeständigkeit und Unruhe folgen: 1965 erhielt das Landesarchiv seinen fünften Chef innerhalb der verflossenen Dekade. Joachim Lachmann sah sich immer wieder in der Rolle eines Leiters „in Vertretung", ein Zustand, gewiß so unerquicklich für ihn wie für die Mitarbeiter. Ihnen war er ein freundlicher und milder Vorgesetzter, voll des Verständnisses für ihre Probleme und Kümmernisse, deren in den ersten Nachkriegsjahren nicht wenige waren. Heftige Erregungen über quer gelaufene Dinge waren Teil seines Naturells und klangen so schnell ab wie sie aufgekommen waren. Nachtragend war Joachim Lachmann nie. Er schuf sein Arbeitspensum am Schreibtisch, soweit seine Kräfte es ihm erlaubten. Der Beruf als Stadtarchivar, also „Pflicht", und die Neigung des gebürtigen Berliners, genauer Charlottenburgers, zum heimatlichen Bereich, verbanden sich zu jenem eindringlichen und gepflegten Interesse, das er an der Stadt und ihrem Leben 210 in Vergangenheit und Gegenwart stets nahm. Er war ein rühriges Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, in dessen Vorstand er jahrelang saß, und der Landesgeschichtlichen Vereinigung. An ungezählten Vortragsabenden beider Vereine konnte er regelmäßig begrüßt werden, meist in Begleitung seiner liebenswürdigen Gattin. Er bearbeitete die „Berlin-Bibliographie" unseres Jahrbuchs „Der Bär von Berlin", war Literaturrezensent und Schriftleiter der wiedererstandenen „Mitteilungen" des Geschichtsvereins. Joachim Lachmann wurde am 11. Oktober 1897 in Charlottenburg geboren, damals noch eine selbständige Großstadtgemeinde westlich Berlins gelegen. Im Gegensatz zum Vater, der Professor am Preußischen Meteorologischen Institut war, fühlte sich der Sohn zu den Geisteswissenschaften hingezogen und studierte Geschichte, Germanistik und Theologie in Berlin und Innsbruck. Seinen Lebensunterhalt und die Mittel zum Studium mußte er sich als Werkstudent nebenbei verdienen, Vater und Mutter waren verstorben. Im geselligen Kreis pflegte sich Joachim Lachmann gern seiner Jahre als Studienreferendar zu erinnern, die er im Anschluß an das Staatsexamen für das höhere Lehramt (1926) an der Mädchen-Oberrealschule in Gaienhofen bei Konstanz verbrachte. Mit einer magnacum-laude-Dissertation über „Die männlichen Orden und Kongregationen der Katholischen Kirche in Preußen von 1815 bis 1929" promovierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität zum Dr. phil. (1929). Der anschließende Besuch des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin-Dahlem (Mai 1930 bis September 1931) stellte die Weichen seiner Lebensbahn um und verhalf ihm zu seinem endgültigen Beruf. Er volontierte ein halbes Jahr am Geh. Staatsarchiv (1931/32) und war anschließend, als Stipendiat von dessen Publikationsstelle tätig, insbesondere mit der Bearbeitung der die Ostprovinzen betreffenden Archivalien beschäftigt. Zu diesem Zweck ließ er sich 1934 noch schriftlich und mündlich in der polnischen Sprache prüfen. In wirtschaftliche Bedrängnis geraten, bemühte sich Joachim Lachmann um Anstellung im Staatsdienst, der die Zugehörigkeit zur Staatspartei fast als conditio sine qua non voraussetzte. Es ist ihm gewiß nicht leicht gefallen, ihr beizutreten. Tatsächlich wurde er 1937 von der Preußischen Archivverwaltung eingestellt und dem Staatsarchiv Breslau zur Dienstleistung überwiesen. Eine Arbeit über „Die schlesischen Urbare und ihre Bedeutung für die landesgeschichtliche Forschung" konnte infolge der Kriegsverhältnisse nicht abgeschlossen werden. Anfang 1943 wurde Lachmann in Vertretung des zur Wehrmacht einberufenen Leiters des oberschlesischen Staatsarchivs nach Kattowitz versetzt; im Februar 1945 verfügte der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive seine Rückkehr nach Berlin. Die schwierige frühe Nachkriegszeit sah ihn zunächst im Dienste des Evangelischen Konsistoriums der Mark Brandenburg an der Arbeit zur Sicherung, Verzeichnung und Wiederherstellung der aus den Ostgebieten der Landeskirche nach Berlin verbrachten Kirchenbücher. Seit 1947 wirkte Joachim Lachmann als Archivrat beim Stadtarchiv Berlin, dem späteren Landesarchiv (1951), dem er noch kurzfristig als Direktor vorstehen konnte, bevor er am 31. Oktober 1962 mit dem Erreichen der Altersgrenze die Bürde der Amtsgeschäfte niederlegen durfte. Gerhard Kutzsch Hochherzige Spende von Dr. Heinz Hugo Anläßlich der 50. Wiederkehr des Jahrestages seines Eintritts in unseren Verein hat Dr. Heinz Hugo eine großzügige Geldspende gemacht und dem Verein wertvolle Dokumente übereignet. Dr. Heinz Hugo ist seit einem Vierteljahrhundert Matrikelführer des „Herolds", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften (Berlin), und hat im Rahmen einer biographischen Forschungsarbeit, als deren Ergebnis allmählich eine Herold-Gesamtmatrikel seit 1869 entsteht, bisher etwa 120 Menschen aus allen Jahrzehnten festgestellt, die sowohl dem Herold als auch unserem Verein angehört haben, die meisten von ihnen mit Lebensläufen. Nach Abschluß seiner Arbeit will Dr. H. Hugo diese „Zweibändermänner" in einer Art Simultan-Matrikel beider Vereinigungen festhalten und ein Exemplar davon dem Archiv übergeben. Mit einem Gruß an unser verdienstvolles Mitglied Dr. Heinz Hugo und mit einem Dank seien hier seine Zeilen wiedergegeben: „Ich bin nämlich der Meinung, daß alte kulturelle Gesellschaften etwas von den Menschen wissen und es bewahren sollten, die sie getragen haben: es ist das ein Stück ihrer Geschichte und ihr sich wandelndes Antlitz. - Ein winziges Pflaster also auf die unheilbare Wunde des Verlustes unserer alten Vereinsmatrikel mit den Hunderten von Porträtfotos, die Brendicke, Marquardt, Suder, Kügler durch Jahrzehnte aufgebaut hatten." SchB. 211 Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Ilse Dietrich, Frau Hildegard Golisch, Frau Annemarie Pfützenreuter; zum 75. Geburtstag Frau Anni Ihlenfeld, Frau Hilde Krauss, Herrn Günther Rühl; zum 80. Geburtstag Herrn Werner Obigt, Frau Christa Ohle, Frau Grete Paesler; zum 85. Geburtstag Frau Ilse Cordes, Herrn Heinrich Jonas; zum 90. Geburtstag Herrn Hans Atzroth. Buchbesprechungen i;|. v Ausgrabungen in Berlin. Forschungen und Funde zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 5/1978. Hrsg.: Archäologisches Landesamt Berlin; Alfred Kernd'l u. Adriaan von Müller. Berlin: V. Spiess 1980. 178 S. m. zahlr. Abb. u. 1 Faltplan als Beilage, brosch., 48 DM. Nach einer langen Pause liegt nun der fünfte Band der inzwischen durch Gesetz zum „Archäologischen Landesamt" gewordenen (West-)Berliner Landesdenkmalpflege vor. Ihm ist ein kurzer Lebensabriß des langjährigen Direktors des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und Staatlichen Vertrauensmannes für die Bodendenkmalpflege, Otto Gandert, der 1978 sein 80. Lebensjahr vollendete, durch seinen Amtsnachfolger und Herausgeber der Zeitschrift, Adriaan von Müller, vorangestellt. Das nun schon bewährte Konzept, insbesondere die instruktiven orientierenden Hinweise" der Herausgeber, ist auch in diesem Heft beibehalten worden. Der zeitliche Rahmen der Fundberichte ist in gewohnter Weise weit gespannt und reicht von der Jüngeren Bronzezeit bis in die Frühe Neuzeit (17. Jh.). Für die erstgenannte Periode liegen zwei Berichte über bereits in der Vorkriegszeit abgeschlossene Grabungen zum Fundplatz Götelstraße, Ecke Weverstraße, in BerlinSpandau und eines größeren Gräberfeldes der jüngeren Bronzezeit von Berlin-Rosenthal, Ortsteil Wilhelmsruh, vor. Von noch größerem Interesse für eine breite Leserschaft dürfte der Aufsatz von Wolfgang Gehrke „Siedlung und Burg auf dem Gelände der Spandauer Zitadelle vor der Renaissancefestung" (S. 83 bis 136) über die seit 1969 laufenden Grabungen im Festungsbereich sein. Sie können insgesamt als sehr erfolgreich bezeichnet werden. Die bauliche Entwicklung der über mittel- und spätslawischen Siedlungsschichten entstandenen hochmittelalterlichen Burganlage scheint nun geklärt zu sein. Durch Suchschnitte wie auch durch sorgfältige Beobachtung von Senkungserscheinungen im Innenraum der Zitadelle konnte auch der Umfang des Haupt- und Vorburgbereiches der großen Anlage festgestellt werden. Die ältesten noch heute vorhandenen Bauteile, Juliusturm und Palasgebäude, können nun ebenfalls besser datiert werden: Für den Juliusturm hält Gehrke ein vor dem 14. Jh. liegendes Entstehungsdatum durchaus für möglich. Der Palas dürfte, wie die Untersuchungen eindeutig bewiesen haben, in der Regierungszeit Kaiser Karls IV., der Mitte des 14. Jhs., entstanden sein. Die zahlreichen Funde von Architekturteilen aus unterschiedlichen Epochen lassen zudem ein genaueres Bild der baulichen Entwicklung des Gebäudes zu, als es die bisher bekannten schriftlichen Zeugnisse vermochten. Die zahlreichen Kleinfunde, zu denen auch die von Klaus Tidow vom Textilmuseum in Neumünster gesondert untersuchten, in einer slawischen Siedlungsgrube entdeckten Gewebefunde gehören, stellt Gehrke vielfach in größere kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die mitunter den Charakter von Exkursen annehmen. Freilich sind die Argumentationsketten, z.B. die in allen Einzelheiten sehr phantasievolle Merianansicht für das Vorhandensein eines Treppenturmes heranzuziehen, recht gewagt. Den vergleichsweise hohen Stand bürgerlicher Wohnkultur des 16. Jhs. zeigt die von Alfred Kernd'l und Raimund Maczijewski vorgestellte Ofenkeramik der Renaissance aus der Spandauer Altstadt, während Günter Rau im Beitrag Das Glaslaboratorium des Johann Kunckel auf der Pfaueninsel in Berlin", Archäologische Untersuchungen 1973/74" Einblicke in die Breite der Experimentiertätigkeit des Alchimisten im späten 17. Jh. gibt. Es bleibt zu hoffen, daß die Zeitschrift in dem neuen Verlag demnächst wieder in kürzeren Abständen erscheinen wird. Felix Escher 212 Alfred B. Gottwaldt: Berliner Verkehr. 150 Bildpostkarten aus der alten Reichshauptstadt. Düsseldorf: alba 1979.120 S. m. 162 Abb., z.T. fbg., brosch., 18 DM. Eine Welle immer neuer Berlinliteratur überspült zur Zeit den Büchermarkt. Das Verzeichnis der lieferbaren Berlinliteratur einer hiesigen Buchhandlung nennt fast 500 Titel, weitere sind bereits angekündigt. Berlinensien „boomen"! Soweit es sich um allgemeine Stadtbeschreibungen und um Themen aus Geschichte, Kunst und Kultur handelt, steht für Autoren, die die Mühe emsigen Forschens nicht scheuen, ausreichendes Ouellcnmaterial zur Verfügung. Eine Ausnahme bildet jedoch der Bereich des Berliner Verkehrs; hier tröpfeln Sachinformationen spärlicher. Gerade diese Sparte, durch die fotografische Wiedergabe visuell attraktiver Szenen aus dem Straßenleben und dem Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, versprach von jeher besonders gute Verkaufserfolge. So ist eine Hochflut von Ansichtskarten- und anderen Bildreproduktionen in Umlauf gekommen, wobei Objekte aus der fernen Kaiserzeit um die Jahrhundertwende auf der Nostalgiewelle hochschwappen. Bemühungen, die beliebten und interessanten Oldtimer aus dem Straßenverkehr korrekt zu benennen, sie zeitlich richtig einzuordnen und sie gegebenenfalls auch näher zu beschreiben, ist unbedingt zu begrüßen, zumal schon heute oft nur noch die Älteren und einigermaßen Versierten unter uns den Pferdebus von der Pferdebahn und einen Decksitzwagen von einem Doppeldecker zu unterscheiden imstande sind. Absolut abzulehnen ist dagegen die Unbedenklichkeit, mit der sich manche Autoren in Ermangelung eigenen Wissens oder um sich zeitraubende Ermittlungen zu ersparen, zu Glossierungen hinreißen lassen, die unzutreffend und zudem leicht widerlegbar sind, in der Annahme, der Leser werde mangels eigener Sachkenntnisse schon darüber hinweglesen. Noch so attraktives Bildmaterial mit gedruckten, aber unrichtigen Texten versehen - birgt zudem noch den Zeitbombeneffekt, späterhin selbst als Quellenmaterial angesehen und verwendet zu werden, wodurch sich Auffassungen zu Dogmen zementieren, die niemals Gültigkeit besessen haben. Die Bereitschaft notfalls auch Ausschußware zu produzieren, um leicht zu schnellem Gewinn zu gelangen, ist in allen Bereichen verwerflich. Besonders hier in der Berlinliteratur darf sie nicht weiter Platz greifen als bisher. Von der Sünde eines unzureichenden Quellenstudiums ist auch Alfred B. Gottwaldt nicht freizusprechen, der nach Veröffentlichung seines ausgezeichneten Bildbandes „Eisenbahn-Brennpunkt Berlin" sich nun mit dem Hoch- und Untergrundbahn- und dem Straßenbahn- und Omnibusverkehr im alten Berlin befaßt. Eine große Anzahl seiner Begleittexte enthalten jedoch falsche Angaben und grobe sachliche Fehler bei Nennung der Linienführung von Straßenbahn und Omnibus, falsche zeitliche Einstufung einzelner Vorgänge, unrichtige Darstellung von Zugläufen und -Verbindungen sowie irrtümliche Bezeichnungen von Straßennamen und Fahrzeugtypen. Als mildernder Umstand sollte der verschämte Hinweis des Autors auf Seite 2 seines Buches gewertet werden, das er Stadtkämmerer a.D. Dr. Siebert widmet, der ihn in die Geheimnisse des BerlinVerkehrs eingeführt habe" - dies jedoch leider nur höchst unzureichend! Genaues Studium der jedermann zugänglichen Unterlagen des „Arbeitskreises für Nahverkehr" vor Drucklegung des Bildbandes hätten den Störeffekt der vielfachen Fehlberichterstattungen vermieden und dem Autor die daraus resultierenden berechtigten Vorwürfe erspart. Er wäre gut beraten, die Begleittexte gelegentlich einer Neuauflage dieses Buches einer gründlichen Revision zu unterziehen. Die Idee, die Sphäre des alten Berlin durch Ansichtspostkarten Wiederaufleben zu lassen, ist unbedingt begrüßenswert. Der volle Wert der betrachtens- und beachtenswerten Sammlung wäre als Zeitdokumentation erhalten geblieben, wenn Gottwaldt den sachlichen Angaben der Bildtexte die ihnen zukommende Wichtigkeit beigemessen hätte. Hans Schiller Hans Scholz: Wanderungen und Fahrten in der Mark Brandenburg. Band 7. Berlin: Stapp 1979. 176 S.m. 8 Abb., Ln., 22 DM. In Band 7 seiner Wanderungen und Fahrten in der Mark Brandenburg führt Hans Scholz den Leser nach Kremmen, Neuruppin, Lindow und Rheinsberg. Wie stets gibt es etwas Neues zum Nachdenken und Hinzulernen. Wer kannte bisher den in Kremmen wohnhaft gewesenen Dichter Richard Dehmel, einen vorzüglichen märkischen Landschaftslyriker? Neuruppin und sein Museum findet eine ausführliche Würdigung. Daß Fontane und Schinkel erwähnt werden, versteht sich von selbst, doch wer kennt heute noch den in Neuruppin geborenen Orientmaler Wilhelm Gentz? Gentz war Mitglied der Königlichen Akademie der Künste und zählte zur höchsten Gesellschaft Berlins. 1890, im Todesjahr des Künstlers, veranstaltete die Königliche Nationalgalerie eine Gedächtnisausstellung. Es wurden gezeigt: 76 großformatige Olge213 mälde, 261 Skizzen und Studien in ö l , 231 Handzeichnungen, insgesamt 508 Exponate, und sie waren doch nur ein Teil seiner Arbeiten. Leihgeber waren das damalige Kaiserhaus, viele deutsche Museen und Berliner Millionäre. Wo sind heute die vielen Arbeiten von Gentz geblieben? Die Neuruppiner Bilderbogen (gedruckt bei Gustav Kühn in Neuruppin) dagegen sind noch in großer Menge vorhanden und werden in abwechselnden Exemplaren im Neuruppiner Museum ausgestellt; von Gentz hat das Museum jedoch nur wenige kleine Zeichnungen. In Rheinsberg, so findet jedenfalls der Autor, weht noch Hofluft nach: Schloß, Park und Anlage der Stadt mit schönen alten Linden, der „Anspruch des ganzen residentiellen Ensembles" ist noch vorhanden. Lindow ist ein Luftkurort mit weltabgeschiedenem Kloster, in dem sich heute ein Heim für pensionierte Pfarrer und deren Frauen befindet. Bleibt noch zu erwähnen, daß der Autor auch diesen 7. Band mit 8 wunderschönen Aquarellen ausgestattet hat. Vera Gottke 0 tjo Adolph Menzel: Skizzenbuch 1846. München: Idion 1980. 84 S., Faksimile-Ausg., im Schuber, (J 128 DM. Man kann dieses Buch nicht anders als gediegen und seinen Inhalt als erfreulich bezeichnen. Der Lichtdruck, hier zweifarbig, hat es möglich gemacht, daß man geneigt ist, einige versehentlich auf dem Papier festgehaltene Bleistiftstriche wegzuradieren, so wirklichkeitsgetreu ist das Faksimile gelungen! Als Adolph Menzel diese Zeichnungen schuf, war er 30 Jahre alt und wohnte im zweiten Stock des Hauses Schöneberger Straße 18. Eine Reihe der Blätter hält dann auch den Blick aus seinem Fenster fest. Zur gleichen Zeit entstand das Gemälde „Das Fenster mit der wehenden Gardine", das vom Künstlertum Menzels Zeugnis ablegt. Dies tut nicht weniger sein Skizzenbuch, dessen Original im Zweiten Weltkrieg verbrannt ist. Das Faksimile in seiner bibliophilen Aufmachung ist so schön, daß man nicht weiß, ob man es lieber behalten oder einem guten Freund schenken soll. y H. G. Schultze-Berndt Berlin West. Ein Fotobilderbuch. Fotos v. Alexander Nagel, Texte v. Regina_Lindenlauf u. Alexander Nagel. Berlin: Galerie u. Verlag A. Nagel 1977 (2. Aufl.). 96 S., brosch., 12 DM. Der Galerist, Fotograf und Autor Alexander Nagel hat in diesem Bilderbuch Schnappschüsse aus dem Jahre 1974 zusammengefaßt und auch den Text unverändert in die neue Auflage übernommen, obwohl man heute nicht mehr für 60 Pfennig U-Bahn fahren kann (inzwischen muß man 1,40 DM berappen). Vielleicht hätte man diesen Charakter einer „Momentaufnahme" stärker herausstellen sollen, was etwa auch für die recht zeitgebundene Aussage zutrifft, es hinge „leider auch oft von der finanziellen Situation der Eltern ab, welcher Oberschulzweig besucht wird" (gegenwärtiger BAFöGSatz für Oberschüler monatlich 260 DM). Auf die Periode der lackierten Ansichtskartenfotos in Bildbänden über Berlin folgte vor einiger Zeit eine Welle von „Anti-Fotos", die „Berliner Wände" und ähnliche bewußt verkommene, vernachlässigte und jedenfalls meist übersehene Sujets auf die Platte bannten. Die Fülle derartiger Ansichten aus der Subkultur bringt es nun aber kurioserweise mit sich, daß diese Bilder heute schon wieder als „schön" empfunden werden. H. G. Schultze-Berndt Hans-Jochen Kehrt: Frühling in Berlin und anderswo in der Mark. Heilbronn: Eugen Salzer Verlag 1978. 94 S., brösch., 7,90 DM. (Salzers Volksbücher, Bd. 209/210.) Es wird nicht nur der Frühling in Berlin, sondern auch die Jugend des Verfassers beschrieben, die dieser vor allem in Steglitz verlebt hat. Seine Schulzeit am Helmholtz-Realgymnasium und später am Gymnasium Steglitz war vom Wandervogel geprägt, und Hans Schwarz, der Dichter, und Hans Blüher, der Denker, gehörten zu den bedeutenden Lehrern. Die Schule von damals war „an Substanz weit mächtiger als manche philosophische Fakultät von heute". Später spielt die Familiengeschichte auch in Jüterbog und in Wittstock. Sie wird in einem von der Erinnerung verklärten Ton vorgetragen. Der Autor mußte dann seine Heimatstadt verlassen, „und seitdem hat es mich nie lange irgendwo gehalten; denn wenn man nicht in Berlin leben kann, ist's schon wurscht, wo man lebt". Er stimmt ein hohes Lied auf das Theaterleben der großen Stadt Berlin an und erwähnt dabei auch Werner Krauß, der sich wirklich mit „ß" schreibt. Am Schluß steht: „Was aber blieb uns, als diese Stadt so, wie wir sie noch erlebten, zu lieben, wie man sich einer 214 alternden Freundin im Kerzenschein nähert, in dem sich die Spuren der Zeit verwischen und nur die Stimme noch trägt, die immer die gleiche bleibt." H. G. Schultze-Bemdt Eingegangene Bücher (Besprechung vorbehalten) < Albach-Retty, Rosa: So kurz sind hundert Jahre, Erinnerungen. Aufgezeichnet von Gertrud SvobodaSrncik. München/Berlin: F. A. Herbig 1978. 296 S. m. Abb. Aumann, Hans J.: Mein Leben als Mischmosch. München: Kindler 1977. 300 S. " Bauen in Berlin. Hrsg.: Rolf Rave, Hans-Joachim Knöfel. Berlin: Kiepert_1977 (2. Aufl.). 236 S. m. Abb., Karten u. Faltplan. ^Baumgardner-Karabak: Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatop . lien. Reinbek: Rowohlt 1978. 123 S. m. Abb. (Tb. rororo-aktuell). *vJ"*\jJenckert, Michael: Brüderlich verbunden - Bischöfe in Berlin. Frankfurt a. M : Otto Lambeck 1977. 146 S. Bergner, Elisabeth: Bewundert viel und viel gescholten. München: C. Bertelsmann 1978. 302 S. m. Abb. Biermann, Wolf: Preußischer Ikarus. Lieder, Balladen, Gedichte, Prosa. Köln: Kiepenheuer u. Witsch I 1978. 230 S. Biewend, Edith: Gleich links vom Kurfürstendamm. Roman. München: Ehrenwirth 1979. 280 S. Bredow, Ilse Gräfin von: Kartoffeln mit Stippe. Eine Kindheit in der märkischen Heide. Bern/ München: Scherz 1979 (4. Aufl.). 216 S. Brentano, Bernard von: Berliner Novellen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979. 94 S. (Suhrkamp TB 568) eo Bonhoeffer, Dietrich: Fragmente aus Tegel. Drama und Roman. Hrsg.: Renate u. Eberhard Bethge. München: Chr. Kaiser 1978. 252 S. Bürgerinitiativen: Model! Berlin. Eine Dokumentation. Hrsg.: W. Beer, W. Spielhagen. Berlin: zittyVerlag 1978. 227 S. m. Abb. •"•' Deutschkron, Inge: Ich trug den gelben Stern. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1979. 216 S. Dietrich, Marlene: Nehmt nur mein Leben . . . Reflexionen. München: Marlene Dietrich/C. Bertelsmann 1979. 352 S. m. Abb. Diwald, Hellmut: Geschichte der Deutschen. Frankfurt a. M./Berlin/Wien: Propyläen 1978. 767 S. V«^- m. Abb. \.*rj Drewitz, Ingeborg: Bettine von Arnim. Romantik - Revolution - Utopie. Düsseldorf: Diederichs 19ft9 ? Ann München: W. Heyne 1979. 332 S. (Heyne Biographien) dies.: Gestern war Heute - Hundert Jahre Gegenwart. Roman. Düsseldorf: Ciaassen 1978. 382 S. Durieux, Tilla: Meine ersten neunzig Jahre - Erinnerungen. Die Jahre 1952-1971 nacherzählt von Joachim Werner Preuß. München: F. A. Herbig 1979 (5. Aufl.). 470 S. m. Abb. Eggebrecht, Axel: Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche. Reinbek: Rowohlt 1975.326 S. Ellis-Jones, Barrie: Berliner Scharade. Roman. 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Hahn, Otto: Begründer des Atomzeitalters. Hrsg. von Dietrich Hahn. München: List 1979. 357 S. m. Abb. Härtung, Hugo: Die Potsdamerin. Roman. München: Schneekluth 1979. 272 S. 215 L t l/Hasse, Otto Eduard: O. E. - unvollendete Memoiren. München: C. Bertelsmann 1979. 296 S. m. Abb. *?Heesters, Johannes: Es kommt auf die Sekunde an. Erinnerungen an ein Leben im Frack. München: Blanvalet 1978. 320 S. m. Abb. ,1 Hetmann, Frederik: Rosa L. Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch-Vlg. 1979. 308 S. m. Abb. (Bd. 2132) Höcker, Karla: Ein Kind von damals. Berlin: Klopp 1977. 240 S. m. Abb. dies.: Die nie vergessenen Klänge. Erinnerungen an Wilhelm Furtwängler. Berlin: Klopp 1979. 244 S. . m. Abb. "jtiHoffmeyer-Zlotnik, Jürgen: Gastarbeiter im Sanierungsgebiet. Das Beispiel Berlin-Kreuzberg. , Hamburg: Hans Christians Druckerei u. Verlag 1979. -173 S. m. Abb. u. Skizzen. I/L,Jannings, Emil: Mein Leben. Aufgeschrieben von C. C. Bergius. 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(Reihe „Welt der , Kunst"). ifl-V Lentz, Georg: Muckefuck. Roman. München: C. Bertelsmann 1976. 335 S. ^WU^Lernstatt im Wohnbezirk. Kommunikationsprojekt mit Ausländern in Berlin-Wedding. Inst, für Zukunftsforschung, Cooperative Arbeitsdidaktik. Frankfurt a. M./New York: Campus-Vlg. 1978. 231 S. m. Dok.-Anhang, Abb. u. Zeichnungen. " * < dann, * H. G.: Prozeß Bernhard Lichtenberg - Ein Leben in Dokumenten. Berlin: Morus 1977. 120S.m.Abb. " Mehring, Walter: Müller - Chronik einer deutschen Sippe. Roman. Düsseldorf: Ciaassen 1978. 269 S. / Mendelssohn-Studien. Beiträge zur neuen deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4. •*<> Berlin: Duncker u. Humblot 1979. 309 S. • Milde, Maria: Berlin Glienicker Brücke. Babelsberger Notizen. München: Nymphenburger 1978. 348 S. m. Abb. Morgner, Irmtraut: Hochzeit in Konstantinopel. Roman. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1979. 190 S. (Sammig. Luchterhand.) f » Müller, Konrad F./Schreiber, Hermann: Willy Brandt. Hamburg: A. Knaus 1978. 96 S. m. Abb. «so öres, Aras: Deutschland, ein türkisches Märchen. Gedichte. (Übers.: Gisela Kraft) Düsseldorf: Claasen 1978.120 S. . Pangels, Charlotte: Friedrich der Große - Bruder. Freund und König. München: Callwey 1979. 394 S. "^••Paretti, Sandra: Der Wunschbaum. Roman. München: Droemer 1975. 416 S. HV Petersen, Jan: Unsere Straße. Eine Chronik. Berlin (Ost): Aufbau 1978. 328 S. Plessen, Elisabeth: Kohlhaas. Roman. Köln: Benziger 1979. 348 S. Quadflieg, Will: Wir spielen immer. Erinnerungen. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1976. 304 S. m. Abb. Rosendorfer, Herbert: Der Prinz von Homburg oder Der Landgraf mit dem silbernen Bein. Bibliographie. München: Nymphenburger 1978. 376 S. m. Abb. u. Tafeln. - -. Saphir, Moritz Gottlieb: Mieder und Leier. Gedankenblitze aus dem Biedermeier. Feuilletons, Glossen, Kurzgeschichten, Aphorismen. Zur Erde geleitet, gebündelt und in gute Nachrede gebracht von Manfred Barthel. Olten/Freiburg i. Br.: Walter-Vlg. 1978. 180 S. Sänger, Fritz: Verborgene Fäden. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft 1978. 250 S. 216 Schimmang, Jochen: Der schöne Vogel Phönix. Erinnerungen eines Dreißigjährigen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979. 300 S. Schmeling, Max: Erinnerungen. Berlin: Ullstein 1977. 544 S. m. Abb. .Schneider, Rolf: November. Roman. Hamburg: A. Knaus 1979. 260 S. 'S Scholem, Gershom: Von Berlin nach Jerusalem. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977. 228 S. Schröder, Ernst: Das Leben - verspielt. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1978. 293 S. m. Abb. i Stuckenschmidt, H. H.: Zum Hören geboren. Ein Leben mit der Musik unserer Zeit. München: { y Piper 1979. 380 S. m. Abb. I 10 Tergit, Gabriele: Effinger. Roman. Frankfurt a. M.: Wolfgang Krüger 1979. 740 S. .c«-'Vierhans, Rudolf: Am Hof der Hohenzollern. Aus dem Tagebuch der Baronin Spitzemberg 1865 — 1914. München: Dtsch. Taschenbuch-Vlg. 1979j[2^Auflg.). 291 S. (dtv-Dokumente, 2911). w» Viertel, Salka: Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des Films. Vorwort: C. Zuckmayer. Reinbek: Rowohlt 1979. 360 S. (Rowohlt Taschenbuch.) -«•e^Witte, Barthold C : Der Preußische Tacitus. Aufstieg, Ruhm und Ende des Historikers Barthold Georg Niebuhr, 1776-1831. Düsseldorf: Droste 1979. 224 S. Wollseiffen, Siegfried: Angaben zur Person - Erzählung. Frankfurt a. M.: Roter Stern 1978.116 S. '$i Zwerenz, Gerhard: Kurt Tucholsky - Biographie eines guten Deutschen. München: C. Bertelsmann 1979. 336 S. m. Abb. Nachtrag 4&dolph, Walter: Erich Klausener. Berlin: Morus 1955.153 S. m. Abb. ***& Becker, Heidede/Keim, K. Dieter: Wahrnehmung in der städtischen Umwelt - möglicher Impuls für kollektives Handeln. Berlin: Kiepert 1978 (4. Aufl. m. kommentiertem Lit,-Nachtrag). . 376S.m.Abb. "t>VBerühmte Städte - Berlin. Mannheim: Bibliographisches Institut 1978, 29 S. m. Abb. Durst, Rolf: Heinrich von Kleist - Dichter zwischen Ursprung und Endzeit. Bern: A. Francke 1965. 224 S. Engelmann, Bernt: Preußen - Land der unbegrenzten Möglichkeiten. München: Bertelsmann 1979. y- 447 S. m. 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Es enthält 5 Beiträge mit insgesamt 38 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band per Post zugestellt, soweit sie den {älligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr (48 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 23,80 DM. Bestellungen von Nichtmitgliedem und Buchhandlungen direkt beim Verlag: Westkreuz-Verlag, Rehagener Straße 30, 1000 Berlin 49. Zusatzbestellungen unserer Mitglieder bei der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31. * Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (li. Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehender Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM). * Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 6 7 - 7 0 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 7 1 - 7 4 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. * Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12,1000 Berlin 41, zu richten. * Die Glückwünsche zu meinem Geburtstag waren so zahlreich, daß ich auf diesem Wege am besten meinen Dank sagen kann. Sie haben mich durch ihr Gedenken und den „Lebenslauf" in unseren Mitteilungen sehr erfreut und mir bestätigt, daß sich ein Einsatz für eine gute Vereinigung immer lohnt. Albert Brauer Im I.Vierteljahr 1980 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Michael Riepel, Postbeamter Am Rupenhorn 8,1000 Berlin 19 Tel. 3 04 47 47 (Grave) Dr. phil. Wolfgang Wippermann, Priv.-Doz. Waltharistraße 22, 1000 Berlin 39 Tel. 8 03 32 14 (Dr. F.scher) Ernst Weber, Rentner Götelstraße 137,1000 Berlin 20 Tel. 3 6188 87 (Bibliothek) Die Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins hat ab Mittwoch, dem 16. Juli 1980, neue Öffnungszeit. Jeweils Mittwoch von 16.00 bis 19.30 Uhr. Vor den Veranstaltungen im Rathaus Charlottenburg eine halbe Stunde zusätzlich. Studienfahrt nach Minden Ziel der diesjährigen Exkursion sind die Stadt Minden und der Kreis Minden-Lübbecke, der sich etwa mit dem früheren preußischen Fürstentum Minden deckt. Stadt. Archivdirektor Dr. Nordsiek vom Kommunalarchiv Minden und Verkehrsamtsleiter H.-E. Wulf vom Verkehrs- und Werbeamt der Stadt Minden haben uns bei der Gestaltung des nachstehenden Programms sachkundig unterstützt: Freitag, 26. September 1980: 6.30 Uhr Abfahrt von der Hardenbergstraße 32 (Berliner Bank) 12.00 Uhr Mittagessen im Restaurant „Die Große Klus" in Bückeburg-Röcke 13.30 Uhr Eintreffen in den Hotels 14.00 Uhr Besichtigung der Noll Maschinenfabrik GmbH mit anschließender Kaffeetafel in Kruses Parkhotel 17.00 Uhr Besichtigung von Dom und Domschatz, Führung Dompropst Garg 19.30 Uhr Gemeinsames Abendessen im Restaurant Laterne, Hahler Straße 38 Sonnabend, 27. September 1980: 8.30 Uhr Aufbruch zur landeskundlichen Exkursion mit Kreisheimatpfleger Rektor i.R. Wilhelm Brepohl, Vorsitzender des Mindener Geschichtsvereins, über die Mühlenstraße zu Baudenkmalen im Kreis Minden-Lübbecke 13.00 Uhr Mittagessen im Gasthof Wilhelmshöhe in Stemwede 16.30 Uhr Kaffeetafel im Schloß Petershagen 19.30 Uhr Gemeinsames Abendessen im Dorfkrug zur Linde in Rinteln Sonntag, 28. September 1980: 9.00 Uhr Abfahrt an der Schachtschleuse zur Wasserstraßenkreuzfahrt 11.10 Uhr Eintreffen in Porta Westfalica, Fahrt zum Wittekindsberg, Fußweg zum KaiserWilhelm-Denkmal 12.00 Uhr Stadtrundgang unter Führung von Dr. Nordsiek 13.30 Uhr Gemeinsames Mittagessen im Ratskeller im historischen Rathaus, anschließend Abfahrt nach Berlin, Kaffeepause im Quellenhof in Bad Helmstedt ca. 21.30 Uhr Ankunft in Berlin, Änderungen vorbehalten Es sind vorsorglich die folgenden Zimmer reserviert worden: im Hotel Exquisit, In den Bärenkämpen 2 a: 10 Doppelzimmer (Preis je Person 35 DM) und 20 Einzelzimmer (45 DM) in der Hotel-Pension Marienhöhe, Marienglacis 45: 15 Einzelzimmer (33 DM bis 35 DM Endpreis) Alle Interessenten, soweit sie sich nicht schon gemeldet haben, werden gebeten, ihre Anmeldung formlos an Dr. H. G. Schuitze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, zu richten. Aus Urlaubsgründen muß Meldeschluß schon der 20. Juli 1980 sein. Nachzügler können je nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berücksichtigt werden. Der Teilnehmerbeitrag beläuft sich auf 69,50 DM je Person, er schließt die Omnibusfahrt, die Exkursion in das Fürstentum Minden, den Ausflug mit der Mindener Fahrgastschiffahrt sowie alle Führungen ein. Zu gegebener Zeit erhalten die Teilnehmer Angaben über die in den einzelnen Gaststätten bestellten Menüs, wo aus Gründen der schnelleren Bedienung gemeinsame Essen vorgesehen sind. H. G. Schuitze-Berndt 219 Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegt ein vereinsinterner Hinweiszettel bei. Veranstaltungen im III. Quartal 1980 1. Dienstag, den 22. Juli 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr. Stephan Waetzold: „Bilder vom Menschen in der Abendländischen Kunst". Eine Einführung in die Jubiläumsausstellung der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonnabend, den 26. Juli 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie „Bilder vom Menschen in der Abendländischen Kunst". Eintritt zum ermäßigten Gruppenpreis. Treffpunkt im Vestibül. Im August finden keine Veranstaltungen statt — Sommerpause. 3. Sonnabend, den 6. September 1980, 10.30 Uhr: „Von der Kastanienterrasse zur ,Harfenjule' - Der Schillerpark am Wedding". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Müllerstraße, Ecke Ungarnstraße, Nähe U-Bahnhof Seestraße. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Seestraße und Busse 12,16,89. 4. Sonnabend, den 20. September 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Sonderausstellung im Rahmen der Berliner Festwochen „Emil Nolde - Das graphische Werk" im BrückeMuseum, Bussardsteig 9, 1000 Berlin 33. Eintritt zum ermäßigten Gruppenpreis von 1,50 DM. Führung: Herr Otto Adolf Brasse. Fahrverbindungen: Busse 1, 18, 68, dann umsteigen auf 60. 5. Freitag, den 26. September, bis zum Sonntag, 28. September 1980, Studienfahrt nach Minden. Das Programm ist auf Seite 219 ausgedruckt. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank. Kai-crdamm 95. 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10. Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 220 MAT^- A1015FX MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 76. Jahrgang Heft 4 Oktober 1980 Katsbibliomek «dwttt. der Berliner Stadtbibttotfiafe Stanislaw Przybyszewski (Krystyna Kolinska: Stachu, jegokobiety i jego dzieci, Krakow 1978) 221 Stanislaw Przybyszewski - Ein Pole in Berlin1 Jürgen Vietig Er war nicht nur liberal, sondern arbeitete als Redakteur einer sozialistischen Wochenzeitung, von der er schließlich wegen abweichender Ansichten entlassen wurde. Er war nicht nur aufklärerisch, sondern ein erbitterter Ankläger des Klerikalismus. Er war nicht nur tolerant, sondern zeigte in seinen Büchern Verständnis für alle Formen des Geschlechtslebens bis hin zur Nekrophilie. Er war darüber hinaus phantasievoll, kannte sich in Schwarzer Magie und Satanskult aus; er war ein Trinker und Drogensüchtiger; er vermischte Dichtung und Wahrheit so stark, daß er sich selbst darin nicht mehr zurechtfand. Er trieb seine Geliebte in den Selbstmord und überließ die gemeinsamen Kinder dem Waisenhaus. Er war ein polnischer Preuße, der in Berlin am Ende des letzten Jahrhunderts seine Karriere als deutscher Schriftsteller machte. Sein skandinavischer Zeitgenosse und Kollege Adolf Paul schilderte Stanislaw Przybyszewski ein wenig ironisch: „Er war klein, nervös, hellblond, mit spitzem Vollbart, Augen, die überall und nirgendswohin, niemals aber einem anderen gerade in die Augen blicken konnten, und einer leisen, fast unhörbaren Stimme. Er galt als das größte Genie des Kreises und wurde besonders von Richard Dehmel als solches propagiert. Ein Meister in der Kunst, sich interessant zu machen. Dillettant auf vielen Gebieten, nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Musik und vor allem in der Politik, hatte er etwas von Christus und Charlatan zugleich an sich, war immer von einer Glorie des Hungermartyriums und des geheimnisvollen Verfolgtseins umstrahlt, raste genial unbekümmert auf dem Klavier und propagierte mit nimmer ermüdendem Enthusiasmus seinen Landsmann Chopin sowohl dort (d. h. im Berliner Boheme-Lokal „Zum Schwarzen Ferkel" - Anm. J. V.) wie auch in einem literarischen Essay, in dem er ihn mit Nietzsche in einen Topf warf."2 Paul und Przybyszewski gehörten zu den Stammgästen des „Schwarzen Ferkels" in der Berliner Neuen Wilhelmstraße. Dort trafen sich im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts die Wortführer des „Jungen (oder auch: Jüngsten) Deutschland", des „Jungen Skandinavien" und des „Jungen Polen": der Schwede August Strindberg, die Deutschen Richard Dehmel, Max Halbe, Otto Erich Hartleben - um nur einige zu nennen - und eben auch der Pole Stanislaw Przybyszewski. Denn Berlin zog damals auch Zehntausende der polnischen Untertanen Preußens an, die seit der Aufteilung des polnischen Staates, besonders aber seit der Bismarck-Epoche zum großen Teil in ständig stärker werdender Opposition zur offiziellen Germanisierungspolitik standen. Przybyszewskis Vater hatte als Volksschullehrer in Lojewo bei Inowrazlaw öffentlich Protest gegen die Zurückdrängung der polnischen Unterrichtssprache erhoben - und war über diesen Akt von Zivilcourage in tiefe Depressionen verfallen. Dennoch lockte der Glanz der preußischdeutschen Hauptstadt den einunzwanzigjährigen Sohn nach dem Abitur aus der Geborgenheit der Heimat fort, die noch weitgehend im Zeichen von Tradition und Aberglauben stand, wie aus Przybyszewskis Autobiographie hervorgeht: „Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund erkrankte ich schwer an Kopfschmerzen, gegen die auch ein so erfahrener Arzt wie der alte Rakowski kein Mittel kannte. Ich wußte, was geschehen war, aber ich schwieg. (Das vom Vater beleidigte Dienstmädchen - J. V.) Ulicha hatte mich gepackt, mir die Haut auf der Stirn zerschnitten... und in die kleine Wunde den Saft unreifer Pflaumen gerieben, auf die sie vorher gespuckt hatte. Mir aber hatte sie zu sagen befohlen, ich hätte mir die Stirn an der Tischkante aufgeschlagen, sonst käme ich lebend in die Hölle... Aber über mir wachte Lucha Lawecka... „Stasio ist behext" verkündete sie (und)... als es Nacht wurde, grub 222 Die Volksschule von Lojewo, wo Przybyszewski am 7. Mai 1868 geboren wurde die Lawecka in ihrem Garten ein paar Schwarzwurzeln aus..., pflückte Blätter der weißen Wasserlilie, besprengte sie mit dem Schwarzwurzelabsud, der in Weihwasser abgekühlt worden war... legte mir die ganze Nacht über diese Blätter auf Kopf und Brust, wobei sie immerzu etwas murmelte: ich weiß nur, daß es keine Gebetsworte waren. Am nächsten Tag geschah ein Wunder, ich stand auf, gesund und munter wie nie, Ulicha dagegen fand m a n . . . zähneklappernd infolge heftigen Schüttelfrostes;... kurz darauf starb (sie). Das ist ein klassisches Beispiel für den choc en retour."3 Trotz dieses Glaubens an den auf die Hexe zurückwirkenden Schock und seine Heilungskraft entschied sich Przybyszewski für ein Medizinstudium. Doch der Marcinkowski-Verein, der den polnischen akademischen Nachwuchs aus dem Großherzogtum Posen durch Stipendien aus polnischen Spendenmitteln unterstützte, war der Meinung, es gebe bereits genügend polnische Arzte, man brauche dagegen polnische Architekten in Posen. Przybyszewski fügte sich dieser Entscheidung und nahm tatsächlich 1889 das Architekturstudium in Charlottenburg auf, doch bereits nach einem Jahr schrieb er sich an der medizinischen Fakultät der Berliner Universität ein. Damit entfielen die Stipendienzahlungen, und er mußte sich nun wirklich durchhungern. Die Unterstützung durch Vater und Bruder reichte nicht aus zum Leben, zumal er ab Februar 1892 nicht nur für seine ebenfalls mittellose Freundin Malta Foerder, sondern auch für einen gemeinsamen Sohn zu sorgen hatte. „Sollte nicht ein Genie die Verpflichtung haben, die menschliche Rasse zu verbessern?... Nun, natürlich dadurch, daß er (sie!) möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Frauen zeugte."4 So heißt es in einem seiner literarischen Werke - doch auch in seinem Leben hat er sich an dieses Motto gehalten. Um ihm treu bleiben zu können, mußte er sich nach einer einigermaßen sicheren Quelle für seinen Lebensunterhalt umsehen. 223 Dabei kam ihm zweierlei zugute: Erstens hatte er nicht nur in der Kneipenrunde im „Schwarzen Ferkel" Chopin und Nietzsche „in einen Topf geworfen", sondern auch für seinen Essay zu diesem Thema 5 sofort einen Verleger gefunden und war dadurch mit einem Schlage einem größeren Publikum bekannt geworden; zweitens war er - wie gesagt - preußischer Untertan. 1892 hatte nun die von deutschen Sozialdemokraten und polnischen Sozialisten in der Londoner Emigration gemeinsam in Berlin publizierte Wochenzeitung „Gazeta robotnicza" („Arbeiterzeitung") zum zweitenmal ihren Redakteur verloren; die preußischen Behörden hatten ihn, da es sich jedesmal um einen Polen aus dem russischen oder österreichischen Teilungsgebiet handelte, ohne große Umstände als unliebsamen Ausländer abschieben können. Da Przybyszewski inzwischen bewiesen hatte, daß er gut schreiben konnte - sogar auf deutsch, sein Polnisch konnte nur besser sein -, und er als Preuße nicht ohne weiteres aus Berlin ausgewiesen werden konnte, fiel die Wahl der Sozialdemokraten auf ihn, der sich bisher politisch nicht sonderlich engagiert hatte. Er sollte nun mit journalistischen Mitteln unter den polnischen katholischen Industriearbeitern Schlesiens und Landarbeitern Posens für den Sozialismus werben. Als Entgelt erhielt er dafür monatlich 120 Mark, die ihn der allergrößten materiellen Sorgen enthoben. An seine neue Aufgabe ging Przybyszewski mit einem ziemlich unorthodoxen Rezept: „Die Gruppe der alten polnischen Internationalen (in London - J. V.) bemühte sich derart auf den polnischen Arbeiter einzuwirken, daß sie ihn vor allem von der Kirche fortriß und von jedem religiösen Glauben löste. Der listige Großpole - wie man mich nannte - erwähnte kein einziges Mal Marx und Lassalle - für die polnischen Arbeiter, vorwiegend Analphabeten, ist das Hekuba. Dagegen berief er sich unablässig auf das Evangelium, auf die Schriften der Kirchenväter, er begann einen Kampf mit der konservativ-katholischen, durch und durch deutschen, aber in polnischer Sprache redigierten Presse in Oberschlesien, und die Abonnentenzahl stieg ständig."6 Tatsächlich wirken die Artikel aus der „Gazeta robotnicza", die Przybyszewski verfaßte, eher wie Andachten oder Bibelstunden, nicht aber wie Agitationen und Propaganda - obwohl sie es ohne Zweifel waren: „Jeder, der das Neue Testament kennt, muß zugeben, daß Jesus Christus stets die Gleichheit verkündete. Er liebte die Kinder, und über die Ausbeuter sagte er, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme. Und wann wird die Gleichheit, die uns der Herr Jesus lehrte, herrschen? Erst dann, wenn es keine Reichen und keine Armen gibt, wenn alle gleich arbeiten und die Früchte ihrer Arbeit genießen. Wir sehen, daß die Lehren Christi vollständig mit den Zielen, die die Sozialisten anstreben, übereinstimmen: völlige Gleichheit, die man nur durch die Verstaatlichung des Privateigentums erreichen kann."7 Und zur Bekräftigung werden dann noch die Heiligen Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Basileus zitiert. Trotz solcher und ähnlicher Artikel, die unter der polnisch-katholischen Arbeiterschaft auf großes Interesse stießen, waren die Auftraggeber Przybyszewskis mit ihm nicht zufrieden. Manchem altgedienten Sozialisten paßte die „listige Art", sich auf die Kirchenväter bei der Verbreitung des Sozialismus zu stützen, nicht. Aber es gab auch andere Gründe, die wahrscheinlich schwerer wogen. Zum chaotischen Lebensstil Przybyszewskis gehörte eine entsprechende Kassenführung, so daß aus London immer wieder Briefe in der Redaktion in der Dresdner Straße eintrafen, in denen nach dem Verbleib bestimmter Gelder, nach Abrechnungen und Belegen gefragt wurde. Als Przybyszewski schließlich bei einer polizeilichen Durchsuchung, die dem bei ihm versteckten Sozialisten Stanislaw Grabski 8 galt, die Nerven verlor, als andere Genossen berichteten, daß er durch inzwischen zwei uneheliche Kinder und deren 224 Dagny Juel, die norwegische Ehefrau Przybyszewskis (ermordet am 20. Mai 1902) Stanislaw Przybyszewski in Lodz (1902) Mutter sehr belastet sei und deshalb trinke, sich mit Okkultismus und Dekadenz beschäftige, da wurde im September 1893 von der Partei ein Nachfolger ernannt, der sein Amt am 1. Oktober des Jahres antrat 9 . Gleichzeitig mit seiner Karriere als Redakteur einer sozialistischen Wochenzeitung ging auch eine andere Karriere in Berlin zu Ende: sein Medizinstudium. Der Universität war davon Mitteilung gemacht worden, daß er einen polizeilich gesuchten Sozialisten verborgen hatte, und der Rektor, Rudolf Virchow teilte ihm kurz mit: „Wenn Sie von der Universität nicht weggehen, so werden Sie gegangen."10 Es nützte Przybyszewski auch nichts - und er hätte es auch nicht verraten dürfen - , daß er bereits einige medizinische Doktorarbeiten verfaßt hatte; so behauptet er jedenfalls: „Man muß nämlich wissen, daß es zu jener Zeit in Berlin ein Büro gab, das reichen Doktoranden Arbeiten lieferte, auf Grund derer sie den Doktortitel erhielten. Mit Arbeit in diesem Büro erwarb ich mir den Lebensunterhalt. Ich habe einige derartige Arbeiten geschrieben: eine über Napoleons Zug nach Moskau, ich schrieb über den Einfluß des Chloroforms auf den tierischen Organismus; ich schrieb eine Arbeit über die Entstehung der Zähne bei Embryos und schließlich eine Arbeit über Fechners „Bewußtseinsschwelle". Weil der Doktorand beim Examen von dieser unglückseligen Schwelle keine Ahnung hatte, fiel der durch, seine Arbeit erweckte Verdacht, man verfolgte die Spur rückwärts, und eines Tages fand ich das Büro leer: der Direktor hatte gerade noch flüchten können."11 Die preußisch-deutsche Hauptstadt hatte für Przybyszewski als Politiker und Wissenschaftler keinen Platz mehr, es blieb ihm nur noch die Beschäftigung mit der Literatur und mit den Frauen. Literatur und Leben vermischten sich bei ihm ununterscheidbar mit einander: Liebe, 225 Ro Berlin, dnia 6 listopada 1891. Nr. 45. GAZETA ROBOTNICZA Organ Socyalistöw Polskich. " wjreboa* oo «statt. ' Vi (»jfiUl kwartaln* wy*0«i oa wsrMtkich pocftarh p*BStw* niemiwkicg" »0 fcnygtw. Zapiaom Jcat w porUowjm katalOfii • t a n *M .8. »acktntf n r 2&un«>rre)il»t* flu 1891 unter •. poiniwb Nr. 30*u AbooMutni mieti^toT u knlpoHcWi* t <wl«t»w» >lo <lömu wyao« 30 f«j|r&w. P»d ofäak* • ehst—ljey? fcwartafaie w Niemnwch 1 Aettryi 1 u u k ( 30 fen.. *n gruir» 1 mr, W fca. - CM» optcwcA o.I wie**M» trxyiautfwtgo drobocgo diuk* •0 frnjfO* — Hetekry» i Mk*y*ijvj% •aftjdaje ^ w Berh'me SW., UevttotrMse 3, w j*.iwf,na 4 pi^tro OB lewa. üsty.- pmwylki plen^ene i tamäwienta na ioMtMy pmayta oafeiy pod powyiazytn •dresem. Towarzyszel U p r a s z a m y W a s o rozszerzanie „Gazety Robotniczej!" n» IroDfrawi« w Brftrofc. Ta «pofoezna pnemijui» Dmaczx wyiwolenio nietylko k l t s j robotnicsäj, sl« cal^j iudikosci, cierpiiy^j wakulek dxisiejsKego utann ^potecziiego. 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Bexplttnosü nauki i irodkAw naukowycb OTM opteki w piiblieznycb iikot&ch ludowych, jakotoA wo wyiszych atkltwlkch natikowych dl» tycb ocruiiw i acseDoic, ktorych m u t i o s powoda ich sdolnoici za odpowi«4mch do dalezego ksaUfcen»- Titelblatt der in Berlin erschienenen Gazeta robotnicza, des Organs polnischer Sozialisten, vom 6. November 1891 mit dem am 21. Oktober 1891 beschlossenen Erfurter Programm der SPD Sehnsucht, Satanismus - das sind die Hauptmotive seiner Werke, die seinen literarischen Ruhm unter seinen Zeitgenossen in Berlin festigen, die ihn als typischen Vertreter des Fin de siecle erscheinen lassen; im persönlichen Leben führten sie ihn in stets neue Tragödien und entfremdeten ihn seinen Berliner Freunden. Sie sahen ihn als schuldig am Tode seiner Freundin Marta Foerder, der Mutter seiner drei Kinder, an. Sie hatte nach Przybyszewskis Eheschließung mit der umschwärmten Norwegerin Dagny Juel12 1896 Selbstmord begangen13. Seinen literarischen Erfolgen tat das jedoch keinen Abbruch. Die Sensation, die sein Werk hervorrief, ist heute nur schwer nachzuvollziehen - durch „Frankenstein"- und „Dracula"-Filme „verwöhnt", ist heute wohl kaum noch ein Leser durch eine Szene wie die folgende zu schockieren: „Wie eine Pantherkatze schlich ich langsam an die Leiche heran - ich war dicht an ihr. Mit irren keuchenden Fingern suchte ich das Lid zu heben; ich zitterte und flog an allen Gliedern; ein fürchterlich verzerrtes Wollustgrinsen lag auf dem Gesichte. Ich hatte die Empfindung, daß mein Kopf mir durch das Fenster flöge, und ich lachte und schrie und fühlte meine eigenen Laute auf mich zurückprallen wie Steinwürfe - ich küßte ihr Gesicht, ich riß und sog an ihr, und plötzlich biß ich mich mit geifernden Lippen wie ein Vampir schrill in ihre Brust hinein."14 Dieses Buch erlebte zwei deutsche Auflagen, wurde ins Russische, Tschechische und Bulgarische, zuerst aber natürlich ins Polnische übersetzt15. Durch seine Berliner Werke und deren großes Echo drang Przybyszewskis Ruf nach Krakau, ins österreichische Galizien, wo damals der polnischen Kultur die größten Entfaltungsmöglichkeiten gegeben waren. Dort konnte er 1898 die Literaturzeitschrift „Zycie" („Das Leben") 226 übernehmen und seine Erfahrungen mit der deutschen und skandinavischen Moderne weitervermitteln: Sein Journal wurde zum Forum des geistigen Austauschs zwischen diesen Ländern und Polen; von Przybyszewski gingen dabei Anstöße für die Literatur des „Jungen Polen" aus, die dort bis heute die Erinnerung an ihn wachhalten, zumal die literarische Bedeutung des „Jungen Polen" ungleich gewichtiger ist als die des „Jungen Deutschland". In Berlin erinnert fast nichts mehr an ihn. Hätte ihn nicht eine Dagny Juel August Strindberg vorgezogen, wäre er nicht Stammgast im „Schwarzen Ferkel" gewesen, so wäre sein Name wohl auch aus der Lokalgeschichte Berlins verschwunden16. Mag sein, daß zu diesem Vergessen auch Przybyszewskis fast physischer Haß gegen alles Preußische, dem er drastischen Ausdruck gab, beigetragen hat: „Wäre es für die Polen im preußischen Teilungsgebiet nur um Germanisierung gegangen, so wäre das nur halb so schlimm gewesen, eine rein germanische Seele wäre nicht imstande gewesen, auf so schädliche Weise mit einem unterjochten Volk umzugehen, und wer weiß, ob sie es unterjochen wollte - aber hier ging es um etwas anderes: um eine abscheuliche Verpreu227 ßung. Die Preußen sind ein Volk von Bastarden, das aus eingeströmten deutschen Elementen, vermischt mit Slawen und Juden, besteht. Der reine Germane hat seine Tugenden, ihn findet ihr, je weiter ihr euch von Preußen entfernt - in Bayern, im Rheinland, in Württemberg -, und er wäre nicht fähig, die polnische Seele so zugrunde zu richten wie der Bastard-Preuße."17 Durch seinen Tod im Jahre 1927 blieb es Przybyszewski erspart, 1939 den schrecklichen Beweis des Gegenteils durch ein vom Rassenwahn befallenes Deutschland zu erleben. Nicht die pauschale Kritik eines „Muß-Preußen" an Preußen läßt ihn heute noch erwähnenswert erscheinen. Aber seine originellen politischen Aktivitäten, die nur auf dem Boden eines Preußen mit seinen unterschiedlichen Nationalitäten denkbar waren, und vor allem seine „Erinnerungen an das literarische Berlin" der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollten auch in dieser Stadt die Erinnerung an ihn wachhalten. Zwar ist seine Autobiographie mit großer Vorsicht zu lesen: Der angebliche Tod der Hexe Ulicha durch den rückwirkenden Schock konnte beispielsweise von Literaturwissenschaftlern nicht bestätigt werden; andere Passagen hat er, der Feind aller Genauigkeit, fast ohne Änderung bei einem anderen Literaturhistoriker abgeschrieben. Doch das, was er selbst erlebt hat (oder erlebt zu haben meint), stellt er sehr plastisch dar, zum Beispiel den Friedrichshagener Dichterkreis, der sich damals aus der Großstadt Berlin zurückgezogen hatte: „In der Gruppe der Künstler . . . herrschte eine solche Solidarität, eine fast überempfindliche Kollegialität, daß es keinen unter ihnen gab, der mit dem anderen nicht alles geteilt hätte, was er besaß. Ein Kommunismus der Enterbten, der für den satten Pöbel so unverständlich war, daß er ihn mit dem berühmten Pasquill zu verhöhnen vermochte: ,Wir wollen uns mit Schnaps berauschen, Wir wollen unsere Weiber tauschen, Wir wollen uns mit Talg beschmieren, Im Sonnenscheine nackt spazieren Wir wollen echte Russen sein!' Der letzte Aufruf bezieht sich auf die russischen anarchistischen Strömungen, die gerade die Friedrichshagener Kolonie durchsetzten, und jedes ihrer Glieder galt als gefährlicher Anarchist . . . (Doch) die tiefe Sympathie, die sie für die russischen Märtyrer empfand, war nur platonisch."18 Als Beobachter und Interpret dieser Randgruppe, die Stanislaw Przybyszewski wie kaum ein anderer in Berlin gekannt hat, wird der polnische Preuße wider Willen seinen Rang sicher behalten. Anschrift des Verfassers: Jürgen Vietig, Wildpfad 20a, 1000 Berlin 33 1 2 3 4 5 6 7 8 Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung einer Sendung des RIAS-Bildungsprogramms. Adolf Paul: Zum schwarzen Ferkel, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins, XXVIII/1979, S. 97. - Zum genannten Essay s. Anm. 4 Stanislaw Przybyszewski: Erinnerungen an das literarische Berlin. Mit einem Geleitwort von Willy Haas (aus dem Polnischen übertragen von Klaus Staemmler - Originaltitel: Moi wspötczesni - Wsröd obcych, Warszawa 1926), München 1965, S. 256 ff. Stanislaw Przybyszewski: Homo sapiens. T. HI - Im Malstrom, Berlin 1895, S. 36 Ders.: Zur Psychologie des Individuums. T. I - Chopin und Nietzsche, Berlin 1892. Ders.: Erinnerungen ..., S. 95. Gazeta robotnicza, Nr.43 (1892), zitiert nach Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, Krakow 1958, S.62. Grabski war in den zwanziger Jahren polnischer Volksbildungsminister. 228 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, S. 69 f. Stanislaw Przybyszewski: Erinnerungen ..., S. 97. Ebenda, S. 93 f. Zu Dagny Juel vgl. Adolf Paul (2): Zum schwarzen Ferkel..., S. 96 f. Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, S. 142. Stanislaw Przybyszewski: Totenmesse, Berlin 21900, S. 51. Stanislaw Helsztyriski: Bibliografia pism Stanislawa Przybyszewskiego, Warszawa 1968, S. 6/7. 1979 ist jedoch in einer (leider etwas oberflächlich gemachten) Neuauflage Przybyszewskis „Die Synagoge des Satans" beim Verlag Clemens Zerling, Berlin (West), herausgegeben worden. Stanislaw Przybyszewski: Moi wspölczesni - Wsröd swoich, Warszawa 1930, S. 10 f. Ders.: Erinnerungen ..., S. 87 f. Die Tjtoerwindung der Diaspora J3ie Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottenburg 2. Teil: Zerstörung, Wiederaufbau und Ausbau Von Eleonore Liedtke Kirchenkampf, Schließung katholischer Bildungseinrichtungen sowie die Zerstörung katholischer Kirchen durch die Bombenangriffe in der Zeit des Nationalsozialismus kennzeichnen die erste Phase katholischen Lebens in Charlottenburg, die durch die Phase des mühseligen Wiederaufbaus des Bistums Berlin nach 1945 in Frieden und Freiheit fortgesetzt wird. Die beiden katholischen Gymnasien in Charlottenburg erfuhren in zunehmendem Maße den kirchenfeindlichen Druck der nationalsozialistischen Diktatur, der einschneidende Veränderungen brachte. Bis zum Jahre 1940, dem Jahre der gewaltsamen Schließung durch die Machthaber des Nationalsozialismus, hatten 1332 Schüler das „Gymnasium am Lietzensee" besucht, darunter auch der am 13. Dezember 1979 verstorbene Bischof von Berlin, Dr. Alfred Kardinal Bengsch. Nach der Zerstörung des Schulgebäudes 1943 durch Bomben erstand 30 Tage nach dem Zusammenbruch das „Gymnasium am Lietzensee" neu unter dem Namen „Canisius-Kolleg". 1947 erfolgte der Einzug in das ehemalige Krupp-Verwaltungsgebäude in Berlin-Tiergarten. Auch die Notkapelle „St. Canisius" aus den zwanziger Jahren wurde durch Bomben zerstört. Doch als sich in Berlin seit der Mitte der fünfziger Jahre wieder freischaffendes Bauen ohne Diktatur und Krieg entfalten konnte, wurde auch „das künstlerische Unikat im deutschen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts" geschaffen, Berlins katholische „Wiegenkirche" St. Canisius, Witzlebenstraße 27-29. Die 1955 fertiggestellte neue St.-Canisius-Kirche von Reinhard Hofbauer, deren bautechnische Überholung 1965 abgeschlossen war, öffnet sich zum Lietzensee und zu der ihn umgebenden Parkanlage. Von dem großen Portalvorplatz mit dem freistehenden Turm im Hintergrund nimmt seit 1961 alljährlich die Fronleichnamsprozession für die Katholiken im Westteil Berlins ihren Ausgang und führt durch die Parkanlage rund um das „Weihwasserbecken" herum. Die Kirche ist auf konischem Grundriß errichtet. An den Halbkreisbogen der Eingangsfront schließen sich - hintereinander geschichtet - hohe Bögen an, die sich bei gleichbleibender Scheitelhöhe zum Altar hin verjüngen. Angezogen wird der Beter von dem Crucifixus Gerhard Schreibers an der Abschlußwand. Dieser Eindruck wird unterstützt 229 St. Canisius-Kirche durch den Lichteinfall aus Fenstern, die verborgen bleiben. Die Canisius-Gemeinde selbst ist bekannt durch ihr reges Gemeindeleben. Das Angebot an zahlreichen Sonntagsgottesdiensten, die täglichen Abendmessen sowie die Fastenpredigten dieser 6000 Seelen zählenden Gemeinde wirken auf viele Gläubige anziehend. St. Canisius ist außerdem als überpfarrliche „Beichtkirche" beliebt und aus zahlreichen Übertragungen von Fernsehgottesdiensten in letzter Zeit über den Rahmen der Stadt hinaus bekannt geworden. Die umliegenden Gebäude, wie das Dr.-Erich-Klausener-Haus in der Witzlebenstraße 30, das einst Arbeitsräume des Bischöflichen Ordinariats und katholischer Organisationen beherbergte, sowie die Helene-Weber-Akademie für Sozialarbeit und das im Hintergrund in der Suarezstraße gelegene Wilhelm-Weskamm-Haus - einst als Studentenwohnheim benutzt -, rahmen den Gemeindekomplex ein. Die Helene-Weber-Akademie, die 1972 aufgelöst wurde, verstand sich als Nachfolgeinstitution der 1917 gegründeten „Sozialen Frauenschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes", einer Bildungsstätte für weibliche Fachkräfte der Sozialarbeit. Besonders unter der Leitung der beiden inzwischen verstorbenen Direktorinnen, Paula Regnier und Dr. Marianne Pünder, hat sich der gute Ruf dieser Ausbildungsstätte für Seelsorgehelferinnen und Sozialarbeiter(innen) weit verbreitet. Auch für die „Katholische Schule Liebfrauen" brachte die nationalsozialistische Ära eine 230 einschneidende Veränderung. Der 1936 verfügte stufenweise Abbau dieser Schule war im Juli 1942 beendet und die Schule geschlossen. Das Schulhaus wurde in ein Heim für berufstätige Damen umgewandelt. Die Lehrerinnen konnten z. T. noch in den anderen Schulen der Kongregation eingesetzt, die übrigen mußten mit häuslichen Aufgaben beschäftigt werden. Am 30. Januar 1944 wurde das Liebfrauenhaus durch Sprengbomben zerstört, am 15. Februar brannten die restlichen Gebäude ab. Unter der zielstrebigen Leitung von Sr. M. Coelestis, „Coe" genannt, wurde kurz nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges mit dem Wiederaufbau der Schule begonnen. Am 1. Juni 1945 wurde im früheren Schülerinnenheim der Unterricht wieder aufgenommen. Die Kurse für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen liefen 1952 aus. Eine neue Phase in der Entwicklung der Liebfrauenschule wurde 1951 mit der Eröffnung der ersten Grundschulklassen eingeleitet. Versuche, die zerstörte Liebfrauenschule am Lietzensee wieder aufzubauen, scheiterten. Dafür konnte, nach Erwerbung eines weiteren Grundstücks, der Neubau in der Ahornallee 33 von Bischof Julius Kardinal Döpfner im Jahre 1959 eingeweiht werden. Neben dem bereits bestehenden neusprachlichen Typ wurde 1969 die sozialwissenschaftliche Oberstufe aufgebaut, um neue Wege und Möglichkeiten der Menschenbildung zu suchen. Außer den Schulen St. Franziskus, St. Marien, Salvator, Herz Jesu hatte das Bistum Berlin am 1. Januar 1970 auf Antrag der Ordensschulträger - aus finanziellen und personellen Gründen - auch die Liebfrauenschule übernommen. Damit wurde die Möglichkeit einer Koordinierung des katholischen Schulwesens in Berlin (West) gegeben. Eine im Herbst 1973 eingeleitete allmähliche, jahrgangsweise Umstellung im Rahmen einer Änderung der Schulorganisation mit dem Abbau der Grundschule und dem Auf- und Ausbau der Realschule war 1978 abgeschlossen. Als jüngste katholische Schulgründung in Charlottenburg ist die Katholische Schule Herz Jesu in der Insterburgallee 8-10 zu betrachten. Mit Hilfe von Frau Dr. Westrick war es der Provinzoberin der Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu, M. Maria Tiefenbacher, 1945 gelungen, bei der sowjetischen Militärkommandantur als allererste Schule in Berlin, also noch vor den öffentlichen Schulen, eine Unterrichtsgenehmigung für die jetzige Herz-Jesu-Schule zu erreichen. Die Ordensfrauen, auch als Sacre-Coeur-Schwestern bezeichnet, brachten Schulerfahrung mit, denn seit 1937 leiteten sie in der Hagenstraße 39-47 im Grunewald eine Schule für Diplomatenkinder und unterhielten ein Wohnheim für studierende und berufstätige Mädchen. Als Ostern 1939 in der überwiegenden Zahl der Pfarreien des Bistums Berlin die katholischen staatlichen Volksschulen geschlossen wurden, verloren auch die Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu ihr Wirkungsfeld und wurden vertrieben. Bereitwillig fanden sie gastliche Aufnahme bei den Anbetungsschwestern von St. Gabriel in der Bayernallee. Nun übernahmen die Schwestern andere Aufgaben wie Konvertitenunterricht, Aushilfe in der Seelsorge u. a. Nach dem Zusammenbruch fand der Schulunterricht der neu eröffneten Herz-Jesu-Schule zuerst im Pfarrsaal der Heilig-Geist-Gemeinde statt, danach in einer Baracke in der Preußenallee 25, dort, wo heute der Kindergarten der Heilig-Geist-Gemeinde liegt. Erst zum Christkönigsfest 1949 gelang es den Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu, ein für Schulzwecke geeignetes Haus zu erwerben, nämlich die große Villa in der Insterburgallee 8-10. Mit Hilfe der durch den Verkauf des Grundstücks im Grunewald an den italienischen Schwesternorden „Sorelle della Misericordia di Verona", die hier das Karl-Steeb-Heim, ein Altersheim, betreuen, empfangenen Mittel konnte die Villa in ein Schulhaus umgewandelt werden und ein Gebäudetrakt angebaut werden. Die Herz-Jesu-Schule führt eine Grundschule, die in einen Realschulzweig mündete. 1976 lief jedoch dieser Realschulzweig aus, und die Koordinierung mit der Liebfrauenschule begann. Auch das St.-Hildegard-Krankenhaus mit seiner Kapelle trug Kriegsschäden davon. Die an der 231 Stelle des ehemaligen Kohlenschuppens von den Schwestern der hl. Hildegard errichtete Kapelle diente der Hl.-Geist-Gemeinde bis zum Bau der großen Hl.-Geist-Kirche in der Bayernallee als Gemeindekirche. Diese Kapelle wurde beim Angriff am 23. November 1943 zerstört. Ein weiterer Luftangriff am 25. Februar 1944 zerstörte das Krankenhaus zu 75 %. Als 1956 das Röntgenhaus umgebaut und erweitert werden mußte, gestaltete man einen Teil des Gebäudes als neue Kapelle mit etwa hundert Sitzplätzen aus. Die Nachfolge der Hildegardschwestern in der Krankenhausleitung traten die Dienerinnen des Heiligen Geistes an, Missionsschwestern aus der Spiritualität des seligen P. Arnold Janssen. Über vierzig Jahre, bis Ende des Jahres 1976, haben die Dienerinnen des Heiligen Geistes diesem katholischen Krankenhaus das besondere christliche Gepräge gegeben, bis auch sie sich wegen Nachwuchsmangels auf ihre ordenseigenen Krankenanstalten in Westdeutschland zurückzogen. Seit Januar 1966 liegt die Trägerschaft des St.-Hildegard-Krankenhauses mit seinen rund 180 Betten beim Caritas-Verband Berlin, der es auch weiterhin als Erste-Hilfe-Krankenhaus an der Avus und im Bereich des Messegeländes unterhält. Auch die „Maria Himmelfahrt"-Gemeinde ist eine Gründung Bernhard Lichtenbergs. 1922 beauftragte er seinen Kaplan Georg Hillebrand, im „Kalowswerder" eine Gottesdienststätte einzurichten. In der Schulaula in der Wiebestraße konnte am 22. August 1922 die erste hl. Messe mit 65 Teilnehmern gefeiert werden. Pfarrer Lichtenberg selbst war auch noch für diesen Kapellenbau betteln und sammeln gegangen. Der große Kirchbauplan des Dahlemer Architekten Kaufhold zerschlug sich. Die Mittel reichten nur für einen Teilbau als Provisorium. Die Grundsteinlegung am 15. September 1925 und die Benediktion der Kapelle am 15. August 1926 konnte Msgr. Lichtenberg selbst vornehmen. Das Festgeheimnis des Benediktionstages „Maria 232 Himmelfahrt" wurde auch der Name der am gleichen Tage gebildeten Gemeinde. Am 1. April 1959 wurde der nördliche Teil der Gemeinde ausgepfarrt, und zwar die Kolonien in Plötzensee und Jungfernheide in die seelsorglich selbständige Kuratie „Maria Regina Martyrum". 40 Jahre hatte diese Charlottenburger Pfarrgemeinde auf ihr richtiges Gotteshaus warten müssen, das jetzt auf dem Grundstück Mindener Straße/Mierendorffplatz steht, im Zentrum des ehemals „Kalowswerder" genannten Stadtgebietes, jenseits von Spree und Schloßbrücke. Sowohl städtebaulich-architektonisch als auch in ökumenischer Hinsicht stellt „Maria Himmelfahrt" eine gelungene Ergänzung zur evangelischen Gustav-Adolf-Kirche dar, eine Schöpfung Otto Bartnings bereits aus dem Jahre 1934. In dieser Kirche fand die katholische Gemeinde während des Kirchenneubaus gastliche Aufnahme, so daß durch diese gelebte Nachbarschaft in Brüderlichkeit zwischen diesen beiden Gemeinden viele fruchtbare ökumenische Kontakte entstanden sind. Den Entwurf für das neue Pfarrgrundstück lieferte der Münsteraner Diözesanbaurat Alfons Boklage. Der 33 m hohe halbrunde Glockenturm, eine „Conche", ist zu beiden Seiten von über 600 farbigen Wabenfenstern umgeben. Licht und Farbgebung empfängt der im ersten Stockwerk gelegene Kirchenraum von diesen Wabenfenstera und der gegenüber dem Altar liegenden Fensterwand, die das „himmlische Jerusalem" darstellt, beides Schöpfungen des Glasmalers Paul Ohnsorge. Der Altarraum wird durch den hellen Anstrich der Ziegel in der Wölbung der Conche, wo die Sitze für Priester, Lektoren und Ministranten eingefügt sind, aus dem sonst rötlichen Ganzen des Kircheninnenraumes herausgehoben. Stark ist der Altar in die „Mitte des Gottesvolkes" gerückt, damit, um ihn geschart, die Gläubigen gemäß dem Schriftwort „Der Bräutigam kommt. Geht ihm entgegen!" die hl. Kommunion stehend empfangen können. Als jüngste der katholischen Gemeinden Charlottenburgs ist „Maria Regina Martyrum", die Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933 bis 1945, am Heckerdamm entstanden, dort, wo die Bernhard-Lichtenberg-Straße auf den Heckerdamm stößt. „Sie befindet sich im Fadenkreuz zwischen dem 1975 eröffneten Flughafen Tegel und dem Charlottenburger Schloßgarten an der Spree und in der Querrichtung zwischen den gemischten Wohn- und Industriesiedlungen der Siemensstadt und des Westhafenviertels."1 Die Entstehung dieser Gedenkkirche ist eng mit den beiden ersten Deutschen Katholikentagen in Berlin verknüpft: Auf dem 75. Deutschen Katholikentag 1952 rief Bischof Wilhelm Weskamm auf Anregung des Berliner Domkapitels zum Bau der Märtyrerkirche auf; 1958 legten die deutschen Katholiken das Gelöbnis ab, die Verwirklichung dieses Gedankens in unmittelbarer Nähe der Hinrichtungsstätte Plötzensee Denkmal werden zu lassen. Das nach einer Anrufung aus der Lauretanischen Litanei benannte Gotteshaus, von den Würzburger Architekten Hans Schädel und Friedrich Ebert erbaut, wurde am 5. Mai 1963 vom Erzbischof von München-Freising, Julius Kardinal Döpfner, konsekriert. „Maria Regina Martyrum", Gedenkstätte und Sühnemal in der lebendigen Mitte einer Gemeinde, dient der in CharlottenburgNord entstandenen neuen Wohnsiedlung zugleich als Gemeindekirche. Auch äußerlich kommen diese zwei Funktionen zum Ausdruck, indem hohe, betongegossene Wände diese beiden Bereiche sowohl umschließen als auch zugleich voneinander trennen: die Gedächtnisstätte mit der Doppelkirche und das Gemeindezentrum. Wie Gefängnismauern wirken die schwarzgrauen Gußplatten aus Basaltkiesel um den weiten Hof der Gedenkstätte, dem Gemeindebezirk dagegen geben sie mehr den Charakter der Umfriedung und des Geborgenseins. Das Herzstück dieser Kirche ist ihre Krypta, eine Grabkirche. Hier wurde der frühchristliche Baugedanke des Martyrions wieder aufgegriffen. Rechts neben dem Altar sind vor der Pietä Fritz Königs drei Gräber, mit Grabplatten bedeckt. Das rechte Grab enthält die Asche des am 233 Maria Regina Martyrum, Gedenkkirche zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945 30. Juni 1934 ermordeten Vorsitzenden der Katholischen Aktion und ersten Märtyrers des jungen Bistums, Dr. Erich Klausener, die vom St.-Matthias-Friedhof hierher übergeführt wurde. Das linke Grab ist für die Gebeine von Dompropst Bernhard Lichtenberg bestimmt, dessen sterbliche Überreste in der Krypta der St.-Hedwigs-Kathedrale ruhen. Zwischen diesen beiden Blutopfern aus der Zeit des Nationalsozialismus, dem Priester und dem Laien, liegt ein „Symbolgrab", dessen Inschrift lautet: Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde. Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind Die Altarwand der Oberkirche, die man über eine Treppe erreicht, wird beherrscht durch das große Wandbild Georg Meistermanns mit einem Thema aus der Apokalypse des hl. Johannes. Der Glockenturm an der südöstlichen Ecke des Mauerbezirks wurde als Eingangstor gestaltet, durch das man die offene Feierstätte mit dem Freialtar betritt, um den sich 10000 Gläubige scharen können. Die östliche Hofmauer entlang ziehen sich die 14 Kreuzwegstationen, Bronzeskulpturen des sudetendeutschen Künstlers Otto Herbert Hajek. 234 Wie gezeigt wurde, hatte die kontinuierliche Entwicklung des Auf- und Ausbaus des jungen Bistums Berlin durch die kirchenfeindlichen Tendenzen des Dritten Reiches einen tiefen Einschnitt mit Rezession und Stagnation erhalten. Langgehegte Projekte von Bildungs- und Sozialeinrichtungen sowie seelsorgliche Schwerpunkte konnten erst in den sechziger Jahren realisiert werden. Dabei erfolgte eine Bevorzugung des Standortes in Charlottenburg, das nunmehr City-Funktionen wahrnehmen sollte. Gleichsam eine Frucht der Verwirklichung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Theologisch-Pädagogische Akademie des Bistums Berlin in der Westendallee 54. Am 11. Oktober 1966, dem vierten Jahrestag der Eröffnung dieses Konzils durch Papst Johannes XXIII., erhielt dieses Bildungszentrum durch den Diözesanbischof Dr. Alfred Kardinal Bengsch seine kirchliche Weihe. Den Ruf des damaligen Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt nach dem 13. August 1961 zur Schaffung eines Kulturzentrums für Berlin nahm das Bistum Berlin auf, indem es das Grundstück Westendallee 54/Oldenburgallee 14 erwarb, um aus Bundesmitteln ein langjähriges und notwendiges Desiderat des Bistums, eine zentrale Aus-und Weiterbildungsstätte für den Nachwuchs an schuleigenen Religionslehrern und Katecheten, zu schaffen. Bisher hatten diese Bildungsveranstaltungen über viele Pfarreien zerstreut stattfinden müssen. In der sogenannten ersten nachkonziliaren Phase verstand sich diese Akademie als ein Arbeitszentrum für die fachliche religionspädagogische Ausbildung aufgrund der neuen bibelwissenschaftlich-kerygmatischen Ergebnisse, der Aufarbeitung der ekklesiologischen und christologischen Themenstellungen und der neuen Standortgewinnung der Schulkatechese innerhalb der Religionspädagogik. Die Bildungsbemühungen der Theologisch-Pädagogischen Akademie von der religiösen Vorschulerziehung bis zu den vielfältigen Formen der kirchlichen Erwachsenenbildung drängten allmählich zu einer gewissen Zusammenfassung aller kirchlichen Bildungsaufgaben im Westteil des Bistums, so daß mit Wirkung vom 1. Januar 1977 die drei Bildungseinrichtungen des Bischöflichen Ordinariates, die Theologisch-Pädagogische Akademie, die Katholische Akademie mit dem Primanerforum und das Katholische Bildungswerk, zur Zusammenarbeit verpflichtet wurden. Dieses so neugeschaffene „Katholische Bildungszentrum des Bistums Berlin" gliedert sich nunmehr in zwei Abteilungen: 1. Ausund Weiterbildung kirchlicher Dienste (= Theologisch-Pädagogische Akademie) und 2. Erwachsenenbildung (= Katholische Akademie mit Primanerforum, Katholisches Bildungswerk). Der Aufgabenkreis der Theologisch-Pädagogischen Akademie ist erweitert worden, denn zu der Aus- und Weiterbildung der Katecheten und Religionslehrer, der Gemeindereferentinnen und der Ordensfrauen tritt die Weiterbildung der Lehrer an katholischen Schulen, der Küster, der Lektoren, der Kommunionhelfer, der Heimerzieher, der Erwachsenenbildner und auch der Priester. Das Bildungswerk leistet hauptsächlich Bildungsarbeit in Schwerpunktpfarreien der Dekanate, während die Katholische Akademie sich mehr auf Vortragsarbeit auf Stadtebene konzentriert, um jeden geistig aufgeschlossenen Menschen an die wesentlichen Zeitprobleme heranzuführen. Das Primanerforum ist gedacht als Gesprächs- und Begegnungsstätte vor allem der katholischen Schüler und Schülerinnen der gymnasialen Oberstufe. Der Theologisch-Pädagogischen Akademie angeschlossen ist die Diözesanbibliothek, die erste wissenschaftliche theologische Fachbibliothek zwischen Elbe und Oder nach der Reformation, die öffentlich zugänglich ist. Der erste Leiter dieser Akademie, Prälat Dr. Alfred Heyder, hatte seinerzeit in seiner Begrüßungsrede am Einweihungstag auf die enge Verbindung von Akademie und dem Herzstück des Hauses, der Diözesanbibliothek, hingewiesen: „Topographisch bildet die neue Akademie eine Art Schlußstein oder i-Punkt und ist Ausläufer der großen preußisch-deutschen Kulturstättenachse: beginnend vom Lustgarten zu den Bauten am Tier235 TheologischPädagogische Akademie, Katholisches Bildungszentrum des Bistums Berlin J£% garten (Philharmonie, Kongreßhalle), dem künftigen Mies-van-der-Rohe-Projekt mit Nationalgalerie, Deutscher Staatsbibliothek, dann in Richtung Charlottenburger Schloß, SFB hin zu unserer Akademie. Wie im spätantiken Alexandrien wird jeweils das Museion, damals der hellenistische Musentempel, als priesterlicher Kultverein mit der Bibliothek verbunden . . . Unsere Verbindung von Akademie und Bibliothek soll auch für das junge Bistum Berlin eine Verpflichtung bedeuten." Der bisher katalogisierte Buchbestand der Diözesanbibliothek in der Westendallee 54, die sich als Nachfolgebibliothek der Ordinariatsbestände versteht und geistig an die Akademische Lesehalle von Dr. Carl Sonnenschein Ende der zwanziger Jahre anknüpft, beträgt über 20000 Bände. Die Besucherzahl verzeichnete zwei Höhepunkte: 1967 mit über 900 und 1972 mit über 1000 Benutzern. Die Katholische Volksbücherei Berlin ist anläßlich des Katholikentages 1958 als Modellbücherei entstanden. Seit ihrem Umbau im Jahre 1974 heißt sie Carl-Sonnenschein-Bücherei und dient mit ihren ca. 15 000 Bänden als katholische Zentralbücherei des Bistums Berlin auch den Pfarrbüchereien zur Ergänzung ihrer Bestände. Wie schon oft in ihrer Geschichte hat die Kirche es übernommen, eine sogenannte „Marktlücke" zu schließen. Als am Anfang der sechziger Jahre in Berlin ein erheblicher Mangel an Pflegeplätzen bestand, besonders für Alterskranke und chronisch Kranke, planten der Caritas-Verband für Berlin e.V. und der Verein Schlesischer Malteser-Ritter die Errichtung einer „Krankenanstalt für chronisch und langfristig Kranke". Am 12. November 1966 weihte der Bischof von Berlin, Dr. Alfred Bengsch, das von einem Spezialisten für Krankenhausbauten, dem Architekten HansBertram Lewicki, entworfene Malteser-Krankenhaus in der Pillkaller Allee 1 ein. Spezielle 236 Malteser-Krankenhaus Aufgabe der Arbeit in dieser für Berlin einzigartigen Neuschöpfung ist es, aus christlichem Geist und Lebensauftrag heraus chronisch Kranke und Alterskranke mit den modernen Methoden der Physiotherapie (Hydro- und Beschäftigungstherapie sowie Krankengymnastik) einer Rehabilitation zuzuführen, ihren Lebenswillen zu stärken und zur menschlich-geistigen Bewältigung der Krankheit zu verhelfen. Chefarzt Josef Böger gelang es, als Kern der weiblichen Pflegerinnen die Salvatorianerinnen zu gewinnen, die infolge der Schließung des Westsanatoriums hier neben den Freien Krankenschwestern einen neuen Dienst am kranken Menschen übernehmen konnten. Seit Weihnachten 1973 ist die „Katholische Glaubensinformation" im Frauenbundhaus, Wundtstraße 40-44, am Lietzensee untergebracht. Angefangen hatte Jesuitenpater Robert Manitius unter bescheidenen Verhältnissen 1953 im Neuköllner Pfarramt St. Clara unter der Bezeichnung „Glaubensberatung für religiös Suchende", später verallgemeinert in „Glaubensberatung für Suchende". Als er seinen Tätigkeitsbereich am 1. Oktober 1960 in eigene Räumlichkeiten im Hinterhof der Kreuzberger Stresemannstraße 66, nahe der Sektorengrenze, verlegen konnte, setzte sich der Name „Katholische Glaubensinformation" für diese Seelsorgeeinrichtung durch, eine Institution, die es auch in anderen deutschen Großstädten gibt. Nachdem der gesamte Gebäudekomplex Stresemannstraße 66/Wilhelmstraße der Kroatischen Mission zum Aufbau eines Seelsorgezentrums geschenkt wurde, zogen die Jesuiten mit ihrer Niederlassung aus. Die Katholische Glaubensinformation fand geeignete Räumlichkeiten in Charlottenburg. Den vielfältigen Fragen nach dem Sinn des Lebens aus katholischer Sicht, nach den Erscheinungsformen des Katholischen schlechthin stellt sich P. Manitius mit einem kleinen Helferkreis in persönlichem Gespräch, in Unterrichtsstunden wie in offenen Diskus237 sionsabenden über Glaubensfragen. Ferner hilft er, falsche Vorstellungen und Vorurteile gegenüber der katholischen Kirche abzubauen. Weit über tausend Suchende haben seit 1960 über die Katholische Glaubensinformation den Weg in die katholische Kirche gefunden. Auch zur „nachgehenden Seelsorge" nach erfolgter Konversion und zur Lebenshilfe beim Einüben ins „Katholisch-Sein" wird in einem abwechslungsreichen Programm Gelegenheit geboten. Während des 78. Deutschen Katholikentages in Berlin wurde am 6. August 1958 in den gemieteten Parterreräumen eines Versicherungsneubaues in der Rankestraße 6 von dem damaligen Bischof Julius Döpfner die „Offene Tür Berlin" (OTB) eröffnet. Im südöstlichen Zipfel des Dekanates Charlottenburg, inmitten der City, in einer Querstraße zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gelegen, empfängt den Besucher eine Atmosphäre von Gesprächsbereitschaft, Ruhe, Unaufdringlichkeit und Diskretion. Der Schöpfer dieses „Modells einer GroßstadtPastoral", der Jesuitenpater Gebhard Graf Stillfried, hat hier in seiner besonderen Weise der Individualseelsorge den Weg gewiesen, wie im persönlichen Gespräch Katholiken wie Nichtkatholiken die religiöse Unsicherheit zu nehmen ist. Dabei rechnet er auf Ratsuchende, die aus vielerlei Gründen den Weg zum katholischen Pfarrhaus scheuen. Einen ersten Einschnitt für den Besucherkreis und damit in der Arbeit P. Stillfrieds bedeutete der Mauerbau 1961. Durch das am 8. Dezember 1965 beendete Zweite Vatikanische Konzil „erfuhren Probleme und Fragen der Ratsuchenden einen Wandel". Wenn Seelsorge und ihr Erfolg sich auch nicht in Statistik einfangen lassen, so vermitteln einige Zahlen eine Vorstellung von dem Wirken in der Stille. Bis einschließlich 1977 konnten 230 000 Besucher gezählt werden. Das Jahr 1959 wies die Rekordziffer von über 22 000 Ratsuchenden und Interessenten auf. Heute hat die durchschnittliche Besucherzahl sich bei jährlich etwa 10 000 eingependelt, die der geführten Gespräche liegt bei etwa 2500. Mag auch ein zahlenmäßiger Wandel zu verzeichnen sein, so stellt auch nach dem Tode P. Stillfrieds die OTB inmitten der City ein Refugium dar, eine Oase der Stille und Begegnung für den Vereinsamten oder Suchenden, im persönlichen Wort mit dem Priester oder dem, der schweigend im Tabernakel der Kapelle auf ihn wartet. Zum Schluß soll nicht unerwähnt bleiben, daß Charlottenburg auch Sitz zentraler katholischer Verwaltungsbehörden ist. Das Bischöfliche Ordinariat Berlin (West) befindet sich im St.-OttoHaus in der Wundtstraße 48-50. Die Hauptvertretung des Deutschen Caritas-Verbandes ist beheimatet in der Ahornallee 49. * Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Charlottenburg, abgesehen von der einstigen rechtlichen Zugehörigkeit zum Spandauer Benediktinerinnenkloster, auf eine knapp 135jährige katholische Tradition zurückblicken kann, die jedoch eine vielfältige und bis heute inhaltsreiche Entwicklungsgeschichte aufzeigt. Dem Aufbau der Mutterpfarrei Herz Jesu durch die schlesische Gründerpfarrergenerationen folgte die Entfaltung und Ausweitung in den „Goldenen Zwanzigern", verknüpft mit dem Namen des späteren Dompropstes Bernhard Lichtenberg, unter dessen Ägide die generalstabsmäßige Ausfaltung in die fünf neugegründeten Kuratien erfolgte. Sämtliche Bereiche kirchlichen Lebens: Kirchengemeinden, die Ordensniederlassungen, Ausbildungsstätten, Schulen, theologische Bildungszentren, Bibliothek, Krankenhäuser, Altersheime und Zentralbehörden sind in Charlottenburg präsent und zeigen die Entwicklung Charlottenburgs zur Cityfunktion auch auf dem katholischen Sektor. 1 Streicher, Gebhard, und Drave, Erika: Berlin - Stadt und Kirche. Berlin 1980, S. 266. 238 Übersicht über Charlottenburger Straßennamen, die an Katholiken oder an katholische Stätten erinnern: Bernhard-Lichtenberg-Straße: Bernhard Lichtenberg (1875-1943), Pfarrer in Charlottenburg, Dompropst. Delpzeile: Alfred Delp (1907-1945), Jesuitenpater. Jakob-Kaiser-Platz: Jakob Kaiser (1888-1961), christlicher Gewerkschaftler, CDU-Vorsitzender in der sowjetischen Besatzungszone. Jungfernheide weg: Jungfernheide - Bezeichnung für den Wald, der den Spandauer Benediktinerinnen gehörte. Klausingring: Friedrich Karl Klausing (1920-1944), Oberleutnant, Adjudant Stauffenbergs. Klausenerplatz: Dr. Erich Klausener (1885-1934), Ministerialdirektor. Letterhaus weg: Bernhard Letterhaus (1894-1944), Verbandssekretär christlicher Arbeitervereine, Zentrumsabgeordneter im Preußischen Landtag. Nikolaus-Groß-Weg: Nikolaus Groß (1898-1945), Bergmann, christlicher Gewerkschaftsführer. Nonnendamm: Erinnert an das Spandauer Nonnenkloster, das in den sumpfigen Nonnen wiesen einen Damm anlegen ließ, um bessere Verbindungen zu den Bauernhöfen am Lützow und Casow herzustellen. Terwielsteig: Maria Terwiel (1910-1943), Sekretärin. Thrasoltstraße: Ernst Thrasolt (1878-1945), Priesterdichter (Pseudonym). Wirmerzeile: Joseph Wirmer (1901-1944), Rechtsanwalt. Anschrift der Verfasserin: Eleonore Liedtke, Cecüiengärten 25, 1000 Berlin 41 Gärl Gustav Berndal zum 150. Geburtstag Von Franz Berndal In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatte der Name meines Großvaters einen guten Klang. Er wurde in der Reihe großer Künstler .des königlTchen Schauspielhauses als einer der ersten genannt. Carl Gustav Berndal wurde am 2. November 1830 in Berlin geboren. Er entstammte einer schwedischen Familie, die sich Ende des 18. Jahrhunderts hier ansässig machte. Er sollte infolge des frühzeitigen Todes seines Vaters, auf Wunsch des für ihn bestellten Vormundes, nach absolviertem Schulpensum, ursprünglich zum Medizinstudium vorgesehen, den kaufmännischen Beruf ergreifen. Doch der wiederholte Besuch von Schauspielaufführungen am Hoftheater erweckte in ihm den starken Wunsch, Schauspieler zu werden. Obwohl zwei ältere Mimen, Theodor Döring und Hermann Hendrichs, ihm davon abrieten, setzte mein Großvater seinen Willen durch. Dem Hofschauspieler Hoppe gefielen das außerordentlich gute Organ und die schlanke Gestalt des 17jährigen Kunstjüngers, so daß er ihm erfolgreich dramatischen Unterricht gab. Der damalige Intendant von Küstner nahm sich seiner an, und als Bote in der „Braut von Messina" durfte der junge Berndal am Schauspielhaus debütieren. Am 5. Juli 1948 spielte er dann die Rolle des Dieners MarcAnton in„JuüusCäsar". Als Opfer einer Verleumdung, während einer Vorstellung im Zuschauerraum gezischt zu haben, die sich später als unwahr herausstellte, wurde er entlassen. Der bedauernswerte Mime wanderte in die Provinz. Sein Ziel war Rostock. Aber auch dort hatte er kein Glück. Im Herbst 1849 erhielt er wegen Repertoiremangels wieder die 239 Mein Großvater Karl Gustav Berndal in jungen Jahren. Seine Ehefrau Johanna geb. Hartmann. Kündigung. Er kehrte nach Berlin zurück, um zunächst seiner Militärdienstpflicht zu genügen. Dann vervollkommnete er seine schauspielerische Ausbildung am Liebhaber-Theater „Urania", aus dem viele bedeutende Schauspieler hervorgingen. Als ihn dort Direktor Woltersdorf als „Marquis Posa" sah, verpflichtete er den vielversprechenden jungen Künstler sofort an sein Theater in Königsberg. Hier konnte sich mein Großvater zusehends entfalten. Aber noch vorteilhafter wurde bald darauf sein Engagement in Stettin. Es dauerte von 1852 bis 1854. Seine Antrittsrolle war „Macbeth"; sehr erfolgreich gelang ihm dort schon der „Faust". Nun wurde das Berliner Hoftheater plötzlich wieder sehr hellhörig. Es lud Berndal zu einem Gastspiel ein. Als 24jähriger kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Er spielte nun den „Romeo" und „Ferdinand" und wurde sofort verpflichtet. 1854 begann mein Großvater als „Max Piccolomini". Nach kurzer Zeit rechnete man ihn zu den beliebtesten Schauspielern. Dies ermutigte ihn, schon 1860 in das ältere Helden- und Charakterfach überzuwechseln. Infolge seiner großen Vielseitigkeit erhielt er bereits nach zwölf Jahren, als Zeichen besonderer Anerkennung, das Dekret der Anstellung auf Lebenszeit. „Ich war", so urteilte mein Großvater gesprächsweise, „über meinen ersten Erfolg selbst überrascht. Weder nach Erscheinung noch Wesensart glich ich einem der damaligen jugendlichen Liebhaber und Helden, denen man gern ein bißchen Unverstand nachsah, wenn sie dafür scharf ins Zeug gehen, Gemeinplätze mit Stimmkraft ins Parterre schleudern konnten. Ich bemühte mich, einfach und klar zu sein. Es glückte mir, mich in meinem Rollenfache neben dem damals ungemein geschätzten Hermann Hendrichs zu behaupten." Als dieser dann im Jahre 1864 ausschied, übernahm mein Großvater seine Rollen. 240 Das Grabdenkmal auf dem Jerusalemer Friedhof. Die Inschrift lautet: Karl Gustav Berndal geb. Berlin, 2. November 1830 gest. Gastein, 31. Juli 1885 Um sich die Leichtigkeit des französischen Konversationstones anzueignen, reiste er 1865 nach Paris und hatte auch in diesem Genre Erfolge. Seine Gewissenhaftigkeit bewog ihn, jede Rolle bis ins kleinste Detail zu studieren, um den Charakter der Rolle, getreu im Sinne des Dichters, darzustellen. Inzwischen hatte mein Großvater im Jahre 1856 seine Kollegin, die Hofschauspielerin Johanna Hartmann, geheiratet. Sie zog sich danach von der Bühne zurück. Aus der sehr glücklichen Ehe gingen zwei Kinder hervor: ein Sohn - mein Vater - und eine Tochter. Meine Großmutter überlebte ihren Mann bis 1915. Ein besonderes Ereignis in Berndais Berufsleben, kurz vor Ausbruch des Krieges mit Frankreich, war das Angebot der Stadt Leipzig, die Direktion des dortigen Stadttheaters nach Heinrich Laubes Ausscheiden zu übernehmen. König Wilhelm, der spätere Kaiser, der gerade in Bad Ems zur Kur weilte, bat meinen Großvater zur Audienz, um ihn zu veranlassen, doch in Berlin zu bleiben. Aus Treue zu seiner Vaterstadt kam Berndal dieser Bitte nach und schlug für dieses Amt seinen Kollegen Friedrich Haase vor, der es gern annahm. Am 22. April 1874 verlieh der Kaiser meinem Großvater nach seiner 50. Aufführung als „Faust" einen Brillantring mit Beifügung eines besonderen Anerkennungsschreibens für seine langjährigen, von großem Verständnis zeugenden dramatischen Darstellungen. Am 5. Mai 1879 beging mein Großvater sein 25jähriges Bühnenjubiläum. Von seinem langjährigen Intendanten, Graf Botho von Hülsen, von der Kollegenschaft, der Presse und Öffentlichkeit und von nahestehenden Freunden wurden ihm zahllose 241 Glückwünsche als Zeichen der Dankbarkeit und Verehrung zuteil. Als Ehrengabe des Schauspielhauses bekam er die Prachtausgabe von Goethes „Faust" aus dem Verlag Cotta mit Kupferstichen von Seibert und Widmung mit Unterschriften des Ensembles. Leider ging dieses Wertobjekt, das im Schlüterhof des ehemaligen Schlosses mit anderen Reminiszenzen untergebracht war, in den Wirren des letzten Krieges verloren. Mein Großvater pflegte besondere Gedenktage der klassischen Dichter wie Goethe, Schüler, Kleist, Lessing, auch den von Martin Luther, im engen Freundeskreis daheim bei Kerzenlicht zu feiern. Dazu gehörten auch der Geiger Joseph Joachim und der Dichter Julius Wolf. Neben seinem Beruf als Darsteller betätigte er sich auch als Lehrer für dramatische Schauspielkunst am Sternschen Konservatorium. Dies bewog ihn 1876 zur Herausgabe einer Denkschrift „Ansichten zur Errichtung einer dramatischen Hochschule". Sie befaßte sich mit dem Berufsbild des Schauspielers, auch des Intendanten, mit allen Rechten und Pflichten, mit den Subventionen des Staates für die Förderung der Theater in Verbindung mit der Nachwuchsausbildung. Ferner gab Berndal Ratschläge über die Einstellung zum Publikum gemäß der Forderung Schillers, „die Zuhörerschaft zur wahren Kunst zu erheben, anstatt sie herabzuziehen". Die Shakespeare-Gesellschaft richtete daraufhin einen Antrag an den Kultusminister zwecks Errichtung einer Schauspielakademie. Die erhoffte Realisierung dieses Vorschlags erlebte mein Großvater nicht mehr. Es entwickelten sich aber Schauspielschulen unter Anwendung der fruchtbaren Gedanken. Ein Schüler Berndais an der Wiener Hofburg, Robert Emmerich, erreichte dort Hervorragendes in seinen Darstellungen. Nach Gründung der Deutschen Bühnengenossenschaft 1871 durch Ludwig Barnay wählte man Carl Gustav Berndal aufgrund seiner reichen Bühnenkenntnis und der großen Achtung, die er bei allen Kollegen und seinen Berlinern besaß, zum Präsidenten (dem dritten: 1880 bis 1882), wobei er außerdem noch das Amt eines Regisseurs bekleidete. Das ehemalige Vorstandsmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, Dr. Mario Krammer, bewertete in seinem Buch „Berlin im Wandel der Jahrhunderte" meinen Großvater als den geachtetsten hauptstädtischen Schauspieler. Dieser erlebte noch vor seinem viel zu frühen Tode im Alter von 55 Jahren die Verlobung seines Sohnes, meines Vaters, mit der Tochter Elsa des Pianofortefabrikanten und späteren Generalvertreters der Firma Steinway and Sons, Oskar Agthe, der auch mit Carl Bechstein verwandt war. In dieser musischen Familie wurden die Künste des Schauspiels, der Musik und Malerei gesellschaftlich sehr gepflegt. Der Bruder meiner Mutter, Curt Agthe, war ein mit hohen Auszeichnungen bedachter, äußerst geschätzter Berliner Genremaler und Gemälderestaurator. Die Stadt Berlin erwarb zahlreiche seiner Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg in schlesische Schlösser evakuiert wurden. Mein Großvater sammelte leidenschaftlich Zinnsoldaten, verständlich im Hinblick auf seine Darstellungen soldatischer Größen. Die Sammlung ging in die Zehntausende. 1881 widmete ihm Carl Robert Lessing eine Prachtausgabe des „Nathan" von 1779 in Erinnerung an den hundertsten Todestag des Dichters (15. Februar 1881). Paul Schienther, der die Theaterkritiken Fontanes mit dessen beiden Söhnen zusammenstellte, meinte, einen weiseren Nathan als den Berndalschen nie gesehen zu haben. Nach der Premiere von Brachvogels „Narziß" verehrte ihm ein Neffe Gneisenaus einen aus Nußbaum gedrehten Spazierstock mit silbernem Kopfporträt des Generals, den ich 1962 dem Kreuzberger Kunstamt für dessen Heimatausstellung stiftete. Noch kurz vor seinem Tode schrieb mein Großvater seine Gedanken über Lessings Trauerspiel „Miss Sara Sampson" nieder. Professor Edward Dvoretzky vom German Department der Universi242 tat Iowa (USA) nahm sich 1978 dieser Arbeit an. Sie soll in seinem dritten Lessing-Werk 1980 in Stuttgart erscheinen. Am 31. Juli 1885 erlag mein Großvater unerwartet während eines Kuraufenthaltes in Bad Gastein einem Herzschlag. Auf Wunsch des Kaisers und auf Staatskosten wurde sein Leichnam nach Berlin überführt und auf dem Jerusalemer Friedhof zwischen den Gräbern vieler Berühmtheiten feierlich beigesetzt. Das Schauspielhaus errichtete ihm ein würdiges, schlichtes Grabmal aus rotem Granit mit einem Kreuz und seinem bronzenen Charakterkopf von dem bekannten Bildhauer F. Thomas. Zum 100. Geburtstag des Großvaters (1930) veranstaltete der Schauspieler und Intendant Ernst Legal eine Berndal-Ausstellung. Sie brachte die 400 Rollen, die dieser gepielt hatte, in Erinnerung, zeigte wichtige Dokumente, Fotos, Briefe, Theaterzettel und auch die Ritterrüstung des Götz von Berlichingen, dessen Gestaltung durch Berndal Fontane als die beste bezeichnete, die ihm innerhalb von vierzig Jahren auf der Bühne begegnet sei. Ein Zitat Ifflands schließe mein Gedenken ab: Das Kunstwerk des Schauspielers geht dahin wie das Lächeln über das Gesicht des Menschen, darum rede der Freund und Bewunderer seines Talents ein dankbares Wort von dem, was gewesen ist. Fotos: Archiv des Autors. Anschrift des Verfassers: Kreuznacher Straße 68,1000 Berlin 33 Nachrichten Groß-Berlin entsteht - Zum 60. Jahrestag Unter dem obengenannten Titel findet vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1980 im Landesarchiv eine Ausstellung statt. Sie soll ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte Berlins in das Gedächtnis zurückrufen. Vor sechzig Jahren wurde mit der Schaffung Groß-Berlins eine in die Zukunft weisende Entscheidung getroffen. In den neuen Grenzen entwickelte sich die Stadt zu einer der bedeutendsten industriellen und kulturellen Metropolen der Welt. Schicksalhaft ist die Entscheidung von 1920 aber auch mit der heutigen politischen Situation Berlins verknüpft: das „Gesetz über die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin" wurde Grundlage für das Londoner Protokoll vom 14. November 1944, das die Teilung der Stadt in drei Sektoren vorsah, und für das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971. (Das Londoner Protokoll wurde wegen des Beitritts Frankreichs am 1. Mai und 26. Juli 1945 ergänzt und sah nun die Teilung Berlins in vier Sektoren vor.) Scheint dem rückschauenden Betrachter mit der Schaffung von Groß-Berlin die logische Folgerung aus der Wirtschafts-, Verkehrs- und Bevölkerungsentwicklung im Berliner Raum seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gezogen zu sein, so war diese Lösung bei den Zeitgenossen jahrzehntelang heftig umstritten. Durch Eingemeindungen umliegender Gebiete hatte Berlin in der Vergangenheit stets sein zu eng werdendes Territorium dem Wachstum anzupassen gewußt. Die preußische Regierung erwies sich dabei als verständnisvoller Förderer ihrer Hauptstadt. Die letzte größere Ausdehnung erfolgte 1861, als Moabit, Wedding, Gesundbrunnen sowie Teile von Schöneberg und Tempelhof eingemeindet wurden. Nach der Reichsgründung beschleunigte sich das Wachstum Berlins. Das Zentrum Preußens war nun zum administrativen Mittelpunkt Deutschlands geworden. Es beherbergte nebem dem kaiserlichen Hof, dem Reichstag und dem Bundesrat fast alle Zentralbehörden des Reiches, Preußens und der Provinz Brandenburg. Gleichzeitig entwickelte sich Berlin zum stärksten Wirtschaftszentrum, zur bedeutendsten deutschen Industrie-, Banken- und Handelsmetropole. Aus allen Teilen Deutschlands, besonders aber aus den östlichen Provinzen, strömten die Menschen in die Stadt. In zwanzig Jahren, von 1860 bis 1880, hatte sich die Bevölkerungszahl von 540000 auf 1 120000 mehr als verdoppelt. (Vgl. Konrad Kettig, Berlin im 19. und 20. Jahrhundert 1806-1945. In: Heimatchronik Berlin, Köln 1962, S. 427 ff.) In dem Maße wie sich 243 Berlin vergrößerte nahm auch der Zuzug in den umliegenden Gemeinden zu. Mit kleinen Eingemeindungen war den vielfältigen sozialen, administrativen und verkehrstechnischen Problemen nun nicht mehr beizukommen. Dieser Entwicklung suchte der Oberbürgermeister Artur Hobrecht (1872-1878) mit dem Plan Rechnung zu tragen, Berlin und Charlottenburg mit den umliegenden Gemeinden der Kreise Teltow und Niederbarnim zu einer Provinz zusammenzufassen. Der Bau einer gemeinsamen Kanalisation und die verkehrsmäßigen Verflechtungen ließen eine engere Verbindung der Gemeinden zu diesem Zeitpunkt sinnvoll erscheinen. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Regierung über die Bildung einer Provinz Berlin stieß jedoch nirgends auf Gegenliebe. Er blieb 1875 und in abgeänderter Fassung 1876 in den Ausschüssen des preußischen Abgeordnetenhauses stecken. (Nur eine Bestimmung des Gesetzentwurfes von 1875, die die Eingemeindung des Tiergartens, des Zoologischen Gartens und des Schloßbezirks Bellevue vorsah, wurde 1881 verwirklicht.) Die Konservativen wehrten sich gegen eine Vergrößerung der liberalen Großstadt, und einige wohlhabende Gemeinden im Westen fürchteten einen Finanzausgleich zu ihren Ungunsten. Selbst der Berliner Magistrat sah nur Nachteile für die Stadt: hohe finanzielle Aufwendungen für die Armen, für die Straßenpflasterung, für die Kanalisation und für den Feuerschutz. Außerdem fürchtete er eine Entwertung des unbebauten Berliner Grundbesitzes. Eine große Chance für Berlin war vergeben worden. In den folgenden Jahren hielt der Zuzug in die Reichshauptstadt unvermindert an, und Berlin wuchs mit seinen Vororten wirtschaftlich und räumlich immer enger zusammen. Die Gemeindegrenzen waren kaum noch sichtbar. Wegen der hohen Grundstückspreise waren viele wohlhabende Bürger in die südwestlichen Vororte abgewandert und verhalfen ihnen zu wirtschaftlicher Blüte, während die Gemeinden im Norden und Osten durch die eingewanderten Arbeiter unter Notständen litten. Bis zur Jahrhundertwende gab es deshalb immer wieder Ansätze - vor allem auch von der Regierung -, den Berliner Raum zu erweitern, um der prosperierenden Stadt Ausdehnungsmöglichkeiten zu verschaffen und den Übelständen in den Vororten abzuhelfen. Diese Initiativen scheiterten nach dem Tode von Oberbürgermeister Forckenbeck 1892 an der Entschlußlosigkeit seines Nachfolgers Zelle und der führenden Männer des Magistrats. Einige Stadträte sprachen offen aus, daß sie wegen der zu erwartenden hohen Kosten gegen größere Eingemeindungen seien. Augenblickliche Bedenken verstellten ihnen abermals den Blick in die Zukunft. (Vgl. Ernst Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Städteordnung. Teil II. Der Kampf um Groß-Berlin 1890-1920. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd 49, 1937, S. 21 ff.) Nachdem 1892 die treibende Kraft in der Eingemeindungsfrage, Innenminister Herrfurth, zurückgetreten war, führten die Verschleppungstaktiken des Berliner Magistrats zu einem Stimmungswandel in der preußischen Regierung. Um den „Wasserkopf Berlin" (vgl. Ernst Kaeber, S. 38) zu entlasten, förderte sie nun das Entstehen eines „Kranzes leistungsfähiger Vororte" (vgl. Ernst Kaeber, S. 56) und erteilte folgerichtig den benachbarten Landgemeinden Schöneberg 1898, Rixdorf 1899, Wilmersdorf 1906 und Lichtenberg 1907 das lang ersehnte Stadtrecht. Obwohl die neuen Städte in ihrer Entwicklung von der Reichshauptstadt abhängig und längst mit ihr zu einer Einheit zusammengewachsen waren, schlössen sie sich in ihrer Verwaltung stolz gegenüber Berlin und eifersüchig gegeneinander ab. Den übrigen Gemeinden im Berliner Raum verboten die Landräte von Niederbarnim und Teltow alle weiteren Eingemeindungsverhandlungen. Die sozialen Gegensätze zwischen den reichen westlichen und den armen nördlichen und östlichen Vororten Berlins, das Durch- und Nebeneinander im Wohnungs-, Schul-, Steuer- und Verkehrswesen hatten nach der Jahrhundertwende Ausmaße angenommen, daß die Regierung, das Abgeordnetenhaus, die umliegenden Kreise und westlichen Gemeinden ihre Opposition gegen einen kommunalen Zusammenschluß aufgeben mußten. Inzwischen war mit Oberbürgermeister Kirschner eine Persönlichkeit an die Spitze der Berliner Verwaltung getreten, die sich energisch für die Überwindung der kommunalen Zersplitterung einsetzte. Aber von der großen Idee, die Reichshauptstadt mit der ganzen Region zu einer Verwaltungseinheit zusammenzufassen, war nur noch der Gedanke übriggeblieben, die unhaltbaren Zustände durch einen Zweckverband zu bewältigen. Am 12. April 1912 trat schließlich das Gesetz in Kraft, das Berlin, Charlottenburg, Schöneberg, Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg und Spandau sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim im Zweckverband Groß-Berlin zusammenfaßte. Seine Zuständigkeiten waren eng begrenzt. Sie erstreckten sich nur auf die Regelung des Verkehrswesens, auf das Abstimmen der Baupläne und auf den Erwerb und die Erhaltung von Freiflächen, Wäldern und Parks. Seine Organe bildeten die Verbandsversammlung mit 100 Mitgliedern, der Verbandsausschuß, bestehend aus den Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte, den Landräten von Niederbarnim und Teltow und acht von der Verbandsversammlung gewählten Mitgliedern, und der Verbandsdirektor, der auf sechs Jahre gewählt wurde. Er führte die 244 laufenden Geschäfte, bereitete die Beschlüsse des Ausschusses vor und sorgte für ihre Ausführung. Die Beiträge wurden auf die Mitglieder nach dem Steuersoll umgelegt. Nur bei den Kosten für die Verkehrsmittel wurde auch das Interesse der einzelnen Mitglieder an ihnen berücksichtigt. In achteinhalb Jahren seiner Tätigkeit, darunter vier Kriegsjahren, gelangen dem Zweckverband vor allem zwei Erfolge: 1915 der Ankauf von 10000 ha Dauerwald (darunter dem Grunewald), der somit der Bodenspekulation entzogen und der Bevölkerung als Erholungsgebiet erhalten blieb, und 1919 der Erwerb der bislang einer Privatgesellschaft gehörenden „Großen Berliner Straßenbahn", wodurch später weitere Maßnahmen zur Verkehrseinheit möglich wurden. Der Zweckverband hatte die in ihn gesetzten weitgespannten Hoffnungen nicht erfüllen können. Die eng begrenzte Zuständigkeit und die Rivalitäten in der Verbandsversammlung verhinderten seinen weiteren Ausbau. Es gelang ihm weder, die Verwaltungsprobleme der Region mit nun über drei Millionen Einwohnern zu lösen, noch einen Finanzausgleich zwischen den reichen und den armen Gemeinden herbeizuführen. In den Notzeiten des Krieges hatte aber die Bevölkerung kein Verständnis mehr für die schädliche Entwicklung, die durch die kommunale Zersplitterung, durch das Neben- und Gegeneinander von mehr als achtzig Gemeindebehörden entstanden war. Im „Bürgerausschuß Groß-Berlin", der 1917 vom Schöneberger Oberbürgermeister Dominicus gegründet worden war, fand sie ihr Forum für den Kampf um die administrative Neugestaltung des Berliner Raumes. Als sich nach dem Krieg die politischen Mehrheitsverhältnisse änderten, konnte am 24. April 1920 endlich in der preußischen Landesversammlung mit den Stimmen der Sozialdemokraten beider Richtungen (SPD und USPD) das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin" verabschiedet werden, das sieben Städte, neunundfünfzig Landgemeinden und siebenundzwanzig Gutsbezirke mit Berlin zu einer neuen Verwaltungseinheit zusammenfaßte. Mit diesem Gesetz, das am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, wurde die Einheitsgemeinde mit kommunaler Dezentralisation gebildet, die nun für die seit Jahrzehnten zusammenwachsende Region eine einheitliche Verwaltung und damit eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung gewährleistete. Nach den Kämpfen eines Menschenalters hatte Berlin nun endlich den Umfang erreicht, den es für seine damalige und zukünftige Entwicklung benötigte. Jürgen Wetzet Der Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner Senats Bericht über den Verleihungs-Festakt „Es dient nicht dem Frieden, wenn man -jedenfalls in den öffentlichen Verlautbarunger' " ^ w ^ e r emmal fortlaufend zum alleinigen Sündenbock macht und allein ihm * ° f ^ ^ ^ ™ ^ feindlichen Umwelt gleichzeitig das Minimum an politischer Moral zu fordern, ^ ^ f ™ ^ ständlichen Aufruf an Humanität und Frieden ließ Amtsgerichtsdirektorin Dr. ^ * ^ f £ ^ ^ (Mannheim) ihre leidenschaftliche Rede über „Toleranz" ausklagen, die sie nach &&*** * ™ Berliner Senat verliehenen Moses-Mendelssohn-Preises „zur Förderung der Toleranz gegenüber^Andere V n u denkenden und zwischen den Völkern, Rassen und Religionen" hielt Die ;« "^ "fJ^bl^. 7. September 1980, einen Tag „ach Mendelssohns 251. Geburtstag, im 0 ^ B ™ n f ™ ^ ^ ™ a k thek Preußischer Kulturbesitz statt. Es sei an der Zeit, meinte die Pre.stragenn, a c h einen^Aj*eU a n ^ arabischen Staaten zu richten, zu erklären, ob bei ihnen überhaupt ein Wunsch nach Frieden mit dem Staat Israel besteht, wenn dieser seine Truppen aus den besetzten G e b i e t e n ; « f ^ ^ ä S T S sind, diesem Staat seine Existenz zu garantieren". Zuvor hatte s.e in ihrer dem P ^ ^ J ^ zugewandten, eindrucksvollen Ansprache ihre Gedanken über Toleranz zwischen einzelnen Menschen und zwischen Gruppen entwickelt. _ „. c „ „ k . , ™ « 0 eröffnet Die Feierstunde waV vom Senator für Kulturelle Angelegenheiten Dr. D i e t e r ^ b e r z w e . g «oflne worden. Noch einmal umriß er die Gedanken und Motive, die ^ S t i f t u n g ^ ^ ^ ^ S , Gesellschaft anläßlich der 250. Wiederkehr von Mendelssohns Geburtstag vo J a h ^ * T g n Toleranz-Preises geführt hatten. Toleranz, Duldsamkeit sei, um den r ^ ^ ^ J ^ f f i Professor Alexander Mitscherlich zu zitieren, „kritische Selbständigkeit in K o n k ^ ™ * £ ™ ^ tuationen, wozu noch die Fähigkeit kommt, den Gedanken und Gefühlen des anderen ^ h « ^ J^ zu können". Sauberzwe.g gab erschreckende Beispiele für den Mangel « ^ r ^ g S hob die Verdienste von Frau Dr. Just-Dahlmann um die Übung von T o l e r a n i n h « n ^ ^ ^ Wirkungsbereichen und Einflußsphären hervor. Der Senator dankte der w I ansch a u , c h pantati ch zusammengesetzten Jury für die von ihr geleisteten Arbeit. Die e.gentl.che Laudatio hielt Dr. Cecue 245 Lowenthal-Hensel, die Vorsitzende der Mendelssohn-Gesellschaft und auch des Preisgerichts. Sie kennzeichnete Frau Just-Dahlmanns Herkunft (geboren in der früheren Provinz Posen und dort zweisprachig aufgewachsen) sowie die Vielartigkeit ihres beruflichen Werdegangs und ihres Interessen- und Wirkungsrahmens und wies insbesondere auf ihre langjährige aktive Mitarbeit im Ausschuß „Juden und Christen" beim Deutschen Evangelischen Kirchentag hin. Von ihrer menschlichen Grundhaltung sei ihre vom Geist der Toleranz geprägte Leistung nicht zu trennen: Als Juristin setze sie sich für eine zeitgemäße Liberalisierung des Strafrechts ein, und als Autorin präsentiere sie ihre Erfahrungen in Leben und Beruf einer breiten Öffentlichkeit, ohne dabei die Kritik der Justiz und der Politiker zu scheuen. So rechtfertige Dr. Just-Dahlmanns Gesamtwirken die Zuerkennung des Moses-Mendelssohn-Preises. (Der mit 20 000 Mark ausgestattete Preis wird alle zwei Jahre verliehen, zum zweiten Mal also 1982.) E. G. L 570 Denkmale und historische Ensembles in Ost-Berlin In Ost-Berlin gibt es gegenwärtig 570 Denkmale und historische Ensembles, die von (ehrenamtlichen) Denkmalpflegern, Restauratoren, Kunstwissenschaftlern und Architekten gepflegt werden. An historische Ereignisse und an verdienstvolle Persönlichkeiten aus Geschichte und Kultur erinnern 185 Gedenktafeln und 93 Gedenkstätten. Listen über erhaltenswerte Architektur liegen bislang in den Bezirken Friedrichshain, Pankow und Prenzlauer Berg vor. SchB. Von unseren Mitgliedern Hans Schiller 75 Jahre Hans Schiller, getreuer Eckehart unserer Bibliothek, konnte in diesem Jahr sein 75. Lebensjahr vollenden. So wie er Gewicht auf die Tatsache legt, daß er in Schöneberg geboren worden ist, bestehen wir darauf, daß wir den Dank für sein unermüdliches ehrenamtliches Engagement für unseren Verein auch auf diese Weise abstatten. Schon sehr früh ergab sich für den Schüler am Falk-Realgymnasium über Dr. Hans Brendicke, den Vater seines Lehrers Günther Brendicke, ein Kontakt zum Verein für die Geschichte Berlins, und schon der 13jährige besuchte die Bibliothek des Vereins im Deutschen Dom. Ein Jahr später (1919) erhielt er die Sondergenehmigung seines Gymnasialdirektors, die Magistratsbibliothek im Rathaus in der Königstraße regelmäßig benutzen zu dürfen. Wie früh sich die bis heute anhaltenden Interessen für die historische Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin durchsetzten, geht daraus hervor, daß der 15jährige Hans Schiller die Verkehrsangaben für den Neudruck des Pharus-Plans für Berlin und seine Vororte, Ausgabe 1920, verantwortlich redigierte. Beruflich war der Jubilar als Kaufmann im Transport- und Speditionswesen tätig, und nachdem er 1938 als Regimegegner mit Frau und Kleinkind nach Argentinien übergesiedelt war, führte er dort ein Vierteljahrhundert lang ein Transportgeschäft auf eigene Rechnung. Seit 1965 ist er wieder in Berlin ansässig, seit 1966 ehrenamtlicher Mitarbeiter und Korrespondent in der Vereinsbibliothek. Aus seiner Feder stammen gediegene Veröffentlichungen einschließlich Buchbesprechungen und Referate aus dem Nahverkehrsbereich in unseren „Mitteilungen", in den „Berliner Verkehrsblättern" sowie in den Organen verschiedener Heimatvereine. 1923 stellte ihm der Dampfkesselrevisionsverein Berlin-Charlottenburg einen Führerschein aus, seit nunmehr 57 Jahren ist Hans Schiller Autofahrer. In einer Selbstdarstellung hat er einmal niedergeschrieben: »Laufende Privatkorrespondenz in alle fünf Erdteile, nie ein Tropfen Alkohol, keine Zigarette lebenslang und noch immer ein halbwegs rüstiger Greis und Verächter von „tierischem Ernst" auf breiter Front.« Daß er alle seine guten Eigenschaften auch künftig bewahren und sie in Gesundheit wie bisher auch zum Nutzen unseres Vereins zum Tragen bringen möge, ist unser aufrichtiger Wunsch! Hans G. Schultze-Berndl 246 Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Dr. Werner Bollert, Herrn Fritz Darr; zum 75. Geburtstag Herrn Werner August, Herrn Alfred Klatt; zum 80. Geburtstag Frau Frieda Heyn. Buchbesprechungen Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979. Festschrift zum hundertjährigen Gründungsjubiläum der Technischen Universität Berlin. Hrsg. im Auftrag des Präsidenten der Technischen Universität Berlin. Berlin - Heidelberg - New York: Springer 1979. 2 Bde., 610 u. 273 S. m. Abb., Ln., 120 DM. Festschrift für Helmut Winz aus Anlaß seines 70. Geburtstages. Geographie in Wissenschaft und Unterricht. Hrsg. von Reinhard Hanke im Auftrag des Seminars für Geographie und Landeskunde der Pädagogischen Hochschule Berlin. Berlin. 492 S. m. Abb., brosch. 39 DM. Festschriften erscheinen als Jubiläumsgaben der mit dem Jubilar verbundenen Gelehrten. So war das hundertjährige Bestehen der Technischen Universität Berlin, vormals die „Königliche Technische Hochschule zu Berlin", Anlaß, über den Entwicklungsgang dieser weit über den Berliner Bereich hinaus bedeutsamen Institution Rechenschaft abzulegen. Der Zusammenhang von technischer Innovation und gesellschaftlicher Entwicklung, der schon von Hochschullehrern der Gründungszeit wie Franz Reuleaux gesehen wurde, steht hier im Mittelpunkt. Dem Herausgeber und Fachhistoriker Reinhard Rürup gelang es unter diesem Generalthema, eine Fülle von Einzelbeiträgen zusammenzustellen, die von der Baugeschichte, dem Verhältnis von Repräsentation und Funktion der Gebäude, über die Geschichte und Struktur des Lehrkörpers, Biographien bedeutender Hochschullehrer, Verwaltungsgeschichte der Hochschule und Entwicklung der Studentenschaft und der Entwicklung ihres Selbstverständnisses im Laufe des hundertjährigen Bestehens der Anstalt bis hin zur Geschichte einzelner Institute reichen. Aus der Fülle der Namen einzelner Autoren, deren unterschiedliche wissenschaftliche und hochschulpolitische Ausgangspositionen durchaus deutlich werden, sei der Name des allzufrüh verstorbenen Historikers Hans Ebert herausgehoben, dessen zum Jubiläum geplante Geschichte der Technischen Universität unvollendet blieb, dessen wissenschaftlicher Nachlaß vom Herausgeber und einer Reihe von Autoren, z. B. zum Problem der Rationalisierungsbewegung in Deutschland, dem Studiengang des Wirtschaftsingenieurs, den Anfängen des Frauenstudiums und der Technischen Hochschule zur Zeit des Nationalsozialismus, mitverwendet werden konnten. Hingewiesen sei auch auf den statistischen Anhang, der wesentliche Einblicke in die Entwicklung der quantitativen und qualitativen Gliederung von Studenten und Hochschullehrern im Laufe der vergangenen hundert Jahre gibt. So dürfte diese in ihrer Konzeption nach extrem kurzer Vorlaufszeit außerordentlich gelungene Festschrift zu einem Standardwerk nicht nur für die an der Geschichte der TU Interessierten, sondern für alle mit dem Fragenkomplex befaßten Personen werden. In diesem Jahr wurde die Pädagogische Hochschule Berlin aufgelöst. So dürfte die dem Inhaber des Lehrstuhles für Geographie von 1956 bis 1973 und langjährigen Mitglied unseres Vereins, Helmut Winz, gewidmete Festschrift eine der letzten Veröffentlichungen der Lankwitzer Ausbildungsstätte sein. Die Einzelbeiträge behandeln unter methodischen oder auch didaktischen Gesichtspunkten geographische Probleme in Schweden, Frankreich, England, der Sowjetunion bis hin nach Kenia, Ceylon und Indonesien und legen damit auch Zeugnis ab für die weitgespannten wissenschaftlichen Interessen des Jubilars. Ein Schwerpunkt der Arbeiten des Geographieprofessors war aber auch seit dessen Studienzeit an der alten Berliner Universität die engere Heimat, ein Gebiet, das nicht nur in eigenen, sondern auch in vielen Veröffentlichungen seiner Schüler gepflegt wurde. So behandelt Gerd Heinrich in der Festschrift unter dem Titel „Hunderttausend Wenden hier untergingen, Bemerkungen über die Verfassungs- und Siedlungsgeschichte der altbrandenburgischen Territorien Teltow und Barnim" das Kontinuitätsproblem der slawischen Siedlung; Charlotte Pape untersucht eingehend „Die Entwicklung des wilhelminischen Großstadtgürtels in Berlin. Dargestellt an einem Beispiel aus dem Bezirk Prenzlauer Berg". Und Dieter Voll stellt Gedanken „Zum Problem der Infrastrukturinvestitionen - dargestellt an Beispielen aus dem Etat der Stadt Spandau in den Jahren 1900 bis 1914" vor. Unter vornehmlich didaktischen Gesichtspunkten steht der Beitrag von Jürgen Aufermann-„Die Behandlung stadtgeographischer Fragen am Beispiel des 247 Berliner Bezirks Wilmersdorf'. Besonders sei auch auf den Beitrag von Otto Koppelmann „Das Werden der Pädagogischen Hochschule Berlin 1946 bis 1959 und die Entwicklung des Wahlfaches Geographie" hingewiesen. Felix Escher Hermann Rückwardt: Das kaiserliche Berlin. 53 Photographien aus dem Jahre 1886. Erläutert und mit einem Nachwort von Hans Schiller. Dortmund: Harenberg Kommunikation 1980. 128 S. mit 53 Abb., brosch., 14,80 DM. (Die bibliophilen Taschenbücher, Bd. 170.) Auf 53 zumeist wohlgelungenen Aufnahmen, die alle das ehrwürdige Alter von fast hundert Jahren haben, läßt der zeitgenössische Fotograf Hermann Rückwardt die monumentalen Prachtbauten und Denkmäler des alten Berlin von 1886 vor unseren Augen wieder auferstehen. Einige wenige von ihnen haben Krisen und Kriege überlebt, die Mehrzahl ist heute verschwunden, bestenfalls aber teilzerstört erhalten geblieben oder in abgewandelter Form restauriert worden. Das kaiserliche Schloß und das Rathaus präsentieren ihre eindrucksvollen Fronten und die prachtvoll ausgestatteten Säle. Eine lange Reihe schöner Aufnahmen zeigt die Wahrzeichen des alten Berlin: das Brandenburger Tor und die Siegessäule, das Palais des alten Kaisers und sein Arbeitszimmer mit dem historischen Eckfenster, Museen, Schauspiel- und Gotteshäuser, Bauten staatlicher Institutionen, öffentliche Plätze mit den wohlgepflegten gärtnerischen Anlagen sowie Denkmäler und Brücken mit ihrem vielfältigen allegorischen Figurenschmuck. Der Wert des handlichen Bändchens wird durch seine übersichtliche Einteilung erhöht. Jedem Bild ist ein Kommentartext von Hans Schiller gegenübergestellt, der dem Betrachter und Leser das Wissenswerte in kurzgefaßter Form - oft bis hin zur Angabe von Tagesdaten - exakt vermittelt. Im Nachwort, das sich dem Bildteil anschließt, verläßt der Autor die Sphäre des Erhabenen, die die ehrwürdigen Denkmale umweht, und schildert das Leben und Treiben der Berliner, wie es sich vor rund hundert Jahren auf ihren Straßen abgespielt hat. Da kommt das Pferd als Hauptträger der Nahverkehrsmittel wieder zu hohen Ehren, und wir erleben die Geburtsstunde der heutigen Verkehrsampel. Dem Autor gelingt es, selbst die Bedürfnisanstalten, die er aufgrund seines handfesten Berliner Humors als „Herrenentwässerungsantalten" bezeichnet, mit einem Schimmer echt nostalgischer Wehmut „unmißverständlich" zu verklären (S. 118). Nicht unerwähnt sollen einige kleinere Ungenauigkeiten bleiben, die dem durchaus erfreulichen Berolinensium leider anhaften: Wie aus der Aufnahme des Pariser Platzes (S. 7) ersichtlich, ist das gleiche Foto auf dem Umschlag des Buches irrtümlich seitenverkehrt abgebildet worden. Die sechs Bronzedenkmäler der fridenzianischen Feldherren auf dem Wilhelmplatz sind nicht nach Entwürfen verschiedener Künstler (S. 80), sondern alle vom Bildhauer August Kiß geschaffen worden, um die teilweise stark verwitterten Marmorstatuen (um 1860) zu ersetzen. Ob der Neubau des Anhalter Bahnhofs in Anwesenheit des alten Kaisers eingeweiht wurde (S. 86) oder ohne den Monarchen, ist strittig. Die Friedenssäule auf dem Belle-Alliance-Platz (S. 89) bestand nicht wie ihr Sockel aus poliertem Marmor (S. 88), sondern aus Granit - einem Restbestand aus dem Block der großen Granitschale, die 1834 im Lustgarten Aufstellung gefunden hatte. Die im Schlußsatz auf Seite 94 erwähnten Ausstellungshallen befanden sich nicht auf dem Gelände des ehemaligen Hamburger Bahnhofs, sondern westlich des Lehrter Bahnhofs und sind auf dem Bild nicht erkennbar. Friedrich der Große hatte nicht zwei jüngste Brüder (S. 124 und 125), sondern zwei jüngere und einen jüngsten Bruder. Hans Schiller hat dem Bildband außer einem Quellen- und einem Tafelverzeichnis erfreulicherweise ein Personenregister angefügt (S. 123 ff.), das alle im Text erwähnten Regenten, Staatsdiener, Künstler usw. aufzählt und über ihr Leben und Wirken mit zeitlichen Angaben orientiert. Dem „kaiserlichen Berlin" im Taschenbuchformat ist als Zierde und Bereicherung jeder Berolinensiensammlung weite Verbreitung zu wünschen. Irmtraut Köhler Dietrich O. Müller: Verkehrs- und Wohnstrukturen in Groß-Berlin 1880-1980. Geographische Untersuchungen ausgewählter Schlüsselgebiete beiderseits der Ringbahn. Berlin: Institut für Geographie der Technischen Universität Berlin 1978. 160 S. m. Abb., Tabellen, Summary, brosch. (Berliner Geographische Studien, Bd. 4. Hrsg: B. Hofmeister u. H. Valentinf. Schriftleitung: Albrecht Steinecke.) Die 1978 erschienene Dissertation von Dietrich O. Müller befaßt sich mit der Entwicklung der Wohn- und Verkehrsstrukturen im Groß-Berliner Raum. An den Problemen von vier ausgewählten geographischen Stadtgebieten wird die rund hundertjährige Entwicklung der Bebauung und des Verkehrs vom Ausgang der 1870er Jahre bis in unsere Tage aufgezeigt. So unterschiedliche Zonen wie das Charlottenburg-Wilmersdorfer Gebiet zwischen Kaiserdamm und Grunewaldkolonie beiderseits der Ringbahn, Teile der Bezirke Prenzlauer Berg/Pankow und Rixdorf-Neukölln sowie ein Bebauungskomplex im Bereich der 248 Vororte Wilmersdorf/Schöneberg/Friedenau werden hinsichtlich der Wechselwirkung der strukturellen Bau- und Verkehrsplanungen und der für die Zukunft zu erwartenden Entwicklungen eingehend beschrieben. In diesem Zusammenhang verweis! der Autor durch Zitieren baupolizeilicher Anordnungen und Vorschriften auf die zeitlich bereits weit zurückliegende Epoche zwischen 1890 und 1910. Im weiteren Text wird die besondere Problemsituation des „Nassen Dreiecks" in Charlottenburg erläutert und die Entstehung dieses Begriffes; durch seine prekäre Baugrundbeschaffenheit hervorgerufen. Die Verkehrsanlagen der BVG-Betriebe (U-Bahn, Straßenbahn und Autobusse), die S- und Fernbahn mit ihren Bahnhöfen und Gleistrassen, der Ausbau der Stadtautobahnen und die dadurch bedingten Straßenverlegungen und -Veränderungen werden einer genauen Analyse unterzogen. Den eingehenden Untersuchungen zur Differenzierung der Wohnbebauung in den einzelnen Bezirken ist ein breiter Raum zugemessen. Die Gegenüberstellung exakter fotografischer Aufnahmen aus den verschiedenen Epochen, jedoch vom gleichen Standort aufgenommen, vermitteln dem Betrachter die besten Vergleichsmöglichkeiten von den tiefgreifenden Veränderungen, die sich im Wandel der letzten Zeit vollzogen haben. Als Abschluß ist eine Zusammenfassung in deutscher und englischer Sprache abgedruckt. Die Anmerkungen zum Text bieten weitere gute Information und das sehr ausführliche Quellenverzeichnis umfaßt 16 Druckseiten. Die Qualität des beigefügten reichhaltigen Karten-, Skizzen- und Tabellenmaterials ist als erstklassig zu bezeichnen. Der Hinweis unter Bild 44 (S. 111) bezieht sich jedoch nicht auf den Kaiser-Wilhelm-Platz (in Schöneberg), sondern auf den Friedrich-Wilhelm-Platz (in Wilmersdorf-Friedenau). Hervorzuheben ist die Übersichtlichkeit der Abhandlung, die durch eine bis ins letzte Detail durchgeführte Aufgliederung erreicht wurde. Die Auswertung von Forschungsergebnissen aus der Literatur und Statistik, des sehr reichhaltigen Kartenmaterials und der eingehenden Archivstudien bis hin zu speziellen Geländebegehungen haben es dem Autor ermöglicht, nicht zuletzt aufgrund seiner profunden Fachkenntnisse eine wertvolle Informationsquelle zu erstellen, nicht nur für den Wohnbau- und Verkehrsplaner, sondern auch für den einschlägig interessierten Berlinkenner, der eine Vielzahl bisher ungeklärter Fragen beantwortet erhält. Hans Schiller Joh. Gottlieb Rhode: Berlin 1799 für Freunde des Geschmacks und der Moden. Beiträge zur Charakteristik der Einwohner Berlins. Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1977. 48 S. m. 14 Illustr. v. Wolfgang Jörg u. Erich Schönig, Pappbd., 32 DM. (Reihe: Werkdruck, Nr. 6, Großformat, 1200 Expl., numeriert u. signiert.) Julius von Voß: Merkwürdiger Briefwechsel der blonden Karoline mit ihrem Liebhaber und anderen vornehmen und geringen Leuten in Berlin 1813. Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1978. 40 S. m. Illustr. v. Wolfgang Jörg u. Erich Schönig, Pappbd., 32 DM. (Reihe: Werkdruck, Nr. 7, Großformat, 1200 Expl., numeriert u. signiert.) Johanniterstraße 2-5 (1872-1944). Die Historie des berüchtigten Mietblocks zu Berlin im Bezirk Kreuzberg. Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1979. 16 S. m. Illustr. v. Wolfgang Jörg u. Erich Schönig, brosch., 18 DM. (Reihe: Satyren und Launen, Nr. 8, Großformat, 1000 Expl. numeriert u. signiert.) Der Werkdruck Nr. 6 der Berliner Handpresse enthält Abhandlungen und Beschreibungen des Äußeren Berlins, die dem von 1799 bis 1800 vierteljährlich erschienenen Magazin „Berlin, eine Zeitschrift für Freunde der schönen Künste, des Geschmacks und der Moden" entnommen worden sind. Herausgeber war Johann Gottlieb Rhode, Hauslehrer, vielseitiger Schriftsteller und später u. a. Dozent für Geographie an der Breslauer Kriegsschule. Die Beschreibungen des zeitgenössischen Berlins sind in die Form fiktiver Briefe an einen Freund gekleidet. Uwe Otto hat diesem Text ein Geleitwort vorangestellt, in dem auf das damalige Berliner Pressewesen und auf die Hintergründe dieses Textes hingewiesen wird, der dem an der Geschichte Berlins interessierten Leser heute nicht leicht zugänglich ist. Als Beispiel sei hier die Schilderung der gerade jüngst wieder ins Gespräch gekommenen „Puppenallee" aus dem Kapitel „Oeffentliche Promenaden" wiedergegeben: „Ueberall stehn auch im Thiergarten einzelne Statuen von Sandstein, welche Friedrich II. hinsetzen liess; sie haben indess alle sehr wenig Kunstwerth. Der Weg nach Charlottenburg führt über einen Kreis, der rund umher mit Statuen, Götter und Göttinnen vorstellend, besetzt ist. Einen characterischen Zug der Berliner kann ich Dir dabei anführen. Sie nennen diesen Platz nie anders als: den Puppenplatz, und die Statuen selbst, die Puppen; dies zeigt ihren Kunstsinn nun freilich noch in einer jungen Gestalt." Es bleibt jedem Berliner überlassen, ob er sich in der nachstehenden Beschreibung wiedererkennt. „Der Charakter des eigentlichen Volks in Berlin giebt kein unangenehmes Bild. Hervorstechende Züge in 249 demselben sind: gutmüthiger Frohsinn, Neugierde und Hang zur gesetzlichen Ordnung. Daher sind unruhige Auftritte so selten, als wenig gefährlich. Mordthaten sind äusserst selten, Selbstmorde häufiger, aber die Diebereien, selbst Einbrüche in die Häuser und Krambuden unzählbar. Während ein Theil sich über alle religiöse Gebräuche und gottesdienstliche Handlungen hinweg setzt, herrscht unter den andern die krasseste, oft in Intoleranz ausartende Orthodoxie." Über das Verhältnis zwischen den Gatten heißt es: „Fast nirgends macht das kalte Sie zwischen Eheleuten die Herzlichkeit und das Zutrauen gegen einander verdächtig; das edlere Du deutet fast überall auf Innigkeit und ehelichen Frieden. - Selten macht der Mann den Tyrannen - noch seltener die Frau die Gebieterin." Und weiter: „Das Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern und Eltern ist zutraulich und schön. Zu bedauern, und von den verderblichsten Folgen ist es indess, dass man so sichtlich anfängt, dies an sich schöne Verhältnis über seine Grenze hinaus zu dehnen, und Kinder als selbständige freie Menschen handeln zu lassen, ehe Reife des Verstandes und Klugheit sie dazu geschickt machen: und wo sie oft durch Erfahrungen - die nach der Meinung der Eltern sie klug machen sollen - zu Grunde gerichtet werden, ehe sie anfangen zu leben." * Im 7. Band der „Reihe Werkdruck" der Berliner Handpresse werden von Julius v. Voß keine aus kritischer Beobachtung entstandenen Beschreibungen Berlins und seiner Einwohner wiedergegeben. Nur indirekt vermittelt der Text Anhaltspunkte zu einer Charakteristik der Berliner. Wie Uwe Otto in seinem Vorwort mitteilt, glaubt die Berliner Handpresse, einen bisher vielfach übersehenen Chronisten der Berliner Stadtgeschichte wieder entdeckt zu haben, wie Julius von Voß auch als Verfasser der ersten Berliner Possen angesehen wird. * Authentische Zeugnisse zur Geschichte einer „berüchtigten" Kreuzberger Mietskaserne sind in der Reihe „Satyren und Launen" Nr. 8 in Faksimile wiedergegeben worden. Erstmals 1872 wird der Gebäudekomplex auf dem Grundstück Johanniterstraße 2-5 bei der Polizei aktenkundig. Im Laufe der Zeit gelten dann die Wohnverhältnisse in diesem Gebäude für eine Reihe Berliner Tageszeitungen als exemplarisch. 1944 fällt diese Mietskaserne einem Fliegerangriff zum Opfer. Alle wiedergegebenen Schriftstücke sind der von der Baupolizei angelegten Akte des Gebäudekomplexes entnommen. Die Berliner Handpresse macht wie stets bei diesen Werken darauf aufmerksam, daß die Unterschiede des Druckes nicht auf Fehler in der Herstellung zurückzuführen sind, sondern bei Faksimiles, hier im Offsetverfahren, immer vom Zustand des benutzten Originals abhängen. H. G. Schultze-Bemdt Katharina Heinroth: Mit Faltern begann's. München: Kindler Verlag 1979.308 S. m. 34 Abb., geb., 28 DM. Dieses autobiographische Buch der heute über achtzigjährigen Biologin, die sich zunehmend der vergleichenden Verhaltensforschung zugewandt hatte, spricht sowohl den Laien wie auch den fachlich interessierten Leser an. Die Autorin war von 1945 bis 1956 Direktorin des Berliner Zoos; sie berichtet in lebhaftem Stil von ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung; der Untertitel des Buchs „Mein Leben mit Tieren in Breslau, München und Berlin" weist dann auch auf die wichtigsten Stationen ihres Lebens hin. Hier in Berlin heiratete sie auch den bekannten Ethologen Oskar Heinroth. An seiner Seite half sie mit, die Folgen der Bombenangriffe zu beseitigen, die gerade den Zoo besonders hart getroffen hatten. Unter größtem persönlichen Einsatz hat sie in den letzten Kriegstagen versucht, noch zu retten, was noch zu retten war. Nach dem Tod ihres Mannes Ende Mai 1945 übertrug man ihr die Direktorenstelle. Nur 91 Tiere hatten den Bombenhagel und die Kämpfe überlebt, beinahe alle Gebäude waren zerstört, es gab kein Wasser und keinen Strom. Mit Energie und Organisationstalent schaffte sie es, den Zoo schon im Sommer 1945 der Bevölkerung wieder zugänglich zu machen. Allmählich konnten auch neue Tiere angeschafft werden. Da kam ein neuer Schlag: die Berliner Blockade. Wieder stand der Zoo vor seiner Auflösung, und wieder war es ihr zu verdanken, daß er überlebte und nicht zu einem großen Gemüseanbaugebiet gemacht wurde, wie es geplant war. Mit Diplomatie und Umsicht konnte sie das Schlimmste verhüten. Frau Dr. Heinroth hat ihre ganze Kraft dem Wiederaufbau des Berliner Zoos gewidmet. Um so befremdlicher muß es uns daher berühren, wie wenig ihr gedankt wurde, wie der Aufsichtsrat des Zoos sich „nicht schön gegen sie verhalten hat", wie Konrad Lorenz, ein Schüler ihres Mannes, recht milde in seinem Vorwort zum Ausdruck bringt. Jedoch nicht nur diese Kapitel sind lesenswert, sie sind nur ein Ausschnitt aus der Darstellung eines bis heute rastlos tätigen Lebens. Irmtraut Köhler 250 Irmgard Wirth: Eduard Gaertner - Der Berliner Architekturmaler. Berlin: Propyläen/Ullstein 1979.290 S. m. 196 Abb., Pappbd., 68 DM. Was Comenico Quaglio für München und Rudolf von Alt für Wien, war Eduard Gaertner für unsere Stadt: ein Architekturmaler mit weit mehr als nur lokaler Bedeutung. Ausgestattet mit einem sicheren Blick für den jeweils schönsten Standort, hatte er darüber hinaus einen Sinn für Physiognomien, was ihn auch zu einem überdurchschnittlichen Porträt-, Landschafts- und Vedutenmaler seiner Zeit (1801-1877) werden ließ; er war eben mehr als nur ein betulich-genauer Bildchronist. Die Autorin, langjährige Direktorin des Berlin Museums, ist mit diesem Thema wie kaum jemand anderer vertraut. Sie beschreibt hier gang unprätentiös das Leben des Malers, seine Werke und seine Stellung in der deutschen Architekturmalerei des 19. Jahrhunderts. Das liest sich gut - klingt beinahe wie erzählt. Dennoch läßt der Ärger nicht lange auf sich warten! Es fehlen die Querverweise vom Text zu den Bildern, selbst wenn die Bildfolge ungefähr der des Textes entspricht, und es fehlen - noch gravierender - diese Hinweise zwischen den Abbildungen und dem Werkverzeichnis, das mit 547 Nummern das bislang umfassendste ist. Es darfauch nicht verschwiegen werden, daß die Jahresangaben unter mehreren Bildern falsch sind. Diese Angaben sind zwar im Werkverzeichnis berichtigt worden, jedoch fehlt jeglicher Korrekturvermerk, der auf diese Fehlerquelle hinweist. Das gezeigte Bildmaterial ist gut, wenngleich man sich fragt, warum es nur 6 Farbabbildungen gegenüber 190 einfarbigen Abbildungen sind; für diesen Preis ist das etwas zu wenig. Die typografische Gestaltung, die Bildanordnung, die Druckqualität und die Materialien sind in der bekannten guten Art des Verlages. Schade, daß dieser Band - durch die angesprochenen Versäumnisse bedingt - im Wissenschaftlichen stark gemindert ist. Claus P. Mader Georg Holmsten: Berlüi-Charlottenburg. Freiburg i. B.: Karl Baedeker 1980. 84 S. m. 5 Karten u. Plänen und 28 Abb., brosch., 7,80 DM. Georg Holmsten: Berlin-Steglitz. Freiburg i. B.: Karl Baedeker 1980. 84 S. m. 5 Karten u. Plänen und 25 Abb., brosch., 6,80 DM. Nach Wilmersdorf, Wedding, Tempelhof und Kreuzberg bekamen nun auch Charlottenburg und Steglitz ihren „Baedeker". Neben einer geschichtlichen Übersicht und einer Bezirksbeschreibung enthalten die Bändchen auch praktische Angaben über Hotels, Theater, Galerien und über weiterführende Literatur. Die Karten und Abbildungen (Zeichnungen) ergänzen den Text sinnvoll. Durch den recht späten Redaktionsschluß konnten auch noch die neuesten Angaben berücksichtigt werden. Für alle Berliner, die sich intensiv mit „Ihrem Bezirk" befassen wollen, sind diese Publikationen eine wertvolle und preiswerte Hilfe. Hier stellt sich auch die Frage, wann es dem Verlag gelingt, eine korrigierte und ergänzte Neuauflage des „Berlin-Baedekers" herauszubringen; die 24. Auflage von 1966 ist kaum noch brauchbar. Claus P. Mader Berlin 1737-1785. 32 alte Kupferstiche. Mühlheim a.M.: Verlag „Robinson-Drucke" 1979. Postkartenheft mit 32 Ansichten, 9,80 DM. Unter dem Motto „Einladung zu einer Betrachtung Ihrer Stadt - in alter Zeit" stellt sich dieser neue Verlag vor. Sein Programm besteht wohl hauptsächlich in der Herausgabe dieser Postkartenhefte mit alten Städteansichten des 18. und 19. Jahrhunderts. Als eines der ersten Hefte kam nun das hier angezeigte heraus. Als Vorlagen dienten mehr oder weniger bekannte Stiche und Lithographien, deren Wiedergabe im Offsetverfahren ob der großen Verkleinerung qualitative Einbußen mit sich bringt. Trotzdem - zumal noch sehr preiswert - dürften diese Karten, als Sonntagsgruß versandt, ihre Freunde finden. Claus P. Mader In der Reihe der neuaufgelegten „Berlinischen Reminiszenzen" sind von unserem Mitglied Ilse Nicolas kürzlich die beiden Bände „Vom Potsdamer Platz zur Glienicker Brücke" (Nr. 13) und „Kreuzberger Impressionen" (Nr. 26) erschienen. In erweiterter und aktualisierter Ausstattung in Text und Bild bringen sie nach wie vor ebenso fundierte wie lesenswerte Schilderungen von ausgewählten Teilen der Berliner Stadtlandschaft. (Verlag Haude & Spener 1979, je Bd. 16,80 DM.) 251 Rolf Italiaander, Arnold Bauer, Herbert Krafft: Berlins Stunde Null 1945. Ein Bild-Text-Band. Düsseldorf. Droste Verlag 1979. 173 S. m. 150 Abb., Ln., 46 DM. In der Flut der Berlin-Bücher ist der vorliegende Band beachtenswert. Drei Autoren führen uns zurück nach 1945, lassen uns anhand von Bildern, Dokumenten und Berichten am Zusammenbruch des „Dritten Reiches" und am zähen Wiederbeginn nach dem 2. Mai teilnehmen. Rolf Italiaander schildert seine Erlebnisse vor und nach der Kapitulation, mit Deutschen, Russen und Amerikanern; Arnold Bauer gibt einen Abriß der „Anfänge von Kultur und Politik" in der ersten Zeit nach der sowjetischen Besetzung; Herbert Krafft schließlich kommentiert die Berliner Wirtschaft zur Stunde Null. A. Bauer zeigt, wie sich schon Mitte Mai 1945 das kulturelle Leben der Stadt wieder regt, wie erste Lesungen, Konzerte und auch ein Kabarett unter schwierigsten Bedingungen zustande kommen; die Philharmoniker spielen bereits im Juni im Titania-Palast, das Renaissance-Theater beginnt mit dem „Raub der Sabinerinnen". So unwahrscheinlich es für uns heute klingen mag: die Menschen damals lechzten nach Kultur, sie lebten eben nicht vom Brot allein. Noch im Sommer 1945 erscheinen - mit sowjetischer Lizenz - die ersten Zeitungen, und der Aufbau der Parteien und gewerkschaftlichen Organisationen beginnt. Nach dem Einzug der Amerikaner, Briten und Franzosen im Juli wird Berlin nun „eine Stadt zwischen den Welten, der kommunistisch-totalitären und der parlamentarisch-demokratischen". Eines aber scheint mir jedenfalls sicher zu sein, Berlin hat in jener ersten Nachkriegszeit trotz erbärmlicher äußerer Umstände, unter denen seine Bewohner lebten, einen in dieser Güte und Höhe kaum wieder erreichten Stand an kultureller Freiheit, Gemeinsamkeit und Vielfalt erreicht. Herbert Krafft beleuchtet die wirtschaftliche Seite. Er berichtet z. B., daß die Kraftwerke der Bewag selbst während der Kampfhandlungen lebenswichtige Betriebe der Stadt mit Strom versorgten; als Klingenberg und Rummelsburg ausfielen, lieferten die westlichen Werke noch weiter, und als hier gekämpft wurde, begannen Rummelsburg und Klingenberg bereits wieder ZU arbeiten. Es wird in Erinnerung gerufen, was die Berliner an Lebensmitteln bekamen, wie die Müllabfuhr nach Verlust ihrer Pferde und ohne Benzin ihre Aufgaben zu bewältigen suchte, wie die Berliner im kalten Winter 1945/46 ohne Kohlen dastanden und die Brennholzaktion rund um die Stadt durchgeführt wurde. Er berichtet auch von den mühseligen Wiederanfängen im Handwerk, von den Scheinarbeitsverhältnissen zur Erlangung einer höheren Lebensmittelration, von den sich bildenden Schwarzmärkten, wo man ein Pfund Butter für 450 und ein Brot für 100 Reichsmark erstehen konnte. Einen breiten Raum nehmen die Ausführungen des Verfassers zur Demontage ein. 85 % der industriellen Kapazität hatten die Westsektoren verloren, in der sowjetischen Besatzungszone seien es 4 5 % gewesen, in Ost-Berlin 33%, in den drei westlichen Besatzungszonen dagegen nur etwa 8 %. „Die Sowjets hatten ihre Chance zur Demontage vor Eintreffen der westlichen Alliierten gründlich genutzt." Krafft zitiert dazu eine amerikanische Zeitung vom Juli 1945: „Das Problem der deutschen Nachkriegsindustrie ist für Berlin gelöst; Es gibt dort keine Industrie mehr." Eine Zeittafel 1945/46 beschließt das informative Buch. Irmtraut Köhler Evelyn Hardey:... damals war ich fünfzehn. Reutlingen: Ensslin & Laiblin, 1979. 156 S., Ln., 14 DM. War vor einiger Zeit im Verlag Jugend und Volk ein Band „Damals war ich 14 - Jugend im Dritten Reich" erschienen, so legt der bekannte Jugendbuchverlag Ensslin & Laiblin nunmehr ein fast titelgleiches Buch über denselben Themenbereich vor. Es handelt sich um die Aufzeichnungen eines Mädchens des Jahrgangs 1930, das über seine Erlebnisse mit der Oli-Bande (am Olivaer Platz) berichtet, die es von 1942 bis über das Kriegsende hinaus in einem etwas altklugen Tagebuch festgehalten hat. Dieses Tagebuch führt alle jene Poussagen und Eifersüchteleien auf, die einem Mädchen aufzunotieren wichtig sein mögen. An einigen Stellen, wo der heutige Leserkreis nicht mehr über die damaligen Geschehnisse orientiert ist, sind nachträgliche Erläuterungen hinzugefügt worden (z. B. bei Mussolini und beim Warthegau). Manchmal hat man den Eindruck, als sei die Schreiberin auch der damaligen Propaganda erlegen, denn daß noch im Dezember 1943 deutsche Flugzeuge englische Städte „wie toll und besessen mit Bomben verwüsten", hat selbst Hermann Göring nicht mehr geglaubt. Oder ist das ganze Buch nur (geschickt) nachempfunden? Hierfür könnte die Tatsache sprechen, daß ein BdM-Mädel schon am 20. Juni 1944 den Einsatz der V 2 in ihrem Tagebuch festhält, den die Historiker zum ersten Mal am 6. September 1944 registrierten. Daß jemand 1944 am Reichpietschufer entlangläuft, das bis 1947 Tirpitzufer hieß und erst dann nach dem meuternden Matrosen Reichpietsch genannt wurde, könnte ähnliche Gedanken aufkommen lassen. Vielleicht ist das eigentliche Kriegsende dann zu rosig geschildert worden - der Autorin wäre es zu wünschen. H. G. Schullze-Berndt 252 Romantisches Berlin. Sechs Aquarelle von der Pfaueninsel bis Glienicke. Gesehen und gezeichnet von Prof. Gerhard Ulrich. Berlin: Verlag der „Berliner Morgenpost", 1979. Mappe nicht im freien Buchhandel erhältlich. Die hier zusammengestellten Blätter bieten einen so erfreulichen Anblick, daß man nur hoffen kann, der ersten Auswahlmappe möge bald eine zweite folgen. Gerade in einer Zeit, in der meist Kunst erst jenseits der Erkennbarkeit angesiedelt ist, kann es nur begrüßt werden, wenn sich jemand wie Prof. Ulrich findet, der mit sehr viel Liebe und Einfühlungsvermögen in der Wahl der Motive und in der Darstellung Blätter schafft, die die immer seltener werdenden Schönheiten Berlins festhalten. Ist es doch für den empfindsamen Betrachter eines Bildes ein erheblicher Unterschied, ob er eine noch so meisterhafte Fotografie oder eben wie hier Zeichnungen oder Aquarelle vorgelegt bekommt. So kann man den Verlag nur zu der Idee beglückwünschen und dazu, in Prof. Ulrich ein Mann gefunden zu haben, der solche Bilder schaffen kanri und dabei noch den Mut besitzt, gewissermaßen gegen den Strom zu schwimmen. Ernst Alberts Wissenschaftlicher Schriftenaustausch mit anderen Institutionen und Vereinen. Nachstehende Schriften können eingesehen und ausgeliehen werden. Allgemein: Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine: Protokolle 1890-1913; Blätter für deutsche Landesgeschichte 1952 ff. Deutscher Heimatbund: Jahrbücher 1959-1968. Gesellschaft für deutsche Postgeschichte: Archiv für deutsche Postgeschichte 1963 ff. Die Post in Bildern. Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens: Jahrbücher 1952 ff. Gesellschaft für Theatergeschichte: Schriften 1913 ff. Akademie der Wissenschaften der DDR: Jahrbücher 1963 ff. Humboldt-Universität Berlin: Gesamtverzeichnis der Zeitschriften 1966; Zeitschrift 1965 ff. Museum für deutsche Geschichte, Berlin (Ost): Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1966 ff. Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Jahrbuch 1962 ff. Akademie der Wissenschaften Göttingen: Jahrbuch 1966 ff. Familienkundliche Nachrichten: 1956 ff. Hansischer Geschichtsverein: Hansische Geschichtsblätter 1950 ff. Nassauischer Verein für Naturkunde: Jahrbuch 1959 ff. Ostdeutsche Familienkunde: 1953 ff. Bayern: Historischer Verein von Oberbayern: Oberbayerisches Archiv 1954 ff. Historischer Verein von Oberpfalz und Regensburg: Verhandlungen 1950 ff. Oberpfälzer Wald-Verein: Oberpfälzer Heimat 1967 ff. Historischer Verein Unterfranken und Aschaffenburg: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 1950 ff. Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte: Mainfränkische Hefte 1948 ff. Heimatverein Erlangen und Umgebung: Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung 1955 ff. Institut für fränkische Landesforschung der Universität Erlangen-Nürnberg: Jahrbuch für fränkische Land.-Forschung 1965 ff. Verein für die Geschichte der Stadt Nürnberg: Mitteilungen 1949 ff. Historischer Verein Eichstätt: Sammelblätter 1948 ff. Baden-Württemberg: Historischer Verein Heilbronn: Jahrbuch 1960 ff. Universität Heidelberg, Pressestelle: Diverse Berichte. Vereinigung der Freunde der Universität Heidelberg: Mitteilungen 1954 ff. Bremen: Staatsarchiv Bremen: Veröffentlichungen 1953 ff.; Bremisches Jahrbuch 1975 ff. Hamburg: Verein für Hamburger Geschichte: Zeitschrift 1978 ff. Museum für Hamburger Geschichte: Beiträge zur dtsch. Volks- und Altertumskunde 1964 ff.; diverse Veröffentlichungen. Museums- und Heimatverein Harburg und Land: Harburger Jahrbuch 1948 ff. 253 Hessen: Historischer Verein für Hessen: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 1943 ff. Oberhessischer Geschichtsverein: Mitteilungen 1953 ff. Mainzer Altertumsverein: Mainzer Zeitschrift; Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte 1950 ff. Fuldaer Geschichtsverein: Zeitschrift 1959 ff. Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 1948 ff. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde: Zeitschrift 1959 ff. Niedersachsen: Historischer Verein für Niedersachsen: Hannoversche Geschichtsblätter 1952 ff. Braunschweiger Geschichtsverein: Jahrbuch 1949 ff. Verein für die Geschichte der Stadt Einbeck: Jahrbuch 1955 ff. Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück: Mitteilungen 1947 ff. Harz-Verein für Geschichte: Harz-Zeitschrift 1962 ff. Nordrhein-Westfalen: Aachener Geschichtsverein: Zeitschrift 1949 ff. Düsseldorfer Geschichtsverein: Jahrbuch 1951 ff. Kölnischer Geschichtsverein: Jahrbuch 1950 ff. Historischer Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark: Beiträge zur Geschichte 1965 ff. Bergischer Geschichtsverein: Zeitschrift 1964 ff. Bonner Heimat- und Geschichtsverein: Bonner Geschichtsblätter 1967 ff. Mindener Geschichts- und Museumsverein: Mitteilungen 1965 ff. Historischer Verein für Stadt und Stift Essen: Beiträge 1961 ff. Verein für die Geschichte von Soest und Börde: Zeitschrift 1965 ff. Rheinland-Pfalz: Historischer Verein der Pfalz: Mitteilungen 1953 ff. Gesellschaft für nützliche Forschungen und der Stadtbibliothek Trier: Kurtrierisches Jahrbuch 1961 ff. Verein Trierisch: Trierisches Jahrbuch 1952 ff. Stadt Worms und Altertumsverein: Zeitschrift 1963 ff. Schleswig-Holstein: Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: Zeitschrift 1968 ff. Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte: Mitteilungen 1948 ff. Brandenburg: Bezirksheimatmuseum Potsdam: Veröffentlichungen 1963 ff. Staatsbibliothek Potsdam/Fontane-Archiv: Fontane Blätter 1965 ff. Mecklenburg: Universität Rostock: Wissenschaftliche Zeitschrift 1964 ff.; Veröffentlichungen der Wissenschaftler, Bibliographie 1974 ff. Stadtarchive Greifswald und Stralsund: Jahrbuch 1965 ff. Sachsen-Anhalt: Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg: 450 Jahre - Chronik, Bad. I-III; Geschichte Wittenbergs 1952 ff. Stadtarchiv Erfurt: Diverse Schriften 1965 ff. Sachsen: Museum für Geschichte der Stadt Leipzig: Jahrbuch 1975 ff.; diverse Schriften. Stadtarchiv Karl-Marx-Stadt (Chemnitz): Beiträge zur Heimatgeschichte 1952 ff. Museum Hohenleuben-Reichenfels/Vogtland: Jahrbuch 1953 ff. Sächsische Landesbibliothek Dresden: Sächsische Heimatblätter 1954 ff. Thüringen: Friedrich Schiller-Universität Jena: Geschichte der Universität 1958; diverse Schriften 1968 ff. Österreich: Oberösterreichischer Musealverein: Jahrbuch 1947 ff. Steiermärkisches Landesarchiv: Mitteilungen 1957 ff. Steiermärkische Landesbibliothek: Diverse Schriften 1968 ff. Stadt Graz: Historisches Jahrbuch 1968 ff. Historischer Verein für die Steiermark: Zeitschrift 1950 ff.; Blätter für Heimatkunde 1950 ff. 254 Verein für die Geschichte der Stadt Wien: Jahrbuch 1946 ff.; Wiener Geschichtsblätter 1946 ff.; Wiener Schriften 1955 ff. Schweiz: Historische und antiquarische Gesellschaft zu Basel: Zeitschrift 1951 ff. Antiquarische Gesellschaft in Zürich: Mitteilungen 1950 ff. „Mittels Tun ein Mensch werden" - unter diesem Titel erschien 1969 eine kleine Festschrift zum 65. Geburtstag Walther G. Oschilewskis. Zehn Jahre später, zum 75., war es eine Bibliographie, die auf andere, nicht minder eindrucksvolle Weise von diesem vielfältigen „Tun" unseres Ehrenmitgliedes Zeugnis gibt (Hrsg.: Archiv der sozialen Demokratie/Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1979,52 S.). Die rund 500 Titel des Publizisten, Literaten, Journalisten und - nicht zuletzt - „Berlinomanen" W. G. O. leuchten den gesamten Umkreis seiner beruflichen Tätigkeiten und Interessen aus - sei es als Dichter, Bibliophile, Kunstkritiker, politischer Biograph, Theaterpublizist, Bibliothekar oder Feuilletonredakteur. Das in diesem Büchlein Zusammengetragene ist längst nicht alles, aber selbst diese Auswahl der wichtigsten Arbeiten läßt schon an der Bandbreite ihrer Themen erkennen, in welch enzyklopädischer Manier uns dieser berlinische Geist mit seinem Tun erfreut, belehrt, angeregt, ja bereichert hat. Die Liste möge in Zukunft beliebig verlängert werden! P L. Unser diesjähriges Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird in wenigen Tagen ausgeliefert. Es enthält S Beiträge mit insgesamt 40 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band per Post zugestellt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr (48 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 24,80 DM. Bestellungen von Nichtmitgliedern und Buchhandlungen direkt beim Verlag: Westkreuz-Verlag, Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49. Zusatzbestellungen unserer Mitglieder bei der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31. * Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (It. Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM). * Für unsere neuen Mitglieder, sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67-70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71-74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich. * Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten. Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten. Im III. Vierteljahr 1980 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Lisbeth Dwars, Hausfrau Kölner Damm 71, 1000 Berlin 47 Tel. 6 04 37 39 (Gertraud Polke) Elsa Feldmann, Hausfrau Kommandantenstraße 30, 1000 Berlin 61 Tel. 6 14 85 31 (Ellen Wiegand) Gisela Krift, Bibliotheks-Ang. Fritz-Erler-Allee 114, 1000 Berlin 47 Tel. 6 03 60 28 (Albert Brauer) An unsere Bezieher! Die Beanschriftung der Zeitschriften erfolgt jetzt in neuer Form aus Gründen eines kostensparenden Vertriebs, und wir bitten Sie, Ihre Anschrift zu prüfen. Wenn Sie Fehler feststellen, erbitten wir Ihre Mitteilung an Westkreuz-Druckerei und Verlag, Rehagener Straße 30, 1000 Berlin 49. 255 Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegen ein Prospekt und eine Bestellkarte des Westkreuz-Verlages und der Prospekt „Charlottenburg-Festschrift" des Colloquium-Verlages bei. Veranstaltungen im IV. Quartal 1980 1. Dienstag, den 21. Oktober 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr. Helmut Börsch-Supan: „Das Schloß Charlottenburg zur Zeit Friedrichs I." Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Sonntag, den 26. Oktober 1980, 14.00 Uhr: Besuch im Hohenzollernmuseum, Grunewald, Heydenstraße 21. Fahrverbindungen: Busse 10, 17, 19, 29, 50, 60, 68. 3. Sonntag, den 9. November 1980, 10.00 Uhr: „Rund um die Museumsinsel". Leitung: Herr Hans-Werner Klünner. Führung anläßlich des 150jährigen Bestehens der Staatlichen Museen. Treffpunkt: Brücke am Pergamon-Museum, Kupfergraben. 4. Sonnabend, den 15. November 1980, 15.00 Uhr: Besuch des Steglitzer Heimatarchivs. Führung Herr Otto Wilhelm. Lichterfelde, Drakestraße 64a. Fahrverbindungen: Busse 11 und 85. 5. Dienstag, den 25. November 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Veronika Bendt: „Geschichte und Neuplanung des Jüdischen Museums in Berlin". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Sonnabend, den 6. Dezember 1980, 10.30 Uhr: „Vorweihnachtsbummel um St. Nikolai in Spandau". Treffpunkt vor dem Hauptportal. Leitung Herr Günter Wollschlaeger. Um 13.00 Uhr anschließendes vorweihnachtliches Beisammensein in der historischen Gaststätte „Zitadellenschänke". Teilnahme-Anmeldungen wegen der Bestellung des MittagsMenüs (Menügruppenpreis 20,80 DM) bis zum 10. November erbeten unter der Rufnummer 85127 39. 7. Freitag, den 12. Dezember 1980, 15.00 Uhr: „Besichtigung und Anmerkungen zu den Kunstgußschätzen im Schloß Charlottenburg - auch hinter den Kulissen". Leitung: Herr Professor Dr. Martin Sperlich. Treffpunkt im Ehrenhof des Schlosses vor dem westlichen Seitenflügel. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 256 uU>^- < W KChbibüofhsk A FaA«bt. der Berliner Stadtbibliethek i m ,PY iU1!>t A MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS G E G R Ü N D E T 1865 77. Jahrgang Januar 1981 Heft 1 9)ctcr etytwWi »un&ctfame Qi < f <t> i tr> ( « m i t g t t | e t 11 SB» Ebtlbert von ßbamiffo an» f> e t .1 u t 3 ( g ' S> ( u 9 0 & gtiebricb Sarcn be la «Rotte gouque. ttti einem Äuiifer. 6 : A'/i'T ' 'c/t ff/////>( ^ 3 ^ bei 3 ° N n n Sionhatti ©4tag . Titelblatt mit Frontispiz der Erstausgabe von Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte", mit dem Kupfer von Friedrich Leopold 257 AdeH5ert von Chamisso - Ein Wanderer zwischen zwei Welten 2um 200. Geburtstag des Dichters Von Jürgen Wetzel Es ist still um Adelbert von Chamisso geworden. In modernen Bibliographien sind nur noch wenige Versuche über ihn verzeichnet. Vor einem Jahrhundert dagegen als vaterländischer Dichter gefeiert, waren seine Veröffentlichungen in jedem Bürgerhaus zu finden, und einige seiner Gedichte gehörten zum selbstverständlichen Repertoire deutscher Lesebücher. Hat Adelbert von Chamisso uns heute nichts mehr zu sagen? Wenn zum zweihundertsten Geburtstag seiner mit einer biographischen Skizze gedacht wird, dann soll eine Person gewürdigt werden, die in einem außergewöhnlichen Leben und in meisterhafter Beherrschung der deutschen Sprache den Gedanken der Humanität lebendige Impulse verliehen hat. Es soll ferner daran erinnert werden, daß Chamisso auf der schwierigen Suche nach seiner Identität hier in Berlin im Kreise von „Dichtern und Denkern" seine Heimat gefunden hat. Kein Geringerer als Thomas Mann zollte diesem Manne seinen Tribut. In der Sammlung „Adel des Geistes" wurde ein Beitrag über Chamisso aufgenommen, in dem er sich über dessen Entwicklung voller Bewunderung äußert: „Wieviel bewußte Arbeit, wieviel Ringen und Werben um die Gunst unserer Sprache war . . . nötig, damit aus einem französischen Knaben ein deutscher Dichter wurde!"1 Selbst ein Meister deutscher Sprache, wird wohl nur ihm ganz nachvollziehbar gewesen sein, welche Zweifel und welche Qualen Chamisso auf diesem Weg durchlitten hatte. Seine Bescheidenheit ließ es ihn lange als Vermessenheit erachten, sich zugehörig zum deutschen Parnassos zu betrachten. Um so größer war seine Freude, als Beifall der Besten ihm einen Platz in ihrer Mitte wies. Erstaunt stellte er in einem Brief an seinen Freund de la Foye fest: „Was man sich in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle; ich glaube fast, ich sei ein Dichter Deutschlands."2 Thomas Mann führt uns vor Augen, was es damals hieß, ein Dichter zu sein. Die Romantik habe dem europäischen Begriff von Poesie ihren Stempel aufgedrückt. „Poesie - das war Romantik. Aber romantisch - das war deutsch." „Ein Deutscher sein, das hieß beinahe ein Dichter sein."3 Hier liegt vielleicht der Schlüssel zum Verstehen, weshalb ein Ausländer heimisch in der deutschen Sprache werden konnte. In dem Gedicht „Le Chäteau de Boncourt" hat Chamisso seine Biographie poetisch gedeutet. Das längst verschwundene Schloß seiner Väter in der Champagne und die Tage seiner Kindheit waren oft Ziel seiner Träume. Als Romantiker waren ihm Empfindungen von unerfüllbarer Sehnsucht nicht fremd. Doch er ergab sich nicht der melancholischen Resignation. Er raffte sich auf, das „Saitenspiel in der Hand", um als fahrender Sänger die Erde zu durchstreifen. Auf jenem Schlosse Boncourt wurde der Dichter am 27. Januar 17814 als fünfter Sohn des lothringischen Edelmannes Louis Comte de Chamisso geboren und auf die Namen Louis Charles Adelaide getauft.5 Neun Jahre später vertrieb die Französische Revolution den königstreuen Vasallen mit seiner Familie. Das Schloß Boncourt, die Stätte von Chamissos Kindheit, wurde zerstört und dem Erdboden gleichgemacht. Unter großen Entbehrungen irrte die Familie durch Länder und Städte - Lüttich, Haag, Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth waren die Stationen der Flucht - bis sie schließlich 1796 in Berlin Asyl fand. Berlin im letzten Regierungsjahr Friedrich Wilhelms II. war eine Stadt im Aufbruch. Neue Formen des gesellschaftlichen Lebens hatten alte Standesschranken überwunden. In Bürgerhäusern und Salons trafen sich Männer und Frauen, Katholiken, Protestanten und Juden, Künstler und Gelehrte, Kaufleute und Adlige zu Dichterlesungen, zu Diskussionen über 258 Kunst, Wissenschaft und Politik. Unverkennbar waren die Einflüsse der Französischen Revolution, die über den Terror hinaus mit dem Ideal der Humanität, den Gedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit weiterwirkte. Zahlreiche Veröffentlichungen, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften zeugten vom Interesse am politischen und gesellschaftlichen Geschehen und befriedigten ein gesteigertes Informationsbedürfnis. Auch in Kunst und Kultur hatte Berlin sich eine führende Stellung in Deutschland erobert. Der unsichere, doch musisch begabte König, der „Vielgeliebte", wie er mit einem ironischen Unterton genannt wurde, förderte Musik, Poesie und Theater. In Literatur und Wissenschaft begünstigte er die deutsche Sprache. Die Werke von Lessing, Goethe und Schiller wurden begierig gelesen und erlebten erfolgreiche Aufführungen. Die preußische Hauptstadt wurde aber nicht die Stadt der Klassiker. In Berlin fand die Romantik eine Heimstätte. Wieweit der König mit seinem Hang zum Mystischen, Übersinnlichen und Phantastischen die Anfänge dieser Entwicklung gefördert hat, soll dahingestellt bleiben. Festzuhalten gilt, daß noch zu seinen Lebzeiten die führenden Romantiker Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder und August Ferdinand Bernhardi in Berlin wirkten und viele bedeutende Männer in die Stadt zogen. Ausgehend von der Naturschwärmerei Rousseaus, wandten sich die Romantiker gegen Aufklärung und Klassizismus. Dem klassischen Ideal der Vollendung stellten sie das Unendliche gegenüber, der Harmonie das Chaos, dem Streben nach dem Erreichbaren die ewige Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Ziel war die Verschmelzung von Religion, Wissenschaft und Leben zur höheren Einheit in der Kunst. Der Künstler war in ihren Augen folgerichtig der Künder göttlicher Offenbarung. Als der fünfzehnjährige sensible Chamisso mit seinen Eltern 1796 nach Berlin kam, wird er die Erregungen in der Stadt gespürt haben, ohne sich über seine künstlerischen Empfindungen klar gewesen zu sein. Seine Entwicklung führte ihn zunächst in eine entgegengesetzte Richtung. Aus Not wollten die Eltern Adelbert - so nannte er sich seit dieser Zeit - ein Handwerk lernen lassen. Dem unermüdlichen Bemühen seines Bruders Prudens gelang es jedoch, ihm die Stellung eines Pagen bei Königin Friederike Louise zu verschaffen. Seine Brüder Charles und Hippolyt hatten bis zu ihrer Flucht in gleicher Stellung dem unglücklichen König von Frankreich gedient. Chamisso erhält zum erstenmal geregelten Unterricht und die Königin gibt ihm die Möglichkeit, an öffentlichen Lehrgängen des französischen Gymnasiums teilzunehmen. Erziehung und Unterricht sollen ihn für den Kriegsdienst vorbereiten. Durch die Überreichung einer militärwissenschaftlichen Abhandlung machte Chamisso 1798 den jungen König Friedrich Wilhelm III. auf sich aufmerksam, der seine Ernennung zum Fähnrich bei dem zur Besatzung Berlins gehörenden Regiment von Goetze fördert. 1801 erhält er das Leutnantspatent. Im gleichen Jahr gestattet Napoleon, Erster Konsul der Französischen Republik, den Emigranten die Heimkehr. Chamissos Eltern und Geschwister verlassen Deutschland. Er bleibt allein zurück. Die Eltern hatten ihn beschworen, die gesicherte Stellung nicht gegen eine ungewisse Zukunft einzutauschen. Chamisso fühlt sich verlassen, leidet im preußischen Heer unter seiner Herkunft und der Stupidität von Zucht und Ordnung, Paraden und Exerzieren. In dieser Krise findet er Trost in der Beschäftigung mit Philosophie und Literatur. In mühevoller Arbeit bemüht er sich um die deutsche Sprache. Er liest Klopstock, Goethe, Schiller und unternimmt erste literarische Versuche zunächst auf französisch, dann auf deutsch. Studien zu Faust bringen ihn in Verbindung zu dem ebenfalls dichtenden Karl August Varnhagen. Jetzt gelingt ihm, wonach er sich lange sehnte, er schließt Freundschaft mit Gleichgesinnten, mit dem achtzehnjährigen Varnhagen, mit dem Referendar Julius Eduard Hitzig, mit Louis de la Foye, Emigrant und Offizier wie er, mit dem Theologen Franz Theremin und dem Arzt Johann 259 Adelbert von Chamisso nach einer Zeichnung von E.T.A. Hoffmann aus dem Jahre 1805 (In: Franz Kugler, Liederhefte. H. 5, Stuttgart 1853) Ferdinand Koreff. Sie treffen sich bei Chamisso auf der Wache, wenn er sie am Brandenburger oder Potsdamer Tor hat, und durchwachen die Nächte in Diskussionen über Dichtung und Poesie. Sie verlieren sich in philosophischen Spekulationen und schmieden Lebenspläne. Schwärmerisch artikulieren sie das unstete Verlangen, die Sehnsucht nach der Ferne, das Unbegreifbare. Sie begeistern sich für August Wilhelm Schlegels Shakespeare-Übersetzungen und erhalten in dessen Berliner Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur das Rüstzeug für die eigenen romantischen Versuche. In welcher Stimmung sich Chamisso in dieser Zeit befindet, geht aus einem Brief an Hitzig hervor: „O wie würde jenes unstäte Verlangen, das aus den bedrängenden Schranken hinaus in die Weite mich ruft, vieles zu erfahren, zu erkennen, durch Schlachten mich zu schlagen, in That und Schall mich ins Äußere zu ergießen, o wie würde es sanft sich auflösen und das stilleste Leben in mich gekehrt mir genügen, würde mir ein dem Deinen ähnliches Glück zu Theil."6 Die Frucht der Verbrüderung ist der „Nordsternbund" und ist die Herausgabe des Musenalmanachs7, der - weil sich kein Geldgeber fand zunächst auf Kosten Chamissos herauskommt. Zwei folgende Nummern erscheinen dann bis 1806 in einem Leipziger Verlag. Freundschaftlich-kritisch begleitet das geistige Berlin diese Literaturzeitschrift. Chamisso knüpft neue Verbindungen, lernt E.T.A. Hoffmann kennen, der eine hübsche Zeichnung von ihm anfertigt, und Friedrich de la Motte-Fouque, der Beiträge für den Musenalmanach liefert. Auch Johann Gottlieb Fichte wird auf den jungen Dichter aufmerksam und stellt ihn unter seinen väterlichen Schutz. Der Nordsternbund hat nur eine kurze Dauer. Schon 1804 verlassen einige Mitglieder Berlin. Die Freundschaften aber, die Chamisso mit ihnen und Fouque schließt, halten ein Leben lang. Sie erleichtern sein Hereinwachsen in die deutsche Umwelt. Noch aber ist er sich darüber nicht im klaren. Noch fühlt er sich in Deutschland als Franzose und in Frankreich als Deutscher. Neben der nicht überwundenen Identitätsneurose treibt ihn die Abreise der Freunde in eine Existenzkrise. „Ich möchte mit Fäusten mich schlagen", schreibt er an de la Foye, „ein Kerl von 24 Jahren und nichts gethan, nichts erlebt, nichts genossen, nichts erlitten, nichts geworden, 260 nichts erworben, nichts, rein nichts, in dieser erbärmlichen, erbärmlichen Welt!"8 Chamisso stürzt sich auf Sprachstudien. Neben Griechisch und Lateinisch beschäftigt er sich mit modernen Sprachen, mit Englisch, Italienisch und Spanisch. Er weiß nun, daß seine Vorliebe für Literatur und Sprachen mit seiner Stellung als preußischer Offizier nicht vereinbar ist. Doch bevor er seinen Entschluß zum Verlassen des Heeresdienstes fassen kann, überrollen ihn die außenpolitischen Ereignisse. Gegen das zu mächtig gewordene Frankreich Napoleons beginnen England, Rußland und Österreich den Dritten Koalitionskrieg. Preußen bleibt zwar neutral, bereitet sich jedoch durch Truppenbewegungen auf den unvermeidlichen Zusammenprall vor. Im Oktober 1805 wird Chamissos Regiment nach Westdeutschland verlegt. Dort erlebt er im Herbst 1806 den Weserfeldzug und die ruhmlose Kapitulation der Festung Hameln. Der schnelle, unerwartete Zusammenbruch Preußens bewahrt Chamisso davor, gegen seine Landsleute kämpfen zu müssen. Kriegsgefangen erhält er einen Paß nach Frankreich. Dort leidet er unter der Siegesstimmung der Franzosen. Ohne Beruf, ohne Familie - seine Eltern waren inzwischen gestorben -, zwischen Deutsch- und Franzosentum hin- und hergerissen, reist er von Paris ratlos durch die Champagne. Im Herbst 1807 kehrt er nach Berlin zurück. Es folgen einsame, untätige Jahre. „Irr an mir selber", schreibt er später, „ohne Stand und Geschäft, gebeugt, geknickt verbrachte ich in Berlin eine düstere Zeit."9 Fernweh und die Sehnsucht nach Geborgenheit, die zwei sich bekämpfenden Triebkräfte der Seele, lähmen ihn. Doch er gibt sich nicht auf. Ein Ruf in das Land seiner Väter, nach Napoleonville10, als Professor am dortigen Lyzeum entreißt ihn dem unleidlichen Zustand. Im Januar 1810 tritt Chamisso die Reise an, um eine neue Enttäuschung zu erfahren. Die Stelle war inzwischen aufgehoben worden. Er bleibt in Paris, trifft dort August Wilhelm Schlegel, Alexander von Humboldt und Ludwig Uhland. Schlegel vermittelt die Bekanntschaft mit Madame de Stael", in deren Bann Chamisso gerät. Er bewundert diese geistreiche Frau, den Charme und die Kühnheit, mit der sie selbst dem Imperator die Stirn bietet. Aus Paris verbannt, unterhält sie auf den Loire-Schlössern Chaumont und Fosse einen literarischen Hofstaat und beendet die Arbeiten an ihrem Werk „De l'Allemagne". Im Sommer begibt sich Chamisso zu ihr. „Ich habe bei dieser großartig wunderbaren Frau unvergeßliche Tage gelebt", bekennt er rückblickend, „viele der bedeutendsten Männer der Zeit kennengelernt und einen Abschnitt der Geschichte Napoleons erlebt, seine Befeindung einer ihm nicht unterwürfigen Macht".12 Den Winter 1810/11 verbringt er auf Einladung Prosper von Barantes, des Präfekten der Vendee, in Napoleonville, sammelt Volkslieder und beschäftigt sich mit altfranzösischer Literatur, mit Rousseau und Shakespeare. Als Madame de Stael auch aus Frankreich vertrieben wird, folgt er ihr im Frühjahr in die Schweiz. Napoleon, der sich nun anschickt, mit seinen Armeen ganz Europa zu überfluten, haßt und fürchtet diese Frau, die ihn ungebrochen mit spitzer Feder bekämpft. Sie flieht vor seinen Armeen nach Moskau, Stockholm, London und weiß sich schließlich auf Seiten der Sieger. Zunächst aber hat sie einige Monate Ruhe, die sie auf ihrem herrlich gelegenen Schloß Coppet am Genfer See genießt, Chamisso mit ihr. Auf Anregung seines Freundes de la Foye beginnt er sich dort mit Botanik zu beschäftigen. Seit seiner Kindheit wird er „mächtig von der Natur angezogen, Blumen, Insekten, alles was da ist, blühet, sich reget... haben einen unsäglichen Reiz" für seine Seele.13 In langen Hochgebirgswanderungen am Montblanc-Massiv, in stiller Betrachtung und Bestimmung von Pflanzen scheint Chamisso seine Berufung zu sehen. Seine Bescheidenheit behindert noch immer ein Bekenntnis zum Dichterberuf. Mit dem festen Entschluß, Naturwissenschaften zu studieren, kehrt er im Herbst 1812 nach Berlin zurück. Als über Dreißigjähriger schreibt er sich für die Fächer Medizin und Botanik an der neugegründeten Universität ein. Mit der Aufnahme des 261 Studiums wendet er sich ab von den aristokratischen Traditionen seiner Familie, und mit der Hinwendung zur Natur folgt er Rousseauschen Gedankengängen. Diese Hinwendung zur Natur ist ein entscheidender Schritt zur Selbsfindung.14 Chamisso ist ein fleißiger Student. „Ich will alle Naturwissenschaften mehr oder weniger umfassen", schreibt er, „und in einigen Jahren als ein gemachter Mann und ein rechter Kerl vor mir stehen, der zu einer gelehrten Reise im Allgemeinen und zu einem bestimmten Zweig insbesondere in einer größeren Unternehmung der Art als tauglich sich darstellen könne.'" 5 Dieses Ziel behält er fortan fest im Auge. Wieder aber werden seine Pläne durch die Weltpolitik durchkreuzt. Im Frühjahr 1813 beginnen die Befreiungskriege. Eine nie dagewesene nationale Begeisterung erfaßt alle Schichten der Bevölkerung. Chamisso leidet, abseits stehen zu müssen, nicht teilhaben zu können an dieser Aufbruchstimmung gegen Frankreich. Tief getroffen, zieht er sich in die Einsamkeit, auf das Landgut Kunersdorf der befreundeten Familie von Itzenplitz zurück. Dort in ländlicher Abgeschiedenheit schreibt er im Sommer 1813 für die Kinder seines Freundes Hitzig den „Peter Schlemihl"16, die wundersame Geschichte eines Mannes, der seinen Schatten verkauft. Diese von Fouque herausgegebene Fabel geht um die Welt und macht Chamisso auf Anhieb bekannt. An dieser romantischen Erzählung ist viel heruminterpretiert worden. Ohne Zweifel enthält sie autobiographische Züge. Es ist die phantastische Geschichte eines Gezeichneten, der durch frühe Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen wird, ähnlich wie Chamisso, der die Qualen einer jugendlich problematischen Existenz erleidet, ohne Heimat, ohne Laufbahn, ohne Zukunft. Frei wird Schlemihl durch die Einstimmung in sein Schicksal, durch Selbstüberwindung und Tätigkeit. Für Chamisso war es die prophetische Deutung seines eigenen Schicksals. Im Winter nimmt er seine Studien in Berlin wieder auf. Durch intensive Beschäftigung mit der lateinischen Sprache bereitet er sich auf die Doktorprüfung vor. Doch nach Rückkehr Napoleons von der Insel Elba, nach erneuter Niederlage und Gefangennahme entbrennen noch einmal die nationalen Leidenschaften. Es zerreißt ihn, bei „solcher waffenfreudigen Volksbewegung müßiger Zuschauer"17 bleiben zu müssen. Er möchte sich verstecken. Aber in ganz Preußen gibt es nun keinen Ort mehr, wohin er sich zurückziehen könnte. Da kommt ihm ein Zufall zu Hilfe. Bei seinem Freund Hitzig liest er in der Zeitung von einer bevorstehenden vom russischen Reichskanzler Graf Romanzow ausgerüsteten Entdeckungs-Expedition in den Pazifik und das Polargebiet, um die Nordwestpassage zu erkunden. „Ich wollte, ich wäre mit diesen Russen am Nordpol!" ruft Chamisso unmutig aus.18 Der rührige Hitzig greift diesen Gedanken sofort auf und verschafft ihm über seine Verbindungen zu dem russischen Staatsrat August von Kotzebue19, dessen Sohn Otto das Kommando der Forschungsreise führt, die Teilnahme. Chamisso nimmt als Experte, als Naturwissenschaftler an der Expedition teil. „Nun war ich wirklich an der Schwelle der lichtreichsten Träume", schreibt er später, „die zu träumen ich kaum in meinen Kinderjahren mich erkühnt, die mir im Schlemihl vorgeschwebt, die als Hoffnung ins Auge zu fassen ich, zum Manne herangereift, mich nicht vermessen."20 Im Juli 1815 beginnt die Weltreise, die ihn auf der Brigg Rurik in drei Jahren von Kopenhagen über Plymouth, Teneriffa, Brasilien und Chile nach Kamtschatka und in die Beringstraße führt, ohne daß die Expedition die erhoffte Nordwestpassage entdeckt.21 Von Kamtschatka geht es über Kalifornien nach Hawaii22 und von dort über Manila um das Kap der Guten Hoffnung nach London und Petersburg zurück. Eine phantastische Chance für einen Romantiker, der am Fernweh leidet, dessen Hang zum Exotischen, zum Phantastischen den Geist beflügelt. Auf dieser romantischen Wanderfahrt erlebt Chamisso die reichsten, erfüllendsten Jahre seines Lebens, „eine Zeit des wahren Glücks", wie er selbst schreibt. Vor allem die Landschaft der Subtropen, die üppige Vegetation, der blaue Himmel, die lauen Nächte, die Anmut und 262 Schönheit der Menschen erregen ihn. In paradiesischer Fülle sammelt Chamisso Eindrücke, Erfahrungen, Bilder. Träume der Seele werden dort gestaltet. Literarisches Produkt der Wanderschaft ist die „Reise um die Welt".23 Aber wichtiger ist, Chamisso findet zu sich. Klar steht die Zukunft vor seinem Auge. In wilder Ferne erfährt er nun, wohin ihn sein Heimatgefühl zieht, nach Deutschland, nach Berlin, dorthin, wo er die Freunde der Jugend weiß. Der Zwiespalt doppelter Nationalität ist überwunden. Deutscher aus Neigung, angezogen von deutscher Sprache und deutschem Geist mit der ihm damals immanenten Verpflichtung zur Humanität, ein erstaunlicher Vorgang, besonders für die Rückschauenden, für die Zeitgenossen Hitlers und der Krematorien von Auschwitz. Als Chamisso im Oktober 1818 in Swinemünde wieder deutschen Boden betritt, begrüßt er das Land mit dem Vers „O Deutsche Heimat". In deutscher Erde will er ruhen, wenn „müd am Abend seine Augen sinken". Und dreizehn Jahre später, als Fünfzigjähriger, hat er in dem Gedicht „Berlin" der „lieben deutschen Heimat" Dank gesungen für alle Freundlichkeit, die sie dem „gebeugten Gast" gewährt. So wird ihm Deutschland zum „Land der Erlösung", wie er selbst einmal bekennt. In dem schwierigen Prozeß der Selbstfindung überwindet er die Schmach der Vertreibung, wandelt das Exil zur Heimat um und gewinnt dadurch die Möglichkeit zum Neuanfang. Mit der inneren Ruhe, die Chamisso auf langer Wanderschaft gewonnen hat, kommen Anerkennung, Erfolge und Glück. Für seine botanischen Forschungen ernennt ihn die Friedrich-Wilhelms-Universität 1819 zum Ehrendoktor und die Gesellschaft naturforschender Freunde zum Ehrenmitglied. Im gleichen Jahr wird er als wissenschaftlicher Assistent im Botanischen Garten angestellt. Gemeinsam mit seinem Studienkollegen Dietrich von Schlechtendahl verwaltet er die umfangreichen Herbarsammlungen.24 Er hat nun die materielle Basis, um sich eine Frau zu erwählen und eine Familie zu gründen. Chamisso war ein schöner Mann, hochgewachsen, mit edlen Gesichtszügen und lockigem Haar, das bis auf die Schultern fiel. Sanft und ritterlich im Auftreten hat seine Erscheinung stets auf Frauen gewirkt. Die Bewunderung war gegenseitig. An seine Brüder hatte er schon als Achtzehnjähriger geschrieben, daß er den deutschen Mädchen „sehr gut, recht sehr gut" sei und sie den „Schwerenothsfranzösinnen" vorziehe. „Deutsche Weiber, deutsche ehrliche Weiber, wie es deren noch giebt, schätze ich höher, als alle jene Zierpuppen."25 Dennoch verliebt er sich einige Jahre später in die temperamentvolle Französin Ceres Duvernay, Witwe und Erzieherin in einem Charlottenburger Bankiershaushalt. Seinen Antrag weist die junge Dame freundlich ab, geht nach Frankreich zurück, heiratet und verschwindet mit dem Gatten spurlos in Spanien. Leidenschaft und Enttäuschung stürzen Chamisso in ein Gefühlschaos, das er nur schwer überwindet. Ähnlich leidenschaftlich und enttäuschend war seine Begegnung mit der Schriftstellerin Helmina von Chezy26, die er 1810 in Paris kennenlernte und mit der er Schlegels Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur ins Französische übersetzt. Ganz anderer Art war die Beziehung zu der fünfzehn Jahre älteren Germaine de Stael. Er bewunderte diese Frau, und Eros, der Beflügler der Seele, wies ihm hier die Rolle eines Minnesängers zu. - Wenig bekannt ist Chamissos Affäre mit Marianne Hertz, der Frau eines Hamburger Apothekers.27 In schwerer Zeit, als das Leben vieler Menschen durch die nationalsozialistische Rassenideologie bedroht war, gelang der Nachweis, daß der Verlagsbuchhändler Wilhelm Hertz dieser Verbindung entstammte. - Seine Lebensgefährtin jedoch findet Chamisso nach seiner Rückkehr von der Weltreise im Hause Hitzig, in der Husarenstraße, wo er wie schon so oft als Gast wohnte. Es ist die Pflegetochter seines Freundes, die achtzehnjährige Antonie Piaste. Der Heimatlose gründet nun ein Heim. Er wohnt zunächst mit seiner jungen Frau in einem Häuschen am Botanischen Garten in Schöneberg. Nachdem es abbrennt, zieht 263 Grabstätte des Ehepaares v. Chamisso. Foto: Archiv des Vereins er nach Berlin in die Linden- und später in die Friedrichstraße. Das häusliche Glück, dem Paar werden sieben Kinder geboren, beflügelt ihn, und er entfaltet sein dichterisches Talent zur Meisterschaft. In bewegenden Versen, in dem Zyklus Frauen - Liebe und Leben, besingt er die Gattenliebe und findet in Robert Schumann den kongenialen Partner, der seine Worte vertont. In der von Hitzig gegründeten literarischen Mittwochgesellschaft trifft Chamisso das gelehrte und künstlerische Berlin: Fouque, Eichendorff, Hegel, Raupach, Holtei, Schadow, Zelter. In diesem Kreis liest er seine Gedichte vor und erntet großen Beifall. Der Erfolg spornt ihn an. Die Verse fließen ihm zu. Der Dichterruhm wächst. Die Tätigkeit im Botanischen Garten füllt ihn nicht aus, läßt ihm genügend Zeit für seine literarischen Arbeiten. Als Fünfzigjähriger endlich entschließt er sich zur Herausgabe seiner Lyrik. In „Traum und Erwachen", Chamisso weiß sich am Ziel. Er ist nun der deutsche Dichter, den die Besten der Nation in ihren Kreis aufnehmen, dem die Jüngeren zujubeln. Ab 1832 gibt er mit Gustav Schwab und ab 1837 mit Franz von Gaudy den Deutschen Musenalmanach heraus und nimmt damit Bestrebungen seiner Jugend wieder auf. Neben bekannten Schriftstellern gibt Chamisso, der unermüdliche Motor des Unternehmens, auch den Jüngeren eine Chance. Er erkennt die Bedeutung der Schriftsteller des „Jungen Deutschland" und wird zu ihren Wegbereitern. Durch seine Abneigung gegenüber Konventionen, durch seine Distanz zur Reaktion wird er ihnen Vorbild, durch seine zeit- und sozialkritischen Lieder Anreger der politischen Lyrik des Vormärz und des Realismus. Deutscher aus Neigung, von einer ganzen Nation verehrt, vergißt Chamisso nie seine Herkunft. In den Traditionen abendländischer Bildung wurzelnd, bleibt er der Wanderer zwischen den Welten, der Brücken der Verständigung von Frankreich nach Deutschland schlägt. Er übersetzt französische Literatur28, besonders Beranger29, ins Deutsche, Schlegel und seine eigenen Dichtungen ins Französische. Wenn spätere Generationen ihn zum vaterländischen Dichter hochstilisieren und sogar gegen Frankreich ins Feld führen, dann werden sie seinem Wirken nicht gerecht, das sich auf Toleranz und Humanität im Umgang der Menschen sowie Völker gründet. Chamisso war zutiefst von der Notwendigkeit des Wechsels der Zeitverhältnisse und der Gesellschaftsformen überzeugt. Eine Reihe von Äußerungen und zeitkritischen Gedichten zeugen davon. Seine Bedeutung läßt sich deshalb ebensowenig - wie es das wilhelminische 264 Deutschland gern wollte - auf Frauenidealisierung, Freundschaftshymnik und folkloristische Versdichtung einschränken. Chamisso bleiben nur noch wenige Jahre. Neben seiner Würdigung als Dichter erfährt er nun auch Anerkennung für seine Tätigkeit als Botaniker. Auf Vorschlag Alexander von Humboldts ernennt ihn 1835 die Preußische Akademie der Wissenschaften zum Mitglied. Der Vielbegabte, als letzte Arbeit hinterläßt er eine Hawaiische Grammatik, die sein Andenken auch unter den Linguisten wachhält. Im Mai 1837 erleidet Antonie Chamisso einen tödlichen Blutsturz, vierzehn Monate später, am 21. August 1838, folgt er der geliebten Frau nach. Er erliegt einer nie auskurierten Grippe, die er sich schon 1833 zugezogen hatte. Auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor findet er seine letzte Ruhestätte. Chamissos Name lebt nicht als der eines Botanikers oder Linguisten, sondern als der eines Dichters. Er ist der Meister der Prosa ebenso wie der lyrisch-epischen Versform, der Terzinen und Sonetten. Er beherrschte die Kunstform und traf den Volkston. Das Loblied auf die Waschfrau wird bleiben wie die Ballade Salas y Gomez, eine Sensation in der gebildeten Welt, die neben dem Schlemihl seine literarische Stellung festigte. „Mit welcher ökonomischen Weisheit", rühmt Thomas Mann, „sind die Mittel der Sprache gewählt und verwandt", die Furcht und Grauen, Freude und Mitleid erregen. Nie habe er es im Deutschen zu mündlicher Geläufigkeit gebracht. Bis zuletzt habe er seine Eingebungen laut auf französisch vor sich hingesprochen, bevor er daran gegangen sei, sie in Verse zu gießen - „und was zustande kam, war dennoch deutsche Meisterdichtung".30 Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Wetzel, Karlsbader Straße 2, 1000 Berlin 33 ' Thomas Mann, Chamisso. In: Adel des Geistes, Oldenburg 1959, S. 29 Chamisso an de la Foye, 10.6.1828. In: Adelbert von Chamissos Werke, hrsg. von Friedrich Palm, Berlin 1864 (5. Auflage), Bd. 6. S. 215 f. 3 WieAnm. 1.S.30 4 Das Genealogische Handbuch des Adels (Adelige Häuser B, Bd. 5 [1961] S. 43) nennt den 27.1. als Geburtsdatum. Das genaue Datum ist jedoch nicht bekannt. Nur der Tauftag (31.1.) wurde in den Pfarrakten festgehalten. Vgl. Chamissos Werke, Bd. 3, S. 63 s Die biographischen Daten wurden im wesentlichen der Darstellung von Julius Eduard Hitzig, des ersten Biographen Chamissos, entnommen. Seine Ausgabe von „Leben und Briefe von Adelbert von Chamisso" bilden Band 5 und 6 der Gesamtausgabe von Friedrich Palm (zit. Chamissos Werke). Herangezogen wurden ferner Mähly, Chamisso. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1876, Bd.4, S.97-102. - Karl Fulda, Chamisso und seine Zeit, Leipzig 1881. - Adalbert Elschenbroich, Chamisso. In: Deutsche Biographie, Berlin 1957, Bd. 3, S. 190-192. - Adelbert von Chamisso Gesammelte Werke, eingeleitet und hrsg. von Otto Flake, Gütersloh 1964. - Werner Feudel, Adelbert von Chamisso, Leipzig 1971. - Adelbert von Chamisso - Sämtliche Werke in zwei Bänden. Textredaktion von Jost Perfahl. Bibliographie und Anmerkungen von Volker Hoffmann, München 1975 6 Chamisso an Hitzig, 6.7.1804. Chamissos Werke, Bd. 5, S. 36 7 Vgl. Karl August Varnhagen von Ense. Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, Berlin 1922, Bd. 1, S. 127 ff. Über die Begegnungen mit Chamisso vgl. S. 111 f. u. 123 8 Chamisso an de la Fove, 20.9.1804. Chamissos Werke, Bd. 5, S.48 9 WieAnm. 8, Bd. 3, S. 5 10 Heute La Roche-sur-Yon, Hauptstadt des Departements Vendee " Germaine Baronin von Stael-Holstein 1766-1817 war die Tochter des französischen Finanzministers Jacques Necker, dessen Vater aus Brandenburg stammte. 12 Chamissos Werke, Bd. 3, S. 6 13 WieAnm. 12, Bd. 5, S. 59 14 Vgl. Chamisso an de la Foye, Nov. 1812, a.a.O., Bd. 5, S. 375 ff. 2 265 15 WieAnm. 14. Jiddischer Ausdruck für Pechvogel Chamissos Werke, Bd. 3, S. 6 18 WieAnm.l7,S.7 19 Seine Ermordung durch den Studenten Sand am 23. März 1819 war Anlaß für die Karlsbader Beschlüsse, die mit einem Universitäts- und Pressgesetz die Demagogenverfolgung einleiteten. 20 Chamissos Werke, Bd. 3, S. 8 21 Die Nordwestpassage wurde erst 1906 von Roald Amundsen entdeckt. 22 Über Chamissos Aufenthalt auf Hawaii vgl. Anneliese Moore, Beziehungen zwischen Hawaii und Berlin. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 31 (1980) 23 Der genaue Titel lautet: Reise um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den Jahren 1815-18 auf der Brigg Rurik, Kapitain Otto von Kotzebue 24 Vgl. Friedrich Karl Timler und Bernhard Zepernick, Der Botanische Garten, Berliner Forum 7/78, S. 29 f. - Günther Schmid, Chamisso als Naturforscher, Leipzig 1942 25 Chamissos Werke, Bd. 5, S. 18 26 Helmina von Chezy, geb. von Klenke, 1783-1856 war die Enkelin der Dichterin Anna Luise Karsch (der „Karschin") 27 Vgl. Hans W. Hertz, Wilhelm Ludwig Hertz ein Sohn des Dichters Adelbert von Chamisso. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 10, Frankfurt/Main 1969 28 Vgl. auch Elisabeth Ehrlich, Das französische Element in der Lyrik Chamissos, Berlin 1932 29 Pierre Jean de Beranger 1780-1857, Lyriker. Erfolgreichster und populärster französischer Liederdichter. Beranger bekämpfte die Bourbonen und war an der Bildung der Napoleonlegende beteiligt. 30 Thomas Mann, Chamisso. In: Adel des Geistes, Oldenburg 1959, S. 28 16 17 KXKJahre Jüdischer Friedhof Weißensee / v o n Ernst G. Lowenthal I. Es ist fast ein Jahrzehnt her, daß in Berlin des 300jährigen Bestehens einer neuzeitlichen jüdischen Gemeinde gedacht wurde, offiziell und feierlich, in Wort und Schrift und verbunden mit einer vielbeachteten Ausstellung „Leistung und Schicksal". 1671 waren Juden, wenn auch zunächst nur in kleiner Zahl, in Berlin erstmals wieder zugelassen worden; während der vorangegangenen 100 Jahre hatten sie sich nirgendwo in der Mark Brandenburg niederlassen dürfen. Lange bevor 1712 der Grundstein zur ersten öffentlichen Berliner Synagoge (in der Heidereutergasse) gelegt wurde, entstand 1672 als erste jüdische Kultuseinrichtung im Stadtzentrum ein Friedhof, der in der Großen Hamburger Straße lag (deren Name 270 Jahre danach wegen des dort von den Nazis eingerichteten „Sammellagers" so unselig werden sollte). Als dieser Friedhofgeschlossen wurde, jedoch, dem Religionsgesetz entsprechend, in seiner Gesamtheit lange erhalten blieb, wurde 1827 ein neuer an der Schönhauser Allee im Bezirk Prenzlauer Berg angelegt. Wie viele Gräber jener älteste gezählt haben mag, wer will es genau wissen? Bekannt ist nur, daß auf ihm zwischen 1751 und 1827 etwas mehr als 7000 Beerdigungen stattgefunden haben; hingegen existiert für die Frühzeit (1672-1751) keine Unterlage. An den einst in der Großen Hamburger Straße gelegenen, 1943 auf Geheiß der Gestapo zerstörten Friedhof erinnert nur noch eine Parkanlage; in ihre Mauer sind einige alte Grabsteine eingelassen, und auf der Rasenfläche steht ein schlichter Gedenkstein für den Philosophen Moses Mendelssohn, der 1786 dort zu Grabe getragen worden war. Nach der Schließung des „neuen" Friedhofs an der Schönhauser Allee stellte man rund 23000 Gräber und 750 Erbbegräbnisse fest; zu den 266 Die Rückseite des Ehrensteines für Herbert Baum letzteren gehört auch das der alten Berliner Familie Liebermann - dort konnten noch 1935 Professor Max Liebermann, der Maler, und 1943 seine Witwe, die sich vor der ihr drohenden Deportation das Leben nahm, ihre letzte Ruhestätte finden. Der dritte jüdische Friedhof in Berlin, der größte in Deutschland, wurde vor 100 Jahren eröffnet: am 9. September 1880, in Weißensee (jetzt Ost-Berlin), an der Lothringen-, der heutigen Herbert-Baum-Straße (so benannt nach dem 30jährigen Studenten, Führer einer jüdischen Widerstandsgruppe in Berlin, der, von der Gestapo verfolgt, 1942 ums Leben kam). Die Gedanken, nicht selten auch die Wege und Schritte zahlreicher Berliner Juden, mögen sie in Deutschland leben oder draußen in der Emigration, gehen in unserer Zeit, trotz politisch und administrativ noch so veränderter Umstände, immer wieder und sicherlich erst recht am 9. September zu dieser weitausgedehnten Gräberstätte zurück; bleibt sie doch eine zentrale Gedenkstelle, für viele die einzige Erinnerung an Angehörige und Freunde, oft auch nur das letzte Bindeglied zur Vergangenheit... Zur Einweihung des Friedhofs in Weißensee 1880 waren etwa 200 Personen erschienen. In der „Bethalle", einem, wie es hieß, trotz noch unvollständiger malerischer Ausschmückung stimmungsvollen Raum, fand der Weiheakt statt. Stadtverordneter Justizrat Siegmund Meyer, damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, eröffnete die Feier mit einer Ansprache, in der er in erster Linie allen am Friedhofsbau Beteiligten, insbesondere dem Architekten, Baumeister Licht, dankte. Gleichzeitig gab er der Hoffnung Ausdruck, daß in Zukunft die meisten Trauerfeiern, statt wie bisher im Trauerhaus, in der neuen Halle stattfinden würden, und schloß mit dem Wunsch, der Friedhof möge nicht nur als Stätte der Trauer angesehen werden, 267 Theodor WolfT, Journalist Dr. Max Hirsch, Nationalökonom und Sozialpolitiker sondern auch „unter der Gemeinde das Gefühl des Friedens verbreiten und die Hände aller über den künftigen Gräbern zur Eintracht vereinen". Rabbiner Dr. P. F. Frankl legte seiner Rede diese Sätze zugrunde: „Das Geschlecht ehrt sich selbst, das seine Toten ehrt", und: „Die geboren werden, ihrer harret der Tod, und welche sterben, derer harret das Leben". Mit einem deutschen Chorgesang und einem Gebet (Rabbiner Dr. Ungerleider) ging die Einweihungsfeier zu Ende. Unter den Anwesenden befanden sich die Vorstandsmitglieder der Gemeinde, zahlreiche ihrer Mitglieder, auch Vertreter von Stadt und Bürgerschaft sowie der Landrat Scharnweber des für Weißensee damals zuständigen Kreises Niederbarnim. Schon bis zum Ende des Gründungsjahres zählte man etwa 200 Beisetzungen. Die Beerdigungsziffern stiegen später von 800 (1881) auf mehr als 2200 (1925). Ob vom 50jährigen Bestehen des Friedhofs im Jahre 1930 öffentlich besonders Notiz genommen wurde, ist fraglich. Doch war 1926 davon die Rede, daß bis dahin der Friedhof ungefähr insgesamt 72 000 Gräber zählte - heute werden es weit über 100 000 sein. Man bedenke dabei, daß die jüdische Bevölkerung der ehemaligen Reichshauptstadt rapide zugenommen hatte, von 5600 im Jahre 1837 und 8300 (1847) auf rund 172000 im Jahre 1925. Angesichts solcher einzelner Erinnerungen ist man, nicht zum ersten Mal, geneigt, zu fragen, wie es zu erklären ist, daß die Entstehung, die Entwicklung und die Bedeutung dieses Friedhofs bisher keinen publizistischen Niederschlag gefunden haben. Diese beiläufige, noch dazu gewagte Bemerkung erfolgt hier nicht etwa mit Rücksicht auf Erbbegräbnisse oder in Ehrenreihen beigesetzte verdiente Berliner Juden, obwohl diese, zusammen betrachtet, Geschichte gemacht haben. Vielmehr sollte hier auch der Gedanke mitsprechen dürfen, daß Gräber wie 268 Dr. Heymann Steinthal, Philosoph Lesser Ury, Maler und Graphiker überhaupt Friedhöfe als kulturgeschichtliche Denkmäler eine nicht zu unterschätzende historische Quelle bilden können. Das gilt nicht nur für alte jüdische Friedhöfe wie die in Worms, Prag oder Wertheim am Main. Seit Ludwig Geiger (1871) und Eugen Wölbe (1937) fehlt für Berlin ein Werk, das die Kultur- und Sozialgeschichte der Juden dieser Stadt im Zusammenhang, zuverlässig und, wenn möglich, bis heute fortgesetzt festhält. Eine Bestandsaufnahme der Grabstätten in Weißensee könnte für die Erforschung und Darstellung der Geschichte dieses Zeitraums, in dem gerade der Zustrom von Juden aus den preußischen Ostprovinzen wie überhaupt aus dem östlichen Europa beträchtlich war, eine wertvolle und ergiebige Quelle sein. Vor etwa 50 Jahren, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, wurde ein gewisser, kleiner Anfang gemacht, als der Historiker Jacob Jacobson (1888-1968), unvergessen als Direktor des Berliner „Gesamtarchivs der deutschen Juden" (der später Theresienstadt überlebte), W. Wohlberedts „Verzeichnisse der Grabstätten bekannter und berühmter Persönlichkeiten in Groß-Berlin und Potsdam mit Umgebung" mit Angaben über Weißensee zu bereichern oder zu ergänzen sich bemühte. Ein Mann wie Dr. Jacobson, der, zudem ohne Auftrag, eine Mischung von Denkmalpfleger und Gemeindekonservator verkörperte, fehlt uns heute. Vielleicht aber kommt dieser aus dem aktuellen Weißensee-Gedenken entstandene Anstoß zum Nachdenken (noch) nicht zu spät. Es käme auf den Versuch an, zu sammeln, zu rekonstruieren und gemeinverständlich-wissenschaftlich zu beschreiben: ein unter den heutigen Gegebenheiten, wie wir glauben, sicherlich äußerst schwieriges Unterfangen, aber eines, das, wenn mit Teilaspekten bescheiden begonnen würde, nicht aus dem Auge verloren werden sollte. „Zeit ist's!", rief Franz Rosenzweig aus, als er 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, in einem Offenen Brief seinem Lehrer, dem Philosophen Professor Hermann Cohen (Marburg), Vorschläge für die Erneuerung jüdischen Bildungswesens unterbreitete. Und er hatte Erfolg damit. 269 Gustav Karpeles, Schriftsteller Karl Emil Franzos, Schriftsteller IL Unter den durchweg ausgezeichneten 50 Abbildungen von Grabsteinen, enthalten in dem soeben erschienenen, jüdischen Gottesäckern gewidmeten Heft 1 der Schriftenreihe „Historische Friedhöfe in der Deutschen Demokratischen Republik", befinden sich u. a. auch solche, die, wenn man sie alphabetisch ordnet, erinnern an: den 1942 von den Nazis ermordeten jüdischen Widerstandskämpfer Herbert Baum, den Rabbiner und Schriftsteller Simon Bernfeld, an Micha Bin-Gorion, den Herausgeber von Sammlungen jüdischer Märchen und Sagen, an den Parlamentarier Justizrat Oscar Cassel, an den Neukantianer Hermann Cohen, den Schriftsteller Karl Emil Franzos, den Oberkantor Leo Gollanin und den Sozialpolitiker Max Hirsch: ferner findet man da die Namen von Professor Salomon Kalischer (Mathematiker an der Technischen Hochschule Charlottenburg), der Sozialarbeiterin Lina Morgenstern, des Verlegers Rudolf Mosse, auch Martin Riesenburger, von 1953 bis 1965 der Rabbiner in Ost-Berlin, sowie den Bibliographen Moritz Steinschneider, den Sprachwissenschaftler und Völkerpsychologen Hugo Steinthal, den Maler und Graphiker Lesser Ury und Theodor Wolff, den langjährigen Chefredakteur des „Berliner Tageblatts". Sie alle und zahlreiche andere Persönlichkeiten, deren Lebensdaten in der neuen Gedenkschrift festgehalten sind, wurden in der oder den Ehrenreihen des Weißenseer jüdischen Friedhofs an der damaligen Lothringenstraße zur letzten Ruhe bestattet. Andere Fotos zeigen u. a. den vor der Trauerhalle errichteten Gedenkstein für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, das Ehrenfeld und das Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Sodaten, den Ehrenstein für die 1942/43 hingerichteten Mitglieder der Widerstandsgruppe Baum und die Grab- beziehungsweise Erinnerungsstätte für Kurt Tucholskys Eltern. Außerdem enthält das Heft Bilder des ursprünglichen Grabsteins für Moses Mendelssohn (1729-1786) auf dem 1827 geschlossenen, von den Nazis vernichteten Friedhof an der Großen Hamburger Straße und des nach Kriegsende nahe dieser Grabstelle errichteten Gedenksteins. 270 ULRIKE EMM8SSE Rl'DULFMOSSE MOSSE GEB.LOEWFYSTEIN GEB.WOLFF GEB. 23. DEZ, 1851 , GEB. 8. MAI »41 _L GEST. U. OKT. 1924 GEST.8.SDT.Ö30. * * * CB.3jUlffl.i8U ; «STJJJBIDAlim * Wolieanu /WOSS1 *,*.mTlMW |«Ui&jUWi Erbbegräbnisstätte Rudolf Mosse, Verleger An den Zweitältesten Berliner jüdischen Friedhof, den an der Schönhauser Allee, der gleichfalls heute nicht mehr existiert, erinnern Abbildungen des Giacomo-Meyerbeer-Grabsteins und des Erbbegräbnisses der Familie Max Liebermann. Andere Grabstellen auf diesem Friedhof (Reichenheim, Ludwig Geiger, Zunz, Major Meno Burg, Joseph Mendelssohn, Leopold Ullstein, Gerson von Bleichröder u. a. m.) sind in einer besonderen Planskizze vermerkt. Gedacht wird auch des von der „Adass-Jisroel"-(Austritts-)Gemeinde 1878 errichteten kleineren Friedhofs in Weißensee sowie des mittelalterlichen und des 1859 errichteten in Spandau. Auf den insgesamt 64 Seiten des zum 100jährigen Bestehen des großen jüdischen Friedhofs in Weißensee erschienenen pietätvollen Büchleins sind - und darin ist, neben und nach den vorzüglichen Bildern, dessen wesentlicher Erinnerungswert zu erblicken - die Namen von mindestens 200 jüdischen Menschen genannt, die für die einstige Reichshauptstadt etwas bedeuteten. Als Herausgeber zeichnet, in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde Berlin-Ost, das Institut für Denkmalpflege der DDR. Autoren sind Alfred Etzold, Heinz Knobloch und, gleichzeitig als Redakteur, Dr. Peter Kirchner, Vorsitzender der Gemeinde in Ost-Berlin. Das Nachwort stammt von Klaus Gysi, dem gegen Ende 1979 ernannten Staatssekretär für Kirchenfragen bei der Regierung der DDR. III. Heute ist die Situation so, daß der 100jährige, ehrwürdige Friedhof in Weißensee nur noch von der kleinen, annähernd 350 Seelen zählenden Jüdischen Gemeinde Berlin (Ost) benutzt, aber immer wieder von zahlreichen, meist emigrierten Angehörigen der früher dort Beigesetzten besucht wird. Deren Gräber werden nach Möglichkeit - individuell - gepflegt, aber das ausgedehnte Friedhofsgelände als solches befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Indes, auch so bleibt dieser Gottesacker, für Berlin und die Juden in und aus Berlin, eine historische Stätte, auch deshalb sollte alles für seine Erhaltung getan werden. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin (West) mit heute mehr als 6000 registrierten Mitgliedern besitzt seit 1955 in der Heerstraße am Scholzplatz ihren eigenen, neuen, gut gepflegten Friedhof mit rund 3500 Grabstellen. Anschrift des Verfassers: Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 37 271 Das Spandauer Stadtarchiv Von E d m u n d Schneider Über 700 Jahre hinweg blieben dem Spandauer Rats-(Stadt-)Archiv seine überaus reichen und wertvollen Bestände erhalten. Auch der letzte, so folgenschwere Krieg brachte nur unbedeutende Verluste, die teilweise durch ältere Abschriften kompensiert werden können. So ist das Spandauer Stadtarchiv heute eine reiche Kornkammer der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung, wohl die einzige vollgefüllte, die für uns und Westdeutsche derzeit ohne Schwierigkeiten erreichbar ist. Die erste Originalurkunde des Archives datiert vom 27. Dezember 1282. Es handelt sich um ein Notifikationsschreiben des Rats zu Spandau über den Ablaß, der von verschiedenen Bischöfen zur Förderung des Baues des Hospitals zum Hl. Geist bewilligt worden ist (Nr. 5 des Protokollbuches). Es liegt zwar noch die sogenannte Stadtgründungsurkunde vom 7. März 1232 im Archiv, jedoch handelt es sich hier nicht um das Original, sondern um eine deutsche Übersetzung des ursprünglich lateinischen Textes, der Adolf Friedrich Riedel für seine Edition der Spandauer Urkunden im Codex diplomaticus Brandenburgensis noch vorgelegen hat. Die auf Pergament geschriebene Übersetzung wird im 14. Jahrhundert angefertigt worden sein. Die Spandauer Urkundenbestände insgesamt sind in einem besonderen Findbuch erfaßt. Der Gesamt bestand des Archives besteht aus folgenden Abteilungen: 1. Die Urkundensammlung (Findbuch I) 2. Das alte Ratsarchiv (Findbuch II) Das alte Ratsarchiv enthält die Kämmereirechnungen ab 1463, Ratsprotokolle, Polizei-(Gerichts-)protokolle, Hospitalrechnungen, Kirchenrechnungen (St. Nikolai ab 1526, St. Moritz ab 1657), Kirchenvisitationen ab 1541 - Pastorenvokation ab 1566; Innungsprotokolle, Gildebriefe (Bäckergewerkbrief von 1324, Erneuerung der Bäckergilde) der Fleischhauer, Garnweber, Tuchmacher, Huf- und Waffenschmiede, Protokoll- und Innungsbücher (ab 1642), WröhArtikel der „Ackersleute zu Spandau" 1612, Grenz- und Besitznachweisungen der Stadt, das Urbarium von 1744, Garnison- und Festungsangelegenheiten, das Schönowsche Protokollbuch (1473-1694), Einwohner-Verzeichnisse ab 1652 und andere Akten. Auch dieses Archiv ist in die Generalrevision einbezogen, ein neues, erweitertes Findbuch wird erstellt. 3. Das alte Magistratsarchiv bis 1920. Die einzelnen Akten enthalten z.T. sehr alte Vorgänge, teilweise auch eingeheftete Urkunden oder Kopien von Urkunden, bis in das 16. Jahrhundert zurückreichend. Diese Bestände werden derzeit aufgenommen, mit den Reposituren verglichen und in ein Findbuch III eingetragen. 4. Das „Albert-Ludewig-Archiv" Es enthält eine reiche Akten-, Plan- und Bildsammlung über die Spandauer Altstadt (Häuser, Straßen, Einwohner aus der ältesten Zeit, Garnison und Festung, Kirchenliegenschaften, Liegenschaften der Stadt, Militaria, Militärpersonalien, Regimenter bis 1920, Zeitungen, Zitadellen in Europa, Zitadellenbaumeister, Korrespondenzen, Genealogien Spandauer Familien, Schützengilde Spandau, Aktensammlungen bis ca. 1970. Diese überaus wertvolle Sammlung wird derzeit aufgenommen und in das Findbuch IV übertragen. 5. Eine ca. 10 000 Stück umfassende Lichtbildsammlung (Postkarten, Ansichtskarten, sonstige Lichtbilder, Gemälde). 272 Auch diese Sammlung wird derzeit aufgenommen, registriert und in das Findbuch IV übertragen. 6. Eine umfangreiche Sammlung alter Landkarten, Stadt- und Festungspläne, Stadtkataster und Altstadtstraßenpläne. 7. Zum Archiv gehört ferner eine kleine, aber gute Handbücherei, die nicht nur alte Adreßbücher, Amtsblätter und Geschichtswerke enthält, sondern auch Rara, wie etwa die lateinische Originalausgabe des Nikolaus Leuthinger „Vom Zustand der Mark Brandenburg", Wittenberg 1592. Eine deutsche Übersetzung befindet sich als Handschrift im Archiv. Laut Kämmereirechnung erhielt Leuthinger für dieses Werk, das er dem Rat dedizierte, 6 Taler in den Jahren 1594 und 1603 sowie 4 Taler im Jahre 1612. Leuthinger war ein weitgereister Mann, Historiograph des Kurfürsten Johann Georg, Magister philosophiae und zeitweise auch Rektor der Schule zu Crossen an der Oder. Vor kurzem wurden die 1598 in Frankfurt a. d. Oder erschienenen „Annalen der Mark Brandenburg" des Andreas Engel (Angelus), Archivar zu Strausberg, ein ebenfalls sehr seltenes Werk, für das Archiv erworben. Das Archiv besitzt ferner seltene Edikte aus der Zeit Friedrich Wilhelms I., Zeitungen und Sammlungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und aus der Übergangszeit (Russische Kommandantur), eine Sammlung der Stadtsiegel ab 1282, verschiedener adliger und bürgerlicher Siegel, eine reiche Münzsammlung sowie eine umfangreiche Autographen- und Briefsammlung. Ein so reiches Archiv verdanken wir der Tatsache, daß die stets auf Wahrung ihrer Freiheiten und Rechte bedachte Stadt Spandau sich ihre Privilegien wiederholt bestätigen ließ. Diese Bestätigungsurkunden liegen über Jahrhunderte vor und bilden den Grundstock des Archivs. Die Stadtschreiber (Archivare) hatten die Aufgabe, diese Urkunden sorgfältig zu hüten und bei Rechtsstreitigkeiten oder anderen entsprechenden Gelegenheiten zu präsentieren. Das Urbarium von 1744 bietet eine Zusammenstellung der Rechte und Einkünfte der Stadt, die aus solchen Privilegien resultieren. Daher waren die Stadtschreiber stets auch Mitglieder des Rates und bezogen in der Regel höhere Gehälter als der Erste Bürgermeister. Über die Jahrhunderte hinweg haben wir für das Archiv daher auch sehr gewissenhaft geführte Repertorien, das erste erhaltene vom Jahre 1652. Diese Unterlagen ermöglichen es, in der anstehenden Generalrevision aller Bestände etwa Fehlendes sachlich und zeitlich genau zu bestimmen. Auch kann man ab 1463 die jeweils tätigen Stadtschreiber namentlich - und meist auch mit weiteren Angaben zu ihrer Herkunft und zu ihrem Leben - nachweisen. Aus den Unterlagen ließe sich u. a. eine detaillierte Geschichte der Spandauer Stadtschreiber erarbeiten. Das Stadtarchiv Spandau ist seit Oktober 1979 der Öffentlichkeit zugängig. Seine geschichtlich so bedeutenden Bestände stehen damit auch der wissenschaftlichen Forschung zur Auswertung frei. Wertvolle und grundlegende Arbeiten zur Stadt- und Festungsforschung, zur Wirtschaftsgeschichte, zur industriellen, kulturellen und sozialen Entwicklung der Stadt stehen an, auch zur Vor- und Frühgeschichte und selbst Spezialaufgaben wie Untersuchungen zur Ökologie der Spandauer Forsten. Für den geschichtswissenschaftlichen Teil ist zu bemerken, daß unter besonderer Förderung seitens des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin sich Studenten und Doktoranden mit Fragen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte unter Heranziehung der Archivalien des Spandauer Stadtarchives eingehend beschäftigen. Aber auch Heimatforscher, Familiengeschichtsforscher und viele „Alt-Spandauer" nehmen die Möglichkeit des Quellenstudiums in dem sehr zweckmäßig und schön eingerichteten Forschungs- und Leseraum des Archives gern in Anspruch. Im ersten Jahr nach der Neueröffnung haben bereits 400 273 Interessenten das Stadtarchiv Spandau besucht. Ein Archiv ist voller Leben, „was heute geschieht, ist morgen Geschichte." So wie den „alten" Archivaren von einst für ihre sehr oft aufopfernde Arbeit des Sammeins, Bewahrens u n d Erhaltens heute großer D a n k gebührt, so wird es die Aufgabe der Nachfolger sein, nicht n u r weiterhin das ü b e r n o m m e n e , verpflichtende Erbe zu hegen u n d zu bewahren, sondern auch zu vermehren. N a c h Abschluß der Generalrevision u n d Veröffentlichung der neuen Findbücher wird daran gegangen, die Verkartung der Personen- u n d Sachdaten mit Hilfe neuer Techniken durchzuführen, also eine weitgehende Aufschlüsselung zu erreichen, die Ablichtung der alten Bestände (auf Mikrofilm) durchzuführen, zur Linderung im Katastrophenfall wie aber auch zur Schonung der Kostbarkeiten bei der Benutzung (Bereitstellung der Materialien z. B. in Ablichtungsbänden; eine Arbeit, die bereits im abgelaufenen Arbeitsjahr durchgeführt u n d nun beharrlich weitergeführt wird). Dies gilt auch für den Austauschverkehr mit anderen Archiven. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit sowie die weitgehende Unterstützung öffentlicher Aufklärungsarbeit ( z . B . Materialbereitstellung für die 1981 in Berlin durchzuführende „Preußen-Ausstellung") wird d e m Spandauer Stadtarchiv auch künftig ein ganz besonderes Anliegen sein. Anschrift des Verfassers: Edmund Schneider, Stadtarchiv Spandau, Zitadelle, 1000 Berlin 20 Nachrichten ^ouise Northmann - genannt die „Harfenjule" Wenn wir über Ereignisse und Personen aus der Geschichte Berlins berichten und uns an bekannte Berliner oder Berlinerinnen erinnern - die letzteren leider immer noch weit in der Minderzahl -, dann darf die Erinnerung nicht nur begüterten und deshalb meist gebildeten Personen gelten, sondern sie sollte auch die sogenannten einfachen Menschen einschließen, die oft sehr schwer mit ihrem Schicksal ringen mußten. Am 12. Januar 1981 jährt sich zum 70. Mal der Todestag von Louise Northmann, geb. Schulze, genannt „Harfenjule", einem noch heute nicht ganz vergessenen Berliner Original. Am 6. September 1829 wurde in Potsdam ein blindes Mädchen geboren. Es war Louise Schulze, welche später als „Harfenjule" bekannt wurde. Victor Laverrenz widmete ihr in seinem Buch „Berliner Originale" ein Kapitel (Berlin: Verlag Hermann Eichblatt, 1899). Seine Schilderung liegt diesen Zeilen zugrunde. Die Verhältnisse im Elternhaus von Louise waren die denkbar ärmlichsten. Der Vater des Mädchens war Brettschneider, die Mutter verdiente etwas Geld durch Waschen. Im Alter von 11 Jahren wurde Louise an den Augen operiert. Nach dieser Operation konnte sie auf einem Auge einen leichten Nebelschimmer sehen. Bereits als Kind besaß Louise eine schöne Stimme. Ein Bewohner der russischen Kolonie in Potsdam, dem sie leid tat, gab ihr Gesangunterricht und erweiterte ihr Programm auch durch Opernarien; Opernsängerin konnte sie jedoch wegen ihrer Blindheit nicht werden. Nach ihrer Einsegnung mit 14 Jahren am 24. März 1844 mußte sie sich selbst ernähren. Sie tat dies mit Singen. Von 1862 bis 1864 ernährte sie damit auch ihre kranken Eltern. 1865 heiratete Louise den an Tuberkulose leidenden Marionettenspieler Northmann in Küstrin. Das Ehepaar zog von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Northmann spielte Marionettentheater und Louise sang. Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren, beide starben jung an Tuberkulose. Northmann selbst starb an dieser Krankheit am 26. Januar 1871. Nach dem Tode ihres Mannes zog Louise Northmann nach Berlin, wo sie mit einer Schwägerin, Louise Freund, geb. Leist, in einer sehr bescheidenen Wohnung in Schöneberg in der Steinmetzstraße, im Hochparterre des Seitenflügels, wohnte. 274 Harfenjule. Foto: Archiv des Vereins. Grabstein gespendet vom Steinsetzmeister Franz Merk. Foto: Archiv des Vereins. Erst hier in Berlin entstand der Name „Harfenjule", unter dem sie bekannt wurde. Mit Singen, und Harfesp.elen ernährte sie sich und ihre Schwägerin. S.e „schlich" durch d.e Straßen steh von Haus zu Haus tastend Laverrenz hat, als er sein Buch über die Berliner Originale zusammenstellte, * ^ W » f f £ und man darf annehmen, daß die genauen Datenangaben in seinem Bericht von ihr selbst stammen- Sie beklagte sich bei Laverrenz über die große Konkurrenz der Leierkästen die oft ihren Gesang u b e r m L Die „Harfenjule" besaß eines der ältesten Patente als „Hofmus.kant" und fand einen Trost dann, daß die Polizei nicht so leicht eine Spielerlaubnis erteilte. . Die blinde Sängerin war oft den Belästigungen durch Jugendliche ausgesetzt, die ihr s o g a J e Harfe zerschlugen und sie dadurch in bitterste Not brachten. Laverrenz bezeichnete s.e als d a s " b e m " ' e l d ^ e [ ; teste Original Berlins" und bittet die Mitbürger, ihren Lebensabend em w e n i g . z u * % * * » * * * * " hohem Alter mußte die Harfenjule - von großer Not verfolgt - bei Wind und Wetter Singen gehen Nach ihrem Tode am 12. Januar 1911 erhielt Louise Northmann ein Armengrab auf dem ^ h o f der Luthergemeinde Schöneberg, der sich in Lankwitz. Malteserstraße 113 ^ e ^ S ? ™ * ^ " ™ " Stein. Es wurde jahrzehntelang über die übliche Liegefnst erhalten und W ^ V o r d e r E ^ e b w n g des Grabes im Jahre 1969 spendete der Steinsetzermeister Frank Merk der im Jahre 19 1 Verctorbenen einen Gedenkstein, der im Mittelweg des Friedhofes, nicht an der Liegestätte, aufgestellt wurde^ Die harte Lebensgeschiente jener armen, blinden Frau sollten ™™h\veWsse\ff°ZH7L" überhaupt vorsteHen, was es bedeutet, den gesamten Lebensunterhalt mit Singen auf AnlHofen zu bestreiten? Im vergangenen Jahrhundert konnte eine Frau keinen Beruf erlernen. Die wenigen^beruflichen Tätigkeiten, die einer Frau damals offenstanden, waren von Louise Northmann weger » J « B g J J e r t nichlauszuüben. Wenn eine Frau unter diesen widrigsten Umständen von ihrem 14. Lebens*ihr an fürsich und andere den Lebensunterhalt durch Singen auf den Höfen verd.ente sc kann " ™ ™ n ^ ™ * £ Heldin bezeichnen. Das müssen auch der Autor Victor Laverrenz und der ^ ^ ^ " l ^ ^ empfunden haben, als er, 58 Jahre nach dem Tode der Sängerin, einen Grabstein für s.e a n f W 275 Rekonstruktion des Alten Marktes in Potsdam Die Häuser am Alten Markt in Potsdam sollen rekonstruiert werden. Damit soll die Magistrale in Potsdam (vom Wasserwerk, der „Moschee", bis zum Alten Markt) mit ihrem geplanten Neubaukomplex an „die Geschichte angebunden werden". Wiederhergestellt bzw. rekonstruiert werden sollen am Alten Markt die Nikolai-Kirche (Termin der Fertigstellung soll der 200. Geburtstag Schinkels am 13. März 1981 sein), der Marstall (künftig ein Filmmuseum), das Hiller-Brandtsche Haus und die Fassaden der von Knobelsdorff errichteten Bauten Schloßstraße 13 und 14 (künftig Klub der Bauarbeiterjugend). Nach Fertigstellung dieses Bereichs soll der unweit davon entfernte Kietz mit meist schlichten zweigeschossigen Barockhäusern, ursprünglich ein Fischerdorf aus dem 13. Jahrhundert, das erst 1721 eingemeindet und 1777 neu bebaut wurde, zu einer städtebaulichen Ruhezone umgestaltet werden. SchB. Restaurierung des Alten M u s e u m s auf der Museumsinsel Bis zum 200. Geburtstag Karl Friedrich Schinkels am 13. März 1981 soll das nach seinen Plänen von 1824 bis 1830 am Lustgarten errichtete Alte Museum wieder sein ursprüngliches Aussehen erhalten. Vor allem soll die Säulenfassade umfassend restauriert werden. Die Rückwände der imposanten Säulenvorhalle haben im Herbst 1980 einen neuen marmorierten Anstrich erhalten. Die Malereien an der Decke wurden ausgebessert, die Inschrift über den Säulen ergänzt und restauriert. Die beim Wiederaufbau nach den Kriegszerstörungen in den 18 ionischen Säulen eingefügten Vierungen sollen den Schwärzungen des umgebenden alten Sandsteins so angepaßt werden, daß die Säulen wieder ein einheitliches Bild geben. Nach Abschluß der Restaurierung dieses zu den schönsten klassizistischen Bauwerken Berlins zählenden Museums sollen auch die nach den Plänen Schinkels in der Vorhalle aufgestellten Standbilder (Winckelmann, Knobelsdorff, Schinkel, Cornelius und Carstens) sowie zwei römische Granitwannen dort wieder ihren Platz finden. SchB. Restaurierung des Köpenicker Schlosses Seit längerem schon werden die Innenräume des Köpenicker Schlosses restauriert. Gegenwärtig gehen die Arbeiten am Konzertsaal und am Italienischen Saal weiter. Hier werden vor allem die barocken Stuckdecken wiederhergestellt, Die Arbeiten führt der VEB Denkmalpflege Berlin aus, der dabei gleichzeitig auch seine Lehrlinge ausbildet. SchB. „Schinkel in Berlin" Anläßlich des 200. Geburtstages veranstaltet das (Ost-)Berliner Reisebüro vom Februar 1981 an neben neun weiteren Routen eine einstündige Stadtrundfahrt „Schinkel in Berlin". Diese kann mittwochs und sonntags gebucht werden. Zu den gegenwärtig tätigen 130 Stadtbilderklärern des Reisebüros der DDR kommen bis dahin weitere 25 Nachwuchskräfte, die gegenwärtig ausgebildet werden. SchB. Schinkel Wettbewerb 1980 Der Architekten- und Ingenieurverein Berlin hat junge Architekten, Stadtplaner, Künstler und Ingenieure des Straßen-, Wasser- und des konstruktiven Ingenieurbaus sowie Studierende zum 126. Schinkelwettbewerb mit Aufgaben aus dem Themenkreis der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984 aufgerufen. Die Aufgaben lauten: Hochbau: Neuordnung zweier Blöcke für innerstädtisches Wohnen zwischen dem Charlottenburger Schloß und der Spree. Kernstück der Entwurfsaufgabe ist ein Architektur-Archiv, das Karl Friedrich Schinkel gewidmet werden soll. Städtebau: Der Bereich zwischen Schloß Charlottenburg und Schloß Bellevue als Uferkonzeption wird zur Aufgabe gestellt: „Die Spree im innerstädtischen Bereich" soll unter Einbeziehung neuer Ordnungsfaktoren für Betriebe, Hochschuleinrichtungen und Erholungsanlagen verknüpft werden. Kunst und Bauen: „Neugestaltung des John-F.-Kennedy-Platzes vor dem Rathaus Schöneberg". Außer dem Platz selbst sollen die Fassaden der Platzwände gestaltet werden. SchB. 276 Von unseren Mitgliedern Studienfahrt nach Minden Die diesjährige Exkursion führte vom 26. bis 28. September 1980 in die Stadt Minden und in das Gebiet des heutigen Kreises Minden-Lübbecke, der sich fast mit dem früheren preußischen Fürstentum Minden deckt. Die große Zahl der Interessierten machte es wieder erforderlich, einen Doppeldecker-Omnibus zu benutzen. Nach glatter Fahrt war das gute Mittagessen im Restaurant „Die Große Klus" in BückeburgRöcke ein verheißungsvoller Auftakt. Verkehrsamtsleiter H.-E. Wulf und Kreisheimatpfleger W. Brepohl hießen hier schon die Gäste herzlich willkommen. Die Besichtigung der Noll Maschinenfabrik GmbH (weltweit anerkannter Spezialist für Getränkeabfüllanlagen), vielleicht als Programmpunkt etwas skeptisch aufgenommen, erwies sich als ein ausgesprochener Knüller, nicht zuletzt dank der berlinisch-herzlichen Art, mit der sich Betriebsleiter Ulrich seiner Aufgabe entledigte. Im Namen der Geschäftsführung sprach er bei der anschließenden Kaffeetafel in Kruses Parkhotel auch Gruß worte, denen sich H. Kobo w, der Vorsitzende des Kreisverbandes Minden des Bundes der Berliner und Freunde Berlins e. V., anschloß. Dompropst Garg war dann ein glänzender Führer durch den wieder erstandenen Dom, den er historisch und kunstgeschichtlich in das rechte Licht zu setzen wußte. Daß im neu erbauten „Haus des Domes" der Domschatz von den Berliner Gästen als erster Gruppe überhaupt besichtigt werden konnte, verlieh dieser eindrucksvollen Führung noch einen besonderen Schlußakzent. Am Sonnabend, 27. September 1980, widmete sich der Vorsitzende des Mindener Geschichtsvereins, Kreisheimatpfleger Rektor i. R. W. Brepohl, seinen Gästen auf einer landeskundlichen Exkursion mit einer solchen Hingabe und mit derart beispielhafter Liebe zur Sache, daß ihm die Herzen der Teilnehmer zuflogen. Da sich auch das Wetter von seiner besten Seite zeigte, war dieser Ausflug über die von W. Brepohl festgelegte Mühlenstraße zu den Baudenkmalen des Kreises ein Höhepunkt der Fahrt und ein Erlebnis, das man nicht missen möchte. Es ist hier nicht genügend Raum, auf die einzelnen Stationen näher einzugehen: auf die Roßmühle Oberbauerschaft, das Landschloß Hüffe, auf Levern mit seiner Stiftskirche, das Museumsdorf bei Rahden, die Windmühle Süderhemmem, den Glasbrennturm Gernheim und auf das Scheunenviertel in Schlüsselburg. Die exzellente Aufnahme im Berggasthof Wilhelmshöhe Haldem bei Stemwede und der Pflaumenkuchen im Schloß Petershagen verdienen aber doch eine lobende Hervorhebung. Eine Kommune kann sich glücklich schätzen, wenn sie für die Pflege des Heimatgedankens und für die Bewahrung überkommener Gebäude einen solchen Sachverwalter besitzt wie Wilhelm Brepohl! Der Sonntagvormittag brachte eine Schiffsfahrt mit MS „Menelaos" über die Schachtschleuse zum Wasserstraßenkreuz und zur Porta Westfalica, wo vom Wittekindsberg aus das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im großen Ausflugsgetriebe dieses herrlichen Sonnentages bestiegen wurde. Städtischer Archivdirektor Dr. Nordsiek machte dann mit seinen Gästen einen Geschwindmarsch durch die Stadt und führte sie an die wesentlichen Gebäude heran, die zum Teil in jüngerer Zeit renoviert worden waren. Im Ratskeller des historischen Rathauses wurden dann Grußworte und Geschenke (auch des Mindener Patenbezirks Wilmersdorf) zwischen W. Brepohl, Dr. Nordsiek und Dr. H. G. Schultze-Berndt ausgetauscht. Die Heimreise wurde im Quellenhof, Bad Helmstedt, unterbrochen; nach der so aufmerksamen Gastronomie in und um Minden fiel es besonders peinlich auf, daß trotz schriftlicher Bestätigung die Kaffeetafel nicht gerichtet worden war. Dies war der einzige Schatten auf dieser Studienfahrt, die sich im übrigen den so harmonisch wie erfolgreich verlaufenen Exkursionen vergangener Jahre würdig anschloß. Mölln und Ratzeburg wurden als Ziel der Studienfahrt 1981 ins Auge gefaßt. H. G. Schultze-Bemdt Dr. Hans Brendicke zum Gedenken Am 19. November 1980 jährte sich zum 130. Mal der Geburtstag von Dr. Hans Brendicke, dem langjährigen Schriftwart und Herausgeber der „Mitteilungen" des Vereins für die Geschichte Berlins. Für seine Verdienste wurden ihm die bronzene Vereins- und die silberne Fidicinmedaille verliehen. Dr. Brendicke war Ehrenmitglied der Deutschen Turnerschaft und seit 1920 auch Ehrenmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins. 1970 wurde seine letzte Ruhestätte durch Senatsbeschluß als Ehrengrab der Stadt Berlin anerkannt. Bis zu ihrer Eliminierung im Zuge einer großangelegten Sanierung im Ostberliner Bezirk Friedrichshain trug die ehemalige Fliederstraße den Namen Brendickestraße. 277 Dr. Hans Brendicke, Grabstelle auf dem Luisenstädtischen Friedhof Meine Erstbegegnung mit dem verdienstvollen Berlinforscher alten Schlages vollzog sich im Herbst 1918 in seiner Wohnung in der Gleditschstraße 41 gelegentlich der Verlobung seines Sohnes Günther, meines Gymnasiallehrers, mit Fräulein Edith Schlawin. Für Dr. Brendickes anfeuernde Aufmunterung, das Festmahl bestehend aus Eichelkaffee und Kartoffelkuchen nur mutig „anzugehen", konnte ich weit weniger Enthusiasmus aufbringen als für die Unmenge von Büchern, die auf den Regalen in dem großen Berliner Zimmer bis unter die Decke aufgereiht waren. Als Dr. Brendicke mir erklärte, daß der größte Teil dieser Bücher Berlin-Literatur beinhalte, verwandelte sich meine Bewunderung in Faszination. Zum ersten Mal hörte ich von einem „Verein für die Geschichte Berlins", dessen Sitz und Bibliothek sich im Deutschen Dom befinden sollten. Die Aufforderung Brendickes, mich demnächst dorthin einmal mitzunehmen, ließen diese Begegnung für mich, den damals dreizehnjährigen Berlinenthusiasten zum glücklichsten Tag meines bisherigen Daseins werden. Unvergeßlich bis heute hin sind mir der Urberliner Humor und die überaus große Freundlichkeit geblieben, mit der der Forscher mich stets beschenkt hatte. Das gute Gedenken an ihn war und ist die Basis meiner lebenslangen Verbundenheit mit dem Verein für die Geschichte Berlins, für den ich nach einem Menschenalter noch heute allwöchentlich im Bibliotheksdienst ehrenamtlich tätig bin. Hans Schiller Karl Bullemer 95 Jahre Karl Bullemer, Ehrenmitglied, langjähriges Vorstandsmitglied und in seinem Wirken unvergessener Schriftführer unseres Vereins, vollendete am 2. Januar 1981 sein 95. Lebensjahr. Seit 1959 schon aus dem aktiven Dienst ausgeschieden, hat er sich seitdem in einer Reihe von Ehrenämtern überaus verdient gemacht und vor allem auch eine fleißige Feder geführt. 50 Jahre zuvor, 1909, war Karl Bullemer aus Westfalen nach Berlin gekommen, wo er in den Verbänden des Berliner Braugewerbes und der Exportbrauereien tätig war. Politisch hat ihn der Liberalismus geprägt, für den ihn schon in jungen Jahren Friedrich Naumann zu begeistern wußte. Als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, später der Deutschen Staatspartei und nach dem Zweiten Weltkrieg der LDP/FDP hat er dieses Gedankengut zu verbreiten und zu vertreten vermocht. Ob man Karl Bullemer nur als einen Nestor unseres Vereins ansehen oder nun gar schon als einen Methusalem bezeichnen kann, möge er selbst entscheiden. In die Zeit seines rührigen Wirkens für den 278 Verein fiel dessen 100-Jahr-Feier. Es ist nicht vermessen, Karl Bullemer an seinem Altersruhesitz in 8230 Bad Reichenhall, Wisbacher Straße 4, zu wünschen, daß auch er in einem Jahrfünft Mittelpunkt einer privaten Säkularfeier sein möge. Daß er bis dahin rüstig bleibe, an allem Geschehen auch über den Kreis unseres Vereins hinaus regen Anteil nehme und seine Stimme wenigstens durch den Fernsprecher vernehmen lasse, ist unser aller Hoffnung! H. G. Schultze-Bemdt * Unser Ehrenmitglied Willy Brandt, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ist am 25. Oktober 1980 im Rathaus von Athen mit der Goldenen Ehrenmedaille der Stadt ausgezeichnet worden. Damit sollen seine Verdienste um den Kampf der griechischen Demokraten gegen die siebenjährige Militärdiktatur (1967 bis 1974) gewürdigt werden. SchB. * Am 28. Oktober 1980 hat die Juristische Fakultät der Universität Southampton Willy Brandt die Ehrendoktorwürde verliehen. SchB. * Bundespräsident Karl Carstens hat unserem Mitglied Richard von Weizsäcker am 24. November 1980 in Anerkennung seiner parlamentarischen Verdienste das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen. Damit wurden die Arbeit R. von Weizsäckers, des jetzigen Vizepräsidenten des Bundestages, seit drei Legislaturperioden und insbesondere auch sein Eintreten in und für Berlin gewürdigt. SchB. * Unser Mitglied Pastor Heinrich Albertz, der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, ist mit dem Gustav-Heinemann-Bürger-Preis ausgezeichnet worden. Damit sollte das Engagement des Preisträgers für Frieden und Demokratie gewürdigt werden. Albertz hat es stets für nötig und für möglich gehalten, „das Ungewohnte zu tun, wo der innere Kompaß dies anzeigte". Der mit 20000 DM dotierte und vom Vorstand der SPD gestiftete Bürger-Preis ist damit zum dritten Mal nach Berlin vergeben worden. SchB. * Unser Mitglied Paul Weihe, Landhausstraße 10-12, 1000 Berlin 31, hat dem Verein handgeschnitzte Wappen der Stadt Berlin und ihrer zwölf westlichen Bezirke als Geschenk vermacht. Wir danken dem Spender herzlich für diese sinnfällige Gabe! Der ursprüngliche Gedanke, mit diesen Wappen den Vorraum des Intarsienzimmers zu schmücken, mußte fallengelassen werden, da dort des allgemeinen Publikumsverkehrs wegen auch schon andere Gegenstände abhanden gekommen sind. So werden die Wappen der westlichen Hälfte Berlins das Intarsienzimmer selbst zieren. SchB. * Frau Professor Dr. Margarete Kühn ist ihrer Verdienste um den Wiederaufbau der Berliner Schlösser nach dem Zweiten Weltkrieg wegen mit dem Karl-Friedrich-Schinkel-Ring ausgezeichnet worden. Neben ihr erhielt Sir Nicolaus Pevsner diesen wertvollen Denkmalschutzpreis, der 1978 gestiftet worden ist. Wir freuen uns über die so verdiente wie würdige Auszeichnung unseres langjährigen Vorstandsmitglieds! SchB. * Unserem Mitglied Professor Dr. Johannes Broermann, Klingsorstraße 48, 1000 Berlin 41, Inhaber des Verlages Duncker und Humblot, ist im Rahmen eines Festaktes in Aachen der Ehrenring der GörresGesellschaft verliehen worden. Damit sollen seine Verdienste um die Förderung der Wissenschaft ausgezeichnet werden. SchB. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Frau Ursula Ebert, Herrn Dr. Kurt Kärnbach, Frau Ingrid Schultze; zum 75. Geburtstag Frau Dr. Dr. Edith Heinschke-Artelt, Herrn Dr. Wolfgang Knochenhauer, Herrn Emst Jürgen Otto, Frau Käthe Sandeck, Herrn Fritz Votava, Herrn Hans Hötje; zum 80. Geburtstag Frau Hertha Eichhardt, Frau Charlotte Hardow, Herrn Friedrich Hillenherms, Herrn Eugen Honette, Herrn Kurt Meurer, Herrn Reinhold Napiralla; zum 85. Geburtstag Frau Johanna Giesemann, Herrn Dr. Hans Wendorff; zum 90. Geburtstag Frau Else Schoen. 279 Buchbesprechungen /Gustav Sichelschmidt: Berliner Kirchen in alten Ansichten. Zaltbommel/Niederlande: Europäische Bibliothek 1979. Unpaginiert. 92 Abb. Ln., 24,80 DM. Günther Kühne u. Elisabeth Stephani: Evangelische Kirchen in Berlin. Mit einer Einführung von Oskar Söhngen. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1978. 500 S. m. Abb. Ln., 24 DM. 'Franz Pauli: Kirchtürme. Streiflichter aus dem evangelischen Berlin. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1977. 64 S. m. Abb. brosch., 4,80 DM. Gebhard Streicher u. Erika Drave: Berlin Stadt und Kirche. Berlin: Morus(1980) 345 S. u. Abb. Ln., 89 DM. Dibelius: So habe ich's erlebt. Selbstzeugnisse. Hrsg. von Wilhelm Dittmann, zusammengestellt und < Otto kommentiert von Wolf-Dieter Zimmermann. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1980,368 S. m. Abb. brosch., 24,80 DM. Kurt Scharf: Brücken und Breschen. Biographische Skizzen. Hrsg. von Wolf-Dieter Zimmermann. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1977. 200 S. m. Abb. brosch., 19,80 DM. Bischöfl. Ordinariat (Hrsg.): Alfred Bengsch. Der Kardinal aus Berlin. Mit einem Geleitwort von Erich ^'Klausener. Berlin: Monis 1980. 160 S. m. Abb. Pappbd., 22 DM. „Würde man von der horrenden Zahl der Berliner Kirchen Rückschlüsse auf die religiösen Bedürfnisse der Berliner ziehen, gelangte man zu der gewagten These einer besonderen spirituellen Disposition dieses verwegenen Menschenschlages." So beginnt Sichelschmidt seine knappe Einleitung zu dem in der bekannten Reihe „In alten Ansichten" erschienenen Buch „Berliner Kirchen". Für das Bändchen mußte freilich eine Auswahl der Sakralbauten getroffen werden. Der Verfasser tut dies nicht ohne Geschick. So stellt er neben den historischen evangelischen Kirchen des alten Stadtzentrums und zahlreicher Ortskerne der zu Berlin geschlagenen Dörfer und Städte auch bemerkenswerte katholische und russisch-orthodoxe Gotteshäuser (Wilmersdorf und Tegel), Synagogen (Oranienburger und Fasanenstraße) und die Wilmersdorfer Moschee vor. Auch Beispiele evangelischer und katholischer Vorstadtkirchen aus der Bauzeit vor 1933 fehlen nicht. Allerdings wurde auf eine Darstellung des „Buddhistischen Hauses" ebenso verzichtet wie auf eine Erwähnung der Vielfalt der aus dem 18. Jahrhundert stammenden kirchlichen Einrichtungen im Rixdorfer Ortskern. Der allzu knappe Text steht - wie allgemein in der Reihe - hinter den Bildern zurück und ist häufig in der Verkürzung fehlerhaft. So fehlt ein Hinweis auf die Zerstörung und den Abriß der Petrikirche in Alt-Kölln, und die Luisenstädtische Kirche - 1964 eingeebnet - wird als Ruine bezeichnet. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Fundierte Ausführungen über die Geschichte und den gegenwärtigen Bauzustand der evangelischen Kirchen Berlins, mithin auch über die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, dem - mit Ausnahme der Sophienkirche und den nur beschädigten Bauten am ehemaligen Gendarmenmarkt und der Parochialkirche - alle Barockkirchen der Innenstadt zum Opfer fielen, gibt der von Günther Kühne und Elisabeth Stephani bearbeitete Großoktavband „Evangelische Kirchen in Berlin". Auch das Baugeschehen nach dem Kriege in Ost und West findet in dem nach Kirchenkreisen geordneten Werk gebührende Beachtung. Wer sich nicht nur für die Bauten, sondern auch für die Geschichte der Gemeinden selbst interessiert, muß nach anderer Lektüre Umschau halten. Als Überblick kann das Heftchen von Frank Pauli „Kirchtürme. Streiflichter aus dem evangelischen Berlin" dienen. Aus jedem der evangelischen Kirchenkreise des Westteiles der Stadt werden jeweils bemerkenswerte Einrichtungen auf knappstem Raum dargestellt, so etwa die Gemeinde von St. Thomas, heute hart an der Grenze in Kreuzberg, die vor der Jahrhundertwende über 130000 Seelen, also eine Großstadtbevölkerung, zählte. Im Mittelpunkt stehen Fragen moderner Großstadtseelsorge. Im dritten Teil des zum Katholikentag 1980 erschienenen Prachtbandes „Berlin Stadt und Kirche" wird für den Westteil der Diözese Berlin nicht nur die Architektur der Pfarrkirchen, sondern auch in Kurzchroniken die Geschichte der Parochien seit dem Beginn der Aufteilung der mit der Bistumsgründung 1930 zur Kathedrale erhobenen St.-Hedwigs-Kirche gegen Mitte des 19. Jahrhunderts behandelt. Hier zeigt sich, daß der Aufbau und Ausbau der Pfarrorganisation der katholischen Kirche trotz der Diasporasituation der katholischen Kirche gehören heute in Berlin nur ca. 11 % der Bevölkerung an, dagegen 65 % der evangelischen Kirche - ungleich schneller geschehen konnte. Zur Zeit besitzt die katholische Kirche in Berlin (West) mit 84 Gemeindekirchen etwa halb soviel Gotteshäuser wie die wesentlich größere Evangelische Landeskirche. Im ersten Teil des auch als repräsentativer Bildband ausgestatteten Buches ist die erst wieder nach der Reformation einsetzende Geschichte des Katholizismus in Berlin-Brandenburg unter verschiedenen Aspekten zusammengefaßt worden. Hier sind vor allem die Abschnitte über sakrale Kunst in der Stadt in Wort und Bild eindrucksvoll gestaltet. Die im zweiten Teil wiedergegebenen (Quellen-) 280 t Texte aus dem katholischen Berlin ergänzen die historischen Abschnitte des ersten Teiles vom Toleranzproblem im 18. Jahrhundert, der Aufbruchstimmung gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, zu den vielfältigen Formen geistlicher Tätigkeit in der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg, für das die Namen Carl Sonnenschein und Romano Guardini stehen können, Verfolgung und Blutzeugenschaft bis hin zu Problemen der Institutionalisierung der modernen Volkskirche. Stehen in den bisher besprochenen Büchern die Baugeschichte, Entwicklung und Organisation der Kirchen und Fragen der Seelsorge im Vordergrund, so soll hier auch der Persönlichkeiten an der Spitze, der Bischöfe, gedacht werden. Vornehmlich aus gedrucktem oder über den Rundfunk gesendeten Material stellte Wolf-Dieter Zimmermann die Selbstzeugnisse des seit 1945 amtierenden ersten evangelischen Bischofs von Berlin-Brandenburg der Evangelischen Kirche der Union, Otto Dibelius (1880-1967), vor. Breiten Raum nimmt dabei das Problem des Verhältnisses des Kirchenmannes zur Obrigkeit ein. In preußischen Traditionen aufgewachsen, übernahm er das Erbe doch nicht unreflektiert. Wie gezeigt wird, stand er der kirchlichen Gegenwart mitunter sehr kritisch gegenüber, so z. B. den oben geschilderten, für die praktische Seelsorge äußerst ungünstigen Riesengemeinden der Stadt, deren Weiterbestehen er 1910 als Fehler ansah. Nach 1933 blieb er, als Generalsuperintendent der Kurmark amtsenthoben, der Bekennenden Kirche zugewandt. Der gebürtige Berliner änderte seine kämpferische Grundeinstellung auch nach 1945 nicht, als er neue Ansätze der Entchristlichung, diesmal unter anderen Vorzeichen, erblickte. Für den Nachfolger im Bischofsamt, Kurt Scharf (1902, Bischof 1966-1976) hat Zimmermann ebenfalls biographische Skizzen zusammengestellt. Allerdings konnte er in diesem Fall auf die offenbar noch wesentlich umfangreicheren Lebenserinnerungen des Altbischofs zurückgreifen, der ihm die Auswahl überließ. Es ist reizvoll, die Auffassungen der Bischöfe, die nicht nur eine Generation trennte, zu vergleichen: Es werden Unterschiede deutlich, z. B. im theologischen Gebiet: Hier näherte sich Scharf unter dem Eindruck des Kirchenkampfes der theologischen Auffassung Karl Barths ( S. 64 ff. von dem Dibelius sich 1930/31 noch zu distanzieren zu müssen glaubte (Dibelius, S. 161 ff.), an, ebenso wie im Bereich der Kirchenorganisation: Im Gegensatz zu Dibelius hätte Scharf die im Kirchenkampf bewährte Organisationsform der Bruderräte auch für die Zeit nach 1945, nicht die hierarchische Form mit einem Bischof an der Spitze, bevorzugt. Bereits 1934 zum ersten Mal verhaftet, hatte er als Präses des Bruderrates der Bekennenden Kirche in Brandenburg den Kirchenkampf gegen das nationalsozialistische Regime an hervorragender Stelle mitgetragen. Sofort nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1945 stellte er sich wieder der Brandenburger Kirche zur Verfügung und verlegte im Dienst der Kirche 1951 seinen Wohnsitz nach Ost-Berlin, was ihn eine weitgehende Trennung von seiner Familie kostete. Kurz nach dem Mauerbau 1961 blieb ihm die Rückkehr nach Ost-Berlin verwehrt. Als Bischof mußte er 1969 erleben, daß sich die Organisation im DDR-Teil verselbständigte und ebenfalls einen Bischof wählte. Dies geschah in einer Zeit, in der Scharfund die Westberliner Teilkirche durch die Studentenbewegung vor bis dahin unbekannte Konflikte gestellt wurden. Das katholische Bistum Berlin ist, so paradox es klingen mag, um mehr als ein Jahrzehnt älter als das evangelische Bischofsamt. Stammten die ersten fünf Oberhirten der Diasporadiözese zwischen Rügen und dem Spreewald aus traditionell katholischen Gebieten, so änderte sich dies 1961 mit der Berufung von Alfred Bengsch. Wie andere „Prominente", z.B. Hermann Ehlers, Präsident im ersten Bundestag, die Schauspielerin Marlene Dietrich und der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, stammt er von der „Schöneberger Insel", dem ganz von Gleisanlagen eingeschlossenen Ostteil des gleichnamigen Stadtbezirks. Bengsch, der nach Antritt seines hohen Amtes bald zum Erzbischof, später auch zum Kardinal erhoben wurde, blieb durch sein ganzes Leben Großstadtmensch, Berliner. Unablässig bemühte er sich in Wort und Schrift, dem modernen Großstädter, dessen Einstellung ihm völlig vertraut war, mit den Grundwahrheiten und Tatsachen der christlichen Glaubenslehre vertraut zu machen. Sein Berliner Zungenschlag machte es ihm leichter als seinen Vorgängern, die Brücken zu bauen, auf denen ihm die Gläubigen folgen konnten. Das hier vorliegende Gedenkbuch bietet eine Fülle „berlinischer" Anekdoten. Dies war jedoch, wie betont wird, nur eine Seite des vielschichtigen Mannes. Die besondere Situation seines Bistums zeigte sich über sein irdisches Wirken hinaus in spezifischer Weise: Nach seinem Tod 1979 wurde der Leichnam von seinem Amtssitz in Ost-Berlin nach Schöneberg überführt und in der St.-Matthias-Kirche aufgebahrt, damit auch der Westteil des Bistums von dem allzu früh Verschiedenen Abschied nehmen konnte. Den Westteil durfte der in Ost-Berlin residierende Bischof zuletzt an 12 Tagen im Vierteljahr besuchen. Die drei Bischöfe stehen gleichzeitig für drei Generationen christlichen Lebens und Wirkens in dieser Stadt. Vielleicht zeigen die hier genannten Publikationen dem Leser, daß die eingangs zitierte These von der „besonderen spirituellen Disposition des verwegenen Menschenschlages" gar nicht so gewagt ist. Felix Escher 281 Cecile Lowenthal-Hensel: 50 Jahre Bistum Berlin. Menschen und Ereignisse 1930-1945. Berlin: Morus- Verlag 1980. 80 S. m. Abb., brosch., 5 DM. Nicht nur das Gedenken an historische Ereignisse, sondern auch aktuelle gesellschaftspolitische Veranstaltungen werden heute fast durchweg von Ausstellungen begleitet. In einer Zeit wachsender Besinnung auf das Erbe der Vergangenheit ist man bemüht, deren Zeugnisse ebenso wie deren Schätze zu präsentieren, Geschichte für das Auge darzubieten. Anläßlich des 86. Deutschen Katholikentages vom 4.-8. Juni 1980 in Berlin verzeichnete das Programm nicht weniger als 19 Ausstellungen, die mittelbar oder unmittelbar auf das große Kirchentreffen in unserer Stadt ausgerichtet waren. Dabei trug die vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz betreute Dokumentarschau „50 Jahre Bistum Berlin" in den Messehallen ausschließlich den historischen Belangen Rechnung. In Porträts, Szenenfotos, Aktenauszügen und Presseberichten gab sie einen vielgestaltigen Überblick über ein bewegtes Kapitel deutscher Kirchengeschichte. Auf die Gründung des Bistums Berlins im Anschluß an das Preußenkonkordat von 1929 folgte schon bald die Belastungsprobe durch die Pressionen der Nationalsozialisten, die sich bis zum Kriegsbeginn immer mehr verstärkten und durch die Betreibung der „Endlösung der Judenfrage" auch zahlreiche katholische Christen in Bedrängnis brachten. Aufschlußreiches Quellenmaterial gab es über die Betreuung der nicht auswandernden Juden durch das „Hilfswerk" beim Bischöflichen Ordinariat, dessen Wirksamkeit mit den Namen von Dompropst Lichtenberg und Frau Dr. Margarete Sommer untrennbar verknüpft ist. Am Ende standen Not und Tod sowie die Zerstörung fast aller Kirchengebäude. In der heutigen Kirche Maria Regina Martyrum ehrt das Bistum seine Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945. Die hier anzuzeigende Broschüre ist kein eigentlicher Katalog zu dieser Kirchenausstellung (die inzwischen noch in Aachen gezeigt wurde), sondern eine Zusammenstellung der wichtigsten Dokumente und Bilder mit entsprechenden Erläuterungen. Der Bogen spannt sich auch hier von den ersten Anfängen der Berliner Gemeinden im 19. Jahrhundert über die Konkordatsverhandlungen und die Bedrückungen der NS-Zeit bis zur Vorstellung der Bischöfe in der Nachkriegszeit. Bild und Text, jeweils thematisch auf einer Seite zusammengefaßt, sind knapp und informativ, wobei die Wiedergabe der - bis zur letzten Zeile lesbaren Originalschriftstücke den Dokumentationswert ganz entscheidend erhöht. Zwar standen wichtige zentrale Unterlagen infolge der Kriegs- und Nachkriegsentwicklung nicht mehr zur Verfügung, doch konnte dieses Manko u. a. durch Gemeindechroniken und Privatpapiere, die bisher unbekannt waren, ausgeglichen werden. So ist eine kleine, auch in ihren Ausschnitten repräsentative Einführung in die verhältnismäßig junge Geschichte des Berliner katholischen Bistums entstanden, die die Ereignisse und ihre Akteure in bewegter Zeit eindrucksvoll festhält. Peter Letkemann / Sigfrid von Weiher: Tagebuch der Nachrichtentechnik von 1600 bis zur Gegenwart. Berlin: VDE-Verlag 1980. 199 S. m. Abb., geb., 34 DM. Sigfrid von Weihers „Tagebuch" ist ein Nachschlagewerk, ein Lexikon, wenn man so sagen will, das hauptsächlich die Telegraphie, das Fernsprechwesen, den Rundfunk und das Fernsehen behandelt, desgleichen die Wissenschaftler, Forscher und Techniker, die sich auf diesen Fachgebieten besonders hervorgetan und sie weiter entwickelt haben, sowie die Unternehmen, die die von den Forschern geschaffenen Grundlagen dann für den Bau und Vertrieb von Apparaten, Geräten usw. verwerteten. Das Buch ist chronologisch geordnet, das Datum ist ausschlaggebend; ein Personenregister erleichtert aber das Auffinden eines gesuchten Gegenstandes. Ein Sachregister fehlt leider. Die 825 kurzen Artikel referieren aus aller Welt, d. h. vor allem aus den USA, England, Deutschland usw.; vom 20. November 1602, dem Geburtstag des Magdeburger Physikers Otto Guericke, bis zum 4. Dezember 1979, an dem der Miterfinder des Licht-Tonfilms, Hans Vogt, starb. Über hundert Eintragungen berichten von Ereignissen, die sich in Berlin zugetragen, oder von Persönlichkeiten, die einst hier gewirkt haben. Das Buch enthält eine überraschende Fülle von Einzelheiten, die für die Berliner Wissenschafts-, Technik- und Industriegeschichte von Bedeutung sind. Der optische Telegraph Berlin-Koblenz von 1832 und seine Schöpfer Pistor und Etzel werden ebenso behandelt wie das berühmte Magnussche Haus am Kupfergraben oder die erste „pneumatische Depeschenbeförderung" zwischen der Zentral-Telegraphenstation und dem Bürogebäude in Berlin am 18. November 1865 oder die ersten Versuche, die der Generalpostmeister Stephan am 24. Oktober 1877 in Berlin mit dem Bellschen Telephon vornehmen ließ. Der Frühgeschichte des Rundfunkwesens wird eine hervorragende Beachtung geschenkt. Von Slabys Versuchen, drahtlos zwischen Oberschöneweide und der 282 Technischen Hochschule in Charlottenburg zu telegraphieren (22. Dezember 1900), erfahren wir ebenso wie von der ersten Weltrundfunkkonferenz, die am 3. Oktober 1906 in Berlin auf Einladung des Kaisers Wilhelm II. zusammentrat, oder dem 1922 in Berlin eingerichteten ersten deutschen Wirtschaftsrundfunk. Die Übertragungen aus dem Voxhaus seit dem 29. Oktober 1923 fehlen ebensowenig wie die erste deutsche Funkausstellung am 4. Dezember 1924 in Witzleben: „Für 11 Tage hatten 268 Firmen ihre Geräte ausgestellt, über 114000 Personen waren erschienen." Auch der Brand dieser Funkhalle von 1924 am 19. August 1935, dem die von der Rundfunkindustrie aufgebaute „Fernsehstraße" zum Opfer fiel, ist zu finden, wie denn überhaupt den Versuchen und Entwicklungen der Bildtelegraphie und dem Fernsehen breiter Raum gegeben ist; so findet man auch Mitteilungen über die in Berlin von der Post während der Olympiade 1936 betriebenen öffentlichen Fernsehstuben. Von den Berliner Wissenschaftlern und Industriellen werden Rathenau, Siemens, Halske, Lorenz, Genest, Slaby, Bredow und viele andere, z.T. mehrfach erwähnt. Auch Konrad Zuse fehlt nicht. Er zeigte am 12. Mai 1941 in seiner Berliner Wohnung (in der Kreuzberger Methfesselstraße) Vertretern der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt „seinen ersten voll funktionsfähigen programmgesteuerten elektromechanischen Rechner". Das Buch ist reich illustriert, einige Abbildungen betreffen auch Berlin. Nachdenklich stimmt, daß nach 1945 nur noch wenige auf Berlin bezügliche Eintragungen zu finden sind. Der Verlust der Hauptstadtfunktionen zeigt sich hier ganz deutlich; die Entwicklung geht weiter, aber - an Berlin vorbei. Arne Hengsbach Kalender „Berlin 1981". Fotografien von Ute und Bernd Eickemeyer und Wolfgang Skowronski. Berlin: focus-bilderladen 1980. 22 DM. „Berliner Ansichten". Mappe mit 12 fbg. Offsetdrucken. Fotos: Ute und Bernd Eickemeyer. Berlin: focus-bilderladen 1980. 22 DM. f „Berliner Landschaften". Mappe mit 12 fbg. Offsetdrucken. Fotos: Wolfgang Skowronski. Berlin: focusbilderladen 1980. 22 DM. Die drei profilierten Fotografen präsentieren eine Reihe eindrucksvoller Schwarzweißfotos im Format 20X29 und 30X40 cm. Im Berlin-Kalender zeichnen Ute und Bernd Eickemeyer durch verschneites Maschendrahtgeflecht winterliche Schrebergartensphäre (Blatt 1). Meisterhaft der Blick (Blatt 5) auf die bildbeherrschende Kopfsteinpflasterung der langen Spandauer Eiswerderbrücke mit ihrer wuchtigen Stahlkonstruktion. Keine Menschenseele in Sicht, keine Katze flitzt über den leeren Fahrdamm. Die gleichsam tönende Stille, gerahmt von der kalten Leitplanke in der Kurve, ist von ebenso gewaltiger Aussagekraft wie die zu früher Sonntagsmorgenstunde eingefangene Stimmung im Zugang zu Ludwig Loewes Fabrikgebäude in der Huttenstraße (Blatt II). Nicht minder wuchtig in der Wirkung die Kreuzberg-Landschaft (Blatt 7), die in krasser Nacktheit zwischen magerem Bodengestrüpp eine erkaltete Feuerstelle mit halbverbrannten Unratresten zeigt. Im Hintergrund mahnt vom zerfallenden Gemäuer der Schrei „Gorleben soll leben". Herbstwind hat (Blatt 9) welke Blätter am Rinnstein zusammengetrieben, einzelne von ihnen sind wie verloren in der Straßenmitte liegengeblieben. Vor schemenhaftem Hintergrund die Silhouette der alt-ehrwürdigen Bedürfnisanstalt, die trotz Denkmalschutzes auf Herrenbesucher wartet. Bäume, ein Peitschenmast, Verkehrsschilder ohne Verkehr - ein öder Anblick? Nein: urgewaltig die schwingende Stille. Nicht minder attraktiv, was das Künstlerauge Wolfgang Skowronskis eingefangen und festgehalten hat. Rankendes Grün an bröckelndem Mauerputz, wie Geburt und Tod wirkend (Blatt 3), Strauchwerk und vor sich hinfaulende Äste im Sumpfgelände (Blatt 4), wogendes Schilf am Waldesrand und üppigste sommerliche Vegetation (Blatt 6 u. 10). Trutzig behelmt blickt des deutschen Reiches Schmied und Gründer vom marmelsteinernen Sockel inmitten dichten Tiergarten-Blätterwerks in die Runde (Blatt 8), und ein Baum am langen, handgefertigten Holzzaun hütet wie ein Wächter den ländlichen Frieden und die Weite des letzten Berliner Landschaftsgebietes in Lübars (Blatt 12). Großartig die enorme Aussagekraft der Bildermappe „Berliner Ansichten" von Ute und Bernd Eickemeyer. Auf keiner der Reproduktionen sind Personen sichtbar. Sehr starke Effekte bieten der aus dem Bild herausfahrende VW am Friedrich-Krause-Ufer mit den schmutzigen Schneeresten am Straßenrand und das gelungene Experiment des Fotografen-Duos, die erdrückende Wucht des gespensterhaft wirkenden Stahlgebälks der Swinemünder Brücke mit der gähnenden Leere auf dem Fahrdamm in ein fast furchterregendes Kontrastverhältnis zu setzen. Mit Recht und Fug gebührt dem Fotokünstler Wolfgang Skowronski der Ehrentitel eines Baumfetischisten, wovon eine Reihe einmaliger Aufnahmen der Mappe „Berliner Landschaften" kündet. Hier wären die 283 sommerlichen Waldmotive im Volkspark Glienicke, der unpassierbare Morast des Spandauer Teufelsbruchs und der Blick auf das Baumkronenmeer vom Teufelsberg zu nennen. Zwei weitere herrliche Baummotive zeigen, daß mit dem Begriff Gatow nicht unbedingt nur Bootsfreuden auf der Havel gemeint sein müssen. Das Tegeler Fließ mit dem rustikalen Holzzaun an der Krümmung des Baches beschließt zusammen mit dem Baumriesen am Havelufer die sehens- und besitzenswerte Sammlung dieser überdurchschnittlichen Reproduktionen. Nicht immer müssen Touristengewimmel und Autokolonnen in Buntdruck auf lärmdurchtosten Straßen für das Konterfei einer Großstadt stehen. Die vorliegenden Blätter beweisen, um wie vieles eindringlicher eine extrem gestraffte Kargheit der Motive wirksam werden kann. Auch das ist Berlin. Hans Schiller X Paul Gurk: Berlin. Roman vom Sterben der Seele. Berlin u. Darmstadt: Agora-Verlag 1980. 362 S., Ln., 32 DM. Hier wird vom Agora-Verlag ein fast vergessener Dichter wiederentdeckt, dessen Werk fast 200 Bühnenstücke, Romane, Gedichte, Novellen und Märchen - zum größten Teil gedruckt nicht mehr greifbar umfaßt, der für sein Bühnenstück „Thomas Münzer" 1921 den Kleistpreis empfing, der 1923 auf Vorschlag Thomas Manns den Buchpreis der Frankfurter Zeitung erhielt und der noch 4 Monate vor seinem Tod zum Mitglied des PEN-Clubs berufen wurde. Paul Gurk, in Frankfurt/Oder 1880 als Sohn eines Postkutschers und Enkel eines Schäfers geboren, ist 1953 in Berlin vereinsamt gestorben, nachdem er die letzten 20 Jahre seines Lebens zurückgezogen in kärglichster Weddinger Hinterhofatmosphäre zugebracht hatte. Der hier vorliegende Roman vom „Sterben einer Seele", so Gurk, an der Zivilisation und an der Verruchtheit der Großstadt, das sein Held, der Buchtrödler Eckenpenn, durchleidet, geht einher mit einer immerwährenden Huldigung an die Natur, die der Dichter in einen heute kaum mehr vorhandenen Sprachreichtum kleidet. Figuren, die den Buchtrödler aus der Markgrafenstraße umgeben, oft irritierend und nicht recht greifbar, sind mit ihm auf geheimnisvolle Weise durch ein „blaues Heft" verbunden - alles bleibt schwebend und gleichnishaft und muß wohl a u c h verstanden werden als autobiographischer Niederschlag seines Solipsismus, von dem M. Schlösser in seinem Nachwort spricht. Irmtraut Köhler / Hellmuth Berg: Berlin damals - ein Spaziergang mit Witz. Berlin: Kleineberg Verlag 1979. 194 S., geb., 24,80 DM. Hellmuth Berg referiert über die Geschichte Berlins, indem er den Studienrat Adolf Kluge erfand, dessen Vornamen er irrtümlich mit „Atze" ins Berlinische übersetzt, und ihn mit einer Schar Wißbegieriger im Jahre 1924 auf einen Streifzug durch Alt-Berlin schickt. Oberlehrer Kluges Gefolge rekrutiert sich, wie der Leser einer speziellen „Anwesenheitsliste" auf S. 184/85 entnehmen kann, aus 42 Mitläufern, unter anderen „ein braunäugiges Dienstmädchen, eine vollbusige Kassiererin, ein Portier und ein Gaskontrolleur sowie mehrere korpulente Hausfrauen gesetzten Alters". Alle diese Typen berlinern auf gröbste, womit der Autor vermeint, seiner Berichterstattung die witzige Basis gesichert zu haben. Ob der Stadtjargon in Sicht selbst des unentwegtesten Berlinenthusiasten in Bergs Werk nicht dennoch eindeutig überstrapaziert wird, steht dahin. Das Buch spricht einen Leserkreis an, der sich aus der Lehnsesselperspektive mit der Materie vertraut machen möchte. Wer die Lektüre bis zur Seite 170 bewältigt hat, ist nicht nur über 700 Jahre Berliner Stadtgeschichte informiert, sondern auch mit der langen Reihe einschlägiger Anekdötchen und Histörchen vertraut, die Studienrat Kluge seinem begierig lauschenden Fußvolk vorsetzt. Wie der Buchtitel besagt, hat der Autor das Abfassen eines wissenschaftlichen Werkes über die Geschichte Berlins nicht beabsichtigt. Um so willkommener sind die zahlreichen und oft auch informativen Fußnoten und Quellennachweise, die den Text auf fast jeder Seite ergänzen. In einem Nachwort geht Berg auf die Entwicklung Berlins und sein Erleben in der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Ein Personenregister (leider ohne Zeitangaben!) und ein Quellenverzeichnis ergänzen den Textteil. Zu vermerken ist, daß die Berolina nicht schon 1859 (S.3 u. 43), sondern erst 1895 aufgestellt wurde, daß der geographische Mittelpunkt Berlins nicht der Spittelmarkt (S. 8), sondern der Dönhoffplatz war, daß Friedrich Wilhelm I. die Hofchargen beim Tode seines Vaters nicht 1740 (S. 87), sondern schon 1713 verjagte, daß die Straßenbahnlinie 41 nie nach dem Kastanien Wäldchen fuhr und die Linie 68 nicht den Humboldthain, sondern den Friedrichshain passierte (S. 149). Eine Reihe recht guter Fotos versöhnt den Leser wenigstens halbwegs. Hans Schiller 284 k/ Georg Lentz: Molle mit Kom. Roman. München/Berlin: Herbig 1979. 352 S., Ln., 28 DM. In der vorangegangenen möglicherweise gleichfalls autobiographischen Erzählung „Muckefuck" hat der 1928 in Berlin geborene und dort auch aufgewachsene Georg Lentz das Milieu Berliner Vorortbewohner, die man noch früher wohl als „Kleine Leute" bezeichnet hätte, treffend wiedergegeben. Hinsichtlich des Titels der sich jetzt anschließenden Erinnerungen bleibt er bei den Getränken, selbst wenn diese in der Berliner Blockadezeit 1948/49, in der die Geschichte spielt, nur mit Schwierigkeiten zu haben waren. Wenn man nicht an „Schultheiss Patzenhofer aus Vor-Blockade-Beständen" herankam, mußte man sich mit dem Dünnbier behelfen, für das das Malz über die Luftbrücke eingeflogen wurde. Höhepunkt dieser lebendigen Schilderung ist die Errichtung und der Betrieb einer Fabrik für Ersatz-Leberwurst, die in der Nähe der Kleingartenkolonie in Zehlendorf in der Einflugschneise für Tempelhof gegründet wurde. Grundlage hierfür bildete „Bärme" (Bierhefe), von der aus einer Brauerei in Ludwigslust eine Fuhre herangeschafft wurde. Als dann die Deutsche Mark (West) eingeführt wurde, gab es auch wieder Bier mit Spitzenqualität. Daß dieses aus offensichtlich zurückgehaltenem Malz und Hopfen gebraut wurde, erregt die Bewohner der Kolonie Tausendschön: „Laubenpieper sind die Schlußlichter der Nation!" Das Buch gibt die Atmosphäre jener Blockadetage gut wieder, die Sprache der Menschen und ihr Denken. Einige wenige Ausdrücke aus unseren Tagen (Spasties, harter Kern, Fan-Klub) hätten vielleicht dem Lektor zum Opfer fallen können. H. G. Schultze-Berndt / Herta Zerna: Rieke - eine Liebesromanze aus alter Zeit. Düsseldorf: Marion von Schröder Verlag, 1980. 369 S., geb., 34 DM. Eine „Liebesromanze aus alter Zeit" ist der Untertitel dieses erstmals 1960 erschienenen heiteren Romans aus dem Berlin zur Zeit der preußischen Könige. Der Verfasserin diente als Vorlage die für die damalige Zeit etwas heikle Geschichte der hübschen Rosselenkerin auf dem Brandenburger Tor. Die von Schadow geschaffene Viktoria lenkte ihre vier Rösser nämlich - nach antikem Vorbild - unbekleidet. Darüber entrüsteten sich sittenstrenge Berliner und Schadow mußte wohl oder übel auf Abhilfe sinnen. Da kam ihm das niedliche Nichtchen des Potsdamer Hofkupferschmieds Emanuel Jury gerade recht. Sie diente dem Meister als prächtiges Modell beim Anpassen eines flatternden Gewandes aus Kupferblech, das die Unbekleidete dann verhüllte. Um diese Rieke Jury nun ranken sich die Berliner Geschichten, um ihre Könige, Bürger und Begebenheiten am Ausgang des 18. Jahrhunderts. Zum besseren Verständnis ist dem Buch noch eine „Nachlese für Wißbegierige" mit zahlreichen geschichtlichen Hinweisen angefügt. Irmtraut Köhler Eingegangene Bücher (Besprechungen vorbehalten) Aust, Hugo (Hrsg.):/Fontane aus heutiger Sicht, 10 Beiträge. München: Nymphenburger 1980, 296 S. .Arnold-Forster, Mark': Die Belagerung von Berlin. Von der Luftbrücke bis heute. Berlin - Frankfurt/M. Wien: Ullstein 1980, 240 S. Bieler, Manfred: Ewig und drei Tage, Roman. Hamburg: Knaus 1980, 286 S. Bormann, Werner: Die gewerbliche Kartographie in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) 1945-1975. Berlin: Kiepert 1974, 64 S. mit Tafeln und Tabellen. Catudal, Honore M. Jr.: The Diplomacy of the Quadripartite Agreement on Berlin. A New Era in East-West Politics. Berlin: Berlin-Verlag 1980, 336 S. Canetti, Elias: Die Fackel im Ohr, Lebensgeschichte 1921-1931. München: Carl Hanser 1980, 412 S. Chamberlin, Brewster S.: Kultur auf Trümmern. Berliner Berichte der amerikanischen Information Control Section, Juli-Dezember 1945. Stuttgart: dva 1979, 252 S. Deinert, Wolf: Meine Heimat. Berlin/Jossa: März Verlag 1980, 168 S. Die Berliner Landnahme. Zur Entwicklung der Prüfungspraxis des Wissenschaftlichen Landesprüfungsamtes. Frankfurt - M.: Haag + Herchen 1979, 328 S. 285 Eiselt/Heinrich: Grundriß des Schulrechts in Berlin. Neuwied: Luchterhand 1979, 258 S. Embacher, Gudrun: Berliner Hochzeit. Ludwigshafen: Hohenstaufen 1979, 292 S. Erne, Nino: Kellerkneipe und Elfenbeinturm, Roman. Gütersloh: Bertelsmann 1979, 346 S. Frei, Otto: Berliner Herbst, Erzählungen. Zürich: Die Arche 1979, 184 S. vkFurtwängler, Elisabeth: Über Wilhelm Furtwängler, Wiesbaden: Brockhaus 1980 (2. Aufl.), 168 S. Haffner/Venohr: Preußische Profile. Königstein/Ts.: Athenäum 1980, 265 S. Hentschel, Volker: Preußens streitbare Geschichte - 1594 bis 1945. Düsseldorf: Droste 1980, 348 S. Jerome, Jerome K.: Drei Männer auf einem Bummel. Zürich: Sanssouci Verlag 1979, 200 S. Klotz, Heinrich: Architektur in der Bundesrepublik. Frankfurt/M. - Berlin - Wien: Ullstein 1977,324 S. •yJ^ Köhler, Bruno: Gotha - Berlin - Dachau. Werner Sylten. Stationen seines Widerstandes im Dritten Reich. Stuttgart: Radius 1980,96 S. Koch, Hannsjoachim W.: Geschichte Preußens. München: 1980, 480 S. Lange, Horst: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg. (Hrsg.: Hans Dieter Schäfer) Mainz: v. Hase u. Koehler 1979, 348 S. Mostar/Lentz: Preußenliebe, Roman. München: Herbig 1980, 240 S. j Peters, Bruno: Berliner Freimaurer. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins. Berlin: Im Selbstverlag ^ " 1980, 72 S. Pincus, Lily: Verloren - Gewonnen. Mein Weg von Berlin nach London. Stuttgart: dva 1980, 208 S. Plenzdorf, Ulrich: Legende vom Glück ohne Ende. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, 320 S. Pörken, Uwe: Weißer Jahrgang, Roman. Düsseldorf: Bohne u. Erb 1979, 388 S. Rosendorfer, Herbert: Das Messingherz, Roman. München: 1979, 574 S. Schlabrendorff, Fabian von: Begegnungen in fünf Jahrzehnten. Tübingen: Wunderlich 1979, 396 S. Schlesinger, Klaus: Leben im Winter. Frankfurt/M.: S. Fischer 1980, 128 S. Scholz, Gustav: Der Weg aus dem Nichts. Frankfurt/M.: Krüger 1980,400 S. Schuh, Oscar Fritz: So war es - war es so? Notizen und Erinnerungen eines Theatermanns. Berlin Frankfurt/M. - Wien: Ullstein 1980, 192 S. Skärmeta, Antiono: Nix passiert. Neuwied: Luchterhand 1978, 84 S. Sösemann, Bernd: Das Ende der Weimarer Republik in der Kritik demokratischer Publizisten. Berlin: Colloquium 1978, 252 S. Ulmann, Hellmuth von: Beinahe ein König, Roman. Heilbronn: Salzer 1980,460 S. Vogler/Vetter: Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung. Köln: Pahl-Rugenstein 1980,308 S. i-,{v Zivier, Ernst R.: Rechtsstatus des Landes Berlin. Berln: Berlin-Vlg. 1977, 400 S. Im IV. Vierteljahr 1980 haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet: Vera Grossheim, Angestellte Framstraße 19, 1000 Berlin 44 Tel. 623 3468 (Fritz Bunsas) Dr. Christiane Knop, Oberstudienrätin Rüdesheimer Straße 14, 1000 Berlin 28 Tel. 4014307 (Schriftführer) Klaus Mikat, Betriebswirt Breisgauer Straße 40, 1000 Berlin 38 Tel. 8014183 (Bibliothek) Elisabeth Schmitz, Renterin Konstanzer Straße 57 III, 1000 Berlin 31 Tel. 8818494 (A.Brauer) Michael Scholz, Diplomlandwirt Seydlitzstraße 8, 1000 Berlin 21 Tel. 3942359 (Bibliothek) Dr. Armin Spiller, Bibliotheksrat Edithstraße 3, 1000 Berlin 37 Tel. 813 8294 (Dr. P. Letkemann) Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (lt. Beschluß der Jahresversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM). An unsere Bezieher! Die Beanschriftung der Zeitschriften erfolgt jetzt in neuer Form aus Gründen eines kostensparenden Vertriebs, und wir bitten Sie, Ihre Anschrift zu prüfen. Wenn Sie Fehler feststellen, erbitten wir Ihre Mitteilung an Westkreuz-Druckerei und Verlag, Rehagener Straße 30, 1000 Berlin 49. 286 Die Veröffentlichungen des Vereins Von den früheren Ausgaben des Jahrbuchs DER BÄR VON BERLIN sind folgende Bände noch erhältlich: 1953 und 1957/58 je 4,80 DM; 1964= 5,80 DM; 1965 (Festschrift) 38,-DM; 1968 und 1969 je 9,80 DM; 1971 und 1972 je 11,80 DM; 1973 und 1975 je 12,80 DM; 1976 und 1977 je 18,50 DM; 1978 und 1979 je 22,80 DM; 1980= 24,80 DM. MITTEILUNGEN des Vereins für die Geschichte Berlins erscheinen vierteljährlich im Umfang von 32 Seiten. Sie enthalten in der Regel mehrere Artikel mit Themen zur Berliner Geschichte (mit Abbildungen), Nachrichten zu aktuellen Anlässen und aus dem Vereinsleben, Buchbesprechungen und das Programm der laufenden Veranstaltungen des Vereins. Einzelhefte aus früheren Jahrgängen sind zum Stückpreis von 4 - DM noch erhältlich. Von der neuen Folge der Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins sind bisher erschienen: Heft 59: Johann David Müller, Notizen aus meinem Leben. (1973) Preis 9,80 DM Heft 60: W. M. Frhr. v. Bissing, Königin Elisabeth von Preußen. (1974) Preis 11,80 DM Heft 61: Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg. (1977) Konrad Kettig, Goetheverehrung in Berlin. Ein Besuch von August und Ottilie von Goethe in der preußischen Residenz 1819. (1977) Preis 16,80 DM Alle Preise zuzüglich Porto Bestellungen sind an die Geschäftsleitung des Vereins zu richten: Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31 Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegt ein Prospekt des Arani-Verlages bei. Veranstaltungen im I. Quartal 1981 (Bitte, beachten Sie die veränderten Anfangszeiten der Vorträge im Rathaus Charlottenburg.) 1. Donnerstag, den 22. Januar 1981,16.30 Uhr: Besuch der Ausstellung „Groß-Berlin entsteht - zum 60. Jahrestag" im Landesarchiv Berlin. Führung: Herr Dr. Jürgen Wetzel. Treffpunkt im Landesarchiv Berlin, Schöneberg, Kalckreuthstraße 1. Fahrverbindungen: Busse 19,29, 73, 85; U-Bahn Wittenbergplatz. 2. Dienstag, den 27. Januar 1981,16.00 Uhr: Besuch der Ausstellung über den Orden „Pour le merite für Wissenschaften und Künste" im Geheimen Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz. Führung: Herr Dr. Peter Letkemann. Treffpunkt im Staatsarchiv, Dahlem, Archivstraße 12-14. Fahrverbindungen: Busse 1 und 68; U-Bahn Dahlem-Dorf. Aus Anlaß des 116. Gründungstages unseres Vereins anschließend gemütliches Beisammensein im „Alten Krug" in Dahlem. 3. Dienstag, den 3. Februar 1981, 19.45 Uhr: Vortrag mit Lichtbildern von Herrn Günter Wollschlaeger: „Der Große Kurfürst und die Hugenotten". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 4. Mittwoch, den 11. Februar 1981, 16.00 Uhr: Führung durch das Heimatmuseum Reinickendorf mit Besichtigung des dort errichteten germanischen Gehöfts. Treffpunkt im Heimatmuseum Hermsdorf, Alt-Hermsdorf 35. Fahrverbindungen: Busse 15 und 20. 5. Dienstag, den 24. Februar 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dipl.-Biol. Reinhard Frese: „Der tiergärtnerische Beitrag des Zoologischen Gartens Berlin zur Erhaltung bedrohter Tierarten". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 6. Dienstag, den 3. März 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Auf den Spuren der Königin Luise, 1. Teil 1776-1802". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 7. Dienstag, den 10. März 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Auf den Spuren der Königin Luise, 2. Teil 1802-1810". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 8. Dienstag, den 17. März 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr. Helmut Börsch-Supan: „Karl Friedrich Schinkel als Maler". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 9. Dienstag, den 7. April 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Wolfgang Eckert: „Von der Mühle an der Panke zum Stadtbezirk Wedding". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Alleo 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 288 OHAW. lotsbibitofrwk A1015FX MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 77. Jahrgang Heft 2 April 1981 Preußisches Finanzministerium, Sitz der Akademie des Bauwesens, Berlin C2, Am Festungsgraben 1 (Foto: Landesbildstelle Berlin) 289 JBie Akademie des Bauwesens Von Eckart Henning Vor hundert Jahren wurde durch Allerhöchsten Erlaß Kaiser Wilhelms I. vom 7. Mai 1880' die Akademie des Bauwesens2 ins Leben gerufen - Grund genug, dieser nützlichen, heute leider nahezu vergessenen preußischen Einrichtung gerade im Schinkel-Jahr noch einen Nachruf zu widmen. Die neue Akademie trat an die Stelle der am 1. Oktober 1880 aufgelösten Technischen Bau-Deputation 3 , die ihren Sitz in Berlin W, Voßstraße 35, hatte, im Lauf der Zeit aber zu einem bloßen Prüfungsamt für Bauführer und Baumeister abgesunken war4, während Aufsichtsfunktion5 und gutachterliche Tätigkeit - zumal verschiedene Behörden inzwischen über eigenes technisches Personal verfügten - immer mehr in den Hintergrund traten. Daher entwickelte der im gleichen Jahr erst mit der Leitung des neu gebildeten Ministeriums für öffentliche Arbeiten betraute Albert v. Maybach (Abb. 1), bekannt vor allem als Pionier des Eisenbahnwesens, Reformvorstellungen, die er Bismarck am 30. März vortrug: Das oberste beratende Baugremium der Monarchie sollte künftig mit den tüchtigsten Vertretern nicht allein Preußens (wie bisher), sondern auch anderer Bundesstaaten besetzt werden, deren Amtszeit (nicht wie bisher) zeitlich begrenzt bleiben müßte. Zudem wollte man nicht nur Ingenieure und Architekten, sondern auch Künstler zur Mitarbeit einladen, um den ästhetischen Ansprüchen an Staatsbauten besser gerecht zu werden. Der Kanzler billigte diese Reformpläne in der klugen Erkenntnis, daß eine „organische Verbindung der Reichsbauverwaltung mit der preußischen nach beiden Seiten hin förderlich sein werde"6. Die Verwirklichung von Maybachs Absichten wurde dabei von der Kritik begünstigt, die bei Etatberatungen im Preußischen Landtag (Dezember 1879) an den vom „Baumandarinenthum" behinderten Leistungen deutscher Architekten und Ingenieure laut geworden war7. So kam es, nachdem auch das preußische Staatsministerium insgesamt den Maybach-Plan gebilligt hatte, zur Errichtung der neuen „Akademie des Bauwesens", in deren Gründungserlaß es programmatisch hieß: Die neue Akademie ist in allen „Fragen des öffentlichen Bauwesens, welche von hervorragender Bedeutung sind, zu hören und namentlich berufen, das gesamte Baufach in künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung zu vertreten, wichtige öffentliche Bauunternehmungen zu beurteilen8, die Anwendung allgemeiner Grundsätze im öffentlichen Bauwesen zu beraten, neue Erfahrungen und Vorschläge in künstlerischer, wissenschaftlicher und bautechnischer Beziehung zu begutachten und sich mit der weiteren Ausbildung des Baufaches zu beschäftigen". Außerdem sollte die Akademie Vorschläge für Ehrungen und Ordensverleihungen unterbreiten. In seiner Eröffnungsansprache an die dreißig ordentlichen und neunzehn außerordentlichen Akademie-Mitglieder, die sich nach ihrer Wahl am 2. Oktober 9 zum ersten Male wieder am 18. Oktober 1880, dem Geburtstag des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, versammelten, gab Maybach, zu dessen Geschäftsbereich das neue Gremium natürlich gehörte10, seiner Hoffnung Ausdruck, daß die „Sprüche" der Akademie, „die sie über wichtige öffentliche Bauunternehmungen abzugeben berufen sei, in gleicher Weise die realen Bedürfnisse, wie - worauf besonderer Wert zu legen - die Forderungen des Idealen berücksichtigen und im Lande nicht nur wegen des Glanzes der Namen ihrer Mitglieder, sondern auch wegen des inneren Wertes ihres Wirkens volle Würdigung und Anerkennung finden werden"". Auch dem Landtag gegenüber begründete der Minister „seine" neue Akademie: „Wir glauben mit der gegenwärtigen Einrichtung den Keim gelegt zu haben für eine gute Institution, die der Fortbildung fähig ist, die frisches Leben 290 Abb. 1: Albert von Maybach (1879-1891) Preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten (Foto: Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz) in die Technik hineinbringt, die ihr die Fühlung ermöglicht mit der öffentlichen Meinung und die nach allen Seiten hin frei und anregend wirken soll, um die Bautechnik auf derjenigen Höhe zu halten, auf der sie sich gerade für Deutschland befinden müsse"12. Damit hatte Maybach die Kritik des Abgeordneten Reichersperger aufgegriffen, der sich gegen den „Schlendrian der Routine" gewandt hatte und nun sogar seinerseits widerstrebend zugestehen mußte: „Es sind Männer hinzugezogen worden, welche außerhalb des Kreises der Bauverwaltung sich befinden, von denen zu erwarten ist, daß sie wohltätige Impulse geben"13. Die Akademie des Bauwesens, deren Geschäftsbereich im einzelnen durch die Instruktion vom 27. August 1880 festgelegt wurde14, war in eine Abteilung für den Hochbau und in eine andere für das Ingenieur- und Maschinenwesen gegliedert. An ihrer Spitze stand ein Präsident und zwei Abteilungsdirigenten15, die von den Mitgliedern der Akademie für drei Jahre gewählt wurden. Ihre Wahl bedurfte jedoch der Bestätigung durch das Preußische Staatsministerium. Unter den Mitgliedern, die ebenso wie die Akademiespitze ehrenamtlich tätig waren, gab es ordentliche und außerordentliche, die auf Vorschlag des zuständigen Fachministers ebenfalls vom Staatsministerium ernannt wurden. Von ihnen schied nach Ablauf dreier Jahre ein Drittel aus, für das nach Anhörung der Akademie neue Mitglieder ernannt wurden, auch konnten ausgeschiedene auf Vorschlag erneut berufen werden. 291 Einen guten Überblick nicht nur über den Mitgliederbestand, sondern auch über die Anfangstätigkeit des neuen Gremiums gewährt die inzwischen selten gewordene Jubiläumsschrift zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen dieser Königlichen Akademie16, der zwischen 1880 und 1905 vier Präsidenten, nämlich Schneider(1880-1895),Spieker(1892-1895),Kinel(1895-1901)und seit 1902 (bis 1919) Hinckeldeyn, sämtlich höhere preußische Baubeamte, vorstanden. In dieser Zeit gab die Akademie 258 Gutachten ab, und zwar 57 auf Beschluß der Gesamtakademie, 183 auf den der Hochbauabteilung (gelegentlich mit zusätzlichem Minderheitsgutachten!) und nur 18 auf Beschluß der Abteilung für Ingenieur- und Maschinenwesen. Diese Gutachten bezogen sich auf Bahnhofsanlagen, Kirchen, Brücken, Theaterneubauten, Museen, Archive und Bibliotheken, Bank- und Gerichtsgebäude, Postämter usw. oder auf Flußregulierungen (besonders der Weichsel und der Unterweser). Der Anschaulichkeit wegen seien wenigstens einige Themen aus der ersten Zeit der Akademie herausgegriffen, wie der Vollendungsbau des Straßburger Münsters (1880), die Anlage des Zentral-Personenbahnhofs in Frankfurt a.M. (1881), das Post- und Telegraphengebäude in Breslau (1882), das Theater in Riga (1883), das Archiv- und Bibliothekgebäude in Hannover (1885), der Abbruch des dritten Geschosses des Halberstädter Domturmes (1884), die Lange Brücke bei Potsdam (1886), der Einsturz des Dachgewölbes der Anatomie in Königsberg i. Pr. (1888), das Domhotel in Köln (1889), das Rathaus in Aachen (1890) usw. Diese keineswegs lückenlose Aufzählung gibt vielleicht eine Vorstellung von der Vielfalt der Akademie-Projekte. Daß dabei auch die bauliche Entwicklung Berlins" nicht zu kurz kam, zeigen andere Gutachten, von denen hier gleichfalls nur einige genannt werden können: die Neue Kirche am Gendarmenmarkt (1880), das chemische Laboratorium für die Technische Hochschule (1881), die neue Packhofanlage in Berlin-Moabit (1882), die nochmalige Erhöhung des Kreuzberg-Denkmals (1882), das Naturhistorische Museum (1882), das Reichstagsgebäude (1882/83), die Ursachen des Nationaltheaterbrandes (1883), ein Dienstgebäude für das Patentamt (1886), der Neubau für das Haus der Abgeordneten (1888), der Dom und die Reichsdruckerei (1889), der Umbau der nächsten Umgebung des Weißen Saales im Königlichen Schloß (1889/90) usw. Doch außer zu Bauaufgaben der Hauptstadt oder denen der preußischen Provinzen nahm die Akademie auch gutachterlich zu allgemeinen Baufragen Stellung, wie etwa zu Schutzvorkehrungen gegen Theaterbrände (1882), zum Bauelevenjahr (1886), zur Normung einheitlicher Lieferungen von Portland-Zement (1887), zur Standfestigkeit hoher Bauwerke auf geringer Grundfläche bei Winddruck (1889/90) usw. Im Jahre 1904 wurden auch die ersten maßgeblichen Vorschriften für den Eisenbetonbau von der Akademie erlassen18. Die meisten Gutachten, die im ersten Vierteljahrhundert erstellt wurden, konnten auch amtlich veröffentlicht werden" und sind dadurch nicht nur in Fachkreisen ausreichend bekannt und diskutiert worden, sondern festigten auch das Ansehen der Akademie in der Öffentlichkeit, so daß sie nicht nur von den Baubehörden Preußens und des Deutschen Reiches um ihr Urteil gebeten wurde, sondern auch von zahlreichen Städten und kommunalen Körperschaften, die nicht dazu verpflichtet waren. Anläßlich des fünfundzwanzigjährigen Akademie-Jubiläums (1905) konnte man daher mit Recht feststellen, daß dieses Gremium die Erwartungen erfüllt, ja teilweise übertroffen habe, daß die ihr gestellten Aufgaben vielseitig waren und sich auf alle Gebiete der Architektur (weniger allerdings auf die des Ingenieur- und Maschinenwesens) erstreckten. Auch von ihrem Vorrecht, eigene Vorschläge zu unterbreiten und Anregungen zu geben, hatte die Akademie Gebrauch gemacht. Bedenklich blieb allerdings, daß ihrem Antrag auf Veröffentlichung ihrer Gutachten in manchen Fällen „der Erfolg versagt" blieb, weil dies „besondere Gründe" geboten. Präsident Hinckeldeyn hatte anläßlich der Jubiläumsveranstal292 Abb. 2: Medaille der Akademie des Bauwesens (1909) (Foto: Reprographie der Freien Universität Berlin) tung sogar den Mut, kritisch anzumerken, daß es „sich dabei nicht selten um sehr wichtige und hervorragende Entwürfe [handelte], bei denen durch höhere Entschließung andere Entscheidungen getroffen wurden, als die Akademie sie empfohlen und gewünscht hatte". Allerdings können sich Hinckeldeyns Zukunftserwartungen heute wohl nicht mehr erfüllen, daß diese Gutachten einmal „aus dem Archiv hervorgeholt" werden würden, um „ihren Wert und Unwert nachzuprüfen", da diese Akten, soweit wir wissen, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch Bombenangriffe vernichtet worden sind20. Trotz dieser Monita sprach Hinckeldeyn aber in Gegenwart der Minister v. Budde und v. Thile nicht umsonst den Wunsch aus, daß der Akademie künftig eigene Mittel zur Verfügung gestellt werden mögen, „um Preisaufgaben zu stellen oder zu bauwissenschaftlichen Studien und Reisen Beihilfen zu gewähren"21. Daraufhin erhielt das Gremium im Jahre 1907 erstmals jährlich 15 000 Mark aus öffentlichen Mitteln zur Dotierung von Preisaufgaben und konnte auf diese Weise eine sehr viel stärkere Breitenwirkung ihrer Arbeit erzielen22. Außerdem verlieh sie seit 1909 eine „Goldene Medaille", die der Bildhauer Georges Morin (Berlin) entworfen hatte (Abb. 2). Sie zeigt Minerva mit einem Siegeskranz in der Hand vor einer Mauer, deren Abschluß ein Fries mit Darstellungen der Architekten- und Ingenieurtätigkeit bildet; auf der Rückseite steht in einer schildartigen Umrahmung der Name des Empfängers23. Sie wurde als ersten dem Ingenieur Schwieger und dem Architekten Schmieden verliehen, und zwar auf der zugleich ersten öffentlichen Sitzung der Akademie in Berlin am Geburtstag ihres Gründers, Kaiser Wilhelms I., die im großen Sitzungssaal des Potsdamer Bahnhofs am 22. März 190924 abgehalten wurde, wo man jährlich auch künftig zusammenkam, um die Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Akademie zu unterrichten, der Toten zu gedenken, Baupreise zu verteilen und den Anwesenden die preisgekrönten Schriften der Akademie zu präsentieren. Den Festvortrag25 hielt damals Otto March über „Das ehemalige und das künftige Berlin in seiner städtebaulichen Entwicklung"26. 293 Im Ersten Weltkrieg ruhte diese Öffentlichkeitsarbeit, obwohl die Akademie auch weiterhin zu Fachsitzungen zusammentrat. Nur einmal veranstaltete sie noch gemeinsam mit der Akademie der Künste in Berlin eine Kundgebung, in der beide Akademien 1916 zum Thema „Heldenehrungen und Kriegsdenkmäler" Stellung nahmen und ebenso mutig wie vergeblich vor einer Inflation entsprechender Denkmäler minderen Niveaus warnten27. * Bald nach dem Kriege beschäftigte sich die Akademie bezeichnenderweise mit Vorschlägen (1919), wegen des großen Mangels an Backsteinen wieder eine „ausgedehnte Anwendung des Lehmbaus" zu empfehlen, und befürwortete den Bau von Probeanlagen dafür28. In einer nichtöffentlichen Gedenkveranstaltung beging sie dann 1920 ihr vierzigjähriges Bestehen. Die Medaille wurde aus diesem Anlaß Robert Bosch (Stuttgart) für seine Verdienste um die Förderung der technischen Wissenschaften und R. Koldewey (Berlin) für seine Erforschung der antiken Baugeschichte zuerkannt. Einer Denkschrift der Architekturabteilung der TH in Berlin-Charlottenburg stimmte man im allgemeinen zu, vor allem fand man an ihr empfehlenswert, „daß den Studierenden der oberen Semester weitgehend Freiheit in der Wahl der Lehrfächer zugestanden werde, um im Rahmen einer einheitlichen Diplomprüfung den Neigungen nach künstlerischer Betätigung einerseits und der mehr wissenschaftlich-technischen Richtung andererseits nach Möglichkeit Rechnung zu tragen"29. Ein im selben Jahr gebildeter Ausschuß sollte schließlich die Frage prüfen, ob „angesichts der starken Zuständigkeitsveränderungen im Bauwesen nicht die Umwandlung der Akademie des Bauwesens in eine Reichsakademie anzustreben sei"30. Doch es kam anders: Am 16. Februar 1921 gab das Preußische Staatsministerium bekannt, daß die bisher dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten zugeteilte Hochbauabteilung durch Beschluß vom 3. März 1920 dem Finanzministerium angegliedert werde31 und damit außer dem Technischen Ober-Prüfamt, den Redaktionen der „Zeitschrift für Bauwesen", des „Zentralblattes der Bauverwaltung" und der „Denkmalspflege" am 1. April auch die Akademie des Bauwesens bei diesem Ministerium ressortiere32. Umwandlungspläne in eine Reichsakademie wurden offenbar nicht weiterverfolgt. Am 22. März 1921 konnte nach sieben Jahren erstmals wieder eine öffentliche AkademieSitzung im großen Saal des Potsdamer Bahnhofs abgehalten werden, in der Präsident Dr. Sympher, der Hinckeldeyn am 30. September 1919 abgelöst hatte, bedauerte, daß die Aufgaben des Gremiums in den letzten Jahren hinter den Anforderungen, die der Krieg an die Mitglieder gestellt hatte, zurücktreten mußten33. Für die große Zahl der in diesen Jahren Verstorbenen (= 29), zu denen u. a. Anton v. Werner und Werner v. Siemens gehörten, sollten allmählich neue Mitglieder nachgewählt werden. In einer Entschließung sprach sich die Akademie auch für die Errichtung von Hochhäusern aus, doch warnte sie zugleich „vor einer Häufung von Turmhäusern" in den Städten und riet überdies noch zur Vorsicht bei der Verwendung zu Wohnzwecken34. Im kommenden Jahr beschäftigte sich die Akademie in einer Vollsitzung mit der von privater Seite ins Leben gerufenen „Deutschen Akademie des Städtebaus" und kritisierte, „daß diese Sonderinteressen verfolgende Gründung nach außen im Gewände einer staatlichen Einrichtung mit behördlichem Charakter aufzutreten suche und außerdem einen Aufgabenkreis behandeln will, für den die Akademie des Bauwesens die zuständige Stelle bildet"35. In der öffentlichen Sitzung am 22. März 1922 konnte der neue Präsident, Oberhofbaumeister i. R. Geyer, der nach Symphers Tod am 16. Januar 1922 dieses Amt übernahm (und es bis zum 31. Dezember 1928 innehaben sollte), unter den Gästen der Akademie auch erstmals „ihren" 294 neuen Minister, den preußischen Finanzminister v. Richter, begrüßen. Im übrigen äußerte Geyer die Hoffnung, daß die neugefaßte Geschäftsordnung der Akademie vom 14. Juli 192236, die sich freilich im wesentlichen an die alten „Instruktionen" anlehnte, „gerade in der Zeit größter deutscher Not37 die Aufgabe der Akademie erleichtern werde, die Ideale technischen Schaffens zu hüten und zu fördern"38. Immerhin wurde die Zahl der ordentlichen Mitglieder nun auf 30 Architekten und 40 Ingenieure erhöht, um sich auch personell der fortschreitenden Spezialisierung in der Technik besser gewachsen zu zeigen. Auch 1923 änderte sich die schlechte finanzielle Situation der Akademie, entsprechend der allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Lage Preußens, noch keineswegs. So bedauerte Geyer in seinem Rechenschaftsbericht, daß es der Akademie nicht möglich sei, die bisherigen Staatspreise zu verteilen, Zuschüsse zur Drucklegung wissenschaftlicher Arbeiten zu leisten, da noch keine Mittel zur Verfügung gestellt werden konnten und auch das Stiftungsvermögen während der Inflationszeit zusammengeschmolzen sei39. Kaum anders sah es in den Jahren 1924 bis 1926 aus. So mußte Präsident Geyer noch am 22. März 1925, als die Akademie ihr fünfundvierzigjähriges Bestehen beging, in seiner Eröffnungsansprache darauf hinweisen, wie sehr die quasi mittellose Akademie „behindert sei, ihre überlieferte Aufgabe zu erfüllen". Gleichwohl arbeite sie „trotz der eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten weiter": so konnte von ihr mit einer privaten Beihilfe die Veröffentlichung „der dem Verfall entgegengehenden Schinkelschen Fresken in der Vorhalle des Alten Museums" erreicht werden40 - die erste wichtige Entscheidung dieses um das Werk Schinkels verdienten Gremiums! Die Akademie konnte sich außerdem zu einer Reihe von Baufragen gutachterlich äußern und verlieh auch wieder ihre Medaille. Im Jahre 1926 förderte die Akademie durch eine gutachterliche Stellungnahme (vom 7. Mai) den Aufbau des Markttors von Milet in dem von Messel-Hoffmann errichteten Neubau der Antiken-Abteilung der Staatlichen Museen nach den damals noch „vielumstrittenen"41 Plänen Theodor Wiegands42. Trotz solcher Vorhaben bezeichnete es Geyer in seinem Jahresbericht vom 22. März 1927 als „herzlich erwünscht, daß die Staatsbehörden, die städtischen Verwaltungen und öffentlichen Verbände mehr als bisher nach dem Kriege von der Tätigkeit der Akademie als begutachtende Körperschaft für alle bedeutsamen Fragen des Bauwesens Gebrauch machten". Zugleich konnte er mit Befriedigung feststellen, daß der Akademie erstmals wieder „mehr Mittel durch den preußischen Finanzminister zur Verfügung gestellt worden seien, um wissenschaftliche Arbeiten zu unterstützen"43. Auch in den folgenden Jahren blieb die Gutachtertätigkeit der Akademie, wie Geyer am 22. März 1928 ausführte, noch „beschränkt durch die geringe Bautätigkeit unserer wirtschaftlich bedrängten Zeit"44. Erwähnenswert sind gleichwohl die Gutachten über das Schiffshebewerk Niederfinow45 und die neue Berliner Baupolizeiordnung. Erst 1929 war es der Akademie des Bauwesens unter ihrem neuen und letzten Präsidenten, dem Ministerialdirektor im Verkehrsministerium, Dr.-Ing. E. h. Johannes Gährs (Abb. 3), endlich wieder möglich, eine Preisaufgabe zu stellen, die der „Vervollkommnung des Eisenbetonbaues in der Konstruktion und Formgebung" gelten sollte46. In seinem Erläuterungsvortrag dazu hatte Professor Dr. W. Gehler (Dresden) schon am 9. November 1928 diese Preisaufgabe begründet: „Während die Gebiete der Säulen und Gewölbe, der gebogenen Balken und der Rahmen theoretisch als voll ausgebaut bezeichnet werden können und nur hinsichtlich der Ausführungsverfahren noch Fortschritte zu erwarten sind, eröffnen sich noch viele Anwendungsmöglichkeiten für Platten und Schalen, sowie für den Zusammenbau von Fertigzeugnissen ..." 47 . Im Jahre 1929 verfügte der Preußische Finanzminister, Dr. Höpker Aschoff, am 1. Februar 295 Abb. 3: Dr.-Ing. E. h. Johannes Gährs, Präsident der Akademie des Bauwesens (1929-1944) (Foto: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz) nochmals einige Änderungen an den aus dem Jahre 1880 stammenden, zuletzt 1922 revidierten Instruktionen der Akademie, die aber am 6. Mai 1929 in neuer Fassung erlassen wurden. Ein Jahr später, am 7. Mai 1930, konnte die Akademie ihr fünfzigstes Bestehen feiern und zu diesem Anlaß eine zweite Festschrift herausgeben48, die aber leider weder einen geschichtlichen Rückblick noch ein Verzeichnis der Akademie-Gutachten enthält. Sie bietet außer dem an anderer Stelle schon wiederholt abgedruckten Gründungserlaß des Kaisers (1880) allerdings den Wortlaut der vervollständigten „Geschäftsordnung" aus dem Vorjahr, ferner ein Verzeichnis der Akademie-Präsidenten und Abteilungsdirigenten seit 1880, der Medaillenträger (Architekten und Ingenieure) seit 1909, der Stiftungen für bedürftige und würdige Studierende an der Technischen Hochschule Berlin49, schließlich ein Verzeichnis aller Akademie-Mitglieder seit 1880 (geordnet nach dem Jahr ihrer Berufung in dieses Gremium). So dankenswert das ist, so stellt sich doch die Frage, warum die inhaltliche Aussage so dürftig ausfiel, warum man einen Rückblick bzw. Tätigkeitsbericht vermied, und sei es auch wiederum nur in Form einer Gutachten-Tabelle. Die Jubiläumsrede von Präsident Gährs, die er anläßlich einer Festsitzung am 7. Mai in der alten Aula der Friedrich-Wilhelms-Universität hielt, gibt darüber zumindest indirekt Aufschluß: Leider, so mußte er rückblickend bekennen, entfallen auf die in fünfzig Jahren erstatteten 343 Gutachten der Akademie des Bauwesens nur 85 auf die Zeit von 1905 bis 1930, 258 aber auf die ersten fünfundzwanzig Jahre (1880 bis 1905). Wo lagen die Gründe für diesen Rückgang? Sicherlich nicht allein in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der kaum „Monumentalbauten" errichtet wurden, deren Entwürfe der Akademie sonst vorgelegt worden wären, sondern äußerlich betrachtet trug schon der Umstand dazu bei, daß das Ministerium der öffentlichen Arbeiten aufgelöst worden war und die Anordnung dieses 296 Ministers, entsprechende Entwürfe der Akademie zur Begutachtung vorzulegen, „allmählich in Vergessenheit geraten" war. Der tiefere Grund lag aber wohl in einer wesentlichen Verbesserung der Ingenieursausbildung der letzten fünfzig Jahre. Gährs betonte, daß deshalb „oft nicht mehr das Bedürfnis besteht", entsprechende Projekte der Akademie vorzulegen. Hinzu komme das immer mehr zunehmende Ausschußwesen, so daß auch einige der der Akademie „zugedachten Aufgaben inzwischen in erweitertem Ausmaße auf besondere Ausschüsse übergegangen sind". Gährs fragte angesichts dieser Lage, was für die Akademie zu tun übrig bleibe. Er sah jedoch Zukunftsaufgaben 1. in der Begutachtung neuer Baustoffe, wie Beton und Eisenbeton, 2. in der Errichtung neuer technischer Bauten mit höherer Lebensqualität (in denen sich künftig „alle Menschen wohl fühlen"), 3. im Umweltschutz (ohne allerdings diesen Begriff zu verwenden), denn Gährs warf der Technik, deren Leistungen er anerkannte, vor: „sie macht zuviel Lärm, sie verdirbt die Luft durch Staub und Abgase ihrer Maschinen; Abwässer verunreinigen die Flüsse, und schöne Landschaften werden oft durch häßliche Bauten zerstört". Der Präsident sah voraus, daß künftig die Beratertätigkeit der Akademie auf diesem Felde wichtiger werden würde als früher. Ferner sollte sich die Akademie 4. zur Belebung ihrer Arbeit verstärkt der Denkmalspflege bzw. Baugeschichte, und zwar zunächst Schinkel und dessen bevorstehendem 150. Geburtstag, zuwenden. Die Akademie wollte daher noch im Jahr ihres eigenen Jubiläums zur Erhaltung der Schinkel-Fresken im Alten Museum durch Bildung eines besonderen Ausschusses beitragen, in dem Dammeier den Vorsitz übernahm (weitere Mitglieder waren Blunck, Hielke, Krencker, Nonn und Rave, der als Leiter der Beuth-Schinkel-Sammlung auch die Schriftleitung für die geplante Herausgabe des K.-F.-Schinkel-„Lebenswerkes" übernahm). Einen weiteren Ausschuß gründete man zum Schutz gegen die Gefahren, die den auf Pfahl- und Schwellrosten gegründeten historischen Bauten in der Berliner Innenstadt durch Senkung des Grundwasserspiegels drohten. Die Geldmittel der Akademie konnten zum Jubiläum erstmalig seit 1907 von 15 000 Mark auf jährlich 20000 Mark erhöht werden. Sie wurden, wie bisher, zur Veröffentlichung wertvoller Vorträge, für Preisausschreiben und Beihilfen bauwissenschaftlicher Arbeiten verwandt. Die Medaille der Akademie wurde von 1909 bis 1929 neunmal an Architekten, zwölfmal an Ingenieure vergeben und 1924 auch erstmals an ein Akademie-Mitglied, an den früheren Präsidenten Hinckeldeyn. Die Verleihung der Medaille an Ludwig Hoffmann (Berlin), Fritz Schumacher (Hamburg), Heinrich Zimmermann (Berlin) und Waldemar Hemmich (Berlin) krönte auch die Festsitzung der Akademie im Jahre 1930. Zu neuen Mitgliedern wählte die Versammlung Hans Poelzig und Peter Behrens, gleichsam als Bestätigung der an Maybach gemahnenden Worte Höpker Aschoffs anläßlich des Jubiläumsempfanges, daß Ergänzungswahlen der Mitglieder immer mehr das Bestreben zeigten, „der Akademie führende Männer des modernen Bauwesens zuzuführen"50. Ministerialdirektor Gährs zeichnete nicht nur zum Jubiläum, sondern auch im Jahr darauf, als man am 22. März 1931 im Gelben Saal des Hotels Kaiserhof zusammenkam, ein positiveres Bild vom Verlauf der Gutachtertätigkeit, die wieder „neuen Stoff erhalten habe", und auch für die Herausgabe wissenschaftlicher Schriften seien Beihilfen bewilligt worden51. Im Jahr 1932 feierte die Akademie die hunderste Wiederkehr von Goethes Todestag, da dieser die „bedeutungsvolle Entwicklung" der Technik vorausgesehen habe. Präsident Gährs verteidigte „die für viele Schäden in der menschlichen Gesellschaft zu Unrecht verantwortlich gemachte Technik" und betonte im Gegensatz zu Spenglers Pessimismus, „daß die zweifellos vorhandene Ausartung in der Anwendung technischer Prinzipien in Zukunft durch eine technische Planwirtschaft vermieden werden könne, die das menschliche Wohlergehen dem wirtschaftlichen Nutzen überordnet"52. Unter den Gutachten fand das über den Umbau der 297 Berliner Binnenschiffahrtsschleuse am Mühlendamm, der das Ephraimsche Palais bedrohte, besondere Beachtung. Den Festvortrag über „Zeitloses und Zeitbewegtes" hielt Peter Behrens, in dem er einen Überblick über die kulturelle Lage der Gegenwart und ihre Beziehungen zur Technik bot53. In der öffentlichen Sitzung am 22. März 1934 berichtete Präsident Gährs in seinem Jahresüberblick vor allem über die die Hauptstadt betreffenden Gutachten der Akademie54, von denen ihre bereits im Januar abgegebene Stellungnahme zu „Fragen der städtebaulichen Gestaltung Berlins aus Anlaß des Erweiterungsbaues der Reichsbank" sicherlich am wichtigsten war. Darin wurde deutlich, daß die „von der Stadt gewünschte große Ost-West-Verbindung quer durch die Wilhelmstraße und durch die Ministergärten" vom Verkehrsstandpunkt ganz anders beurteilt wurde als vom künstlerischen. Entsprechend heißt es in Punkt vier der Zusammenfassung: „Die Architekten bekämpfen den Durchbruch angesichts der dabei zu opfernden geschichtlichen und städtebaulichen Werte. Die Ingenieure würdigen zwar auch ihrerseits deren Bedeutung, halten aber den Durchbruch über kurz oder lang für unvermeidlich"55. Ebenso wurde der Stand der Vorbereitungen des Schinkel-Werkes erörtert, die auf der letzten noch nachweisbaren öffentlichen Sitzung der Akademie am 22. März 1935 als „nahezu abgeschlossen" bezeichnet wurden56. Unter den von der Akademie sonst geförderten Arbeiten befand sich auch der erste Band von Geyers Monographie über das Berliner Stadtschloß57. Wirft man noch einen Blick auf den Mitgliederbestand der Akademie nach den Wahlen vom 1. Juni 1935, so fällt auf, daß außer den 57 ordentlichen Mitgliedern beider Klassen, die sich durch Zuwahl von 11 auf 68 (laut Satzung aus Berlin und Umgebung) erhöhen, die regionale Streuung der 72 außerordentlichen Mitglieder doch recht gering war: auf Preußen entfielen 35 (davon 18 ebenfalls aus Berlin), auf Bayern 12, Sachsen und Württemberg 7, auf Baden 5, Danzig 2 sowie auf Hessen, Thüringen, Hamburg und Bremen je eins; somit hatte die Akademie 1936 insgesamt 140 Mitglieder58. Schon 1936 konnten als wertvolle Arbeitsergebnisse des Schinkel-Ausschusses ein Verzeichnis des „Schinkel-Schrifttums" von P. O. Rave und ein Probedruck für das Gesamtwerk, nämlich die auf gründlichem Aktenstudium beruhende Arbeit von Johannes Sievers über das von Schinkel errichtete Berliner Palais des Prinzen August von Preußen, erscheinen. In dieser ersten Veröffentlichung - wie in allen künftigen sollte freilich „weniger der Bearbeiter als der Künstler selbst über seine Bauten zu Worte kommen"59. m Nach 1936 werden die Nachrichten über die Tätigkeit der Akademie spärlicher. Es häufen sich dagegen die Versuche nationalsozialistischer Stellen, preußische Kompetenzen auch im Bauwesen zu „verreichlichen" - wie der unschöne Ausdruck dieser Zeit lautete -, denen der preußische Finanzminister und Förderer der Akademie, Professor Dr. Joh. Popitz (Abb. 4), einen ebenso entschlossenen wie erfolgreichen Widerstand entgegensetzte. So tauchte schon in einer Denkschrift vom 13. März 1935 des nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik und der Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit zum „Neuaufbau der Reichsbauverwaltung" der Plan auf, auch die Akademie des Bauwesens dieser neuen einheitlichen Hochbauverwaltung zu unterstellen60. Als sich diese Idee nicht durchsetzen ließ, wandte sich Reichsarbeitsminister Franz Seldte am 21. April 1938 an Popitz mit dem Wunsch, „auch auf dem Gebiete der Ihnen unterstehenden Preußischen Akademie des Bauwesens ein engeres Zusammenarbeiten zu ermöglichen..." Er bedauerte zugleich, daß bisher nur ein Ministerialrat und Abteilungsdirigent seines Ministeriums (Professor Schmidt) der Akademie angehörte, und bat bei Neuwahlen um die Aufnahme von Ministerialrat Scholz als Leiter der Abteilung „Städtebau", doch offenbar vergeblich61. Zu den wenigen prominenten Nationalsozialisten in 298 Abb. 4: Professor Dr. Johannes Popitz, Preußischer Finanzminister (1932-1944) (Foto: Landesbildstelle Berlin) der Akademie gehörten die Generalbauinspekteure und späteren Reichsminister Professor Albert Speer und Dr.-Ing. Fritz Todt als ordentliche Mitglieder. Im Jahresbericht der Akademie für 1938 (vom 16. und 18. Februar 1939), dem letzten Friedensjahr, wird nochmals auf das Gutachten über den Neubau der großen Strombrücke in Magdeburg aus dem Jahre 1936 zurückgegriffen«, ferner ein Gutachten für das Reichsverkehrsministerium über eine neue Tauchschleuse erwähnt, schließlich Vorträge und Ausschußsitzungen, darunter auch über das „Schinkel-Werk", von dem auch 1938 einige Abschnitte „im Manuskript zuende geführt und in Druck gegeben werden" konnten". Wie im Ersten Weltkrieg scheint die Gutachtertätigkeit der Akademie auch während des Zweiten Weltkriegs weitgehend geruht zu haben. Neu- bzw. Wiederwahlen haben wohl seit 1937 nicht mehr stattgefunden, doch traten die Mitglieder der Akademie noch einmal am 23. Februar 1940 zu ihrer (vorletzten) Plenarsitzung zusammen, auf der als erster Band des Schinkel-„Lebenswerkes" (Abb. 5) Hans Kanias Buch „Potsdam, Staats- und Bürgerbauten" (erschienen 1939) vorgelegt werden konnte. Die Akademie beschloß damals, die von Finanzminister Popitz angeregte und von Franz Jahn 64 gemeinsam mit Hilfskräften in Stettin, Königsberg i. Pr. und Berlin geförderte „Geschichte der preußischen Staatsbauverwaltung" herauszugeben65. Den Arbeitsertrag archivalischer Forschungen in Stettin über die staatliche preußische Bautätigkeit in Pommern (1770 bis 1809) konnte er noch in einem umfangreichen Bericht niederlegen66, in dem er besonders auf die Bedeutung von David Gilly67 hinwies. Sem zweiter ausführlicher Bericht über die staatliche Bautätigkeit in Neuostpreußen (1793-1807)68 blieb leider ungedruckt. Als erstes abgeschlossenes Ergebnis seiner Quellenstudien wollte Jahn 299 n H H H H H H Abb. 5: KARL FRIEDRICH Titelblatt des ersten Bandes, Berlin 1939 (Foto: Reprographie der Freien Universität Berlin) SCHINKEL HERAUSGEGEBEN VON DER AKADEMIE DES BAUWESENS eine Sonderveröffentlichung zur Baugeschichte von Plock (Schröttersburg) herausgeben, wozu es aber infolge seines Todes in den letzten Kriegstagen nicht mehr kam69. Weitere Akademiesitzungen wurden seit Februar 1940 zunächst kaum noch abgehalten, „da der Akademie in den letzten Jahren keine wichtigen geschäftlichen Aufgaben vorlagen", wohl aber wurden bis zum 12. November 1943 noch zwölf Vortragsnachmittage veranstaltet. Wegen der an sich fälligen Neuwahlen schrieb Präsident Gährs schon am 28. Februar 1941 an Finanzminister Popitz, „daß die gegenwärtige Kriegszeit es angezeigt erscheinen läßt, diese Wahlen vorläufig auszusetzen". Dem stimmte Popitz zunächst befristet bis Anfang 1942 zu. Ob er dafür auch die Zustimmung Görings herbeiführte, ist nicht festzustellen. Am 2. Februar 1942 entschloß sich der Finanzminister endlich, Neuwahlen überhaupt „bis zur Beendigung des Krieges weiter aufzuschieben"70. Die letzte Gesamtsitzung und wohl auch der letzte Jahresbericht der Akademie des Bauwesens trägt das Datum vom 21. Januar 1943. Präsident Gährs beklagte darin den Tod von 17 Mitgliedern, unter ihnen auch von Behrens, Dörpfeld und Schaper. Die erforderlichen Vorbereitungen für Neuwahlen sollten für Ende 1943 getroffen werden, wenn satzungsgemäß erneut ein Drittel der Mitglieder ausscheiden mußte. Auf Wunsch des Generalbauinspekteurs für die Reichshauptstadt Berlin wurde die Aufstellung einer Grabstättenkartei von Berliner Baufachleuten durch die Akademie beschlossen; als Bearbeiter wurden Geßner, Rüster und Hertwig benannt. Inzwischen waren noch drei weitere Bände des Schinkel-Lebenswerkes erschienen, nämlich „Schlesien" von Günther Grundmann, „Berlin I" von Paul Ortwin Rave und „Bauten für den Prinzen Karl" (= Glienicke und das Ordenspalais) von Johannes Sievers; weitere Bände standen unmittelbar vor dem Abschluß. 300 Abb. 6: Vortragszimmer im Preußischen Finanzministerium / Sitz der Akademie des Bauwesens, ein Festraum aus der Schinkelzeit (früher im abgebrochenen Weydinger-Haus, Unterwassergasse 5) (Foto: Reprographie der Freien Universität Berlin) Im Jahre 1944 wurde das Büro der Akademie im Preußischen Finanzministerium (Abb. 6 u. Titelbild) bei „Terrorangriffen"71 am 23. Mai nahezu zerstört; Brände vernichteten die meisten Unterlagen, die heute noch über die Tätigkeit der Akademie hätten Auskunft geben können. Eine Ausnahme bilden Registraturreste aus den Jahren 1944/45, die nach Kriegsende ins Geheime Staatsarchiv gelangt sind, ferner die zumeist eigenhändig ausgefüllten, „in besonderer Verwahrung" befindlichen72 Personalbögen der Akademie-Mitglieder. Sie stellen eine unersetzliche, bisher kaum genutzte Quelle zur preußischen Baugeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, speziell ihrer Architekten und Ingenieure, dar; aus der Vielzahl bekannter Namen seien wenigstens die folgenden als Beispiele genannt: Peter Behrens, Wilhelm Cauer, Wilhelm Dörpfeld, Otto v. Falke, Ed. Fürstenau, Wilhelm Kreis, Max Leibbrand, Werner March, Paul Mebes, Oskar v. Miller, Hermann Muthesius, Bruno Paul, Hans Poelzig, Gottwalt Schaper, Paul Schmidthenner, P. Schultze-Naumburg, Franz Schwechten, Albert Speer, Heinrich Tessenow, Paul Wittig usw.73 Die neu angelegten Sachakten der Akademie zeugen besonders im ersten Halbjahr 1944, solange Professor Popitz als Preußischer Finanzminister und Chef der Staatshochbauverwaltung noch im Amt war, von dessen unablässigem Bemühen, den Druck des zweiten Bandes von Geyers Monographie über das Berliner Schloß, vor allem aber den des Schinkel-Werkes voranzutreiben74. So heißt es noch in seinem Schreiben vom 6. Juni 1944 an den Deutschen Kunstverlag, dem er versichert, daß er es auch weiterhin nicht an der nötigen finanziellen Unterstützung fehlen lassen wolle: „In einer Zeit, die so manches Werk Karl Friedrich Schinkels geschädigt oder schon vernichtet hat und weitere mit Vernichtung bedroht, ist es 301 doppelt wichtig, das Wirken dieses großen Künstlers wenigstens durch vorbildliche Veröffentlichungen der Nachwelt zu überliefern"75. Einen Monat später wurde er wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen Hitler (20. Juli 1944) verhaftet und später hingerichtet76, sein Ministerium, das letzte preußische Fachressort, aufgelöst bzw. dem Reichsfinanzministerium angegliedert. So hat Popitz den Druck, wenigstens des Pommern-Bandes von Hans Vogel, der dank seiner steten Förderung 1952 noch als erster nach dem Kriege erscheinen konnte, nicht mehr erlebt. Im letzten Rundbrief an sämtliche Mitglieder der Akademie des Bauwesens vom 27. Dezember 1944 wird unter Hinweis auf Fliegerangriffe, Mangel an geeigneten Räumlichkeiten usw. lediglich mitgeteilt, „daß sich bisher keine Möglichkeiten gefunden haben, Sitzungen anzuberaumen oder Vortragsnachmittage zu veranstalten". Ferner heißt es darin: „Durch die Auflösung des Preußischen Finanzministeriums hat sich an der rechtlichen Stellung der Akademie des Bauwesens insofern nichts geändert, als daß sie ebenso, wie die Hochbauabteilung des Preußischen Finanzministeriums, an das Reichsfinanzministerium übergegangen ist"77. Verschwiegen wird in diesem Rundbrief, daß Präsident Gährs im Oktober 1944 „die Geschäfte des Präsidenten niedergelegt" und sich aufsein Gut Sellin im Regierungsbezirk Köslin (Hinterpommern) zurückgezogen hatte78. Statt dessen heißt es nur, daß der Vizepräsident der Akademie und Berliner Architekt, Professor A. Geßner, ehemals Vorsitzender des Landesbezirks Brandenburg im Bund deutscher Architekten (BDA), „durch die Abwesenheit des Herrn Präsidenten von Berlin" die Geschäfte „bis zu seiner Rückkehr übernommen" habe 7 '. Doch Geschäfte fielen kaum noch an. Abgesehen von Glückwunschschreiben zu besonderen Geburtstagen 80 oder Kondolenzen zum Tod einzelner Mitglieder und der üblichen Korrespondenz über kriegsbedingte Anschriftenänderungen, ruhte die Tätigkeit der Geschäftsstelle der Akademie, die sich bis zuletzt im stark beschädigten, heute wiederhergestellten Gebäude des Preußischen Finanzministeriums in Berlin-Mitte, Am Festungsgraben 1 (hinter dem Kastanienwäldchen), befand81. Anders als ihre beiden älteren Schwestern, die Akademie der Künste und die Akademie der Wissenschaften, erfuhr die Akademie des Bauwesens m. W. nach 1945 keine Neubelebung mehr. Ihre Aufgaben nehmen heute die verschiedensten Gremien in Ost und West wahr. Anschrift des Verfassers: Archivoberrat Dr. Eckart Henning M. A., Lückhoffstraße 33, 1000 Berlin 38 1 2 3 4 5 6 7 Vgl. Gesetz-Sammlung für die kgl. preußischen Staaten (= GS), 1880, S. 261 f.; Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung 1882, S. 331-333. Die Akademie ist nicht zu verwechseln mit der 1799 gegründeten Bauakademie als Vorläuferin der Technischen Hochschule Charlottenburg (1879) bzw. der Technischen Universität Berlin (1946). Begründet durch die Verordnung über die obere Verwaltung des Bauwesens vom 22. Dezember 1849; vgl. GS, 1880, S. 15. Als ideelle Vorläuferin der Akademie des Bauwesens nahm jedoch Präsident Gährs im Jubiläumsjahr 1930 (s. d.) die von Beuth begründete ältere technische Deputation in Anspruch, deren Geist die Akademie fortsetze, obgleich sie eigentlich Nachfolgebehörde dieser 1850 eingesetzten Baudeputation sei. Bis September 1876. Bis 1875 fungierte die Deputation auch als Kuratorium der Bauakademie. Zit. nach dem Bericht über die Feier des fünfundzwanzigsten Bestehens der Königlichen Akademie des Bauwesens; in: Zentralblatt der Bauverwaltung (= ZB) 25 (1905), S. 537-539; hier S. 538. Votum des Abgeordneten Reichersperger; in: Stenographische Berichte der Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, 20. Sitzung vom 6. Dezember 1879, Berlin 1880, S. 484. Im Kontrast zum deutschen Ausbildungssystem, das man als allzu bürokratisch und theoriebetont empfand, empfahl R. die Nachahmung des in England überlieferten Systems der Meisterschulen und deren empirische Ausbildung. 302 8 Erst der Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 13. September 1881 bezeichnete diejenigen Bauunternehmungen, die unbedingt der Beurteilung der Akademie unterworfen werden sollten, sowie diejenigen, bei denen das nur der Fall sein sollte, wenn die Kosten 750 000 Mark übersteigen würden, vgl. ZB 1 (1881), S. 247. 9 Vgl. den Jahresbericht der Akademie des Bauwesens; in: ZB 2 (1882), S. 239 f. 10 Die Akademie des Bauwesens blieb von 1880 bis 1920 der Fachaufsicht des Ministers der öffentlichen Arbeiten unterstellt. 11 Zit. nach dem Bericht über die Feier zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen, a.a.O., S. 538. Über Maybach vgl. Friedrich Jungnickel: Staatsminister Albert von Maybach, Stuttgart und Berlin 1910. 12 ZB 25, 1905, S. 538 f. 13 ibd. 14 Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung 41 (1880), S. 212-215. Diese Instruktion galt mit einigen Abänderungen des Ministers vom 3. November 1899 bis 1922. 15 Wobei der Präsident zugleich Dirigent einer Abteilung sein konnte, was zur Regel wurde. 16 Die Königliche Akademie des Bauwesens 1880-1905, Berlin 1905. " Die kgl. preußische Akademie des Bauwesens und die bauliche Entwicklung der Stadt Berlin; in: Deutsche Bauzeitung 32 (1898), S. 301. 18 Für die Weiterentwicklung wurde später der Deutsche Ausschuß für Eisenbeton gegründet. " Im ZB 1 (1881), S. 366, wird ein Akademie-Beschluß über die Veröffentlichung ihrer Berichte und Arbeiten erwähnt, wonach die Akademie sie von Fall zu Fall „in den ihr geeignet erscheinenden Fällen" beim Minister der öffentlichen Arbeiten beantragen soll. 20 ZB 25 (1905), hier S. 539. 21 ibd., S. 537. 22 ibd., 27 (1907), S. 68. 23 Abb., ibd., 29 (1909), S. 171. Die Medaille ist das Ergebnis eines Preisausschreibens der Akademie vom 10. Januar 1908 (vgl. ZB 28 [1908], S. 13), zu dem 132 Modellskizzen von 119 Künstlern eingegangen waren, die vom 16. bis 26. April 1908 im Kunstgewerbemuseum ausgestellt wurden (ibd., S. 217). Diese Medaille der Akademie ist nicht identisch mit der von ihr schon 1880 begutachteten, durch Allerhöchsten Erlaß vom 13. Juni 1881 geschaffenen Medaille, die ursprünglich in Gold durch den Kaiser, in Silber durch den Minister der öffentlichen Arbeiten verliehen wurde. Erst seit den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts wird diese letztere Medaille als „Medaille der Akademie" bezeichnet (vgl. ZB 2 [1882], S. 240). 24 Diesen Brauch behielt man übrigens auch während der Weimarer und in der Hitler-Zeit bei. 25 Die Festvorträge wurden zumeist im Zentralblatt der Bauverwaltung abgedruckt und spiegeln das hervorragende Niveau dieser Veranstaltungen wider. 26 ZB 29 (1909), S. 163, und 169-171. 21 ibd., 36 (1916), S. 181 f. 28 Eingabe Siebolds (Bethel), vgl. ibd., 39 (1919), S. 526. 25 ibd., 40 (1920), S. 527. 30 ibd., S. 292. 31 ibd., S. 169. 32 Veröffentlicht in: ZB 41 (1921), S. 165. 33 ibd.,S. 161. 34 ibd., S. 473; vgl. auch Gutachten, ibd., 42 (1922), S. 169 f. 35 ibd., S. 143. 36 Veröffentlicht im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger Nr. 159 vom 21. Juli 1922; vgl. auch ZB 42 (1922), S. 387. 37 Entsprechend galt der Festvortrag Kicktons der Wiederherstellung eines nationalen Symbols, der Marienburg. 38 ZB 42 (1922), S. 155. 35 ibd., 43 (1923), S. 152. 40 ibd., 45 (1925), S. 145. Vgl. Karl Friedrich Schinkel, Katalog zur Ausstellung der Staatl. Museen zu Berlin im Alten Museum 23. Oktober 1980 - 29. März 1981, bearbeitet von Gottfried Riemann, Berlin(-Ost) 1980, S. 147-152. 41 ZB 46 (1926), S. 240. 42 W. erhielt im gleichen Jahre auch die Medaille der Akademie; vgl. ZB 46 (1926), S. 147. 43 ibd., 47 (1927), S. 153. 303 44 ibd., 48 (1928), S. 215. ibd., 47 (1927), S. 341. ibd., 49 (1929), S. 209; die Veröffentlichung der Preisaufgabe folgte in der nächsten Nummer der Zeitschrift (= S. 232); vgl. auch S. 785. 47 W. Gehler: Das Wesen und die Formung des Eisenbetons; in: ZB 48 (1928), S. 784. Ein Auszug der preisgekrönten Wettbewerbsarbeit von Alwin Weiß (Berlin-Spandau) findet sich in der Zeitschrift für Bauwesen 81 (1931), S. 1-28: Über Gestaltung von Eisenbetonbauten. 48 50 Jahre Akademie des Bauwesens 1880-1930, Berlin 1930, 75 Seiten. 49 Zur Verfügung standen der Akademie bis 1930 nominell die Eytelwein-Stiftung (1832), die Hagen-Stiftung (1870), die Ende-Stiftung (1907) und die Havestadt-Stiftung (1909). Sie waren jedoch durch die Inflation praktisch erloschen. 50 Sämtliche Zitate, die die Festsitzung betreffen, aus dem Bericht: Fünfzig Jahre Akademie des Bauwesens; in: ZB 50(1930), S. 345, m. Abb. der Goldenen Medaille (des Bildhauers Erwin Scharff, Berlin), mit Ansprache des Präsidenten Gährs (S. 346-348) und dem Festvortrag von Martin Kießling: Staatsgedanke und Baukunst (S. 349-353). 51 ZB 51 (1931), S. 208. 52 ibd., 52 (1932), S. 178. 53 ibd., S. 361-365. 54 ibd., 54 (1934), S. 182. 55 ibd., 55 (1935), S. 297-316; hier S. 316. 56 ibd., S. 259 f. 57 An der Fortsetzung durch Kühn/Peschken/Wiesinger wird noch gearbeitet. 58 Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (= GStA), Rep. 151, Nr. 3529. 59 ZB 56 (1936), S. 156. Vgl. dazu auch Johannes Sievers: Aus meinem Leben. Als Ms. vervielfältigt, Berlin 1966, S. 398 ff. u. M. Kühn im Vorwort zu G. Peschken: Das Architektonische Lehrbuch. München 1979, S. 1 ff. (= Schinkel-Lebenswerk III, 1). 60 GStA, Rep. 151, Nr. 3469, Bl. 5 der Denkschrift. 61 ibd., Nr. 3529. 62 Besonders gedrucktes Gutachten in: Rep. 151, Nr. 3530. 63 Es war beabsichtigt, es zu Schinkels 100. Todestag am 9. Oktober 1941 fertigzustellen. 64 E. Henning: In memoriam Dr. Franz Jahn; in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 75 (1979), S. 106-110. 65 GStA, Rep. 92 Jahn, Nr. 5, enthält u.a. Sitzungsbericht der Akademie des Bauwesens vom 21. November 1941. 66 Aus der Tätigkeit der Preußischen Staatsbauverwaltung in Pommern (1770-1809), bearbeitet von E. Henning auf der Grundlage eines amtlichen Berichtes von Franz Jahn; in: Baltische Studien N.F. 66 (1978), S. 41-65. 67 ibd., S. 51 ff. Vgl. künftig auch den 1940 für die „Pommerschen Lebensbilder" von Franz Jahn geschriebenen Abriß über David Gilly (1745-1808), hrsg. und für den Druck bearbeitet von E. Henning; in: Baltische Studien N.F. 66 (1980), S. 80-94, m. 16 Abb. 68 GStA, Rep. 151, Nr. 3531, und Rep. 92 Jahn, Nr. 60; vgl. auch Nr. 69. 69 GStA, Rep. 92 Jahn, Nrn. 61 ff., 70-71. 70 GStA, Rep. 151, Nr. 3529. 71 GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 4. 72 Vgl. Schreiben von Regierungsbaurat i.R. Bartsch an das Berliner Hauptarchiv vom l.Juni 1951 (=Tgb. Nr. 707/51). 73 Ihre Benutzung im Forschungssaal des GStA ist prinzipiell frei, sofern das gesuchte Mitglied mindestens seit 30 Jahren tot ist. 74 GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 64. 75 ibd., Bl. 105. 76 Über Popitz vgl. Hans Herzfeld: Johannes Popitz. Ein Beitrag zum Schicksal des deutschen Beamtentums; in: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festschrift für Fritz Härtung, Berlin 1958, S. 345-365, und für die frühere Zeit Hildemarie Dieckmann: Johannes Popitz. Entwicklung und Wirksamkeit in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1960 (= Studien zur europäischen Geschichte, 4). Die Verdienste von P. um die Bauverwaltung (1932-1944) würdigt ein bisher unveröffentlichtes Manuskript seiner ehemaligen Mitarbeiter, Min.-Dir. a. D. Reck und Min.-Dirigent Dammeier: „Minister Popitz und die Preußische Staatshochbauverwaltung" (6 Maschschr.-S.) (= GStA, Rep. 151, Nr. 13 755). 45 46 304 77 78 79 80 81 GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 33. ibd., Bl. 52. ibd., Bl. 33. Die letzte Amtshandlung, die der Verf. in den noch überlieferten Akten der Rep. 210, Nr. 4, Bl. 97, feststellen konnte, war ein Glückwunschschreiben des stellvertretenden Präsidenten Geßner an den Geh. Baurat Prof. Dr. Th. Rehbock zum 12. April 1940, gezeichnet am 3. April und gefertigt am 8. April 1945. GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 92. „Man hat nicht sehr strenge sein dürfen" Wildwuchs im Berliner Elementarschulwesen des 18. Jahrhunderts Von Gerhard Krienke Berliner Eltern, die Wert darauf legten, daß ihr Kind lesen, schreiben, vielleicht auch rechnen lernte, hatten im 18. Jahrhundert die Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten: Sie konnten es in eine der zahlreichen „teutschen Privatschulen" schicken. Dies waren in der Regel Einlehrerschulen, in denen Kinder verschiedenen Alters und Leistungsstandes gleichzeitig unterrichtet wurden. Das Schulgeld war je nach Unterricht im „Buchstabieren", Lesen, Schreiben, Schreiben mit Rechnen gestaffelt und seit 1738 durch feste Sätze begrenzt. Seit dem gleichen Jahre 1 war die Gründung solcher Schulen an gleichmäßige Voraussetzungen gebunden; die kirchlichen Stellen und der Magistrat waren beteiligt geworden: „Es muß sich niemand des Schulhaltens eigenmächtig anmaßen, sondern ein jeder bei dem Inspectore und den Predigern des Kirchspiels, wo er Schule halten will, sich melden, von ihnen sämmtlich examiniert werden, und wenn er tüchtig befunden, auch deshalb ein schriftliches Testimonium erhalten, respektive sich dem evang.-reformirten Kirchen-Directorio und Magistrat allhier sistiren, und Confirmation suchen." Wo die Schule einzurichten sei, war, um eine möglichst gleichmäßige Verteilung dieser kleinen Unterrichtsgelegenheiten zu sichern, „mit den Predigern des Kirchspiels zu überlegen". Zeit und Dauer des Vor- und Nachmittagsunterrichts waren für das ganze Stadtgebiet einheitlich festgesetzt. Einige störende Gewohnheiten allerdings ließen sich damals zwar tadeln, aber schlecht reglementieren: die üblichen Unterrichtsmethoden, die Abwerbung von Kindern anderer Schulen, sehr unregelmäßiger Besuch des Unterrichts, vorzeitige Beendigung des Schulbesuchs, Wechsel der Schulen aus unzureichenden Gründen, zuweilen nur nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Schulmeister oder des Schulgeldes wegen: weil sie es „dem ersteren schuldig geblieben und damit ihm entwischen wollen". Die Eltern hätten aber auch andere Gelegenheiten nutzen und ihr Kind einer Parochialschule zuführen können. Berliner Kirchengemeinden hatten für Schulen gesorgt, in die neben Schulgeld zahlenden Kindern auch Unbemittelte aufgenommen wurden. So erhielten z. B. im Jahre 1749 in den Schulen der Dreifaltigkeitskirche etwa 200, in denen der Jerusalemskirche (beide in der Friedrichstadt) um 300 Kinder kostenlosen Unterricht2. In der erstgenannten Parochie war bereits einige Jahre davor ein anderer Fortschritt erzielt worden: Einrichtung getrennter Klassen für jüngere und ältere Schüler, den Berlinern mit wenigen einfachen Worten zur Kenntnis gebracht: Der „Jugend zum Vortheil" werde „eine jede Gattung besonders abgewartet". „Jetzo wohnen zwey und zwey Schulhalter beysammen, künftig werden sie noch näher zusammen rücken."3 Die Schulverhältnisse der Berliner Parochien waren allerdings keineswegs 305 einheitlich. Die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für Initiativen, für die Verpflichtung von Lehrkräften, Bereitstellung von Schulräumen, Beschaffung von Geld für den Unterricht Unbemittelter differierten stark. Unentgeltlicher Unterricht wurde auch in den - zuletzt 16 - vom Armendirektorium abhängigen Armenschulen erteilt. Die meisten wurden zwischen 1779 und 1781 mit den Parochialschulen vereinigt. Sie hatten, angewiesen auf Stiftungen, Zuwendungen und Spenden jahrzehntelang eine wichtige Aufgabe erfüllt. Mitte des Jahrhunderts war ihre Zentralisierung erwogen, dann aber verworfen worden: Der Schulbesuch würde dadurch unregelmäßig, die Kinder würden ermüdet und wenig aufmerksam sein, „der Gefahr nicht zu gedencken, welche den Kindern und den vielen hin- und herfahrenden Kutschen und Wagen alhier und der daher entstehenden Reitzung, die Schulen zu verabsäumen, verursacht werden könnte. Denn es sind einige Kinder, welche mitten aus der Wilhelms-Strasse, aus der Dorotheenstadt und daselbst aus der letzten Strasse solche Frey-Schulen besuchen. Einige derselben wohnen am äussersten Ende der Spandauer Vorstadt und am Oranienburger Thore, noch andre am Ende der Landsberger Strasse in der Königs-Vorstadt, andre am Ende der langen Gasse vor dem Stralauer Thore, ja auf dem Holzmarckt, andre in der Köpenicker Vorstadt. Wenn nun ein grosser Mensch von solchen Enden dieser weitläuftigen Stadt bis zum Mittel-Punct derselben (man mag ihn annehmen, wo man will) bey einem ziemlich geschwinden Gange dennoch eine halbe Stunde zubringen muß: so kan man sich leicht vorstellen, daß ein kleines Kind, welches ohndem auf dem Wege zur Schule sich gern abhalten lasset, sich wol eine Stunde lang darauf aufhalten werde; welches beym zweymaligen Besuch der Schule durch hin- und hergehen vier gantze Stunden ausmachen würde. Wobey noch die Unbequemlichkeit des Weges bey übeler Witterung, sonderlich im Winter, eine grosse Hinderniß zu verursachen pflegt."4 Gegen Ende des Jahrhunderts konnten Berliner ihre Kinder auch „Arbeitsschulen" und „Erwerbsschulen" zuführen. Für Berliner Soldatenkinder gab es einige besondere Gelegenheiten. Wurde für Einrichtungen, die dem Bereich des Elementarschulwesens angehörten, eine Sammelbezeichnung gewählt, dann begegnen wir verhältnismäßig oft dem Ausdruck „deutsche" Schule. Er wurde meist sachlich, zuweilen aber auch im abwertenden Sinne gebraucht5. Nur Teile einiger dieser verschiedenen Schulgruppen Berlins boten für später, für das 19. Jahrhundert, Ansatzstellen der Entwicklung zum Institutionellen, zu „dauerhaften sozialen Gebilden"6. I Besonders labil war die Existenz der „teutschen Privatschulen". Sie hing im wesentlichen ab von der Fähigkeit des Schulmeisters, eine zureichende Anzahl zahlender Schüler zu gewinnen, sich das Wohlwollen der Eltern zu erhalten und die Konkurrenz abzuwehren. Die Abwehr wurde erschwert durch „Winkelschulen", deren Schulhalter kein „Testimonium" erworben, keine Konzession beantragt und keine Abrede über „Gasse und Gegend" getroffen hatten. Der Magistrat suchte zwar die Interessen der konzessionierten Schulmeister zu wahren und es zu verhindern, daß Konkurrenten, die sich nicht an die Regeln hielten, ihnen „ihr Brodt benahmen"7. Es war jedoch nicht immer zweckmäßig,rigorosvorzugehen. Sachliche Erfordernisse und persönliche Umstände mußten berücksichtigt werden. Die Akten darüber vermitteln zwar keine statistisch auswertbaren Kenntnisse des Berliner Winkelschulwesens, geben aber einige Einblicke in die Verhältnisse und den Personenkreis. Unter diesem Gesichtspunkt werden die folgenden Beispiele ausgewählt8. 306 Dem Ernst Gottfried H., verheiratet, in der Dragonerstraße, „in Baltzers Behausung", also zur Miete, wohnend, war verboten worden, weiterhin Schule zu halten. Er bat den Magistrat, seine bedrängte Lage zu berücksichtigen. Er sei ein „alter schwacher Mann" und könne sich und seine Frau „nicht anders als durch die feder in Rechnen und schreiben ernehren". Er habe sich auf Zuraten seiner Nachbarn des Schulhaltens angenommen, „dieselbe haben auch ihre Kinder mier freywillig zur Schulen geschickt ohne mein Bitten". Ein Jahr habe er bereits als ein ehrlicher Mann unterrichtet, „so daß über mich keine Klage sein wird". Während bei seiner verstorbenen Kollegin Mathesen über 80 Kinder zur Schule gegangen seien, betrage seine Schülerzahl nur 20, „und ich also dehnen andern Schulhaltern wenig abtrag thue". Die meisten Schüler seien Soldaten- und Tagelöhnerkinder, für die wenig Schulgeld einkomme. Nachdem ein Prediger bescheinigt hatte, daß H. nur eine bereits früher bestehende Schule weiterführe, erlaubte es ihm der Magistrat, „die in der Königs Stadt in der Dragoner Straße bereits angelegte Privat-Schule fortzusetzen, wobey derselbe aber angewiesen wird, sich nach dem wegen der Teutschen Privat-Schulen unterm 16t. Octbr. 1738 publicirten Reglement überall zu achten"9 (1755). Der ehemalige Bierschenker L., „Bürger und Eigenthümer in der Sand Gasse vorm Königs Thor", wehrte sich besonders zäh. Ihm war 1771 Gefängnis angedroht worden, wenn er sich des Schulhaltens nicht begebe. Er teilte daraufhin dem Magistrat mit, daß er um Erlaubnis beim Oberkonsistorium nachgesucht habe, und bat, ihn „bis zum Austrag der Sache" unterrichten zu lassen. Der Magistrat nach drei Tagen: „Es bleibt bey ihm erteilten Decrete." Nachdem das Oberkonsistorium inzwischen auch die Eingabe einiger Eltern erhalten hatte, forderte es Bericht an und entschied, daß der Magistrat den L. „zur Ruhe weisen" solle. Die Angelegenheit ging friedlich aus. Schulhalter L. ließ sich prüfen und übernahm, etwa zwei Jahre nach Beginn des Streits, eine Parochialschulstelle. Auch seine Witwe wurde später als Schulhalterin genannt. Sie hatte die Erlaubnis erhalten, einige kleine Kinder bis zum Lesen zu unterrichten10. Anna Helene B., Frau eines ehemaligen Feldwebels, späteren Kastellans am Joachimsthalschen Gymnasium, späteren Akziseeinnehmers in Joachimsthal, machte bei ihrer Vernehmung (1791) geltend: Mit ihrem vom Schlage getroffenen Mann sei sie wieder nach Berlin gezogen und habe angefangen zu unterrichten, was sie übrigens früher „mit Erlaubnis" auch schon getan hätte, um das Familieneinkommen aufzubessern. Die Eltern der Schüler wären mit ihr zufrieden. Ihr wurde „in Betracht der von ihr ad Protocollum angezeigten Umstände" der Unterricht, eingeschränkt auf Mädchen bis zu 11 Jahren, erlaubt, „widrigenfalls derselben alles Schulhalten gäntzlich untersagt werden soll". Maria Catharina K., Witwe, die noch eine 89jährige Mutter ernähren mußte, wurde gleichfalls in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. Sie durfte nur noch in weiblichen Handarbeiten unterrichten. Die Knaben, die angeblich nur zum „Stillesitzen" in ihre Schule geschickt worden seien und denen sie etwas „Buchstabieren" beigebracht habe, wurden ihr entzogen, „weil letzteres nur ein Vorwand zu seyn scheinet und zum Mißbrauch Anlaß geben kann" (1791). Auf Handarbeiten wurde auch der Unterricht bei Maria Henriette A. reduziert, die sich darauf berufen hatte, „von Jugend auf bey adelichen Herrschaften Kinder unterrichtet" zu haben und daß „ich keine andere Art mich zu ernähren weiß, indem ich zu alt bin, um bey Herrschaften unterkommen zu können" (1791). Das Winkelschulwesen nahm einen beachtlichen Umfang an, doch läßt sich nicht in allen Fällen feststellen, was gegen unerlaubtes Schulehalten unternommen wurde. Oft finden sich in Erhebungen und Anzeigen nur Hinweise in kurzer Form: auf einen Mann, „ist ehedem Verwalter gewesen"; auf „eine Person, so einen Schneider Gesellen zum Mann hat, der Mann arbeitet auf die Profession und die Frau hält Schule"; auf die „alte Frau" T. in der Rosenthaler 307 Straße; die „Frau Seh." am Schönhauser Tor; den Unteroffizier St. in der Schönhauser Straße, „welcher denen concessionirten Schulhaltern die Kinder aus ihren Schulen lockt und mit ihnen Commödien und andere Spiele vornimmt, wodurch erstere sehr verlieren". Es war bereits erwähnt worden, daß Schulhalter und Eltern sich gegen ein Verbot zu wehren versuchten. Hier ein Beispiel einer durchaus wohlwollenden Regelung nach einer Elternbeschwerde: Propst Zöllner hatte 1794 abgeraten, einer Schulhalterin die beantragte Konzession zu erteilen, und statt dessen die Beschränkung auf weibliche Handarbeiten empfohlen. Der Vater einiger Schulkinder, ein Kanzleiinspektor, protestierte. Aus seinem Schreiben geht u. a. hervor, daß er die Schulhalterin ursprünglich gegen freie Wohnung und Kost zum Unterricht seiner eigenen Kinder angenommen und auch einen Sprachmeister sowie einen Schreib- und Rechenmeister hinzugezogen hatte. Um die Kosten erträglich zu halten, waren auch noch Kinder aus andern Familien beteiligt worden. Propst Zöllner hatte auf dies Schreiben hin die Schule inspiziert und dem Magistrat berichtet, daß er die Angelegenheit nunmehr anders beurteile: Die Inhaberin der Schule, Demoiselle Rückin, „ist von Person gebrechlich gebaut und hat kaum größere Fähigkeiten, als erforderlich sind, kleine Mädchen im Lesen und Buchstabiren außer weiblichen Handarbeiten zu unterrichten. In ihrer kleinen Schulanstalt fand ich 14 Kinder, nemlich 12 Mädchen und zwei kleine Knaben von sechs oder sieben Jahren. Alle diese Kinder waren munter und froh und hatten in der That so viele Kenntnisse, als nach der Zeit, in welcher sie die kleine Schule besucht hatten, bei ihrem Alter zu erwarten waren. Ich habe mich umständlich mit ihnen unterredet, und sie besaßen (wenigstens die älteren) so viele Fertigkeit im Ausdruck und so viele Freymütigkeit, daß sie meine Fragen, durch die ich ihre Übung im Nachdenken beurtheilen wollte, ziemlich befriedigend beantworteten." Die „Fortsetzung" der Schule möge gestattet werden, und zwar unter folgenden Bedingungen: Höchstzahl 20 Kinder; Knaben jedoch nur bis zum 7. Lebensjahr „zum Erlernen der ersten Anfangsgründe"; keine Heranziehung solcher „Nebenlehrer", „welche nicht geprüft und approbirt sind". „Dies letztere ist eine wesentliche Bedingung." Es sei notwendig, darauf zu achten, „weil gewöhnlich die wohlfeilsten, mithin auch schlechtesten Stundenlehrer genommen werden." Der Magistrat entschied in diesem Sinne. II Nun existierten Schulen, die der erstrebten Ordnung entgegenstanden, nicht nur in Berlin. Sie waren auch andernorts keine Novitäten. Berlin wies aber darüber hinaus im letzten Drittel des Jahrhunderts noch eine Gruppe anderer privater Elementarschulen auf, die sich mit Erfolg einer Reglementierung entziehen konnten: die kleinen „französischen" Schulen. Zur Erläuterung ein kurzer Protokollvermerk: 1792 hatte der Magistrat entschieden: „Auf die pp. Vernehmung des unbefugten Schulhalters Friseur Clavel wird demselben hiermit und bey 10 Rthlr. Strafe aller Unterricht gäntzlich untersagt, bis er die von Ein. löbl. französischen Consistorio erhaltene Concession würklich beygebracht haben wird." Der Friseur hatte sich auf das Französische Konsistorium berufen, ein Organ kirchlicher Selbstverwaltung, das in Berlin seit Ende des 17. Jahrhunderts, seit den Jahren nach der Aufnahme zahlreicher französischer Flüchtlinge reformierten Bekenntnisses, bestand. Es übte noch ein Jahrhundert später für die „französischen Gemeinden" • • regulierende Funktionen aus und beanspruchte auch das Recht, Personen seines Bereichs das Schulehalten zu erlauben. Wurde eine solche Erlaubnis vorgewiesen, dann ließ der Magistrat die Schulhalter gewähren. Eine Beeinträchtigung der andern kleinen Schulen wäre vermeidbar gewesen: Das Französische Konsistorium hätte sich bei Erteilung von Erlaubnis mäßigen und die von ihm Konzessionierten zur Rücksichtnahme auf andere Elementarschulen verpflichten müssen. Eine Zurück308 haltung dieser Art ist nicht zu bemerken. Lehrer anderer Schulen - auch von Parochialschulen - mußten es hinnehmen, daß nun weniger „Geldkinder" - zahlende Schüler - ihre Schulen besuchten und das Einkommen sank. Ein Bericht über die Verhältnisse in einem nur sehr kleinen Teil der Stadt, in der Parochie der Dreifaltigkeitskirche, führte u.a. aus' 2 : „Die meisten dieser Schulen setzten sich unter dem Namen französische Schule an, demohnerachtet informiren sie auch im Deutschen, und kann mit Wahrscheinlichkeit behauptet werden, daß nicht der 4te Theil von den Kindern französischer Colonie, sondern von der deutschen Gemeinde sein und also denen angesezten Schulhaltern entzogen worden." Der Schaden, u. a. auch für die sieben ParochialschuUehrer dieses Bereichs, sei groß, „denn a) zeiget dieses der Catalogus von unsern Schulen deutlich an, da in einigen nicht die Hälfte von der sonst gewöhnlichen Anzahl von Kindern jetzt sein, und b) schicken die bemittelten Eltern ihre Kinder gemeiniglich in diesen Schulen, weil sie französische Schulen heißen, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie was lernen oder nicht, dahingegen die armen Kinder, so kein Schul-Geld geben können, in unsere Schulen frey aufgenommen werden müssen." Diesen Bemerkungen folgte eine Liste mit Angaben über die nach Ansicht des Berichterstatters „unerlaubten" „Schulhalter und Demoisels" innerhalb der Parochie. Mit einiger Wahrscheinlichkeit beziehen sich nur zwei Namen auf unerlaubte deutsche Privatschulen. Die übrigen Namen deuten auf Zugehörigkeit der Schulhalter zum Bevölkerungsteil französischer Herkunft; Schulhalter Lecointe in der Leipziger Straße, Nähe Wilhelmstraße („ . . . dieser Mann ist ein gelernter Zeugmacher . . . hat jetzt an 100 Kinder in der Schule und thut denen Schulhaltern Klee und Richter großen Schaden, er informiret deutsch und französisch"); Demoiselle Michele (Wilhelmstraße, ca. 30 Kinder); die beiden Demoiselles Juittet in der Mauerstraße (30 Kinder); Monsieur Courjoun (Französische Straße, etwa 40 Schüler); Monsieur Franson (Taubenstraße, etwa 50 Schüler); Demoiselle Pouvife (15 Schüler). Auch in andern Teilen Berlins waren bis in das nächste Jahrhundert hinein Schulen dieser Art vorhanden. Nach einer 1806 auf Wunsch des Magistrats angestellten Polizeirecherche über das Schulwesen und die Konzessionierung der Schulhalter gab es sie in fast allen Polizeirevieren13. Über das Einkommen dieser Schulhalter lassen sich keine zuverlässigen Angaben gewinnen. In einer Stellungnahme zu Winkelschulen, französischen Schulen und zum Einkommen der Schulmeister (1782) wird u. a. in folgender Weise geschätzt: „Ein bekannter Peruquenmacher in der Juden Straße verläßt seine Profession, weil er eine französische Frau hat, weil diese vermutlich de facto eine Schule angeleget hat, wobey er sich besser als bey sein Handwerk stehet. Dem äußerlichen Verlaut nach soll diese Schule aus 40 Kindern bestehen. Wenn ich annehme, daß davon 20 kleine, wo vor monathlich 16 Gr., und 20 größere vor monathlich 1 Rthlr. unterrichtet werden, so ist seine monathliche Einnahme 33 Rthlr. 8 Gr. und die jährliche 400 Rthlr., das Holtz-, Licht-, Tinten-, Papier-, Jahrmarkts- und Neujahr-Geld ohngerechnet." Diese zeitgenössische Schätzung bezieht sich auf einen günstigen Fall und sagt über den Verdienst der andern Schulhalter nichts aus. Über die Relation zu den „deutschen" Schulmeistern - deren Einnahmen, von einigermaßen zureichenden Beträgen bis zum Hungerlohn, in den Akten gelegentlich genannt oder geschätzt werden - läßt sich nur allgemein etwas sagen: in keinem einzigen bekannten Fall wurde das Einkommen des ehemaligen Perückenmachers und seiner französischen Frau erreicht. III Wie urteilten damals Zeitgenossen über die Winkelschulen und die kleinen „französischen" Schulen Berlins? Die härteste Beurteilung stammt von Büsching, dem Direktor des Gymnasiums zum Grauen 309 Kloster: „Die Winkelschulen werden von verdorbenen Predigern und Kandidaten, von Soldaten, Handwerkern und Weibern gehalten... ein unleugbares Verderben für unsere Stadtkinder und die ganze Stadt...'" In den Akten „betr. die vom Kgl. Ober-Consist. erwirkte Vereinigung der v.J. 1699 ab bestandenen besonderen Armen-Schulen... mit den Parochialschulen .. ,"15 vermerkte Sekretarius Schartow: „Die unter Einem hohen Ober-Consistorio und Kirchen-Directorio stehende und aus einem öffentlichen Fond mit einem ansehnlichen Zuschuß aus der allgemeinen Armen-Casse zu unterhaltende sogenannte Freyschulen leiden dadurch unendlich, daß so viele mit dem Unterricht der Kinder ein Gewerbe treiben, die dazu so wenig autorisiret als geschult sind. Die große Menge von Winkelschulen und die sich obgedachten approbirten Schulhaltern auf die Thüre setzen, ziehen alle Geldkinder nach sich." Sehr schädlich sei es auch, daß „jede Französin" sich als Schulhalterin „etablieren" könne. Die kurzen handschriftlichen „Reflexiones über den großen Schaden, welcher durch die Winckel- und Neben-Schulen in einer Gemeinde angerichtet wird", - vermutlich aus den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts stammend - sind recht konkret und geben Erfahrungen aus dem Katechumenen-Unterricht wieder16: Diese Kinder seien gefragt worden, „in welcher Schule sie vorher Unterricht genossen. Da erfuhr er zu seiner nicht geringen Befremdung, daß einige in französische, andere in andere Winkelschulen, ja einige sogar bey Mädchens, welche von den Herrschaften wegen ihrer Untreue dimittiret wären, gegangen. Manche konnten französisch lesen, nicht aber teutsch; das Vaterunser konnten sie nur französisch beten ..." Nachdem er die Unwissenheit in Christenlehre gekennzeichnet hatte, fuhr der Verfasser fort: „Statt dessen wußten diejenigen, die bey Franzosen in die Schule gingen, die Gespräche aus Peptiers Grammaire herzubeten, ohne im geringsten französisch sprechen gelernt zu haben." „Über 30 hat er abweisen müssen, weil sie nicht einmal teutsch lesen konnten und zum Theil schon das löte Jahr zurückgelegt hatten, und da sie schon theils als Zieh-Jungens bey den Webern, theils als Kinder-Mädchens und Auslauffer in Diensten standen, keine Hoffnung hatten, jemals lesen zu lernen, und waren doch 4 bis 5 Jahr in solche Klipp-Schulen gegangen ..." Propst Zöllner machte in „Vorschlägen" vom 21. Januar 1803 darauf aufmerksam, daß bei steigender Bevölkerungszahl Berlins und dem Mangel an Schulhäusern und „besoldeten" Lehrern die Konzessionierung nicht sehr streng gehandhabt werden konnte: „Sowie die Einwohner-Zahl zunahm, fanden sich Männer und Weiber, Invaliden, Friseurs u. dergl. welche auf ihre eigene Rechnung Schulen anlegten, eine Wohnung mietheten und lehrten, was sie konnten. Seit Errichtung des Ober-Schul-Collegii ist zwar darauf gedrungen worden, daß niemand, ohne eine Concession zu haben, Schule halten darf; aber man hat mit Ertheilung der Concession nicht sehr strenge seyn dürfen, weil sich keine sehr geschickte Personen zu Stellen fanden, mit welchen kein Gehalt verbunden ist, und man zum Theil froh seyn mußte, wenn sich hie und da einer ein Häufchen Kinder gesammelt hatte und also doch einiger Unterricht ertheilt ward. Noch schlimmer wurde die Sache dadurch, daß die französische Colonie das Recht behauptete, Concessionen zu Schulen zu ertheilen, worin auch deutsche Kinder unterrichtet werden, und daß vom Militär dienstthuende und invalide Soldaten beim Schulhalten, als bei einem unschädlichen Erwerbszweige, geschützt wurden."17 IV Wenige Jahre später waren im Zuge der Stein-, Hardenbergschen Reformen nicht nur kommunale Selbstverwaltungsorgane entstanden; auch im Behördenaufbau und in den Prinzipien, nach denen verwaltet werden sollte, hatte sich viel geändert. Das Schulwesen Berlins blieb 310 davon nicht unberührt. Prüfung und Konzessionierung standen nun einer 1812 gebildeten, aus Mitgliedern des Magistrats, Stadtverordneten und Vertretern der Kirchenbehörden zusammengesetzten Schulkommission18 zu. Für sie galten Verfahrensregeln19, die Kompromisse bei der Konzessionierung erschwerten. Auch in den etwas später einsetzenden Überlegungen und Abwägungen darüber, wie allmählich ein stadteigenes Schulwesen aufgebaut und mit den Parochial- und Privatschulen in wirksame Verbindung gesetzt werden könne, war für Rücksichten auf Schulgruppen, die den Aufbau behindern konnten, kein Platz. Die Nachrichten über die Winkelschulen schwinden. Auch die Möglichkeit, leicht und schnell „französische" Elementarschulen zu eröffnen, gab es nicht mehr. Interessenten mußten sich den nun für alle geltenden Bedingungen und Anordnungen fügen. Das Französische Konsistorium, das sie einst großzügig konzessioniert hatte, war in der Schulkommission durch nur einen Deputierten vertreten. Anschrift des Verfassers: Gerhard Krienke, Herrlinghausen 35 a, 5632 Wermelskirchen 1 1 Reglement wegen der Teutschen Privatschulen in denen Städten und Vorstädten Berlin, vom 16. Oktober 1738. Zitiert nach Text in: Vormbaum, Reinhold (Hrsg.): Evangelische Schulordnungen; Gütersloh 1860-1864; Bd. III, S. 440 ff. Zur Entstehung s. Heubaum, Alfred: Geschichte des deutschen Bildungswesens seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts; Bd. I; Berlin 1905; Anm. zu S. 173; dort auf Quelle hingewiesen: Geh. Staatsarchiv Rep. 47, 2 a. 2 Hecker, Johann Julius: Sammlung der Nachrichten von den Schulanstalten bey der DreifaltigkeitsKirche auf der Friedrichsstadt in Berlin wie auch von gegenwärtiger Verfassung derselben ... Berlin 1749. Christian Friedrich Henning. S.4 (Anm.). 3 wie Anm. 2; S. 18. 4 Rauch, W. L.: Der Zustand der zwölf freyen Armen-Schulen... Bey dem Anfang des 1747ten Jahres... gebührend vorgelegt ... Berlin, gedruckt mit Michaelischen Schriften; S. 4. 5 Stadtarchiv Rep. 7309 (nach der im Jahre 1958 gültigen Signatur): Bericht Bünemanns an den Magistrat (betr. Aufschrift des nur kurze Zeit bestehenden Friedrichstädtischen Gymnasiums, die zur Verwechslung mit einer „deutschen" Schule Anlaß gebe, dadurch die Schüler kränke und sie der „hochmütigen Verachtung" anderer Schüler aussetze). 6 Definition nach Schelsky, Helmut: Zur Theorie der Institution. Düsseldorf 1970; S. 8. 7 Nach Stadtarchiv Rep. 13552. 8 Einige Beispiele auch in: Rittershausen, Dietrich: Beiträge z. Geschichte des Berliner Elementarschulwesens. Von der Reformation bis 1836. In: Märkische Forschungen; IX. Band; Berlin 1865. 9 Stadtarchiv Rep. 13552. die folgenden Beispiele ebenda bzw. Rep. 7062. 10 Stadtarchiv Rep. 7062. " Vgl. Nicolai, Friedrich: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend; 3. Aufl.; Bd. 2; S. 614-617. 12 Stadtarchiv Rep. 7062; undatiert; zwischen Aktenblätter des Jahres 1782 eingeheftet und inhaltlich zu andern Schriftstücken dieses Jahres gehörend. 13 Stadtarchiv Rep. 27061. 14 Aus Büschings Bericht vom 29.12.1768; abgedruckt in: Clausnitzer, Eduard: Die Volksschulpädagogik Friedrichs des Großen und der preußischen Unterrichtsverwaltung seiner Zeit; Halle 1902; S.105/06. ,s Stadtarchiv Rep. 7062. 16 Gezeichnet „N"; Name nicht mit Sicherheit festzustellen; Stadtarchiv Rep. 7062. 17 Stadtarchiv Rep. 26975. 18 Wegen der besondern Berliner Verhältnisse statt der in der Städteordnung von 1808 vorgesehenen Schuldeputation gebildet (Reskript des Departements für den Cultus und öffentlichen Unterricht vom 27.4.1812); mit Wirkung vom 1.8.1829 „Schuldeputation". " Reglement für die Privat-Lehr-und Erziehungsanstalten zu Berlin vom 28.5.1812; Näheres in: Bericht über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1829 bis incl. 1840. Hrsg. von den Stadt. Behörden; Berlin 1842. 311 Nachrichten Um den Berliner Stadtkern Im Gebiet der Spandauer, Rathausstraße und Poststraße, im alten Kern Berlins, wird in den kommenden Jahren ein städtebauliches Ensemble historischer und neuer Bauten entstehen. Mittelpunkt dieses Projektes ist die Nikolaikirche, die in ihrer äußeren Form originalgetreu wieder aufgebaut wird. Ringsum sollen dann historische Häuser angesiedelt werden, die einst auf der Fischerinsel standen, ferner die ehemalige Gerichtslaube (jetzt im Park Babelsberg) und das historische Gasthaus „Zum Nußbaum". Nach alten Vorlagen wird auch das Ephraimsche Palais wieder erstehen. Neben 796 Wohnungen werden im Bering der Nikolaikirche auch Ladengeschäfte, Einrichtungen für Dienstleistungen usw. vorgesehen. In diesem Zusammenhang sind ein Friseur-Museum und eine Apotheke mit historischer Abteilung von Interesse. SchB. 300 Jahre Friedrichs-Werdersches Gymnasium 1931 feierte das Friedrichs-Werdersche Gymnasium im Landwehrkasino mit etwa 100 Beteiligten sein 250jähriges Bestehen. Vom Großen Kurfürsten war es auf der Spreeinsel, dem Friedrichs-Werder, gegründet worden. Von 1908 an stand die Schule in der Bochumer Straße in Moabit. Dort wurde sie etwa 1935 unter Hitler wegen zu kleiner Schülerzahl gestrichen. Die Akten des Hauses und die Gedenktafeln der Jahrhunderte liegen im Archiv der Georg-Herwegh-Schule in Hermsdorf. Es müßte sich einer der letzten ehemaligen Werderaner finden, der die Einberufung zu einer Jubiläumsfeier veranlaßte und die Gaststätte, die wohl kein Saal zu sein braucht, bestimmte. Der vielleicht älteste Ehemalige, Studienrat i. R. Paul Sohst, Wohnstift Otto Dibelius, Hausstockweg 57, 1000 Berlin 42, Telefon 7498401, kann sich die Organisation eines solchen Treffens nicht mehr zumuten. Als Helfer fungiert der Schriftführer des Vereins für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Dr. H. G. Schultze-Berndt, Artuswall 48, 1000 Berlin 28, Telefon 4 0142 40, der auch Anschriften entgegennimmt. SchB. Von unseren Mitgliedern Am 30. November 1980 ist Frau Professor Dr. Irmgard Wirth, die erste Direktorin des 1967 gegründeten Berlin-Museums, in den Ruhestand getreten. Im Rahmen einer feierlichen Abschiedsstunde hat der Senator für kulturelle Angelegenheiten, Dr. D. Sauberzweig, Frau Professor Wirth das ihr vom Bundespräsidenten verliehene Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht und ihre Verdienste gewürdigt. Diese seien ihr auch an dieser Stelle gedankt. Daß alle Pläne zur Errichtung eines zweiten Hauses in Erfüllung gehen und Frau Dr. Wirth Gesundheit und Schaffensfreude erhalten bleiben, damit sie sich auch künftig ihren Forschungen und ihrer literarischen Tätigkeit widmen kann, ist unser aufrichtiger Wunsch. SchB. * Unser Mitglied Harry Ristock, ehemaliger Senator für Bau- und Wohnungswesen, ist zum Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V. (BDB) gewählt worden. In der Begründung hieß es, in Ristocks Amtszeit habe es eine Wende in der Stadtpolitik gegeben, da H. Ristock eine behutsame Stadtreparatur versucht habe, „um die Identität der Innenstadt zu wahren". SchB. * Am 24. November 1980 hat die Königliche Akademie der Freien Künste, Stockholm, unser Mitglied Professor Julius Posener zu ihrem ausländischen Ehrenmitglied gewählt. * Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum 70. Geburtstag Herrn Dr. Kurt Kärnbach, Herrn Dr. Robert Thevoz; zum 75. Geburtstag Frau Maria Barthel, Frau Käthe Dietrich, Frau Käthe Feller, Frau Hildegard Hellwig, Herrn Hans Höltje, Herrn Wolfgang Knochenhauer, Herrn Kurt Kühling, Herrn Günther Linke, Frau Ruth Sassmannshausen, Herrn Hans Joachim Scheil; zum 80. Geburtstag Herrn Gotthilf Hahn, Frau Else Mügel, Herrn Kurt Meurer; zum 85. Geburtstag Frau Dr. Hildegard de la Chevallerie. 312 Buchbesprechungen (r L Hans-Wemer KlUnner und Helmut Börsch-Supan (yerantwortl. Autoren): Berlin-Archiv. Braunschweig: Archiv-Verlag 1980 ff. Loseblattsammlung. (Nur als Abonnement, nicht im Buchhandel erhältlich.) Die bereits von Samuel Heinrich Spiker 1832 eingeführte und in besonderem Maß in dem durch Ernst Fidicin ab 1868 herausgegebenen repräsentativen Band der „Berlinischen Chronik" mit ihren Kunstbeilagen geübte Praxis, besonders hervorragend illustrierte „Berlin-Literatur" in Fortsetzungsreihen erscheinen zu lassen, hat durch die Initiative der in Braunschweig beheimateten Archiv-Verlag-Gruppe einen modernen Nachfolger gefunden. Hier sind freilich nicht mehr die einzelnen Bogen von privaten Buchbindern zusammenzufügen, sondern mit den Mitteln der modernen Heftmechanik können die monatlich neu erscheinenden 5 Kunstdruckblätter mühelos in die dafür bereits vorbereiteten Plastikordner eingeordnet werden. Da nun bereits über 90 Einzelblätter erschienen sind, wird es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Die Gliederung des Werkes in Einzelabschnitte „Handelsstadt - Hansestadt - Residenz", „Hauptstadt des brandenburgischen Kurstaates", „Stadt der preußischen Könige", „Unter bürgerlicher Selbstverwaltung" und „Reichshauptstadt und Weltstadt" geben in chronologischer Reihenfolge die Etappen des Aufstiegs der Stadt wieder. „Die Vororte bis zur Eingemeindung" bilden daneben noch einen besonderen Abschnitt. Von dem fachkundigen und in seiner Mischung von Landes- und Kunsthistorikern sich vorzüglich ergänzenden Autorenteam sind für jeden Abschnitt typische Ansichten oder auch Porträts ausgewählt worden, die dann von den Autoren beschrieben werden, d. h., der Text ordnet sich jeweils dem Bildteil unter. Die einzelnen im Bild dargestellten Architektur- und Landschaftselemente werden jeweils in einem größeren Rahmen behandelt, und ihre Geschichte wird von den Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgt. Die Auswahl der zum großen Teil wenig bekannten Ansichten verrät die Vertrautheit der Autoren mit der Topographie der Stadt. Dies zeigt sich sowohl in den Ansichten wie auch in den liebevoll ausgewählten Porträts einzelner Persönlichkeiten von König Friedrich Wilhelm IV. über Fontane bis zu Richard Schöne. Als sinnvolle Ergänzung werden Pläne und Schriften zur Stadtgeschichte angeboten. In diesem Zusammenhang verdient die Neuausgabe des nach dem Vorbild der bereits zur Entstehungszeit der Schrift weitverbreiteten „Baedeker-Reiseführer" gestalteten Stadtführers „Berlin und Potsdam im Jahre 1860" von Friedrich Morin besondere Beachtung. So sei diese Edition jedem, der aus Freude an guten Illustrationen zur berlinischen Geschichte auch etwas Geld opfern will, nachhaltig empfohlen. Felix Escher Ursula E. Koch: Berliner Presse und europäische Geschehen 1871. Eine Untersuchung über die Rezeption der großen Ereignisse im ersten Halbjahr 1871 in den politischen Tageszeitungen der deutschen Reichshauptstadt. Berlin: Colloquium 1978. 495 S., geb. In den späten zwanziger Jahren begann man sich an deutschen Hochschulen mit zeitungsgeschichtlichen Studien zu befassen. Die „Zeitungswissenschaft" wollte bald eine autonome wissenschaftliche Disziplin sein, ein ihr oft bestrittener Anspruch, da man in der Beschäftigung mit den Kommunikationsorganen und ihren Mitteln allenfalls eine Lehre, aber auch nicht mehr sah. Hier sind in den letzten Jahrzehnten Wandel vor sich gegangen. Nicht etwa, weil einflußreiche Kommunikationsmittel - modern Medien genannt - wie das Fernsehen hinzugekommen sind, sondern weil jene Disziplin bloßer Selbstbespiegelung entsagte und sich ohne Einbuße an Wert oder Wirkung in umfassendere wissenschaftliche Bereiche und Themenstellungen einbauen ließ. Es sei erlaubt, nach dem Standort einer so ausgreifenden und sorgfältigen Studie wie der von Ursula E. Koch zu fragen: Ist hier die „Zeitungswissenschaft" Werkzeug oder selbst Gegenstand der historischen Forschung? Ist sie Hilfswissenschaft oder gar Bestandteil der Geschichtswissenschaft schlechthin? Ohne eine methodologische Debatte entfachen zu müssen, liegt die Antwort im interdisziplinären Bereich. In einem umfangreichen ersten und zweiten Teil untersucht Vf. die Lage der Berliner Presse im Jahre 1871: die wirtschaftlichen Aspekte, den formalen wie inhaltlichen Aufbau der Zeitungen und stellt alsdann 12 Zeitungsporträts aller politischen Couleurs nebst ihren Editoren und Redakteuren vor, Männer, von denen sich nicht wenige einen bleibenden Namen in der Politik, der Wirtschaft oder im kulturellen Leben gesichert haben. Auf der soliden Basis der beiden ersten Teile kommt der dritte zum eigentlichen Anliegen des Buches: die Aufnahme des politischen und militärischen Geschehens der ersten Jahreshälfte 1871 durch die Zeitungen zu untersuchen. Kommentare und öffentliche Meinung bedingen einander in Wechselwirkung. Staatsmännische Meinungen steuern und werden gesteuert. Fehlbeurteilungen und -progno- 313 sen gab es auch 1871 in der Presse nicht wenige. Doch Meinungsvergleich kann ein Korrektiv auf dem Wege zu gültiger Erkenntnis sein. Ihr dient auch der umfangreiche Rückgriff auf deutsche und französische Memoirenschreibung und wissenschaftliche, auf Akten und anderen offiziellen Quellen basierende Literatur, die die Tagesarbeit der Journalisten von ehedem noch aus der klärenden Distanz von Jahren beleuchtet und, wenn erforderlich, mit kritischer Sonde untersucht. Bis zum großen Umbruch in unserer Jahrhundertmitte standen die deutschen Historiker der Zeitung als Geschichtsquelle sehr reserviert gegenüber. Das Mißtrauen baut sich ab, der Gründe dafür sind viele. Aber doch sind Aufgabenstellungen wie die hier vorliegende noch recht rar und eine so gründliche und hochinformative Arbeit ist noch immer als avantgardistisch anzusehen. Gerhard Kutzsch Gerhardt Hoffmann: Kreuzberger Geschichten. Erzählungen aus dem Milieu. Mit 9 Zeichnungen von Inge X. Husemann. Berlin: Stapp 1980. 94 S., geb., 12,80 DM. Über 94 Seiten im Taschenbuchformat läßt Gerhardt Hoffmann die Berliner Luft der frühen fünfziger Jahre wehen. Das Kriegsende ist noch nicht gar so fern, allenthalben ragen Ruinen, starren - brettervernagelt - leere Läden wie schwarze Zahnstumpen aus lückenhaften Häuserreihen. Durch Hausflure wallen Kohlrouladendämpfe, und im zweiten Stock fehlt das Treppengeländer. Das Wirtschaftswunder hat noch nicht begonnen, die anatolische Invasion noch nicht voll eingesetzt - im Bezirk Kreuzberg gibt's noch echte Berliner. Pfarrer Hoffmann berichtet in der Ich-Form aus seinem Sprengel; seinen Mitbürgern ein echter Freund und Helfer. In vierzehn Kurzgeschichten entfaltet sich ein fantastisch lebensechtes Gemälde des Daseins in den Mietskasernen, den Hinterhöfen und auf den Gottesäckern des Bezirks. Da steigt nie und nirgends pastorales Pathos auf- Barett, Beffchen und Talar würden an diesem Gottesmann eher wie Verkleidung wirken. Wir vernehmen, wie ihm als Kandidat nach Eintreffen in Berlin vom Oberkonsistorialrat eine Billigpension empfohlen wird, in der menschenfreundliche Zoo-Nutten hausen, die dem Neuling „erste Hilfe" leisten. Wir begleiten „den Paster" beim winterlich-nächtlichen Besuch eines Kuhstalls in der Taborstraße, in dem ein Dutzend Milchkühe wie auf Kommando - platzregenartig - gleichzeitig zu urinieren beginnt, lernen, daß Tote zumeist keine Klosettschlüssel mit ins Grab nehmen und daß es bei Scheintoten „immer mit Verspätung blutet, weil der Kreislauf erst wieder in Gang kommen muß". In einem anderen Kapitel kommt Sarg- und Urnenträger Zielewski die Trauergemeinde beim Gang zum offenen Grabe abhanden, auf Seite 58 kippt Mutter Burdig mit der Zinkbadewanne um, und wir erfahren, was es mit „raumfressenden Ehebetten" zuweilen auf sich haben kann. Die Berichterstattung aus dem Alltag des Pfarrers ist einmalig - ein Zille des Prosawortes ist erstanden. Lest Hoffmanns vierzehn Erzählungen! Neun eingestreute Zeichnungen von der Hand Inge X. Husemanns erfreuen Auge und Herz. Hans Schüler ./Gustav Sichelschmidt (Hrsg.): Berlin! Berlin! Ein literarischer Bilderbogen der letzten 150 Jahre. Tübingen: Erdmann 1980. 214 S. m. 15 Illustr., geb., 28 DM. Aus einem Zeitraum, der sich über 150 Jahre erstreckt, berichten 24 Autoren über Berlin, so wie es sich jedem einzelnen von ihnen dargestellt hat. Glassbrenner schildert das turbulente Treiben beim Stralauer Fischzug, der schon zur Biedermeierzeit alljährlich im August von Tausenden von Berlinern gefeiert wurde, die in die zahlreichen Ausflugslokale auf der Landzunge pilgerten, um den zumeist überdimensionalen Durst in Strömen von „Weiße mit Schuß" oder Unmengen von Kaffee aus bauchigen Kannen zu ertränken. Durch Glassbrenners heile Welt rollen fürstliche Equipagen „von strotzenden Pferden gezogen", und Schusterjungen, Gipsfigurenverkäufer, ambulante Kesselflicker und pfeifeschmauchende Rentiers beleben das Straßenbild jener fernen Epoche, in der Briefträger „in den Häusern noch treppauf, treppab sprangen". Ernst Kossak führt durch unerfreuliche, feuchtfinstere Gewölbe, „Berliner Keller" genannt, David Kaiisch läßt auf ganzen 40 Zeilen eine bislang utopisch anmutende Liebesbeziehung in Pulverdampf der 48er Revolution - unter der Bettdecke der Künstlerin Elvira als Fluchtort - ersehnte Wirklichkeit werden, Ludwig Pietsch geleitet den Leser durch Altberliner Konditoreien, und mit Julius Rodenberg passieren wir auf einer Droschkenfahrt die Potsdamer Brücke, als eine Wasserleiche aus dem Landwehrkanal geborgen wird. Laut Paul Lindau erkennen wir, daß es in den Ferien nicht immer nach Heringsdorf, „dem Harze" oder ins Engadin, den Vorläufern von Mallorca und den Bahamas, gehen mußte, sondern daß auch die Übersiedlung mit Kind und Kegel in die Sommerwohnung „draußen in Charlottenburg" von eigener Romantik verklärt war. Alfred Kerr begegnet auf täglichem Spazierwege einem „knusperigen Bäckermädchen", bis dies eines Tages nicht mehr in der Ladentür steht. „Plötzlich ist 314 sowas weg, plötzlich zieht das fort - ohne Rücksicht", greint der König der Kritiker. Auburtin zeigt, wie der Berliner „beschäftigt spazierengeht", und Tucholsky argwöhnt, daß Berliner im Himmel - vorausgesetzt, daß sie überhaupt dahingelangen - „auch dort um viere noch was vorhaben", und wenn Tucho die Liebespaare abends nach sechs den Tiergarten durchstreifen läßt, dann hat die wahre, ineinander verklammerte Zweisamkeit zu greifbarer Realisierung von Wunschträumen geführt; zwischen all den Sträuchern. Eine Reihe weiterer profilierter Autoren bewahrt den animierten Leser davor, beim Gang durch die Markthalle nicht auf Mohrrübenresten in glitschigen Fischwasserpfiitzen auszurutschen (S. 156), nennt das Warten auf die abendliche Weihnachtsbescherung im Elternhaus „die Stunde, die wie kein Fest des späteren Lebens gleich einem Pfeil im Herzen des Tages zittert" (S. 158), entdeckt auf der Basis gemeinsamer Gelüste die glücklich machende Übereinstimmung der Seelen (S. 170) und schildert, wie das Auffinden einiger leicht lädierter, aber postfrischer Briefmarken im Gesamtwert von 0,90 RM samt der Einlösung leerer Pfandflaschen für zwei Liebende an einem verregneten Abend zur Basis eines unverhofften Luxussoupers wird. Ein anderer Literat konstatiert: „Man lebt gut hier, wenn man lebt. Wenn man tot ist, ist man sehr tot in dieser Stadt" (S. 189), und: „Berlin ist keine schöne Stadt, aber überall spüre ich den Geschmack des Zuhauses" (S. 190). Hinreißend die Formulierung der „verschrumpelten Handtasche" der Großmutter aus Sachsen auf der Bahnhofstreppe am Zoo (S. 196) und die Bezeichnung „Volksbesitzer von Beruf, wenn die Person des Verderbers Deutschlands gemeint ist (S. 204). Ein Gang durch Tucholskys Geburtshaus in Berlin-Moabit beschließt als Epilog die attraktive Auslese dieser Berlin-Skizzen durchweg hoher Qualifikation. Herausgeber Sichelschmidt bleibt mangels eigenen Textes diesmal der Vorwurf der Unbedenklichkeit erspart, mit der er durch unkorrekte Glossierung von Abbildungen seine Arbeiten bereits mehr als einmal entwertet hat. Ein Quellenverzeichnis am Schluß des Bandes ergänzt die wohlgelungene Auswahl der Texte. Hans Schiller Ludwig Böer (Verf.): Das ehemalige Schloß in Schwedt/Oder und seine Umgebung. Aus Anlaß des dreißigjährigen Bestehens der Kreisgemeinschaft Angermünde in der Landsmannschaft Berlin - Mark Brandenburg. Hrsg. v. Heimatkreisbetreuer Siegfried v. Rohrscheidt-Hartwig. Stuttgart: Im Selbstverlag 1979. 202 S. m. 76 Abb., brosch. Dorothea, die zweite Frau des Großen Kurfürsten, ließ an der Stelle des verfallenen Renaissance-Schlosses eines im „märkischen Barock" erbauen. Sie gewann die Zustimmung ihres Gatten zur Begründung der hohenzollernschen Seitenlinie Brandenburg-Schwedt für ihre leiblichen Nachkommen, und das verschlafene Landstädtchen Schwedt an der Oder wurde sozusagen über Nacht zu einer markgräflichen Residenz. Hier findet sich en miniature alles vor, was vom Kernbau und den Flügeln über die künstlerische Innenausstattung bis zu den Lustgärten zu einer fürstlichen Hofhaltung des 17. und 18. Jahrhunderts gehört. Das gut illustrierte Buch von L. Böer geht mit seiner Detailkenntnis fast noch auf den letzten Nagel ein, der in die Wand geschlagen wurde. Angesichts des Umstandes, daß der Zweite Weltkrieg das Schloß vom Erdboden verschwinden ließ, gerät eine solche Intensivbeschreibung zu einer weiter in Wert und Bedeutung steigenden Dokumentation dahingegangener Kultur. Gerhard Kutzsch l Berliner Schimpfwörterbuch. Zusammengestellt v. Theodor Constantin. Berlin: Haude u. Spener 1980. 94 S., brosch., 9,80 DM (Edition Jule Hammer). Da steht einem ja einiges ins Haus, wenn Konrad Jule Hammer, Berlins Hans Dampf in allen Kulturgassen, in seiner Edition „vergessene Wegbereiter Berliner Satire wie aktueller Nonsens-Literatur", Monographien Berliner Originale, faksimilierte Ausgaben Berliner Groschenliteratur und einen „Baedecker von Vorgestern" herausgeben will, der sich nun allerdings Baedeker schreibt. Zutreffend bemerkt er in seinem Vorwort „Berlin als satirische Werkstatt", dem Butterberg der EG habe sich ein Berliner Bücher-Berg beigesellt. So greift Theodor Constantin voll in die Saiten oder in die Tasten seiner Schreibmaschine, wenn er der Berliner Schimpfsprache von Aas bis zwitschern nachspürt. Anleihen macht er dabei von Hans Meyer über Agathe Lasch bis zu Heinz Küpper und Walther Kiaulehn, steuert aber auch viele eigene Sprachbeobachtungen bei, die er mit Beispielen und Anekdoten anreichert. Dabei erweist sich auch bei ihm die Umschreibung des Berliner Dialekts als schwierig. Aus dem Buchstaben B wären beispielsweise aufzuführen Bärme, Hefe („Dem ham se Bärme unter de Beene jelegt", für einen sehr groß gewachsenen Menschen); Beerdigung („Der wird ooch bei seine Beerdigung det erstemal nüchtern sein", über einen „Schluckspecht"); Biertante, weibliche Bedienung in einer Kneipe, oder Blechkremser als Bezeichnung für die Berliner Straßenbahn, die entgegen der Ansicht 315 des Autors doch noch vorhanden ist (oder gehört Ost-Berlin nicht mehr zu unserer Stadt?). Wo bei einzelnen Schimpfwörtern, etwa Daffke, ergänzt wird „aus d. jüd.", würde man das Wort häufiger aus dem Jiddischen ableiten. Kaum bedarf die Liste der Ergänzungen. Wolkenschieber für einen Reformer oder Entspannungspolitiker könnte allenfalls noch aufgenommen werden. Die Definition für „kaputte Type": ein von den Verhältnissen überwundener Mensch, sollte nicht unwidersprochen stehenbleiben. Sicher wäre die Type nicht kaputt, wenn sie die harte Schule der NVA durchlaufen hätte. Ob man dem Autor und den Typen diese Verhältnisse aber wünschen soll, bleibe als Frage hier stehen. Den Rezensenten dieser Ansicht wegen zu beschimpfen, liefert das Arsenal dieses Wörterbuches reichlich Munition. H. G. Schultze-Berndl Curt Bois: Zu wahr, um schön zu sein (Mitarbeit: Gerold Ducke). Berlin (Ost): Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1980. 162 S. m. 210 Abb., Ln., 15 M., 22 DM. Curt Bois als einen Wanderer zwischen mehreren Welten zu bezeichnen, ist nicht abwegig - zwischen den Kunstformen des Schauspielers und des Tänzers oder Pantomimen, zwischen (auch bitteren) Erfahrungen in Deutschland und in der Emigration, zwischen Berlin Ost und West. Hier legt er in der Art einer Autobiographie ein Werk vor, das einige (Glanz-)Lichter auf den großen Künstler Curt Bois wirft: auf das Wunderkind, den in jungen Jahren mit Max Reinhardt zusammenarbeitenden Mimen, auf die Jahre des Exils 1933 bis 1950, auf den Neubeginn und auf den reifen Künstler. Ein Rollenverzeichnis aus den sieben Jahrzehnten 1908 bis 1978 (Theater und Film) beschließt diesen reich bebilderten Band. Manches ist nur angedeutet, vieles erschließt sich wohl nur dem Kenner der Szene. Unvergeßlich aber bleibt der Eindruck, den Curt Bois mit jeder seiner so widersprüchlichen Rollen vermittelte. Daß der Autor bei seiner Übersiedlung vom Ostteil unserer Stadt nach dem Westen im Jahre 1954 nicht zufrieden war, gibt er zu. Die Gründe des Wegzugs bleiben aber im Dunkel. Geben wir hier Fritz Kortner, dem kongenialen Kollegen, das Wort, der aus dem Erlebnis der Zusammenarbeit schreibt: „Curt Bois, der den Androklus spielte, war eines der wachrüttelnden Elemente. Dieses manisch-depressive, selbstzerstörerische Geschöpf steht in seinem sechsundfünfzigsten Pubertätsjahr. Er muß schon im Mutterleib frenetisch komisch und ebenso verzweifelt gewesen sein. Die Proben mit ihm bedeuteten Wochen höchsten Berufsglückes und verzweifelter Mordlust. Er mahnte mich freundlich zur Ruhe, nachdem er mich feindselig zur Verzweiflung gebracht hatte. Das schauspielerisch Erlernbare schien ihm unerreichbar, das Unerlernbare ist ihm gegeben." H. G. Schultze-Berndt Aufgabestempel der Berliner Postanstalten. Hrsg. W. Büttner, R. Hofmann, H. Wenzel. Berlin: Im Selbstverlag (1980), 30 DM. Die Freunde der frühen Berlin-Philatelie, die nicht nur Marken, sondern auch ganze Belege bzw. Stempel sammeln, werden sicherlich aufatmen. Auf diesem bisher wenig erforschten Gebiet ist mit dem obengenannten Buch ein Stempelkatalog erschienen, dem bisher nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen ist. Auf 295 Seiten mit ca. 900 Stempelabbildungen haben die Autoren vom ersten preußischen in Berlin 1817 erschienenen Stempel bis ca. 1900 die in Gebrauch befindlichen Stempel erfaßt. Es sind für die Berliner Postanstalten und ihre Vororte auch Eröffnung, Lage, Sitzverlegung, Umbenennung und gegebenenfalls auch Schließung angegeben, ferner die Verwendungsdauer der Stempel, Bemaßung, unterschiedliche Farbperioden und sogar eine DM-Bewertung. Insgesamt gesehen ein durchaus gut gelungenes Werk, das bestimmt seine Liebhaber finden wird. Bezugsquelle bzw. Werbeprospekt bei R. Hofmann, Falkenseer Chaussee 210 A, 1000 Berlin 20, oder direkt durch Voreinsendung von 30 DM auf Postscheckkonto H. Wenzel, Sonderkonto Berlin-West 366 89-102. H. G. Schultze-Berndt Von den früheren Ausgaben unseres Jahrbuches „Der Bär von Berlin,, sind noch nachstehende Bände bei der Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, erhältlich. Band 3 (1953); 4,80 DM. Ernst Kaeber: Zu Mario Krammers Gedächtnis. Mario Krammer f: Große Geschichtsschreiber im Leben Berlins, zweiter Teil. Hermann Fricke: Berlin als Lebensraum im Werke Friedrich Hebbels. Walther G. Oschilewski: Karl Marx als Student in Berlin. Joachim Lachmann: Ungedruckte Briefe aus dem Landesarchiv Berlin, Ernst Kaeber: Vier kritische Fragen zur mittelalterlichen Geschichte Berlins. 316 Band 7 (1957/58); 4,80 DM. Konrad Kettig: Ernst Kaeber als berlinischer Historiker. Zum 75. Geburtstag. Bibliographie Ernst Kaeber. Von der Senatsbibliothek ihrem Direktor in den Jahren 1953-1955 zum 75. Geburtstag überreicht. Walter Stephan: Johann Friedrich Dannenberger. Ein Bahnbrecher der Berliner Großindustrie. Siegfried Nestriepke: Der Raubüberfall in der Pinnower Heide. Eine MordStory aus dem Jahre 1789. Konrad Kettig: Jacob Burckhardts Berliner Jahre. Im vormärzlichen Preußen. Friedrich Pruskil: Die Partheys. Ein Beitrag zur Familiengeschichte. Ulli Moritz: Die Dorfschule von Wilmersdorf 1785-1855. Band 13 (1964); 5,80 DM. Helmut Kublick: Zur Geschichte von Marienfelde. Von der Gründung bis zum Dreißigjährigen Krieg. Hermann Fricke: Die „Argonauten" von Berlin. Zur Geschichte eines literarischen Unternehmens. Klaus Schwarz: Die Verluste der preußischen Armee in der Berliner Märzrevolution 1848. Eine Bestandsaufnahme. Ulli Moritz: Die Dorfschule zu Wilmersdorf. Teil II 1855-1886. Carl Nagel: Die Eltern des Dichters Achim von Arnim. Ein Beitrag zur Biographie. Fritz Böse: Richard Wagner und der Berliner Musikjournalist Karl Gaillard. Anmerkungen zu einem WagnerBrief. Gerhard Kutzsch: Vom „sozialen Defizit" Berlins 1875-1915. Zur Geschichte der Prostitution der Reichshauptstadt. Günter Böhm: Über die Errichtung eines ersten Dampfbades in Berlin. Band 14 (1965); 38 DM. (Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Vereins für die Geschichte Berlins) Willy Brandt: Geleitwort. Bruno Harms: Vorwort. Carl Nagel. „Memorabilia Berolinensia". Die erste Berliner Heimatzeitschrift. Manfred Stürzbecher: „Ihr noch der Welt mehr Nutzen stifften könnet". Friedrich Wilhelm I. in Preußen und die Medizin. Hermann Fricke: Theodor Fontanes Parole d'honneur von 1870. Ein bedeutsamer Fund in Frankreich. Alfred Werner: Schopenhauer in Berlin. Auseinandersetzung mit den Lehren der großen zeitgenössischen Berliner Philosophen. Walter Jarchow: Hundert Jahre Baukunst in Berlin. Von Schinkel bis Scharoun. Konrad Kettig: Der Professor als Parlamentarier. Clemens August Karl Klenze als Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung in den Jahren 1833-1838. Walter Heynen: „Wer nicht den Gendarmenmarkt gesehen ..." Betrachtungen zu einem geflügelten Wort. Irmgard Wirth: Menzel und Berlin. Mahnung und Verpflichtung. Gerhard Krienke: Im Zustand dumpfer Resignation. Die Auswirkung der Berliner Wirtschaftskrise von 1763 auf das Armenschulwesen Berlins. Hans E. Pappenheim: Die Joachim-Friedrich-Gedenkstätte bei Grünau. Zur Geschichte des Denkmalsgedankens in Brandenburg-Preußen. Helmut Börsch-Supan: Die Anfänge der Berliner akademischen Kunstausstellungen. Ein Beitrag zur Geschichte der preußischen Kunstpflege. Arne Hengsbach: Die Kirche und die Schnellbahn. Ein Kapitel Verkehrsgeschichte. Lilli Martius: Die Villa Borsig in Berlin-Moabit. Über ihren Architekten Johann Heinrich Strack und den Maler Paul Meyerheim. Rudolf Danke f: Unser Ehrenmitglied Theodor Fontane: Ein Kapitel Vereinsgeschichte. Joachim Lachmann: Ernst Kaeber zum Gedächtnis. RudolfDankef: 100 Jahre Verein für die Geschichte Berlins. Versuch einer Chronik. Band 17 (1968); 9,80 DM. Gerhard Kutzsch: Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhältnisses zueinander im 19. Jahrhundert. Monty Jacobs: Heimstätten der Berliner Posse. Aus einem nachgelassenen Manuskript. Joachim Kühn: Aus der preußischen Hofgesellschaft der Biedermeierzeit. Briefe aus dem Familienkreis des Kgl. Flügeladjutanten Oberst von Below. Erich Borkenhagen: Das Bier im alten Berlin. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart. Band 18 (1969); 9,80 DM. Joachim Kühn: Eine Liebesaffäre im preußischen Königshaus. Prinz August und Delphine de Custine. Arne Hengsbach: Berliner Verkehrsplanung vor hundert Jahren. Anfänge einer städtischen Verkehrspolitik. Helmut Kublick: Zur Geschichte von Marienfelde. Teil II: Von der Zeit des Absolutismus bis 1914. Ilse Sarneck: Theodor Francke und die Luisenstadt. Ein Beitrag zur Stadt- und Familiengeschichte. Gerhard Krienke: Der schulische Aspekt der Kinderarbeit in Berlin 1825-1848. Zur Sozial- und Schulgeschichte der preußischen Hauptstadt. Band 20 (1971); 11,80 DM. Gerhard Kutzsch: Hinter den Fassaden. Das Volk Berlins im 19. Jahrhundert. Joachim Kühn: Hardenberg und die Frauen. Ein Beitrag zu seiner Charakteristik. Kurt Pierson: Als die „S-Bahn" noch dampfte. Erinnerungen zu ihrem 100. Geburtstag. Friedrich Weichen: Die Planung des letzten Berliner Domes. Ein Beitrag zu seiner Geschichte. Joachim Kühn: Zwei Briefe Varnhagens an Carlyle. Aus dem Berliner Kulturleben der Biedermeierzeit. Band 21 (1972); 11,80 DM. Wilhelm Schoof: Friedrich Karl von Savigny in Berlin. Ein Lebens- und Zeitbild. Hans E. Pappenheim: Großbeerenstraße 40. Fritz von Holstein am Viktoriapark. Joachim Kühn: Die schöne Frau von Crayen und die Ihren. Ein Nachwort zu Fontanes „Schach von Wuthenow". Lionel Thomas: Willibald Alexis zum Gedächtnis. Mit unveröffentlichten Briefen. Hermann Fricke: Fontanes Abkehr vom märkischen Volksgemüt. Über Quelle und Vorform einer Ballade. Band 22 (1973); 12,80 DM. Ilja Mieck: Umweltschutz in Alt-Berlin. Luftverunreinigung und Lärmbelästigung zur Zeit der frühen Industrialisierung. Joachim Kühn: Bewegte Tage. Briefe der Prinzessin 317 Louise von Preußen (Fürstin Anton Radziwill) an den Grafen Fedor Golowkin (1806-1813). Kurt Ihlenfeld: Fontanes Umgang mit Bismarck. Zur Problematik des Verhältnisses zwischen Dichter und Politiker. Arne Hengsbach: Die Verkehrsgeschichte von Wilmersdorf. Vor hundert Jahren wurde hier die erste Pferdeomnibus-Linie eröffnet. Hermann Fricke: Ein Willibald-Alexis-Gedenken. Mit einem unbekannten Brief. Band 24 (1975); 12,80 DM. Manfred Stürzbecher: Hundert Jahre Städtisches Krankenhaus Friedrichshain. Ein Beitrag zu seiner Geschichte. Hans Leichter: Historische Miniaturen zur Berliner PorzellanGeschichte. In Memoriam Ludwig Darmstaedter. Wolfgang Kloppe: Schopenhauers Berliner Aufenthalte. Resümee einer zehnjährigen Zwischenstation. Walther G. Oschilewski: Zeitungen in Berlin 1848/49. Geburt einer demokratischen Presse. Arne Hengsbach: Verkehrsprobleme vor 50 Jahren. Zur Situation der ehemaligen Berliner Straßenbahn. Walter F. Schirmer: Die große Jette. Henriette Herz und ihr Freundeskreis. Band 25 (1976); 18,50 DM. Gerhard Kutzsch: Berlins Bürgermeister 1808-1933. Die „Zweiten Männer" der Stadt. Hans Huth: Otto Friedrich von der Groebens Abenteuer in Afrika. Zur ersten deutschen Kolonialgründung unter dem Großen Kurfürsten. Hermann Fricke: Nicht auf Kosten des Lebens. Theodor Fontane als passionierter Kunstschriftsteller. Hans Leichter: Im Banne großer Persönlichkeiten. Begegnungen mit Berliner Nobelpreisträgern während meiner Studienzeit. Paul Schlaag: 300 Jahre Wetterforschung in Berlin. Ihre Geschichte in Persönlichkeitsbildern. Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing: Sein Ideal war der absolute Staat. Prinz Carl von Preußen und der Berliner Hof. Rainer Pohl: Berliner Dorfauen. Eine Bestandsaufnahme. Arne Hengsbach: Am Ostufer der Havel. Zur Siedlungsgeschichte von Haselhorst. Walther G. Oschilewski: Näher dem Herzen der Schöpfung . . . Wilhelm Oesterle in Berlin. Manfred Stürzbecher: Aufgaben und Leistungen der öffentlichen Gesundheitspflege. Die Behördenchefs des Reichsgesundheitsamtes in Berlin 1876-1945. Band 26 (1977); 18,50 DM. Jürgen Wetzel: Monarchie gegen Hitler. Aus der Korrespondenz Otto Brauns mit Albert Grzesinski 1934 bis 1936. Goerd Peschken: Ein Königsschloß für Berlin. Bisher unerforschte Anfänge des barocken Umbaus des Stadtschlosses. Klaus Schwarz: Ein Berlin-Besuch vor 200 Jahren. Aus dem Tagebuch eines Bremer Kaufmanns von 1777. Otto Uhlitz: Aus der Baugeschichte der Schmöckwitzer Dorfkirche. Probst Hanstein f: Suchet der Stadt Bestes... Abdruck einer Anrede an die Bürgerversammlung vor der Wahl der Stadtverordneten im Jahre 1809. Friedrich Terveen: Filmarchivierung für Forschung und Lehre. Erste Überlegungen und Ansätze 1895 bis 1932. Manfred Stürzbecher: Quellen zur Geschichte der Medizin und des Gesundheitswesens in und über Berlin. Reinhard Lüdicke f; Straßenkämpfe im Südwesten Berlins 1945. Band 27 (1978); 22,80 DM. Gerhard Kutzsch: Berlin vor 50 Jahren. Walther G. Oschilewski: Erinnerung an Friedrich Georg Weitsch. Jürgen Wetzel: Julius Berends (1817-1891). Otto Uhlitz: Der Berliner Münzfries. Geschichte und Schicksal eines bedeutenden Werkes klassizistischer Bildhauerkunst. Klaus Schwarz: Zünftig oder nicht? Streitigkeiten zwischen Berliner und Bremer Handwerkern in der Zeit des Ancien regime. Helmut Börsch-Supan: Johann Karl Heinrich Kretschmar. Friedrich Michael: Verschollene der frühen Insel. Desmond Pacey • J. C. Mahanti: Felix Paul Greve / Frederick Philip Grove: ein internationaler Romanschriftsteller. Friedrich Terveen: Filmarchivierung für Forschung und Lehre. Zur Entwicklung in Deutschland von 1932-1970. Band 28 (1979); 22,80 DM. Über Max Halbe. (Als Vorwort zum nachfolgenden Beitrag gedacht) Evamaria Westphal-Wolf: Max Halbe und das Berliner Theater. Christian Engeli: Max Reinhardt gegen Berlin. Ein Steuerstreit aus den Zwanziger Jahren. / Vier Briefe von Max Reinhardt in der Angelegenheit des Steuerstreites. Werner Bollert: Vom Berliner Musikleben 1929. Ein Situationsbericht über Musikrezeption und Musikpolitik vor fünfzig Jahren. Ernst G. Lowenthal: Von Moritz Veit bis Heinrich Stahl. Gemeindevorsteher 1845 -1943 / Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Berlin. Adolf Paul: Zum schwarzen Ferkel. Eberhard von Kniestädt / Christian Ferdinand Spittler: Besuch in Berlin 1776/77. Hans J. Reichhardt: Chronikschreibung - heute. Otto Uhlitz: Der Berliner Münzfries und der Neubau der Reichsmünze am Molkenmarkt. Ein Nachtrag. Band 29 (1980); 24,80 DM. Eva Börsch-Supan: Wachstum und Schicksal der Berliner Museen. Manfred Stürzbecher: Aus der Geschichte des Charlottenburger Gesundheitswesens. Wolfgang Knauft: Bistum Berlin 50 Jahre. Henry Vizetelly: Berliner Studenten vor 100 Jahren. Friedrich Terveen: Ein Schweizer in Berlin. Martin Hürlimann - Fotograf, Journalist, Verleger. 318 Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (It. Beschluß der Jahresversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung des Beitrages für 1981 und noch ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM) sowie 1980 (48 DM). Im I.Vierteljahr 1981 haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet: Dr. Veronika Bendt, wiss. Ang. Hagelberger Straße 14, 1000 Berlin 61 Tel. 7 85 88 99 (Frieda Kaeber) Reinhard Bolk, Arzt Eichkampstraße 108, 1000 Berlin 19 Tel. 3 02 3149 (Irmgart Köhler) Heinz Fischer, kfm. Angestellter Reichweindamm 14, 1000 Berlin 13 Tel. 3816962 (Bibliothek) Reinhard Hanke, wiss. Ass. Oberhofer Weg 66, 1000 Berlin 45 Tel. 7119899 (Dr. Escher) Juliana Jünger Milowstraße 9, 1000 Berlin 33 Tel. 8 24 13 94 (Frau Leichter) Gertrud Mattheus, Rentnerin Eisenacher Straße 17, 1000 Berlin 62 Tel. 7 813617 (Frau Sylvester) Firma M. Pech GmbH & Co. KG Erkelenzdamm 13, 1000 Berlin 36 Tel. 614021 (A.Brauer) Eva Rademacher, Hausfrau Finsterwalder Straße 7,1000 Berlin 26 Tel. 4 02 49 01 (Dr. G. Kutzsch) Peter Römhild, Dipl.-Ing. Leinestraße 56, 1000 Berlin 44 Tel. 6211262 (Joachim Methlow) Malve Gräfin Rothkirch, Hausfrau Barsekowstraße 1, 1000 Berlin 41 Tel. 771 3191 (Lucie Brauer) Jochem Sotscheck, Dipl.-Ing. Kurfürstendamm 139, 1000 Berlin 31 Tel. 8 91 59 38 (Schriftführer) Margot Scheinmann, Hausfrau Elgersburger Straße 29, 1000 Berlin 33 Tel. 6 26 2108 (Frau M. Schütze) Voranzeige der Studienfahrt nach Mölln Vom 18. bis 20. September 1981 ist die Exkursion vorgesehen. Das bisherige Programm umfaßt am 18. September nach einem Mittagessen in Lauenburg nach der Ankunft einen Rundgang durch den Möllner Stadtforst unter Führung von Stadtförster H. Ruppertshofen, Präsident der Deutschen Ameisenschutzwarte, und ein gemeinsames Abendessen (Eulenspiegel begrüßt). Sonnabend, 19. September, soll dann ein Ausflug zum Ratzeburger See mit Besichtigung des Ratzeburger Domes (Probst Steffen) und des A.-Paul-Weber-Hauses (Rektor i. R. H. Jürß) folgen. Für die Nachmittagsfahrt durch den Naturpark Lauenburgische Seen steht der Ornithologe Th. Neumann, WWL-Umweltschutzbeauftragter für die Bundesrepublik Deutschland, als Führer zur Verfügung. Am Sonntag bildet ein Besuch des Rathauses mit Empfang und Vortrag von Bürgervorsteher A .Flöge] über die Geschichte des Herzogtums Lauenburg und über Mölln in der lübischen Historie mit nachfolgendem Rundgang durch die Altstadt den Abschluß. Nach dem gemeinsamen Mittagessen wird die Heimreise angetreten. Unverbindliche Voranmeldungen können jederzeit an den Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestrasse 13,1000 Berlin 65, gerichtet werden. Diese Interessenten werden dann durch ein Rundschreiben unterrichtet. Im Heft 3/1981 wird dann das genaue Programm mit Zeitplan veröffentlicht. SchB. Tagesordnung der Ordentlichen Mitgliederversammlung 1. Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts 2. Bericht der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer 3. Aussprache 4. Entlastung des Vorstands 5. Wahl des Vorstands 6. Wahl von zwei Kassenprüfem und Bibliotheksprüfern 7. Verschiedenes Anträge aus dem Kreis der Mitglieder sind bis zum 22. April 1981 der Geschäftsstelle einzureichen. Um pünktliches Erscheinen wird gebeten. 319 Beilagenhinweis: Der Versandauflage liegt ein Prospekt der Haude u. Spenerschen Verlagsbuchhandlung bei. Veranstaltungen im IL Quartal 1981 1. Dienstag, den 7. April 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Wolfgang Eckert: „Von der Mühle an der Panke zum Stadtbezirk Wedding". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 2. Dienstag, den 28. April 1981, 19.45 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ribbe: „Berlin - Hauptstadt Preußens und des Reiches". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 3. Sonnabend, den 9. Mai 1981, 10.00 Uhr: „Von Rudolf Germer zu Erwin Barth - Der Volkspark der letzten Republik". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Eckernförder Platz, See- Ecke Sylter Straße. Begehungsendpunkt U-Bhf. Afrikanische Straße. Fahrverbindungen: Busse 16,64,65,89 und U-Bahnhof Putlitzstraße (mit kurzem Fußweg). 4. Dienstag, den 12. Mai 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Hans-Joachim Müller: „Drei Jahrzehnte Berlin - Rückblick auf das Leben in der Stadt zwischen den beiden Weltkriegen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 5. Dienstag, den 19. Mai 1981, 19.45 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. Die Tagesordnung ist auf Seite 319 ausgedruckt. 6. Dienstag, den 16. Juni 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Dr. Peter Bloch: „Berliner Denkmäler - Geschichte und Aktualität". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 7. Dienstag, den 23. Juni 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erwin Wirz: „Historische Friedhöfe in Berlin - heute". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 8. Sonnabend, den 27. Juni 1981, 17.00 Uhr: „Der Friedhof vor dem Halleschen Tor". Leitung: Herr Erwin Wirz. Treffpunkt vor dem Haupteingang am U-Bahnhof, Ausgang Mehringdamm. 9. Dienstag, den 30. Juni 1981,19.45 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Gerd Heinrich: „Stadt und Wirtschaft im friederizianischen Preußen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg. 10. Sonnabend, den 4. Juli 1981,10.00 Uhr: „Von Johann Friedrich Eosander und Peter Josef Lenne zu Walter Hilzheimer - Die Parke am Schloß Charlottenburg". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt Luisenplatz. Fahrverbindungen: Busse 9,21,54,62, 74, 87; U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz (mit kurzem Fußweg). Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller. Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20. Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16. Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11. Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19. Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs 16 bis 19.30 Uhr. Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins, gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher. Wolfgang Neugebauer. Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM jährlich. Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung. 320 h/'i/ A1015FX £*> U~?± f i ^ ü H i i f e * S — MITTEILUNGEN DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS GEGRÜNDET 1865 77. Jahrgang Heft 3 Juli 1981 Tft FAHRPLAN fcr Electrischen Eisenbahn zwischen dem Bahnhof der Anhaltischen Eisenbahn und der Huupt-Kadetten-Anstalt. £m i«. p « IHM uitttfi#fei*auf pritcw. A b O k r t * • > «er .•«•M«««««—ü — n l u •. «r w '." V» • . 8,"» tt,» Mittat». 1 «,*> Mm»** * , » KtrkaMaf« i l,i» XirlmilUf» *!*' V V» V *.* •»• • *y» 1,» AWml». V 8,« A h a * . M.» Fahrseil Ba*»k»r L I c k t t r A H c i • / ' Mo>(eB>.> «,«• M««n» »,» V AhlWhrt i « i •1? für «." u.» • . die ganz«s Strecke 10 Minuten. Sieineii» & HaLskc, Berlin. • * Jtf Fahrplan der ersten öffentlichen elektrischen Straßenbahn der Welt 321 /iOO Jahre elektrische Bahnen im Südwesten Berlins Zum Zusammenhang zwischen Siedlungsentwicklung und Fortschritten in der Nahverkehrstechnik Von Felix Escher I Die Ausdehnungsmöglichkeit der Städte, auch der größten, war bis in das 19. Jahrhundert hinein auf den Radius eines Fußgängers beschränkt. Die wenigen Transportmittel - Pferd, Wagen und Sänfte - konnten die Reisezeit zwischen zwei Punkten innerhalb der Stadt nur unwesentlich verkürzen und waren zudem nur gehobenen Gesellschaftsschichten zugänglich. Kennzeichen derartiger „Fußgängerstädte" (walking cities)' war neben der engen Bebauung auch eine im Vergleich zu heutigen Städten stärkere soziale Durchmischung. Das Stadtzentrum war nicht nur der Mittelpunkt von Handel und Gewerbe, sondern auch bevorzugter Wohnort der sozial führenden Schichten. Die im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in nahezu allen Metropolen eingeführten innerstädtischen Omnibuslinien konnten an dieser Stadtgliederung ebensowenig ändern wie die frühen, auf den Fernverkehr hin konzipierten Eisenbahnen. Die geringe Reisegeschwindigkeit des Omnibusses und technische Probleme, die ein häufiges Bremsen und Anfahren einer Dampflok mit sich brachten, machten beide Verkehrsmittel im Nahverkehr nur bedingt einsatzfähig. In Berlin bestanden seit 1847 (in London nach Pariser Vorbild bereits 1838) zwar einige innerstädtische Omnibuslinien, doch blieben Ausflugsfahrten mit besonders dafür hergerichteten Fahrzeugen („Torwagen" und „Kremser") noch lange Zeit das wichtigere Einsatzgebiet2. Eine Ausweitung des bebauten Stadtgebietes zur Zeit der Herrschaft des Omnibusverkehrs (1847-1865) erfolgte in Berlin nur in geringem Maße. Mit der Überwindung der technischen Probleme in der Lokomotivkonstruktion wurde die Eisenbahn auch für den Nahverkehr interessant. Vornehmlich in England, aber auch in den USA entstanden ab ca. 1850 neue Haltestellen an alten Fernbahnlinien und vereinzelt für den Vorortverkehr konzipierte Strecken, z. B. in London 3 . Die Sommerwohnung auf dem Land wurde durch die Eisenbahnverbindung zum ständigen Wohnsitz, die Annehmlichkeiten des Landlebens konnten mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Anwesenheit in der Stadt verbunden werden. Villenkolonien entstanden nun in einiger Entfernung zur Stadt, der moderne Vorort war geboren. Zugleich mit dem Eisenbahn-Vorortverkehr wurde der innerstädtische Verkehr durch die Einführung von Schienenfahrzeugen auf eine höhere Stufe gehoben. Die Zugkraft der Pferde, so hatte sich gezeigt, konnte wesentlich besser und gleichmäßiger ausgenutzt werden. 1865 konnte in Berlin eine erste Pferdebahnlinie vom Kupfergraben nach Charlottenburg eingerichtet werden. Die ersten Fahrzeuge kamen aus Kopenhagen, wie auch ein dänischer Kaufmann große Bedeutung für die Konzessionierung der Straßenbahn in der preußischen Metropole hatte. Die erste Berliner Straßenbahnlinie und noch stärker ihre Verlängerung von Charlottenburg in die junge Villenkolonie Westend (1871) dienten vornehmlich dem Vorortverkehr. Das neue Verkehrsmittel war so in Berlin zunächst auf einem Gebiet eingesetzt, auf dem es mit der Eisenbahn - vor allem in der Schnelligkeit - keineswegs konkurrieren konnte. Der Geschäftserfolg der „Berliner Pferde-Eisenbahngesellschaft" war deshalb eher mäßig, vor allem nach dem Ausbau der Ring- und Stadtbahn. Auch das zweite Straßenbahnunternehmen, die „Große Berliner Pferdeeisenbahn-Gesellschaft", mußte sich in den ersten Jahren nach seiner Gründung (1871) mit Strecken am Stadtrand begnügen. Erst 1882 war der Weg zum Aufbau innerstädtischer Linien - und damit zu besseren Renditen - frei". 322 Erster Triebwagen von 1881 II Ohne die im 19. Jahrhundert entwickelte Verkehrstechnik wäre der für Berlin charakteristische Kranz der Vororte niemals entstanden. Andererseits sind von den an der Erschließung der Vororte finanziell interessierten Personengruppen auch erhebliche Initiativen zur technischen Verbesserung der lokalen Verkehrsmittel ausgegangen. Am Beispiel der ältesten Berliner Villenkolonie, Lichterfelde, wird dies besonders deutlich. Das Terrain für die Villenkolonie, die Rittergüter Lichterfelde und Giesendorf, hatte der Kaufmann Johann Anton Wilhelm Carstenn 1865 gekauft und im folgenden Jahr parzellieren lassen5. Carstenn hatte in den Jahren zuvor intensiv die englischen Methoden der Stadterweiterung studiert und ein Vermögen bei der erfolgreichen Aufschließung eines größeren Gebietes in Wandsbek, damals noch bei Hamburg gelegen, erworben. Er wußte auch um die Wichtigkeit der Verkehrsanschlüsse für eine neue Siedlung fernab der Stadt und erreichte in zähen Verhandlungen mit der „BerlinAnhalter Eisenbahn-Gesellschaft", daß ab 1868 einige Fernzüge in dem von ihm auf eigene Kosten - zunächst provisorisch - eingerichteten Bahnhofhielten. Der Bahnhof Groß-Lichterfelde Anhalter Bahn, später Lichterfelde-Ost, wurde damit zum ersten Vorortbahnhof im Berliner Raum und zum Ausgangspunkt des Vorort- und späteren S-Bahnverkehrs. Um die Anziehungskraft der sehr ausgedehnten Villenkolonie zu steigern, verfiel der gebürtige Holsteiner Carstenn auf einen preußisch-patriotischen Gedanken: Die preußische Hauptkadettenanstalt sollte nach seinen Vorstellungen in der Villenkolonie neu errichtet werden. Eine Verlegung des im Stadtzentrum in alten Gebäuden nur unzulänglich untergebrachten Instituts war auch vom Kriegsministerium geplant, allerdings an eine andere Stelle, in das Gelände des Hippodroms, unmittelbar nordwestlich des späteren Stadtbahnhofes Zoologi323 Die Straßenbahn von 1881 im offenen Gelände vor der Hauptkadettenanstalt (zeitgenössische Ansicht) scher Garten. In zähen Verhandlungen erreichte Carstenn, daß die Kadettenanstalt doch noch in „seiner" Villensiedlung gebaut wurde. Der Preis für das Nachgeben des Kriegsministeriums und der in diesem Fall zuständigen Intendantur des 1. Garderegiments war außerordentlich hoch: Carstenn verpflichtete sich in einem am 23. Oktober 1871 in juristisch bindender Form niedergelegten Vertrag, nicht nur ein Gelände von 93 Morgen frei herzugeben, sondern auch u. a. für die Anlage der Gas- und Wasserversorgung, für eine leistungsfähige Kanalisation, ferner für die Pflasterung der umgebenden Straßen und den Bau eines Schwimmbades zu sorgen. Ein weiteres Grundstück von 12 Morgen mußte neben einem namhaften Geldbetrag für den Bau von Lehrerwohnungen hergegeben werden. Um den Schülern und Lehrern die Möglichkeit des Besuchs kultureller Veranstaltungen in Berlin zu geben, ging Carstenn auch die Verpflichtung zum Betrieb einer Pferdeomnibuslinie zwischen der Kadettenanstalt und dem Anhalter Bahnhof sowie der Sorge für billige und schnelle Verbindungen nach Berlin ein. III Die von Carstenn im Jahr der Hochkonjunktur des Bauwesens 1871 eingegangenen Verpflichtungen begannen in der Zeit der wirtschaftlichen Depression ab 1873 zunehmend zu drücken. Der aufgrund seiner großzügigen Spende als „Carstenn von Lichterfelde" in den Adelsstand erhobene Terrainspekulant vermochte die eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr in vollem Umfang zu erfüllen. Das Kriegsministerium, das auf der vollen Erfüllung der Vertragsbedingungen bestand, hielt sich deshalb am Vermögen des Schenkers schadlos und konnte noch zahlreiche weitere Grundstücke in Lichterfelde erwerben. In seinem Unmut über das Verhalten 324 Versuchsbahn „Spandauer Berg" des Militärfiskus ließ sich Carstenn zu beleidigenden Äußerungen über die Militärbürokratie hinreißen, die diese durch eine Strafanzeige 1887 beantwortete. Die wirtschaftliche Tätigkeit des später als „Napoleon unter den Terrainspekulanten" bezeichneten Mannes beschränkte sich zu dieser Zeit ganz auf den mit den Mitteln der Publizistik geführten Kampf gegen die preußische Bürokratie6. Von den vielen Verpflichtungen Carstenns sollte die Einrichtung eines Nahverkehrsbetriebes zwischen der Kadettenanstalt und dem Bahnhof Groß-Lichterfelde Anhalter Bahn sich als besonders bedeutsam erweisen: Werner von Siemens, der bereits ein Jahr nach der Fertigstellung der Kadettenanstalt im Rahmen der Gewerbe-Ausstellung von 1879 im Moabiter Ausstellungspark die erste elektrische Eisenbahn zur Personenbeförderung vorgestellt hatte, begann sich für Lichterfelde zu interessieren. Die seit der Fertigstellung der Kadettenanstalt im Jahre 1878 nicht mehr benötigte, insgesamt 2,5 km lange Materialtransportstrecke zwischen Kadettenanstalt und Bahnhof wurde von ihm zu einer Versuchsstrecke für den elektrischen Bahnbetrieb reaktiviert. Am 16. Mai 1881, mithin vor 100 Jahren, fuhr die erste elektrische, dem öffentlichen Verkehr dienende Straßenbahn in Lichterfe