Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins - Zentral

Transcrição

Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins - Zentral
tm •
RntsbibüotheV
l-KtMt*rt,l»
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
Jahrgänge 75-78
Schriftleitung:
Felix Escher
Claus P. Mader
Wolfgang Neugebauer
BERLIN 1979-1982
A
O
Inhaltsverzeichnis
I. Aufsätze
Berndal, Franz
Carl Gustav Berndal zum 150. Geburtstag
(m. 3 Abb.)
239
Biller, Thomas
Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen von Spandau
(m. 19 Abb.)
349
Börsch-Supan, Eva
Das Schinkeljahr 1981 - Ein Rückblick
(m. 1. Abb.)
485
Börsch-Supan, Helmut
„Bildnis eines Gelehrten"
Zur Neuerwerbung eines Gemäldes von Johann Carl Heinrich Kretschmar
(m. 1 Abb.)
Die Kunst auf der Preußenausstellung
16
392
Brummer, Gertrud
Jugenderinnerungen an Onkel Toms Hütte
(m. 3 Abb.)
201
Bunsas, Fritz
Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks zum 125. Geburtstag von Paul Marcus
(m. 10 Abb.)
97
Engeli, Christian,
Gustav Böß und der Berliner Sport
(m. 3 Abb.)
13
Erbe, Michael
Ein Berliner Historiker: Friedrich Meinecke (1862-1954)
Rückblick nach fünfundzwanzig Jahren (m. 4 Abb.)
25
Otto Hintze (1861-1940)
(m. 2 Abb.)
157
Escher, Felix
100 Jahre elektrische Bahnen im Südwesten Berlins
Zum Zusammenhang zwischen Siedlungsentwicklung und Fortschritten
in der Nahverkehrstechnik
(rar. 8 Abb.)
321
III
Hengsbach, Arne
Zur Verkehrsgeschichte von Tempelhof
(m. 4 Abb.)
„Odeum" und „Englischer Garten"
Spandaus Theater im 19. Jahrhundert
2
430
Henning, Eckart
In memoriam Dr. Franz Jahn
(m. 1 Abb.)
106
Die Akademie des Bauwesens
(m. 7 Abb.)
289
Jessen, Hans B.
Berliner Altertums-Forscher und -Freunde
Ihre Gräber und Grabdenkmale (m. 6 Abb.)
63
Kaiesse, Andreas
Denkmalschutz in Spandau
Bemerkungen zur gegenwärtigen Situation oder kein Grund zum Jubeln
(m. 7 Abb.)
413
Klünner, Hans-Werner
Die ehemalige Von-der-Heydt-Villa und ihre Umgebung
(m. 7 Abb.)
121
Zur 1 lOjährigen Wiederkehr der Neuaufstellung der Gerichtslaube und der
Stiftung der Fidicin-Medaille
(Als Einleitung zum Nachdruck des Artikels)
In der Gerichtslaube im Parke zu Babelsberg
(m. 3 Abb.)
421
Krienke, Gerhard
„Man hat nicht sehr strenge sein dürfen"
Wildwuchs im Berliner Elementarschulwesen des 18. Jahrhunderts
305
Liedtke, Eleonore
Die Überwindung der Diaspora
I. Teil: Die Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottrfnburg
(m. 4 Abb.)
II. Teil: Zerstörung, Wiederaufbau und Ausbau
(m. 5 Abb.)
Lowenthal, Ernst G.
Moses Mendelssohn und Berlin
Zum 250. Geburtstag des Philosophen der Aufklärung
(m. 1 Abb.)
IV
189
229
89
Lowenthal, Ernst G. (Forts.)
100 Jahre Jüdischer Friedhof Weißensee
(m. 8 Abb.)
Der Maler-Entdecker Berlins
Zum 50. Todestag von Lesser Uri am 18. Oktober 1981
(m. 2 Abb.)
373
Sein halbes Leben in Berlin
Zum 50. Todestag des Graphikers Emil Orlik
507
Pierson, Kurt
Berlin - Ursprung des elektrischen Bahnbetriebes
(m. 5 Abb.) ."
266
57
Ribbe, Wolfgang
Zur regionalen Strukturgeschichte des Spandauer Raumes in 750 Jahren
(m. 16 Abb.)
449
Schachinger, Erika
Käthe Schmidt-Jürgensen (1897-1979)
Ein Berliner Künstlerschicksal
(m. 2 Abb.)
144
Schneider, Edmund
Das Spandauer Stadtarchiv
272
Schultze-Berndt, Hans G.
Historische Porträtsbüste eines Berliner Brauherrn
(m. 3 Abb.)
75
Schütze, Karl-Robert
Die Kugel 1928/1929
Eine vergessene Arbeitsgemeinschaft schaffender Künstler
(mit 7 Abb.)
494
Sommer, Klaus
Daniel Friedrich Loos
Ein Beitrag zur Berliner Münzgeschichte
(m. 14 Abb.)
130
Stürzbecher, Manfred
Stadtmedizinalrat Dr. Theobald Sütterlin (1893-1945)
397
Uhlitz, Manfred H.
Der Glockenturm am Olympia-Stadion in Berlin
(m. 3 Abb.)
173
Uhlitz, Otto
Berliner Justizgeschichte 1945 bis 1980
Zu einem neuen Buch
500
Vietig, Jürgen
Stanislaw Przybyszewski - Ein Pole in Berlin
(m. 7 Abb.)
Berlin als Ort der Verfolgung und des Widerstandes von Polen
(m. 4 Abb.)
221
33
°
Wetzel, Jürgen
Adelbert von Chamisso - Ein Wanderer zwischen zwei Welten
Zum 200. Geburtstag des Dichters
(m. 3 Abb.)
257
Wilde, Alexander
Berliner M u s i k l e b e n i m 17. u n d frühen 18. J a h r h u n d e r t
(m. 4 Abb.)
381
Wille, Klaus-Dieter
D i e K i r c h e n g l o c k e n v o n Berlin ( W e s t )
Zwischenbilanz aus einer zweijährigen Inventarisationsarbeit
(m. 7 Abb.)
33
Wippennann, Wolfgang
W i d e r s t a n d u n d V e r f o l g u n g in Berlin
Bemerkungen zu einer Neuerscheinung aus der D D R
165
II. Kleine Beiträge, Notizen, Berichte, Exkursionen
Zur Geschichte der wissenschaftlichen
Einrichtungen in Dahlem
Spittelkolonnaden entstehen neu
Neue Ausstellung im Landesarchiv
Berlin
Gesellschaft für Heimatgeschichte
in der DDR
Erstmals mehr als 100000 Besucher
im Märkischen Museum
60 Brunnen im Ostteil der Stadt
Bellevue - bessere Aussichten für die
Zukunft
75 Jahre Zucker-Museum in Berlin . . . .
Um den neunten Stadtbezirk
in Ost-Berlin
„Gemeinnützige Sammlung der
Gründerzeit"
Ausstellung zur Denkmalpflege im
Bezirk Prenzlauer Berg
VI
18
18
19
43
43
43
78
78
79
79
79
Standbild König Friedrich I. Denkmal von vier Bildhauern . . . . . . . .
Historisches Archiv zur Ingenieurausbildung
Ehrungen zum 50. Todestag
Heinrich Zilles
:....
Senat von Berlin fördert
Berlin-Forschung
Denkmal-Fotoausstellung
in Ost-Berlin
Freiwillige Denkmalpfleger restaurieren
auf Ost-Berliner Friedhöfen
Berliner Bär im Bischofswappen
Heinrich Zille - Ausstellungen
Willy Dammasch
Forschungsvorhaben „Berlin - Symbol der
Konfrontation, Prüfstein der Entspannung"
Beiträge des Architekten Fritz Rothstein
zur Berliner Denkmalpflege
110
111
111
149
149
150
150
178
179
207
207
25 Jahre Institut für Denkmalpflege in
Ost-Berlin
VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow . .
Denkmalschutz für Treptower
Bruno-Taut-Siedlung
Märkisches Museum umgebaut . . . . . .
Alter Hörsaal in Ost-Berlin renoviert . . .
Groß-Berlin entsteht - Zum 60. Jahrestag
Der Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner
Senats - Bericht über den VerleihungsFestakt
570 Denkmale und historische Ensembles
in Ost-Berlin
Louise Northmann - genannt die
„Harfenjule"
Rekonstruktion des Alten Marktes in
Potsdam
Restaurierung des Alten Museums auf der
Museumsinsel
Restaurierung des Köpenicker Schlosses
„Schinkel in Berlin"
Schinkelwettbewerb 1980
Um den Berliner Stadtkern
300 Jahre Friedrichs-Werdersches
Gymnasium
Sonderausstellung zur Entwicklung des
Märkischen Museums
Eisenbahnanlagen in Ost-Berlin unter
Denkmalschutz
Ausstellung „Berlin und seine Kneipen" . .
Schloß Friedrichsfelde
wiedererstanden
Historische Ausstellung in Spandau . . . .
Eine interessante Ausstellung
(Berlin-Museum)
Historische Kommission zu Berlin mit
neuer Sektion für die Geschichte Berlins
Jetzt auch Historische Kommission der
SPD
Adolf-Glaßbrenner-Gesellschaft gegründet
Historische Vorträge und Führungen im
Stadtkern Berlins
Beuth-Ausstellung im Historischen Archiv
der TFH
Geschichtskreis „Historisches Neukölln"
Ehemalige Knorr-Bremse unter Denkmalschutz
Gesprächskreis über die Ortsgeschichte des
Prenzlauer Bergs
Um den Wiederaufbau der historischen
Innenstadt
Förderverein zur Erhaltung und Nutzung
des Hamburger Bahnhofs in Berlin e.V.
Arbeitsgruppe „Geschichte der Fotografie
in Berlin"
207
208
208
208
208
243
245
246
274
276
276
276
276
276
312
Kolloquium zur Berlin-Geschichte an der
Humboldt-Universität
474
300 Jahre Friedrich-Werdersches
Gymnasium zu Berlin
474
Paul Ortwin Rave, 1893-1962
509
Zum zweiten Mal Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner
Senats
510
Berlinmodell im Märkischen Museum . . 511
Der „Hohle Zahn" ist krank
511
Studienfahrt 1979 nach Braunschweig und
ins Braunschweiger Land
Programm
87
Bericht
112
Studienfahrt 1980 nach Minden
Programm
219
Bericht
277
Studienfahrt 1981 nach Mölln
Programm
346
Bericht
402
Studienfahrt 1982 nach Lemgo
Programm
446,482
Mitglieder-Jahreshauptversammlungen
(1979)80,(1980)209,(1981)340,(1982)474
312
340
III. Hinweise und Informationen
377
378
Kleine Mitteilungen:
18, 44, 54, 119, 150, 218, 255, 286, 319, 377, 378,
402,518
401
438
438
438
439
439
439
439
439
440
440
473
473
473
Veranstaltungskalender:
24, 56, 88, 120, 156, 188, 220, 256, 288, 320, 348,
380, 412, 448, 484, 520
Literaturhinweise:
53, 85, 86, 119, 155, 187, 215, 218, 253, 285, 316,
346, 519
IV. Personalien
Würdigungen:
Franz Berndal
Ursula Besser
Albert Brauer
Karl Bullemer
Walter Hoffmann-Axthelm
Georg Holmsten
Gerhard Kutzsch
Julius Posener
Harry Ristock
Hans Schiller
Axel C. Springer
Irmgard Wirth
81, 341
440
181
278
113,511
440
180
312, 341, 375
312
246
341, 475
312
VII
Nachrufe:
Horst Behrend
Hans Brendicke
Joachim Lachmann
Walter Mügel
150
277
210
210
Kurzmitteilungen:
19,44,81, 113, 151, 181,209,211,212,247,279,
312, 341, 342, 378,403, 440, 475, 512
Neue Mitglieder:
23, 54, 86, 119, 155, 187, 218, 255, 286, 319, 346,
379,411,447,483,518
V. Buchbesprechungen
Adolph v. Menzel - Das graphische Werk,
1976 (Schultze-Berndt)
Adolph Menzel. Skizzenbuch 1846, 1980
(Schultze-Berndt)
Albertz: Blumen für Stukenbrock. Biographisches, 1981 (Köhler)
Alfred Bengsch - Der Kardinal aus Berlin,
1980 (Escher)
Ane: Berlin ssum Piep'n, 1979 (SchultzeBerndt)
Architekturführer Berlin, Hauptstadt der
DDR, 1976 (Escher)
Aufgabestempel der Berliner Postanstalten,
1980 (Schultze-Berndt)
Ausgrabungen in Berlin, Bd. 5/1978
(Escher)
Behrens/Noth: Berliner Stadtbahnbilder,
1981 (Schiller)
Beckiers/Schütze: Zwischen Leipziger Platz
und Wilhelmstraße, 1981 (Börsch-Supan)
Berg: Berlin damals - ein Spaziergang mit
Witz, 1979 (Schiller) .
Berlin - ma so jesehen, 1978 (SchultzeBerndt)
Berhn - Zehn Kapitel seiner Geschichte,
1981 (Mader)
Berlin 1737-1785. 32 alte Kupferstiche,
1979 (Mader)
Berlin als Großstadt - lokale Lokale (Kalender), 1981 (Schultze-Berndt)
Berlin und seine Kneipen (Katalog), 1981
(Schultze-Berndt)
Berlin-Calender 1979 (Mader)
Berliner Kulturstätten [Ost], 1978 (Letkemann)
Bethsold: Schöneberg - eine Gegend in Berlin, 1977 (Schiller)
Bödecker: Die grüne Stadt am Beispiel Berlin, 1981 (Schultze-Berndt)
VIII
21
214
443
280
155
49
316
212
441
406
284
85
476
251
346
445
22
51
342
446
Böer: Das ehemalige Schloß in Schwedt/O.
u. seine Umgebung, 1979 (Kutzsch) . . . .
Bohle-Heintzenberg: Architektur der Berliner Hoch- und Untergrundbahn, 1980
(Schiller)
Bois: Zu wahr, um schön zu sein, 1980
(Schultze-Berndt)
Bonacker: Berlin im Werden des Stadtplanes, 1979 (Escher)
Börsch-Supan: Die Kunst in BrandenburgPreußen, 1980 (Letkemanri)
de Bruyn: Märkische Forschungen, 1979
(Gottke)
Carstensen: Bismarck-Anekdotisches, 1981
(Schultze-Berndt)
Clarke: Kaufhauswelt. Fotografien aus dem
KaDeWe, 1980 (Schultze-Berndt)
Clauswitz/Zögner: Die Pläne von Berlin
von den Anfängen bis 1950, 1906/1979
(Escher)
Constantin: Berliner Schimpfwörterbuch,
1980 (Schultze-Berndt)
Das kleine Zille-Buch, 1969/1979
(Klünner/Mader)
Das Kunstgewerbe-Museum zu Berlin.
Festschrift zur Eröffnung 1881,1981 (Ndr.)
(Börsch-Supan)
Der Berliner zweifelt immer, 1977 (Mader)
Dibelius: So habe ich's erlebt, 1980(Escher)
Dogen: Spandow, eine der vornehmsten
Festungen, 1648/1979 (Escher)
Drewitz: Märkische Sagen, 1979 (Köhler)
Dreyer: Kupferstichkabinett Beriin Ital. Zeichnungen, 1979 (Lethkemann) . .
Dülffer/Thies/Henke: Hitlers Städte, 1978
(Escher)
Eberhard (Hrsg.): Fritze Bollmann wollte
angeln, 1980 (Mader)
Eickemeyer: Berliner Ansichten, 1980
(Schiller)
Eickemeyer/Skowronski: Berlin 1981 (Kalender) (Schiller)
Etzold/Kirchner/Knobloch:
Historische
Friedhöfe der DDR I: Jüdische Friedhöfe
in Berlin, 1980 (Bienwald)
Festschrift für Martin Sperlich, 1980
(Schultze-Berndt)
Fischer: Heinrich Zille, 1979 (Klünner/
Mader)
.
Franz Burchard Dörbeck, 1979 (SchultzeBerndt)
Frecot (Hrsg.): Berlin 1870-1910, 1981
(Schiller)
Friebel: Unterwegs in Berlin, 1978
(Schultze-Berndt)
315
409
316
182
403
152
481
445
182
315
183
406
51
280
182
185
513
114
345
283
283
378
344
183
154
475
52
Friedrich: Vom Friedensmuseum zur Hitlerkaserne, 1978 (Escher)
Geographie in Wissenschaft und Unterricht. Festschrift für Helmut Winz, 1980
(Escher)
Gottwaldt: Berliner Fernbahnhöfe, 1982
(Schiller)
Gottwaldt: Berliner Verkehr, 1979 (Schiller)
Gottwaldt: Eisenbahnbrennpunkt Berlin,
1982 (Schiller)
Glotz: Die Innenausstattung der Macht,
1979 (Schultze-Berndt)
Grothe: Gloria Victoria, 1981 (SchultzeBerndt)
Grünfeld: Heimgesucht - Heimgefunden,
1979 (Köhler)
Gundermann: Berlin als Kongreßstadt
1878, 1978 (Letkemann)
Gurk: Berlin, 1980 (Köhler)
Gurk: Tresoreinbruch, 1981 (Köhler) . '. .
Gustav Stresemann 1878-1978,1978 (Erbe)
Hamm/Schneider: Berlin - Landschaften
einer Stadt, 1977 (Schultze-Berndt) . . . .
Hardey: . . . damals war ich fünfzehn, 1979
(Schultze-Berndt)
Heinroth: Mit Faltern begann's, 1979
(Köhler)
Hirsch: Stresemann, 1978 (Erbe)
Historische Grundrisse, Pläne u. Aussichten
von Spandau. Blatt 3: Zitadelle Spandau,
„Lynarplan", 1981 (Escher)
- dass., Blatt 4: „Statt, Schloss und Vöstung
Spandaw 1604" 1982 (Escher)
Hoffmann: Kreuzberger Geschichten, 1980
(Schiller)
Holmsten: Berlin-Charlottenburg. - BerlinSteglitz. 1980 (Mader)
Huret: Berlin um 1900, 1909/Ndr. 1979
(Mader)
Italiaander/Bauer/Krafft: Berlins Stunde
Null 1945, 1979 (Köhler)
Johanniterstraße 2-5 (1872-1944). Die Historie des berüchtigten Mietblocks . . . ün
Bezirk Kreuzberg, 1979 (Schultze-Bemdt)
Juden in Preußen (Katalog), 1981
(Escher)
Kehrl: Frühling in Berlin u. anderswo in der
Mark, 1978 (Schultze-Berndt)
Kiersch/Klaus/Kramer/Reichardt-Kiersch:
Berliner Alltag im 3. Reich, 1981 (Köhler)
Kleberger: Preuße, Bürger und Genie:
Adolph Menzel, 1981 (Köhler)
Klebes: Die Straßenbahnen Berlins in alten
Ansichten, 1981 (Schiller)
Klöden: Von Berlin nach Berlin, 1976
(Bunsas)
20
247
512
213
512
514
481
152
47
284
514
51
20
252
250
46
342
440
314
251
478
252
249
515
214
476
410
479
Klös: Berlin und sein Zoo, 1978 (Gottke)
Klünner: Spandau und Siemensstadt, so wie
sie waren, 1978 (Escher)
Klünner/Börsch-Supan: Berlin-Archiv,
1980ff. (Escher)
Koch: Berliner Presse und europäisches Geschehen 1871, 1978 (Kutzsch)
Kühne/Stephani: Evangelische Kirchen in
Berlin, 1978 (Escher)
Kuhnert/Rau: Der Reisende hat das Wort.
Die Berliner S-Bahn, 1981 (Schiller) . . . .
Kunstwerke u. Dokumente aus den Sammlungen der Stiftung Preuß. Kulturbesitz,
1978 (Schultze-Berndt)
Lammert: David Gilly, 1981 (Escher) . . .
Langenscheidt: Naturgeschichte des Berliners, 1878/Ndr. 1980 (Mader)
Larsson: Die Neugestaltung der Reichshauptstadt, 1978 (Escher)
Layer: Lebensbilder... / Nikolaus Geiger,
1980 (Schultze-Berndt)
Lemmer: Alexanderplatz. Ein Ort deutscher Geschichte, 1980 (Schultze-Berndt)
Lentz: Molle mit Korn, 1979 (SchultzeBerndt)
Liese: Urlaub in Berlin, 1976 (SchultzeBerndt)
Löffler: Berlin und die Berliner, 1856/Ndr.
1978 (Mader)
Lowenthal (Hrsg.): Juden in Preußen,
Ein biograph. Verzeichnis, 1981
(Escher)
Lowenthal-Hensel: 50 Jahre Bistum Berlin,
1980 (Letkemann)
Lux: Von der Wolga zur Bernauer Straße,
1979 (Bunsas)
McBride: Knips! Berliner Bilder aus den
50er Jahren, 1979 (Schultze-Berndt) . . . .
Meichsner: Der Kurfürstendamm gezeichnet von Oswin, 1979 (Escher)
de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin, 1959
Neuaufl. 1981 (Mader)
Monumental-Plan der Reichshauptstadt
Berlin mit nächster Umgebung, 1896/1979
(Escher)
Mühlenhaupt: Berliner Blau 1981, 1981
(Mader)
Müller: Verkehrs- u. Wohnstrukturen in
Groß-Berlin 1880-1980, 1978 (Schiller)
Nagel/Lindenlauf: Berlin West. Ein Fotobilderbuch, 1977 (Schultze-Berndt) . . . .
Neumeyer: Der Werkwohnungsbau der Industrie in Berlin, 1978 (Escher)
Oncken: Friedrich Gilly 1772-1800, 1981
(Escher)
83
52
313
313
280
441
115
405
478
114
514
443
285
154
478
515
282
85
153
117
516
182
346
248
214
19
405
83
IX
Oschilewski: Heinrich Zille-Bibliographie,
1979 (Klünner/Mader)
Pabst: Taschenbuch Deutsche Straßenbahn-Triebwagen I, 1981 (Hengsbach)
Paul: Technische Sehenswürdigkeiten in
Deutschland, V: Berlin, 1980 (SchultzeBemdt)
Pauli: Kirchtürme, 1977 (Escher)
Peibst: Berlin-Brandenburgische Fayencen
des 17. u. 18. Jahrhunderts, 1979 (SchultzeBemdt)
Pitz/Brenne: Bezirk Zehlendorf. Siedlung
Onkel Tom, 1980 (Escher)
Preußische Bildnisse des 19. Jahrhunderts
(Kat. d. Hensel - Zeichnungen), 1981
(Lethkemann)
Ranke: Heinrich Zille. Photographien Berlin 1890-1910, 1975 (Klünner/Mader)
Ranke: Vom Milljöh ins Milieu, 1979
(Klünner/Mader)
Reif: Albert Speer, 1978 (Escher)
Rellstab: Berlin und seine nächsten Umgebungen in malerischen Originalansichten,
1852/Ndr. 1979 (Mader)
Reuter: Schriften - Reden, Bd. 3 u. 4,
1974/76 (Wetzel)
Reuther: Die Museumsinsel in Berlin, 1978
(Escher)
Rhode: Berlin 1799 für Freunde des Geschmacks u. der Moden, 1977 (Ndr.)
(Schultze-Bemdt)
Ribbe: Spandaus besonderer Weg (Katalog), 1982 (Escher)
Ribbe/Schultze: Das Landbuch des Klosters Zinna, 1976 (Vogel)
Ries: Berliner Galerie, 1981 (SchultzeBemdt)
Ritter: Berliner Wanderbuch, Teil I u. II,
1979/80 (Köhler)
Rückwardt: Das kaiserliche Berlin, 1980
(Köhler)
Scharf: Brücken und Breschen, 1977
(Escher)
Schmidt: Berlin - Stadtlandschaft u. Menschen, 1978 (Schultze-Bemdt)
Schmidt: Das Tiergartenviertel,
T. I: 1790-1870, 1981 (Escher)
Schmitz: Berliner Baumeister vom Ausgang
d. 18.Jh.s, 1980 (Escher)
Scholz: Wanderungen und Fahrten in die
Mark Brandenburg, Bd. 4-6, 1976-78
(Gottke)
- dass., Bd. 7, 1979 (Gottke)
Schulze: Die Polizeigesetzgebung zur Wirtschafts- und Arbeitsordnung d. Mark
Brandenburg, 1978 (Neugebauer)
X
183
404
480
280
153
405
517
183
183
114
478
44
114
249
440
50
477
343
248
280
154
405
405
84
213
49
Schümann: Der Berliner Dom im 19. Jh.,
1980 (Escher)
Seelmann: Treffpunkt Kongreß- u. Messestadt Berlin, 1979 (Brauer)
Seidenstücker: Von Weimar bis zum Ende,
1980 (Schultze-Bemdt)
Seutter: Berlin die Prächtigst u. mächtigste
Hauptstatt, 1728/1979 (Escher)
Sichelschmidt (Hrsg.): Berlin! Berlin!, 1980
(Schiller)
Sichelschmidt: Berliner Kirchen in alten
Ansichten, 1979 (Escher)
Skowronski: Berliner Landschaften, 1980
(Schiller)
Solmssen: Berliner Reigen, 1981 (Mader)
Speer: Architektur. Arbeiten 1933-42,1978
(Escher)
Sperlich: Gedichte, 1980 (Schultze-Bemdt)
Stahl/Wien: Berlin von 7 bis 7, 1977
(Schultze-Bemdt)
Streicher/Drave: Berlin - Stadt und Kirche,
1980 (Escher)
Strackmann: Staatsdiener als Zeitungsmacher, 1981 (Mader)
Thibaut: Minna, jib 'ne Molle rüber, 1980
(Schultze-Bemdt)
Tschechne: Heinrich Zille - Hofkonzert im
Hinterhaus, 1979 (Klünner/Mader) . . . .
Ulrich: Romantisches Berlin. Sechs Aquarelle, 1979 (Alberte)
Verfassung von Berlin, Kommentar, 1978
(Franz)
Von Moskau nach Berlin. Der Krieg im
Osten 1941-45, 1979 (Köhler)
v. Voß: Merkwürdiger Briefwechsel der
blonden Karoline . . . 1813, 1978 (Ndr.)
(Schultze-Bemdt)
Voß: Reiseführer für Literaturfreunde Berlin, 1980 (Mader)
Walther G. Oschilewski - Bibliographie,
1979 (Letkemann)
v. Weiher: Tagebuch der Nachrichtentechnik von 1600 bis zur Gegenwart, 1980
(Hengsbach)
Weihnachten im alten Berlin, 1978 (Köhler)
Wille: 42 Spaziergänge, 1976 (Bunsas) . . .
Wilms/Flor: Bummel durch Berlin, 1981
(Schultze-Bemdt)
Wirth: Berlin 1650-1914, 1979 (Mader)
Wirth: Eduard Gaertner, 1979 (Mader)
Wirth: Von Berlin nach Potsdam, 1977
(Mader)
Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur
Geschichte der TU Berlin 1879-1979, 1979,
(Escher)
405
186
444
182
314
280
283
481
114
344
22
280
516
345
183
253
82
153
249
482
255
282
117
116
444
118
251
48
247
Wodrich: Auf der Wippe des Lebens, o.J.
(Schultze-Berndt)
Wolters: Stadtmitte Berlin, 1978 (Escher)
Wrede/Reinfels: Das geistige Berlin,
1897/98 (Ndr.) (Escher)
Zema: Rieke - eine Liebesromanze aus
alter Zeit, 1980 (Köhler)
345
114
50
285
Zick: Berliner Porzellan der Manufaktur
vonW.C.Wegely 1751-1757,1978(Mader)
46
Zille: Die Landpartie, 1978 (SchultzeBerndt)
22
Zille: Hurengespräche, 1981 (Mader) . . . 446
Züge aus der Vergangenheit. Die Berliner
S-Bahn, 1981 (Schiller)
441
Faekabt. dar fia^3r < ..
" ^
A 1015 F X
MITTEILUNGEN
»
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
75.Jahrgang
Heftl
Januar 1979
Die schwimmende Jugendherberge „Gustav Böß" auf dem Landwehrkanal vor
der Charlottenburger Brücke. Vgl. dazu S. 13.
Foto: Landesarchiv Berlin
1
Zur Verkehrsgeschichte von Tempelhof
Von Arne Hengsbach
Die Beziehungen zu Tempelhof finden ihren Ausdruck auch in den verkehrsmäßigen
Verknüpfungen Tempelhofs mit Berlin. Die Residenzstadt hatte das kleine Nachbardorf
schon im ausgehenden 18. Jahrhundert in seinen Einzugsbereich gebracht, und die Entwicklung des von Berlin nach Tempelhof gerichteten Verkehrs ist ein Gradmesser oder
auch Abbild der Einwirkungen und ihrer Intensität, die aus der Stadt auf das nahe Dorf
ausstrahlten.
Der Ausflugs- und „Bade"ort
Schon Friedrich Nicolai erwähnt 1786 in seiner „Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam", daß „verschiedene Landhäuser von Privatpersonen in Berlin
daselbst" seien. Aber nicht nur Berliner, die in Tempelhof eigene Häuser besaßen, hielten
sich in dem Dorf auf, auch Sommerfrischler aus Berlin bezogen hier Sommerwohnungen.
Johann Christian Gaedicke sagt 1806 in seinem „Lexicon von Berlin" von Tempelhof:
„Es liegt angenehm und wird von den Berlinern sowohl zum Vergnügungsort als auch zu
Sommerwohnungen stark benutzt." Die verschiedentlich wiedergegebene Schilderung
des „Berliner lustigen Gesindels" in Tempelhof (hrsg. von F. Mussehl im Teltower
Kreiskalender, Jg. 1910, S. 55 ff.) ist enthalten in einer anonymen Beschwerde über
Mißstände in dem Dorfe, die von aus Berlin kommenden Besuchern hervorgerufen waren:
„Bekannt ist es leider, daß sich das Dorf Tempelhof schon seit langem als der Sammelplatz alles Berliner lustigen Gesindels ausgezeichnet . . . Jetzt aber, da der Musikpächter
Schehmel auch die Krugwirtschaft übernommen, ist der Zusammenfluß des Berliner
Publikums so groß, daß besonders des Dienstags, daraus . . . eine Störung der landwirtschaftlichen Arbeiten entsteht . . ." Ein derart lebhafter Besuch der Berliner im Nachbardorf hatte auch einen Wagenverkehr zur Folge: „Sechzig bis hundert Wagen besetzten die
Passage am Kruge, und wehe dem, der etwa mit einem beladenen Erntewagen oder anderm
Fuhrwerk passieren wollte, denn ist er höflich, so wird er verlacht, und fordert er mit
Ernst freie Passage, so stehen ihm unzählig nervige Fäuste der Fuhrleute, mit Knitteln,
Peitschen und Steinen zu Diensten, wo es denn jedesmal zu Tätigkeiten kommt. . ."
Auch in späteren Jahrzehnten hatte sich an der Funktion Tempelhofs als „Vergnügungsort", d.h. als Ausflugsort nicht viel geändert. Alexander Cosmar bemerkt in seinem „Wegweiser durch Berlin" (4. Aufl. Berlin 1840, S. 173) von Tempelhof: „Gewöhnlich Templow
genannt, ein freundliches Dorf mit einer schönen Lindenallee, eine kleine halbe Meile
südlich von Berlin gelegen, . . . ist dieser Ort gegenwärtig ein Ziel der mittleren und unteren Volksklassen, wenn sie an Sonn- und Festtagen ihren Vergnügen nachgehen. Das
Wirtshaus von Kreideweiß ist sehr besucht." Noch Merget's „Heimatkunde von Berlin
und Umgegend" (Berlin 1858, S. 325) sagt von Tempelhof: „Weil der Aufenthalt daselbst
sehr gesund ist, haben sich mehrere Berliner hier angesiedelt, und viele andere wohnen
dort während des Sommers zur Miete, auch sind die Wirtshäuser an den Sonntagen und
Mittwochs von den Städtern zahlreich besucht."
Schließlich noch zwei Hinweise auf den „Badeort" Tempelhof. Die „Vossische Zeitung"
2
brachte am 19. April 1847 folgende Anzeige: „Das bei Tempelhof gelegene Bad, welches sich in den letzten Jahren wegen seiner heilbringenden Wirkung bei Rheumatismus,
Gicht, Nervenleiden, Unterleibsstockungen einer guten Aufnahme zu erfreuen hatte, soll
auf 2 hintereinander folgende Jahre öffentlich meistbietend verpachtet werden." "Die im
Jahre 1839 geborene Agathe Nalli-Ruthenberg vermerkt in ihrem Erinnerungsbuche
„Das alte Berlin" (Aufl. 1912, S. 35): „Im Tempelhofer See-Tümpel, wie er heute heißt,
wurde auch viel gebadet. Verschiedene Damen aus der Gegend vor dem Anhalter Tore
fuhren im Sommer alltäglich zum Baden nach Tempelhof hinaus, Morgens schon um fünf
Uhr hielt ein großer Kremser in der Schöneberger Straße; dieser führte die Badenden
hinaus zum See und brachte sie um acht Uhr bereits wieder zurück, damit die Wirtschaft
daheim nur ja nicht unter dem Fernsein der Hausfrau zu leiden hatte." Dieses Zitat möge
überleiten zu der Frage, wie denn der offensichtlich ziemlich rege Verkehr von Berlin
nach Tempelhof abgewickelt wurde. Die hier geschilderte Kremserfahrt der Damen zum
Bade war übrigens noch öfter praktiziert worden; auch um zu den Bädern an der Unterspree zu gelangen, mieteten sich die badelustigen Damen Wagen.
Torwagen, Omnibus, Pferdebahn
Den ältesten einwandfreien Hinweis für einen Verkehr von Berlin nach Tempelhof mit
dem ältesten öffentlichen Verkehrsmittel, das auf festgelegten Strecken lief, dem Torwagen, gibt uns Ludwig Hellings 1830 erschienenes „Geschichtlich-statistisch-topographisches Taschenbuch von Berlin" (S. 375) unter dem Stichwort „Spatzierfuhrwerke, offene
Korbwagen zu 8—16 und auch Chaisen zu 4 —6 Personen, findet man im Sommer zum
Fahren nach den nahe gelegenen Vergnügungsörtern bereit stehen . . . Vor dem Halle-
3
sehen Tore nach Tivoli ( = Kreuzberg) und Tempelhof. . ." Allerdings wird schon in dem
Torfuhrwerks-Reglement vom 20. Juli 1812, das die Torwagen fahrten in verkehrspolizeilicher Hinsicht regelte, unter den Stellen, wo sich „viele Fuhrleute einzufinden pflegen", der
Standort „vor dem Halleschen Tor" aufgeführt. Dieser Abfahnplatz gestattet die Vermutung, daß auch schon zu jener Zeit Torwagen nach dem benachbarten Tempelhof gefahren
sein könnten. Das „Reglement für das öffentliche Tor-Fuhrwerk" vom 31. Juli 1843
nennt in seiner „Standplatz-Nachweisung" als Abfahrtstelle nach Tempehof „Hallesches
Tor, im Mühlenwege, Spitze an der Chaussee bei Nr. 5 der Tempelhofer Straße", während
die Rückfahrten nach Berlin von Tempelhof „auf dem Dorfplatze" ( = Alt-Tempelhof)
ausgingen.
Mit dem Wachstum der Stadt nahmen allmählich auch die Verkehrsbedürfnisse sowohl in
der Stadt selbst als auch nach den Nachbarorten zu. Ein neues Verkehrsmittel wurde in
Betrieb gesetzt, der Omnibus, der seit 1847 durch die Straßen der Stadt fuhr. Während
der Omnibus innerhalb der Stadt tatsächlich ein neues Transportmittel für den Verkehr
darstellte, bedeutete seine Einführung auf den Außenstrecken nach den Nachbarorten,
die ebenfalls schon 1847 begann, nur eine Verbesserung des bisherigen Torwagenverkehrs.
Schon dieser hatte feste Linienführungen und feste Tarife; nun trat beim Omnibus-Verkehr der feste Fahrplan hinzu.
Die älteste Erwähnung einer Omnibuslinie nach Tempelhof mitsamt ihrem Fahrplan findet
sich in dem 1855 erschienenen Berlin-Führer des Verlegers Bartholi: „Vom Halleschen
Tor nach Tempelhof, 6V 2 bis 7V 2 Uhr Vormittags, 3V 2 bis 8V 2 Uhr abends stündlich.
Außerdem von Unter den Linden 6 Uhr morgens und 3 Uhr nachmittags, zurück 7 und
8 Uhr morgens, 4 bis 9 Uhr abends stündlich. Preis ä Person von Unter den Linden bis
Tempelhof 3 Sgr., vom Halleschen Tor bis Tempelhof 2 Sgr." Es war ein Wagen auf dieser
Linie eingesetzt, der früh und nachmittags aus seiner Remise kommend, Unter den Linden
einsetzte, sonst aber zwischen dem Halleschen Tor und Tempelhof pendelte. Die Fahrzeit
betrug weniger als eine halbe Stunde. Auch 1856 und 1857 wird diese Omnibuslinie mit
dem gleichen Fahrplan in Berlin-Führern verzeichnet. Robert Springers „Berlin" führt sie
wieder auf mit dem Zusatz „nur im Sommer". Diesen Fahrplänen nach, die den Betrieb auf
die Nachmittagsstunden in der warmen Jahreszeit beschränkten, kann der Omnibus nur
den Ausflugsverkehr von Berlin nach Tempelhof vermittelt haben. Die Frühfahrten von
Tempelhof mögen den Berliner Sommergästen, die in die Stadt fahren mußten, gedient
haben. Im Winter bei Schnee, Eis und Matsch wurden kaum Ausflüge nach Tempelhof
gemacht. Die Frequenz der Linie wäre so gering gewesen, daß sie dem Fuhrherrn, der sie
betrieb, nur Verluste beschert hätte. Schon Ernst Bruch hatte 1867 in seiner Studie „Der
Straßenverkehr in Berlin" (S. 15) von den Außenlinien, die von der Stadt nach den Nachbardörfern führten und die er als „divergierende Linien" bezeichnete, bemerkt: „Die
Frequenz dieser sämtlichen divergierenden Linien, welche hauptsächlich durch das berechtigte Streben des Großstädters, die frischere Landluft zu genießen, bedingt wird, ist
natürlich außerordentlich verschieden, je nachdem die Jahreszeit, der Wochentag, die
Tagesstunde, namentlich auch das Wetter dieses Bedürfnis nach freierer Bewegung hervortreten läßt."
Eigenartigerweise wird im Jahre 1864, als das Berliner Omnibuswesen mit 39 Linien,
303 Wagen und 4535 Fahrten pro Tag seine in damaliger Zeit größte Ausdehnung erreicht
hatte, keine Linie nach Tempelhof in den Linienverzeichnissen aufgeführt. Auch in dem
vom Polizeipräsidium am 13. April 1865 veröffentlichten Omnibusfahrplan für das Som4
merhalbjahr (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Potsdam 1865, S. 189ff.) fehlt unsere
Linie. Erst in dem vom Polizeipräsidium am 3. Mai 1866 bekanntgegebenen „GeneralSommer-Fahrplan" erscheint sie wieder: „Hallesches Tor - Tempelhof . . . Auf dieser
Linie gehen zwei Wagen . . . vormittags je 60 Minuten, Nachmittags je 30 Minuten geht
ein Wagen von den Endpunkten ab." Dieser Fahrplan, der immerhin eine Verkehrsbedienung Tempelhofs den ganzen Tag über von 7 bis 22.30 Uhr ausweist, scheint aber
später wieder eingeschränkt worden zu sein. Der „Berlin-Führer" des Verlags Kapp von
1869 enthält die Linie Hallesches Tor - Tempelhof mit dem Bemerken von 2XI2 Uhr mit
einer Wagenfolge von 60 Minuten. Der letzte, unseren Tempelhofer Omnibus betreffende
Fahrplan von 1875, veröffentlicht im „Wohnungsanzeiger für Steglitz, Lichterfelde (usw.)"
(S. 83), führt an: „In Zwischenräumen von 80 Minuten, Fahrpreis 20 Pfg. Tempelhof: Von
7 U. Morgens bis 9 U. 40 Min. ( = 21.40 Uhr) abends. - Hallesches Tor: Von 7 U. 40 Min.
bis 10 U. 20 Min. abends ( = 22.20 Uhr)". Im Juli 1875 wurde die Linie eingestellt, da sie
nicht mehr rentabel war. Die schnellere und bequemere Pferdebahn war für den schwerfälligen alten Omnibus eine zu starke Konkurrenz, als daß er noch neben ihr hätte bestehen
können. Seit 1868 wurde die Tempelhofer Linie von der damals neu gegründeten Allgemeinen Berliner Omnibus Aktien-Gesellschaft, kurz ABOAG, betrieben.
Eine Schilderung von dem alten Tempelhofer Omnibus, offensichtlich nach persönlichen
Erinnerungen niedergeschrieben, veröffentlichte das „Teltower Kreisblatt" am 11. November 1882: „Die Eröffnung der Pferdebahn verdrängte auch hier den Omnibus, früher das
einzige Verkehrsmittel, der in Zeiträumen von ungefähr anderthalb Stunden zwischen
Tempelhof und dem Halleschen Tore kursierte. Niemand, der dieses segensreiche Beförderungsmittel kennengelernt hat, besonders von den regelmäßig wiederkehrenden Sommergästen, wird sich ohne ein gewisses Gefühl der Behaglichkeit an die Fahrten im Tempelhofer Omnibus zurückerinnern, die zwar meist sehr unbequem, aber immer äußerst gemütlich waren. Und dann der unersetzliche Nutzen des Kondukteurs! Er war das Faktotum des
ganzen Dorfes. Nie gab er das Zeichen zur Abfahrt, ohne Aufträge der verschiedensten
Art erhalten zu haben. Er beförderte Briefe und Depeschen, er besorgte Arzneien, er
kaufte Fleischwaren, Zucker, Kaffee u.a.m. ein, so daß der Raum für die Körbe und Pakete
kaum ausreichte. Wurde auch die Zeit der Abfahrt vom Halleschen Tore nicht immer
regelmäßig innegehalten, bei schlechtem Wetter wohl gar eine Tour auszusetzen beliebt,
des Abends waltete die größte Pünktlichkeit ob, und daher wurde von verspäteten Nachzüglern sehr gern die Post benutzt, die damals noch ungefähr V21 Uhr nachts Tempelhof
auf dem Wege nach Zossen berührte."
Die Frequenz des Tempelhofer Omnibusses läßt sich, wenn auch nur grob, abschätzen.
Wenn man die Zahl der nachmittäglichen Fahrten pro Tag mit etwa 6 bis 8 ansetzt und das
Fassungsvermögen der einzelnen Omnibuswagen mit etwa 15 Personen annimmt, dann
konnten von Berlin nach Tempelhof in den 5 bis 6 Sommermonaten am Tage etwa 100
Personen befördert werden und ebensoviel auch wieder von Tempelhof zurück nach Berlin,
vorausgesetzt, daß schönes Wetter war. Im Monat konnten also bei voller Besetzung in
beiden Richtungen zusammen etwa 6000 Personen befördert werden. Das waren im
Sommerhalbjahr etwa 30 000 bis 35 000 Fahrgäste. Schon aufgrund der geringen Einwohnerzahl Tempelhofs (1858: 928; 1864: 1081; 1867: 1153; 1875: 2205) konnte der
Anteil der Tempelhofer am Aufkommen des Omnibusverkehrs nur einen Bruchteil bilden.
Die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung Tempelhofs verfügte übrigens vielfach über
eigenes Fuhrwerk, war also von dem Omnibus nicht so sehr abhängig, wenn sie zu Besu5
chen, Besorgungen usw. in die Stadt fahren mußte. Während der ganzen Omnibuszeit blieb
das Kreideweiß'sche Lokal mit seinem großen, schattigen Wirtsgarten das Ausflugsziel
der Berliner und das Dorf Tempelhof auch Ziel der Sommerfrischler. Noch als 1885 der
Plan aufkam, in Tempelhof einen Kirchhof der Heiligen-Kreuz-Gemeinde (am Halleschen
Tor) anzulegen, protestierten die Einwohner des Dorfes. Die Tempelhofer führten in ihrer
Petition an, daß der Ort auch „in seiner Eigenschaft als Sommerfrische eine ganz erhebliche
Einbuße erleiden" werde. Durch die mitten durch das Dorf gehenden Berliner Leichenzüge
würden auch die Sommerfrischler abgeschreckt. Der Omnibusverkehr Berlin-Tempelhof
war also ziemlich einseitig ausgerichtet. Er führte in der Regel seine Fahrgäste aus Berlin
heraus und nahm sie abends mit den letzten Wagen wieder zurück. Er diente hauptsächlich
dem Ausflugs- oder „Vergnügungsverkehr", wie man damals sagte und vielleicht auch
den Bedürfnissen der Sommerfrischler; er war also wenig differenziert.
Umlanderschließung und Verkehrsanbindung
In den sechziger Jahren begann die Verwischung des hergebrachten Stadt-Umland-Verhältnisses. Die Bodenspekulation entstand und griff allmählich auch auf die Fluren der
Nachbarorte über. Die nähere und weitere Umgegend der Residenz- und bald auch Reichshauptstadt wurde von den Terrain- und Bauunternehmen erfaßt, von Lübars bis Marienfelde, von Haselhorst bis Hirschgarten. Überall begannen Geschäftsleute und die von ihnen
ins Leben gerufenen Aktiengesellschaften Kartoffel- und Roggenfelder und Wiesenland
anzukaufen, um „Colonien", „Cottages", Villenstädte oder auch neue Stadtteile ins Leben
zu rufen, wenn auch mit wechselnder Intensität und unterschiedlichem Erfolg.
Während aber diese Siedlungen der „Gründer" und der „Gründerzeit" in noch freiem
Gelände meist für wohlhabendere Kreise konzipiert waren, beschäftigte man sich in der
Öffentlichkeit und bei Behörden auch mit der Frage, wie man die Lage der in der engen
und überbauten Stadt zusammengedrängten, weniger bemittelten Bevölkerungsschichten,
die zudem noch Wohnungsnot und Mietstreibereien schutzlos ausgesetzt waren, lindern
könne. Auch ihnen sollte Gelegenheit zu billigerem und gesünderem Leben im Umland
gegeben werden. Da aber das Umland Berlins, wo nun an zahlreichen Stellen die Siedlungen der Gründer angefangen wurden, noch völlig unerschlossen war - allenfalls einige
Chausseen gingen radial von der Stadt aus - , so mußte den Bemühungen der Gründer und
auch der Reformer der Erfolg versagt bleiben. Erst wenn die neuen Wohnsiedlungen für
die künftigen Landhausbewohner oder die Wohnungen für die „arbeitenden Klassen"
durch geeignete Verkehrsmittel, Eisenbahnen und Pferdebahnen mit der Stadt, wo ja die
Arbeitsstätten der künftigen Umlandbewohner sich in jedem Falle befanden, verbunden
waren, ließen sich - so glaubte man - die Vorstellungen der Gründer und der Reformer
realisieren. Ohne ausreichende Nahverkehrsmittel konnten die neuen Kolonien tatsächlich
nur in Kümmerformen bestehen.
Auch das Verkehrswesen wurde nun Gegenstand spekulativer Unternehmungen. Einige
Gründer erkannten die Lücke und riefen Nahverkehrsunternehmungen ins Leben, wobei
man sich den Pferdebahnen zuwandte, die seit den sechziger Jahren in mehreren europäischen Städten eingeführt worden waren und mit Gewinn betrieben werden konnten.
Einer der Spekulanten, der die Gründung der „Großen Berliner PferdeeisenbahnAktiengesellschaft" mit vorbereitete, führte am 18. April 1871 in einem Antrage an das
6
Polizeipräsidium u.a. aus, er habe sich „im Hinblick auf den steigenden Wohnungsmangel,
welcher die Schaffung neuer und billiger Kommunikationsmittel zur Verbindung der
Stadt mit ihrer nächsten Umgebung zu einer immer dringenderen Notwendigkeit macht",
entschlossen, ein vollständiges Netz von Pferdeeisenbahnen ins Leben zu rufen.
Bei der Planung für derartige Pferdebahnnetze in dieser Frühzeit des Pferdebahnwesens
war auch eine Linie vom Halleschen Tor nach Tempelhof vorgesehen, das ebenfalls in den
Bannkreis der Terrain- und Bauspekulation geraten war. Das Gut Tempelhof war, ein
frühes Beispiel für die Grundstücksgeschäfte der frühen Gründerzeit, bereits im Jahre
1863 in das Eigentum der Disconto-Gesellschaft übergegangen, die aber nur wenig veränderte und den großen Grundstückskomplex 1872 an ein englisches Konsortium veräußerte, das hier eine jener damals üblichen Villenstädte plante. Südlich des alten Dorfes
und längs des Tempelhofer Dammes sollte diese Schöpfung entstehen, zu der u.a. die
Werder-, die Blumenthal-, die Friedrich-Wilhelm-, die Kaiserin-Augusta-Straße usw.
gehörten. Die Unternehmer haben, um die verkehrliche Erschließung ihrer Terrains zu
fördern, der Großen Berliner Pferdebahn-Gesellschaft das Grundstück für den künftigen
Betriebshof an der Kaiserin-Augusta-Straße und am Tempelhofer Damm unentgeltlich
übereignet.
Der Ausbau der Tempelhofer Strecke wurde bereits im ersten Baujahr dieses jungen
Pferdebahnunternehmens begonnen. Am 24. Dezember 1873 konnte die erste kurze
Teilstrecke im Mehringdamm bis zur Baruther Straße dem Verkehr übergeben werden,
am 27. Februar 1874 wurde der zweite Teilabschnitt bis zur Ecke der Bergmannstraße
eröffnet. Auf diesen Neubaustrecken im Mehringdamm verkehrte zunächst die Pferdebahnlinie Potsdamer Tor - Stresemannstraße - Hallesches Tor - Bergmannstraße. Sie war
2519 m lang, und die Fahrt auf ihr kostete 10 Pf. Die Strecke bis Tempelhof wurde am
7
15. Juni 1875 in Betrieb genommen. Der „Staatsanzeiger" schrieb am 17. Juni: „Die
Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Gesellschaft hat die neu erbaute Linie vom Fuße des
Kreuzberges (Bergmannstraße) bis nach Tempelhof eröffnet. Der Betrieb auf dieser
Strecke wird in der Weise gehandhabt, daß die Abfahrt am Halleschen Tore, gegenüber
dem Rotherstift, auf der daselbst eigens für diesen Verkehr hergerichteten Weiche stattfinden wird. Die Bahn ist vom Kreuzberg an eingleisig ausgeführt, hat aber so lange
Weichen erhalten, daß mehrere Wagen darauf Platz finden können. In Tempelhof findet
die Bahn vor dem Kreideweiß'schen Etablissement vorläufig ihren Abschluß. Die Fortsetzung bis zu dem an der Kaiserin-Augusta-Straße errichteten Depot ist beinahe vollendet
und wird in etwa 8 Tagen dem Verkehr übergeben werden. Die Wagen laufen vorläufig in
Zwischenzeiten von 30 Minuten; da die Weichenanlagen aber auf einen 10-Minutenverkehr eingerichtet sind, so wird es von der Frequenz abhängen, ob ein häufigerer
Waggonwechsel eintreten wird." Auf ihrem eingleisigen Teil waren in jeweils 800 m Entfernung Ausweichen von je 110 m Länge angeordnet.
Am 12. Oktober 1875 erfuhr die Tempelhofer Linie eine Erweiterung. Sie wurde vom
Halleschen Tor auf der neu erbauten Strecke durch die Linden-, Kommandanten-,
Krausen- und Jerusalemer Straße bis zum Dönhoffplatz verlängert; die nun über 6 km lange
Linie brauchte 42 Minuten Fahrzeit von der einen zur anderen Endstelle. Die Tempelhofer
Strecke zählte zu den weniger ertragreichen, von 1880 bis 1885 blieb die Zahl der Fahrgäste alljährlich mit etwa 560,000 bis 575 000 konstant. Der rentable Verkehr blieb aus,
einmal weil der Staffeltarif die Fahrten über längere Strecken - Tempelhof - Dönhoffplatz
kostete 25 Pf - verteuerte, so daß die wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungsschichten
sich keine regelmäßige Fahrt auf derartigen Pferdebahnstrecken leisten konnten. Außerdem war der Rausch der Gründerjahre verflogen. Die „Deutsche Bauzeitung" schrieb im
Jahre 1877 (S. 369): „In der Gründerzeit hat demnächst ein englisches Konsortium das
Terrain des Dominiums gekauft und auf den kahlen, reizlosen Sandfeldern desselben ein
zur Bebauung mit Villen bestimmtes Netz mit hochtönenden Namen benannter Straßen
und Plätze projektiert bzw. zum Teil schon angelegt, wie es umfangreicher kaum auf einem
Punkt der Umgegend Berlins von der Gründer-Phantasie geträumt war. Der Erfolg ist hier
wie fast überall ausgeblieben . . ., als man in völliger Verkennung der Verhältnisse lediglich auf eine in Luxusvillen lebende Bevölkerung gerechnet hatte . . ." Lediglich in der
Nähe des Pferdebahnhofes zu beiden Seiten des heutigen Tempelhofer Dammes sei eine
Bebauung, „und zwar durchweg mit Häusern untergeordneten Ranges[,] erfolgt".
Die Tempelhofer Linie hat dem Pendlerverkehr anfangs nur in bescheidenem Umfange gegedient. Anfang 1884 wird einmal „eine Anzahl von Geschäftsleuten" erwähnt, die „sich
lediglich in Rücksicht auf die Pferdebahnverbindung" in Tempelhof niedergelassen hätten.
Am 20. Juni 1885 wurde der Berliner Endpunkt wieder bis zum Blücherplatz zurückgezogen, vielleicht wegen des geringen Verkehrsaufkommens. Während bis dahin ein
24-Minutenverkehr ausgereicht hatte, wurde mit der Verkürzung zugleich der 12-Minutenbetrieb eingerichtet. Daß die Strecke auch noch die Funktionen einer Ausflugslinie zu
erfüllen hatte, geht u.a. daraus hervor, daß 1886 die Zahl der beförderten Personen in den
Sommermonaten z.T. um ein Drittel höher war als im übrigen Teil des Jahres. Auf jeden
Fall beklagt der Geschäftsbericht für 1887 der Großen Berliner Pferdebahngesellschaft:
„Die nach Tegel, Dalidorf, Tempelhof, Charlottenburg und Treptow führenden Linien
erfordern alljährlich nicht unerhebliche Zuschüsse", was einem privatkapitalistischen
Unternehmen, das hohe Dividenden erwirtschaften sollte, unangenehm war.
8
Betriebstechnisch hatte die Tempelhofer Strecke eine Besonderheit aufzuweisen. Bei
starkem Schneefall wurde die Linie, die über freies Feld führte, nicht mehr mit Wagen, sondern mit Schlitten betrieben. So berichtete das „Schöneberger Wochenblatt" am 22. Januar
1881: „Nach Tempelhof und nach andern außerhalb der Peripherie gelegenen Stationen
sind statt der Tramway Schlitten eingelegt worden." Ausführlicher schrieb am 12. Februar
1889 das „Teltower Kreisblatt" über diesen Betrieb aus Tempelhof: „Die sich stündlich
vermehrende Schneefülle hat es zu Wege gebracht, daß die Pferdeeisenbahn die Fahrten
nach und von Berlin mittelst der gewöhnlichen Pferdebahnwagen eingestellt und an die
Stelle der letzteren große offene Korbschlitten gesetzt hat, um so die Verbindung aufrecht
zu erhalten. Liebhabern einer angenehmen und dabei billigen Schlittenfahrt ist hierdurch
eine schöne Gelegenheit zu einem Vergnügen gegeben, wie es sobald nicht wiederkehren
wird. An der Ecke der Belle-Alliance-Straße ( = Mehringdamm) und Kreuzberg steigt
man in den Schlitten, der ungefähr 12 Personen aufnehmen kann, und dann geht es im
lustigen Trab bei lustigem Schellengeklingel hinaus auf die Chaussee, zu deren Seiten sich
die weiten schneebedeckten Flächen des Tempelhofer Feldes hinziehen. Zur Auffrischung
der durch die Kälte etwas klamm gewordenen Glieder bietet sich dann in den hiesigen
beliebten Lokalen reichlich Gelegenheit." Die Tempelhofer Pferdebahn war auch die
einzige in der Berliner Verkehrsgeschichte, die mit einem Luftfahrzeug einen Zusammenstoß hatte. Am 19. März 1898 riß sich bei Sturm ein Fesselballon, der sich auf dem Hofe
der Luftschiffer-Abteilung befand, los und fegte über das Tempelhofer Feld mitsamt dem
mit ihm verbundenen Kabelwagen. In der Höhe der Kaiserpappel auf dem Tempelhofer
Feld rammte dieser von dem Ballon gezogene Kabelwagen den Pferdewagen 88, der sich
bei dem Zusammenstoß auf die Seite legte. Die fünf Fahrgäste, Fahrer und Schaffner
kamen aber mit dem Schrecken davon.
v
Noch einer weiteren Verkehrseinrichtung, die allerdings nicht dem öffentlichen Verkehr
diente, sei gedacht: der Lazarett-Pferdebahn. Das Berliner Gamisonlazarett II, das heutige
Wenckebach-Krankenhaus, 1878 fertiggestellt, erhielt Anschluß an das Berliner Pferdebahnnetz, damit durch das damals verhältnismäßig schnelle Verkehrsmittel der Pferdebahn
verunglückte, verletzte oder erkrankte Soldaten aus ihren Kasernen der ärztlichen Betreuung im Lazarett zugeführt werden konnten. Zu diesem Sonderdienst, der von der
Pferdebahngesellschaft mit versehen wurde, noch einige zeitgenössische Berichte aus dem
„Teltower Kreisblatt": Am 2. Januar 1878 berichtete dieses: „Ein Seitenstrang der BerlinTempelhofer Pferdebahn bis zum Lazarett wird es ermöglichen - da sämtliche Kasernen
des Lazarett-Bezirks gleichfalls an das Netz der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn angeschlossen werden sollen —, der Anstalt die Kranken in eigens hierzu eingerichteten, auf
der Pferdebahn laufenden Krankenwaggons zuzuführen . . . " 1882 wird erwähnt, der
Krankentransport geschehe in besonderen Krankenwagen, die mit Sitzen versehen und
durch Tragevorrichtungen auch für Schwerkranke benutzbar seien. Am 24. März 1888
schrieb die Zeitung: „Die Verwaltung des Militär-Lazaretts entsandte in den letzten
schneereichen Tagen Krankenwagen auf Schlitten. Die bekannten Militärkrankenwagen
der Pferdebahn mit ihren undurchsichtigen Scheiben, die ihre geheimnisvollen Fahrten
alltäglich in die Kasernen lenken, hat man auf Kufen gesetzt und drei schnelle Pferde fliegen mit leichten Gefährten über die schneegeglättete Fläche der Chaussee, um dann zunächst in der Belle-Alliance-Straße in Berlin die ersten Kranken aus der Dragonerkaserne
aufzunehmen." Als Entschädigung für die Beförderung der „Königlichen Lazarethwagen"
erhielt die Pferdebahngesellschaft 1883 und 1886 etwa 6500 Mark. Anfang der neunziger
Jahre wird diese Lazarettbahn noch erwähnt.
Der Anschluß nach Mariendorf
Als die Tempelhofer Linie über ein Jahrzehnt bestanden hatte, regte sich in Mariendorf
das Interesse, an das Berliner Pferdebahnnetz angeschlossen zu werden, und es verhandelte
deswegen mit der Großen Berliner Pferdebahngesellschaft über eine Verlängerung der
Tempelhofer Linie. Nun galt damals ganz allgemein der Grundsatz bei den privaten
Pferdebahnunternehmungen: Wer eine Verbesserung verkehrlicher Leistungen, insbesondere Neubaustrecken in noch verkehrsschwache Gebiete wünsche, müsse dafür auch
bezahlen. Der Bau der 2,5 km langen Anschlußbahn von Tempelhof bis Mariendorf
wurde von der Pferdebahngesellschaft „auf Ansuchen und für Rechnung der Gemeinde
Mariendorf" ausgeführt und dann von dieser für ein Drittel der Gesamtbaukosten übernommen. Die Eröffnung erfolgte am 6. August 1887, worüber folgender Bericht im
„Teltower Kreisblatt" vom 9. August zu finden ist: „Am Freitag abend wurde die neuerbaute Pferdebahnstrecke Tempelhof - Mariendorf unter Teilnahme des Herrn Landesdirektor Reinhard, verschiedener höherer Beamter und der Gemeinde-Vertretung zum
ersten Male befahren und hierauf feierlich dem Betriebe übergeben, den sie am Sonnabend
aufgenommen hat. Der zur Probefahrt bestimmte Wagen wurde in Tempelhof reich mit
Kränzen und Blumengewinden verziert und fuhr ungefähr um 6 Uhr, nachdem das Festcomite Verdeck und Innenraum besetzt hatte, in scharfem Tempo, voran ein berittener
Gendarm, seiner ersten Station, der Tempelhofer Badeanstalt zu. Dort hatte auf Veranlassung des Besitzers der Badeanstalt der Gastwirt Kreideweiß ein hübsches Buffett aufge10
Triebwagen der „Grossen Berliner Straßenbahn", Linie 96: Friedrichstraße, E. Behrenstraße —
Mariendorf, Lichtenrader Chaussee.
schlagen und eine kleine Musikkapelle stationiert, welche die Ankömmlinge mit einem
kräftigen Tusch empfing. Nach kurzem Aufenthalte wurde die Fahrt fortgesetzt. In
Mariendorf selbst, wo die Bevölkerung Kopf an Kopf gedrängt stand, hielt Herr Oberlehrer
Hoffmann vom Vorderperron des Pferdebahnwagens die Festrede, in welcher er den
Behörden und allen, die sich um das Zustandekommen des Werkes verdient gemacht
hatten, im Namen der Gemeinde den Dank aussprach. Sein Hoch galt unserem allverehrten Heldenkaiser. Die Musik spielte dazu die Nationalhymne und ,Nun danket alle
Gott'. Die Festteilnehmer begaben sich nun unter Vorantritt der Musik in das Freiberg'sche
Etablissement, wo ein kleines Festmahl sie erwartete, das von manch kernigem Trinkspruch gewürzt wurde . . ." Die Fahrpläne der Tempelhofer und der Mariendorfer Linie
wurden so gestaltet, daß bis Tempelhof wie bisher 12-Minutenverkehr bestand, während
nach Mariendorf alle 24 Minuten ein Wagen lief. Die Linie wurde vom 1. Juni 1888 wieder
durch die Lindenstraße zum Dönhoffplatz verlängert; die Fahrzeit betrug 57 Minuten, die
Länge der Linie 8,3 km. Die ganze Strecke von Mariendorf, Kirche bis zum Dönhoffplatz
kostete 30 Pf. Am 22. Oktober 1894 erfuhr die Linie eine Änderung in der Linienführung.
Sie fuhr nun vom Halleschen Tor durch die Friedrich-, Koch-, Charlotten- und Behrenstraße bis zur Ecke der Friedrichstraße; Länge nun 8,95 km, Fahrzeit 60 Minuten.
Die Frequenz der Linie nahm in den späten achtziger Jahren mit der weiteren Bebauung
Tempelhofs zu, das seit 1885 auch als militärischer Standort Bedeutung gewann. Zu dem
Militär-Lazarett gesellten sich das Kasernement des Garde-Train-Bataillons, das TrainDepot sowie ein Proviantamt. Auch einige Kirchhöfe entstanden an der Tempelhof1 I
Mariendorfer Grenze, so daß der Pferdebahnbetrieb durch den Verkehr zu den militärischen Instituten und den Friedhöfen eine weitere Differenzierung erfuhr. Mariendorf war
als „Bäckerdorf bekannt, weil hier zahlreiche Bäckereien bestanden, die auch Berlin
belieferten. Wenn es auch kein bevorzugtes Ausflugsgebiet war - dazu bot die flache
Landschaft zu wenig - , so hatte es doch einige Gartenlokale, die auch von Berlinern aufgesucht wurden. Es blieb aber ziemlich farblos und hat den Verkehr in den ersten Jahren
kaum verstärkt. Erst um die Jahrhundertwende wurde Mariendorf von der Bau- und
Terrainspekulation erfaßt und entwickelte sich nun schnell zum typischen Berliner Wohnvorort und zugleich zu einem Industriestandort. 1888 überschritt die Zahl der Fahrgäste
auf der Tempelhofer und Mariendorfer Linie erstmals die Millionengrenze, und zwar um
knapp 50 000, um dann auf etwa 1,3 Mio. Fahrgäste in den frühen und 1,8 Mio. in den
späten neunziger Jahren zu steigen.
Die „Elektrische"
Das Pferdebahnzeitalter fand in Tempelhof ziemlich spät sein Ende. Die Ablösung der
pferdebespannten Wagen durch die „Elektrische" fand abschnittsweise statt, je nach Fortschritt des Straßenausbaues des Tempelhofer Dammes. Am 21. April 1901 wurde die
Strecke Behrenstraße bis Ringbahnhof Tempelhof auf elektrischen Betrieb umgestellt.
Am 4. Juni wurde er bis zur Dorfstraße (Alt-Tempelhof) ausgedehnt. In drei weiteren Teilabschnitten drang er bis zum 14. September an die Mariendorfer Grenze vor und
schließlich wurde wenige Wochen vor dem Ende des Pferdebahnbetriebs in Berlin am
9. Juli 1902 die ganze Strecke bis zur neuen Endstelle südlich des Dorfes dem elektrischen
Betrieb übergeben. Bis dahin mußte an den jeweiligen Endstellen der elektrischen Straßenbahn auf die Pferdebahn umgestiegen werden, die auf den noch nicht umgestellten
Teilstrecken weiterverkehrte.
Die neue Zeit in Gestalt der elektrischen Straßenbahn war allerdings schon vorher, am
1. Juli 1899, nach Tempelhof gekommen. Damals eröffnete nach jahrelangen Verhandlungen mit den beteiligten Behörden die „Südliche Berliner Vorortbahn" ihre neue Ringlinie,
die vom Blücherplatz ausgehend über Schöneberg, Tempelhof, Britz und Neukölln wieder
zum Blücherplatz zurückkehrte. Diese Linie, die meist durch unbebautes Gebiet fuhr und
daher im Volksmund bald den Namen „Wüstenbahn" erhielt, wies auf ihrer südlichen
Hälfte nur eine geringe Frequenz auf, da der Tangentialverkehr zwischen den südlichen
Landgemeinden und Vororten noch unbedeutend war. Diese stille Ringlinie, die übrigens
auch durch die Britzer Rosenfelder fuhr und nur alle 24 Minuten verkehrte, war die Stammmutter der Straßenbahnlinie 6, die einst auch „Südring" hieß. Aus ihr ist am 1. Juli 1961
die Autobuslinie 73 hervorgegangen. Als Nachfahren der Tempelhofer Pferdebusse und
Pferdebahnen kann man die jetzige U-Bahn nach Tempelhof und Mariendorf (Linie 6)
ansehen.
Anschrift des Verfassers: Joachim-Friedrich-Straße 2, 1000 Berlin 31
(Die Bildvorlagen stammen aus dem Besitz von Herrn Hans-Werner Klünner.)
12
Gustav Böß und der Berliner Sport
Von Christian Engeli
Am 9. Dezember letzten Jahres wurde im Bezirk Wedding (Koloniestraße 82 — 87) eine
neugeschaffene Sportstätte eingeweiht und nach Gustav Böß benannt. Die Namensnennung
erfolgte im Wissen um die besonderen Verdienste des Berliner Oberbürgermeisters der
Zwanziger Jahre, die dieser sich um die Förderung des Sportes in der Reichshauptstadt
erworben hatte.
Sein Amtsbeginn 1921 fiel in die schlimme Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der die
Situation der Stadt durch katastrophale Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Unterernährung,
durch körperliche und geistige Verelendung breiter Teile der Bevölkerung gekennzeichnet
war und in der gleichzeitig, bedingt durch die wirtschaftliche Stagnation, öffentliche und
private Wohlfahrtspflege schmerzlichen finanziellen Restriktionen unterlagen; nachzulesen etwa in der 1923 erschienenen, aufrüttelnden Schrift von Gustav Böß über „die Not
in Berlin". Böß schloß damals seine traurige Bilanz mit dem Aufruf, über der Linderung
des schlimmsten Elends nicht das Hauptziel der Beseitigung und künftigen Verhütung der
gesundheitlichen Schädigung der Bevölkerung aus den Augen zu verlieren, und nannte als
wichtigste Vorbedingung der Gesundwerdung und Gesunderhaltung „Spielplätze für die
Kinder, Gelegenheit zu Sport und Leibesübungen für die Jugend, Volksparks zur Erholung".
Noch in seinem ersten Amtsjahr als Oberbürgermeister veranlaßte er eine Bestandsaufnahme der Spiel- und Sportstätten im 1920 neugeschaffenen Groß-Berlin. Ergebnis:
Berlin erreichte nur gerade 10% des vom Reichsausschuß für Leibesübungen aufgestellten
Richtwertes für die Ausstattung der Städte mit Freizeitanlagen. Böß' Antwort auf diese
Bilanz war ein Gesamtkonzept zum Erholungs-, Spiel- und Sportstättenbau mit über
60 einzelnen Anlagen, das noch 1921 von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung
verabschiedet und im Laufe der Zwanziger Jahre weitestgehend realisiert wurde - so daß
1929, am Ende seiner Amtszeit, der erwähnte Richtwert immerhin zur Hälfte erreicht
war — in absoluten Zahlen war dies ein flächenmäßiger Zuwachs von über 4 Millionen
Quadratmeter. Es entstanden u.a. die Volksparks Jungfernheide im Nordwesten und
Wuhlheide im Südosten der Stadt, es erfolgte die Umwandlung der staubigen Dünenlandschaft der Rehberge - bis vor dem Ersten Weltkrieg militärisches Übungsgelände in eine Parklandschaft, in der die Bevölkerung der nahegelegenen Mietskasernenviertel
Platz für Erholung, Spiel und Sport finden konnte, oder auch etwa der Ausbau des Badeplatzes am Wannsee zu dem großzügig angelegten Strandbad, das bis auf den heutigen
Tag ein Wallfahrtsort der sonnen- und lufthungrigen Berliner geblieben ist. Die Schaffung
städtischer Anlagen war dabei für Gustav Böß Teil eines Gesamtkonzeptes, in das auch
private Initiative eingeplant war. Sportvereine bauten mit städtischer Unterstützung ihre
Plätze aus, und vor allem fiel die Anregung bei der Berliner Wirtschaft auf fruchtbaren
Boden: der Betriebssport nahm großen Aufschwung, und entsprechend entstanden in
großer Zahl Betriebssportstätten.
Die Berliner Wirtschaft wurde noch in einer anderen Weise in die Sportförderung des
Oberbürgermeisters eingespannt. Hätte der Bau der Anlagen lediglich aus städtischen
Haushaltsmitteln finanziert werden können, so wäre die Realisierung des Gesamtkonzeptes
nur langsam vorangekommen. Gustav Böß wählte deshalb den Weg der Organisation
13
Oberbürgermeister
Gustav Böß (rechts)
und
Dr. Carl Diem
bei der
Eröffnung
der Turn- und
Sportwoche 1925.
' jÄ**^/5»^S
5fB
Foto: Aus dem Privatbesitz der Familie
Böß
ssrfHB
^Ä__jfL__*.^B
•
r
^H
^^Hj
Jk
jj
^'Sfe-'aB
p
I^P^^F'-''..
privater Spenden - eine Maßnahme, die er bekanntlich auch auf dem Gebiet der Kunstpflege und der Sozialfürsorge im engern Sinne erfolgreich praktizierte. Für ihn war es
eine Selbstverständlichkeit, die zahlreichen Unternehmen, die von den Standortvorteilen
Berlins profitierten und hier ihre Erträge erwirtschafteten, zu zusätzlichen freiwilligen
Sozialleistungen heranzuziehen. Mit seiner 1922 gegründeten Stiftung „Park, Spiel und
Sport" konnten die von der Stadt zur Verfügung gestellten Mittel über Jahre hinweg mehr
als verdoppelt werden.
Aber nicht nur Anlagen wurden dank seiner Förderung geschaffen. Gustav Böß setzte
auch ein vielbeachtetes und fortwirkendes Zeichen zur aktiven sportlichen Betätigung der
Bevölkerung. 1922 ergriff er die Initiative zur Durchführung einer die ganze Stadt
mobilisierenden Turn- und Sportwoche und schuf damit ein Markenzeichen, das, wie die
Funkausstellung oder die Grüne Woche, alljährlich wiederkehrend für einige Zeit der
Stadt den Stempel aufdrückte. Die Berliner Turn- und Sportwoche brachte die Bevölkerung in Kontakt mit den Sportvereinen, weckte in ihr das Verständnis für die sozialpolitische Bedeutung des Sportes und regte sie zu eigener aktiver Betätigung an. Aus der
14
Sportverbände im Lustgarten bei der Eröffnung der Berliner Turn- und Sportwoche 1925.
Foto: Landesarchiv Berlin
Berichterstattung der Berliner Presse, die diesem Ereignis jeweils breiten Raum gewährte,
ist der hohe Stellenwert der Veranstaltung in der Öffentlichkeit unschwer abzulesen.
Heutzutage gehört es für einen Politiker zum guten Ton, sich für die Belange des Sportes
einzusetzen. Anfang der Zwanziger Jahre aber mußte sich die Erkenntnis von seiner
gesundheitspolitischen Bedeutung und für die der öffentlichen Hand daraus erwachsenden
Verpflichtung zur Sportförderung erst noch Bahn brechen. Dies unterstrichen 1928
Theodor Lewald und Carl Diem, Präsident bzw. Generalsekretär des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen, als sie in einer Betrachtung über „Berlin als Sportstadt"
Gustav Böß als einen Vorkämpfer auf dem Gebiet der Spiel- und Sportplatzfürsorge bezeichneten. „Er ist nicht müde geworden", schrieben sie, „mit seiner ganzen Tatkraft und
mit dem Gewicht seines Ansehens und seiner Stellung immer wieder auf diese Forderung,
daß jedem Bürger Spielplätze, Turnhallen und Schwimmbäder zur Verfügung stehen müssen, hinzuweisen, und er hat sie trotz aller Widerstände und trotz mancher Anfeindung
und Verhöhnung allmählich in der öffentlichen Meinung zur Anerkennung gebracht". 1
Der Dank der Sportvereine und -funktionäre, aber auch der Öffentlichkeit und der politischen Parteien war ihm für diese Pionierarbeit seinerzeit vielfach abgestattet worden. Als
1925 im Rahmen der Berliner Turn- und Sportwoche als besondere Attraktion die erste
schwimmende Jugendherberge ihrer Bestimmung übergeben werden konnte, verlieh man
ihr in Anerkennung seiner Fürsorge für die Bedürfnisse der Jugend den Namen „Gustav
Böß". Doch gerieten seine Verdienste um die Förderung des Berliner Breitensports genauso in Vergessenheit wie sein erfolgreiches Wirken in anderen Bereichen der Stadtverwal15
tung, als er im Gefolge des Sklarek-Skandals im Winter 1929/30 als ein Opfer überbordender politischer Leidenschaften von seinem Amt zurücktreten mußte 2 . Mit der
Benennung einer Sportstätte nach Gustav Böß haben der Senat von Berlin und der Bezirk
Wedding einen begrüßenswerten ersten Schritt getan, das Berliner Stadtoberhaupt der
Zwanziger Jahre dieser unrühmlichen und ungerechtfertigten Vergessenheit wieder zu
entreißen.
Anschrift des Verfassers: Dr. Christian Engeli, Spindelmühler Weg 27,1000 Berlin 45
1
2
Lewald, Theodor, und Carl Diem: Berlin als Sportstadt, in: Unser Berlin. Ein Jahrbuch von Berliner
Art und Arbeit, Berlin 1928, S. 111.
Vgl. hierzu Christian Engeli, Gustav Böß. Oberbürgermeister von Berlin 1921 — 1930, Stuttgart
u.a. 1971 (Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften, Bd. 31), S. 226 ff.
„Bildnis eines Gelehrten"
Zur Neuerwerbung eines Gemäldes von Johann Carl Heinrich Kretschmar
Von Helmut Börsch-Supan
Kurz nach dem Erscheinen des Artikels über Johann Carl Heinrich Kretschmar im Jahrbuch des Vereins, 1978, „Bär von Berlin" konnte die Verwaltung der Staatl. Schlösser u.
Gärten ein weiteres Werk des Malers erwerben. Im Katalog Nr. 77 des Kunsthauses am
Museum in Köln wurde für eine Versteigerung vom 18. bis 21. Oktober 1978 als Nr. 1826
ein 89 X 71,5 cm großes „Bildnis eines Gelehrten" mit der Zuschreibung an Kretschmar
verzeichnet. Hinsichtlich des Malers kann es keinen Zweifel geben. Das Bildnis besitzt alle
Merkmale von Kretschmars Stil. Die Hände, vor allem die rechte, besitzt die typische
Kraft des Ausdrucks. Das Stilleben im Vordergrund läßt die Bewußtheit des Komponierens
spüren. Wie ein Sockel für die rechte Hand mutet das Buch an, dessen Aufschrift auf
dem Rücken „Quinti Horatii Flacci opera omnia" lautet. Darunter liegt eine dünne Mappe, wie es scheint, mit Zeichnungen oder Stichen. Rechts ist Schreibzeug angeordnet:
Tintenfaß, zwei Schreibfedern, Federmesser und zugehöriges Etui. Die Schräge des aufgeschlagenen Buches kreuzt wirkungsvoll die horizontalen Linien, die besonders durch die
Hände und Arme unterstrichen werden. Zu diesem Gefüge paßt der strenge, klassizistische
Stil des breiten, nur mit der Lehne sichtbaren Stuhles.
Das Problem des Bildes liegt in der dargestellten Person. Da die Attribute auf einen
Schriftsteller verweisen, ist der Kreis eingeschränkt, der Versuch einer Identifikation also
aussichtsreich. Zu der einzigartigen Bildnisgalerie deutscher Schriftsteller und Gelehrten
des späteren 18. Jahrhunderts, die Johan Wilhelm Ludwig Gleim in seinem Wohnhaus in
Halberstadt angelegt hat, gehört auch ein Porträt von Johann Joachim Eschenburg, das um
1793 von Georg Friedrich Weitsch gemalt worden ist. Die Ähnlichkeit mit dem Bildnis
Kretschmars ist unverkennbar. Die lange, gebogene Nase, die eigentümliche Form der
Nasenflügel, der Mund mit der vorgeschobenen Unterlippe und die Schädelform stimmen
überein (Die Bildnisse im Gleimhaus Halberstadt. 1963, S. 13). Ein zweites Bildnis
Eschenburgs von Weitsch im Städtischen Museum in Braunschweig, das 1801 datiert ist,
16
,.Bildnis eines
Gelehrten".
Öl a.Lwd. 89X71,5 cm.
Berlin, Staatl.
Schlösser u. Gärten.
zeigt auch die nach hinten gekämmten, ziemlich langen gelockten Haare (Annedore
Müller-Hofstede: Der Landschaftsmaler Pascha Johann Friedrich Weitsch 1723 — 1803.
Braunschweig 1973, Abb. 8).
Eschenburg, 1743 in Hamburg geboren, war seit 1767 Hofmeister am herzoglichen Hof in
Braunschweig und hielt seit 1769 Vorlesungen über beinahe alle damals gepflegten Gebiete der Geisteswissenschaften und der Künste am Collegium Carolinum in Braunschweig.
Er war mit Lessing eng befreundet. Da Kretschmar aus Braunschweig stammte, hat er
Eschenburg wahrscheinlich gekannt, zumal er bestrebt war, sich vielseitig zu bilden.
Für eine Datierung des Bildes geben das Alter des Dargestellten und der Stil nur einen
relativ vagen Anhalt. Eschenburg wirkt auf dem Porträt Kretschmars wesentlich greisenhafter als auf Weitschs Bildnis von 1801. Der flüssige und routinierte Farbauftrag sprechen
eher für ein spätes als für ein frühes Werk des Malers. Eine technische Besonderheit deutet
sogar auf eine Entstehung erst in der letzten Schaffensphase des 1847 gestorbenen Kretschmar. Das Bild ist auf eine fertig grundierte Leinwand gemalt, wie sie seit etwa 1840 im
Handel war. Eschenburg starb 1820. Es handelt sich demnach um ein posthumes Bildnis,
das vielleicht aus Anlaß seines hundertsten Geburtstages gemalt wurde.
In der Ausbreitung der Einzelheiten auf dem Tisch liegt ein genrehafter Zug, wie überhaupt
in dem Umstand, daß der Dargestellte liest, statt auf den Betrachter oder in die Ferne zu
schauen. Der Verzicht auf Positur und die Porträtaufnahme bei ruhiger Beschäftigung
findet sich oft bei gezeichneten Bildnisstudien. Während der Porträtierte arbeitet, gibt er
dem Maler Gelegenheit zu einer Zeichnung. Vielleicht liegt auch dem Gemälde Kretschmars eine solche eher beiläufige Studie zugrunde, die zu Lebzeiten Eschenburgs enstanden
ist.
Anschrift des Verfassers: Prof Dr. Helmut Börsch-Supan, Leistikowstraße 2, 1000 Berlin 19
17
Nachrichten
Z u r G e s c h i c h t e d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n E i n r i c h t u n g e n in D a h l e m
Am 31. Oktober 1978 hielt Dr. Michael Engel über dieses Thema einen Lichtbildervortrag im Filmsaal des Rathauses Charlottenburg. Da uns eine Kurzfassung seiner Ausführungen zur Verfügung
steht, sei sie des allgemeinen Interesses wegen nachstehend wiedergegeben:
Auf der Domäne Dahlem wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eine Reihe von wissenschaftlichen Instituten errichtet, in denen sich sowohl die Entwicklung der Naturwissenschaften - insbesondere auch die der Chemie und Biochemie - als auch die damalige Wissenschafts- und Kulturpolitik
ausdrückt. Die Planung und Errichtung dieser Lehr- und Forschungsstätten ist besonders mit dem
Wirken von Althoff, Schmidt-Ott, E. Fischer, v. Harnack und v. Bode verbunden.
Wenn auch die meisten Institutionen solche der medizinisch-naturwissenschaftlichen Fächer waren,
so dachte man jedoch auch an solche der Geisteswissenschaften und der Volksbildung, die jedoch aus
finanziellen Gründen meist nicht verwirklicht wurden.
In Dahlem wurden Institute der Universität (Botanischer Garten und Botanisches Museum, Pharmazeutisches und Pflanzenphysiologisches Institut, Astronomisches Recheninstitut), der Landwirtschaftlichen Hochschule, die Höhere Gärtnerlehranstalt (beide bildeten später die Fakultät für Landbau der
Technischen Universität Berlin), einiger Reichs- und Staatsbehörden (Kaiserliches Gesundheitsamt,
Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, heute Biologische Bundesanstalt für Land- und
Forstwirtschaft sowie Bundesgesundheitsamt; Materialprüfungsamt, heute Bundesanstalt für Materialprüfung) sowie die der 1911 mit bedeutenden Privatmitteln gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
(KWG) errichtet. Bodes Dahlemer Museumspläne blieben ein Torso und wurden erst jetzt mit den
Neubauten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wieder aufgegriffen. Zu dieser Stiftung gehört auch
das Geheime Staatsarchiv.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt Berlin Treuhänder der Behörden, bis diese wieder einen
eigenen Status erhielten. Für die KWG wurden die Forschungsgruppe Dahlem und die Deutsche
Forschungshochschule als Auffanginstitutionen gegründet, aus denen die Berliner Institute der MaxPlanck-Gesellschaft (MPG) und die ersten Institute der Freien Universität hervorgingen. Im Umkreis
der genannten Forschungs- und Lehrstätten wurden in Dahlem weitere wissenschaftliche Einrichtungen angesiedelt (Oskar-Helene-Heim, Deutsches Archäologisches Institut, Deutsches Institut für
Wirtschaftsforschung u.a.).
Eine ausführliche Darstellung des Vortragenden findet sich unter dem Titel „Dahlems wissenschaftliche Einrichtungen im Wandel der Zeiten" in dem „Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen
Vereinigung" (Jg. 78,1975, H. 1 - 3 und Jg. 79,1978, H. 1).
Spittelkolonnaden entstehen neu
Die um 1780 von Carl von Gontard vollendeten Spittelkolonnaden standen in der Leipziger Straße,
bis sie während des Krieges zerstört wurden. Sie sollen jetzt zwischen zwei Hochhäusern auf einer
Seite der Leipziger Straße ihren neuen Standort finden. Jürgen Klimes hat 20 etwa 1,50 m hohe Vasen
und zwei ebenso große Puttengruppen geschaffen, die links und rechts der großen Mitteltrophäe auf
dem Gesims aufgestellt werden sollen. Für die Innenwände der Spittelkolonnaden wurden mehrere
Reliefs mit Handelssymbolen gestaltet. Dieselbe Künstlergruppe schuf auch die zehn großen Säulenkapitale sowie 26 Pilasterkapitäle mit den für die Zeit der Erbauung typischen Voluten.
*
Die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz zeigt anläßlich der Eröffnung ihres Berliner Neubaus
vom 15. Dezember 1978 bis Juni 1979 eine Ausstellung der kostbarsten Sammelstücke aus ihren
Beständen abendländischer und orientalischer Handschriften, Autographen, Karten und Atlanten,
Inkunabeln und Einbände sowie aus den SpezialSammlungen seltener und illustrierter Drucke
vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit. Der Katalog wird alle 90 ausgestellten Objekte abbilden.
18
Neue Ausstellung im Landesarchiv Berlin
Unter dem Titel „Berlin vor hundert Jahren" wurde im Landesarchiv Berlin eine neue Ausstellung
eröffnet. Sie zeigt Bilder, Karten und Pläne vom Schloß, vom Rathaus, von Museen und Theatern. Die
Ausstellung vermittelt eine Vorstellung vom Berliner Hofleben mit prunkvollen Ordensverleihungen
und von der industriellen Welt des Arbeiters. Neben dem Attentat auf Kaiser Wilhelm 1. werden die
Auswirkungen des Sozialistengesetzes mit Flugblättern und Darstellungen dokumentiert. In der
„Kongreß-Vitrine" zeigt die Ausstellung eindrucksvolle Porträts der Akteure und die Feder, mit der
der Berliner Vertrag unterzeichnet wurde. Vor hundert Jahren erschien Fontanes erster Roman „Vor
dem Sturm". Die Erstausgabe und Briefe mit der schwungvollen Schrift des Dichters sind ebenso zu
bewundern wie Autographen von vielen prominenten Berlinern.
Die Ausstellung ist vom 1. Dezember 1978 bis zum 28. Februar 1979 montags bis freitags von 9 bis
15 Uhr geöffnet.
Von unseren Mitgliedern
Am 8. Oktober 1978 ist unser Mitglied, der Verleger Axel Springer, vom Leo-Baeck-Institut als
erste Persönlichkeit mit dessen neu gestifteter Leo-Baeck-Medaille ausgezeichnet worden. Das Motto
dieser Leo-Baeck-Medaille lautet „Daß die Vergangenheit nicht untergeht". Dieser Satz ist auch in
der Würdigung für Axel Springer enthalten, in der das Institut „die Verdienste des deutschen Verlegers um das Institut und sein Verständnis dafür, daß die Erinnerung an eine große Vergangenheit nicht
untergehen darf", hervorhebt.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche
zum 70. Geburtstag Frau Margarete Cahn, Frau Herta von Daak, Herrn Prof. Dr. Richard Dietrich,
Herrn Georg Fränkel, Frau Hildegard Kuckuck, Herrn Maximilian Woyda; zum 75. Geburtstag Frau
Martha Anklamm, Herrn Hans-Joachim Kohlmorgen, Frau Prof. Dr. Margarete Kühn, Frau Elisabeth
Melcher, Herrn Lothar Schulz, Herrn Friedrich Schwulera, Frau Hedwig Wollstein; zum 80. Geburtstag Herrn Franz Berndal, Frau Alexandrine-Charlotte Eichbaum, Frau Hildegard Napirala,
Herrn Oskar Stolle.
Buchbesprechungen
Fritz Neumeyer: Der Werkwohnungsbau der Industrie in Berlin und seine Entwicklung im 19. und
frühen 20. Jahrhundert. Dissertation TU Berlin 1978, 405 S., 120 Abb., brosch. 27 DM (zu beziehen
über Buchhandlung Wasmuth).
Im Gegensatz zu anderen Industriegebieten Deutschlands, etwa des Ruhrgebietes mit seinen vielen
industrieeigenen Arbeiterkolonien, besaß der Werkwohnungsbau in der ehemaligen Reichshauptstadt
eine nur geringe Bedeutung. So wohnten 1875 lediglich 0,3 % der Bevölkerung Berlins in Wohnungen,
die Eigentum von Industriebetrieben waren (S. 8). Nicht nur viele Betriebe, sondern auch die Mehrheit
der Berliner Arbeiterschaft lehnten die doppelte Bindung an den Industrieunternehmer in Form des
Arbeitgebers und des Vermieters ab (S. 56). Nur 28 Industriefirmen errichteten im weiten Einzugsbereich der Berliner Industrie Werkwohnungen im späten 19. und frühen 20. Jh.
So bedeutete es für den Verfasser der im Fachbereich Bauplanung und -fertigung der Technischen
Universität Berlin vorgelegten Dissertation eine schwere Aufgabe, die speziellen Formen des Berliner
Werkwohnungsbaus von dem allgemeinen Wohnungsbau, vor allem vor der Jahrhundertwende von
Typen des allgemein üblichen Wohnungsbaus zu scheiden. Dies gelingt lediglich für die neueren
Wohnbereiche der aus der inneren Stadt ausgesiedelten Industriebetriebe, etwa die Wohnbauten der
19
Färberei Spindler in Spindlersfeld b. Köpenick, die seit der Jahrhundertwende zu einer Stadt gewachsene Siedlung Wildau der Berliner Maschinenbau AG und den ab 1899 teilweise mit betriebseigenen Häusern bebauten Ortsteil Borsigwalde durch die Firma A. Borsig. Als Höhepunkte des
funktionalen und ästhetischen Werksiedlungsbaus sind die Arbeiterwohnhäuser, die Peter Behrens
im Auftrage der AEG in Hennigsdorf und Oberschöneweide errichtete, zu verstehen. Sie nehmen zu
Recht einen breiten Raum dieser Arbeit ein, die durch einen am Vorbild der Neuausgabe von „Berlin
und seine Bauten" gestalteten Inventarteil auf vorzügliche Weise ergänzt wird.
Leider beschränkt sich die vorliegende Dissertation lediglich auf den Werkwohnungsbau, der durch die
Industrie gefördert wurde. So fehlen die militärfiskalischen Arbeiterwohnhäuser, die ganzen Stadtteilen wie Haselhorst oder Staaken das Gepräge geben, ebenso wie der Wohnhausbau der Eisenbahnen,
die kommunalen Wohnhäuser und der weite Bereich des Wohnhausbaus für landwirtschaftliche
Arbeiter auf domänenfiskalischen, privaten und städtischen Gütern.
Das Verhältnis der Industriebetriebe zu den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, z.B. der
Berliner Baugenossenschaft zu Borsig in Borsigwalde und der Charlottenburger Baugenossenschaft
zu Siemens in Siemensstadt, hätte durch eine vertiefte Untersuchung deutlich gemacht werden können.
Diese Erläuterungen sind jedoch nicht als Kritik, sondern als Anregung zu weiterer Beschäftigung
mit dem Berliner Wohnhausbau vor 1914 zu verstehen.
Felix Escher
Berlin - Landschaften einer Stadt. Fotografiert von Manfred Hamm. Hrsg. von Richard Schneider.
Berlin: Nicolaische Verlagsbuchhandlung 1977. 150 S. mit z.T. farbigen Abb., Leinen, 48 DM.
Das Buch ist vom Verlag mit dem Anspruch annonciert, künftige Berliner Bildbände und Fotokunstbücher „werden sich an dieser Qualität messen lassen müssen". In der Tat zeigen die Fotografien neue Blickwinkel jenseits des Klischees Berliner Ansichten. Hierauf wird im Vorwort verwiesen, das davon spricht, die Stadt Berlin sei von ihren Gegensätzen geprägt, und der Anspruch dieses
Buches bestehe darin, sie in Bildern und Gegen-Bildern sichtbar zu machen.
Die Beschränkung auf Berlin (West) kann sicher von einem Verleger mehr gutgeheißen werden als
von einem Historiker. Wenn es allerdings in der Einführung, die sich dann am Althergebrachten
orientiert, heißt, die Bürgerstadt des Mittelalters und die Renaissancestadt der Kurfürstenzeit seien
aus dem Stadtbild verschwunden, muß sich der Autor belehren lassen, daß in Berlin (West) weder
Mittelalter noch Renaissance stattgefunden haben. Die ergänzende Aussage, wer heute durch Berlin
gehe, merke nicht, daß er sich auf historischem Boden bewege, wird durch die Fotografien widerlegt.
Natürlich kann man darüber streiten, ob Geschichte erst vor der Königin Sophie Charlotte und ihrem
Schloß Charlottenburg beginnt oder ob man die alte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche schon in eine
geschichtslose Zeit verlegt. Wenn das Schloß Charlottenburg übrigens als „eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse barocker Baukunst in Berlin" bezeichnet wird, so muß Frau Professor Dr. Margarete
Kühn ein hohes Lob gezollt werden, wenn das von ihr aus einem Trümmerhaufen wieder aufgebaute
Schloß heute in der Auffassung der nachgeborenen Generation schon das Prädikat „erhalten geblieben" trägt.
Der Fotograf hat eine Vorliebe für Wände mit verfallenden Strukturen und mit verblaßter Reklame;
er teilt sie mit jenen Kollegen, die diesen Abschnitt Berliner Wirklichkeit zum Gegenstand verfremdender Fotokunst machen (Thomas Höpker z.B.). Den Lichthof der Technischen Universität Berlin
mit Garnierung schlafender Studenten (?) zu zeigen, ist sicher ein Zugeständnis an das Berlin der
siebziger Jahre. Das im Tiergarten errichtete sowjetische Ehrenmal verdankt seinen Marmor allerdings
nicht der Neuen Reichskanzlei; diesen Marmor findet man vielmehr jetzt am Ehrenmal im Treptower
Park. Diese Anmerkungen schmalem den vorzüglichen Gesamteindruck dieses 1001. Bildbandes über
Berlin nicht, der von der gängigen Schönbiidnerei erfreulich absticht.
H. G. Schultze-Berndt
Ernst Friedrich: Vom Friedensmuseum . . . zur Hitlerkaserne. Mit einem Beitrag über Ernst Friedrich
von Walther G. Oschilewski. Berlin: Libertad 1978, 237 S. m, Abb., brosch., 14 DM.
Der zunächst in der Schweizer Emigration 1935 in kleiner Auflage gedruckte Bericht über Entstehung, Ausstrahlung und Zerstörung des „Anti-Kriegsmuseums" in dem schmalbrüstigen, zweigeschossigen Uraltbau in der Parochialstraße 28 (zwischen 1923 und 1933) liegt nun in einer Neuauflage
vor. Mehr als das Werk steht hier der Gründer und Betreuer des Museums, Ernst Friedrich, im
20
Vordergrund, der für seine Überzeugung unmittelbar nach der Machtergreifung in die berüchtigten
SA-Gefängnisse verschleppt wurde und trotz unmenschlicher Folterungen ungebrochen nach acht
Monaten auf freien Fuß gesetzt wurde. Seine Freunde Ernst Mühsam und Hans Litten waren ähnlichen
Qualen erlegen.
In einem Nachwort zeichnet unser Ehrenmitglied Walther G. Oschilewski ein persönliches Bild des
kompromißlosen Pazifisten Ernst Friedrich, der zwischen den Kriegen auch der anarcho-syndikalistischen Bewegung nahestand, mit manchen Einzelheiten, die über die 1977 erschienene Biographie Friedrichs von Ulrich Linse hinausgehen.
Ein neues „Anti-Kriegsmuseum" vermochte der seit dem Krieg bis zu seinem Tode 1967 in Frankreich lebende Friedrich nicht mehr zu gründen. Es dürfte der Stadt Berlin zur Ehre gereichen, vor
1933 nicht nur ein Zeughaus, sondern auch das erste und einzige „Anti-Kriegsmuseum" der Welt in
ihren Mauern beherbergt zu haben.
Felix Escher
Adolph von Menzel - Das graphische Werk. Ausgew. v. Heide Ebertshäuser, Einführung v. Jens
Christian Jensen. München: Rogner u. Bernhard 1976. 2 Bde. insges. 1500 §., 1400 Abb., Ln.,
_98 DM. (In Leder gebunden als Vorzugsausgabe 168 DM.)
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, unser Mitglied Dietrich Stobbe, hat den großen Erfolg der
Stuttgarter Staufer-Ausstellung zum Anlaß genommen, um für Berlin eine Preußen-Ausstellung vorzuschlagen. Ein unter dem Kultursenator gebildeter „Lenkungsausschuß" hat das Jahr 1981 aus
Anlaß des 200. Geburtstages Schinkels als Zeitpunkt der Ausstellung gewählt. Offensichtlich denkt
man aber weniger an eine Preußen-Ausstellung aus einem Guß als, wie es wörtlich heißt, an einen
„Zyklus vielseitiger Ausstellungen und Veranstaltungen" in Verbindung mit den Berliner Festwochen. Der Mindererfolg gegenüber Stuttgart ist damit bereits programmiert. Bei preußisch verbrämten Festspielen von Daniel Chodowiecki bis Boris Blacher wird dann auch Adolph Menzel nicht
fehlen, dessen graphisches Werk über Friedrich den Großen und seine Zeit ein Ersatz für die historische Gestalt Friedrichs II. sein dürfte. Insofern kommt die hier vorliegende Ausgabe beinahe zu früh,
wenn sie in ihrem Umfang und in ihrem Gegenstand nicht zeitlos wäre oder allgegenwärtig sein
sollte. „Nulla dies sine linea" - kein Tag ohne Linie oder Zeichnung, war der Wahlspruch Adolph von
Menzels, dessen Persönlichkeit der Direktor der Kieler Kunsthalle, Jens Christian Jensen, würdigt.
Allerdings sieht er das Genie des Zeichners und Illustrators Menzel zeitbezogen (er spricht von dessen
„tragischer Beschränkung") und stellt einen Zusammenhang her zwischen Preußen, das ausgelöscht
worden ist, und dem Teil des Werkes von Menzel, der ihn in seiner Zeit berühmt gemacht hatte und
nun gleichfalls dem Orkus verfallen ist. „Menzels Preußentümelei . . . wird dem Gesamtwerk dieses
großen Künstlers und Menschen weltweite Anerkennung vermutlich für immer vorenthalten".
Jensen konzediert Menzel die „sensationelle Weise der Modernität", die „aus der totalen Unvoreingenommenheit Menzels (kommt), die die Wirklichkeit immer in ihrem Recht beläßt". Hingegen spricht
er Menzel den sozialen Scharfblick ab, der ihm vielfach etwa für sein Bild „Das Eisenwalzwerk" von
1875 attestiert worden ist, weil der Künstler gleichzeitig auch Waffen, Uniformen, Soldaten und
Generäle gezeichnet hat.
Anders sieht dies Max Liebermann in einem nachgestellten musterhaften Essay, der die Illustrationen
des jungen Menzels zu Kuglers Geschichte Friedrichs des Großen allem vorzieht, was der alte Menzel
gemacht hat. „Menzel war kein Pionier, der den Weg bahnt für die neue Epoche, er war der Vollender
seiner Epoche", schreibt Liebermann. Und Theodor Fontane reiht die kleine Exzellenz durchaus
zutreffend ein: „Von Kopf bis Fuß loyal, allem Utopischen abgeneigt, ist er doch zugleich durch und
durch ein Mann der Freiheit und als solcher immer da zu finden, wo von alter Zeit her die richtigen
Preußen, die Leute von festem Rückgrat, gestanden haben. Und diese haben - Gott sei Dank - vordem
wie heute noch immer ihre Widersacher überdauert."
Dieses zweibändige Werk, das wie alle handlichen Kunstbücher an dem einzigen Mangel leidet, daß
alle Reproduktionen über den Leisten desselben kleinen Formats geschlagen werden müssen,
könnte so etwas wie ein Menzel-Hausbuch werden. Bis zum heutigen Tage gilt das Schlußwort aus
dem Essay Max Liebermanns: „Dostojewski schreibt in einem seiner Romane: Es gibt keine traurigere
Zeit, als in der wir nicht wissen, wen wir zu verehren haben. Freuen wir uns, in dieser traurigen Zeit in
Menzel einen Mann zu besitzen, den wir als Künstler und als Menschen gleicherweise verehren
dürfen."
H. G. Schultze-Berndt
21
Berlin-Calender 1979. 12 Handsiebdrucke nach alten Motiven. Berlin: Göpfert Verlag, 1978. 43 DM.
(Vorzugsausgabe 59 DM.)
Die großformatigen Blätter (59x68 cm, Querformat inkl. Kalenderteil) zeigen Ansichten Berlins, die
oft schon vor der Jahrhundertwende „eingefangen" wurden. Mehrfach vergrößert auf ein Format von
51 X67 cm, strahlen sie dadurch heute den Reiz, der Druck-Graphiken zu eigen ist, aus. Hierzu trägt
auch der Farbton bei, der für die Wiedergabe gewählt wurde. Neun Blätter des Kalenders haben noch
einen silbernen Untergrund. Als Reproduktionsverfahren fand der Handsiebdruck Anwendung, ein
weiteres Plus, zumal die technische Ausführung als sehr gelungen bezeichnet werden muß. Die
Auflage, mit 350 Stück in der Normal- und 50 Stück in der Vorzugsauflage - alle Blätter auf Silber und
signiert - angegeben, dürfte auch für Sammler von Druck- oder Photo-Graphik interessant sein. Die
Preise sind für das Gebotene sehr bescheiden. Der kleine Verlag, der auch direkt verkauft, ist in der
Skalitzer Straße 101, Berlin 36 (Tel.: 6 18 22 98) zu erreichen und bietet Selbstabholern noch 10%
Rabatt.
Es ist fast zu viel des Guten für diesen schönen Berlin-Calender.
Claus P. Mader
Walter Stahl und Dieter Wien: Berlin von 7 bis 7, ein ungewöhnlicher Führer durch eine außergewöhnliche Stadt. Mitautorin Monika Wien. 7., verb. Aufl. Hamburg: Falk-Verlag, 1977. 444 S., geb.,
24,80 DM.
Sic transit gloria mundi - besonders schnell scheint die Herrlichkeit der gastronomischen Welt in
Berlin zu vergehen, wenn man in der neuesten Auflage dieses bekannten handlichen Führers so klangvolle Namen wie Resi, Eierschale, Ratskeller Schöneberg, Alter Fritz und Bierpalast liest, die nun auch
schon ein Stück Vergangenheit sind. Der Schwerpunkt des Buches liegt im Bereich der Gastronomie,
der, unterteilt nach den Sparten Restaurants; Abendlokale, Weinstuben, Bars; sowie Nightclubs,
unter Einschluß des Berliner Ostens mehr als die Hälfte des Bandes gewidmet wird. Dabei ist jeder
dieser Abschnitte noch einmal nach den einzelnen Himmelsrichtungen Berlins aufgegliedert. Nicht
ganz logisch erscheint es, daß am Schluß des Buches, nachdem Kulturelles, Sport und Spiel, Sehenswürdigkeiten, Wissenswertes über Berlin und Dienstleistungen abgehandelt worden sind, dann noch
einmal gastronomische Betriebe aufgeführt werden (Cafes, Ausflugslokale, Diskotheken, Frühlokale
usw.), die man an dieser Stelle nicht mehr vermutet. Als ein Zeichen der Zeit mag angesehen werden,
daß nur vier Lokale mit Berliner Küche aufwarten (ebenso viele mit indonesischer und japanischer),
daß aber beispielsweise 35 Restaurants für die italienische Küche Zeugnis ablegen, 28 ChinaRestaurants der Aufnahme für würdig befunden worden sind und immerhin noch 17 französische
Eßlokale die Berliner Szene bereichern.
Die Beschreibungen sind prägnant und zutreffend, und wo man anderer Auffassung ist, kann man sich
über seine eigene Meinung freuen. Gelegentlich stutzt man, wenn etwa das nach dem portugiesischen
Küstenstreifen Algarve benannte Abendlokal mit „spanischem Flair" erfüllt sein soll. Der „Leierkasten" trägt einen Stern (mehr werden nicht verliehen) und den Zusatz „Berlin um DM 1 , — " , was
wohl „Bier" heißen soll. Nicht zuletzt die Dauerspalte in den Sonntagsnummern der Berliner Morgenpost trägt dazu bei, daß die Aktualität dieses besonderen Führers und das Interesse auch an Neuauflagen ständig gewahrt bleiben.
H. G. Schultze-Berndl
y *
/Vfj[
j
Heinrich Zille: Die Landpartie. Zwanglose Geschichten und Bilder. Hannover: Fackelträger-Verlag,
1978. 60 Blatt mit teilw. farbigen Abb., Ln., 22 DM.
Vom Druckhaus Schmalfeldt in Bremen wurde 1978 faksimilegetreu, aber um etwa ein Drittel verkleinert eine von H. Zille handkolorierte und seinem „lieben Hermann Frey im Juli 1921" gewidmete
Ausgabe der Landpartie nachgedruckt. Die ursprünglich 1920 auf Stein gezeichneten Lithographien
mit Text dieser kleinen Humoreske waren in einer einmaligen Auflage von 100 Exemplaren gedruckt
worden. Es ist vergnüglich, die Vorbereitungen zu dieser Landpartie zu lesen, die vom Osten Berlins
bis zum Spandauer Bock führen sollte, aber wohl nicht über Charlottenburg hinaus gelangte. Selbst bei
Zille hat man selten so viele nackte Popos gesehen.
22
Gleichfalls um etwa ein Drittel verkleinert wurde im selben Druckhaus eine faksimilegetreue Schwarzweiß-Ausgabe der zwanglosen Geschichten und Bilder nachgedruckt, deren Originallithographien
nebst Text im Jahre 1919 vom Künstler auf den Stein gezeichnet und in zwei Auflagen von 200 bzw.
50 Exemplaren abgezogen wurden. Alle diese Geschichten spielen sich in einem Milieu ab, das man
mit Recht das Zillesche genannt hat und das heute wohl den Unterprivilegierten zuzurechnen wäre.
Zille-Freunde werden den Nachdruck begrüßen, auch wenn der Gegenstand bei aller Überzeichnung
nicht nur Freude auslöst.
H. G. Schultze-Berndt
Im IV. Vierteljahr 1978
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Irmgard Albrecht
Mansfelder Straße 47,1000 Berlin 31
Tel. 87 86 41
(Brauer)
Ingeborg Bannier, Bibliotheksangestellte
Margaretenstraße 32, 1000 Berlin 45
Tel. 8 32 45 78
(Schlenk)
Brigitte Berghoff, Hausfrau
Rüdesheimer Straße 37,1000 Berlin 33
Tel. 8 22 28 29
(Helmut Georg)
Werner Berghoff, Chem.-Ingenieur
Rüdesheimer Straße 37, 1000 Berlin 33
Tel. 8 22 28 29
(Helmut Georg)
Dr. Werner Bollert, Musikwissenschaftler
Hermannstraße 8, 1000 Berlin 37
Tel. 8 13 2014
(C.P. Mader)
Ilse Bornhöft, Rentnerin
Wilhelm-Hauff-Straße 12, 1000 Berlin 41
Tel. 8 5165 77
(Ellen Wiegand)
Elsa Demmel
Martin-Luther-Straße 62, 1000 Berlin 30
Tel. 2 13 66 62
(Alice Hamecher)
Wolfgang Ernst, Präsident d. Justizprüfungsamts
Tempelhofer Damm 82, 1000 Berlin 42
Tel. 7 86 11 34
(Manfred Schneider)
Rainer Garschagen, Bibliothekar
Paul-Schneider-Straße 5, 1000 Berlin 46
Tel. 7 743914
(Brauer)
Ellen Haehling v. Lanzenauer,
Verwaltungsangestellte
Pfadfinderweg 23,1000 Berlin 28
Tel. 4 01 48 23
(Dr. Schultze-Berndt)
Oswald Hensler, Verwaltungsangestellter
Mehringdamm 105, 1000 Berlin 61
Tel. 6 91 36 16
(Bibliothek)
Dr. Bernd Ulrich Hucker, Wiss. Assistent
Gertrudenstraße 4, 2800 Bremen 1
Tel.(04 21)7 7176
(H. Hofmann)
Immo Koester, Industriekaufmann
Dubrowplatz 3, 1000 Berlin 38
Tel. 8 01 21 83
(Brauer)
Hans-Joachim Krost, Anwaltsangestellter
Bahnstraße 15, 4020 Mettmann
Tel. (0 21 04) 2 33 82
(Brauer)
Margarete Löschel
Orlamünder Weg 46,1000 Berlin 46
Tel. 7 75 37 36
(R. Koepke)
Erwin Lüdtke, Bankkaufmann
Lüdtkeweg 14, 1000 Berlin 10
Tel. 3 92 85 31
(Bibliothek)
Frank PascheT Beamter (Baurat)
Siegener Straße 38, 1000 Berlin 20
Tel. 3 72 83 91
(Bibliothek)
Erika Radmann, pens. Beamtin
Lefevrestraße 29,1000 Berlin 41
Tel. 8 518117
(Fr. Kabisch)
Anna Sehl
Offenbacher Straße 2, 1000 Berlin 33
Tel. 8 21 04 16
(Alice Hamecher)
Klaus Sommer, Kaufmann
Heyenfeldweg 120,4150 Krefeld-Verberg
Tel. (0 21 51) 56 15 39
(Schriftführer)
Anneliese Schaper, Rentnerin
Oberlandgarten 6, 1000 Berlin 42
Tel. 6 26 19 45
(Marg. Jeske)
Peter Springer, Dipl. Bibliothekar
Nußbaumallee 15,1000 Berlin 19
Tel. 3 02 24 23
(Dr. Ingeb. Stolzenberg)
Ilse Stendel, Verwaltungsangestellte
Friedrichstraße 215/216,1000 Berlin 61
Tel. 2 5186 88
(Horst Schramm)
Dr. Richard v. Weizsäcker, Rechtsanwalt
Gelfertstraße 37,1000 Berlin 33
(Alice Hamecher)
Beilagenhinweis: Den Heften an unsere Mitglieder und Dauerbezieher liegt das Inhaltsverzeichnis für
die Jahrgänge 71 bis 74 (1975 bis 1978) bei.
23
Veranstaltungen im I. Quartal 1979
1. Freitag, den 19. Januar 1979, 16 Uhr: Besuch der Ausstellung „Bürgerliches Leben im
Berliner Biedermeier", im Berlin-Museum, Lindenstraße 14. Führung: Frau Ingeborg
Preuß.
2. Sonnabend, den 3. Februar 1979, 11 Uhr: Besuch der Ausstellung „Berlin vor 100 Jahren" im Landesarchiv, Kalckreuthstraße 1 (Ecke Kleiststraße). Führung: Herr Dr. Jürgen
Wetzel.
3. Freitag, den 16. Februar 1979, 17 Uhr: Anläßlich des 114. Jahrestages der Gründung
des Vereins Eisbeinessen im Restaurant der Hochschul-Brauerei, Berlin 65, Amrumer
Straße 31 (Ecke Seestraße), Fahrverbindungen: U-Bahnhof Amrumer Straße, Busse 16,
64, 65 u. 89. Vortrag: Herr Dr. Hans Günter Schultze-Berndt „Streiflichter aus der
Geschichte des Berliner Brauwesens".
4. Sonnabend, den 24. Februar 1979, 10 Uhr: Besichtigung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin 30, Potsdamer Straße 33, Fahrverbindungen: Busse 24, 29,
48, 75 u. 83. Führung: Herr Bibliotheksdirektor Dr. Werner Schochow.
5. Dienstag, den 6. März 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wieland Schmidt
„Friedrich der Große und die Berliner Aufklärung". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg.
6. Dienstag, den 27. März 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Goerd
Peschken „Schinkels architektonisches Lehrbuch". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist
zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Freitag, den 26. Januar, 23. Februar und 30. März, ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der
Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Landesarchiv, 1000 Berlin 30, Kalckreuthstraße 1 - 2 (Ecke
Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister:
Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins:
Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank.
1000 Berlin 19. Kaiserdamm 95.
Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 10 01, App. 2 34. Geöffnet:
freitags 16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang
Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
24
Rotsfe'bÜothek
A l o 15 FX
Fachabt. der Berliner Stadtbibliothek
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
75. Jahrgang
Heft 2
Friedrich Meinecke
April 1979
Ein Berliner Historiker: Friedrich Meinecke (1862 -1954)
Rückblick nach fünfundzwanzig Jahren
Von Michael Erbe
Von dem wohl namhaftesten Historiker dieses Jahrhunderts, dessen Wirken mit Berlin
verknüpft ist, weiß die heute heranwachsende Generation kaum mehr, als daß das Institut
für Geschichte an der Freien Universität nach ihm benannt wurde. Die Bezeichnung
Friedrich-Meinecke-Institut erhielt es im Oktober 1951 aus Anlaß des fünfzigsten Professorenjubiläums dieses Historikers (erste Berufung nach Straßburg im Oktober 1901), der
damals bereits zu Legende und Symbolfigur zugleich geworden war. Die Historikergeneration, die zu seiner Schülerschar zählte, hat ihn selten kritisch gesehen, sondern im großen
und ganzen hoch verehrt. Die jüngeren Historiker haben ihn entweder vergessen oder
strikt abgelehnt bzw. geradezu verdammt1. Nur wenige von den Jüngeren beurteilen ihn
noch aus echter Kenntnis seines Werkes heraus mit dem gebührenden historischen Verständnis2. Anläßlich der fünfundzwanzigsten Wiederkehr seines Todestages wird nun das
Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin im April dieses Jahres ein Gedenk-Kolloquium
abhalten, zu dem sich noch lebende Schüler und jüngere Meinecke-Forscher vereinigen
werden. Auf die Bilanz darf man gespannt sein. Vorweg jedoch soll eine kurze Betrachtung wieder etwas Licht auf einen Gelehrten werfen, der zum Ruf Berlins als bedeutendes
wissenschaftliches Zentrum nicht wenig beigetragen hat. Dabei soll allerdings nicht nur
sein bereits des öfteren umfassend gewürdigtes Werk3, sondern auch sein Dasein als
„Berliner" im Vordergrund stehen.
Friedrich Meinecke wurde am 20. Oktober 1862 in Salzwedel in der Altmark geboren.
Mit neun Jahren kam er nach Berlin, als sein Vater, ein Postmeister, in die Hauptstadt
versetzt wurde. 1871 bezog die Familie zunächst eine Wohnung in der Strausberger Straße
nahe dem Friedrichshain. Später siedelte sie in die Bülow-, dann in die nahe gelegene
Kulmstraße über. Man lebte in den bescheidenen Verhältnissen, welche die Einkünfte
einer mittleren Beamtenfamilie ermöglichten, allerdings nicht ohne das gerade für diese
Schicht charakteristische Bildungsstreben. Die Beschäftigung mit Musik, vor allem mit der
Bachs, und mit der klassischen deutschen Literatur war ebenso selbstverständlich wie der
Besuch des Gymnasiums und später das Universitätsstudium für den nach drei Schwestern
geborenen Sohn, obwohl die Familie gerade dafür harte Entbehrungen auf sich nehmen
mußte. Meinecke besuchte das Köllnische Gymnasium an der Ecke Insel- und Wallstraße, wo er 1882 das Abitur ablegte. Anschließend bezog er die Berliner Universität,
die er indes nach kurzer Frist verließ, um 1883/84 zwei Semester in Bonn zu verbringen.
Die letzten vier Semester absolvierte er in Berlin, wo er im Mai 1886 mit einer von
Reinhold Koser angeregten Arbeit bei Treitschke promovierte.
Zur Geschichte hat Meinecke, dessen Interessen zunächst mehr der Germanistik zuneigten,
erst allmählich während seines Studiums gefunden. Große Bedeutung kommt dabei der
berühmten Historik-Vorlesung Droysens zu, die er im ersten Semester hörte. Nach Abschluß des Studiums arbeitete er kurz als Hauslehrer auf einem mecklenburgischen Gut,
und im April 1887 trat er in den preußischen Archivdienst ein. In dem damals noch
zwischen Kloster- und Neuer Friedrichstraße hinter dem Lagerhaus gelegenen Gebäude tat
Meinecke bis 1901 seine Arbeit, andere Größen der Zunft bei ihrer Forschungstätigkeit
26
Friedrich-Meinecke-Institut bis 1972. Heute Präsidialamt der Freien Universität Berlin.
Foto: Ellen Brast
beobachtend wie den inzwischen stocktauben Treitschke, der für seine „Deutsche
Geschichte" die „Akten mit Emotion" las, so daß dabei „dumpfe Laute des Staunens oder
der Entrüstung zuweilen aus seinem Munde kamen" 4 . Angeregt durch den damaligen
Direktor der preußischen Staatsarchive, Heinrich von Sybel, verfaßte er während dieser
Zeit seine zweibändige Biographie des Generalfeldmarschalls von Boyen (1771 — 1848),
die 1896 bis 1899 erschien. Mit dem ersten Teil habilitierte er sich 1896 an der Berliner
Universität. Seit 1893 redigierte er auch die von Sybel begründete „Historische Zeitschrift", die er nach Sybels Tod 1895 bis 1935 herausgab, allerdings auch in der ihm
eigenen geistesgeschichtlichen Richtung etwas einseitig beeinflußte.
Für damalige Verhältnisse recht spät trat Meinecke erst 1901 in die Universitätskarriere
ein, als er auf sein erstes Ordinariat nach Straßburg berufen wurde. Dies hing einmal mit
seiner Neigung zum Stottern zusammen, die er in seinen Lebenserinnerungen auf den
Schulstreß nach der Übersiedlung von Salzwedel in die Reichshauptstadt zurückführt
und die er erst im Laufe der Jahre allmählich bei Lehrveranstaltungen überwinden
konnte; hinzu kam aber, daß er an sich ein sich nur langsam zur Höhe seiner geistigen wie
schriftstellerischen Fähigkeiten entwickelnder Charakter war, der Zeit brauchte, um zu
reifen, dessen Natur ihm aber, da sie ihm ein hohes Alter bescherte, auch die nötige Zeit
zum Reifen vergönnt hat. In Straßburg lehrte er von 1901 bis 1906, wechselte dann nach
Freiburg über und folgte 1914 einem Ruf an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.
In seinen Erinnerungen hat sich die Zeit, die er in der anregenden Kulturlandschaft an
27
beiden Ufern des Oberrheins verbrachte, zur glücklichsten seines Lebens verklärt, obwohl
die große Zeit seines Wirkens wohl doch die anschließende in Berlin gewesen ist.
In Freiburg entstand indes jenes Buch, das ihn auf einen Schlag auch über die Historikerzunft hinaus bekannt machte, „Weltbürgertum und Nationalstaat", eine ideengeschichtliche Analyse zur „Genesis des deutschen Nationalstaats" (erste Auflage 1907). Es ging
ihm in diesem Buch darum, an Hand der Gedankenwelt einiger weniger Geistesgrößen
wie Wilhelm v. Humboldt, Friedrich Schlegel, Fichte, Stein, Hegel, Ranke und Bismarck
die Entstehung des deutschen Nationalstaatsgedankens im Widerstreit zwischen konservativer und liberaler Staatsidee sowie zwischen nationalem Empfinden und kosmopolitischer
Einstellung nachzuzeichnen und diesen Widerstreit zur Auflösung zu bringen. Auf die
junge Historikergeneration vor 1914 hat diese ideengeschichtlich fundierte Harmonisierung des Spannungsverhältnisses Preußen-Deutschland, die dem Machtstaat letztlich
eine sittlich-kulturelle Qualität zubilligte und ihn mit dem am wilhelminischen Reich irre
werdenden politisch sensibleren Teil des Bildungsbürgertums zu versöhnen trachtete,
nach dem Zeugnis von Meineckes Schüler Ludwig Dehio wie „ein warmer Frühlingsregen" gewirkt. Meinecke selbst sah sein Buch bald mit Distanz. Im Vorwort zur fünften
Auflage am Vorabend der Novemberrevolution von 1918 notierte er, daß die jüngsten
Ereignisse an die Wurzeln der beiden in dem Werk von ihm behandelten Probleme
rührten, und in der Auflage von 1927 gab er unumwunden zu, daß sich seine Stellung
gegenüber manchem, was er zuvor ausgeführt, gewandelt hätte, wenn auch „die letzten
hohen Werte, die damals mein Urteil leiteten - Staat, Nation und Menschheit - , mir
unerschüttert geblieben (sind)" 5 .
Inzwischen war das zweite von seinen großen ideengeschichtlichen Büchern erschienen:
„Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte" (1924). Es behandelt - anders als
ursprünglich vorgesehen - einen Teilaspekt des Verhältnisses zwischen Geschichtsauffassung und Staatskunst, nämlich den des Zusammenhangs zwischen Politik und Moral von
Machiavelli bis auf Friedrich den Großen sowie „Machiavellismus, Idealismus und
Historismus" im deutschen Staatsdenken von Hegel bis Treitschke. Die Staatsräson der
alten Zeit, in der Machttrieb noch durch Sittlichkeit mehr oder weniger gebändigt wurde,
hing zusammen mit den „Traditionen einer christlich-abendländischen Solidarität", und
selbst noch im 19. Jahrhundert wirkte diese weiter, nachdem man während der französischen Expansion nach 1789 in die Abgründe einer von reinem Machtstreben erfüllten
Politik geblickt hatte. Im späten 19. Jahrhundert brachten die neuen Mächte Nationalismus,
Militarismus, Industrialisierung und Imperialismus eine Hypertrophie des Machttriebs, den
die Staatsräson nicht mehr zu zügeln vermochte. Das Buch lief aus in eine Warnung vor
blinder Idealisierung „der Machtpolitik durch die Lehre, daß sie einer höheren Sittlichkeit
entspräche", und vor falscher Vergötterung des Staates,7 zu der auch die deutsche
Historikerzunft neigte. War damit eine mit der Betrachtungsweise des Historismus verbundene Gefahr, nämlich des Verlusts des Gefühls für die politische Ethik angesprochen
worden, so stellte sich die Frage nach dem Ursprung der historisierenden, auf das
Einmalig-Individuelle gerichteten Betrachtungsweise um so dringender. Ihr ging der
inzwischen emeritierte und aus allen öffentlichen Funktionen, die er als einer der mittlerweile führenden Historiker Deutschlands innegehabt hatte, verdrängte Meinecke in
seinem 1936 erschienenen Werk „Die Entstehung des Historismus" nach, in dem er das
Werden dieses neuen Geistes- und Lebensprinzips von Shaftesbury bis Goethe verfolgte8.
Zu diesen bedeutenden Werken treten zahlreiche Aufsätze mit politischer und geschichts28
Der Gedenkstein am Friedrich-Meinecke-Weg im Schwarzen Grund in Dahlem.
Foto: Ellen Brast
theoretischer Thematik, seine „zeitgeschichtliche" Untersuchung über die „Geschichte des
deutsch-englischen Bündnisproblems 1890 bis 1901" von 1927, vor allem aber seine
1946 erschienene Analyse des deutschen Verhängnisses „Die deutsche Katastrophe.
Betrachtungen und Erinnerungen". Es ist eine sehr persönlich gefärbte Auseinandersetzung mit den negativen Traditionen der deutschen Geschichte, die sich durch Verkettung
unglückseliger Umstände so verbanden, daß sie den „Hitlerismus" ermöglichten, der
zwar z.T. in der deutschen Geschichte vorgeprägt, aber nicht unausweichlich war.
Meinecke sah einen Ausweg in der Wiederanknüpfung an die guten deutschen Kulturtraditionen der Goethezeit unter Aufgabe aller machtstaatlichen Ambitionen. Dieses
Buch eines von der Hitlerzeit nicht belasteten Historikers fand kurz nach 1945 im In- und
Ausland große Verbreitung und ließ den Nestor der deutschen Geschichtswissenschaft zur
Symbolfigur einer geistigen Erneuerung in Deutschland werden.
Es soll uns aber hier vor allem ein Wirken im Zusammenhang mit Berlin interessieren.
Geht man Meineckes Lebenserinnerungen, die er zwischen seinem siebenundsiebzigsten
und zweiundachtzigsten Lebensjahr verfaßte9, durch, so fällt das eigentümlich zwiespältige
Verhältnis auf, das er zu der Stadt, in der er die meisten Jahre verbrachte, besessen hat.
Meinecke lebte nach seiner Berufung an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität 1914
im von der Innenstadt weit abgelegenen Villenbezirk Dahlem, in seinem damals neuerbauten Haus Am Hirschsprung Nr. 13, das er nur während des Zweiten Weltkriegs und gegen
Kriegsende wegen der Bombardierungen des Stadtgebiets verließ. An der Verpflanzung
aus der altmärkischen Kleinstadt in die sich stürmisch zur Reichsmetropole mausernde
preußische Hauptstadt, muß bereits der Knabe schwer getragen haben, und sein in der
29
Schule auftretendes Sprachleiden hängt sicherlich damit zusammen. Noch nach Jahrzehnten sah er den roten Backsteinbau des Köllnischen Gymnasiums nur mit Beklommenheit.
Die neue Umgebung war in vielem ungewohnt. „Alles roch nach Neubauten in den
Gründerjahren, und in den zu hastig aufgeführten Mietskasernen klappte bald dies und
bald das nicht. . .", schrieb er zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. „Berlin, von heute
aus gesehen, war eigentlich nur eine große, mäßig bewegte Provinzialstadt. . . Wieviel
schöne alte Häuser, sogar Schlüterbauten, gab es damals noch in der Königsstadt und
Friedrichswerder, und in den Straßen der Friedrichstadt gab es noch überall die alten
kleinen Häuser des 18. Jahrhunderts mit ihren Mansardendächern" 1 ". Auch wenn die
Neubauten, die das Stadtbild immer deutlicher prägten, ihm als Kind mehr imponierten,
so legte er doch später Wert darauf, daß er aus „westelbischem" Gebiet stammte, ja er
träumte noch auf seine alten Tage davon, daß seine Geburtsstadt eine Universität erhalten
und man ihn dorthin berufen habe. Sein Studienjahr in Bonn, seine Professoren]ahre am
Oberrhein, die freilich in die gemeinhin besonders aktiv-schöpferischen Lebensjahre um
die Vierzig fielen, nehmen in seinen Erinnerungen breiten Raum ein und gewinnen aus der
zeitlichen Distanz an Schönheit, während die Schilderung Berlins eher nüchtern-preußisch
ausfällt.
Freilich fallen in die Berliner Lebensjahre einige Schlüsselerlebnisse. 1871 erlebten
Meinecke und seine Familie, von Verwandten mit Freikarten versehen, vom zweiten
Stock des nördlichen Flügels der Universität den Einzug der siegreichen Truppen, die von
einigen Veteranen aus den Befreiungskriegen begleitet wurden, durchs Brandenburger
Tor mit. Im Dezember 1918 hielt er an derselben Stelle Vorlesung, als vom Frankfurter
Tor her die aus dem Osten zurückkehrenden Truppen mit Militärmusik die Linden entlangzogen. „Die Erinnerung an den Juni 1871 ergriff mich. Ich pausierte und überlegte,
was und wie ich meinen Studenten von dem Einst und Jetzt, das ich von dieser selben Stelle
aus erleben mußte, sprechen könnte. Ich tat es nicht, weil ich spürte, daß der Schmerz
meine Stimme ersticken würde, und fuhr fort, von Ludwig XIV. zu erzählen." 11 Man kann
verstehen, was das Bekenntnis zur Weimarer Republik für diesen Mann, der im Herzen
Monarchist war. an der Schwelle des siebten Lebensjahrzehnts bedeutete, und man sollte
ihm das „Vernunftrepublikanertum" nicht voreilig zum Vorwurf machen. Denn wichtiger
war, was er 1944 angesichts des sich abzeichnenden zweiten, endgültigen deutschen
Zusammenbruchs als sein damaliges politisches Leitbild beschrieb: nachdem er anfangs
für Annexionen im Osten eingetreten war, stand es nun für ihn fest, daß man im Hinblick
auf „das alte Ideal der abendländischen Völker- und Kulturgemeinschaft, die Achtung vor
den Rechten unserer Nachbarvölker" auf äußere Annexionen verzichten müsse. Statt
dessen sah er die Notwendigkeit „innerer Annexionen", d.h. „Ausbau der Errungenschaften der Augusttage" 1914 und „endgültige Gewinnung der deutschen Arbeiterschaft",
und zwar mit den „Mitteln der liberalen und demokratischen Gedankenwelt" 12 . Sich
aktiv politisch zu betätigen, wie es manch einer seiner Kollegen tat, hat der stillen, sensiblen
Gelehrtennatur Meineckes allerdings nicht gelegen. Seit 1910 trat er lediglich als politischer Publizist in Erscheinung. Seine politische Einstellung hat sich seit den neunziger
Jahren vom Konservatismus über die Gedankenwelt der Nationalliberalen bis hin zu der
des Naumann-Kreises gewandelt. Politisch willensbildend wirkte er - gemeinsam mit
Kollegen wie Otto Hintze, Ernst Troeltsch, Heinrich Herkner, Max Sering und Werner
Weisbach - auf gelegentlich dazustoßende Politiker auf dem sog. Dahlemer Spaziergang,
der seit den Weltkriegsjahren gewissermaßen zur Institution wurde: sowohl der - Meinecke
30
Am Hirschsprung 13,
das Wohnhaus
von Friedrich Meinecke.
Foto: Ellen Brast
allerdings nicht sonderlich sympathische - spätere Außenminister Rathenau gehörte
dazu als auch die zeitweiligen Reichsminister Groener und Schiffer. Später allerdings mag
Meineckes ironische Beschreibung eher zugetroffen haben: „Dieselben alten Herren . . .
treffen sich an demselben Punkte, gehen denselben Weg in den Wald, kehren in derselben
Konditorei ein, bestellen dieselben Getränke, führen dieselben Gespräche und gehen
denselben Weg nachhause." 13 Erst 1943 mit Beginn der großen Evakuationen aus dem
bombengefährdeten Berlin fanden diese Spaziergänge ihr Ende, politisch hatten sie bereits
seit 1933 nichts mehr zu bedeuten.
Für Meinecke, der zu den Initiatoren der Deutschen Demokratischen Partei zählte, war
es nur zu deutlich, daß mit Hitler Diktatur und Verhängnis über Deutschland hereinbrechen würden. Bis zuletzt hat er davor eindringlich gewarnt. Nach der Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten verlor er sämtliche wichtigen Ämter, die ihm nach seiner
Emeritierung 1932 außer dem Sitz in der Berliner Akademie der Wissenschaften noch
verblieben waren: 1934 die Leitung der Historischen Reichskommission, die auf seine
Initiative 1928 zur Förderung von Editionen und Darstellungen der deutschen Geschichte
seit dem 19. Jahrhundert eingerichtet worden war, 1935 die Herausgeberschaft der
Historischen Zeitschrift. Er erlebte, daß einige seiner bedeutendsten Schüler als Juden in
31
die Emigration gezwungen wurden, er erlebte endlich während des Krieges als über
Achtzigjähriger, daß auch auf sein Haus Bomben fielen und mußte Berlin verlassen. Nach
dem Krieg stellte er, nachdem er 1946 in die inzwischen geteilte Hauptstadt hatte zurückkehren können, sich wieder der Universität zur Verfügung und hielt in seiner Dahlemer
Villa noch Seminare ab, obwohl ihm mit zunehmender Seh- und Hörschwäche und
seiner immer labiler werdenden Gesundheit diese Arbeit neben der wissenschaftlichen
Tätigkeit nicht leicht fiel. Die Drangsalierungen von Dozenten und Studenten durch die
sowjetische Besatzungsmacht und die SED hat er, da er in der im Osten Berlins liegenden
Universität nicht mehr arbeitete, zwar nicht direkt zu spüren bekommen, sich aber, als sich
die Sezession zur Gründung einer Freien Universität im amerikanischen Sektor vollzog,
dieser vorbehaltlos angeschlossen. Am 27. Oktober 1948 teilte er der Deutschen Verwaltung für Volksbildung mit: „Als ich vor zwei Jahren eine kleine Lehrtätigkeit an der
hiesigen Universität wieder aufnahm, geschah es in der Hoffnung auf ein friedliches Nebeneinander marxistischer und nichtmarxistischer Richtungen in den Geisteswissenschaften.
Diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. . . Ich fühle mich zu dem schmerzlichen Entschlüsse gedrängt, das Band, das mich seit Jahrzehnten mit der Berliner Universität
verknüpft, zu lösen und ab 1. November d.J. auf meine Stellung als Ordinarius in der
Philosophischen Fakultät zu verzichten. . ," 14 Zugleich wurde er an die neugegründete
Freie Universität berufen, an der er sowohl die Leitung des Historischen Seminars als auch
das erste Rektorat übernahm, dieses allerdings eher ehrenhalber, da der Prorektor und
Nachfolger im Amt im folgenden akademischen Jahr, der Kunsthistoriker Edwin Redslob,
für ihn die Geschäfte führte. Die Symbolkraft des Namens Meinecke hatte aber nicht
geringen Anteil daran, daß die anfangs auch im westlichen Teil Deutschlands durchaus
umstrittene Universitätsneugründung allmählich als Notwendigkeit begriffen wurde.
Zieht man heute Bilanz aus diesem fast zweiundneunzig Jahre währenden, reichen Forscherleben, so wird man Meineckes Werk sicherlich als weniger bedeutsam für den Fortgang der Geschichtswissenschaft einschätzen als das seiner großen Zeitgenossen und
Berliner Kollegen Otto Hintze, Max Weber und Ernst Troeltsch (welch letztere, obwohl
nicht unmittelbar zur Fachzunft gehörig, doch als für die Geschichte in Deutschland von
eminenter Bedeutung angesehen werden müssen). Daß Meinecke im sog. Lamprechtstreit
die Partei der traditionellen Richtung ergriff, daß er die Entwicklung von Geist und Staat
überbetonte und durch seinen starken Einfluß auch nach 1918 diese einseitige Richtung
stabilisierte und nach 1945 lange zum Schaden einer umfassenden Geschichtssicht neu
begründen half, wer wollte es leugnen? Aber ist all dies nicht weniger ihm als den beiden
Gelehrtengenerationen vorzuwerfen, die sich dieser Art von Historie nur allzu gern anschlössen und innovatorische Impulse, wie sie etwa bereits seit Ende der zwanziger Jahre
von der „Annales"-Historie in Frankreich ausgingen, bewußt verpaßten? Das Faszinierende an Meineckes Werk und an seiner Persönlichkeit bleibt. Zudem sollte man das
überaus breite Spektrum seines Schülerkreises im Auge behalten, dem der Abgott der
sich heute im westlichen Deutschland progressiv einschätzenden Historiker Paul Eckehart
Kehr ebenso angehörte wie - wenigstens mittelbar - der bedeutende Engels-Biograph
Gustav Mayer. Namentlich unter denjenigen, die nach 1933 in die USA emigrierten und
die dortige Geschichtswissenschaft ungemein befruchteten, befanden sich viele MeineckeSchüler wie Hans Baron, Dietrich Gerhard, Felix Gilbert, Hajo Holborn, Gerhard Masur,
Hans Rosenberg und Hans Rothfels. Meineckes Toleranz gegenüber Wissenschaftlern,
die sich politisch und weltanschaulich nicht unbedingt auf seiner Linie bewegten, ist viel3:
leicht angesichts der sich mehr und mehr politisierenden Universitätslandschaft gerade in
Berlin immer noch verpflichtendes Vorbild.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Michael Erbe, Ringstraße 23, 1000 Berlin 28
1
2
3
4
5
6
7
a
9
10
11
12
13
14
Ein ebenso krasses wie mißglücktes Beispiel ist Immanuel Geiss: Kritischer Rückblick auf F. M, in
ders.: Studien über Geschichte und Geschichtswissenschaft, Frankfurt/Main 1972, S. 89—107.
Der beste neuere Überblick stammt von Ernst Schulin: F. M., in Hans Ulrich Wehler (Hg.): Deutsche Historiker I, Göttingen 1971, S. 39 — 57. Sehr instruktiv sind die Vorworte der verschiedenen
Herausgeber von M.s „Werken" (hg. im Auftrag des F.-M.-Instituts der FU Berlin), bisher 8 Bde.,
Stuttgart-München-Darmstadt 1957 ff.
Übersicht bei Schulin, S. 57. - Eine vorläufige Bibliographie von M.s Schriften hat Anne-Marie
Reinold in der HZ 174 (1952), S. 503-523 zusammengestellt.
Meinecke: Erlebtes 1862-1901, in: Werke VIII, 1969, S. 83.
Vgl. Werke V, 1962, S. 3 bzw. 4.
Werke I, 1957, S. 485.
Ebd., S. 505.
Vgl. dazu die meisterhafte Einleitung von Carl Hinrichs in: Werke III, 1959.
Erlebtes, 1862-1901, Leipzig 1941; Straßburg - Freiburg - Berlin 1901-1919, Stuttgart 1948,
beides in: Werke VIII, S. 1 -134 und 135 - 320.
Ebd. S. 37.
Ebd. S. 25.
Ebd. S. 315.
Ebd. S. 236.
Werke VI, 1962, S. 295 f.
Die Kirchenglocken von Berlin (West)
Zwischenbilanz aus einer zweijährigen Inventarisationsarbeit
Von Klaus-Dieter Wille
Aufgabenstellung. Im Frühjahr 1976 bildete sich auf privater Basis eine Forschergruppe,
die den Bestand der in Berlin (West) hängenden Glocken erfassen will. Vorangegangen
war das durch Besuche sakraler Bauwerke erweckte Interesse, Angaben über die in diesen
Gebäuden vorhandenen Klangkörper zu erhalten. Da nämlich die meisten veröffentlichten
Kirchenchroniken und heimatgeschichtlichen Darstellungen, aber auch wissenschaftliche
Architektur- und Kunstführer präzise Ausführungen über die Glocken vermissen lassen,
sah sich die aus drei Berlinern bestehende Gruppe in ihrem Gedanken bestärkt, ein sachkundiges und mit sämtlichen kunsthistorischen und technischen Daten versehenes Inventar von den in der Stadt sich befindenden Glocken zu erarbeiten.
Der modus procedendi war durch die vom Landeskonservator am bayerischen Landesamt
für Denkmalpflege, Dr. Tilmann Breuer, bereits begonnene Forschungsarbeit festgelegt.
Sinn und Zweck dieser Arbeit ist, die Erzeugnisse der deutschen Erzgießkunst nach Form
und Dekor, nach Inschrift und Jahreszahl oder sonstige bildnerische Attribute zu untersuchen, damit eine exakte Darstellung der über den Zweiten Weltkrieg geretteten
Glocken für die an diesem spezifischen Thema interessierte Öffentlichkeit zugänglich
33
gemacht werden kann und die darüber hinaus eine fundierte Basis für die spätere Forschung bilden soll.
Von den bisher von der Gruppe in etwa 75 Kirchen und Kapellen fotografierten und vermessenen rund zweihundert Glocken konnten für die Kulturgeschichte Berlins recht
bemerkenswerte Daten gesammelt werden. Es wurde u.a. festgestellt, daß die im 20.
Jahrhundert erbauten Kirchen über mittelalterliche Klangkörper verfügen, während
einige, zum kulturgeschichtlichen Erbe dieser Stadt zählende Dorfkirchen längst nicht
mehr ihr altes Geläut besitzen.
Die Ausführung der Inventarisationsarbeit, d.h. das Vermessen der Höhe des Glockenkörpers, des unteren Durchmessers und der Höhe des Kronenbügels, sowie die Identifizierung der Inschriften und die Bestimmung der Ornamente, gestaltet sich oft unter
beträchtlichen Schwierigkeiten. Die in den Glockenstuben in luftiger Höhe aufgehängten
Klangkörper sind meist durch Umwelt- und Witterungseinflüsse arg in Mitleidenschaft
gezogen worden. Die korrodierten Bronze- und Gußstahlmäntel der Glocken lassen daher
oft Dekor und Inschriften mühsam erkennen. Hinzu kommt, daß die Arbeit im Glockenstuhl nicht ungefährlich ist, da die in den Gerüsten hängenden Glocken meist schwer zu
erreichen sind. Einige der unter diesen Kriterien ermittelten Fakten werden nach einer
kurzen geschichtlichen Betrachtung im folgenden wiedergegeben.
Historischer Überblick: Die Kunst des Glockengusses ist sehr alt; sie hatte in Europa ihren
Höhepunkt vom 12. bis 16. Jahrhundert. Der Bezug zu den ehernen Klangkörpern ging in
den darauffolgenden Jahrhunderten mehr und mehr verloren. Im 19. Jahrhundert verflachte dann die hohe Tradition des Glockengießens zusehends.
Namentliche Überlieferungen aus der Frühzeit des Berliner Glockengießerhandwerks gibt
es nicht. Erst mit dem Jahr 1494 taucht der Name des ersten, in der Stadt ansässigen
Glockengießers auf: Hans Handeke goß als kurfürstlich-brandenburgischer Büchsenmeister in jenem Jahr eine Glocke für die Kirche in Kraatz/Kreis Ruppin. Über hundert
Jahre später läßt sich in Spandau Martin Grundt als Glockengießer nieder und schuf über
einen Zeitraum von zehn Jahren (1605 — 1615) bronzene Glocken für die umliegenden
Gemeinden.
Der Ruf Berlins als „Glockengießerstadt" wurde aber erst Ende des 17. Jahrhunderts
begründet.Ludwig Buchholz(1628 — 32)und Michael Jakob Neuwert(1636 —66)waren als
erste qualifizierte Glockengießer in der Stadt tätig. Ihnen folgten Michael Martin Heintze
(1674-92), Johann Jakob Schultz ( 1 6 7 9 - 1716) und Otto Ehlers ( 1 6 9 7 - 1709). Aus dem
anfänglich sehr zögernd betriebenen Gewerbe erwuchs bald darauf eine beständige und
äußerst produktiv arbeitende Glockengießerzunft, die mit ihren Erzeugnissen nicht nur die
Berliner Sprengel, sondern viele, fern des Gießortes liegende Gemeinden belieferte.Namen
wie Jakobi, Meurer, Hackenschmidt, Schultze, Thiele und Collier trugen dann in späterer
Zeit den Ruf des Berliner Qualitätsgusses weit über die Grenzen der Stadt hinaus.
Einige der von diesen Handwerksbetrieben hergestellten Klangkörper befinden sich noch
heute in den Berliner Kirchengemeinden. Viele der in und für Berlin gegossenen Glocken
gingen in beiden Weltkriegen zugrunde. So wurde aufgrund der Verordnungen vom
1. März 1917 und vom 15. März 1940 ein Großteil des Berliner Glockenbestandes für
Rüstungszwecke konfisziert.
Über 100 000 Kirchenglocken wurden 1942 in Deutschland beschlagnahmt und in
Hamburg gesammelt. Hier bestand seit 1940 ein Depot im Hamburger Hafengebiet, das
insgesamt dreizehn verschiedene Sammelplätze enthielt. Einer lag z.B. auf einem Holzlager
34
Bronzeglocke aus dem Jahre 1732,
gegossen von J. F. Thielen in Berlin.
Dorfkirche zu Rudow.
Zu C 3 b:
Bronzeglocke 14./15. Jh.
Dorfkirche Schmargendorf.
am Reihersteg im Freihafen. Darüber hinaus gab es noch Lagerplätze in Hettstedt, Ilsenburg, Lünen und Oranienburg. Dort konnten rund 14 000 Glocken aus deutschem Eigentum vor der Verhüttung bewahrt werden. Rund 90 000 moderne Glocken aus der Zeit von
1850 bis zur Gegenwart wurden jedoch eingeschmolzen und gingen damit endgültig
verloren.
Insgesamt etwa 16 000 Geläute entgingen aber ihrer Zerstörung; 9 7 % davon wurden einwandfrei identifiziert und konnten nach Kriegsende ihren Heimatgemeinden wieder zurückgegeben werden. Die Entschlüsselung nahm drei Jahre in Anspruch. Sie wurde von
der deutschen Denkmalpflege in Verbindung mit den Kirchengemeinden und den Sachverständigen für Glockenguß und Glockenakustik durchgeführt. Ein Ausschuß übernahm die
Archivierungsarbeiten. Dadurch konnte die schon 1942 begonnene Hauptkartei des
Glockenarchivs wesentlich erweitert werden. Für 1300 Glocken aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten war eine Rückführung allerdings nicht mehr möglich. Diese Glocken
wurden an Patengemeinden vermittelt.
Das in Nürnberg,im Germanischen Nationalmuseum, beheimatete wissenschaftliche Archiv
hat die Geläute in einer Kartei erfaßt und fotografisch festgehalten. Von den bedeutendsten und schönsten Glocken sind Graphitdurchschreibungen, Fliespapierabdrücke und
Gipsformen vorhanden. Die kunsthistorisch wertvollen Kirchenglocken, die in der Regel
aus Bronze bestehen (dies gilt auch für diejenigen, die in Berlin [West] vorhanden sind),
M
Zu C 7:
Bronzeglocke aus dem Jahre 1870,
gegossen von E. Voß in Stettin.
Dorfkirche Lankwitz.
Bronzeglocke aus dem Jahre 1786,
gegossen von J. Ch. F. Meyer in Berlin.
Gemeindehaus Giesensdorf.
zeigen neben ihrer Formensprache auch die Entwicklung der Schrift bis in das 19. Jahrhundert hinein, wobei in typischen Beispielen die Buchstabenform abzulesen ist. Neben
der schmuckreichen Unziale treten besonders die ausdrucksstarken Majuskel- und Minuskelinschriften hervor. Die sinnvollen lateinischen Texte auf den Flanken der Glocken
ergänzen die mittelalterlichen deutschen Inschriften, die nicht selten eine Bannformel
gegen eine Krankheit, Krieg oder Unwetter beinhalten. Über alle Jahrhunderte aber hat
sich das früheste christliche Glockengebet erhalten: O REX GLORIE XRE (CHRISTE)
VENI CUM PACE (O König der Herrlichkeit, Christus, komm mit Frieden). Wir finden
diesen Spruch heute u.a. auf den Glocken der Dorfkirchen von Schmargendorf, Hermsdorf,
Reinickendorf und Mariendorf.
Das Wortbild der gotischen Glocken wird dagegen häufig durch bildnerischen Schmuck
in Form von Medaillons ersetzt, die meist die Leidensgeschichte Christi darstellen. Biblische und Heiligendarstellungen (z.B. in Gatow), die im Mittelalter als Pilgerzeichen verwendet wurden, spielen als Schmuckelemente ebenfalls eine große Rolle. In der Renaissancezeit erweitern sich schließlich die Themen in mythologische und profane Darstellungen (z.B. Johanneskirche/Lichterfelde), die oft von überaus reichem ornamentalen
Schmuck begleitet werden. All diese Verzierungen gehören ihrem Charakter und ihrer
Gestaltung nach in den Kreis der Volkskunst und sie sind, abgesehen von der seelischen
3€
Bronzeglocke 14./15. Jh.
Dorfkirche Gatow.
Zu C 6 a:
Bronzeglocke aus dem Jahre 1688,
gegossen von M. Heintz aus Berlin.
Ev. Kirchengemeinde Nikolassee.
Auch diese Glocke mußte abgegeben werden.
Die Nummer vom Glockensammelplatz ist noch
deutlich zu erkennen.
Einstellung zur Glocke selbst, neben der rein religiösen Bedeutung in das Gebiet der Volkskunde einzuordnen.
Glockenform und Werkstoff: Frühe nachweisbare Glocken hatten die Form eines Bienenkorbes. Er wird im 12. Jahrhundert von der schlanken Zuckerhutform mit sechs Bügeln
abgelöst. Aus der sich anschließenden Synthese beider Formen entwickelte sich gegen
Ende des 13. Jahrhunderts eine neue Rippenform, die gotische Dreiklangrippe von polyphonem Klang. Sie gab drei harmonische Töne von sich, den Grundton am Schlagring, die
Beitöne der Oktave am Hals und die große oder kleine Terz oder auch die Quart an
der Flanke. Aus der Zuckerhutform ging dann die etwas breitere Kelchform hervor.
Von den genannten Glockentypen konnte während der Berliner Inventarisationsarbeit
keine Glocke mit Bienenkorbform nachgewiesen werden. In der Johanneskirche/Schlachtensee, der Buckower Dorfkirche und der Kirche in der Gartenstadt Staaken sind dagegen
drei Glocken des zweiten Typs vorhanden. Die am häufigsten, vom Spätmittelalter bis zur
Gegenwart vertretene Glockenform ist die des Kelches. Für Berlin (West) bedeutet das,
daß von den bisher erfaßten 203 Glocken und zwei Glockenspielen (Dorfkirche Mariendorf und Kirche am Stölpchensee) mit insgesamt dreiunddreißig einzelnen Klangkörpern
nur drei der sogenannten Zuckerhutform zuzuordnen sind.
37
Von in die Inventarliste aufgenommenen Glocken bestehen 157 Exemplare, einschließlich
der Glockenspiele, aus Bronze, wobei die Zusammensetzung der Legierung vermutlich
unterschiedlich sein wird. 79 Glocken wurden aus Stahlguß gegossen.
Nach ihrer Entstehungszeit und gegenwärtigem Standort können die Glocken in folgende
Gruppen gegliedert werden:
A
A1
A2
A3
Glocken der Dorfkirchen
Undatierte, aus dem Mittelalter stammende Glocken befinden sich in Britz, Buckow,
Gatow, Lichterfelde, Lichtenrade und Schmargendorf.
Datierte Glocken hängen in Buckow (1322), Mariendorf (1480), Wittenau (1484,
1583), Reinickendorf (1491), Hermsdorf (1507), Giesensdorf (1686, 1786), Rudow
(1732), Rixdorf (1738) und Lankwitz (1870).
Über ein neues Geläut verfügen die Kirchen von Dahlem, Heiligensee, Kladow,
Lübars, Marienfelde, Stolpe, Tempelhof und Zehlendorf.
Die Glocken der ehemaligen Dorfkirchen von Steglitz, Tegel und Wilmersdorf konnten
bisher nicht nachgewiesen werden. Vermutlich sind sie der Verhüttung zum Opfer gefallen. Eine Glocke aus der alten Lützower Dorfkirche befindet sich heute in dem
Glockenträger der Kapelle auf dem Luisen-Kirchhof III. Die Dorfkirche von Schöneberg
besitzt als einzige Dorfkirche in Berlin (West) kein Geläut.
B
B1
B2
Glocken in nach 1850 erbauten Kirchen
Undatierte, aus dem Mittelalter stammende Glocken befinden sich in der Johanneskirche/Schlachtensee, der Johanneskirche/Lichterfelde, der Lindenkirche/Wilmersdorf und der Kirche in der Gartenstadt Staaken.
Datierte Glocken hängen in der Matthias-Claudius-Kirche (1518), der Kapelle auf
dem Luisen-Kirchhof III (1646), der Kapelle auf dem Martin-Luther-Friedhof
(1664), der Kirche zu Nikolassee (1688, 1755), dem Klosterfelder Gemeindehaus
(1704), der Luisenkirche zu Charlottenburg (1823) und der Andreas-Kirche in
Wannsee (1896).
Bemerkenswert sind darüber hinaus zwei Glocken in der Peter und Paul-Kirche (1836,
1894), eine Glocke in der Kirche der Apostel-Andreas-Gemeinde, die vermutlich aus dem
18. Jahrhundert stammt, und die um 1900 gegossene Glocke der schwedischen ViktoriaGemeinde.
Zu einigen kulturhistorisch wertvollen Glocken sollen hier Auszüge aus dem Inventar
folgen.
1. J o h a n n e s k i r c h e
Bezirk Zehlendorf, Ortsteil Schlachtensee/Matterhornstraße.
Bronzeglocke von schlanker Zuckerhutform, die aufgrund eines um die Schulter herumlaufenden etwa neun Zentimeter hohen, von zwei kräftigen Bändern begleiteten, romanischen Frieses dem 13. Jahrhundert zugeordnet wird (vermutlich gegossen unter Markgraf
Johann IL, 1266—1281). Die Glocke trägt keine Inschrift, ihre Kronenbügel sind rund
und mit seilartigen Verzierungen besetzt. Sie hing bis 1912 in der Dorfkirche Zehlendorf.
38
Technische Daten: Höhe 680 mm, Höhe des Kronenbügels 160/170 mm, unterer Durchmesser 830 mm, Gewicht 311 kg, Tonlage c.
Beschreibung des romanischen Bogenfrieses: In vier Abteilungen, durch Hochreliefs voneinander getrennte bildnerische Darstellungen, die folgenden Inhalt haben: 1. in einem
spitzen Bogenschild ein märkischer Adler (etwa aus der Zeit um 1280), 2. ein von der
Lilie abgeleitetes stilisiertes Ornament, 3. ein Stierkopf und 4. eine geöffnete Rose mit
Blütenkelch. Je zwölf Blätter bilden die äußere und innere Reihe der Rose.
Die Darstellungen in den zwanzig Bogenhallen bedeuten: 1. zwischen dem Adler und der
Lilie: a) ein junger Vogel mit dickem, gebogenen Schnabel, b) vermutlich der Evangelist
Johannes, c) Christus oder ein Märtyrer das dreiarmige Kreuz über der linken Schulter
tragend; der Leib ist abgemagert und die Rippen treten deutlich hervor, d) ein betender
Engel und e) ein Lamm mit wehendem Bande. 2. zwischen der Lilie und dem Stierkopf:
a) ein springendes Pferd, b) ein knieender betender Engel, c) predigender oder segnender
Christus, d) ein knieender Engel, in der Rechten ein Schwert haltend und e) ein springender Löwe. 3. zwischen dem Stierkopf und der Rose: a) ein geflügeltes vierfüßiges Tier,
b) ein Heiliger, c) ein gekrönter, auf einem Sessel ruhender Fürst mit Zepter und Reichsapfel; das Zepter trägt einen Adler auf der Spitze, d) eine dem Fürsten entgegen schreitende, ein Schwert tragende Gestalt und e) ein Greif. 4. zwischen der Rose und dem Adler:
a) ein Greif, b) ein Apostel, ein gezogenes Schwert haltend, c) ein Apostel mit einem
offenen Buch, drei Finger zum Schwur hoch haltend, d) ein Apostel mit einem großen
Schlüssel und e) ein schreitendes geflügeltes Tier nach rückwärts sehend.
2. D o r f k i r c h e Buckow
Bezirk Neukölln, Ortsteil Buckow/Alt-Buckow.
a)
Bronzeglocke von sehr schlanker Zuckerhutform, bei der es sich wahrscheinlich um
einen Guß aus der Zeit um 1250 handelt. In diesem Zeitraum entstand wohl auch
die Feldsteinkirche. Die Glocke ist undatiert und trägt keine Verzierungen, der
Kronenbügel ist nicht mehr vorhanden.
Technische Daten: Höhe 530 mm, unterer Durchmesser 580 mm, Gewicht 98 kg,
Tonlage as.
b)
Bronzeglocke mit reichen Ornamenten und in gotischen Majuskeln ausgeführten
Inschriften. Zwischen den Buchstaben befinden sich filigranhafte Verzierungen, die sich in dem Spruch auf der Schulter und teilweise auch am unteren
Rand des Frieses wiederholen.
Technische Daten: Höhe 820 mm, Höhe des Kronenbügels 180/190 mm, unterer
Durchmesser 1030 mm, Gewicht 497 kg, Tonlage ges.
Text der Inschriften: O REX GLORIE - XRE (Christe) VENI CUM PACE - anno
domini M CCC XX II in die johannis ante portam latinam erat campana ista consumata in nomine domini amen. (Im Jahre des Herrn 1322 am Tage Johannes vor der
lateinischen Pforte [6. Mai] ist diese Glocke vollendet worden. Im Namen des
Herrn. Amen.)
3. D o r f k i r c h e S c h m a r g e n d o r f
Bezirk Wilmersdorf, Ortsteil Schmargendorf/Breite Straße.
a)
Aus dem Mittelalter stammende Bronzeglocke, in deren Flanke sich eine 80 mm
hohe Christus- oder Marienfigur sowie je zweimal vier, sich gegenüberstehende
Münzen befinden. Die Schulter umlaufen vier kräftige Bänder.
Technische Daten: Höhe 510 mm, Höhe des Kronenbügels 120 mm, unterer Durch39
messer 660 mm, Gewicht 152 kg, Tonlage a.
Aus dem Mittelalter stammende Bronzeglocke von schlanker Form, in deren Schulter
zwischen zwei kräftigen Bändern sich der Spruch O REX + GLORIE + CHRISTE
+ VENI CUM PACE + befindet.
Technische Daten: Höhe 580 mm, Höhe des Kronenbügels 120 mm, unterer Durchmesser 670 mm, Gewicht 158 kg, Tonlage a.
4. D o r f k i r c h e W i t t e n a u
Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Wittenau/Alt-Wittenau.
a)
Bronzeglocke aus dem Jahre 1484 mit der Inschrift M CCCC L XXX IV - O REX
GLORIE XRE VENI CUM PACE.
Technische Daten: Höhe 585 mm, Höhe des Kronenbügels 150 mm, unterer Durchmesser 695 mm, Gewicht 165 kg, Tonlage g.
b)
Bronzeglocke aus dem Jahre 1583 mit vier umlaufenden Inschriftreihen und einem
ebenfalls umlaufenden Ornament zwischen kräftigen Bändern. Diese Glocke ist insofern bemerkenswert, da sie die älteste Glocke in Berlin (West) ist, die die Namen
der Gießer nennt. Der Kronenbügel fehlt hier.
Technische Daten: Höhe 670 mm, unterer Durchmesser 880 mm, Gewicht 333 kg,
Tonlage b.
Inschrift der 1. Reihe:
b)
YACOB WARTEN BERCK SCVLTZ PAVL STEYN YN DAL DORF MARTYNVS HEVBT PFHAR HER
Inschrift der 2. Reihe:
PETER FYSCHER HANS HAWERSTRO DYSE ZW[E]N GOCZLEVT
MCLXXXIII
3. Reihe zeigt ein Ornamentband.
Inschrift der 4. Reihe:
BIN YCH GEFLOSEN YM NAME GOTES
Inschrift der 5. Reihe:
HANS ZYDLER VND YORG BEHEM HABEN MYCH GOSEN
5. M a t t h i a s - C l a u d i u s - K i r c h e
Bezirk Reinickendorf, Ortsteil Heiligensee/Schulzendorfer Straße.
Bronzeglocke von schlanker Form und seilartig gedrehtem Kronenbügel. Es wird
vermutet, daß diese Glocke aus einer schlesischen Kirchengemeinde stammt.
Technische Daten: Höhe 625 mm, Höhe des Kronenbügels 125 mm, unterer
Durchmesser 660 mm, Gewicht 150 kg, Tonlage eis.
Inschrift zwischen fünf Blumenornamenten ANNO DOMINI MCCCCCXVIII.
6. Ev. K i r c h e n g e m e i n d e N i k o l a s s e e
Bezirk Zehlendorf, Ortsteil Nikolassee/Kirchweg.
a)
Reich beschriftete und ornamentierte Bronzeglocke aus dem Jahre 1688. Diese und
die im folgenden beschriebene Glocke gehörten nicht zum ursprünglichen Geläut
der Kirche. Beide Klangkörper stammen vermutlich aus der Mark Brandenburg. Sie
wurden 1949 von einem Sammelplatz geholt.
Technische Daten: Höhe 720 mm, Höhe des Kronenbügels 160 mm, unterer
Durchmesser 950 mm.
Die sich in vier bzw. fünf Reihen gegenüberstehenden Inschriften haben folgenden
Wortlaut:
40
Bronzeglocke aus
dem Jahre 1704,
gegossen von J. Jacobi
für den ehem. Münzturm.
Danach in St. Nikolai/
Spandau, jetzt im
Klosterfelder Gemeindehaus.
b)
CASPER UND CARL VALENTIN VON PARIS, GEBRUDER AUF
MENDELKOW - HANS GUNTER VON PARIES UND ERICH REINHOLTZ VON PARIS GEBRUDER ERBHERREN A. MANDELKOH - PETRUS
ZITELMANNUS PER ANNOS GEWESEN PASTOR KIRCHENVORSTEHER
PETER SCHWANTZ.
AGNESIA GERTRUD VON WREECH (Schrift im Halbkreis um zwei Wappen)
- D[OMINUS] ERNST A CROCKOW ELECT[ORIS] BRANDENBURGENSIS
MINISTER - STAT[U] ET IVST-ITIAE PER POMERAN[IAM] PRAESES ORD[I]NUS 10HA[N]1T1CI EQVES ET COMMENDATOR IN WITTERSHEIM
ETQETERA] ET PATRONUS EX HAEREDI[TA]E IN - PLAVENT1N
KRINIHE MANDELKOW ET[CETERA] ETQETERA].
Inschrift im Schlangring: GOSS MICH MARTIN HE1NTZ AUS BERLIN ANNO
1688.
Diese Bronzeglocke besitzt neben fünf Schriftreihen und einer überaus reichen
Verzierung ein ovales Medaillon mit hebräischen (?) Buchstaben.
Technische Daten: Höhe 680 mm, Höhe des Kronenbügels 130 mm, unterer
Durchmesser 820 mm.
Text der auf einer Seite stehenden Inschrift:
DIESE FALCKENWALDISCHE GLOCKE IST ANNO 1740 ZERBROCHEN
UND ANNO 1755 IM MONATH OCTOBER WIEDER UMGEGOSSEN, DA
DER HERR PATRONUS FRIDERICH WILHELM V: SYDOW ERBHERR
AUF GOSSOW, BELGEN, FALCKENWALDE UND GRAEBENDORFF
1753 D. 21. MAY GESTORBEN UND - HINTERLASSEN SEINE GEMAHLIN
FRAU EUPHENIA LOU1SA V: - WINTERFELDT NEBST VIER SOEHNEN
UND FÜNF TÖCHTER - ERNST AUGUST BERTUCH AUS BUTTELSTEDT
BEY WEIMAR PREDIGER - DURCH GOTTES GNADE GOS MICH
JOH: HEINR: SCHEEL IN STETTIN.
41
7. Dorfkirche L a n k w i t z
Bezirk Steglitz, Ortsteil/Alt-Lankwitz.
Reichornamentierte Bronzeglocke aus dem Jahre 1870 mit äußerst ausdrucksvoll
gearbeiteten Kronenbügeln (Engels- oder Mädchenköpfen). Bei dieser Glocke
handelt es sich um das alte Geläut der Kladower Dorfkirche, das während der
Kriegswirren nach Lankwitz geschafft wurde.
Technische Daten: Höhe 510 mm, Höhe des Kronenbügels 125 mm, unterer
Durchmesser 620 mm.
Inschrift in vier Reihen:
SIE MÖGE NOCH IN SPÄTEN TAGEN - HIER RÜHREN VIELER
MENSCHEN OHR - NUR SELTEN MIT BETRÜBEN KLAGEN - UND
STIMMEN ZU DER ANDACHT CHOR. GEGOSSEN VON E. VOSS IN
STETTIN 1870. No. 436.
8. Ev. B ö h m i s c h - l u t h e r i s c h e B e t h l e h e m s - K i r c h e
(Dorfkirche Rixdorf)
Bezirk Neukölln/Richardplatz.
Bronzeglocke, die neben einem umlaufenden Ornamentfries, der von zahlreichen
Engelsfiguren durchsetzt ist, in der Schulter zwischen je zwei kräftigen Bändern eine
Inschrift trägt. In der Flanke befindet sich ein in großen Buchstaben aufgesetzter
Bibelspruch, der vermutlich nachträglich angebracht wurde.
Technische Daten: Höhe 580 mm, Höhe des Kronenbügels 90 mm, unterer
Durchmesser 670 mm.
Inschrift in der Schulter: VANA JOACHIM V. HANS V. GÖTZEN 1618
VOCOR CAMPANA NVNQ[U]AM.
Inschrift in der Flanke: RENOVATA ANNO 1738 PATRONUS MAGISTRATUS
BEROLINI FUDIT J. P. MEURER BELLO DELETA 1945 ITERUM
RENOVATA ANNO 1948 (F. SCHILLING) - EHRE SEI GOTT IN DER
HOEHE +
Zusammenfassung: Der vorliegende Bericht ist ein Auszug aus einer nach fast sechs
Jahrzehnten wieder erstmals durchgeführten Bestandsaufnahme der Berliner Kirchenglocken. Infolge des letzten Weltkrieges hat das bis dahin als Standardwerk geltende
Inventar „Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer" von F. Wolff, 1920, nur
noch bedingt seine Gültigkeit. Wie bereits erörtert, wurden während des Krieges zahlreiche
Glocken eingeschmolzen oder an andere, außerhalb Berlins liegende Kirchengemeinden
vergeben. Es bot sich daher an, die heute in den Berliner Gemeinden vorhandenen
Geläute zu inventarisieren. Ein weiterer Grund, eine Auflistung vorzunehmen, lag in den
fehlerhaften Angaben der von namhaften Berliner Kunsthistorikern veröffentlichten
Arbeiten. So enthalten beispielsweise die Inventare der Bezirke Charlottenburg, Spandau
und Tiergarten z.T. unvollständige oder gar völlig falsche Beiträge über die Glocken der
in diesen Bezirken stehenden Kirchen.
Die vom Verfasser dieses Berichts unter Mitwirkung seines Bruders, Herrn Hans-Günter
Wille, und Herrn Lothar Fender durchgeführte Inventarisationsarbeit steht unter dem
Protektorat des Berliner Landeskonservators. Nach Abschluß der noch einige Zeit in
Anspruch nehmenden Arbeit ist geplant, das gesammelte Material in seiner Gesamtheit
zu veröffentlichen.
Anschrift des Verfassers: Aschaffenburger Straße 20,1000 Berlin 30
42
Literaturnachweise:
Wille, K.-D., H.-G. Wille und L. Fender: Glocken in Berlin (West) (Unveröffentlichtes Manuskript).
Wolff, F.: Die Glocken der Provinz Brandenburg und ihre Gießer. Zirkel, Architekturverlag GmbH,
Berlin 1920.
Kühnlein, M.: Die Kirchenglocken von Groß-Berlin und seiner Umgebung. Verlag Ernst Reiter,
Berlin 1905.
Sauermann, E., Zimmermann, W. und Grundmann, G.: Aus der Arbeit des deutschen Glockenarchivs. Sonderdruck aus der Zeitschrift: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. 1952, Heft 1.
Deutscher Kunstverlag München/Berlin.
Alle Fotos aus dem Archiv des Verfassers.
Nachrichten
Gesellschaft für Heimatgeschichte in der DDR
Unter dem Vorsitz von Professor Willibald Gutsche wurde in Berlin (Ost) eine Gesellschaft für
Heimatgeschichte im Kulturbund der DDR gegründet. Aufgabe dieser Gesellschaft ist es, die Tätigkeit
der zentralen Fachausschüsse Heimatgeschichte/Ortschronik, Kultur/Geschichte/Volkskunde, Urund Frühgeschichte, Numismatik und kulturhistorische Zinnfiguren zusammenzufassen und zu
koordinieren. In rund tausend Arbeitsgemeinschaften beschäftigen sich gegenwärtig etwa 25 000 Bürger im Kulturbund der DDR mit heimatgeschichtlichen Themen. Professor W. Gutsche bezeichnete
es als eine wesentliche Voraussetzung für die Herausbildung „sozialistischen Geschichtsbewußtseins",
das Wissen um die historische Entwicklung zu vertiefen, insbesondere seit Gründung der DDR.
Erstmals mehr als 100 000 Besucher im Märkischen Museum
Das Märkische Museum konnte im Jahre 1978 nach Aussagen von Direktor Herbert Hampe
107 425 Besucher verzeichnen und damit erstmalig die Grenze von 100 000 Gästen überschreiten.
Hierzu haben auch Sonderausstellungen wie „Historisches Kinderspielzeug", „Berliner Biedermeier",
Malerei und Grafik von Eduard Gärtner, Plastiken von Christian Daniel Rauch sowie die StudioAusstellungen „75 Jahre Fontane-Manuskripte im Märkischen Museum" und Kinderspielzeug von
Berliner Künstlern beigetragen. Die Reihe der stets ausverkauften Konzerte im Märkischen
Museum wird 1979 fortgesetzt.
60 Brunnen im Ostteil der Stadt
Auch wenn man unsere Stadthälfte nicht mit Rom messen oder mit München vergleichen will, kann
man über die geringe Zahl von Brunnen und über das häufige Ausbleiben des Wassers als des belebenden Elements nur betrübt sein. Zu den in Ost-Berlin laufenden rund 60 Brunnen kommt nun auch
wieder die „Scholle" neben dem Alten Museum hinzu, die seit Kriegsende kein Wasser mehr von sich
gab. Gegenwärtig wird die alte Brunnenplastik aus Muschelkalk rekonstruiert.
In der Grünanlage auf dem Pappelplatz soll die 1907 von Ernst Wank geschaffene Plastik „Geldzähler" wieder Aufstellung finden, für die seinerzeit ein Sportler Modell stand. Auch dieser historische
Brunnen wird von der Brunnenspezialbrigade des VEB Stadtgrün gewartet.
SchB.
43
1979 jährt sich zum 250. Mal der Geburtstag Gotthold Ephraim Lessings. Unser Verein hat in der
Öffentlichkeit dieses Ehrentages nicht gedacht. Wie der Verein vor einhundert Jahren reagierte, geht
aus der Rubrik „Die Welt von einst" im „Tagesspiegel" vom 21. Januar 1979 hervor:
Aus Anlaß des 150. Geburtstags von Lessing „fand die Bekränzung der Büste Lessings, die das
Wohnhaus des Dichters, Königsgraben 10 hierselbst, schmückt, durch den Verein für die Geschichte
Berlins um 1V2 Uhr statt. Der prachtvolle Lorbeerkranz, der dem Dichter auf die Stirn gedrückt
wurde, war mit mächtigen weißen Atlasschleifen geschmückt, die eine goldene Borte hatten".
SchB.
Von unseren Mitgliedern
Im Rahmen der 30-Jahr-Feier der Vaganten-Bühne erhielt deren Mitbegründer und langjähriger
Leiter, Horst Behrend, am 9. Februar 1979 das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik
Deutschland.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche
zum 70. Geburtstag Herrn Günther Bahr, Frau Else Jette Heckel, Herrn Horst Kienapfel, Frau
Margarete Weber; zum 75. Geburtstag Herrn Gerhard Ammerlahn, Herrn Dietrich Franz, Frau Herta
Kiewitz, Frau Irma Wullkopf; zum 80. Geburtstag Herrn Gerhard Schwulera.
Buchbesprechungen
Ernst Reuter: Schriften - Reden. Hrsg. von Hans E. Hirschfeld f u. Hans J. Reichhardt. Bd. 3 u. 4.
Berlin: Propyläen 1974 u. 1976. 943 u. 1087 S., Ln., je Bd. 74 DM.
Anfang 1976 konnte die Edition der Schriften und Reden Ernst Reuters abgeschlossen werden. Umfaßten die in den Mitteilungen Nr. 14/1974 bereits vorgestellten Bände I und II einen Zeitraum von
rund vier Jahrzehnten (1904—1946), so die beiden übrigen nur den von sechseinhalb Jahren
(1946—1953). Sie enthalten jedoch eine Fülle von sorgfältig ausgewählten Dokumenten aus der Zeit,
als Ernst Reuter die „eigentlich bestimmende politische Kraft der Stadt" war. Trotz vielfacher
Inanspruchnahme fand er die Zeit, seine Gedanken, seine Pläne und die Ziele der Stadtregierung in
zahlreichen Reden, Artikeln und Interviews der Öffentlichkeit zu erläutern. Es war ein Beitrag zu
der von ihm geforderten demokratischen Erneuerung, die auch die Transparenz politischer Entscheidungen beinhaltete.
Der Herausgeber und Bearbeiter Hans J. Reichhardt hat beiden Bänden eine ausführliche Einleitung
vorangestellt, die den allgemeinen und persönlichen Hintergrund umreißt. Hervorzuheben sind ferner
das Personenverzeichnis und der mit großer Sorgfalt zusammengestellte Apparat von Anmerkungen,
der zu fast jedem abgedruckten Dokument eine Fülle von Erläuterungen bietet. Band III enthält die
Reden, Artikel und Briefe Ernst Reuters vom Zeitpunkt der Rückkehr aus der Emigration im
November 1946 bis zur Aufhebung der Blockade im Mai 1949. Seine Rolle im erregenden Kampf
um die Selbstbehauptung Berlins wird hier dokumentiert.
Aus der Türkei zurückgekehrt, hatte sich Reuter nach kurzem Zögern für Berlin entschieden, für die
Stadt, von der nach seiner Ansicht noch immer die entscheidenden politischen und kulturellen
Impulse für ganz Deutschland ausgingen. In Berlin sah er die „Treuhänder der deutschen Einheit"
und die „Vermittler von Ost und West". Trotz der „Arbeit wie ein Galeerensklave" hatte er diese
Entscheidung nie bereut. Im Dezember 1946 zum Stadtrat für Verkehr und Versorgungsbetriebe
gewählt, wurde Reuter bald durch seine Sachkompetenz und durch seinen leidenschaftlichen KiKBpf
für Demokratie und Freiheit der eigentliche Motor des Magistrats. Nach der Ostrowski-Krise auch
zum Oberbürgermeister gewählt, konnte er dieses Amt wegen des Vetos der Sowjets erst nach der
Spaltung antreten. Der selbstbewußt auftretende Politiker war bald auch den Alliierten unbequem,
44
paßte er doch gar nicht in ihre Vorstellung von dem besiegten Deutschen.
In seinen Reden und Schriften wird immer wieder der moralische Aspekt seines Handelns deutlich.
Nach den Erfahrungen der Vergangenheit konnten die Deutschen seiner Meinung nach sich nur dann
einen Platz in der Völkerfamilie sichern, wenn sie sich auf die unverzichtbaren moralischen Werte als
Grundlage jedes politischen Handelns wiederbesinnen. In Berlin, in der Auseinandersetzung mit dem
östlichen Totalitarismus konnte das deutsche Volk beweisen, daß es die Freiheit liebt und dafür
Opfer zu bringen bereit ist. Nur so konnte das für die deutsche Zukunft notwendige Vertrauen zurückgewonnen werden. In Berlin mußte sich deshalb seiner Meinung nach das Schicksal Deutschlands
entscheiden.
Noch heute ist es erregend, die aufrüttelnden Reden Reuters zu lesen, die Appelle an die „Völker
der Welt", mit denen er den Widerstandswillen der Berliner wachhielt und den Westen daran hinderte,
die Stadt aufzugeben. Vor welchem Forum Reuter auch immer sprach, er konnte stets mit einer aufmerksamen Hörerschaft rechnen. Auf Parteiversammlungen brillierte er durch scharfsinnige Analysen
und weitsichtige Prognosen. Vor Stadtpolitikern erwies er sich als profunder Sachkenner der kommunalpolitischen Probleme und auf Massenversammlungen zog er die Menschen durch kämpferisches
Pathos in seinen Bann. Seine überragende Persönlichkeit hatte nicht nur einige Berliner Kollegen
verunsichert, auch die Genossen in der SPD-Parteizentrale verfolgten besonders seine außenpolitischen Aktivitäten mit mißtrauischer Zurückhaltung. In London, Paris und Washington jedoch war er
den Außenministern der Westmächte als entschiedener Gegner der stalinistischen Berlin- und
Deutschlandpolitik ein stets willkommener Gesprächspartner.
Neben dem Kampf um die Freiheit, um die Einbeziehung Berlins in die westdeutsche Währungsreform,
gegen die sowjetische Blockade und die Spaltung der Stadt gibt dieser Band Aufschlüsse über Reuters
Rolle bei der Erarbeitung des Grundgesetzes. Er strebte die Einbeziehung Berlins als 12. Land in die
entstehende Bundesrepublik an, um die Stadt fest im Westen zu verankern.
Die Aufhebung der Blockade im Mai 1949 war ein Triumph Reuters, der „Höhepunkt seines Lebens",
zugleich aber auch „sein tragischer Wendepunkt". Desillusionierung und Enttäuschung kennzeichnen
den Zeitraum vom Juni 1949 bis zu seinem Tode im September 1953, den der IV. Band behandelt.
Reuter hatte geglaubt, daß die Aufhebung der Blockade nur der erste Schritt zur Wiedervereinigung
Berlins und Deutschlands war. Stattdessen bedeutete sie den Beginn der sich vertiefenden Teilung.
Nicht einmal eine von ihm zumindest erwartete Berlin-Regelung mit bindenden Zusagen für den
ungehinderten Zugang war erreicht worden. Mit Besorgnis registriert Reuter, daß nach Aufhebung der
Blockade das Interesse an Berlin in Westdeutschland abnahm. Aber nur in der engen Verbindung mit
dem Bund sah er eine Zukunft für die Stadt. In zähem Ringen verfolgte er deshalb die Verankerung
Berlins in das Rechts-, Finanz- und Wirtschaftssystem der Bundesrepublik.
Die Dokumente spiegeln auch die Auseinandersetzungen Reuters mit seinen Parteifreunden in
Hannover um den neuen Kurs der SPD in der Deutschland- und Europapolitik. Die Politik Adenauers
verfolgte er mit Mißtrauen, glaubte er doch, daß diesem die Wiedervereinigung Deutschlands weniger
am Herzen lag als der wirtschaftliche Aufschwung der Bundesrepublik und ihre Westintegration.
Reuter unterstützte zwar diese Ziele, wollte aber alle wirtschaftlichen und politischen Energien für
die Rückgewinnung des Ostens einsetzen. Durch Einheit und Stärke konnte die Anziehungskraft des
Westens auf die Bevölkerung gesteigert und Druck auf die Sowjets ausgeübt werden. Energisch
wandte er sich gegen den Vorwurf, die Aufnahme der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone sei eine selbstmörderische Humanität. Der Selbstmord beginne dort, erwiderte Reuter, wo die
Humanität aufhöre. Nur echte Humanität könne die Grundlage der moralischen und politischen
Existenz der Deutschen sein. Wichtiger als das materielle Wohlergehen war ihm die geistige Erneuerung, vor allem die umfassende Erziehung der Jugend. Engagiert schloß er sich der Initiative von
Studenten zur Gründung der Freien Universität an. Gern hielt sich Reuter in den Hochschulen auf.
In den Ansprachen vor den Studenten wird immer wieder die heimliche Sehnsucht spürbar, fernab
vom politischen Geschäft sich ganz der Wissenschaft zu widmen und in der Beschäftigung mit den
Klassikern, mit der Kunst sich selbst zu finden. Der Ausbau Berlins zum geistigen und kulturellen
Mittelpunkt war ihm deshalb stets ein besonderes Anliegen.
Durch die sorgfältige Auswahl der Texte ist es der Edition gelungen, uns eine Vorstellung von dem
kämpferisch bewegten Leben Ernst Reuters zu vermitteln. Sie dokumentiert darüber hinaus eine
wichtige Periode der Berliner und gesamtdeutschen Geschichte. Der Senat hat mit dieser Edition
dem Andenken Reuters ein würdiges Denkmal gesetzt. Dem Herausgeber und Bearbeiter Hans J.
Reichhardt gebührt für diese hervorragende Leistung Respekt und Dank.
Jürgen Wetzet
45
Felix Hirsch: Stresemann. Ein Lebensbild. Göttingen/Frankfurt/Zürich: Musterschmidt 1978. 335 S.,
31 Abb., Ln., 48 DM.
Als der Vf. in seinem 1964 im gleichen Verlag in der Reihe „Persönlichkeit und Geschichte" erschienenen Lebensabriß (Gustav Stresemann, Patriot und Europäer) ankündigte, daß er an einer großen
Biographie Str.s arbeite, durfte man mit Recht gespannt sein. Denn er besaß schließlich noch aus den
zwanziger Jahren als politischer Redakteur verschiedener Str. nahestehender Blätter eine intime
Kenntnis der damals agierenden politischen Persönlichkeiten, die auch das gründlichste Aktenstudium
des lebenden Historikers nicht wettmachen kann. Außerdem hatte Hirsch sich seit dem zweiten Weltkrieg wiederholt in Zeitungsartikeln und Aufsätzen über Str. geäußert und als Emigrant früh Einblick
in die mit den Aktenbeständen des Auswärtigen Amtes nach den USA verlagerten StresemannNachlaßpapiere erhalten. Dies, seine Ausbildung als Historiker und seine im gehobenen Journalismus
ausgereifte stilistische Fertigkeit ließen ein Werk erwarten, das - als es für das Jubiläumsjahr 1978
angekündigt wurde - bei nicht wenigen die Hoffnung nach einem vorläufigen Abschluß der nun seit
Jahrzehnten andauernden und kontroversen Str.-Forschung weckte. Leider sind diese Erwartungen
enttäuscht worden.
Dies heißt nun keineswegs, daß es sich um ein schlechtes Buch handelt. Hirschs Stärke liegt in der
Schilderung des persönlichen Bereichs. Elternhaus, Berliner Milieu, Schul- und Studentenjahre und
früher Werdegang werden sehr eindringlich von einem Kenner der Szene geschildert. Außerdem hat
der Vf. Str. persönlich gekannt, mit anderen, die Str. nahestanden, gesprochen und damit manche
Quelle zum Fließen gebracht, für die spätere Historiker, für die sie verstummt ist, dankbar sein werden. Auch die Umstände von Str.s Krankheit, die ihn schon mit einundfünfzig Jahren ins Grab brachte,
sind bisher nie so ausführlich in einer Biographie beschrieben worden. Was das Persönlich-Private
anlangt, so haben wir ein ausgezeichnetes Werk vor uns, an dem künftig niemand wird vorbeigehen
können. Kritik muß allerdings gegen die historisch-politische Einordnung Str.s als Vorläufer einer
europäischen Integrationspolitik vorgebracht werden, selbst wenn der Vf. deutlich macht, daß es sich
hier angesichts der nach 1918 im Vergleich zu heute ganz unterschiedlichen politischen Mentalität erst
um Ansätze, wörtlich genommen höchstens um die von Str. selbst zitierte „europäische Briefmarke"
handelte, gegen die er nichts einwenden wollte. Demgegenüber ist festzuhalten, daß Str. im großen
und ganzen doch den traditionellen Machtpolitiker in der Tradition Bismarcks verkörperte, der mit
seiner Verständigungspolitik letztlich eine Revision der Fesseln von Versailles anstrebte, und dies
nicht nur hinsichtlich der Räumung des Rheinlands und der Reparationsfrage, sondern auch in Bezug
auf militärische Gleichberechtigung und Veränderung der Ostgrenzen zuungunsten Polens (wenn in
diesem Zusammenhang auch festzuhalten bleibt, daß Polen gleichfalls utopischen Grenzen und
Großmachtträumen der Frühen Neuzeit nachjagte). Ebenso muß bezweifelt werden, ob Str. - hätte er
länger gelebt und wäre er bei guter Gesundheit geblieben - dazu in der Lage gewesen wäre, die
„Machtergreifung" Hitlers zu verhindern. Dem Vf. entgeht die innere Morschheit der Weimarer
Republik, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise fast zwangsläufig zum Verhängnis führen mußte,
ebenso wie die zutiefst unrepublikanische Gesinnung weiter Teile des Volkes. Dabei schildert er eines
der vielen Symptome für den inneren Verfall des Staatswesens recht anschaulich, wenn er die ständigen, nervenaufreibenden Differenzen beschreibt, die zwischen Str. und seiner eigenen Partei bestanden. Insgesamt sind also Weimarer Republik wie ihr bedeutendster Staatsmann wesentlich kritischer
zu sehen, als es das - ansonsten gut gemeinte - Buch dem Leser vorspiegelt.
Qualität und Mängel halten sich also in etwa die Waage. Auf die große Str.-Biographie - die ein
wichtiges Desiderat bleibt - werden wir wohl noch lange warten müssen. Hirschs Versuch wird indessen
als liebevoll ausgeführtes und lebendiges Portrait seinen Wert behalten.
Michael Erbe
Gisela Zick: Berliner Porzellan der Manufaktur von Wilhelm Caspar Wegely 1751 — 1757. Berlin:
Gebr. Mann 1978. X, 322 S. m. 321 Abb. u. 12 Farbabb., Leinen, 135 DM.
Am 7. Juli 1978 stellte der angesehene Kunstverlag, in Anwesenheit der Autorin, das Buch der Presse
und der Fachwelt vor. Diese Buchpremiere fand in den Räumen der KPM in der Wegelystraße am
Rande des Tiergartens statt - sicherlich der beziehungsreichste Ort für dieses Thema.
Als das Kurfürstentum Sachsen mit der Manufaktur in Meißen bereits Weltberühmtheit erlangt hatte,
war man hier in Preußen noch nicht über erste Versuche hinausgekommen. Erst als der Berliner Textilkaufmann Wegely 1751 dem preußischen König Friedrich dem Großen „in aller Untertänigkeit" ver46
sicherte, über die notwendigen Kenntnisse zu verfügen, konnte er vom König ein Privileg erwirken
und danach im „Alten Kommandantenhaus", Neue Friedrichstraße 22 — 23, eine „echte Porcellainfabrique" einrichten. Diese erste Porzellanmanufaktur auf Berliner Boden bestand jedoch nur sechs
Jahre, bis 1757. Von dieser Zeit wurde vier Jahre produziert. Der Katalog nennt 570 Stücke, die in
dieser kurzen Zeit mit dem blauen „W" unter der Glasur entstanden sind und heute einen außerordentlich hohen Seltenheitswert besitzen. Wer - wenn nicht gerade Sammler oder Kunsthistoriker hat schon eine Ahnung von dem figürlichen Reichtum jener ersten Jahre; teils von zauberhafter
Anmut, teils skurril und oftmals hart die Grenze des Kitsches streifend, Nippes jener Tage - das sind
die Schäferszenen, die Putten, die Pärchen und Tiere.
Professor Dr. Gisela Zick, Kunsthistorikerin an der Universität Köln, trug in 15 Jahren die Materialien
über das Schicksal dieser Manufaktur und ihrer Künstler zusammen und schuf damit die Voraussetzung zu diesem repräsentativen Text/Bild-Standardwerk über ein bislang wenig bekanntes Kapitel
der kunsthistorischen Vergangenheit unserer Stadt.
Der gut gedruckte Bildteil des Bandes umfaßt rund 300 Katalognummern und zeigt seltene, bisher
kaum veröffentlichte Stücke des Werkes von Wilhelm Caspar Wegely, soweit sich dieses heute noch
rekonstruieren läßt. Im Textteil erfährt der Interessierte noch viel über die Porzellanherstellung im
friderizianischen Preußen, über Marken und Markierungen und natürlich über die Objekte selbst.
Kulturgeschichtliche Dokumente und Kupferstiche aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind ergänzende
Belege jener Jahre.
Die Herstellung dieses Bandes mit einer Erstauflage von 1200 Exemplaren wurde durch die Stiftung
Ceramica, Basel; die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Stiftung Deutsche Klassenlotterie,
Berlin, gefördert, was sich sicher auf den angemessenen Preis von 135 DM positiv ausgewirkt hat.
Diese Publikation dürfte vor allem bei den Sammlern, Kunsthistorikern, Händlern, Bibliotheken und
Museen auf lebhaftes Interesse stoßen. Ort und Zeitpunkt mögen recht sein, dem Verlag auf eine
weitere, bestimmt ebenfalls reizvolle und dankbare Aufgabe hinzuweisen. Man wünschte sich eine
Gesamtdarstellung zur Geschichte und Werk der Porzellanmanufaktur seit der Zeit Wegelys bis in
unsere Tage in gleicher Qualität und Ausstattung. Diese Aufgabe wäre in Zusammenarbeit zwischen
Kunsthistorikern und der KPM durchaus zu lösen. Die Gründe, die diesen Wunsch tragen, sollen kurz
im folgenden aufgezeigt werden. Altes Berliner Porzellan erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit. Es gibt jedoch nur wenige, sehr teure und meistens nur Teilgebiete behandelnde Veröffentlichungen. Zu nennen wären die zweibändige Ausgabe von Erich Köllmann „Berliner Porzellan 1763 bis
1963", 1966 bei Klinkhardt u. Biermann in Braunschweig erschienen, die Veröffentlichung von
Irene v. Treskow „Die Jugendstil-Porzellane der KPM - Ein Bestandskatalog", 1971 bei Prestel in
München erschienen. Das Standardwerk von Georg Lenz „Berliner Porzellan" von 1913 ist selbst für
Geld und gute Worte schon seit Jahren nicht mehr zu haben; das gilt auch für den Katalog zur Ausstellung der KPM und der Sammlung Bröhan aus dem Jahre 1969.
Zum Schluß sei noch darauf hingewiesen, daß die Berliner sehr gute Möglichkeiten haben, Porzellan
der Wegely-Zeit zu betrachten. Man findet Originale im Märkischen Museum, in der von Dr. Baer
betreuten Ausstellung im Belvedere des Schlosses Charlottenburg (leider ein veralteter Katalog)
sowie im Berlin-Museum, in der Sammlung Bröhan, im Kunstgewerbemuseum, im SchinkelPavillon und im Köpenicker Schloß. Im Ausland besitzen Stockholm und Leningrad größere Sammlungen von Wegely-Porzellan.
Claus P. Mader
Iselin Gundermann: Berlin als Kongreßstadt 1878. Berlin: Haude & Spener 1978. 137 S. mit Abb.,
Pappbd., 16,80 DM. (Berlinische Reminiszenzen, 49.)
Die Reichshauptstadt Berlin war im Sommer 1878 ein Ort weltpolitischen Geschehens. Im soeben
bezogenen Reichskanzlerpalais, dem bisherigen Palais Radziwill in der Wilhelmstraße 77, tagte vom
13. Juni bis 13. Juli der Berliner Kongreß, der sich aus Vertretern der sieben europäischen Großmächte
zusammensetzte mit dem Ziel, die neuerliche Balkankrise beizulegen. Voraufgegangen war der
russisch-türkische Krieg von 1877, der nach dem Vorstoß der Russen bis an die Meerengen und dem
demonstrativen Aufmarsch der britischen Flotte im Marmarameer die Gefahr eines Weltkrieges
heraufbeschworen hatte. Sowohl die Einsicht in die Notwendigkeit, den Frieden zu wahren, als
auch das politische Gewicht Bismarcks, der als „ehrlicher Makler" den Kongreß mit geschickter
47
und straffer Hand leitete, sicherten diesem schließlich den Erfolg und eine weitere, 36 Jahre währende
Friedensperiode in Europa. Im vergangenen Jahr würdigte das Geheime Staatsarchiv Preuß. Kulturbesitz dieses Ereignis in einer vielbeachteten Ausstellung.
Das hier anzuzeigende Buch bietet eine überaus sachkundige und lebendige Darstellung des
Kongreßablaufs. Es beschreibt die politisch-militärische Vorgeschichte, die Besonderheiten der
Organisation, der Berichterstattung, der technischen Vorkehrungen und der Räumlichkeiten. Die
einzelnen Kongreßteilnehmer sind nicht nur in ihrem äußeren Habitus, sondern in farbigen
Charakterstudien eingefangen - zugleich ein Stück europäischer Diplomatiegeschichte im 19. Jahrhundert. Obwohl hier mehr eine nüchterne Arbeitstagung als ein großes gesellschaftliches Ereignis vonstatten ging, überrascht die Fülle der Details, die die Autorin ausbreitet und mit denen
es ihr gelingt, hinter die Kulissen des offiziellen Ablaufs zu schauen, ohne im Anekdotischen steckenzubleiben. Gerade das Fehlen äußerer Höhepunkte lenkt den Blick z.B. auf die Leistungen im
organisatorischen Bereich, für den der Botschafter und Kongreßsekretär v. Radowitz verantwortlich
war. Seine glänzenden Erfolge auf diesem Gebiet trugen nicht unerheblich zum raschen Fortgang
der Konferenz bei; selbst das vielgerühmte ständige Büffet im Konferenzsaal ist unter seine
„Erfolgsgeheimnisse" zu zählen. So entsteht ein facettenreiches Bild von jenem Kongreß, der im
Berliner gesellschaftlichen Leben zwar keine Furore machte, der aber der aufstrebenden Weltstadt in vieler Hinsicht zur Ehre gereichte. Ihr Beitrag hatte sogar die nachhaltigste publizistische
Wirkung: Der Magistrat gab das - in Generationen von Lesebüchern verbreitete - Bild in Auftrag,
das Anton v. Werner von der Abschlußszene des Kongresses malte und das 1881 seinen Platz im
Roten Rathaus erhielt. Hintergründe und Begleitumstände zum Entstehen dieses Werkes bilden den
Abschluß des materialreichen und sorgfältig gearbeiteten Buches, das zudem durch hervorragende Bildbeigaben ausgezeichnet ist.
Peter Letkemann
Irmgard Wirth: Von Berlin nach Potsdam. Malerische Ansichten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
15 Faksimile-Offset-Lithographien der schönsten und lohnendsten Berlin-Ansichten von Sandmann,
Haun u. Meyer. Hrsg.: Wolfgang Schwarze. Wuppertal: Wolfgang Schwarze Verlag 1977. 12 S. Text
u. 15 Klapptafeln, Leinen, 78 DM.
Die in diesem Band gezeigten Farblithographien entstanden in der nachbiedermeierlichen Zeit,
d.h. wahrscheinlich zwischen 1850 und 1860. Diese Arbeiten von Xaver Sandmann (10 Blätter),
August Haun (4 Blätter) und Fritz Meyer (1 Blatt) erschienen seinerzeit in verschiedenen Kunstverlagen, ähneln sich jedoch sehr, trotz erkennbar unterschiedlicher künstlerischer Auffassung und
Ausführung. Alle Blätter sind großformatig und wirken gleich Gemälden. Sie weisen deutliche
Merkmale der Architekturmalerei und -graphik der Biedermeierzeit auf. Gerade diese Zeit brachte
in Berlin eine Reihe bedeutender Künstler hervor. Stellvertretend sei hier nur an Eduard Gärtner,
Johann Heinrich Hintze, Friedrich Wilhelm Klose und Ludwig Emil Lütke erinnert. Die drei hier
vereinigten Künstler blieben als Persönlichkeiten im Hintergrund und ihre Werke sind wohl kaum
noch lückenlos zusammenzubringen.
Sandmann, Landschaftsmaler und Lithograph, ist hier u.a. mit dem „Kgl. Schloß und die Bauakademie", dem „Kgl. Zeughaus und das Alte und Neue Museum", „Potsdam und die Mühle von
Sanssouci" und dem „Marmorpalais im Neuen Garten" vertreten.
Haun war der bekannteste der drei Künstler und übte seine Tätigkeit auch in dieser Stadt aus. Mit
Landschafts- und Genrebildern war er fast immer auf den Berliner Akademieausstellungen vertreten.
Mit dem „Schloß Charlottenburg" von der Ehrenhof-Seite aus, und dem „Blick auf Potsdam vom
Boettcherberge" ist er neben zwei weiteren Bildern hier vertreten.
„Das kgl. Schloß und der Schloßplatz" konnte als einziges Werk m dieser Publikation aufgenommen
werden, da andere Arbeiten von Fritz Meyer völlig im Dunkeln liegen. Nur wenige Stadtansichten von
Berlin sind noch bekannt.
Der Wert dieser hier gebotenen Auswahl ist als positiv anzusehen, zeigt sich doch ein recht hübsches und dank der erklärenden Texte auch verständnisvolles - Bild unserer Stadt und ihrer Umgebung zu
Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Nun einige Anmerkungen zur technischen Herstellung dieses Bandes. Zunächst sei festgestellt, daß
hier der Begriff Faksimile (mit dem Original in Größe und Ausführung genau übereinstimmend) falsch
ist, vor allem auch in der Wortschöpfung „Faksimileoffset". Das Papier, die Farbtöne bei den einzel48
rten Abbildungen (Farben sind insgesamt zu schwer) und die buchbinderische Verarbeitung lassen den
Begriff „Originalgetreu" nicht zu. Gerade die Tatsache, daß die einzelnen Blätter hier in der Mitte
gefalzt - was sehr unschön ist - und dann fest in eine Decke eingebunden sind, belegt diesen Vorwurf,
denn: die Originale lagen piano in Mappen. Wenn nun schon aus Formatgründen die Blätter gefalzt
werden mußten, so hätte man sich die Merian-Bände des Verlages Hoffmann u. Campe zum Vorbild
nehmen können. Dieser Verlag hing die einzelnen Doppelbögen linksseitig auf Fälzel. Zwar entsteht
hier auch ein in jedem Falle unschöner Bruch, doch können die Blätter bequem ausgelegt und betrachtet werden. Der Einband entspricht in seiner Stärke nicht dem großformatigen Inhalt, und der Schutzumschlag mit derartig schmalen Klappen wirkt geradezu lachhaft.
So positiv dieses Unternehmen vom Inhalt her zu werten ist, so negativ ist eben die technische
Konzeption. Negativ um so mehr, als hier im Titel Qualität versprochen wird, die später nicht gewährt
werden kann. Leider!
Claus P. Mader
Reiner Schulze: Die Polizeigesetzgebung zur Wirtschafts- und Arbeitsordnung der Mark Brandenburg
in der frühen Neuzeit. Aalen: Scientia Verlag 1978. 199 S., brosch., 48 DM. (Untersuchungen zur
deutschen Staats- und Rechtsgeschichte. Neue Folge, Band 22.)
Reiner Schulze untersucht in seiner gesetzgebungsgeschichtlichen Studie, einer Frankfurter Dissertation aus dem Jahre 1976, Formen und Funktionen der Rechtssetzung der Mark Brandenburg am
Beispiel der „Polizeigesetzgebung" zur Wirtschafts- und Sozialordnung. Der Untersuchungszeitraum
erstreckt sich vom 16, Jahrhundert bis in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms 1. Der Verfasser
betrachtet zunächst die Rechtssetzung zur ständischen Sozialstruktur und die wirtschaftsfördernden
Verordnungen um 1600, wobei z.B. die Polizeiordnung für Berlin und Kölln aus den Jahren 1580
und 1604 herangezogen werden, die Abdrängung ständischer Mitsprache und Mitwirkung wird
beispielhaft verfolgt und schließlich die Rezeption naturrechtlicher Vorstellungen und die Anfänge
des „modernen" Gesetzesbegriffs untersucht. Dabei entgeht Schulze einer oberflächlichen Identifikation von Gesetzesnorm und Rechtswirklichkeit, weist er doch selbst auf die beschränkte
Durchsetzungskraft polizeirechtlicher Bestimmungen hin (S. 44, S. 47, S. 69 f., S. 81, S. 111).
Schulzes Arbeit ist sicherlich gedankenreich und inhaltlich bemerkenswert. Geschmälert wird die
positive Wertung der Arbeit allerdings durch die Tatsache, daß eine Reihe einschlägiger Editionen
und Studien, von denen Hinweise auch auf größere Zusammenhänge hätten erwartet werden dürfen,
nicht ausgewertet wurden. Dies gilt z.B. für die von Otto Meinardus bearbeiteten „Protokolle und
Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rates", für die Arbeiten von Kurt Breysig und Friedrich Wolters zur brandenburgischen Finanzgeschichte des 17. Jahrhunderts, sowie von Rudolph
Stadelmanns Werk über „Friedrich Wilhelm I. in seiner Thätigkeit für die Landescultur Preussens"
(1878). Kein einziger Titel aus dem umfangreichen und für die Analyse des frühmodernen Staates
grundlegenden Werk von Gerhard Oestreich wurde verwendet und so eine Möglichkeit vergeben, das
Niveau der Betrachtung auf eine höhere Bedeutungsebene zu heben.
Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß entgegen der Ansicht Schulzes (S. 25) die Frage der
Veräußerbarkeit von Adelsland schon vor dem 18. Jahrhundert, nämlich in dem bekannten Revers
von 1653 behandelt wurde, und den Begriff der „Leibeigenschaft" für Brandenburg zu verwenden
(S. 38), dürfte einen zumindest umstrittenen Punkt berühren.
Der von Schulze geleistete Beitrag zu einer auf Gesetzesinhalte abhebenden Rechtsgeschichte bleibt
gleichwohl zu begrüßen.
Wolfgang Neugebauer
Architekturführer DDR - Berlin Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin (Ost):
VEB Verlag für Bauwesen 1976. 100 S. m. Abb., brosch., 6 Mark.
Die Reihe der Architekturführer - neben Berlin sind inzwischen auch die Bände Leipzig und Halle
erschienen - will einen Überblick über architektonisch bedeutsame Objekte des jeweiligen Bezirks
geben. Neben kunsthistorischen und denkmalpflegerischen Gesichtspunkten werden auch solche Baulichkeiten aufgenommen, die eine wichtige Rolle im Stadtorganismus haben, dazu gehören Verkehrsund Industriebauten, aber auch Parkanlagen und Erholungszentren.
In dem vorliegenden Band Berlin, der wie alle Bände der Reihe die Objekte in eine topographische
49
nicht aber chronologische Ordnung bringt, ist der Teil über das Stadtzentrum selbstverständlich am
ausführlichsten gehalten. Zwischen den vielen Nachkriegsbauten sind es vor allem die geretteten
Bauten des alten Berlin, die besonderes Interesse finden werden, z.B. die barocken ehemaligen
Pfarrwohnhäuser an der Taubenstraße oder die Kolonnaden an der Mohrenstraße als Beispiel für
weniger bekannte Baudenkmale. Die Architektur des späten 19. Jhs. ist durch zahlreiche typische
Beispiele vertreten, z. B. durch das Borsighaus in der Chausseestraße und zahlreiche Bürohäuser der
alten City. Die von der Denkmalpflege wiederhergestellten klassizistischen Bürgerhäuser in der
Schumann- und Marienstraße fehlen, ebenso wie „komplex instandgesetzte" gründerzeitliche und
wilhelminische Mietshäuser zwischen Pankow und Lichtenberg, der von Messel entworfene Wohnblock Proskauer Straße des Berliner Spar- und Bauvereins und die um 1856 von der ältesten Berliner
Wahnungsgenossenschaft, der Berliner Gemeinnützigen Baugesellschaft errichteten Bauten in der
heutigen Wilhelm-Pieck-Straße im Bezirk Mitte. Selbstverständlich sind auch die in den Außenbezirken von 1914 und 1918 — 33 angelegten Siedlungen, z.B. die von Peter Behrens konzipierten
Industrie- und Wohnbauten in Schöneweide, die Gartenstädte Falkenberg und Elsengrund und viele
andere gebührend berücksichtigt.
So gibt der Band mit seinen 242 Objekten eine gute Übersicht über die Architektur im Ostteil unserer
Stadt, von ihren Anfängen im Mittelalter bis hin zur Gegenwart.
Obwohl der Band von der Anlage her als Exkursionsführer gedacht ist, sei doch von der Mitnahme
auf einer Begehung gewarnt, da weder die Broschur noch das Papier mit seiner extremen Feuchtigkeitsempfindlichkeit derartige Strapazen aushalten können.
Felix Escher
Richard Wrede u. Hans Reinfels (Hrsg.): Das geistige Berlin. Eine Encyclopädie des geistigen Lebens
Berlins. Neudruck der Bde. 1 u. 3 (Berlin 1897/98) Leipzig: Zentralantiquariat 608 u. 232 S. Ln.,
150 Mark.
Zu den vorzüglichsten Hilfsmitteln jeder wissenschaftshistorischen Arbeit gehören biographische
Nachschlagewerke. Gerade im 19. Jh., einer Zeit, da Berlin zum geistigen und wirtschaftlichen Mittelpunkt Deutschlands wurde, erschienen eine Reihe, heute nur noch in großen Bibliotheken vorhandener
Übersichten zu Persönlichkeiten des gelehrten und künstlerischen Berlin. Nachdem bereits die Biographien von Schmidt und Mehring, Hitzig und Koner durch das Zentralantiquariat Leipzig nachgedruckt
worden sind, unternahm es der gleiche Verlag, auch die sehr selten gewordene „Encyclopädie des
geistigen Lebens Berlin" von Wrede in einem unveränderten Nachdruck vorzulegen. Während der
erste Band Künstlerbiographien enthält — zu den Schriftstellern werden hier auch die heute als „Sachbuchautoren" bezeichneten Autoren gerechnet —, liegt das Scnwergewicht des dritten Bandes im
naturwissenschaftlichen Bereich.
Nicht nur dem an einer speziellen Biographie interessierten Fachmann, sondern auch jedem am
„geistigen Leben" Berlins vor der Jahrhundertwende Interessierten seien die beiden Bände als Lektüre
nachdrücklich empfohlen.
Felix Escher
Wolfgang Ribbe/Johannes Schnitze: Das Landbuch des Klosters Zinna. Editio prineeps. Berlin:
Colloquium 1976. 216 S., 3 Kartenskizzen, brosch., 54 DM. (Zisterzienser-Studien II.)
Landbücher oder Urbare, aus denen sich die Einkünfte und Gerechtsame geistlicher oder weltlicher
Herrschaften ergeben, sind im brandenburgischen Raum verhältnismäßig selten. Um so begrüßenswerter ist die Publikation des vorliegenden Landbuches des Klosters Zinna, das in sechs Handschriften
überliefert ist. Einleitend werden die texteditorischen Probleme vorgeführt, gefolgt von einer Erläuterung der damaligen Maß- und Münzverhältnisse. Hieran schließt sich die mustergültige Edition,
ausführliche Register helfen bei der Benutzung.
Über das Schema des Landbuches von 1375 hinausgehend, werden nicht nur Hufenzahl, Besitzverhältnisse und Abgaben mitgeteilt, sondern Bauern und Kossäten auch namentlich erfaßt. Das
Kloster hatte seinen Besitz in zwei Gebieten zusammengefaßt: 28 Klosterdörfer lagen im Land
Jüterbog, 11 im Barnim. Daneben verfügte es natürlich auch noch über Streubesitz. Ein besonderer
Abschnitt enthält die Einkünfte und Leistungen aus den Klosterämtern für 1480 und 1566/68. Für
die wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschung bietet diese Veröffentlichung eine Fülle von
Details, aber auch die Familienforschung wird Nutzen daraus ziehen können.
Werner Vogel
50
Berliner Kulturstätten. Hrsg. von Alfred Doil. Leipzig: VEB F.A. Brockhaus 1978. 256 S. mit Abb.,
Leinen, 24 Mark.
Dieses Buch beschreibt in übersichtlich angeordneten und gut bebilderten Kurzartikeln insgesamt
71 Ost-Berliner Pflegestätten von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre, Bildung und Unterhaltung. Hervorgegangen aus einer Artikelfolge im „Neuen Deutschland" wurde der Rahmen sehr weit
gesteckt und reicht von den großen weltbekannten Museen bis zu den „proletarischen" Gedenkstätten,
von der Staatsoper Unter den Linden bis zu den Lichtspielbühnen unter dem „Pionierpalast". Als
Autoren zeichnen durchweg die Leiter der jeweiligen Institutionen verantwortlich, so daß Informationen aus erster Hand vorliegen.
Den nachhaltigsten Eindruck vermitteln naturgemäß die „klassischen" Kulturstätten, die großen
Museen, Kunstsammlungen, Theater und Bibliotheken, die auf eine ehrwürdige Tradition zurückblicken können und vom Ruhm früherer Epochen zehren, als sie Berlins kulturelle Weltgeltung mitbegründeten. Imponierend sind nach wie vor die Bestände auf der Museumsinsel, von denen einzelne
Abteilungen wie die Antikensammlung, das Vorderasiatische Museum oder das Münzkabinett mit
ungewöhnlichem Reichtum aufwarten können. Die mehr als 25 Mio. naturwissenschaftlicher Objekte
des Museums für Naturkunde sind ebenso einmalig wie die Komponistenautographen in der Musikabteilung der Dt. Staatsbibliothek. Genießen diese Schätze noch eine annähernd wertneutrale Betrachtung, so tendiert z.B. das Märkische Museum bereits zu einem „Zentrum sozialistischer Kulturarbeit", die dann im Museum für deutsche Geschichte im ehemaligen Zeughaus sich selber und weniger
der deutschen Geschichte Denkmäler setzt. Die Lehr- und Forschungsstätten schließlich - Hochschulen, Akademien, Bildungszentren - unterliegen der strengen parteilichen Ausrichtung, eingeengt
auf das sozialistische Welt- und Menschenbild, was immer man darunter auch verstehen mag. Selbst
altrenommierte Bühnen- und Bildungseinrichtungen erhalten in der kurzen historischen Rückschau
nur eine Würdigung, sofern in ihnen Momente des „Kampfes der Arbeiterklasse" sichtbar werden.
Die ideologische Abgrenzung läßt denn auch den Kulturaustausch nur in östlicher Richtung zu. Die
westliche Seite wird nur dann erwähnt, wenn es um die im 2. Weltkrieg diesseits des Eisernen Vorhangs
ausgelagerten und demnach „widerrechtlich vorenthaltenen" Kunstschätze der früheren Staatlichen
Museen geht - als ob die Bundesbürger und West-Berliner keinen Anspruch auf das preußische
Kunsterbe hätten. Daß auch diese Kunst dem Volke dient, beweisen die weit über 2 Mio. Besucher
des Jahres 1978 in den z.T. nach modernsten Gesichtspunkten errichteten Museen der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz.
Peter Letkemann
Gustav Stresemann 1878 — 1978. Berlin: Berlin Verlag (in Zusammenarbeit mit Inter Nationes,
Bonn) 1978. 152 S., 23 Abb., brosch., 18,80 DM.
Das Gedenkbüchlein stellt eine recht heterogene Sammlung von Einzelbeiträgen von und über Str.
dar. Die Geleitworte von Wolfgang Stresemann und der gegenwärtigen Staatsministerin im Auswärtigen Amt Hildegard Hamm-Brücher sind davon weniger wertvoll als das „Biographische Portrait" von
Felix Hirsch, eine Kurzfassung seines Lebensabrisses über Str. von 1964 in der Reihe „Persönlichkeit und Geschichte". Es folgen einige Texte aus Str.s Feder über literarhistorische, wirtschaftliche
und politische Fragen, außerdem einige Betrachtungen über ihn, u.a. von Ernst Reuter, Theodor
Eschenburg und Carl von Ossietzky. Diese Stücke stammen sämtlich aus der bereits im Jg. 74 (1978)
dieser Mitteilungen auf S. 494 angezeigten Sammlung von Stresemann-Schriften von Arnold Harttung.
Auf dieses Buch wird auch bei den Kurzbiographien S. 146-152 zurückgegriffen. Zusammen mit den
gut ausgewählten Illustrationen und der Auswahlbibliographie bietet die vorliegende Sammlung eine
zwar nicht sehr originelle, aber doch brauchbare erste Einführung in das „Problem Stresemann".
Michael Erbe
Der Berliner zweifelt immer. Seine Stadt in Feuilletons von damals. Vorgestellt von Heinz Knobloch.
Berlin (Ost): Verlag Der Morgen 1977. 520 S„ Ln„ 14,80 M.
Die hier vorliegende Anthologie ist gut! Sie hat Feuilletons zum Inhalt, die uns unser Berlin und seine
Bewohner mit ihren kleinen, oftmals aber auch großen Sorgen und auch Freuden näher bringen wollen.
Neben vielen Unbekannten ist alles, was literarischen Rang und Namen hatte - und noch hat hier vertreten, angefangen von Glassbrenner über Robert Springer, H. Seidel, J. Rodenberg, Fontane,
P. Lindenberg bis hin zu A. Kerr, Tucholsky, Kisch, Brecht, Döblin, Zuckmayer, H. Mann, Mehring
51
und Polgar, um nur einige zu nennen. Den einzelnen Beiträgen ist jeweils - soweit bekannt - die
Vita des Autors vorangestellt.
Eine Einleitung, die auf Zeit- und Lebensbedingungen eingeht und in einigen Passagen zum Widerspruch anregt, sowie ein ausführliches Personen-, Straßen- und Literaturregister ergänzen diesen
hübschen Band.
Übrigens: Der Titel des Buches ist ein Zitat und stammt aus einem Brief Fontanes an Paul Heyse.
Claus P. Mader
Hans-Werner Kliinner: Spandau und Siemensstadt - so wie sie waren. Düsseldorf: Droste 1978.
104 S. m. Abb., Ln., 34 DM.
Nach dem vorzüglichen Potsdam-Band, der vor zwei Jahren hier angezeigt werden konnte (vgl. die
„Mitteilungen", 73. Jg., 1977, S. 260 f.), ist von Hans-Werner Klünner der Teil Berlins, der sich bis
heute noch am stärksten seine Eigenart bewahrt hat, in der gleichen Buchreihe behandelt worden.
Ebenso wie den Vorgängerband zeichnet auch diese Arbeit sowohl gründliche Kenntnis des zu behandelnden Gebietes als auch hohe Sorgfalt bei der Auswahl des Bildmaterials aus.
So wird die besondere Atmosphäre der durch Festung, militärische Fabriken und Garnison weitgehend bestimmten Stadt Spandau durch Photos, auch ihrer ehemaligen Bewohner, vom Oberbürgermeister bis hin zu Mitgliedern der diversen Vereine und Schulen deutlich gemacht. Ihre Art zu leben
und Feste zu feiern kann nicht besser als mit der auf Seite 51 abgedruckten Einladung zum Erntefest
„Waldschlößchen Haakenfelde" gezeigt werden. Doch ist dies nur ein Teil des hier vom Verfasser
gegebenen Bildes von Alt-Spandau. Eine Vielzahl von bisher unbekannt gebliebenen Aufnahmen - es
sind vor allem Luftphotos aus der Zeit vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zu nennen geben eine gute Übersicht über die bauliche Entwicklung und Struktur der Festungsstadt, ihrer Umgebung, ihrer Fabriken und Verkehrsmittel. Die vielen Informationen zu einzelnen Bauten stellen in
ihrer Gesamtheit auch eine zuverlässige Baugeschichte des Bezirks dar; dies ist um so wichtiger, als
der Band „Stadt und Bezirk Spandau" aus der Reihe der „Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin"
dieser Aufgabe in keiner Weise gerecht geworden ist.
unter den ab 1920 zu Spandau geschlagenen Stadtteilen nimmt die Siemensstadt als wichtiges Produktionszentrum der Elektroindustrie und als Wohnstadt eine besondere Stellung ein. Auch hier
gelingt es, die Entwicklung des Stadtteils und der Siemensbetriebe mit ihren im Stadtbild erkennbaren Produkten in Wort und Bild nachzuzeichnen.
Da Spandau einer jener Stadtbezirke von Berlin ist, der, obwohl von Kriegszerstörungen bis auf
einige Kernbereiche wenig betroffen, dennoch nahezu täglich Teile seiner historischen Substanz verliert, kommt dieser Zusammenstellung des „Gewesenen" gerade heute eine besondere Aktualität zu.
Felix Escher
Bernhard Friebel. Unterwegs in Berlin. Zeichnungen und Aquarelle. Berlin: Rembrandt 1978.
88 S. Text m. 41 Abb.,Ln„ 16,80 DM.
Der verlegerische Mut ist zu bewundern und zu begrüßen, mit dem Bernhard Friebels Zeichnungen
und Aquarelle zu einem gefälligen Band zusammengefaßt worden sind. Auf 88 Seiten werden 41 Abbildungen geboten, darunter zwölf mehrfarbige, zu denen der Verleger Klaus J. Lemmer die knapp
beschreibenden Texte beisteuert. Herrscht noch - nicht nur des Materials wegen - bei den Zeichnungen der nüchterne und etwas trockene Strich vor, so geben die Aquarelle einen Hauch farbiger
Romantik. Daß der Künstler an einer Berlin-Mappe arbeitet, deren Blätter vorwiegend die Überreste
der alten oder bereits wieder aufgebaute Teile der neuen Stadt zeigten, beweist, daß die Zahl der
traditionsreichen „Architekturmaler" in Berlin auch einen erfreulich großen Kreis von Einzelgängern
umfaßt.
H. G. Schultze-Berndt
52
Eingegangene Bücher
(Besprechungen vorbehalten)
Konrad Adenauer und seine Zeit. Politik und Persönlichkeit des ersten Bundeskanzlers. Beiträge der
Wissenschaft. Stuttgart: DVA 1976. 714 S., Ln., 48 DM.
Altmann, Walter: Ohne das Lachen zu verlernen. Roman. Berlin: Fr. Nolte Vlg. 1977. 242 S. m. Abb.,
Ln.,27DM.
Bergaust, Erik: Wernher von Braun. Ein unglaubliches Leben. Düsseldorf: Econ 1976. 640 S. u.
16 S. Abb., Ln., 38 DM.
Brandenburg, Dietrich: Berlins alte Krankenhäuser. Berlin: Haude u. Spener 1974. 107 S. m. Abb.,
brosch. 14,80 DM. (Berlinische Reminiszenzen, 39.)
Braune, Rudolf: Das Mädchen an der Orga Privat. München: Damnitz 1975. 160 S., brosch.,
6,80 DM. (Reihe: Kleine Arbeiterbibliothek)
Das Vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung. Dokumente 1971 —1977. Berlin
(Ost): Staatsverlag der DDR 1977. 336. S., Pappbd., 9,20 M.
Dada Berlin. Texte, Manifeste, Aktionen. In Zusammenarbeit m. Hanne Bergius, hrsg. v. Karl Riha.
Stuttgart: Reclam 1977. 184 S., brosch., 3,20 DM. (RUB9857)
Edel, Peter: Die Bilder des Zeugen Schattmann. Frankfurt/M.: Röderberg 1973. 560 S., Ln.,
11,80 DM.
Eisenkolb, Gerhard: Die vierzehn Stunden des Peter David. München/Wien: Molden 1973. 447 S.,
Ln.,26DM.
Erläuterungen und Dokumente zu Carl Zuckermayer: Der Hauptmann vonKöpenick.Hrsg.v.Hartmuz
Scheible. Stuttgart: Reclam 1977. 180S., brosch., 3,20 DM (RUB 8138)
Fagyas, Maria: Die Zwillingsschwestern. Roman einer preußischen Affäre. (A. d. Amerikan. v. Irene
Ohlendorf) Reinbek: Rowohlt 1977. 359 S„ Ln., 29,80 DM.
Fassbinder, Horant: Berliner Arbeiterviertel. Berlin: VSA-Vlg. 1977. 202 S. m. Abb., 16,80 DM.
Fontane, Theodor: Werke, Teil I Bd. 6. Balladen, Lieder, Sprüche, Frühe Gedichte, Fragmente.
Hrsg. v. Walter Keitel u. Helmuth Nürnberger. München: Hanser 1978. 1298 S., Ln., 92 DM.
Friedenthal, Richard: . . . und unversehens ist es Abend. Von und über R. F. Essays, Gedichte,
Fragmente, Würdigung, Autobiographisches. Hrsg. v. Klaus Piper. München: Piper o.J. 304 S.,
Ln., 28 DM.
Fürst, Max: Scheherezade. München: Hanser 1976. 448 S., Ln.
Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnis und Konfessionspolitik der brandenburgischen Herrscher bis
zur Preußischen Union 1540-1815. Bielefeld: Luther 1977. 260 S., brosch., 40 DM. (Reihe:
Unio und Confessio, Bd. 6)
Goeser, Johannes P.: Die Geschwister Michelsohn aus der Flamingostraße. Bremen: Jacobi 1975.
484 S., Ln., 28 DM.
Hegemann, Werner: 1930 - Das steinerne Berlin. Geschichte der größten Mietskasernenstadt der
Weit. Braunschweig: Vieweg u. Sohn 1976 (2. unveränd. Aufl.). 344 S. m. 85 Abb. u. 22 Karten,
brosch., 26 DM. (Bauwelt - Fundamente, Bd. 3)
lngwersen, Erhard: lmma uff Draht. Köpfe und Käuze an der Spree. Berlin: arani 1977. 144 S. m.
32 Abb., lam. Pappbd., 16,80DM.
Klabund: Die Hafenjule. Gedichte, Lieder und Chansons. Reinbek: Rowohlt 1976. 100 S., Ln.,
9,80 DM.
Kleine Bettlektüre für kesse Berliner. Ausgew. v. Katharina Steiner. Bern/München: Scherz 1974.
160S.,Ln.,9,80DM.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Sozialer Roman. Nachw. v. Götz Müller. Stuttgart: Reclam 1976.
309 S., brosch., 6,40 DM. (RUB 9829)
Lavater-Sloman, Mary: Der vergessene Prinz. August Wilhelm, Prinz von Preußen, Bruder Friedrichs
des Großen. München: Artemis 1973. 416 S., Ln.. 28,60 DM.
Moosdorf, Johanna: Die Freundinnen. Roman. München. Nymphenburger 1977, 297 S., Ln., 26 DM.
Mühr, Alfred: Deutschland, deine Söhne. München: Langen-Müller/Herbig 1977. 376 S„ Ln., 28 DM.
Mutter Krausens Fahrt ins Glück. Reihe Dialog, hrsg. v. Rudolph Freund u. Michael Hanisch. Berlin
(Ost): Henschel 1976. 192 S., m. Abb., brosch., 6 M.
53
Nabokov, Vladimir: Die Mutprobe. (Deutsch v. Susanne Rademacher). Reinbek: Rowohlt 1977.
256S..I n .26 DM.
ders.: Maschenka. Roman. (A. d. Amerikan. v. Klaus Birkenhauer). Reinbek: Rowohlt 1976. 160 S.,
Ln., 16,80 DM.
Noack, Barbara: Das kommt davon, wenn man verreist. Roman. München: Langen-Müller/Herbig
1977.288S.,Ln.,22DM.
Palmer, Alan: Bismarck. Eine Biographie. (A. d. Engl. v. Ada Landfermann u. Cornelia Wild)
Düsseldorf: Ciaassen 1976.456 S. m. 19 Abb., Ln. 38 DM.
Rathcnau. Walther. Band II: Hauptwerke und Gespräche. Hrsg. v. Dieter Hellige u. Ernst Schulin.
Heidelberg: Lambert Schneider 1977. 980 S., Ln.. 138 DM.
Rehn, Jens: Morgen Rot - Die Kehrseite des Affen. Roman. Stuttgart: DVA 1976. 168 S., Ln.,
19,80 DM.
Schünemann, Peter: Gottfried Benn. München: C. H. Beck 1977. 157 S., brosch., 8 DM. (Autorenbücher, Bd. 6)
Soschka. Cyrill: Wer dann die Sonne noch sieht. Jahre einer Jugend - Fast ein Roman. München:
Thiemig 1974. 304 S., Ln., 28 DM.
Taack, Merete v.: Königin Luise. Eine Biographie. Tübingen: Wunderlich 1977. 496 S. m. 19 Abb.,
Ahnentafel u. Karte, Ln., 34 DM.
Turnier, Franz: Pia Faller. München: Piper 1973. 183 S., Ln., 20 DM.
Vocke, Dr. Roland: Friedrich der Große - Person, Zeit, Nachwelt. (Reihe: Geschichte in Lebensbildern) Hrsg. v. Dr. Heinrich Pleticha. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon-Verlag 1977. 400 S.
m. 40 Abb., Ln., 36 DM.
Wawrzyn, L./Kramer. D.: Wohnen darf nicht länger Ware sein. Neuwied: Luchterhand 1974. 236 S.
m. Abb., brosch., 10,80 DM. (Slg. L., Bd. 164)
Westheim, Paul: Heil Kadlatz! München: Rogner u. Bernhard 1977. 252 S., Ln., 24,80DM.
Von den früheren Ausgaben des Jahrbuchs
DER BÄR VON BERLIN
sind noch folgende Bände erhältlich:
1953, 1957/58 und 1960 je 4,80 D M ; 1 9 6 1 , 1 9 6 2 , 1963 und 1964
je 5,80 D M ; 1965 (Festschrift) 38 D M ; 1 9 6 6 , 1 9 6 7 , 1 9 6 8 und 1969
j e 9 , 8 0 D M ; 1971 und 1972 je 11,80 D M ; 1 9 7 3 , 1 9 7 4 und 1975
j e 12,80 D M ; 1976 und 1977 je 18,50 D M ; 1978 = 22,80 D M .
Bestellungen nur an die Geschäftsstelle des Vereins.
Im I.Vierteljahr 1979
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Henryk Bajor, Dipl.-lng.
Argentinische Allee 5, 1000 Berlin 37
Tel. 8 02 82 99
(Katzur)
Klaus Benecke, Industriekaufmann
Hartmannsweilerweg 52, 1000 Berlin 37
Tel. 8 13 33 23
(Benecke)
Sophie-Charlotte Berggreen
Wiesbadener Straße 73 a, 1000 Berlin 33
Tel. 8 2143 68
(Anneliese Schaper)
54
Horst Bode, Fleischermeister
Wielandstraße 5 A, 1000 Berlin 12
Tel. 3 12 92 35
(J. Methlow)
Thomas Cordel, Student cand. med.
Rudolf- Virchow-Straße 9,4530 Ibbenbüren
Tel. (0 54 51)25 93
(Bartels)
Waltraut Fischer, Bibliothekssachbearb. i. R.
Buggestraße 10a, 1000 Berlin 41
Tel. 8 24 18 20
(Schriftführer)
Erika Haberland, Buchhändlerin
Forstweg 26,1000 Berlin 28
Tel. 4 Ol 53 90
(E. Alberts)
Brigitte Hellmuth, Innenarchitektin
Devrientweg 35, 1000 Berlin 45
Tel. 7 7163 89
(Brauer)
Christel Holtz, Pensionärin
Eisenzahnstraße 61,1000 Berlin 31
Tel. 8 92 93 93
(Schriftführer)
Klaus von Krosigk, Dipl.-Ing.
Fontanestraße 21, 1000 Berlin 33
(Schriftführer)
Fritz Kuschke, Lehrer
Calvinstraße 13 a, 1000 Berlin 21
Tel. 3 91 48 54
(Schriftführer)
Hubert Malouschek, Student
Peschkestraße 8, 1000 Berlin 41
Tel. 8 51 65 29
(Alice Hamecher)
Arthur Manke, Architekt BDB
Jänickestraße 43, 1000 Berlin 37
Tel. 8 17 34 69
(Irmgard Zeye)
Hans Mielke, Sozialarbeiter
Stallschreiberstraße 45,1000 Berlin61
Tel. 6 14 58 86
(Edith Mielke)
Edith Mielke, Beschäftigungstherapeutin
Stallschreiberstraße 45,1000 Berlin 61
Tel. 6 14 58 86
(Schriftführer)
Hildegard Neumann, Rentnerin
Blankeneser Weg 1A, 1000 Berlin 20
(Schriftführer)
Christel Nickling, Hausfrau
Zwickauer Damm 27,1000 Berlin 47
Tel. 6 61 49 50
(Schriftführer)
Elke Reimann, med.-techn. Assistentin
Barbarossastraße 41, 1000 Berlin 30
Tel. 2 11 11 76
(Alice Hamecher)
Liselotte Scholz, Rentnerin
Am Schweizerhof 5 A, 1000 Berlin 37
Tel. 8 1133 47
(Schlenk)
Gudrun Striebeck, Lehrerin
Halker Zeile 101,1000 Berlin 49
Tel. 7 42 21 54
(Schriftführer)
Walther Wiese, Rentner
Heiligenseestraße 9,1000 Berlin 27
Tel. 4 3164 98
(Brauer)
Dieter Woskowiak, Justizbeamter
Wielandstraße 24,1000 Berlin 41
Tel. 8 52 25 80
(Schriftführer)
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich an die Geschäftsstelle des Vereins:
Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu senden.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten.
*
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge
67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis
unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
Tagesordnung der ordentlichen Mitgliederversammlung
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts
Berichte der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer
Aussprache
Entlastung des Vorstandes
Wahl des Vorstandes
Wahl von je zwei Kassenprüfern und Bibliotheksprüfern
Festsetzung des Mitgliedsbeitrags
Verschiedenes
Anträge aus den Kreisen der Mitglieder sind bis spätestens 14. April 1979 der Geschäftsstelle einzureichen.
Um sehr pünktliches Erscheinen wird gebeten.
55
Veranstaltungen im II. Quartal 1979
1. Dienstag, den 24. April 1979, 19.30 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung. Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg.
Die ausführliche Tagesordnung ist auf Seite 55 abgedruckt.
2. Freitag, den 4. Mai 1979, 16 Uhr: Besichtigung der Ausstellung „Berlin und die Antike"
in der Orangerie des Schlusses Charlottenburg. Führung: Herr Dr. Wolfram Hocpfner.
3. Dienstag, den 15. Mai 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Dr. Friedrich Weichert „Die
Anfange der sozialen Fürsorge in Berlin". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg.
4. Sonnabend, den 26. Mai 1979, 10 Uhr: Führung durch den Humboldthain unter der
Leitung von Herrn Gerhard Croon. Treffpunkt: S-Bahnhof Humboldthain. Fahrverbindungen: Busse 61 und 64, U-Bahn bis Gesundbrunnen.
5. Donnerstag, den 7. .luni 1979. 16 Uhr: Führung durch den Park und das Schloß Bellevue
unter der Leitung von Herrn Günter Wollschlaeger. Treffpunkt: Am Hauptportal.
Fahrverbindungen: Busse 16 und 24, U-Bahn bis Hansaplatz. S-Bahn bis Bahnhof
Bellevue.
6. Sonntag, den 10. Juni 1979. 10 Uhr: Gemeinsame Wanderung mit den Mitgliedern des
Bundes für Naturschutz durch den Tegeler Forst entlang der für den Autobahnbau vorgesehenen Trasse. Treffpunkt: Gaststätte „Alter Fritz", Karolinenstraße. Fahrverbindungen: Busse 13, 14, 15 und 20.
7. Mittwoch, den 27. Juni 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Horst Behrend „Eosander
von Goethe". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg.
Zu den Vortragen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek
ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Freitag, den 27. April, den 25. Mai und 29. Juni 1979. ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in
der Vercinsbibliothek im Rathaus Charlottcnburg.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch. Landesarchiv. 1000 Berlin 30. Kalckreuthstraße 1—2 (Ecke
Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Sehultze-Berndt. 1000 Berlin 65. Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister:
Ruth Koepkc. 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89. Ruf 6 93 67 91. Postseheckkonto des Vereins:
Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank,
1000 Berlin 19. Kaiserdamm 95.
Bibliothek: 1000 Berlin 10. Otto-Suhr-Allcc 96 (Rathaus). Telefon 34 10 01. App. 2 34. Geöffnet:
freitags 16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader. 1000 Berlin 41. Bismarckstraßc 12; Felix Escher, Wolfgang
Neugcbauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
56
Fachabt. der Berliner Stadtbibliothek
A 1015 F X
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
75. Jahrgang
Werner
Siemens
1879
Heft 3
Juli 1979
Erste elektrische Eisenbahn
Berliner Gewerbeausstellung
TWl
38604
Erste elektrische Eisenbahn der Welt auf der Berliner Gewerbeausstellung 1879.
I
57
/
JBerlin - Ursprung des elektrischen Bahnbetriebes
Von Kurt Pierson
Im vergangenen Vierteljahr hat es zwei Tage gegeben, die wert waren, ihrer zu gedenken:
die Wiederkehr des 175. Geburtstages von August Borsig und der Tag, an dem vor hundert
Jahren Werner Siemens der Öffentlichkeit die erste elektrische Lokomotive der Welt
präsentierte. Beide Männer haben in der modernen Verkehrsgeschichte weltweite Akzente
gesetzt; die elektrische Lokomotive freilich hatte schließlich die Dampflokomotive in
unserer Zeit überflügelt und beherrscht heute das Bild des Schienenverkehrs.
Man schreibt das Jahr 1879. Im neuen Landesausstellungspark am Lehrter Bahnhof ist die
Berliner Gewerbeausstellung eröffnet. Das breite Spektrum des Maschinenbaues zeigt
die neuesten Erzeugnisse. Für das große Publikum gab es eine besondere Attraktion: eine
Ausstellungsbahn, die ohne Qualm und Dampf ihre Runden auf dem Gelände dreht. Am
9. Juni hält Werner Siemens von der Firma Siemens & Halske im „Verein zur Beförderung
des Gewerbefleißes" seinen Aufsehen erregenden Vortrag über diese Bahn, in dem er
u. a. ausführte:
„Die erste Veranlassung zu dieser Eisenbahn gab eine Anfrage des Baumeisters Westphal aus Cottbus über die Möglichkeit, die Kraft der verbrannten Kohle nach Berlin zu
transportieren. Der Betreffende hatte nämlich eine Bemerkung meines Bruders Wilhelm
in London über die Möglichkeit des Transportes von Kraft des Niagarafalles gelesen
und wollte dies hier in die Praxis übertragen. Ging dies auch nicht an, so sind wir doch der
Sache näher getreten, um zu sehen, wie weit sich die elektrische Krafttransmission zum
Transportieren auf Schienenbahnen benutzen lasse. Der Versuch, den wir hier machten, ist recht gut ausgefallen. Die Einrichtung, wie sie Ihnen in der Ausstellung entgegentritt, ist folgende: Es ist eine kleine, schmalspurige Bahn, bei der die Schienen in einer
Ellipse angelegt sind. In der Mitte des Gleises befindet sich eine dritte Schiene, ein aufrecht stehendes Flacheisen. Die Lokomotive bestreicht diese vermittels zweier Rollen.
Eine dynamo-elektrische Maschine steht in der Maschinenhalle und eine gleiche bildet
die Lokomotive. Die Maschine in der Kraftwerkshalle wird durch eine Dampfmaschine
gedreht. Einer ihrer Pole steht in Verbindung mit der inneren Stromschiene, während
der andere Pol mit den äußeren Schienen verbunden ist. Infolgedessen entsteht eine elektrische Differenz zwischen der mittleren und den äußeren Schienen und die dynamo-elektrische Maschine der Lokomotive, die jetzt als elektro-magnetisch arbeitende Maschine
auftritt, leitet durch ihre Umwicklungsdrähte den elektrischen Strom über die Räder von
der inneren zu den äußeren Schienen und die Lokomotive setzt ihren Lauf so lange fort,
bis der Strom unterbrochen wird. Die Kraftübertragung und damit die Geschwindigkeit
lassen sich innerhalb weiter Grenzen steigern. Die ganze Sache ist aber noch zu neu,
um schon jetzt bestimmte Angaben über die Grenzen des praktisch Erreichbaren machen
zu können. Ich meine aber, es wird schon jetzt viele Fälle geben, wo elektrische Kraftübertragung sowie auch elektrische Lokomotiven praktisch mit Vorteil verwendbar sind. Die
Maschine der Ausstellung ist ursprünglich nicht dazu gemacht, um die drei eleganten
kleinen Personenwagen mit 18 bis 24 Personen in ein bis zwei Minuten über die 300 Meter
lange Bahn zu befördern, sondern um aus dem Kohlestollen des Herrn Westphal Kohlen
zutage zu fördern." Soweit die Ausführungen von Werner Siemens.
58
Abb. 1: Erste elektrische Straßenbahn mit Oberleitung zwischen Charlottenburg und Spandauer
Bock, 1882.
Den Ausstellungsbesuchern bedeutete die kleine Bahn nicht viel mehr als ein Amüsement,
und es fiel keinem von ihnen auf, daß hier die epochale Erfindung der ersten elektrischen
Lokomotive der Welt ihre praktische Verwirklichung täglich von neuem unter Beweis
stellte. (Siehe Titelbild.)
Siemens selbst hatte ihre ungeheure Zukunft ebenfalls noch nicht erkannt - stand doch zu
jener Zeit der Dampflokomotivbau im Begriff, mit Hilfe des sog. überhitzten Dampfes
einen neuen Höhepunkt seiner Entwicklung zu erreichen. Und so fand die elektrisch
betriebene Lokomotive zunächst ihre Anwendung beim Bau von Grubenlokomotiven,
womit übrigens auch die AEG einige Jahre später ihren Lokomotivbau begann. Das Gebiet, auf dem sich die neue Verkehrstechnik in der Öffentlichkeit selbst durchsetzen sollte,
war das der Straßenbahnen. Bis 1879 kannte man im wesentlichen nur Pferdebahnen, teils
als Einspänner, teils als größere Zweispänner, teilweise mit offenem Oberdeck. Viele
Jahre genügten diese Verkehrsmittel, doch bei wachsendem Verkehr war ihre Grenze
eines Tages erreicht, und man wandte sich dem neu aufgekommenen Dampfwagen zu,
der im Stadtverkehr bereits eine bessere, wenn auch aufwendigere Transportart darstellte.
Der Verbrennungsmotor steckte noch „in den Kinderschuhen" und kam daher für öffentliche Verkehrsmittel noch nicht in Betracht.
Unter diesen Umständen kam der elektrische Antrieb wie gerufen. Der Elektromotor
brauchte während der Fahrt keinerlei Wartung und Bedienung, und seine Zugkraft regelte
sich von selbst so, wie es der Bahnbetrieb erforderte: hohe Anzugskraft beim Anfahren,
59
Abb. 2: Siemens-Schnelltriebwagen auf der Versuchsstrecke der Militär-Eisenbahn, 1902 bis 1903.
allmählich nachlassend mit steigender Geschwindigkeit des Fahrzeuges. Das einzige
Problem war die Stromzuführung, zumal die städtischen Behörden vielfach Oberleitungen aus mannigfachen Gründen ablehnten.
Als Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts der Bauunternehmer Carstenn
bei der Erschließung der Lichterfelder Fluren auch die Kadettenanstalt baute, wurde hierfür
vom Bahnhof „Groß-Lichterfelde" an der Berlin-Anhaltischen Eisenbahn ein etwa 2,5 km
langes Anschlußgleis gelegt, dessen Schienen später wieder entfernt wurden. Auf dem
verbliebenen Bahnkörper legte Siemens 1880—1882 die erste, 3,9 km lange elektrische
Straßenbahn des öffentlichen Verkehrs in der Welt an. Die Hinleitung des Stroms erfolgte durch die eine, die Rückleitung durch die andere Schiene bei einer Spannung
von nur 165 Volt. Diese Anordnung ergab jedoch beträchtliche Verluste durch Erdströme.
Trotzdem wird so manchem älteren Berliner noch der Straßenbahnbetrieb auf dem Platz
vor dem Brandenburger Tor in Erinnerung sein, wo zur Kaiserzeit keine Oberleitung für
die Straßenbahnlinie 23 angelegt sein durfte. Siemens ging schon ein paar Jahre später zur
Oberleitung über, und zwar bestand diese anfangs aus zwei dicht nebeneinander liegenden Fahrdrähten, auf denen ein kleiner Kontaktwagen rollte (Abb. 1), wie z.B.
bei der Berlin-Charlottenburger Straßenbahn auf der Strecke zum Spandauer Bock.
Später wurde in Berlin ganz allgemein die Eindraht-Fahrleitung mit dem beliebt-berüchtig60
Abb. 3: Siemens-Versuchslokomotive ohne Transformatoren für 10 000 Volt Fahrdrahtspannung.
ten Rollen-Stromabnehmer eingeführt, der so manches Mal zum Ärger des Schaffners an
den Abzweigstellen heraussprang.
Im Gegensatz zum Dampflokomotivbau, der noch lange den Schienenverkehr auf Eisenbahnen beherrschte und ein Jahrhundert benötigte, um das Traumziel der Fahrgeschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde zu erreichen, übertraf das elektrisch angetriebene
Schienenfahrzeug diese Marke bereits nach fünfundzwanzig Jahren, seit dem Tag, da
die erste elektrische Lokomotive mit einer Stundengeschwindigkeit von etwa 10 km auf
der Ausstellungsbahn ihre Kreise gezogen hatte. In den Jahren 1902 und 1903 fanden
jene weltberühmten Schnellfahrversuche statt, an denen sowohl Siemens als auch die
AEG mit je einem Triebwagen beteiligt waren, die in der Endphase eine Geschwindigkeit
von über 200 Kilometern auf einer Versuchsstrecke der preußischen Militär-Eisenbahn
zwischen Marienfelde und Zossen ausfuhren (Abb. 2). Im gleichen Versuchsprogramm
probierte Siemens eine Lokomotive aus, bei der unter Fortlassung der Transformatoren
eine Fahrdrahtspannung von 10 000 Volt Drehstrom unmittelbar auf die Fahrmotoren
wirkte, während die bekannten beiden Schnelltriebwagen von Siemens bzw. AEG noch
mit Transformatoren ausgerüstet waren (Abb. 3). Auch bei dieser Maschine
waren die Stromabnehmer mit seitlicher Abnahme nach einer hierfür besonderen Konstruktion ausgeführt worden.
Die Verwendung von auf der Lokomotive untergebrachten Transformatoren war zunächst
allgemein üblich. Der Großlokomotivbau der drei Berliner Elektrokonzerne - Siemens,
AEG und Bergmann - weitete sich allmählich aus. Zunächst lehnten sich die einzelnen
Lokomotivbauarten mit ihrem Stangenantrieb noch dem Dampflokomotivbau an; der
61
Abb. 4: l'Cl'-elektrische Schnellzuglokomotive aus dem Jahre 1913 mit einem Motor und Stangenantrieb.
Aufbau des elektrischen Teils jedoch wurde zunächst weitgehend von der Motorleistung
bestimmt. So sind dem Autor die ersten elektrischen fünfachsigen Schnellzuglokomotiven
mit drei gekuppelten Achsen der Königl.-Preußischen Staatsbahnen unvergeßlich, wie sie
im letzten Quartal 1913 im Ausbesserungswerk Tempelhof zur Abnahme durch die Eisenbahndirektion Halle aufgestellt waren und als auffallendstes Merkmal einen riesigen unverkleideten Elektromotor aufwiesen (Abb. 4).
Bald aber nahmen diese Lokomotiven eine äußere Gestalt an, die bereits der heutigen
nahe kam, wenn auch ihre Entwicklungsstufen noch vielfältiger Natur waren. Insbesondere
die preußischen und bayerischen Staatsbahnen übten einen großen Einfluß auf die Entwicklung aus. Der Stangenantrieb wurde noch bis Ende der zwanziger Jahre ausgeführt; daneben freilich nahm der Einzelachsantrieb einen immer breiteren Raum ein. In dieser
Zeit bestand eine ständige Verbindung zwischen Siemens und den klassischen Lokomotivfabriken, wie Borsig, die den Fahrzeugteil bauten, während die AEG in Hennigsdorf,
Bergmann in Wilhelmsruh und Maffei-Schwartzkopff in Wildau eigene Montagewerkstätten besaßen, in denen die Installation der elektrischen Ausrüstung erfolgte.
Aus der einstigen Liliputlokomotive auf der Gewerbeausstellung 1879 haben sich jene
Großlokomotiven entwickelt, die heute - nach hundert Jahren - unserer Zeit das Gepräge
geben. Von dem ersten 3-PS-Lokomotivmotor für 110 V Gleichstrom bis zur sechsachsigen
6750-PS-Schwerstlokomotive mit Silicium-Gleichrichtern für die Oststrecken der Transsibirischen Eisenbahn der UdSSR war ein weiter, aber erfolgreicher Weg. Heute werden
mit solchen Maschinen Güterzüge mit einem Gewicht von 5000 t befördert. Auch für
diese Lokomotiven lieferte Siemens in Erlangen die elektrische Ausrüstung, während der
fahrzeugtechnische Teil bei Krupp in Essen entstand.
62
Die Entwicklung der Schnellzuglokomotive unserer Tage bis zu einer Spitzengeschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde vollzog sich in Richtung der Leichtbauweise und
damit zur Senkung der Herstellungskosten und Schonung des Schienengleises. Nun ist
die Eisenbahntechnik allerdings an die Trassierung des historisch gewachsenen Eisenbahnnetzes und die heutige dichte Belegung der Strecken mit langsamen und schnellfahrenden
Zügen gebunden. Aus diesem Grunde will die Deutsche Bundesbahn gewisse Teile des
vorhandenen Schienennetzes zu Schnellstrecken umbauen, wobei etwa zwei Drittel derselben mit Geschwindigkeiten von 200 km/h befahren werden. Die technische Verbesserung und Beschaffung des rollenden Materials, der Lokomotiven und Wagen, bedingt
auch für den Schnellverkehr einen Serienbau entsprechend leistungsfähiger Lokomotiven.
Diese sind für Einphasenwechselstrom von 15 000 Volt, 16 2 / 3 Hertz zur planmäßigen
Beförderung von Wagenzügen mit 300 t Anhängelast bei einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h bestimmt. Diese Anhängelast entspricht einem Zug aus sieben bis acht
vollbesetzten neuen D-Zug-Wagen. Die erreichbaren Fahrzeitgewinne betragen im
Mittel 25 v. H. der jetzigen F- und D-Zug-Fahrzeiten.
Wie sagte doch Werner Siemens in seinem historischen Vortrag am 9. Juni 1879:
„Die ganze Sache ist aber noch zu neu, um schon jetzt bestimmte Angaben über die
Grenzen des praktisch Erreichbaren machen zu können." Der Erfinder von damals,
würde er die heute weltweite Elektrifizierung des Schienenverkehrs sehen, er würde lediglich in seiner sachlichen Betrachtungsweise feststellen, daß sein Prinzip an sich keine grundlegende Veränderung erfahren hat und nur die Größenordnung eine andere geworden ist.
Das Quellen- und Bildmaterial stammt aus dem Institut für die Geschichte des Hauses Siemens
in München sowie aus den Erinnerungen von Erich Metzeltin: Von Lichterfelde zur AEG, in:
Der Bär von Berlin, Bd. 9,1960.
Anschrift des Verfassers: Meierottostraße 4, 1000 Berlin 15
Berliner Altertums-Forscher und -Freunde
Ihre Gräber und Grabdenkmale
Von Hans B. Jessen
Überblickt man in Berlin die Gräber derer, die hier - ob ein Leben lang, ob Jahrzehnte
oder nur Jahre - forschend, lehrend, sammelnd, aber auch bildnerisch und schriftstellerisch
sich mit der Antike auseinandergesetzt haben, ihr Tun von den Alten berühren, lenken
oder gar, zu welchem Teile immer, erfüllen ließen, leidet es keinen Zweifel, daß eine
Stätte die vornehmste ist, die Wilhelm von Humboldts zu Tegel, des Staatsmannes, KunstDeuters und Sprachforschers, als Deutsch-Römer Vorvater des Archäologischen Instituts,
eines seiner ersten Ehrenmitglieder. Und das nicht allein des Mannes und seines Werkes
als des „vielleicht eigentümlichsten" Platzes wegen, inmitten der Grablege „einer Familie,
die, wie kaum eine zweite, diesen Sand zu Ruhm und Ansehen gebracht hat". Jenseits der
63
großen Parkwiese gelegen, hart am Rande des Waldes, von dessen lichteren Bäumen einst
durch dunkle Tannen „wandartig" abgesetzt, noch in Sichtweite des Palazetto - denn das
sollte er nach Wunsch und Willen seiner Gestalter vorzüglich sein - , umfangen von Schinkels pompejanischer Bank, von Thorvaldsens strenger gräzisierender Hoffnung überschwebt. Das alles hat der Wanderer Fontane, ahnungsbewegt wie selten, angeschaut,
mit schier zauberischer Hand aufgezeichnet - eigenartig ähnlichen Sinnes im selben
Jahrzehnt Treitschke, der im Juli 1866 dort draußen war, an dieser „Stätte sonniger heidnischer Heiterkeit" - Hellas und Rom mitten im Märkischen.
Schließen wir einige gewiß kaum unwürdig folgende Männer aus jenem Kreise an, dem
„es in den Fingerspitzen wieder bildend" ward, die nicht ohne Glück und allgemeinere
Gunst bewiesen, daß man auch ultima Thule antiken Künsten, wenn nicht gleich, doch
in Ehren gerecht zu werden vermochte. Sämtlich liegen sie, die zumeist auch in den Mitgliederlisten des Instituts geführt, auf dem Friedhofe der Dorotheenstädtischen und
Friedrich-Werderschen Gemeinden, mitten im alten Berlin also, wo auch Gelehrte wie
Boeckh, Buttmann, Solger, Wilken, Joh. Schulze und Bunsens wissensreicher römischer
Gesandtschaftsprediger, später Lepsius' Expeditionsgefährte (und auch Bismarcks vielgelobter Adlatus), Heinrich Abeken, begraben wurden. Prächtige Steine und Bilder aus
Marmor, Granit und Erz zieren manchen der Plätze. Gitterwerk schirmt sie nicht bloß, teilt
auch einen ausgesprochenen Würde-Charakter mit, steigert, wie bei den Königs- und Feldherren-Denkmälern der Stadt, im Betrachter Ehrfurcht und Ehrerbietung. Schinkel, dem
Schöpfer der Neuen Wache, des Schauspielhauses, der Bau-Akademie, des Alten Museums
— nach Herman Grimm „Reproduktion griechischer Baukunst im höchsten Sinne" — gesellt
sich Schadow, der Bildhauer. Er neben jenem d e r bildnerische Genius Preußens, ohne
alle Schablone wieder .griechisch', wesenhaft antik werdend, Natur und Geist zu reiner
Form fassend. Bis auf den Grund ist er Plastiker, „gleichsam unmittelbar mit der Materie"
verbunden, „in welcher er zu arbeiten hat", was nach Goethe „einer der großen Vorzüge
der alten Kunst" — und sichtlich auch der Schadows — war. Wenig entfernt, sein zeitgenössischert)berschatter,ChristianDanielRauch,Paradebeispiel desHofkünstlers(- welche ara
pacis hätte der erst dem Augustus geschaffen), mit elegant geschmeidigem Geschmack
und einer jede Klippe meisternden Technik sich der Großen seines stolzen Staates
bemächtigend, der Leuchten der Friedrich-Zeit, der Freiheitskriege. Aber auch sanfteren
Genien ist er zugetan, Victorien, Nymphen, Hören, sie im schönen Scheine über das Leben
setzend.
Von der Schülergeneration - auch diese dem Institut und den Archäologen Berlins häufig
verbunden, immer noch, wie zu Beginn des Jahrhunderts, eine „ungebrochene Einheit
von Kunstwissenschaft und Kunst" bezeugend - seien auf demselben Friedhofe nur die
Stüler und Strack (Persius liegt in Potsdam, auf dem Bornstedter Friedhofe), die Hitzig,
Blaeser, Dankberg und Schievelbein genannt, meist um 1800 oder nicht lange danach
geboren. Wie wechselnd in der Regelstrenge, erscheinen ihre Werke geeint durch die Herkunft von den Schinkel, Schadow und Rauch, einen im Grundsätzlichen kaum abirrenden
antikischen Kanon, den das neue, zarter zeichnende, malerisch sentimentalisierende
Biedermeier höchstens zu dämpfen, zu modifizieren, nie aber ganz zu löschen vermag.
Wilhelm Stier, auch Schinkels Schüler noch, der Verfasser der anmutig von mittelmeerischen Reisen und Künstlern erzählenden „Hesperischen Blätter", Mitarbeiter
Bunsens bei dessen vielbändiger Rom-Beschreibung, soll nicht ausgelassen werden, besonders seines stattlichen Grabmals halber. Von der Hand Stülers, steht es auf dem Schöne-
64
Grabmal von Wilhelm Stier
Friedhof an der Schöneberger Dorfkirche
Grab von Richard Scheibe
Friedhof an der
Schmargendorfer Dorfkirche
berger Dorffriedhof, ist dem fast gleichzeitigen, in manchem konziser durchgearbeiteten,
gleichfalls klassizistischen Borsig-Naiskos von Strack auf dem Dorotheenstädtischen verwandt. Zehn Jahre später, 1867, gab Stüler dieser Grabmal-Idee, für die Familie Ravene,
eine romanische Fassung.
Und weiterzu in den Jahren - den modernistisch paraphrasierenden, vom Jugendstil zart
unterströmten, immer aber noch prachtvoll imperialen Klassizismus der wilhelminischen
Aera bezeugt Messeis Grabdenkmal, eines Schülers von Strack und Boetticher, Erbauers
des Pergamon-Museums, auch glücklichen Umgestalte« im Palazzo Caffarelli zu Rom,
dem deutschen Missionssitz und Gründungsort des Instituts. Eugen Schmohl hat es 1914
auf dem Schöneberger Matthäifriedhof errichtet. Wenig zuvor hatte Messeis Kollege,
Peter Behrens, den heutigen Institutssitz in Dahlem erbaut, damals das Haus Wiegands,
wobei er sich als gedankenscharfer, auch in der Architektur-Theorie schöpferisch exzellierender Forttreiber des „Preußischen Stils" antiker Genesis erwies. Er wurde in den
Urnenhallen des Wilmersdorfer Krematoriums beigesetzt.
65
Grab von Theodor und
Marie Wiegand
Waldfriedhof in Dahlem
Grab von Heinrich Brugsch
Luisenstädtischer Friedhof,
Fürstcnbrunner Weg
Der stillere, minder ostensible Kreis jener, die nicht aus höherer, weithin sichtbarer
Schöpferlust, sondern schlichtweg von Amts wegen mit der Antike, den Klassischen Wissenschaften, sich befaßt, muß füglich mit Eduard Gerhard eröffnet werden. 1829 in Rom
segretario fondatore des Instituts, das die Römer, nicht zuletzt dieses Mannes wegen,
instituto prussiano zu nennen liebten, dann, seit 1832, mehr als ein Menschenalter
bedachtsam dessen Geschicke von Berlin aus umsorgend. Früh der Notwendigkeiten einer
lebendigen traditio inne geworden, wußte er auch an der Spree den größeren Kreis der
Humanisten jedweden Berufes und Herkommens „wohldurchdacht" zu pflegen. Die ersten
beiden Palilienfeste von 1833 und 1835 am 21. April, dem Geburtstage Roms wie des
Instituts, lehren es. Kaum ein Name des geistigen und musischen Berlin stand nicht auf der
Teilnehmerliste. So wurde vornehmlich durch ihn als des Instituts eigentlichen (wenn auch
nicht ranghöchsten - das ist Bunsen) Spiritus rector dieses, bei zwar bleibender römischer
Aktivität und Nativität, tiefverwurzelt eine Berliner Institution. Als solche ward und wird
es wohl weit über die engere Fachgenossenschaft angesehen, ja mit einem gewissen
Besitzerstolz betrachtet.
66
Grabmal von
Joh. Carl Wilhelm Moehsen
Friedhof am Halleschen Tor
Grabmal der Familie
Eduard Arnhold
Friedhof in Wannsee,
Lindenstraße
Einst zierte Gerhards Grab auf dem Matthäifriedhof eine „einfache Marmorstcle mit der
von Afinger ausgeführten wohlgelungenen Relieffigur", vermutlich von der Art des für
Goethes Sohn an der Cestius-Pyramide aufgeführten Mals, wenn auch gewiss bescheideneren Ausmaßes. Nach dem Tode von Frau Gerhard, ein Vierteljahrhundert später, 1892,
trat, nun für beide, das heute noch stehende, konventionellere Kreuzdenkmal aus poliertem, schwarzem Granit an die Stelle. Die „Relieffigur", eine Tondo-Büste, später im
Institut aufbewahrt, ist seit 1945 verschollen. Nahebei wurde, 1858 schon, Theodor
Panofka, Akademiemitglied und Professor, zur Ruhe gelegt, Gerhards Urfreund, auch
schlesischer Landsmann, Weggenosse aus den Tagen der römischen Hypcrboräer, jener
,Johannesse' des Instituts, zu denen noch Kestner, „Lottes" Sohn, und der baltische
Philhellene Stackeiberg gehören.
Auf diesem gedenkenreichen Gräberfeld des Geheimratsviertels um die biedermeierliche
Matthäikirche - nach Rang und Namen der hier Ruhenden wohl Gegenstück des
Dorotheenstädtischen in Stadtmitte - folgen in den 1870er Jahren Carl Friederichs, der
Entdecker der Tyrannenmörder-Gruppe, und, allzu jung, Friedrich Matz d.Ä., dem Otto
Jahn die Forführung des Corpus antiker Sarkophage, heute eine Monumentaledition des
67
Instituts, zugedacht hatte. Noch steht auf Matz' Grab die Stele, aus guter, allerdings
anonymer Berliner Bildhauerschule, die als solche hier die Rauch-Schüler Fr. Drake und
A. Kiss repräsentieren. Daß gerade in antikenverbundenen Kreisen das Thema der
sepulkralen Stele immer wieder .durchgespielt' wird, man kann sagen, mehr als ein Jahrhundert, wenn man von Schinkels bis Wiegands Grab in Dahlem blickt, lehrte jüngst noch,
in zeitsymptomatisch herber Reduktion, Richard Scheibes Grabstein, mit des Angelus
Silesius (nicht ganz korrekt zitiertem) Sinnreim, auf dem Schmargendorfer Kirchhof - er
der letzte der Berliner Bildhauer, denen die Alten, wenn auch kaum mehr unabdingbares Vorbild, so stets stillerer, verläßlich klärender Wegweis waren. 1896 wurden auf das
Matthäifeld überführt Ernst Curtius, der begeistert-begeisternde ErÖffner der deutschen
Grabung in Olympia und glückhafte Berliner Museumsmann und Professor, 1914 — im
wilhelminisch prunkvollen Familiengrab aufgenommen - Fritz Toebelmann, eine vom
Kriege gebrochene Hoffnung der damals ins Große drängenden antiken Bauforschung.
Auf dem Friedhofe vor dem Halleschen Tore, nicht weit vom Matthäi-Feld, liegt Ernst
Heinrich Toelken, Heyneschüler, Stackeibergs, des Hyperboräers, römischer Reisegefährte, später an der Universität und am Antiquarium im 1830 eröffneten Museum am
Lustgarten tätig, ein Vorgänger also der genannten Friederichs und Curtius. Die lange
Enfilade der Gräberbezirke an der Bergmannstraße, fast an den Tempelhofer Flughafen
grenzend, weiß auch von manchem bedeutenden Namen, so dem des um erste Campagnen
in Olympia verdienten Architekten Friedrich Adler, Gründers der „Bauschule von Berlin"
(Friedrichs-Werderscher Friedhof). Auf dem anschließenden Dreifaltigkeits-Areal, im
Grabe August Kopischs, dessen Witwe er heiratete, ruht der Verfasser der „Tektonik der
Hellenen'", Carl Boetticher, aus der Schule Schinkels kommend, zuletzt Direktor der
Berliner Skulpturen-Sammlung. Eine mächtige Marmorstele - das Porträtmedaillon ist
längst entwendet - ziert die Stätte. Auch hier liegt Richard Borrmann, durch seine Mitarbeit an der Grabung in Olympia vor allem bekannt geworden. Zwischen Franz Bopp
wenige Schritte zur Rechten und Heines „Molly" zur Linken ruht, im Erbbegräbnis der
verwandten Verleger-Familie Reimer, Theodor Mommsen. Der Platz grünverwuchert,
ohne Daten und Denkmal wie ausdrücklich gewollt, nur ein schwarzes Namensschild an
der Umfriedung.
Der kleine Grabbezirk der Grunewalder Villenkolonie, hart am Geleise beim Bahnhof
Westkreuz, birgt Alexander Conze, den Pergamon-Ausgräber und selbstbewußten Leiter
des Instituts bis über die Jahrhundertwende, sowie Richard Schöne, von Haus aus
Archäologe, als Vorgänger W.v.Bodes den neuen Glanz der Museen heraufführend, und
Max Georg Zimmermann, Kunsthistoriker an der Technischen Hochschule, in seinen Arbeiten sich häufiger des Nachwirkens antiker Kunst in Berlin und der Mark annehmend.
Der Stadtregion nach nicht weit entfernt ist der Friedhof am Krematorium in Wilmersdorf.
Auf ihm liegen, wie der schon erwähnte P. Behrens, zwei Forscher, Zeitgenossen und
Kollegen an der Universität, die zu den eindringsamsten Erhellern antiken Glaubens gehören: der eine, Ludwig Deubner, mehr dem Paganen, der andere, Hans Lietzmann, ganz
dem frühen Christentum zugewandt. Ein anderes Gelehrtenpaar, Spezialisten früher und
frühester Epochen, trug man fast gleichzeitig, 1932 und 1933, hierher: Otto Hauser,
glücklich fundreicher Paläolithiker, und Hubert Schmidt, Erforscher des Schliemannschen
Troja und alter Kulturen Osteuropas, bedeutsam auch als Museumsmann und Erschließer
der „gewaltigen Schätze der Berliner Sammlung" aus frühgeschichtlicher Zeit.
Weiter vom Stadtzentrum entfernt, nahe dem Reichssportfeld, auf dem landschaftlich
§8
empfindungsvoll angelegten Friedhof an der Heerstraße trifft man Daniel Krencker, vornehmlich im östlichen Mittelmeerraum an nicht wenigen deutschen Großgrabungen
führend beteiligt, später, wie mancher seiner Fachkollegen, so Adler, Borrmann und
Andrae in Charlottenburg an der Technischen Hochschule den für diese Unternehmungen
so notwendigen Nachwuchs heranziehend. Der Direktor des weltberühmten Münzkabinetts
auf der Museumsinsel, Kurt Regling, weiteren Kreisen durch eine rege Publizistik bekannt,
noch von Wiegand mit einem sehr warmherzigen Gedenken bedacht, wurde 1935 auf dem
Alten Luisenfriedhof an der Königin-Elisabeth-Straße beerdigt. Auf dessen neuem Trakt
am nahen Fürstenbrunner Weg liegt seit 1894, mit imposantem granitenem Sarkophagdeckel aus Sakkara zu Häupten, Heinrich Brugsch, der Ägyptologe, dem schon als
Primaner des unermüdlich hilfsbereiten Alexander von Humboldts Sorge zuteil wurde,
und seit 1903 Ulrich Köhler, von 1875 über ein Jahrzehnt die Athener Zweiganstalt des
Instituts leitend, dann, 1886, Professor für Alte Geschichte in Berlin, der penibelsten
Epigraphiker einer.
Im Norden der Stadt, auf dem Dom-Friedhof an der Müllerstraße, findet man — die Grabwand hinter der sehr schlichten Stele geschmackvoll ägyptisierend — Brugsch' Antagonisten
Richard Lepsius, wie jener Forschung und fundreiche Erkundung im Nilland mit breiter
Hand betreibend. Schon die Häufung der Ämter - dazu ist Lepsius Stammvater einer
großen, ungewöhnlich tätigen Nachkommenschaft - deutet Weite und Gewicht seines sehr
persönlich regierten Wissenschafts-Imperiums an. Nur die wichtigsten: Präses des
Instituts, Direktor der Königlichen Bibliothek, Professor für Ägyptologie an der Universität, Direktor der Ägyptischen Abteilung der Museen.
Im Südwesten der Stadt hat der Dahlemer Waldfriedhof 1936 Theodor Wiegand aufgenommen. Eine schlichte Stelle mit besonders wohlgelungener Schrift steht auf seinem und
seiner Frau Grab, einer Tochter des Gründers der Deutschen Bank, Georg von Siemens.
Auch Wiegand war, wie Conze, in einer wissenschaftspolitisch bewegten Zeit Führer des
Instituts, mit Diplomatie und Entschlossenheit Wohl und Wehe Klassischer Archäologie
glücklich beschirmend, für diese, ähnlich Gerhard, gerade die Berliner Gesellschaft, die
wirtschaftlichen wie die politischen Spitzen der Reichshauptstadt ertragreich genug gewinnend, feinsinnig erwärmend. Als Archäolog ist er weithin bekannt geworden durch die
weiträumige Freilegung - dies der neue Grabungsstil - kleinasiatischer Griechenstädte
von Priene bis zum Königssitz der Attaliden, fast noch mehr aber als bewundernswert
erwerbender Direktor der Antiken-Abteilung, deren Pergamon-Säle er mit Takt und
faszinierendem Großsinn zu einem Maximum modernen Museums auszubauen verstand.
Die beiden frühgriechischen Göttinnen, die sitzende wie die stehende, hat er in den
Schinkelbau gebracht, mit entscheidender Hilfe eben jener, ihm nicht bloß monetär
mäzenatisch, sondern mit Herz und Geist folgenden Berliner - angefangen vom Kaiser.
Diese Bemühungen haben ihn nicht gehindert, eigentlich von Jugend an die Kunst seiner
Gegenwart lebhafter zu verfolgen, nach Möglichkeit zu fördern. Die Verbindung zu
Peter Behrens, zu Gaul und, besonders mutig in der Hitler-Zeit, zu Barlach belegt es,
dokumentiert eine Hinwendung zu Künstlern eigener Zeit, wie sie, an sich kaum vermutet,
Archäologen doch zu eigen sein kann, angefangen vom Paare Winckelmann-Mengs bis
zum Nolde-Verehrer Rodenwaldt und zu Botho Graef aus Berlin, der Hodler und BrückeLeute so resolut und vorbehaltlos protegierte.
1945 bestattete man aul diesem Waldfriedhof Karl Anton Neugebauer, durch viele Jahrzehnte der sorgsamste Betreuer des Berliner Antiquariums, wie er auch der Archäologischen
69
Gesellschaft als Schriftführer die nützlichsten Dienste leistete. Einen anderen großen
Gelehrten des Antiquariums nahm das selbe dunkle Jahr 1945, Robert Zahn, einzigartig als Kenner antiken Schmucks. Er liegt auf dem Friedenauer Friedhof an der Stubenrauchstraße. Doch auf dem Waldfriedhof soll und darf jener nicht vergessen werden,
welchen wohl als letzten Berliner Literaten, fern jeglichem Historisieren ä la Wildenbruch,
die Antike so sehr getroffen hat, daß durch eignes, sprödes Wort längst gewonnenes Wissen wieder zu wirken begann: „Schaffe den Dingen Dauer / strömt es vom Mittelmeer" Gottfried Benn.
Die beiden ersten Vertreter der Klassischen Archäologie an der nach dem letzten Kriege
in Dahlem gegründeten Universität, Erika Schmidt und Friedrich Wilhelm Goethert, ruhen
ebenda auf dem Dorffriedhof. 1922 wurde dorthin, nach mehr als vierzigjähriger
Lehrtätigkeit, der Philologe und so kundige Kenner griechischer Philosophen, Hermann
Diels, gebracht und 1930 Albert von Le Coq, der Zentralasien-Forscher, dem die Staatlichen Museen ein Cimelium verdanken, das anderwärts schwerlich seines Gleichen hat,
die Turfan-Fresken gräko-östlichen Bildgehabes. Gerhart Rodenwaldt: vielbewundert nicht
bloß als Organisator des Centenarjubiläums desInstituts 1929, dieser letzten Feier des
abendländischen Humanismus vor den Katastrophen des Jahrhunderts, sondern überhaupt als breit ausgreifender Gelehrter, dem ein durch Instinkt wie Intellekt gleich glänzende, eigentlichere' Deutung antiker Kunst gelang. Dazu von so glücklicher Hand als
besonnen operierender Chef eines von Berlin aus über den ganzen Mittelmeerraum sich
breitenden Forschungsorganismus von solcher intensiven Modernität, daß er, nach Gerhard
und Conze, zum dritten Gründer des Instituts erwuchs. Er schied mit seiner Frau während
des Endkampfes um Berlin aus dem Leben. Nach zweimaliger Umbettung liegt er jetzt auf
dem Ehrenfeld des Lichterfelder Parkfriedhofs - zunächst, 1945, notbestattet im Garten
seines Lichterfelder Hauses, dann in einem Waldgrab des Lichterfelder Parkfriedhofs, wo
sich auch die Memoria für den im Kriege gebliebenen Sohn Gert befand.
Weiter westwärts, auf dem Wege nach Potsdam, hat der erst nach dem Zweiten Weltkriege
angelegte Waldfriedhof Zehlendorf 1956 Walter Andrae aufgenommen, den großen
Schüler eines großen Meisters, Robert Koldeweys (dessen Grab sich auf dem Lichterfelder Parkfriedhof, nahe dem des Universalhistorikers der Alten Welt, Eduard Meyer, befindet). Ausgräber im Zweistromland und Berliner Museumsmitarbeiter von hohen
Graden, ist sein Name auf der Museumsinsel verbunden mit dem Ischtar-Tor, der Prozessionsstraße aus Babylon und der Partherfassade, um nur einige Glanzstücke der
eigentlich erst von ihm gestalteten Vorderasiatischen Abteilung zu nennen. Paul Ortwin
Rave, 1962 auf dem Waldfriedhof bestattet, hat sich schon als Jüngling „Hellas ewig
unsere Liebe" zugeschworen. Dem ist er als Kunstgelehrter und Berliner Museumsdirektor
nicht untreu geworden, hat, oft in „dichterisch-überhöhter Sprache", diese „fast romantische Sehnsucht nach Griechenland" nicht zuletzt durch das entschiedene Eintreten für
Schinkel, für Humboldts Tegel und, mutig vorausschauend vor allen anderen in Deutschland, für Thorvaldsen bezeugt.
Auch auf den Gräberfeldern im Süden der Stadt trifft man auf Archäologen, auf Mitarbeiter der Antiken-Abteilung wie Carl Blümel, dem nach der Rückführung der Altertümer aus Rußland 1958 deren neue Aufstellung auf der Museumsinsel in überraschend
kurzer Zeit gelang - er ruht bei seinen Eltern auf dem St. Michaels-Kirchhof in Neukölln
- , und Gerda Bruns, nahe der Alt-Mariendorfer Kirche auf dem Heidefriedhof. Unmittelbar an dieser Kirche ist Carl Weickert beigesetzt. Nach der Kapitulation raffte er, damals
70
Leiter der Antiken-Abteilung und Inhaber des archäologischen Lehrstuhls, aus eignem
Entschlüsse die Trümmer des Instituts, so gut es nur ging, zusammen, wobei ihm, vom
gleichen Museum kommend, in einer, schließlich sich selbst verzehrenden Pflichterfüllung
Gerda Bruns zur Seite stand.
In diesem Memento, nach Künstlern und Gelehrten, auch der gestaltenreichen Schar
der dilettanti zu gedenken, also jene, gerade Berlins geistig-gesellschaftliche Eigenart,
eigentlich zu jeder Zeit, eindrucksvoll kennzeichnenden Stifter, Sammler und, wo
und wie auch, literarisch Tätigen einzubeziehen, wird kaum unstatthaft sein. Ihr „Liebewerk" nicht selten im Stillen, nach eigner Weise, treibend, doch nach Außen, ideell
wie auch materiell, des Anregenden und allgemeiner Nützenden Beachtliches, oft
Rühmenswertes leistend, hebt die Reihe erlaucht genug an mit Friedrich Wilhelm, Luisens
Erstgeborenem, dem Schüler Hirts, Niebuhrs und Buttmanns, von Schinkel ganz zu
schweigen, ja eigentlich schon mit dem Großen Kurfürsten. In den Niederlanden humanistisch trefflich geschult, früh Anticaglien sammelnd, an ihnen fast täglich in seiner kleinen
Kunstkammer im Schlosse sich freuend, leuchtet er solchermaßen dem Urenkel in Sanssouci
vor, dem Nacheiferer Marc Aureis und geistig so engagierten Käufer des Betenden
Knaben, der Polignac'schen und Stosch'schen Antiken, dem ungewöhnlichen und unverdrossenen Kenner und Leser klassischer Literatur. Drei gekrönte Häupter aus e i n e r
Familie, die in dem noch ungeschriebenen Buche „Die Hohenzollern und die Antike",
neben manchem anderem, ähnlich sich rührenden Familienghede, so dem Prinzen Carl und
dessen Familie in dem reizvoll lehrhaft antikenbestückten Glienicke, beste Figur machten.
War ihnen allen doch, in welchem Jahrhundert auch, jene scheinbar längst abgelebte Welt
mehr als höfisch konventionelle Arabeske, mehr als irgendein modischer Putz, ein Divertimento, in dem man sich, neben vielen anderen, wohlig unverbindlich gefiel. Es war, und
das eigenartig beharrlich bis auf den Letzten des Hauses, geistig-sinnliche Notwendigkeit,
in Maß und Umfang der Neigung wohl unterschiedlich, mit Intervallen auch, doch im
Grunde von ebenso ungewöhnlicher Konstanz wie Substanz, kaum häufiger beredet, doch
um so dezidierter und gezielter. Ja, wäre der .Romantiker auf dem Throne' nicht gewesen,
gäbe es wohl kaum ein Deutsches Archäologisches Institut. Weit über alles leutselige
Floskeln hat dieser „größte aller jener geistreichen Dilettanten", wie ihn Treitschke nennt,
hier Beständigkeit bewahrt, seine Privatschatulle wie überhaupt sein allerwegen rasch entzündbarer Einfallsreichtum, Jahrzehnte hindurch, gefährlich dürre Strecken überstehen
helfen. Er ruht in der Potsdamer Friedenskirche, das Herz bei den Eltern im Charlottenburger Mausoleum, der Bruder Carl in der Kirche von Nikolskoe, der Kurfürst im Berliner Dom, Friedrich, bis 1945 in der Potsdamer Garnisonskirche, heute, im Exil, auf der
Burg Hohenzollern.
Daß auch Preußens Soldaten, insonderheit Militärs aus Berliner Führungsstellen, antiken
Studien, archäologischer Forschung mancherlei Richtung und Art (Grabungshilfe, Expeditionsbegleitung, Geländeaufnahme, Kartierung und so fort) nicht abhold waren, läßt
sich mehr denn einmal bezeugen. Moltke, der gern Archäolog und Historiker geworden
wäre, gibt die besten Beweise, wie bei E. Curtius, Beiger und R. Stadelmann nachzulesen, doch nicht die einzigen. Aus jüngerer Vergangenheit sei nur auf Hans von Seeckts
Berliner Rede „Antikes Feldherrntum" gewiesen, bei aller äußeren Bescheidung ein kaum
gewöhnliches Dokument, eindrucksstark schon durch strenge, .lateinische' Begrifflichkeit von Wort und Gedankenfolge, die nüchtern knappe, doch keineswegs gefühlsunbetonte Faktizität dessen, was gesehen und was gesagt wird. „Die Verbindung zwischen
71
Soldatentum und humanistischer Bildung ist keine zufällige . . . Gerade der Soldat bedarf , . . der Aufrichtung an klassischen Vorbildern und der Schulung zur Ergebung in das
Schicksal." Seeckts Grab ist, zertrümmert, erhalten auf dem fast ausgelöschten Invalidenfriedhof an der Scharnhorststraße.
Noch in die Jahre und den Kulturstil des Großen Königs gehört ein „würdiger Zeitgenosse",
der Arzt Joh. Carl Moehsen, Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Besitzer umfänglicher, offensichtlich im Kunstkammer-Stil gehaltener Sammlungen, darunter zahlreiche
Antiken verschiedenen Genres. Wie es bei ihm ausgesehen, kann vielleicht der gleichaltrigen Anna Dorothea Therbusch Bild eines Berliner Sammlers aus dem Jahre 1773
im Kaiser-Friedrich-Museum ahnen lassen. Ähnlichen Charakters werden die bemerkenswerten Sammlungen des Deutsch-Römers und langjährigen, sehr vertrauten Arztes der
Tegeler Humboldts gewesen sein, Heinrich Kohlrausch, 1826 schon auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben. Liest man die liebevolle Schilderung seines Neffen, des
Enkels Nicolais, Gustav Parthey, auch er einer der Berliner Humanisten und großen
Donatoren des Instituts, wie er die vielen Ölbilder, Graphiken, Marmore, Abgüsse
und Kleinkunst-Werke genau Revue passieren läßt, muß man nur staunen, womit schon
damals, auch im Privaten, Berlin aufzuwarten wußte. Moehsens Grab vor dem Hallischen Tore, Hygieia, überlebensgroß in einer Wandnische auf der Tumba gelagert, ihre
Schlange atzend, ist, wie arg auch inzwischen verunstaltet, für die Stadt ein Unikum,
überraschend zartgestimmtes, gar nicht deklamatorisches Zeugnis märkischen DixhuitiemeKlassizismus, wohl aus dem Kreise des hiesigen Bildhauers Leo Friedmann.
Daß in dieser Runde der jenseits vom Zunftritus Suchenden und Sich-Bildenden die
in Berlin kurz nach 1840 von Ed. Gerhard nach dem Vorbilde des römischen Instituts
bewußt als dessen märkischer Ableger konstituierte Archäologische Gesellschaft nach der Gesellschaft für Erdkunde von 1828 die älteste wissenschaftliche Sozietät der
Stadt auf privater Basis - bis auf den Tag von kaum gering zu achtendem Bemühen ist,
bedarf keiner Erläuterung. Kurd von Schlözer, Rankes und Ritters Doktor, viele Jahrzehnte dann Diplomat, auch in der Ewigen Stadt, von wo er den Seinen die nachgerade
klassisch gewordenen „Römischen Briefe" schrieb, sprach 1844 die kaum bloß für damals
gültige laudatio: „Eine solche Gesellschaft hat hier in Berlin durch die Menge von geistigen
Kapazitäten immer etwas Großartiges." Der vielverdienten Exzellenz bismarckischer
Schule wurde ein halbes Jahrhundert später an der Bergmannstraße auf dem Feld der
Jerusalemer und Neuen Gemeinde eine noch wohlerhaltene Grabaedicula gesetzt.
Nebenan, im Dreifaltigkeitsbezirk, liegt Ernst Assmann, fast vier Jahrzehnte Mitglied
der Gesellschaft, von Beruf Mediziner, Marine-Arzt, und so, nicht fernliegend, Spezialissimus und Autorität antiken Seewesens, schon im ersten Bande des Jahrbuchs des Instituts
1886 mit einem einschlägigen Beitrag vertreten, 1926 ebendort von Rodenwaldt, da er
auch Korrespondierendes Mitglied des Instituts, durch ehrenvollen Nekrolog gefeiert.
In der Anciennität wird Assmann noch übertroffen durch Adolf Trendelenburg, Sproß
einer alten Gelehrtenfamilie - der Berliner Aristoteliker und prononzierte Antihegelianer
Friedrich Adolf Trendelenburg ist sein Onkel - , Schulmann und fruchtbarer archäologischer
Autor. Nahezu siebzig Jahre, seit 1873, hat er der Gesellschaft angehört. 1941 verschieden,
liegt er, wie sein Onkel und wie Lepsius, auf dem Dom-Friedhof an der Müllerstraße.
Ein anderer Philosophen-Nachfahr und frei schaffender Humanist ist auf dem Matthäifriedhof, Ed. Gerhard ganz benachbart, zur Ruhe getragen worden, Hermann von
Schelling, des Philosophen jünster Sohn. Jurist in hohen und höchsten Staatsämtern, hat
72
er noch als Emeritus die Odyssee in achtzeiligen Strophen übertragen.
Der Verfasser der in den 1930er Jahren vielgelesenen, sehr solid informierenden
„Archäologischen Entdeckungen im 20. Jahrhundert", eine nur erwünschte Fortsetzung des
ähnlich betitelten, zeitlich freilich weiter ausgreifenden Werkes von Adolf Michaelis,
Friedrich von Oppeln-Bronikowski, war bis zu seinem Tode eifriges Mitglied der Archäologischen Gesellschaft. Weit vor der Stadt liegt er auf dem zu Beginn dieses Jahrhunderts
eröffneten Zentralfriedhof in Stahnsdorf. Waldemar Wruck, Schüler Wilhelm Webers,
namhafter Numismatiker und Chef einer in Berlin fortblühenden Münzhandlung, ist
auf dem Ruhlebener Friedhof bestattet. Der Kieferchirurg und Besitzer einer auch Antiken
umfänglich und artenreich berücksichtigenden, bewundernswerten Sammlung, die der
letzte Krieg so gut wie vollkommen vernichtete, Eduard Lubowski, ist der Gesellschaft, wie
Waldemar Wruck, bis zum Tode treu geblieben, unermüdlicher Besucher der Sitzungen,
kenntnisreich und lebhaft an deren Diskussionen teilhabend. Er liegt auf dem Friedhof
der Luisengemeinde an der Königin-Elisabeth-Straße, einige Schritte von Wilhelm von
Bode, der auch Mitglied der Gesellschaft war, schon seit seinen ersten Berliner Jahren, seit
1874. Allem Alten und Antiken aufgeschlossen, hat der große Museumslenker, durch
eignes Finderglück und sehr persönliche Sammelleidenschaft, auch der zuständigen Abteilung seines Hauses manchen antiken Gewinn eingetragen, an der Spitze den Sarkophag
Caffarelli, ein bedeutsames Werk der frühen römischen Kaiserzeit, heute, wenn auch mit
argen Kriegsspuren, an alter Stelle auf der Museumsinsel. Werner Kallenbach, vielbeschäftigter Industriemann, besuchte dennoch fleißig die Referate der Gesellschaft, hatte
sich, unterstützt durch die Autopsie vieler Erkundungsreisen in den Nahen Orient, zu
einem versierten Liebhaber der Philologie und Archäologie des Zweistromlandes ausgebildet. Er liegt auf dem Waldfriedhof in Dahlem - ein rechter Berliner dilettanto in seinem
nicht zu stillenden Wissenshunger, freilich wohlvorgebildet und aufgeweckt als Alumnus
der Pforte. Ähnlich heimisch geworden in der Gesellschaft war Alois Scherhag, der Bildhauer, auf dem Zwölf-Apostel-Friedhof an der Kolonnenstraße, bis in seine letzte Zeit
auf Sitzung wie Nachsitzung gerne und kenntnisreich über eine, ihm durch seine Tagesarbeit
besonders nahegebrachte Sorge, die der Gräber-Historiographie und Gräberpflege in
Berlin berichtend, wobei ihm Archäologen an der Spitze standen.
Fünf Persönlichkeiten, ähnlich in Neigung und freierem Wirken für die Alte Welt, seien
nicht übergangen: der Bildhauer Kurt Kluge, ein technisch-handwerklich bestens beschlagener Mitarbeiter K. Lehmann-Hartlebens bei dessen Corpus der antiken Großbronzen, beerdigt auf dem Friedhof in Nikolassee nahe der Rehwiese; Wiegands unentwegt
helfender Freund aus der Berliner Haute Finance, Eduard Arnhold, Mäzen von heute
kaum noch zu begreifender Liberalität, einem James Simon zumindest ebenbürtig, Mitbegründer der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, bis auf den Tag unmittelbar Segen spendend
als Schenker der Villa Massimo zu Rom, immer wieder, so beim Erwerb der Sitzenden
Göttin, der Großen Venus des Tizian, des Evangelienbuchs Kaiser Lothars, Museen und
Bibliotheken, auch Hertziana und Florentiner Kunstbibliothek, hochdotierend, selber Bilder-Sammler besten Stils in seinem Hause in der Regentenstraße, als Besitzer der alten
Böcklin-Villa Deutsch-Florentiner geworden, Hellas aber, wie er bekannt, als „etwas
Religiöses", „im menschlich tiefsten Sinne" als „seelischen Besitz" in sich tragend:
eine wahrhaft bewegende Gestalt der letzten Kaiserzeit; sein nach antikischer Weise stillmonumentales, vom Krieg verändertes Grab auf dem Neuen Friedhof in Wannsee vom
Münchner Theodor Georgii, einem Hildebrandschüler, gestaltet. - Luise Humann, die
73
mitsorgende und mithandelnde Frau Carl Humanns (der einmal Schüler Stracks war),
ihr Grab, eben jenseits der Mauer im Glienicker Schloßbereich, ziert eine kleine Säule aus
dem auch ihr so vertraut und lieb gewordenen Pergamon - und endlich Vater und Sohn
Virchow auf dem Matthäi-Feld: Rudolf, der Pathologe und Politiker, dessen noch heute
in Berliner Museen spürbares Eintreten für die Alte Welt ebenso häufig wie weitgespannt
und tatkräftig war; Hans, der Sohn, Mediziner und Anthropologe, bis zu Tode Mitglied der Archäologischen Gesellschaft.
In der Tat, die Zahl derer, die sich der Antike verpflichtet, ihr, zu welchem und wie lange
dauerndem Nutzen auch, zu dienen versucht haben, ist im Berlin der ferneren wie der
näheren Vergangenheit weder gering noch geringfügigen Gewichts, was nur ein Ehrentitel
mehr für die Stadt, die noch immer als Hauptstadt deutscher Archäologie sich zeigt und
weithin wirkend bewährt. Über hundert nennt schon diese erste, vorläufige Aufstellung.
Leicht ließe sie sich (von den außerhalb Bestatteten wie Parthey, Wilamowitz, Kekule,
Deissmann überhaupt abgesehen) verlängern, etwa, um nur Gelehrte zu nennen, mit
Droysen, Ritter, Dirksen, Nitzsch und Harnack, mit Bekker, Haupt, Meineke, Kiepert
und Corssen, mit Bardt und Kern, Kirchhoff, Vahlen, Klaffenbach und Grumbach, mit
Kiekebusch, Kossinna und Olshausen, mit Erman, Brückner, Sarre, Stuhlfauth, Moortgat, Ibscher und wie vielen noch, ganz zu geschweigen der Stammväter wie Lorenz
Beger, Damm, Gedicke, Hirt, Levezow und gar des Platonikers Schleiermacher. Noch
vieler Gänge über die Hunderte Berliner Grabbezirke wird es bedürfen, wo aus mehr denn
einem, nicht immer verständlichen und verzeihlichen Grunde das Überkommene schnell
und schneller sich lichtet, noch manches Suchens in alten Papieren, um sie alle - wirklich
alle? — zu finden, wenigstens dem Friedhof nach zu orten: sie, die „größeren Heere", auch
auf dem Felde der Humaniora, des Erkundens entschwundener Welten, die es den Enkeln
unverzehrbar vererbt, dies DESINUNTISTA NON PEREUNT.
Nachgewiesene Gräber
ABEKEN Heinrich 1809-1872, Diplomat
ADLER Friedrich 1827-1908, Architekt,
Bauforscher
ANDRAE Walter 1875-1956, Bauforscher
ARNHOLD Eduard 1849-1925, Kaufmann,
Sammler
ASSMANN Ernst 187-1926, Arzt, Archäologe
BEHRENS Peter 1862- 1940, Architekt
BENN Gottfried 1886- 1956, Arzt, Schriftsteller
BLAESER Gustav 1813-1874, Bildhauer
BLÜMELCarl 1893-1977, Archäologe
BODE Wilhelm v. 1845 -1929, Kunsthistoriker
BOECKH August 1785-1867, Philologe
BOETTICHERCarl 1806- 1889, Bauforscher
BOPP Franz 1791-1867, Philologe
BORRMANN Richard 1852- 1931, Bauforscher
BRUGSCH Heinrich 1827-1894, Ägyptologe
BRUNS Gerda 1905-1970, Archäologin
BUTTMANN Philipp Karl 1764- 1829, Philologe
CARL 1801 - 1883, Prinz von Preußen
74
CONZE Alexander 1831 -1914, Archäologe
CURT1US Ernst 1814- 1892, Historiker
DANKBERG Friedrich Wilhelm 1819-1866,
Bildhauer
DEUBNER Ludwig 1877-1946, Philologe
DIELS Hermann 1848-1922, Philologe
DRAKE Friedrich 1805-1882, Bildhauer
FRIEDRICH IL 1712-1786, König in Preußen
FRIEDRICH WILHELM 1620- 1688, Kurfürst
von Brandenburg
FRIEDRICH WILHELM IV. 1795-1861, König
von Preußen
FRIEDERICHS Carl 1838-1871, Archäologe
GERHARD Eduard 1795-1867, Archäologe
GOETHERT Friedrich Wilhelm 1907- 1978,
Archäologe
HAUSER Otto 1874- 1932, Archäologe
HITZIG Friedrich 1811-1881, Architekt
HUMANN Luise 1844-1928, Gattin Carl
Humanns
HUMBOLDT Wilhelmv. 1767-1835,
Staatsmann
KALLENBACH Werner 1902-1974, Kaufmann,
Sammler
K.ISS August 1 8 0 0 - 1865, Bildhauer
KÖHLER Ulrich 1 8 3 8 - 1903, Historiker
KOHLRAUSCH Heinrich 1777-1826, Arzt,
Sammler
KOLDEWEY Robert 1855-1925, Bauforscher
KRENCKER Daniel 1874-1941, Bauforscher
LE COQ Albert 1 8 6 0 - 1930, Ethnologe
LEPSIUS Richard 1 8 1 0 - 1884, Ägyptologe
LIETZMANN Hans 1875-1942, Theologe
LUBOWSK1 Eduard 1 8 8 6 - 1966, Arzt, Sammler
MATZ Friedrich d.Ä. 1843-1874, Archäologe
MESSEL Alfred 1853-1909, Architekt
MEYER Eduard 1855-1930, Historiker
MOEHSEN Johann Carl 1722-1795, Arzt,
Sammler
MOMMSEN Theodor 1817-1903, Historiker
NEUGEBAUER Karl Anton 1 8 8 0 - 1945,
Archäologe
OPPELN-BRONIKOWSK1 Friedrich v.
1875-1936, Schriftsteller
PANOFKA Theodor 1801 - 1858, Archäologe
PERSIUS Ludwig 1803-1845, Architekt
RAUCH Christian Daniel 1 7 7 7 - 1856, Bildhauer
RA VE Paul Ortwin 1893-1962, Kunsthistoriker
REGUNG Kurt 1876-1935, Numismatiker
RODENWALDT Gerhart 1886-1945,
Archäologe
SCHADOW Johann Gottfried 1764-1850,
Bildhauer
SCHEIBE Richard 1 8 7 9 - 1964, Bildhauer
SCHELLING Hermann v. 1824-1908, Jurist
SCHERHAG Alois 1890-1963, Bildhauer
SCH1EVELBE1N Hermann 1 8 1 7 - 1867,
Bildhauer
SCHINKEL Karl Friedrich 1781 - 1841,
Architekt
SCHLÖZERKurdv. 1 8 2 2 - 1894, Diplomat,
Historiker
SCHMIDT Erika 1912-1974, Archäologin
SCHMIDT Hubert 1 8 6 4 - 1933, Archäologe
SCHÖNE Richard 1840-1922, Archäologe
SCHULZE Johannes 1 7 8 6 - 1869, Philologe
SEECKTHansv. 1866-1936, General
STIER Wilhelm 1 7 9 9 - 1856, Bauforscher
STRACK Johann Heinrich 1806-1880, Architekt
STÜLER August 1800-1865, Architekt
SOLGER Karl 1780-1819, Philosoph
TOEBELMANN Fritz 1 8 7 4 - 1914, Bauforscher
TOELKEN Ernst Heinrich 1785 - 1864,
Archäologe
TRENDELENBURG Adolf 1845-1941,
Philologe
TRENDELENBURG Friedrich Adolf
1802-1872, Philosoph
VIRCHOW Hans 1852 - 1 9 4 0 , Anatom
VIRCHOW Rudolf 1821 - 1902, Pathologe
WE1CKE RT Carl 1885 - 1975, Archäologe
WIEGAND Theodor 1 8 6 4 - 1936, Archäologe
WILKEN Friedrich 1777-1840, Historiker
WRUCK Waldemar 1902-1971, Numismatiker
ZAHN Robert 1870-1945, Archäologe
ZIMMERMANN Max Georg 18? - 1 9 1 9 ,
Kunsthistoriker
Anschrift des Verfassers: Dr. H. B. Jessen, Podbielskiallee 69,1000 Berlin 33
Aufnahmen: Peter Grunwald, Berlin (1979).
Historische Porträtbüste eines Berliner Brauherrn
Von Hans G. Schultze-Berndt
In einem Vortrag „Porträtplastik auf alten Berliner Friedhöfen" vor den Mitgliedern des
Vereins für die Geschichte Berlins am 18. Januar 1941 hatte Pfarrer D r . Curt H ö r n
auch eine „herrliche Büste des Bürgers und Brauherrn Karl Ludwig Fischer" von Karl
(Carl) Wichmann aus dem Jahre 1812 am Halleschen Tor erwähnt. Derselbe A u t o r
hatte bereits 1936 in einer Schrift „ D i e vor uns gewesen sind - Ein Bild Alt-Berliner
Kulturgeschichte gesehen von den Friedhöfen a m Halleschen T o r im Jahre ihres zwei75
Abb. 1
(Foto: R. Mücke)
Abb. 2
(Foto: R. Mücke)
hundertjährigen Bestehens". Von Lic. Dr. Curt Hörn, Berlin SW 68, Georg Siemens
Verlagsbuchhandlung GmbH, 1936, auf diese Porträtbüste hingewiesen und zwei Fotos
veröffentlicht: „Hier steht in einer Nische (des Erbbegräbnisses) eine der schönsten Bildnisbüsten von so klassischer Formung, daß man an den Kreis um Tieck denken möchte.
Ein vergeistigtes römisch strenges Gesicht mit tiefliegenden Augen. Sicherlich eine genaue
Bildnisbüste."
Aus Interesse an dem Bildnis eines alten Berliner Brauers wandte sich der Autor an
Rudi Mücke und erfuhr, daß die Büste noch vorhanden ist, und zwar auf dem Jerusalemer und Neuen Friedhof II. Eingang Baruther Straße (Abb. 1).
1974 wurde der Verfasser von R. Mücke darauf aufmerksam gemacht, daß dieser Plastik
inzwischen die Nase abgeschlagen worden sei (Abb. 2). Der Autor hat dann in der Zwischenzeit die Büste durch den Restaurator Wilfried Bennstein von den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz in einen sehr guten Zustand bringen lassen (Abb. 3).
Aus den Kirchenbüchern geht hervor, daß Carl Ludwig Fischer, der als Bürger und
Brauherr bezeichnet wird, Sohn eines Brauers war und auch eine Berliner Brauerstochter geheiratet hat. Der Vollständigkeit halber seien die Angaben hier mitgeteilt:
Laut Taufbuch von St. Marien in Berlin ist nachweisbar:
Fischer, Carl Ludewig, geboren 27. September 1770, getauft 4. Oktober 1770. Vater:
Fischer, Samuel, B. und Brauherr in der Rosenstraße. Mutter: Fischer, geb. Schultzen, Eva
Catharina.
Im Traubuch von Luisenstadt in Berlin ist folgende Trauung beurkundet:
Herr Carl Ludewig Fischer Bürger und Braueigen allhier; mit Jungfer Johanna Dorothea
76
Wilhelmine Hoffmann des Bürger und Braueigen Herrn Carl Wilhelm Hoffmann ehelichen
ältesten Jungfer Tochter Hochzeit 9. April 1799.
Im Totenbuch von Jerusalem in Berlin ist weiterhin beurkundet:
Carl Ludewig Fischer, Krausen Straße No. 70, Bürger und Brauherr, 39 Jahre 3 Monate
alt, hinter!.: die Witwe keine Kinder aber noch die Mutter 4 Brüder und 4 Schwestern verstorben 11. Januar 1810 Früh 3/4 11 Uhr - beerdigt 14. Januar 1810 (Krankheit:
Nervenfieber).
Dem Bildhauer ist in der Allgemeinen Deutschen Bibliographie (ADB) 42. Band,
Leipzig, Verlag von Duncker & Humblot, 1897, eine ganze Seite gewidmet. Danach
wurde Karl Friedrich Wichmann, Bildhauer, 1775 in Potsdam geboren. Er war Schüler
seines Vaters, später unter anderem auch von Gottfried Schadow, war einer von dessen
engsten Mitarbeitern und Freund von Rauch. Nach einem Aufenthalt in Italien richtete
er sich 1821 mit seinem jüngeren Bruder Ludwig ein gemeinsames Atelier ein. Dieser,
der bedeutendere, schuf unter anderem Skulpturen für das Schinkel-Denkmal auf dem
Kreuzberg. Von Carl Wichmann, der 1826 Mitglied der Akademie der Künste wurde,
stammt vornehmlich Porträtplastik, unter anderem die Büste des Ministers Hardenberg
in der Dorotheenstädtischen Kirche sowie Porträts fürstlicher Persönlichkeiten in Berlin
und Petersburg. Sein - 1943 zerstörtes - Hauptwerk war die Sitzstatue der Zarin
77
Alexandra Feodorowna von 1827 im Schloß Charlottenburg. In der Ausstellung „Abbilder - Leitbilder, Berliner Skulpturen von Schadow bis heute", die vom 20. Mai bis zum
23. Juli 1978 in der Orangerie des Charlottenburger Schlosses veranstaltet wurde, war
Carl Wichmann mit einer Marmorbüste von Karl Georg v. Raumer (1825) vertreten.
Im Katalog der Ausstellung schreibt Professor Helmut Börsch-Supan: In Naglers Künstlerlexikon ist sein Stil treffend beschrieben. Danach zeichnen sich „sämtliche Werke
dieses Künstlers durch Schönheit und Grazie der Form aus, und in ihrem beseelten
Wesen nähern sie sich häufig der Malerei". Carl Wichmann ist 1836 verstorben.
Die Überlegungen, wo diese künstlerisch bedeutende und ausdrucksstarke Büste aufgestellt werden könnte, führten zum Berlin-Museum, zum Institut für Gärungsgewerbe und
Biotechnologie sowie schließlich zum Wirtschaftsverband Berliner Brauereien. Dort hat
die Plastik am 27. April 1978 ihren zugleich passenden und würdigen Standort gefunden.
Sie erinnert an die Frühzeit des Berliner Braugewerbes und verkörpert zugleich das klassische Menschenbild zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Anschrift des Verfassers: Dr. Hans G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13
Nachrichten
Bellevue - bessere Aussichten für die Zukunft
Seit genau zwanzig Jahren ist das Schloß Bellevue am Rande des Tiergartens wieder aufgebaut und
dient als Berliner Amtssitz des Bundespräsidenten. Der Zweite Weltkrieg hatte große Zerstörungen
an dem frühklassizistischen Bauwerk, 1785 von Philipp Boumann im Sinne des sogenannten Zopfstils
erbaut, angerichtet.
Unsere Besichtigung am 7. Juni 1979 hinterließ einen sehr zwiespältigen Eindruck von seinem Neuaufbau. Die Fassade wurde mit dem erst 1938 angelegten Mitteleingang wiederhergestellt, wobei die
ursprünglichen beiden Eingänge an den Enden des Mittelbaus nicht wieder eingebaut wurden. Diese
durch die jetzige Funktion vielleicht zu rechtfertigende Änderung ist jedoch hier nicht der Ansatzpunkt der Kritik. Vielmehr ist es die Gestaltung der Innenräume, die dazu Anlaß gibt. Sie sind
bis auf eine rühmliche Ausnahme nicht restauriert worden und zeigen dem heutigen Besucher ein
(weder dem Bauwerk noch dem Zweck angemessenes) Bild mit unterschiedlichsten Einrichtungsgegenständen und problematischer Innenarchitektur. Will man die Räume weiterhin zur staatlichen
Repräsentation nutzen, wären z.B. Rekonstruktionen sinnvoll, so wie sie beim ovalen Festsaal, 1791
von Gotthard Langhans geschaffen, vorgenommen wurden. Die anderen Zimmer, die sich nicht
wiederherstellen lassen, sollten von Innenarchitekten geschmackvoll und dezent gestaltet werden. Mit
diesen Baumaßnahmen würde nicht nur Berlin ein wertvolles Bauwerk gewinnen, sondern die Bundesrepublik sich ihrer Bedeutung gemäß ihren Gästen darbieten können.
Es bleibt zu hoffen, daß der neue Bundespräsident Karl Carstens hierzu die Initiative ergreift.
Rüdiger Brauer
75 Jahre Zucker-Museum in Berlin
Das Zucker-Museum als der Traditionsträger des ehemaligen Instituts für Zuckerindustrie hat in
Berlin als der historischen Welthauptstadt des Rübenzuckers einen Standort besonderer Art:
1747 entdeckte Andreas Sigismund Marggraf (1709 bis 1782), der berühmteste Chemiker seines
Jahrhunderts im deutschen Sprachraum, in Berlin den Zucker in der Rübe. 1798 fabrizierte Franz
Carl Achard (1753 bis 1821) im heutigen Berlin-Kaulsdorf den ersten Rübenzucker, den er in der
„Berlinischen Zuckersiederey Compagnie" raffinieren ließ. 1867 schließlich gründete Carl Scheibler
78
(1827 bis 1899) das erste Zuckerinstitut der Welt, das zugleich das älteste Industrieinstitut der
Erde im Lebensmittelbereich war und 111 Jahre bestanden hat.
Das am 8. Mai 1904 in der Amrumer Straße 32 im Wedding eröffnete Zucker-Museum ist das älteste
und bedeutendste seiner Art. Seit dem 1. Januar 1978 gehört es zur Technischen Universität Berlin.
Diese hat sich jedoch zur Rückgabe des Museums an das Land Berlin verpflichtet, sobald die
Pläne zur Errichtung eines naturkundlichen Museums in Berlin realisiert werden sollten.
Dem traditionsreichen Zucker-Museum ist zu wünschen, daß es in einem angemessenen Rahmen auch
künftig seine segensreiche Arbeit fortsetzen kann.
H. G. Schultze-Berndt
Um den neunten Stadtbezirk in Ost-Berlin
Nachdem 1977 bereits die ersten 200 Wohnungen des als neunter (Ost-)Berliner Stadtbezirk herausgestellten Neubaugebiets für hunderttausend Einwohner im Nordosten Berlins fertiggestellt
worden waren, soll bis 1980 das erste Wohngebiet vollständig bezugsfertig sein. Hierbei bedient
man sich, beispielsweise beim Hochbau, neuer Methoden, wo die Badzellen gleichzeitig als Container
für die Türen, Küchenmöbel und Herde genutzt werden.
Ohne auf das Politikum der Errichtung eines neuen Bezirks einzugehen, der gegen die Viermächtevereinbarungen über Groß-Berlin verstößt, sei hier dem Chefarchitekten Roland Korn zu diesem
Bauvorhaben das Wort gegeben.
„. . . Die Dorfaue Marzahn ist ein typisches Beispiel für das Gefüge und die Bebauung alter märkischer
Dörfer . . . Wir führten Untersuchungen und Analysen durch, nach deren Ergebnissen dann die
zu erhaltenden historischen und für dieses Gebiet typischen Gebäude festgelegt worden sind. Wir
haben uns bei der Auswahl beschränken müssen, denn schließlich muß der finanzielle Aufwand
für solche Rekonstruierungen auch ökonomisch vertretbar sein.
Im historischen Dorfkern Marzahn sollen gesellschaftliche Einrichtungen des Handels, der Gastronomie und des Dienstleistungsbereichs errichtet werden.
Das Dorf ist als ein Nebenzentrum im 9. Stadtbezirk gedacht. . ."
H. G. Schultze-Berndt
„Gemeinnützige Sammlung der Gründerzeit"
Als Ergebnis seines 40jährigen Sammeins präsentiert Lothar Berfelde allsonntäglich in BerlinMahlsdorf seine „Gemeinnützige Sammlung der Gründerzeit". 1978 waren es trotz des abgelegenen
Ortes und der begrenzten Öffnungszeit rund 5000 Besucher, die sich diese für Berlin kulturgeschichtlich bemerkenswerte Ausstellung ansahen. Sie umfaßt beispielsweise ein neogotisches Speisezimmer
von 1900, ein Wohnzimmer in Neorenaissance von 1890, einen Damensalon von 1891, ein Jagdzimmer
von 1892 und einen „Großen Saal". Zur Unterhaltung trägt ein Tanzsaal-Orchestrion bei, das noch
bis 1957 in einer Gaststätte in Eichwalde aufgestellt war. Man erfährt bei einem Rundgang, daß
die Bezeichnung „Vertiko" auf den Berliner Tischlermeister Otto Vertiko zurückgeht. Im Keller
des Hauses ist eine der letzten Original-Berliner Kneipen mit Biertresen, wenn auch leider ohne
Ausschank, zu sehen. Es handelt sich um die ehemalige „Mulackritze", die zwischen Gormannstraße
und Mulackstraße gelegen war und Heinrich Zille, Bertolt Brecht, Ciaire Waldoff und andere
Künstler zu ihren Gästen zählte.
H. G. Schultze-Berndt
Ausstellung zur Denkmalpflege im Bezirk Prenzlauer Berg
Eine Ausstellung „Denkmalpflege im Stadtbezirk Prenzlauer Berg" informierte in diesem Frühjahr im Kreiskulturhaus Prater in der Kastanienallee anhand von Schautafeln, Fotos und Plastiken
über die 43 Objekte, die in diesem Bezirk unter Denkmalschutz stehen. Dazu gehören z.B. der
1875 als Hebewerk errichtete Wasserturm (heute Wohnhaus), das gegenwärtig erfaßte älteste und
79
zugleich kleinste Haus vom Prenzlauer Berg Kastanienallee 77 von 1840 und das Denkmal für
Alois Senefelder (1771 - 1834), den Erfinder des Steindrucks, in der Schönhauser Allee.
Von unseren Mitgliedern
Mitgliederversammlung 1979
Der Vorsitzende Dr. G. Kutzsch konnte auf der ordentlichen Mitgliederversammlung des Vereins
für die Geschichte Berlins am 24. April 1979 im Pommernsaal des Rathauses Charlottenburg
54 Mitglieder begrüßen. Im vergangenen Jahr sind dem Verein 81 Mitglieder beigetreten, er zählt
damit 875 Mitglieder. Zur Totenehrung für die nachstehenden vierzehn Mitglieder erhoben sich
die Anwesenden von ihren Plätzen:
Johannes Benecke, Johannes Dornemann, Hans Günther, Professor Dr. Georg Haeseler, Walter
Jaroschowitz, Hildegard Krause, Dr. Joachim Kühn, Dorothea Macholz, Margarete Rettig, Professor Dr. Wilhelm Richter, Alois Rohde, Dr. Gerhard Siewert, Elisabeth von Strubberg, Dr. Johannes
Stumm.
Da der Tätigkeitsbericht des Schriftführers vervielfältigt vorlag (und auch im Jahrbuch 1979 abgedruckt wird), wurde auf seine Verlesung verzichtet. Schatzmeisterin Frau R. Koepke erstattete den
Kassenbericht auf der Grundlage des den Mitgliedern gleichfalls vorliegenden Jahresabschlusses
1978 und des Voranschlags 1979. Sie dankte den Mitgliedern für ihre gute Zahlungsmoral und bat
auch künftig um korrekte Überweisungen des Beitrages. Für die Betreuer der Bibliothek erstattete
H. Schiller den Bibliotheksbericht. Die Kassenprüfer Degenhardt und Kretschmer hatten aus der
Kassenprüfung am 2. März 1979 keine Beanstandungen vorzutragen, dies gilt auch für die Bibliotheksprüfer Schlenk und Mende, die mit dem Ergebnis ihrer Prüfung vom 30. März 1979 außerordentlich zufrieden waren, allerdings eine Überarbeitung der Benutzerordnung für die Bibliothek empfahlen. Eine Diskussion über „Trivialliteratur" und deren Bedeutung für unsere Bibliothek schloß sich
an.
Landgerichtsrat a. D. Rechtsanwalt D. Franz beantragte die Entlastung des Vorstandes und verband
diese mit einem Dank für die geleistete Arbeit. Nach der einmütig ausgesprochenen Entlastung
fungierte er als Wahlleiter. Dem Vorschlag des Vorsitzenden wurde in Einzelabstimmung mit dem
folgenden Ergebnis bei einzelnen Enthaltungen entsprochen (für zwei Beisitzer wurde eine Gegenstimme abgegeben):
Geschäftsführender Vorstand:
1. Vorsitzender:
Dr. Gerhard Kutzsch
1. Stellvertretender Vorsitzender:
Hans-Werner Klünner
2. Stellvertretender Vorsitzender:
Günter Wollschlaeger
1. Schriftführer:
Dr. Hans Günter Schultze-Berndt
Stellvertretender Schriftführer:
Albert Brauer
Schatzmeister:
Frau Ruth Koepke
Stellvertretender Schatzmeister:
Frau Leonore Franz
Beisitzer: Professor Dr. H. Engel, F. Escher, J. Grothe, Frau I. Köhler, Dr. P. Letkemann, C. P.
Mader, Professor Dr. M. Sperlich, Dr. J. Wetzel.
Im Namen des Vorstandes dankte Dr. G. Kutzsch dann für das ausgesprochene Vertrauen. Die
Wiederwahl der bewährten Mitglieder Degenhardt und Kretschmer zu Kassenprüfern erfolgte einstimmig. Anstelle von Herrn J. Schlenk wurde Frau I. Bannier neben Herrn M. Mende als Bibliotheksprüferin gewählt.
Da die Leistungen des Vereins unter anderem in Form der „Mitteilungen", des Jahrbuches und der
Schriften in keinem rechten Verhältnis mehr zu dem vor vier Jahren letztmalig festgesetzten Mitgliedsbeitrag von jährlich 36 DM stehen, hatte der Vorstand besonders im Hinblick auf die überdurchschnittlich gestiegenen Druckkosten und Porto den Vorschlag unterbreitet, den Jahresbeitrag
80
mit Wirkung vom 1. Januar 1980 auf 48 DM zu erhöhen. In der Diskussion wurden Argumente
für und wider diesen Antrag zu Felde geführt, mit nur einer Gegenstimme bei zwei Enthaltungen
wurde dann aber dem Vorschlag des Vorstandes entsprochen. Einige Mitglieder beteiligten sich dann
an der Aussprache über Fahrten des Vereins in die andere Stadthälfte und in die Nachbarschaft Berlins, wobei Fragen der zweckmäßigsten Organisation und Bekanntmachung angeschnitten wurden.
Nach genau zweistündiger Dauer konnte der wiedergewählte Vorsitzende Dr. G. Kutzsch die Mitglieder mit einem Dank für ihr Interesse verabschieden.
H. G. Schultze-Berndt
Franz Berndal 80 Jahre
Am 26. März 1979 konnte unser langjähriges treues Mitglied Franz Berndal, Schauspieler, Genealoge,
Vortragender und Schriftsteller, dem eine Tageszeitung das Prädikat „Berliner Dichter" zuerkannte, sein 80. Lebensjahr vollenden. Absolvent des Askanischen Gymnasiums und späterer
gelernter Bankkaufmann, schlug doch das Blut seines Großvaters, des Königlichen Hofschauspielers
Karl Gustav Berndal, in ihm durch, er entschied sich für die Laufbahn eines Schauspielers und hat
nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1966 auf den Bühnen des Hebbel-Theaters, des SchillerTheaters und des Schloßpark-Theaters gestanden. Von da an hat er nur noch als Schriftsteller gewirkt. Schon vor mehr als einem halben Jahrhundert mit einem Lyrik-Preis ausgezeichnet, dem dann
noch viele andere Auszeichnungen, Ehrenmitgliedschaften und Preise folgten, hat sich Franz Berndal in vielen Veröffentlichungen in Zeitungen und (schon seit 1926) auch im Hörfunk vornehmlich
mit Berlin und seinen Menschen beschäftigt. Seine Gedichte sind auch in Buchform erschienen,
zum Teil in Berliner Mundart wie die Bände „Det kann nur een Berliner sein" und „Herz für Berlin",
zu denen sich in jüngster Zeit noch die Lyrikbände „Von Mensch zu Mensch" und „Begegnung mit
dem Leben" sowie „Stille" hinzugesellten. Das Buch „Kröne dein Leben" ist soeben ausgeliefert
worden.
Franz Berndal, der vierzig Jahre im alten „Geheimratsviertel" gewohnt hatte, bis er vor sechs Jahren
in die Künstlerkolonie am Breitenbachplatz übersiedelte, wurde an seinem Geburtstag im JacobiSaal des Gemeindehauses der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Wort und Gesang gewürdigt
und geehrt. Nach einleitenden Worten von Pfarrer Kupsch sprachen Horst Behrend und Sozialstadtrat Heinschke, der die Grüße des Bezirks Charlottenburg mit denen des Berliner Autorenverbandes
verband. Einem Grußwort von Kirchenrat Herbert Kriwath, dem der Jubilar aus vielfältiger kirchlicher
Arbeit verbunden ist, schloß sich ein vom Sänger Langenfels vom Club Romantique vorgetragenes
eigenes Gedicht an. Franz Berndal ist Ehrenmitglied dieses Clubs, dessen Leiterin Adeli Richter
unter den Gästen weilte. Nachdem der Jubilar seiner Rührung über die Fülle der ihm dargebrachten
Ovationen Ausdruck gegeben hatte, folgte ein musikalisches Programm, in dessen Verlauf Kantor
Feldbach Balladen von Loewe vortrug, Frau Maria Eggemann, tatkräftige und ideenreiche Mäzenin
Berndais, ein neues Gedicht aus dessen Feder rezitierte, und die Konzertsängerin Karena WilhelmFrieberg sieben „Lieder der Stille" des Jubilars sang, die Julian Werner Kuck vertont hatte. Übrigens
hat auch der Komponist Alexander Ecklebe mehrere Gedichte Berndais vertont. Er war ebenso
Geburtstagsgast wie Gerhard Gothe, der die Einführung zu Berndais neuem großen Lyrikauswahlband „Kröne dein Leben" geschrieben hat, auf den hier ausdrücklich hingewiesen wird (172 Seiten,
17,50 DM).
Von dieser Stelle seien dem Jubilar herzliche Grüße aller Mitglieder und ein „Gott befohlen" für
die Zukunft übermittelt.
Schultze-Berndt
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche
zum 70. Geburtstag Frau Luise Bucher, Herrn Dr. Werner Engel, Herrn Dieter Möhring, Herrn Walter
Schaefer, Herrn Heinz Schünemann, Herrn Kurt Schulze-Danneberg; zum 75. Geburtstag Herrn
Ernst Alberts, Herrn Dr. Paul Hövel, Frau Anneliese Pinnow, Frau Charlotte Wodrich; zum 80. Geburtstag Frau Charlotte Nydahl, Frau Elisabeth Runge, Herrn Gustav Vogel; zum 85. Geburtstag
Frau Gertrud Dreusicke, Herrn Johannes Freida.
81
Buchbesprechungen
Verfassung von Berlin, Kommentar. Hrsg.: Gero Pfennig und Manfred J. Neumann. Berlin/New
York: Walter de Gruyter 1978. XXXIV/358 S., Ln., 86 DM (Sammlung Guttentag).
Die Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 - damals von der Stadtverordnetenversammlung
nach einer kontroversen Erörterung zwischen der SPD, CDU und LPD einerseits und der SED andererseits beschlossen - ist bereits im Jahre 1951 kommentiert worden. Der verdienstvolle Kommentar
von Landsberg und Goetz ist durch die Zeitereignisse in manchem überholt. Damals konnte man
noch hoffen, daß sich die vielfältigen Schwierigkeiten, denen sich die Stadt gegenübersah, in absehbarer Zeit beheben oder wenigstens mildern ließen.
Der jetzt vorliegende Kommentar der Verfassung von Berlin, von den Herausgebern und weiteren
fünf Juristen aus Wissenschaft und Praxis bearbeitet, ist in der bewährten Sammlung Guttentag erschienen. Hier liegt ein sehr gediegenes Werk vor, das sorgfältig die Rechtsprechung auswertet und
sich mit Zweifelsfragen auseinandersetzt. Eine gesicherte Rechtsprechung in verfassungsrechtlichen
Fragen lag den Kommentatoren allerdings nicht vor, da es - eine Folge der politischen Probleme kein für Berlin zuständiges Verfassungsgericht gibt. Das Bundesverfassungsgericht andererseits
ist für das Land Berlin nicht zuständig, da es zu den obersten Verfassungsorganen der Bundesrepublik zählt und seine Rechtsprechung als Ausdruck unmittelbarer staatlicher Hoheitsausübung
angesehen wird, die der Bundesrepublik in Berlin nicht zusteht. Da die Westmächte keine Maßnahmen getroffen haben, die die verfassungsrechtliche Zugehörigkeit zum Bund ausschließen,
sind die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in ihrem materiellen Gehalt dennoch für
Berlin kraft des Grundsatzes der sog. Bundestreue bedeutsam und richtunggebend.
Berlin ist nach dem Willen seiner Verfassungsgeber „ein Land der Bundesrepublik Deutschland".
Diese in Artikel 1 getroffene Bestimmung ist zwar mit Rücksicht auf den Besatzungsvorbehalt zum
Grundgesetz in Artikel 87 der Verfassung von Berlin eingeschränkt, die Bundeszugehörigkeit Berlins
damit jedoch nicht aufgeschoben worden. Die nach dem Grundgesetz (Artikel 23) bereits bestehende
Bundeszugehörigkeit Berlins sollte nach dem Willen der Berliner Verfassungsgeber nicht gemindert
werden. Dementsprechend ist Berlin nahezu vollständig in das Gerichts- und Rechtssystem der
Bundesrepublik eingegliedert. Das Bundesverwaltungsgericht und der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs haben ihren Sitz in Berlin. Die ordentliche Gerichtsbarkeit, die Finanz-, Arbeits-, Verwaltungs-, Steuer- und Sozialgerichtsbarkeit wenden dieselben materiellen und prozessualen Bestimmungen an, so daß auch die entsprechenden obersten Bundesgerichte als Rechtsmittelinstanzen
fungieren können.
Die Verfassung von Berlin - wie die anderer Bundesländer - enthält in ihrem Abschnitt 11 den Grundrechtskatalog. Die vielen rechtlichen Fragen, die sich für Berlin aus dem Verhältnis der grundsätzlich
vorgehenden Bundesgrundrechte zu den Landesgrundrechten ergeben, sind in der Kommentierung
eingehend und gut begründet dargelegt.
Berlin ist Land und Stadt zugleich. Artikel 3 Absatz 2 lautet: „Volksvertretung, Regierung und
Verwaltung nehmen die Aufgaben Berlins als Gemeinde, Gemeindeverband und Land wahr."
Berlin ist als Stadt Einheitsgemeinde. Die Erwähnung des Gemeindeverbandes ist historisch zu
erklären, da die Stadt durch das preußische Gesetz betr. die neue Stadtgemeinde Berlin von 1920
auch Aufgaben einer früheren Provinz (als Gemeindeverband) übernommen hatte.
Da Staat und Gemeinde keine verschiedenen Rechtssubjekte sind, Landes- und Kommunalverwaltung
nicht getrennt sind und ihre Aufgaben größtenteils von denselben Organen ausgeführt werden,
ist es für den Laien nicht ohne weiteres zu erkennen, wann Berlin als Staat und wann es als Kommune
handelt. Für die Praxis ist diese Frage gewöhnlich unerheblich.
Die einzelnen Aufgaben des Staatswesens, nämlich die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt in der
Volksvertretung, die der Exekutiven in Regierung, Verwaltung und Finanzwesen und die der
judikativen Gewalt in der Rechtspflege, sind gründlich dargestellt. Es würde den Rahmen dieser
Besprechung sprengen, auf diese Vorzüge im einzelnen einzugehen.
Das Werk verfügt über ein eingehendes und hilfreiches Sachregister. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, daß alle Autoren sich um eine Darstellung bemüht hätten, die in Praxis, Politik, Unterricht
und Studium sinnvoll Verwendung finden könne. Dieses Ziel ist erreicht; der Fachmann wie der
interessierte Laie werden das Buch mit Befriedigung benutzen.
Dietrich und Leonore Franz
82
Karl Friedrich Klöden: Von Berlin nach Berlin. Erinnerungen 1786-1824. Hrsg. v. Rolf Weber.
Berlin (Ost): Verlag der Nation 1976. 524 S. m. Abb., Ln., 15,80 DM.
Die Neuausgabe einer der originellsten Biographien der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert
durch Rolf Weber verdient den Dank der nach historischen Quellen (z.B. aus der Zeit König
Friedrichs II. bis Friedrich Wilhelms III.) aus Berlin suchenden Leser.
Das von K. F. Klödens Enkel bereits 1870 herausgegebene, unvollendete Maunskript enthält in
der Schilderung des Lebensweges des großen Berliner Schulmannes, der als Berliner Stadthistoriker
eine erbitterte Fehde mit Ernst Fidicin austrug, Einzelheiten aus dem Alltag verschiedener Bevölkerungskreise ebenso wie Charakterbeschreibungen namhafter Gelehrter, Bedrückende äußere Umstände begleiteten die geistige Entwicklung des anfänglich in einer Berliner Kaserne aufwachsenden
und schulisch wenig betreuten Jungen. Nachdem er - offenbar als Spätentwickler - durch Begegnung
mit Abenteuerliteratur eine Begeisterung für die Welt empfangen hatte, war er von einem gewaltigen Wissensdurst und unermüdlichem Lerndrang beseelt, sowie es die Gegebenheiten des
kleinen preußischen Landstädtchens, in das der Vater versetzt worden war, erlaubten. Erst die
Rückkehr nach Berlin zur Goldschmiedelehre bei seinem Onkel gibt ihm die Gelegenheit, nebenbei Sprachen zu lernen und sich das Zeichnen sowie das Gravieren anzueignen. Der wesentliche
Zufall ist für ihn, freier Mitarbeiter bei dem bekannten Landkartenverlag Schropp zu werden.
Unaufhörliches Lesen aller erreichbaren Literatur bringt Klöden soviel Wissen, daß er gute Kontakte
zum Privat-Seminar von Piamann und zu Lehrern der Universität bekommt. Das genehmigte Hochschulstudium und das Praktizieren der neuen Lehrart des Schweizer Pädagogen Pestalozzi in der
Berliner Schule bestimmen endgültig seinen Aufstieg zum Direktor des Seminars in Potsdam und
zum Schluß als Direktor der ersten Gewerbeschule und des ersten Realgymnasiums unter Berlins
tatkräftigem Bürgermeister v. Bärensprung.
Leider enden damit (im Jahre 1824) die interessanten Aufzeichnungen, die sich wie ein Roman lesen.
Fritz Bunsas
Heinz-Georg Klos: Berlin und sein Zoo. Berlin: Haude und Spener 1978. 160 S. m. 110 Abb.,
Pappbd., 16,80 DM (Berlinische Reminiszenzen, 50).
Zoodirektor Heinz-Georg Klös gibt ein eindrucksvolles Bild des Berliner Zoologischen Gartens
und seiner Entwicklung, die alle Freunde des Zoos interessieren wird. Man erfährt, wie das Verständnis für die ausgestellten Tiere langsam gewachsen ist und sich ihr (trauriges) Gefangenenschicksal nach und nach verbesserte.
Es begann mit einem fürstlichen „Hetzgarten", von dessen Zuschauertribüne man zusah, wie
starke Hunde oder Wölfe auf andere Tiere gehetzt wurden. Für diese „öffentliche Belustigung"
gab es bereits Löwen, Tiger, Bären und andere Tiere. Der Tiergarten war eingegattert und diente
der Jagd. Friedrich III., den späteren König Friedrich I., bezeichnet Klös als „großen Nimrod und
Freund aller Tiere", zwei Eigenschaften, welche wohl schwer vereinbar sind. Friedrich II. war kein
Jäger, er ließ den Tiergarten durch Knobelsdorff zu einem Waldpark umgestalten, im südwestlichen
Teil entstand eine Fasanerie, aus der die Hofküche beliefert wurde. Das Fasanengelände wurde
zum heutigen Zoologischen Garten, den man am 1. August 1844 für die Berliner öffnete.
Man muß dem Autor dankbar sein, daß er immer wieder verständnisvoll auf die Leiden der Tiere
hinweist. Viele der überseeischen Tiere, welche für Zoologische Gärten bestimmt waren, erreichten
Europa nicht lebend, andere gingen im Garten unter dem Freiheitsentzug ein. Die Käfige waren
sehr eng; Bären befanden sich im „Bärenzwinger". Ein Bild zeigt die trostlose Unterbringung von
Bären in einer „Bärengrube" - schon das veranschaulicht.
Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erweiterte der Zoologische Garten sein Programm
mit Völkerschauen. Eskimos, Nubier, Lappen, Kalmücken, Feuerländer u.a. konnten von den
Berlinern bestaunt werden. Eine Gruppe von acht Labrador-Eskimos überlebte ihr „Gastspiel"
nicht, sie starb „trotz zweimaliger Impfung" (oder wegen?) an den Pocken.
Um die Jahrhundertwende entstanden Prunkstücke von eindrucksvollen Bauten nach Vorbildern
aus der Heimat der gefangenen Tiere, die Tiere selbst mußten aber weiterhin auf engem Raum
hinter Gittern vegetieren. Erst in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts begann man gitterlose
Freianlagen zu bauen. Sie geben dem Besucher den Eindruck von Freiheit und den Tieren doch
Erleichterung ihrer Gefangenschaft. Wenn man aber bedenkt, daß es immer noch große Tiere gibt,
die niemals eine ihnen angemessene Bewegung, z.B. einen Lauf, unternehmen können, dann kann
83
man sich vorstellen, was der Freiheitsentzug körperlich und seelisch für diese Tiere bedeuten muß.
Es ist ein aufschlußreiches Buch, welches trotz seiner schönen Fotos nicht darüber hinwegtäuschen
kann, daß auch in einem „modernen" Zoo Tiere hauptsächlich Schauobjekt für den Besucher sind
und den ihnen angeborenen gesunden Neigungen meist nicht folgen können.
Zu den schönen und ungetrübten Seiten des Berliner Zoologischen Gartens gehören die herrlichen
Grünanlagen und die alten Bäume, der „Vierwaldstätter See" - eine seelenberuhigende Oase in
der Großstadt.
Vera Gottke
Hans Scholz: Wanderungen und Fahrten in die Mark Brandenburg. Bd. 4. Berlin: Stapp 1976. 184 S.
u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM.
dass.: Bd. 5. Berlin: Stapp 1977. 176 S. u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM.
dass.:Bd. 6. Berlin: Stapp 1978. 192 S. u. 4 Bildtfln., Ln., 19,80 DM.
Für alle, in deren Jugend die Heimatkunde zu kurz kam, und das dürfte die meisten von uns betreffen,
können die Bücher von Hans Scholz ein fesselnder Nachhilfeunterricht sein. Ein vom Thema und von
seiner Aufgabe begeisterter, freundlicher Lehrer führt uns durch unsere nahe Umgebung, die wir so
wenig kennen. Man wünscht sich, neben Scholz zu wandern und seinen Erklärungen zu lauschen. Die
Fülle seiner genauen Beobachtungen überrascht immer wieder von neuem. Neben seiner Menschenund Geschichtskenntnis, ist es seine große künstlerische Begabung, die ihn gründlicher hinsehen
läßt. Die Reproduktion der wunderschönen Aquarelle, deren Anblick so positiv stimmt, sind eine
weitere Bereicherung seiner Bücher.
Band 4: Dieses Buch hat Jüterbog mit Umgebung zum Hauptthema. Es beginnt mit dem Fürstentag
1611. Damals zählte man die Begleitung der Fürsten nach Pferden und nicht nach Personen; sie betrug 1112 Rösser. Scholz befaßt sich dann mit der„heydnischenGreul" und dem neurotischen Verhältnis derMärker zu ihren heidnischenAhnen.-AuchLuther fand das Land noch voller Teufel. - Da
Scholz für den Ablaßhandel uns heute geläufige Ausdrücke aus der Staats-Ökonomie verwendet, wird
dem Leser die doch sonst recht unverständliche Materie klar. Tetzel verbrannte danach Luthers
Thesen auf dem Marktplatz von Jüterbog. Elisabeth, Gemahlin des Kurfürsten Joachim I. flüchtete,
mit Zwischenstation in Jüterbog, nach Sachsen, weil sie heimlich zum neuen Glauben übergetreten
war; welche Aufregung um diesen Übertritt. Was der Leser aber bisher kaum wußte: Sie nahm die
Schuldscheine ihres Bruders, Christians II. („der Böse" von Dänemark) mit, nach heutiger Schätzung
ein Wert von weit über 20 Mio. Mark, die sie ohne Einbruch in die kurfürstliche Kanzlei kaum bekommen haben kann. In dem aufregenden Band folgt dann eine Schilderung des Spreewaldes und von
Schloß Lübbenau. Der Leidensweg von Hans Kohlhase („Michael Kohlhaas"), der den neuen Rechtsweg ehrlich beschreiten wollte, dabei aber keine Unterstützung der Kurfürsten von Brandenburg und
Sachsen erhielt, und darum scheitern mußte, schließt sich an. Die Schilderung der Burg Eisenhardt in
Beizig und die Lehniner Weissagung sind die weiteren Themen dieses Buches.
Band 5: Der Autor beginnt mit der Brandenburg und den Herulern auf ihrer Nordwanderung. Er versucht mit Ausdauer, die Vorurteile, die aus der „Slawophilie" des vorigen Jahrhunderts entstanden
sind, und die wir noch lange nicht abgelegt haben, abzutragen. Denn: „Sclaveni" bedeutet seiner Auffassung nach nicht Slawen! Bis 1526 befand sich eine Triglaw Statue in Brandenburg, sie wurde König
Christian II. von Dänemark überlassen und ist nun verschollen. Der Abriß der berühmten MarienKirche auf dem Harlunger Berg durch den Soldatenkönig und der Schaden, den die Kulturlandschaft
Brandenburg dadurch erlitt, ist nicht recht zu ermessen: zuerst der 30jährige Krieg und dann dies. In
Rathenow und Rhinow erlebte Hans Scholz das Kriegsende. - Am Gollenberg bei Stölln verunglückte
Otto Lilienthal tödlich. Erschütternde Schilderungen des Untergangs bekannter Familien 1944 und
Vertreibungen 1945. Bahnhof Lichtenberg. Neustadt/Dosse. Bad Wilsnak mit Wallfahrtsrummel.
Fehrbellin. - Momentaufnahmen und persönliche Erlebnisse. Band 6: Ein Buch mit besonders vielen Wanderungen und Fahrten. Scholz führt uns von Nauen nach
Friesack, nach Havelberg, Potsdam und Babelsberg, Zeuthen, Kyritz, Wittstock, Jerichow, Tangermünde und Stendal. Viele andere Orte berührt er dabei kurz, und über den Aufenthalt auf dem Bahnhof Henningsdorf erfreut er den Leser mit einer sehr gelungenen lyrischen Betrachtung. Eine
„seelenbeflügelnde Weite des Eibtals" beim Ausblick von Tangermünde. Scholz ist zugleich Schriftsteller, Reporter, Künstler, Lyriker, Historiker, Forscher, Erzieher und ganz bestimmt noch mehr.
Über den gelegentlich von ihm erwähnten „Westdrall" der Berliner möchte man gerne mehr hören.
Unverständlich bleibt jedoch, warum der Autor es Bismarck anlastet, daß das Reich nur 74 Jahre ange-
84
dauert hat. Die Ansichten von Scholz über die ältere und jüngere Vergangenheit kann man vielleicht
- sicher - nicht alle teilen, man kann sie j edoch stets respektieren.
Zeitweise hat man den Eindruck, daß der Autor etwas zu depressiv ist, weil er sich „alt" findet. Solche
Gedanken sollte man ihm ausreden. Wer derart lebendige Bücher schreibt, der ist wirklich nicht alt,
ganz abgesehen von seiner Wanderleistung über viele Kilometer.
Vera Gottke
Wilhelm Lux: Von der Wolga zur Bernauer Straße. Berlin: Verlag Die Arbeitswelt 1979. 000 S.
m. Abb., brosch.
Mit seinen Erinnerungen eines Berliners aus der Zeit des 2. Weltkrieges bis zum Bau der Mauer in
unserer Vaterstadt ruft der Verfasser alle - besonders aber die heutige Generation - auf, die geschichtlichen Lehren der Vergangenheit nicht zu vergessen! Leider betrachten heute viele Menschen
diese Jahre schon als ein weit zurückliegendes „Märchen" - besonders, wenn sie diese Jahrzehnte
nicht selbst erlebt haben.
Gedanken und Gespräche von aufrechten Demokraten, die von den oft entsetzlichen Ereignissen
damals betroffen wurden, geben dem aufmerksamen Leser ein klares Bild der Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg, eine richtige Antwort auf die heute oft verwundert gestellte Frage: Wie konnten die
Deutschen diese Diktatur von 1933 bis 1945 mitmachen? Den Zeitgenossen schien dies einfach:
Auf der einen Seite zeigten sich Reichtum und Korruption sowie versagende Parteien; dagegen
standen auf der anderen Seite zwei radikale Arbeiterparteien mit einem Reservoir von 6 Millionen
Arbeitslosen und ihren Familien, die verzweifelt auf einen Halt während der Fahrt in den sichtbaren Abgrund hofften. Da die meisten keine Sowjet-Diktatur wollten, wählten sie als „vorletzte"
Chance deren schärfsten Gegner. So konnte der Reichspräsident die Bildung einer „nationalen"
Regierung veranlassen. Weil Militär, Industrie und Banken ebenso wie die Geldgeber mitmachten,
kam der unvorstellbare Aufschwung. Mit dem dann folgenden Größenwahn - ein Kennzeichen aller
Diktaturen - ging es dann nach den friedlichen Erfolgen und den Blitzsiegen bis in das totale Chaos.
Unter diesen Folgen erlebten - nach dem Ende des Krieges - die Berliner mit der Blockade, dem
Aufstand vom 17. Juni 1953 und dem Bau der Mauer am 13. August 1961 die schlimmsten Zeiten.
Jeder Zeitgenosse, der alles dieses mitgemacht hat, muß Wilhelm Lux für seinen Mut zum Versuch
einer objektiven Darstellung dankbar sein.
Fritz Bunsas
Berlin . . . ma so jesehen . . . von Alex und Oskar. (Ähnlichkeiten mit lebendije Personen oda jewisse
örtlichkeiten, ooch Insitutsjonen jenannt, sinn janz ßufällich!) Berlin: Stapp Verlag 1978. brosch.,
81S., 12,80 DM.
Alex und Oskar, die sich nur mit dem Vornamen vorstellen, haben gemeinsam einen bebilderten
Gedichtband vorgelegt, der auch etwas Prosa enthält. Zumeist werden die Poeme in berlinischer
Mundart wiedergegeben. Wo sie nicht zeitkritisch sind, sind sie doch wenigstens zeittypisch, z.B. auf
Seite 31 „Paritätische Mitbestimmung in Kommunalbetrieben". Manche Gedichte erscheinen etwas
sentimental-unberlinerisch. Einen sehr freien, zu Herzen gehenden Ton trifft Alex in seinem der Knef
gewidmeten Gedicht „Der Star". Oskar zeigt sich mehr von seiner betulichen Seite.
H. G. Schutze- Berndt
V o n den früheren Ausgaben des Jahrbuchs
DER BÄR VON BERLIN
sind noch folgende Bände erhältlich:
1 9 5 3 , 1 9 5 7 / 5 8 und 1960 je 4,80 D M ; 1 9 6 1 , 1 9 6 2 , 1963 und 1964 je 5,80 D M ;
1965 (Festschrift) 38 D M ; 1 9 6 6 , 1 9 6 7 , 1968 und 1969 j e 9,80 D M ;
1971 und 1972 je 11,80 D M ; 1 9 7 3 , 1 9 7 4 und 1975 je 12,80 D M ;
1976 und 1977 je 18,50 D M ; 1978 = 22,80 D M .
Bestellungen nur an die Geschäftsstelle des Vereins.
85
Nachdem jetzt vier weitere Jahrgänge dieser „Mitteilungen" vorliegen (1975 bis 1978), sei auf
die Möglichkeit hingewiesen, durch eine Sammelbestellung das Einbinden der Hefte gegebenenfalls zu verbilligen. Interessenten an einer derartigen Aktion werden gebeten, zunächst Name und
Anschrift an unseren Bibliothekar K. H. Grave, Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins,
Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10 (Charlottenburg), zu leiten. Bei genügend großem
Interesse kann dann ein entsprechender Preis ausgehandelt werden.
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge
67 — 70 «• 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 — 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis
unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin41,zu richten.
linser diesjähriges Jahrbuch „Der Bar von Berlin" wird im September erscheinen. Es enthält acht
Beiträge mit insgesamt ca. 40 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer
Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band zugeschickt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das
laufende Jahr U.Z.. 36 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 22,80 DM. Bestellungen von
Nichtmitgliedem, Zusatzbestellungen oder Bestellungen von Buchhandlungen direkt in der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, und beim Verlag: Westkreuz,
Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49.
Im II. Vierteljahr 1979
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Günther Bartels, Kaufmann
Petersstraße 51, 4060 Viersen 1
Tel. (0 21 62) 1 83 70
(Cordel)
Johannes Freida, Pensionär
Onkel-Bräsig-Straße 39, 1000 Berlin 47
Tel. 6 06 87 39
(Schriftführer)
Hans-Jürgen Gehrmann, Postbeamter
Neuköllnische Allee 81, 1000 Berlin 44
Tel. 6 84 49 43
(Schriftführer)
Gertrud Gudat, Krankenschwester
Lauenburger Straße 115, 1000 Berlin 41
Tel. 7 95 75 08
(Schriftführer)
Georg Hensel, Rentner
Hortensienplatz 3, 1000 Berlin 45
Tel. 8 34 74 44
(Brauer)
Gerhard Hintze, Senatspräsident
Frankenhauser Straße 6,1000 Berlin 46
Tel. 7 11 32 24
(Schriftführer)
Xh
Karl Hoheusel, Sozialsekretär
Zingster Straße 4, 1000 Berlin 65
Tel. 4 93 49 82
(Schriftführer)
Gottfried Kopitzki, Dipl.-Ing.
Hollabergweg 19, 1000 Berlin 42
Tel. 7 41 44 19
(Schriftführer)
Horst Krieg, Verwaltungsangestellter
Guineastraße 12,1000 Berlin 65
Tel. 4 5145 41
(Schriftführer)
Helga Prouty
Naunynstraße 9, 1000 Berlin 36
(Charlotte Wodrich)
Christiane Ressel, Röntgenassistentin
Jenaer Straße 6,1000 Berlin 31
Tel. 8 54 38 98
(Christa Riedel-Hartwich)
Ilse Stein, Rentnerin
Norderneyer Straße 12,1000 Berlin 33
Tel. 8 24 41 54
(Schriftführer)
Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land
Die diesjährige Exkursion führt in die Stadt Braunschweig und in deren Umland. Mit der freundlichen Unterstützung des Stadtarchivs Braunschweig (Dr. Garzmann) konnte für das letzte Wochenende der Berliner Schulferien das folgende Programm gestaltet werden:
Freitag, 31. August 1979
7.30 Uhr
Abfahrt von der Hardenbergstraße 32 (Berliner Bank)
12.00 Uhr
Ankunft in Braunschweig, Hofbrauhaus Wolters, Begrüßung und Imbiß
13.30 Uhr
Führung durch die Brauerei
15.00 Uhr
Abtrunk mit Vortrag Dr. H. G. Schultze-Berndt: „Zur Geschichte des Braunschweiger Bieres und des 350jährigen Hofbrauhauses Wolters"
19.30 Uhr
Gemeinsames Abendessen im „Haus zur Hanse", Güldenstraße 7
Sonnabend, 1. September 1979
9.00 Uhr
Aufbruch zur Fahrt ins Braunschweiger Land
9.30 Uhr
Besichtigung der Deutschordenskommende Lucklum, Führung Segeband von Henninges
11.00 Uhr
Besuch des Eulenspiegelmuseums in Schöppenstedt; einführender Vortrag Otto
Buhbe, Vorsitzender des Freundeskreises Till Eulenspiegels e. V.
13.00 Uhr
Gemeinsames Mittagessen in der Gaststätte Reitling im Elm
14.30 Uhr
Besichtigung der Stiftskirche in Königslutter, Führung Stadtarchivar Heinz Röhr
16.00 Uhr
Kaffeetrinken im „Grünen Jäger" in Riddagshausen, anschließend Spaziergang über
den Kleiderseilerweg zur Klosterkirche Riddagshausen unter Führung von Pastor
Dr. Gottfried Zimmermann
19.30 Uhr
Abendessen im Gewandhaus am Altstadtmarkt
Sonntag, 2. September 1979
9.30 Uhr
Stadtrundgang unter Führung von Dr. Garzmann: Altstadtmarkt, Magniviertel mit
St. Ägidien, Burgbezirk
11.15 Uhr
Besichtigung des Domes St. Blasii, Führung Domvogt Reuter
12.00 Uhr
Besuch des Herzog-Anton-Ulrich-Museums, Führung Oberkustos Dr. Bodo Hedergott
13.30 Uhr
Gemeinsames Mittagessen im Hotel Lorenz
Anschließend
Abfahrt nach Berlin.
Für eine Kaffeepause wird noch eine geeignete Gaststätte gesucht.
ca. 20.00 Uhr
Ankunft in Berlin
Änderungen vorbehalten
Im Frühlingshotel, Bankplatz 7 (Stadtmitte), 3300 Braunschweig, sind vorsorglich zunächst 30 Einzelzimmer (36 DM) und 15 Doppelzimmer (66 DM Endpreis) reserviert worden. Alle Interessenten
werden gebeten, sich formlos bei Dr. Hans Günter Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65,
schriftlich anzumelden. Meldeschluß ist wegen des dann beginnenden Urlaubs des Schriftführers der
31. Juli 1979. Für die Studienfahrt wird ein Teilnehmerhonorar von 53,50 DM je Person erbeten,
das die Fahrt in einem neuwertigen Omnibus, den Ausflug in das Braunschweiger Land sowie alle
Führungen und Eintrittsgelder einschließt. Dieser Teilnehmerbetrag kann bei Schulkindern gegebenenfalls ermäßigt werden.
Für die gemeinsamen Mahlzeiten wurden bis jetzt folgende Gedecke vereinbart: Gaststätte Reitling
im Elm: Spargelcremesuppe, gemischte Bratenplatte mit Rahmsauce, Rosenkohl und Schwenkkartoffeln, Caramelspeise = 15 DM; Grüner Jäger: Portion Kaffee und ein Stück Sahnetorte = 5,30 DM.
Auch die weiteren Menüs, die später im Rundschreiben mitgeteilt werden, halten sich im Rahmen.
Es ist vorgesehen, daß die Abendmahlzeiten ä la carte eingenommen werden.
H. G. Schultze-Berndt
87
Veranstaltungen im III. Quartal 1979
1. Dienstag, den 17. Juli 1979, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Bacher: „Alfred
Döblin - Arzt und Schriftsteller in Berlin". Filmsaal des Rathauses Charlottenburg.
2. Sonnabend, den 21. Juli 1979, 14 Uhr: „Erinnerungen aus der Geschichte des Botanischen Gartens und des Museums". Vortrag und Führung von Herrn Dr. Zepernick.
Treffpunkt: Eingang Museum, Königin-Luise-Straße 6. Fahrverbindungen: Busse 1 und
68, U-Bahn Dahlem Dorf.
Im Monat August finden keine Veranstaltungen statt.
3. Freitag, den 31. August, bis Sonntag, den 2. September 1979: Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land.
Bitte beachten Sie das Programm und den Anmeldetermin auf Seite 87.
4. Sonnabend, den 8. September 1979, 10 Uhr: „Von Lietzow nach Alt-Charlottenburg". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Alt-Lietzow, Ecke Warburgzeile. Fahrverbindungen: Busse 54, 55 und 62.
5. Sonnabend, den 22. September 1979, 10 Uhr: Besuch der Ausstellung „Max Liebermann". Treffpunkt: Vestibül der Nationalgalerie. Fahrverbindung: Busse 24, 29, 48,
75 und 83.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist
zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Freitag, den 20. Juli und 21. September, ab 17 Uhr: Zwangloses Treffen in der Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Landesarchiv, 1000 Berlin 30, Kalckreuthstraße 1 — 2 (Ecke
Kleiststraße). Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister:
Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins:
Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 1801200 bei der Berliner Bank,
1000 Berlin 19, Kaiserdamm 95.
Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang
Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
8S
A1015FX
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865 Ratshtbüothek
75. Jahrgang
Heft 4
^~J—
Oktober 1979
89
Moses Mendelssohn und Berlin
i Zum 250. Geburtstag des Philosophen der Aufklärung
Von Ernst G. Lowenthal
Er war zwar im anhaltischen Dessau geboren, Sohn bedürftiger Eltern, am 6. September
1729. aber den weitaus größten Teil seines tätigen, schöpferischen, auch richtungweisenden
Lebens hat er, von 1743 an, im preußischen Berlin verbracht.
Fast mittellos, jedoch beseelt von einem ungeheuren Lerneifer und Wissensdrang, war der
vierzehnjährige Moses Mendelssohn nach Berlin gekommen, den Spuren seines ihm so vertrauten, von ihm so verehrten, talmudbeflissenen Lehrers folgend, des Rabbiners David
Hirschel Fraenkel (Berlin 1707 — 1762), der erst kurz vorher aus Dessau als Oberland- und
Stadtrabbiner nach Berlin berufen worden war. Das war drei Jahre nach dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen. Fraenkel fand für seinen Schüler bei dem wohltätigen
Heimann Bamberger (1764 in Berlin gest.) eine erste Unterkunft; er besorgte für ihn auch
den einen oder anderen Freitisch und, indem er ihn mit Abschriften seiner Arbeiten betraute, verschaffte er ihm sogar einen bescheidenen Erwerb. Mit Hilfe seiner kargen
Ersparnisse kaufte sich Mendelssohn Bücher, auch um Deutsch zu lernen. Dr. Alexander
Kisch (1725 — 1803), ein junger Arzt aus Prag, half ihm im Lateinischen, der philosophisch
gebildete Israel Samocz (etwa 1700—1772) machte ihn mit den Grundlagen von Mathematik und Logik bekannt, und ein anderer Arzt, Aron Salomon Gumperz (1723—1769),
unterrichtete ihn in neuen Sprachen und der dazu gehörigen Literatur. Er war es auch, der
Moses Mendelssohn dem wohlhabenden Seidenfabrikanten Isaak Bernhard als Hauslehrer
empfahl. Von 1754 an auch Buchhalter in Bernhards Geschäft, wurde Mendelssohn später
der Geschäftsführer und schließlich der Teilhaber der Firma. Dadurch wirtschaftlich
einigermaßen unabhängig geworden, konnte er fortan seinen Drang nach Bildung und
Wissen weit leichter stillen als bis dahin.
Durch Gumperz kam er in Verbindung mit Lessing und dessen Berliner Kreis, insbesondere mit dem Verleger und Schriftsteller Friedrich Nicolai (1733 — 1811). In diesem
Zusammenhang erhielt Mendelssohn die erste Anregung zu seinen philosophischen und
ästhetischen Schriften. Mit seinen „Philosophischen Gesprächen", 1755 erschienen, trat
er erstmals vor die literarische Öffentlichkeit. Es folgten seine „Briefe über die Empfindungen". Durch den „Phädon" (oder „Über die Unsterblichkeit der Seele", 1767) wurde
er berühmt. So entwickelte sich manche Beziehung zu geistig führenden Persönlichkeiten,
darunter Herder und Gleim, ja selbst Goethe. In Mendelssohns Berliner Haus in der
Spandauer Straße 68 kam auch der schweizerische Theologe und Schriftsteller Johann
Caspar Lavater (1741-1801), dessen offizielle Bekehrungsaufforderung Mendelssohn,
„im Herzen von der Wahrheit des Judentums überzeugt", viel Kummer und Ärger bereitete. In „Nathan der Weise" hat Lessing der versöhnenden Haltung seines Freundes
Mendelssohn ein nachhaltig-eindrucksvolles Denkmal gesetzt. Manche französischen Zeitgenossen nannten ihn den „Juif de Berlin" oder den „Juif ä Berlin".
In und von Berlin aus hat sich Moses Mendelssohn auch für die Reformbestrebungen unter
den Juden, für die Verbesserung ihrer geistigen und gesellschaftlichen Lage eingesetzt, wie
in Preußen so auch anderwärts, in Sachsen, im Elsaß und in der Schweiz. Aus dieser Situation heraus entschloß er sich, seine Übersetzung des hebräischen Pentateuch, ursprünglich
90
nur für seine Kinder gedacht und bestimmt, zu veröffentlichen (1780/83). Die Wirkung
in Europa war, wenn auch im innerjüdischen Bereich keineswegs einhellig, höchst
beachtlich. Dies ermutigte ihn zu weiteren Übertragungen jüdisch-religiöser Schriften ins
Deutsche und, darüber hinaus, überhaupt zur Förderung der Bemühungen um die Emanzipation der Juden, wie sie der mit ihm befreundete preußische Kriegsrat Christian Wilhelm
von Dohm (1751-1820) in seiner Schrift „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden"
(1781) forderte. Zwei Jahre danach beschloß Mendelssohn sein philosophisch fundiertes
Buch „Jerusalem" (oder „Über religiöse Macht und Judentum"), in dem er das Verhältnis
von Kirche (beziehungsweise Synagoge) und Staat behandelt und für das Recht auf Glaubensfreiheit eintritt.
Dieses weitfassende und vielartige kulturelle und politische Werk hat Moses Mendelssohn
im Berlin der Jahre 1755 bis 1785 vollbracht. Erst 1763, zwanzig Jahre nach seiner Niederlassung in der preußischen Hauptstadt, hatte er - und zwar nur für seine Person - den
Schutzbrief Friedrichs des Großen erhalten, während seiner Witwe und seinen sechs überlebenden Kindern das Generalprivileg 1787 von Friedrich Wilhelm II. gewährt wurde. Im
gleichen Jahr 1763 hatte Moses Mendelssohn die von der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin zur Bearbeitung gestellte Preisfrage mit seiner Schrift „Über die
Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" beantwortet. Er gewann den ersten Preis;
Kant erhielt den zweiten.
1762 hatte er die Hamburgerin Fromet Gugenheim geheiratet (Mendelssohns zarte und
innige Brautbriefe kamen 1936, zu seinem 150. Todestag, im Schocken-Verlag Berlin heraus, ein charakteristisches Zeitdokument). Der Ehe entsprossen zahlreiche Kinder, von
denen mindestens sechs überlebten. Auch sie hatten reichen Nachwuchs. So ist Moses
Mendelssohn zum Gründer und Ahnen einer großen, über Berlins und Deutschlands
Grenzen hinaus weitverbreiteten Familie geworden. Dieser entstammen, außer seinem
berühmten Enkel Felix Mendelssohn-Bartholdy (Hamburg 1809 - Leipzig 1847), dem
Komponisten und Dirigenten, dessen Wirken zeitweise auch mit Berlin eng verbunden war,
eine stattliche Reihe namhafter Repräsentanten des wissenschaftlichen, künstlerischen und
Wirtschaftslebens (die jedoch in ihrer Mehrzahl seit Generationen dem Judentum nicht
mehr angehören). Da, wo Moses Mendelssohn 1786, am Ende eines ungewöhnlichen
Lebens, zur letzten Ruhe bestattet wurde, auf dem (1672 angelegten, aber 1943 von den
nationalsozialistischen Machthabern vernichteten) jüdischen Friedhof in der Großen
Hamburger Straße, dem ältesten jüdischen Gottesacker Berlins, steht jetzt ein einfacher,
heller Gedenkstein mit dem Namen und den Lebensdaten des Mannes.
Als sich vor wenigen Wochen sein Geburtstag zum 250. Mal jährte, fand in Berlin, gemeinsam veranstaltet vom Senat und der Mendelssohn-Gesellschaft e.V., in der Staatsbibliothek
Preußischer Kulturbesitz ein offizieller Gedenkakt statt. Gleichzeitig wurde die vom
Mendelssohn-Arphiv der Staatsbibliothek vorbereitete Moses-Mendelssohn-Ausstellung
eröffnet und der vom Land Berlin gestiftete Mendelssohn-Preis zur Förderung des Toleranzgedankens bekanntgegeben. Rechtzeitig zu diesem Jubiläum erschien Band IV der
„Mendelssohn-Studien" (Verlag Duncker & Humblot, Berlin), ausschließlich dem Gedenken an den Philosophen gewidmet. Die Landespostdirektion Berlin gab anläßlich des
250. Geburtstages eine 90-Pfennig-Sondermarke mit dem Bildnis Moses Mendelssohns
heraus.
Immer wieder im Verlauf der letzten 150 Jahre ist, insbesondere in Berlin, dieses bedeutenden deutsch-jüdischen Denkers und Reformers ehrend gedacht worden; das gilt vor
91
allem für das Jahr 1929, als sich die Veranstaltungen hauptsächlich auf Berlin und Dessau
konzentrierten und von bemerkenswerten Veröffentlichungen in Buch- und Artikelform
begleitet waren. Im folgenden seien zwei solcher Publikationen, namentlich weil sie sich
mit Mendelssohns Beziehungen zu Berlin beschäftigen, auszugsweise wiedergegeben;
beide stammen aus der Feder der angesehenen Historikerin und Publizistin Dr. Bertha
Badt-Strauss (Breslau 1885 - USA 1970), die im Jubiläumsjahr gemeinsam mit ihrem
Mann, dem Studienrat Dr. Bruno Strauss (1889—1969), auch das Buch „Moses Mendelssohn, der Mann und sein Werk" (Welt-Verlag, Berlin 1929) herausbrachte. Ihren Artikel
„Mendelssohn und die Berliner" im Unterhaltungsblatt der „Vossischen Zeitung" (Berlin)
vom 6. September 1929 schloß Bertha Badt-Strauss mit dieser Feststellung:
Mendelssohns Leben im alten Berlin gliedert sich in drei große Abschnitte: da ist der Schüler
aus Dessau im Kreise der jungen jüdischen und christlichen Aufklärer, von dem Doktor
Gumperz bis zu den Alumnen des Joachimsthalischen Gymnasiums; der Mitarbeiter Lessings
und Nicolais, der an der Berliner gelehrten Geselligkeit bescheiden teilnimmt; endlich der
Hausherr in der Spandauer Straße, dessen Haus selbst zu einem in ganz bestimmtem und fast
einzigen Sinne wichtigen Mittelpunkte dieser alten Berliner Gesellschaft geworden ist. Denn
hier ist allgemach aus Moses Mendelssohn, dem jüdischen Bürger der Residenzstadt
Friedrichs des Großen, der Bürger einer Welt geworden.
Im übrigen führte Bertha Badt-Strauss in dem Aufsatz - zunächst ausgehend von Mendelssohns Lehrern — u.a. aus:
Krönung und Anfang dieses gemeinsamen Strebens war es, als Gumpertz den jungen
Mendelssohn im Anfang des Jahres 1754 zu Lessing führte. „In einer sehr kleinen Stube in
einem sehr kleinen Hause auf dem Nicolaikirchhofe", so beschreibt Nicolai, der sie gut
kannte, einmal Lessings derzeitige Wohnung, die ja dann und wann nicht nur dem Besitzer,
sondern auch einem Stubengenossen, dem kleinen Bauzner Naumann, Obdach gewährte einer etwas unklaren Personnage von großen Aspirationen, über den sich Lessing weidlich
lustig machte und der auch in Mendelssohns Briefen manchmal mit einem Lächeln abgetan
wird. Diese kleine Stube war der Schauplatz jener berühmten „Morgengespräche" zwischen
Lessing und Mendelssohn, wo zwischen sieben und neun Uhr in der Frühe hundert Probleme
berührt und angeregt wurden, bald in raschem Vorbeigehen, bald in bedächtigerem Verweilen. - Nicht weit davon lag das Haus in der Spandauer Straße, um dessen Wiedererkennung
sich noch kürzlich ein Streit erhob - heute ist es längst dem Durchbruch der Kaiser- WilhelmStraße zum Opfer gefallen - . „Unser Haus" nannten es damals die Freunde, wie Nicolai
berichtet. Denn nacheinander hatten Lessing, Ramler, Nicolai, Mendelssohn dort gewohnt.
Es ist das Haus, das heute die Nummer 33 trägt (früher Nr. 68). Hier im Herzen des alten
Berlin scheint sich damals eine ganze Kolonie von Dichtern, Schriftstellern, Literaten - kurz
„Luftmenschen" - niedergelassen zu haben. „Schwabing im alten Berlin", wie man es kürzlich nannte. Ganz nahe lag Vossens Buchhandlung im Viebahnschen Hause in der Königstraße, die 1753 ins Gewölbe unter dem Rathaus übersiedelte - der Ort, wo der Büchermensch täglich ein paar Stunden verbrachte, um das Neueste aus dem Reiche der Gelehrsamkeit kennenzulernen; und von wo Mendelssohn, dem tagsüber nicht so gut wurde, sich frühmorgens rasch Kleists eben erschienene Gedichte holen ließ, um Nicolai damit eine Freude zu
machen. „Eine ganze Straße voll Freunde" nennt Ramler in dieser Zeit eine dieser Straßen
einmal.
Bald zerstiebt der freundliche Kreis. Lessing, der unermüdliche Anreger und Erwecker, verläßt nach seiner Art 1755 ziemlich plötzlich Berlin, um nach Leipzig zu gehen. Nun wird das
92
menschenreiche Berlin allgemach für Mendelssohn „die große, musenlose Stadt", die „Einöde", wo er wie in einer Einsiedelei lebt. Einzig mit Nicolai will er noch umgehen, weil ihm
in seinen Gesprächen ein Abglanz der Lessingschen Morgengespräche zu leben scheint.
Diesen guten Freund und freundwilligen Verleger der Literaturbriefe besucht er manchmal
in seinem Garten. Damit lernen wir nun ein ander Bild von altberliner Geselligkeit oder
geselliger Einsamkeit kennen, das allmählich im Briefwechsel Lessings und Mendelssohns
immer deutlicher hervortritt - die Gartenfreuden. Der Berliner liebte ja schon damals, wie
Rahel Levin es später als wichtigste ihrer Eigentümlichkeiten bezeichnet, „das Grüne". Aber
man reiste noch nicht, um die Schönheit der Welt zu genießen; da mußte schon irgendwo ein
heilkräftiger Brunnen winken, den man dann unter philosophischen Gesprächen schlürfte wie es etwa Mendelssohn in Pyrmont in Gesellschaft des Grafen von Schaumburg-Lippe und
seiner holden Gemahlin tat. - Dafür tat man daheim etwas anderes in dem löblichen Bestreben, die Natur in den Alltag der Großstadt aufzunehmen: man mietete einen Garten. Beileibe
nicht nur, um dort ungestört Vogellied zu hören und Blumenduft zu riechen. Nein: dieses
menschenfrohe Geschlecht will auch dort unter grünen Bäumen mit guten Freunden erbauliche und belehrende Gespräche führen. So schildert Mendelssohn seine Stunden in Nicolais
Garten: „Ich besuche Herrn Nicolai sehr oft in seinem Garten. . . Wir lesen Gedichte; Herr
Nicolai liest mir seine eigenen Ausarbeitungen vor; ich sitze auf meinem kritischen Richterstuhl, bewundere, lache, billige, tadle, bis der Abend hereinbricht. Dann denken wir noch
einmal an Sie, und gehen, mit unsrer heutigen Verrichtung zufrieden,
auseinander..."
Im Hintergrunde dieser intimen Zusammenkünfte von zweien oder dreien steht aber allgemach die gebildete Geselligkeit des erwachenden Berlin. Schon 1755 hat Müchler eine
gelehrte Gesellschaft von etwa 100 Personen in dem berühmten „Gelehrten Kaffeehause"
vereinigt. Man hat im Englischen Hause, wie der Gründer selbst in einem Briefe an Breitenbauch erzählt, zwei Zimmer gemietet, wo auch ein Billard steht, das die Gesellschaft auf ihre
Kosten hat machen lassen — und das nun wieder bestimmt ist, einen Teil der Geselligkeitskosten zu tragen. Dort kommt man alle Tage hin, bekommt Kaffee und alles, was man haben
will, für billigen Preis und findet immer angenehme Gesellschaft. Dort erklärt der Mathematiker Euler, Sohn eines berühmten Vaters, am Billard selbst, um das sich alle scharen, die
Gesetze der Mathematik; dort bringt aber auch Mendelssohn seine Abhandlung über die
Wahrscheinlichkeit zu Gehör. Gebildete Militärs wie der Leutnant Jacobi und der Oberst
Möller, Theologen wie der spätere Feldprediger Lüdke, Naturwissenschaftler wie Aepinus,
gehören zu den Mitgliedern.
Mitten hinein in diese schönwissenschaftliche Geselligkeit stößt der siebenjährige Krieg. Alles
stiebt auseinander. „Wir leben in einer düsteren, schwermütigen Zeit..." schreibt Mendelssohn an Abbt. „Zu Wasser und zu Lande, vom Aufgange bis zum Niedergange ist ein
Menschenwürgen; Könige gehen zu Fuße, Geldwechsler fahren mit Sechsen. Dichter belagern Festungen, und Weltweise heiraten." — Der Dichter, der Festungen belagert, ist Lessing,
der Sekretär des Generals Tauentzien; der Weltweise aber, der im Verfolg aller dieser trüben
Weltwirren heiratet, ist niemand andres als Mendelssohn selbst. Rasch blitzt ein Bildchen wie
aus „Hermann und Dorothea" auf; wie dort die Eltern nach dem Brande, nach dem Verlust
alles Eigentums, ihren Lebensbund schließen, so wählt Moses Mendelssohn gerade diese
bedrohte und angstvolle Zeit, um aus dem „friedsamen Hamburg" seine Mamsell Braut, die
„zärtlichste Gugenheim", wie seine Brautstands-Briefe sie in etwas steifer Rokoko-Galanterie
nennen, nach dem ringsum von Feinden umgebenen Berlin zu führen.
Vorher aber war eine für die Gründung eines jüdischen Hausstandes im Berlin des 18. Jahr-
93
Hunderts unerläßliche Bedingung zu erfüllen. Am 26. März 1762 konnte Mendelssohn seiner
Braut nach langem Hin und Her endlich melden: „Gestern ist unser Niederlassungsrecht mit
Gottes Hilfe akkordiert worden. Nunmehr sind Sie so gut wie Herr Moses Wessely ein
preußischer Untertan und müssen die preußische Partei ergreifen. Sie werden also auf gut
preußisch alles glauben, was zu unserm Vorteil ist. Die Russen, die Türken, die Amerikaner
stehen uns alle zu Dienst und warten nur auf unsern Wink. Unsre Münze wird noch besser als
Banko, die ganze Welt wird Sicherheit in Berlin suchen, und unsre Börse wird berühmt sein
vom Schloßplatz bis an unser Haus. Dieses Alles müssen Sie glauben, denn - Sie haben
Niederlassungsrecht in Berlin."
Aus der überströmenden Heiterkeit des Freiers Mendelssohn sieht man schon, von welcher
Bedeutung dieser nach langem Mühen endlich geglückte Schritt auf seinem Wege zur Einbürgerung in Berlin ist. Damit beginnt eine neue Epoche auch in Mendelssohns Stellung zu
den Menschen des alten Berlin. War der zugewanderte Fremdling bis jetzt Gast gewesen,
wohin er auch kam - wenn auch geehrter und bald gefeierter Gast - so erscheint jetzt der
Hausherr Mendelssohn in anderem Lichte. Bald fängt das Haus in der Spandauer Straße an,
eine bestimmte und wichtige Rolle in der Berliner Geselligkeit zu spielen. Fast erscheint es wie
ein Vorläufer jener „Republik des Geistes", wie sie sich ein paar Jahrzehnte später auf demselben Berliner Boden in den bescheidenen Räumen der Mauerstraße gegenüber der Seehandlung bei der jungen Rahel Levin zusammenfand; eine Freistätte, wo Christen und Juden,
Offiziere und Beamte, Schriftsteller und Kaufleute sich vereinigten; und wo „ein jeder nicht
mehr und nicht weniger Wert hatte, als er selbst durch seine gebildete Persönlichkeit geltend
zu machen vermochte". Zugleich aber darf man bei der bescheidenen Geselligkeit im Hause
des Philosophen vorahnend auch schon an die kunstverschönte Geselligkeit im Hause des
Sohnes Abraham Mendelssohn am Potsdamer Platz denken. Gewiß, hier mußte die sparsame
Frau Fromet, wie ihr Nachkomme erzählt, sorglich die Rosinen und Mandeln in die Glasschälchen zählen, auf daß nicht zu viel verbraucht würde - auch darin übrigens sich der sparsamen Berliner Gastfreundschaft anschließend. Aber sowohl Henriette Herz, deren Gatte
Marcus Herz Mendelssohns Arzt und Freund war, wie die helläugige Rahel Levin, die mit
Mendelssohns Tochter Brendel, der späteren Dorothea, befreundet war, ja selbst die gern
etwas flunkernde Sara Meyer, später Baronin Grotthus, die aus bestimmten Gründen nicht
gut auf Mendelssohn zu sprechen war: sie alle wissen nicht genug von der Anziehungskraft
der Stunden in Mendelssohns Hause zu erzählen. Besonders hat uns David Friedländer,
Schüler und Verehrer Mendelssohns, in seinen „Unterhaltungen mit Moses Mendelssohn"
das Bild solcher Stunden aufbewahrt: wie in einem Kreise von eifrig disputierenden und
scharf sich befehdenden jungen Leute der Hausherr selbst still und mit niedergeschlagenen
Augen am Fenster in seinem Armsessel sitzt - und dennoch durch ein rasches Aufblicken,
einen plötzlichen Zuruf, ein unvermutetes Eingreifen das Gespräch lenkt und belebt. „Somatische Denkwürdigkeiten" nannten die Zeitgenossen diese Gespräche im Hause Moses
Mendelssohns.
Zuhörer dieser denkwürdigen Gespräche waren neben Schülern und Freunden des Philosophen, zu denen in seinen letzten Jahren neben anderen auch die Brüder Humboldt gehörten, mit wenigen Ausnahmen alle Fremden von Distinktion, die in jenen Jahren Berlin
besuchten. Oft kamen sie schon zu dem Zwecke und in der Absicht, den jüdischen Sokrates
kennenzulernen. So etwa die schöne und geistreiche Elisa von der Recke, die schon im fernen
Kurland durch die Beschäftigung mit Mendelssohns „Phädon" den Unwillen ihrer hochadligen Verwandtschaft erregt hatte. Ihrer Begleiterin, der Pfarrerstochter Sophie Becker,
V4
verdanken wir die lebendigsten Schilderungen solcher Gespräche aus Mendelssohn letztem
Lebensjahre. Da zeigt ein Tag im Schloß Friedrichsfelde bei Berlin, das Elisens Schwester,
der Herzogin Dorothea von Kurland, gehörte, den „Philosophen im Judenbart" in schäferlich-galanten Rokoko-Unterhaltungen über die Idyllen des Schweizers Gesner. Nachmittags
aber liest Ramler aus „Nathan dem Weisen" vor, und Mendelssohn sitzt mit verschlossenem
Munde da, und seine Seele scheint sich bloß in die Augen zurückgezogen zu haben. Ach, was
mußte er auch bald empfinden, da Lessing ihm so ganz Freund im Leben gewesen war. Indessen würde Lessing den Charakter des Nathan minder schön gezeichnet haben, wenn er
nicht in seinem Freunde Mendelssohn das Urbild dazu gekannt hätte.
Wenige Wochen später schickt die Herzogin Dorothea früh morgens ein Billet an Sophie
Becker, dessen erste Zeilen ihr Her: erstarren lassen: „ Unser großer, weiser Mendelssohn ist
diesen Morgen entschlafen." — „Du saßen wir und verstummten, keiner konnte sprechen. . ."
schreibt Sophie Becker in ihrem Tagebuch. „ Welche unersetzliche Lücke hat Berlin, hat die
ganze Welt erhalten!"
War schon in dem vorstehenden, aus der „Vossischen Zeitung" zitierten Aufsatz von
gebildeten Offizieren kurz die Rede, die an Zusammenkünften mit Mendelssohn interessiert teilnahmen, so ging Bertha Badt-Strauss im „Berliner Tageblatt" vom gleichen
6. September 1929 auf diesen besonderen Gesichtspunkt etwas näher ein („Der Philosoph
beim Offizierskorps - Mendelssohn und die Grenadiere von Treuenbrietzen"). Hier
schreibt sie:
Sieht man aber näher hinein in die Zeit, so ist der Gegensatz zwischen fridericianischem
Militär und Mendelssohnischer Philosophie bei weitem nicht so groß, als man glauben sollte.
Der Philosoph auf dem Throne scheint Philosophen in der Kaserne erzeugt zu haben. Und es
ist sonderbar, zu sehen, wie viele Offiziere, Obersten, Leutnants und Grenadiere gerade der
„Jude von Berlin ", wie ihn die Zeit nannte, zu seinen philosophischen Schülern zählte. Durch
Nicolai wußten wir schon von den soldatischen Mitgliedern des „Gelehrten Kaffeehauses",
die Mendelssohns Abhandlung „Ueber die Wahrscheinlichkeit" mit anhörten: dem Obersten
Möller, der nachher durch die Schlacht bei Rossbach berühmt wurde, und dem Leutnant
Jacobi, einem „trefflichen Kopf und vorzüglichen Mathematiker", der bei Olmütz erschossen wurde. — Weniger bekannt aber ist vielleicht, daß es in Preußen ein Grenadier-Bataillon
gab, dessen Offiziere geradezu eine kleine Kolonie von Verehrern und philosophischen
Schülern Moses Mendelssohns darstellten. Das vollzog sich unmittelbar vor den Toren Berlins — in Treuenbrietzen.
Der tapfere Oberst Joh. Andreas von Schölten, der in Treuenbrietzen kommandierte, ist auch
sonst nicht unbekannt. Aus Hamburg gebürtig, zeichnete er sich in Friedrichs Feldzügen vielfach aus, wurde bei Prag und bei Zorndorf verwundet und kam 1778 als Chef des GrenadierBataillons nach Treuenbrietzen. Dort lernt man den eigentümlichen Mann von ganz anderer
Seite kennen: er gründet nicht nur eine Soldaten-Kinderschule, sondern auch eine „Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften und des guten Geschmacks". Alle Monate einmal versammelt sich diese Gesellschaft auf dem Rathause „bey der Gegenwart sämtlicher Herren
Offiziere und ihrer Damen wie auch distinguierter Personen beyderley Geschlechtes"; jedesmal halten zwei Mitglieder eine Vorlesung „militärischen, moralischen, historischen und
ökonomischen Inhaltes"; es ist einigermaßen erfrischend zu hören, daß diese Vorlesung dann
mit einem „sehr wohlbesetzten Konzerte und gesellschaftlichen Tanze" abschließt. - Der
Oberst selbst, der Vorsteher dieser Gesellschaft, scheint etwa um diese Zeit mit Mendelssohn
und seiner Philosophie näher bekannt geworden zu sein. Wir hören, daß er, wie alle Fremden
95
von Distinktion, den jüdischen Sokrates in seinem bescheidenen Studierzimmer in der
Spandauer Straße in Berlin besuchte; ja, wohl öfter besuchte: denn wie er schreibt, waren ihm
alle Gegenstände eben dieses Studierzimmers so vertraut und ehrwürdig, daß er später Marcus
Herz' Beschreibung der Todesstunde Mendelssohns, die in eben diesem Zimmer spielte, vor
innerer Bewegung nicht zu Ende lesen konnte, „da mir die ganze Einrichtung des Zimmers
unseres erblaßten Freundes bekannt war; so sah, so hörte ich auch die kleinsten bei seinem
Tode vorgefallenen Umstände", schreibt er selbst darüber.
Schölten hatte dem Philosophen seine „Rede bei Eröffnung der Gesellschaft in Treuenbrietzen " geschickt; in einem sehr merkwürdigen Briefe an den Obersten dankt ihm Mendelssohn
dafür (am 18. März 1782). Gerade weil diese philosophische Darlegung von einem philosophischen Laien kommt, gerade weil in ihr ein Mann der Tat und nicht ein Mann des Wortes
spricht, hat sie seine Teilnahme gewonnen. Ja, sie regt in ihm den alten Plan einer utopischen
Republik wieder auf: „wo nur derjenige die Erlaubnis haben soll, in seinem Alter Tugend und
Weisheit zu lehren, welcher seine Jugend der Theorie und seine männlichen Jahre der Ausübung derselben gewidmet hat. Wer seine Zeit und seine besten Kräfte dem Staate aufgeopfert
hat, der trete auf und rede von Liebe des Nächsten!"
Man sieht: da ist die Brücke, die Mendelssohn, den Mann der praktisch wirkenden Philosophie, die den Menschen nicht nur besser, sondern auch glücklicher machen soll, mit
Schölten, dem Manne des tätigen Lebens, verbindet. Von hier aus wird klar, was man oft
übersah: warum bei dem Juden aus Dessau so viele Männer praktischen Wirkens — Landwirte, Staatsbeamte, Militärs, selbst Oberförster- Rat und Verstehen suchten. . .
Von den Briefen Mendelssohns an Schölten, die der Oberst nach dem frühen Tode
Mendelssohns an David Friedländer sandte, ist uns, wie es scheint, nur einer erhalten; eben
jener vom 18. März 1782 datierte, den wir oben anführten. Aber etwas anderes ist uns zum
Glück erhalten: ein Brief, den Schölten nach Mendelssohns Tode an David Friedländer
schrieb; schönstes Denkmal einer philosophischen Freundschaft zweier nach Geburt und
Lebensstil von Grund aus verschiedener Menschen. Zugleich auch wichtig als Beispiel
wahrer Vorurteilslosigkeit, wie sie damals (dessen ist sich Schölten wohl bewußt) selbst unter
den Gelehrten vom Range eines Michaelis nicht eben häufig war. „Die aufgeklärte Nachwelt,
das einzige Tribunal, wo große Männer gerecht gerichtet werden, wird daraus lernen, daß
in diesem Jahrhunderte wenigstens einige gelebt haben, die sich aus dem Joch der Nationaloder Sektenvorurteile loszuwinden, und in wahrem Geist eines Weltbürgers, jedem erhabenen
Verdienste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, Mut genug besessen haben."
Hinter ihrem Obersten erscheinen — ob von ihm philosophisch beeinflußt oder wegen ihrer
schon vorhandenen Neigung zur Weltweisheit herangezogen? — zwei Leutnants: von Böse und
von Eberstein. Beide standen mit Mendelssohn im Briefwechsel. Aber ihr Hauptverdienst ist
es, daß sie Mendelssohn einen Mann zugeführt haben, der unter den seltsamen Beichtkindern
des jüdischen Sokrates gewißlich eins der seltsamsten ist. Das war der Benediktinermönch
Frater Maurus Winkopp. Durch Mendelssohns Phädon war der junge Geistliche, wie er selbst
erzählt, „in ein Meer von Zweifeln" gestürzt worden; die beiden Offiziere rieten ihm, sich in
diesen Nöten an den Erreger selbst zu wenden, und Böse vermittelte seinen ersten Brief an
Mendelssohn. Nach diesem ersten Schreiben entstand nun zwischen dem Philosophen und
dem Mönch ein mündlicher und schriftlicher Gedankenaustausch, dem Winkopp später seine
eigentliche seelische Errettung zuschreibt. Leider ist von den Zeugnissen dieser Schülerschaft
nicht allzu viel erhalten; ganz besonders ist uns Winkopp die immer wieder versprochenen
Gespräche mit Mendelssohn schuldig geblieben, die er sich damals nach eigener Aussage
96
sogleich aufzeichnete, und in denen über die letzten Fragen des Lebens verhandelt wurde.
Seltsam berührt es, daß auch Winkopps „zweites Leben" mit Treuenbrietzen, der militärischen Kolonie der Mendelssohn-Verehrer, verknüpft zu sein scheint. Das Vorwort zu seiner
Schrift „Leben, Schicksale und Verfolgungen des Priors Hartungus, oder geheime Philosophie und Charakteristik des Mönchswesens" (Leipzig 1782) ist aus Treuenbrietzen datiert.
Peter Adolf Winkopp, wie er später heißt, ist nach seiner zweimaligen Flucht aus dem Kloster
(mit der Mendelssohn übrigens, wie Winkopp bemerkt, nichts zu tun hatte) ein viel umgetriebener Mann geworden; er lebte als Buchhändler in Mainz, später als Hof-Kammerrat in
Erfurt und Aschaffenburg und schrieb zahlreiche Bücher statistischen oder historischpolitischen Inhalts. Aber Mendelssohns Einfluß auf die entscheidende Wendung seines
Lebens hat er, wie ein Abriß seiner Autobiographie zeigt, niemals vergessen.
Anschrift des Verfassers: Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33,1000 Berlin 37
Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks Mm 125. Geburtstag von Paul Marcus
Von Fritz Bunsas
Bereits vor der Gründung des Deutschen Reiches (1871) hatte Berlin nicht nur auf den
Gebieten von Wissenschaft und Kunst, sondern auch im Bereich des Kunstgewerbes eine
Spitzenstellung in Deutschland erworben. Der Grund für diese Entwicklung ist neben den
hohen Ansprüchen, die der königliche Hof an die kunstgewerblichen Erzeugnisse stellte,
vor allem in der Förderung der preußischen Staatsverwaltung zu sehen. Der z. Z. im Wiederaufbau befindliche Bau des ehemaligen Kunstgewerbemuseums von Gropius und
Schmieden (1877 — 81) legt dafür noch heute Zeugnis ab.
Unter den verschiedenen Sparten des Kunsthandwerks nahm in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts das Kunstschmiedewesen einen besonders starken Aufschwung. Während bis
dahin, z.B. auf der Gewerbeausstellung 1.N44 in Berlin, nur gewerbliche Schlossererzeugnisse, wie Geldkassetten, Tresore u.a. vorherrschten, zeigte schon die Ausstellung 1879 in
dem neu geschaffenen Universum-Landesausstellungspark an der Invalidenstraße zahlreiche sehenswerte Kunstschöpfungen der Eisenschmiederei (Halle VIII). Dazu führte die
laufende Erstellung von vielen repräsentativen Regierungs-, Bank- und sonstigen Geschäftsgebäuden, deren aufwendige Stilfassungen umfangreiches Beiwerk von Schmiedekunst ermöglichten. Der Wunsch nach repräsentativer Gestaltung übertrug sich auch auf die Bauherren großer und kleinerer Wohnhäuser. Hierdurch wurde es vielen tüchtigen Schlossern
und Schmieden ermöglicht, ihr altes Handwerk wieder selbständig zu beleben.
Als einer der ersten, der die einsetzende Entwicklung erfaßte, muß Karl Hauschild genannt
werden. Anläßlich eines Berichtes der Berliner Ausstellung von 1844 wird er schon als
ausgezeichneter Schlossermeister erwähnt, der den kleinen Betrieb seines Vaters sehr
erfolgreich erweitert hatte. Später fertigte er ein ganz beachtliches Gittertor für die Weltausstellung 1867 in Paris. Auf der Weltausstellung in London 1891 erregte er durch einen
47
mit kunstvoll geschmiedeten Ornamenten versehenen Geldschrank großes Aufsehen. Dort
erhielt Hauschild auch sofort große Aufträge.
Einen noch entscheidenderen Einfluß übte Eduard Puls aus, der seine Werkstatt im Jahre
1861 gründete. Ende der sechziger Jahre nahm er bereits eine Führungsrolle in der Berliner Schmiedekunst ein. Der größte Teil der bekanntesten Kunstschmiede ging als Mitarbeiter bzw. als Lehrlinge aus seiner Werkstatt hervor.
Während die Ausdrucksformen zuerst die Renaissance zum Vorbild hatten - teils vermischt mit antiken Reminiszenzen - , ging man zu Beginn der achtziger Jahre zum Barock
und Rokoko über. Die tüchtigen Schmiedemeister schafften ohne Schwierigkeiten alle
diese Wandlungen und brachten so einmalige Werke wie z.B. das große Mitteltor im
Eosander-Portal des Berliner Schlosses (von E. Puls) fertig. Es ist das größte geschmiedete
Tor in den Schlössern Europas.
Die Eigenart der deutschen Schmiede war es, durch eine grobe Ausführung, auch der
Ornamente und Beibehaltung der Werkzeugeindrücke, den Charakter des kraftvollen
Schmiedestückes zu erhalten. Im Gegensatz dazu liebten es die französischen Schlosser
durch Feilen und Ziselieren, die Art der früheren Bronzekunst nachzuahmen.
Berliner Kunstschlosser stellten damals zahllose Gebäudeausschmückungen, Firmenschilder und Kandelaber ebenso schön her wie Balkongitter und Portalüberdachungen.
Besonders markant dafür waren seinerzeit die Arbeiten am Kaufhaus Heller in Berlins
Prachtstraße Unter den Linden und des Kolonial-Hauses in der Potsdamer Straße (Werke
der Firmen Paul Marcus und Schulz & Holdefleiss). Die ebenfalls bemerkenswerten
Geländer der Potsdamer Brücke und die Leitungsmaste an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche stellte Ferdinand Paul Krüger her.
Auf dem riesigen Gelände am Treptower Park mit seinen zahlreichen Pavillons und Hallen,
die sogar einen Teil der alten Stadt Berlin mit dem Spandauer Tor wiedererstehen ließen,
konnte man diese Erzeugnisse in der Gewerbeausstellung von 1896 bewundern. Die verschiedenen Werkstätten hatten bereits zu diesem Zeitpunkt ihre Fertigung auf besondere
Produkte eingerichtet. Die Firma F. Stahl & Sohn (gegr. 1835) zeigte ein prächtiges zweiflügeliges Haustor mit technisch vollendet gearbeiteten Blumenornamenten, die sich zu
einer Krone emporwinden. Dieselbe hohe Qualität boten auch die Schmiedearbeiten der
Firmen A. M. Krause und Ferd. P. Krüger. Hervorragende Kleinkunst stellte die Firma
Emil Klemm mit ihren Hänge-, Tisch- und Ständerlampen, Rauch- und Schreibtischgarnituren zur Ansicht aus. Dagegen präsentierte B. Wiksits kunstvolle Blumenkörbe. Schöne
Treppengeländer aller Art stellten die Firmen P. Franke, Alb. Gossen und G. Kleinschmidt
für die zahlungskräftigen Kunden her. Wie ferner zu sehen war, brachten die Werkstätten
von R. Blume sowie Dregerhoff & Schmidt treffliche Leistungen bei der Anfertigung von
Grabgittern und Türen. Künstlerisch gearbeitete Fahnenmasten waren hingegen die Spezialität von Xaver Kirchhoff. Durch mehrere große Tore, u. a. - im Renaissancestil - für das
neue Abgeordnetenhaus, war Eduard Puls vertreten. Schulz & Holdefleiss glänzte mit der
Gestaltung einer großen Treppe, von Springbrunnen und plastischem Schmiedewerk sowie
einem knieenden Ritter mit Standarte. Paul Marcus stellte etliche Tische, Leuchter, Laternen und Kronen aus.
Die Berliner Schmiedewerkstätten exportierten ihre Produkte bis in die entferntesten
Länder der Erde; z.B. lieferte Hillerschmidt & Kasbaum die schmiedeeisernen Ausschmückungen für die Bauten der Equitable-Versicherung in Sydney und Melbourne, u. a.
Treppen von 50 m Höhe.
98
Hofansicht der Kunstschmiedewerkstatt Paul Marcus in der Monumentenstraße 35, noch mit dem
jetzt verschwundenen schmiedeeisernen Firmenschild
Heute kann man nur noch wenige dieser alten, berühmten Namen in Berlin finden. Einer
von ihnen ist der Name Puls; jedoch stellt die Firma heute moderne Feineisen- und Leichtmetallkonstruktionen her.
Nun soll jedoch ganz besonders noch eines Mannes gedacht werden, dessen Geburtstag
sich am 4. September d. J. zum 125. Male jährte und dessen Arbeiten noch überall in Berlin
zu entdecken sind: Paul Marcus. Sein 1902 errichtetes Firmengebäude steht noch in der
Schöneberger Monumentenstraße 35. Es fällt dem aufmerksamen Spaziergänger durch
seine schön gegliederte - nach dem letzten Krieg leider etwas vereinfacht renovierte Fassade mit den bemerkenswerten schmiedeeisernen Verzierungen, u.a. dem Medaillon
eines Schmiedes, auf. Ein vor 1945 gemachtes Foto zeigt noch das prächtige Hoftor und die
Firmeninschrift „Kunstschmiede Paul Marcus" sowie einen Handwerkssinnspruch am
obersten Stockwerk. Dieses Bauwerk, von Reg.-Baumeister Richard Kühnemann für den
Eigentümer Paul Marcus entworfen und erbaut, ist ein Zeugnis für den Höhepunkt in der
Entwicklung dieses Handwerksbetriebes.
Der nach Berlin zugewanderte Schlossergeselle Paul Marcus, geboren am 4. September
1854 in Finsterwalde, hatte schon einen beachtlichen Berufsweg als Facharbeiter in den
Fabriken wie Wöhlert, Schwartzkopff, L. Loewe und Siemens hinter sich, als der eifrige
Besuch des Königlichen Kunstgewerbemuseums zur theoretischen und zeichnerischen Ausbildung ihm ein staatliches Stipendium einbrachte. Dadurch wurde ihm, der über keinerlei
Geldmittel verfügte, der Besuch der Tagesklasse für Kunstschlosser und Kunstschmiede an
vorgenannter Anstalt ermöglicht. Die Lehrer waren von dem Wissensdurst ihres Schülers
Marcus so angetan, daß sie es ihm durch ein noch höheres Stipendium des „Vereins zur
99
PMIMNlIPlttft
suuiam'm
PAUL MARCUS
Eisen- und Bronzebau
BERLIN-SCH0NEBER6
MONUMENTENSTRASSE 35
TEL.: SAMMEL-NUMMER
G 1 STEPHAN 4357
*
R e i c h s b a n k s i e d l u n g Schmargendorf,
Treppenanfanger. Aren. Werner March
Werbeanzeige der Firma aus dem Jahr 1930
Förderung des Gewerbefleißes" gestatteten, im Jahre 1878 die Pariser Weltausstellung zu
besichtigen. Hier erwarb er sich nun den klaren Blick für die modisch moderne Geschmacksrichtung anhand des Kunstgewerbes anderer Völker. So ausgerüstet vollendete er
seine Ausbildung bei dem großen Berliner Lehrmeister Eduard Puls.
Nachdem er bereits weitgehend selbständige Arbeiten ausgeführt hatte, entschloß sich Paul
Marcus nur noch am eigenen - zunächst geliehenen - Schraubstock zu schaffen. Mit nie
erlahmender Tatkraft und der damals üblichen Sparsamkeit gelang ihm bald der nächste
Schritt: eine eigene Werkstatt in der Wilhelmstraße für eine Jahresmiete von 800 Mark zu
mieten. Fortan arbeitete er mit einem Gesellen. Zur Weiterentwicklung seines Betriebes
nahm er einen Kompagnon, einen Herrn Arndt, auf. So erschienen auf der Gewerbeausstellung 1879 in Berlin, die so sensationelle Objekte wie die erste elektrische Bahn von
Siemens zeigte, kunstvolle Schmiedearbeiten der Firma Arndt & Marcus (Halle VII,
Stand 12).
Die erste Öffentliche Anerkennung erhielt der junge Berliner Meister 1887 durch ein Preisausschreiben des Badischen Kunstvereins: Ihm wurde der erste Preis (400 Mark) mit der
Bemerkung: „Für Gesamtleistung unter Berücksichtigung der bewiesenen Tüchtigkeit und
Vielseitigkeit in der Behandlung des Materials" zuerkannt. Dadurch erwarb sich Meister
Marcus seinen guten Ruf unter den Fachleuten ebenso wie in der Öffentlichkeit.
Der Titel eines Hofkunstschlossers - verliehen durch den Kaiser Friedrich III. - hat sicher
auch weiter dazu beigetragen!
100
Wohnhaus Paul Marcus,
Monumentenstraße 19,
(jetzt Nr. 35) um 1903
Danach errang die Firma, die ihre Werkstatt wegen des steten Wachstums immer wieder
verlegen mußte - von der Lützow- in die Gitschiner Straße und weiter zum Tempelhofer
Ufer —, Diplome und Medaillen für Kunst- und Industrie-Erzeugnisse, so 1891 in London,
1893 in Chikago (Weltausstellung) und ein besonderes Lob 1896 in Berlin: „Für als hervorragende Leistung anerkannte, künstlerisch und technisch mustergültig durchgeführte
Schmiedearbeiten in Eisen, Messing, Kupfer und Bronze, sowie Treibarbeiten in denselben
Metallen".
Die rastlose Energie von Paul Marcus erschöpfte sich jedoch nicht in den vorgenannten
Aktivitäten. Im Jahre 1893 konnte man ihn als Sachverständigen für Kunstschmiedearbeiten sowohl beim Landgericht I wie auch beim Amtsgericht I finden. Ein stolzer Tag im
Leben dieses fleißigen Handwerkers war sicher auch jener Tag, als er zum Obermeister der
Berliner Schlosserinnung gewählt wurde. Zu dieser Zeit arbeiteten auf seinem eigenen
Werksgelände in der Monumentenstraße bereits 150 Gesellen an zahl- und umfangreichen
Aufträgen. Die gesamte Ausstattung seines Hauses wie Treppengeländer, Türen und Tore,
101
Hofansicht
Monumentenstraße 35
Reliefs, Blumengitter, Laternen und die Wasserspeier der Dachrinnen zeigte Kunsthandwerk von bester Güte und war somit das beste Anschauungsmaterial für die Kundschaft.
Ein ansehnlicher Teil dieser Arbeiten ist noch heute vorhanden.
Die Schmiedestücke dieser Werkstatt schmückten aber nicht nur Privathäuser und öffentliche Bauten in Berlin, z.B. das Tor des Rathauses Charlottenburg in Alt-Lietzow und die
Kirchentüren der Kaiser-Friedrich-Gedächtnis-Kirche, sie gingen auch zu alllen großen
Ausstellungen in der Welt.
Es fehlt hier der Raum, um die dem Meister verliehenen Auszeichnungen aufzuzählen.
Erwähnenswert wäre jedoch eine seiner vielen Arbeiten für das Reichstagsgebäude: Das
prächtige Tor für das Südvestibül. Es trug ihm auf der Pariser Weltausstellung 1900 den
Grand Prix und die große goldene Medaille ein. Paul Marcus wurde auch zum Vorsitzenden des Zentralausschusses der vereinigten Innungsverbände Deutschlands gewählt und als Krönung seines Berufsweges - zum Präsidenten des Hansabundes für Gewerbe, Handel
und Industrie berufen.
Das Schicksal hat es ihm noch vergönnt, das Blühen seines Werkes nach der Misere des
1. Weltkrieges zu erleben und in der Führung des Betriebes tatkräftig von seinem Sohn,
102
Dipl.-Ing. Walther Marcus, unterstützt zu werden. In Deutschland lag zwar das Gewerbe
darnieder, für das Ausland produzierte die Firma jedoch noch jahrzehntelang weiter. Vor
allem nach Holland, England, Frankreich, Mexiko, Brasilien, Argentinien und Indien gingen nun die Erzeugnisse. Die mit dem Nachlassen der Exportaufträge verbundene Produktionsumstellung auf Feineisenbau und Aluminiumverkleidung für Geschäfte und Hausfassaden ergab zeitweilig einen neuen Aufschwung, so daß die Räume des Nachbargrundstückes, des ehemaligen Schöneberger Pferdeomnibus-Depots, gemietet werden mußten.
Später verursachten ein gesättigtes Bauwesen, die nun große Zahl von Konkurrenten und
die Einengung West-Berlins die Aufgabe des Betriebes (1957) und das Abwandern des
Namens Marcus in die Bundesrepublik.
Die nachfolgenden Besitzer des Berliner Grundstücks beseitigten als erstes den Firmennamen an der Straßenfassade und danach auch den gewaltigen, aus Stahl, Bronze und
Kupfer geschaffenen Giebelschmuck der Werkhalle. Dieser bildete für lange Zeit eine Art
Wahrzeichen an der Schöneberger Strecke der Wannseebahn und war weit nach Schöne103
Bronze-Medaillon
eines bärtigen Schmiedemeisters
(am Erker der Straßenfront)
Schmiedeeisernes Treppengeländer im Vorderaufgang
Ein jetzt mit
graugrüner Farbe
überstrichenes Bronzerelief
im Vorderaufgang
(Alle Aufnahmen aus
dem Wohnhaus in
der Monumentenstraße 35,
Schöneberg)
104
Paul Marcus.
Nach einem Gemälde
von Franz Graf, Berlin
berg hinein bis zur Manstein-, Bahn- und Langenscheidtstraße sichtbar.
Kunstschmied Paul Marcus hat sich bereits zu Lebzeiten in dem Grabmal für seine Familie
ein einmaliges Denkmal geschaffen; es enthält in den Ornamenten die wesentlichen Werkzeuge des Schmiedes: Amboß, Hammer und Zange. Am 17. Juli 1932 trat er dann seine
letzte Fahrt zum Zwölf-Apostel-Friedhof in der Kolonnenstraße an.
Wie das Haus in der Monumentenstraße durch Umbauten der heutigen Besitzer ist auch
die Grabstelle durch Ablauf der Liegefristen in Gefahr. Uns alten Berlinern, die das Haus
und die Grabstelle kennen, bleibt nur die Hoffnung, daß beides durch besonderen Schutz
uns und der Nachwelt erhalten werden möge.
Anschrift des Verfassers: Hoeppnerstraße 37, 1000 Berlin 42
Quellennachweis:
Plan der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1879 von A. Delius, Berlin 1879.
Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 von Paul Lindenberg, Berlin 1896.
Hundert Jahre Architekten-Verein zu Berlin 1824-1924, Berlin 1924.
Das Bildmaterial besorgte Rudi Mücke.
105
In memoriam Dr. Franz Jahn
Von Eckart Henning
Am 13. April 1979 wäre der in den letzten Kriegstagen 1945 bei Senst an der Elster gefallene Franz Friedrich Alwin Jahn 80 Jahre alt geworden, ohne daß in einem Gedenkartikel
seine Verdienste um die preußische und besonders um die Berliner Baugeschichte gewürdigt worden wären. Das sei daher an dieser Stelle nachgeholt und damit im Jubiläumsjahr
der Technischen Universität Berlin1 zugleich ihres früheren Architektur-Museums 2
gedacht, dessen Leiter Jahn gewesen ist.
Er wurde am 13.4. 1899 in Züllchow bei Stettin als dritter Sohn des Pastors und Direktors
der dortigen Fürsorge-Erziehungsanstalt Fritz Jahn 3 und seiner Ehefrau Katharine Richter
geboren, besuchte in Stettin von 1906—1917 die Vorschule und auch das humanistische
Marienstift-Gymnasium bis zur Reifeprüfung. Rückblickend heißt es in einem 1920
geschriebenen Brief: „Von frühester Jugend an habe ich mich zu Besonderem berufen
gefühlt. . . Durch die Zeit der Jahrhundertfeier für die Freiheitsbewegung von 1813 wurde
mein Suchen auf das Vaterländische, Heldische hingelenkt und der 1914 ausbrechende
Krieg . . . bestärkte mich in dem Wahn, es sei meine Berufung, Offizier zu werden. . . " So
meldete Sich Franz Jahn 1917, noch nicht achtzehnjährig, wie seine Brüder als Freiwilliger, wurde in das 2. Pionier-Bataillon aufgenommen und kehrte, nachdem beide Brüder
gefallen waren, im März 1919 verwundet heim.
Nach seiner Genesung studierte er Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt
(1919/1920) und Kunstgeschichte an der Universität München (1920/21), überwiegend
bei Heinrich Wölfflin. Dort vermißte er „hauptsächlich bei der Baukunst, die Berücksichtigung ihres Verhältnisses zum öffentlichen Leben". Er wandte sich daher der Geschichte
zu, hörte noch in München Erich Marcks und promovierte 1926 bei Friedrich Meinecke in
Berlin mit einer Arbeit über „Wolfgang Menzel als politischer Charakter — ein Beitrag zur
Stellung der Burschenschaftler in der Geschichte der deutschen Einigung" 4 .
Da 1926 gerade ein wissenschaftlicher Hilfsassistent für das Architektur-Museum der
Technischen Hochschule Charlottenburg gesucht wurde, übernahm Dr. Jahn diese Stelle
am 1. Oktober. Zu seinen besonderen Obliegenheiten gehörte von 1927 — 34 die Veranstaltung von Ausstellungen auf dem Gebiet der modernen und historischen Architektur,
die er nicht allein aus Museumsbeständen, sondern auch mit geliehenem Sammlungsgut
bestritt. Seine Themen waren 1927 „Deutscher Backsteinbau in alter und neuer Zeit" und
„Kulturbauten in China und Japan", 1928 „Heinrich Tessenow", 1929 „Erwin Barth,
Gartenanlagen", 1930 „Werner March" und „Paul Schmitthenner", 1932 „Max Läuger",
„Norwegische Architektur" und „Schwedische Architektur", 1933 „Germanische Baukunst in Siebenbürgen" und „Dänische Architektur", 1934 „German Bestelmeyer",
„Deutsche Gartengestalter" und „Junge faschistische Baukunst", schließlich 1935 „Die
Umgestaltung des Tannenberg-Denkmals".
Da das Architektur-Museum aber mit dem Lehrstuhl für Geschichte der Baukunst von
Professor Krencker verbunden war, gehörte zu Jahns Aufgaben neben seiner Ausstellungstätigkeit auch die Verwaltung des Lehr- und Lichtbildmaterials, die Betreuung studentischer Seminararbeiten, die Durchführung von Exkursionen nach Süd- und Mitteldeutschland sowie nach Schlesien und die gelegentliche Kollegvertretung Krenckers, zuletzt in
106
dessen Rektoratsjahr durch eine eigene Vorlesungsreihe zur Geschichte der preußischen
Baukunst (1930/31).
Bereits 1931, noch während seiner Tätigkeit an der Technischen Hochschule, trat Jahn
auch in ein dienstliches Verhältnis zum Preußischen Finanzministerium, dem die Betreuung der Hochbauabteilung im Verkehrs- und Baumuseum (dem ehemaligen Hamburger
Bahnhof) in der Invalidenstraße 50/51 oblag. Die dortige überalterte Dauerausstellung
sollte durch wechselnde Ausstellungen belebt werden, und da zur selben Zeit auch das
Architektur-Museum in der Technischen Hochschule seine bisherigen Räume verlor, kam
zwischen Kultusministerium und Finanzministerium eine Vereinbarung zustande, wonach
das Architektur-Museum (künftig „Architektur-Archiv" genannt) in das Verkehrs- und
Baumuseum übersiedeln und mit ihm gemeinsame Ausstellungen veranstalten sollte. Die
Durchführung wurde wiederum Jahn übertragen, der 1932 seine Diensträume in der
Invalidenstraße bezog und 1933 die erste größere Ausstellung „Preußische Baukunst aus
der Zeit vor und nach Schinkel" eröffnen konnte. 1935 schloß sich eine Ausstellung zur
„Berliner Baukunst von 1750-1900" 5 an, deren Mittelstück „400 Jahren Berliner
Dom" 6 galt. So wie Jahns Schinkel-Arbeiten7, waren auch seine Knobelsdorff-Forschungen
zum „Forum Fridericianum" für Berlins Kunstgeschichte weiterführend8, und auch seine
Studie über „Alte Berliner Kasernen" 9 verdient Aufmerksamkeit.
Im Jahr 1935 wurde Jahn neben seiner Assistententätigkeit durch die Koldewey-Gesellschaft (Vereinigung Deutscher Bauforscher) mit der Herstellung eines umfassenden wis107
senschaftlichen Kataloges aller historisch wertvollen Bauzeichnungen Deutschlands
beauftragt, für den der Preußische Finanzminister am 5. 9 1935 die erforderlichen Mittel
bewilligte. Als erstes Arbeitsergebnis dieses Zentralkataloges legte Jahn bereits 1936
die Schrift „Der erste Konservator der Kunstdenkmäler des Preußischen Staates, Ferdinand
von Quast" vor10. Vom 8. 9. bis 23. 10. 1937 konnte er, unterstützt durch die BoissonnetStiftung, zur Vorbereitung einer Arbeit über die Architekten König Friedrich Wilhelms IV.,
Ludwig Persius und Ferdinand v. Arnim, eine Studienreise durch Frankreich unternehmen; zu einer ergänzenden nach Italien ist es infolge des Kriegsausbruchs nicht mehr
gekommen.
Etwa 1937 begann Jahn mit der Hauptarbeit für den Koldewey-Katalog, und zwar der
Verzeichnung aller in den Akten der Preußischen Staatsarchive verborgenen Bauzeichnungen. Den Anfang machte die Helmigk-Sammlung altpreußischer Landbaumeisterzeichnungen11, die er 1936 im Verkehrs- und Baumuseum ausstellte und anschließend
auch in Breslau, Stettin und Königsberg zeigte. Leider gelangte Jahns vollständig erarbeitetes Katalog-Manuskript kriegsbedingt nicht mehr zum Druck.
Am 1. 8. 1938 gab Jahn seine Assistentenstelle an der Technischen Hochschule Charlottenburg auf, da er als technischer Angestellter ganz von der Preußischen Bau- und Finanzdirektion übernommen wurde, wo er sich künftig ausschließlich dem Koldewey-Katalog
und den Ausstellungen des Verkehrs- und Baumuseums widmen sollte. Im März 1939
wurde Jahn schließlich als Leiter des Architektur-Archivs 12 , obwohl nicht Mitglied der
NSDAP, wegen seiner überragenden Kenntnisse damit betraut, bei dem Geschenk des
Gaues Berlin zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers die wissenschaftliche Leitung zu übernehmen und das repräsentative Werk „Drei Jahrhunderte Baugeschichte Berlins" 13 zu
erarbeiten, das er trotz der viel zu kurzen Arbeitszeit fristgerecht vorlegte.
Am 3. Januar 1940 entschied der Preußische Finanzminister Professor Popitz, der Jahn
gelegentlich auch für die Abfassung eigener Reden heranzog 14 , ihn mit der wissenschaftlichen Leitung eines von ihm angeregten Werkes zur Geschichte der Preußischen Staatsbauverwaltung zu betrauen. Für dieses als Sicherungsmaßnahme gegen Kriegszerstörungen gedachte Werk bestimmte Popitz die Akademie des Bauwesens zum Träger und
stellte Jahn drei Mitarbeiterinnen (im Geheimen Staatsarchiv in Berlin sowie in den
Staatsarchiven von Stettin und Königsberg) zur Seite. Von dem Erfolg dieses Unternehmens zeugen die noch heute vorliegenden Berichte Jahns 15 , die sich zunächst auf Pommern
und die seit 1772 preußisch gewordenen polnischen Gebiete bezogen, weshalb man diese
Arbeit als „kriegswichtig" ausgeben und ihren Leiter wiederholt vom Fronteinsatz freistellen konnte. Jahn nutzte diese Jahre noch für verschiedene andere Forschungen und
war bestrebt, sie zu veröffentlichen, solange die Kriegsentwicklung es zuließ16. Zahlreiche
angefangene und nahezu fertiggestellte Arbeiten, darunter einige in Zusammenarbeit mit
der neugegründeten Landesstelle der Reichshauptstadt für Geschichte, Heimatforschung
und Volkskunde, enthält zudem sein Nachlaß im Geheimen Staatsarchiv17.
Seinen Leistungen entsprechend wurde Jahn als Leiter des Architektur-Archivs am 14.
September 1943 endlich auch zum Regierungsbaurat ernannt und seine Bezüge im
Februar 1944 nochmals erhöht. Doch als im August das Preußische Finanzministerium
aufgelöst wurde, dessen Hochbauverwaltung Jahn mit seinen Arbeiten de facto direkt
unterstellt war, auch wenn der Präsident der Preußischen Bau- und Finanzdirektion sein
unmittelbarer Dienstvorgesetzter blieb, wurde er am 1. September doch noch zum Militär
eingezogen und einem Baupionier-Bataillon zugeteilt. Jahn fiel am 28. April 1945 beim
108
Vorrücken der Roten A r m e e in der Nähe von Senst an der Elster.
Ein Nachruf wurde Jahn als einem der besten u n d gründlichsten Kenner der Berliner Baugeschichte aufgrund der Zeitumstände nicht zuteil, auch seine noch erhaltenen Tagebücher
(1939— 1944) und Briefe ( 1 9 4 4 — 1945) sind unveröffentlicht geblieben. Sie zeigen ihn, wie
es seine noch heute am Tegernsee lebende Witwe G e r t r u d geb. Kirmse beschreibt, als
einen U n b e k a n n t e n , der „wohl vieles zu sagen gehabt hätte, der aber zur Stummheit verurteilt war, weil G e d a n k e n wie die seinen in Deutschland nicht m e h r ausgesprochen
werden durften, u n d den, ehe die Gewaltherrschaft ihr E n d e fand, der Krieg vernichtete".
Diese autobiographischen Aufzeichnungen sind aber nicht nur ein Zeugnis für seine aufrechte christliche Gesinnung u n d seine vielseitigen Interessen, sondern auch für den
Trost, der ihm im Dritten Reich aus den Schriften von Karl Kraus erwuchs und ihn schließlich den Plan fassen ließ, nach d e m Zusammenbruch eine Geschichte der „ F a c k e l " zu
schreiben. Sein tragisch früher T o d hat diese wie die Ausführung aller übrigen Absichten
verhindert, und so kann man nur hoffen, d a ß sich hinsichtlich des Jahn-Nachlasses wenigstens ansatzweise erfüllt, was er selbst im Tagebuch an Hoffnungen ausspricht. „Mir ist,
als wenn ich tief unter der E r d e arbeitete, und die Zeit ist über mich hinweggegangen.
Aber ich sitze an den Wurzeln u n d Quellen, und was ich tue, wird aufgehen und größere
Kraft entfalten als alles, was an der Oberfläche geschieht." Sigismund v. Radecki, den
Franz Jahn schätzte, beschreibt ihn als einen Denker, der die „geistige Not als Ursache
aller unausweichlich folgenden materiellen N ö t e " begriff und der im „eigentlichsten
Sinne Kustos jener Archivschätze" war, die „von den Hastigen für Staub genommen wurden, in denen er aber das stärkere Leben entdeckte".
Anschrift des Verfassers: Lückhoffstraße 33,1000 Berlin 38
4
6
9
Eine Festschrift zum 100jährigen Bestehen der TU, zu dem gegenwärtig eine Jubiläumsausstellung
vorbereitet wird, soll im November 1979 erscheinen. Vgl. schon Franz Jahn (künftig F. J.): Die
Technische Hochschule Berlin 50 Jahre in Charlottenburg, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 54
(1934), S. 6 7 9 - 6 8 1 (d. Verf. behandelt nacheinander die verschiedenen Lokalitäten seit 1797).
Vgl. A. Poltrock: Das Architektur-Museum in der Technischen Hochschule zu Berlin, in: Blätter für
Architektur und Kunsthandwerk 1 (1888), S. 3 3 - 3 4 u. S. 4 4 - 4 5 ; s. ferner: Die Begründung eines
Architektur-Museums an der Technischen Hochschule zu Berlin, in: Deutsche Bauzeitung 19
(1885). S. 231-232, u. 20 (1886), S. 5 2 9 - 5 3 0 .
Fritz Jahn war auch Begründer des Züllchower Spielmuseums, vgl. über ihn F. J.: Pastor Fritz Jahn
und seine Spiele, in: Deutsches Pfarrerblatt, 1931.
Erschienen 1928, vgl. Rez. von Hermann Wendel, in: Deutsche Republik 3 (1928), S. 188-189.
F. J.: Die neue Ausstellung der Preußischen Staatshochbauverwaltung im Verkehrs- und Baumuseum, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 55 (1935), S. 8 3 6 - 8 3 7 .
F. J. : 400 Jahre Berliner Dom 1536-1936, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 55 (1935), S.
925 — 938 (mit reichen Bildbeigaben aus der Sonderausstellung).
Vgl. dazu F. J.'s der Forschung neue Wege weisende Arbeit über Schinkels Stadtbaukunst, Versuch
einer Deutung der städtebaulichen Absichten Schinkels an Hand seiner Entwürfe für Berlin, in:
Zentralblatt der Bauverwaltung 51 (1931), S. 29 — 43, s. auch ders.: Einige Grabmalsentwürfe
Schinkels, in: Kunst und Kirche 8 (1931), S. 6 9 - 7 2 .
F. J.: Knobelsdorffs Nord-Süd-Achse für Berlin und die Frage einer Verlängerung der Leipziger Staße nach Osten, in: Baugilde 16 (1934), S. 2 0 3 - 2 0 9 .
Erschienen im Zentralblatt der Bauverwaltung 59 (1939), S. 383 - 397.
109
10
F. J.: Der erste Konservator der Kunstdenkmäler des Preußischen Staates, Ferdinand von Quast,
und sein konservatorischer Nachlaß im Architekturarchiv der Technischen Hochschule zu Berlin.
Als Ms. gedr. Berlin 1936 ( = Veröffentlichungen des Architettturarchivs der Technischen Hochschule zu Berlin, H. 1), ferner ders., Ferdinand von Quast und die Anfänge der Denkmalspflege in
der Mark, in: Brandenburgische Jahrbücher 7 (1937), S. 80 — 88, u. ders.: Ferdinand von Quast.
Der erste Konservator der preußischen Kunstdenkmäler, in: Märkische Zeitung (Neuruppin) vom
27728. 5.1939.
11
Der größte Teil der Ausstellungsunterlagen Jahns zum Schaffen der altpreußischen Landbaumeister
befindet sich heute in der Plansammlung der Technischen Universität Berlin, der sie Ministerialrat
Dammeier namens der Hochbauverwaltung am 23. 8.1947 leihweise übergab.
12
Vgl. die erhalten gebliebene Personalakte Jahns im Landesarchiv Berlin (Pr. Br. Rep. 42, Pers.-Nr.
501), wo er erstmals auf Bl. 28 auch amtlich als Leiter des Architektur-Archivs bezeichnet wird.
13
Das Werk, dessen Auftraggeber der Gauleiter von Berlin, Reichsminister Dr. J. Goebbels war,
wurde auf Veranlassung von Albert Speer, dem ursprünglich vorgesehenen Bearbeiter, in nur einem
Exemplar hergestellt und der Wunsch des Autors, wenige weitere Stücke bei der Akademie der
Wissenschaften, der Preußischen Staatsbibliothek usw. zu hinterlegen, nach Aussage seiner Witwe
vereitelt; lediglich ein Druckereiabzug des Textteils befindet sich noch im Nachlaß Jahns.
14
Zu nennen sind hier beispielsweise die Reden des Ministers „In memoriam David Gilly", die dieser
am 30. 8. 1938 an der wiederaufgefundenen Grabstätte hielt, abgedruckt im Zentralblatt der
Bauverwaltung 58 (1938), S. 1183 — 1191, und die am 22. 6. 1940 gehaltene Ansprache von Popitz
zur „170jährigen Wiederkehr des Gründungstages der Preußischen Staatshochbauverwaltung",
abgedr. ib. 60 (1940), S. 3 6 1 - 3 6 3 .
15
Vgl. Aus der Tätigkeit der Preußischen Staatsbauverwaltung in Pommern (1770—1809), bearb.
von Eckart Henning auf der Grundlage eines amtlichen Berichtes von F. J., in: Baltische Studien
N.F. 64 (1978), S. 41 — 65. Ungedr. blieb bisher der 2. Bericht über die Arbeiten am Geschichtswerk der Preußischen Staatsbauverwaltung, II. Reihe: Aus der Staatlichen Bautätigkeit in Neuostpreußen. H. 1: Allgemeine Übersicht über Verwaltung und Bautätigkeit im Kammer-Departement Plock 1793-1807, Masch.-Schr. Berlin 1941.
16
Vgl. etwa F. J.: Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schroetter. Zu seinem 200. Geburtstage am
1. Februar 1943, in: Zentralblatt der Bauverwaltung 63 (1943), S. 60 f., u. ders.: Aus der Geschichte
der Deutschen Baufachzeitschrift als Vorgeschichte des Zentralblattes der Bauverwaltung, ib. 61
(1941), S. 2 4 3 - 2 5 1 .
17
Der im Januar 1978 vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz erworbene Nachlaß
(Rep. 92 Jahn) wird gegenwärtig verzeichnet und ausgewertet.
Nachrichten
Standbild König Friedrichs I. - Denkmal von vier Bildhauern
Am 11. Juni 1979 konnte unser Vorstandsmitglied Professor Dr. Martin Sperlich, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, vor dem neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg
eine stattliche Anzahl von Gästen begrüßen, die Zeuge waren, wie das Standbild des ersten preußischen Königs auf seinen Sockel kam. Dieses von Schlüter für den damaligen Kurfürsten Friedrich III.
geschaffene Werk sollte ursprünglich auf der Langen Brücke aufgestellt werden, doch wurde dann
dieser Platz für Schlüters Reiterdenkmal des Großen Kurfürsten gebraucht. So wurde die Figur zunächst im Gießhaus abgestellt, 1728 als Dekoration zum Empfang Augusts des Starken auf dem
Molkenmarkt aufgestellt und bis 1760 wieder im Gießhaus eingelagert, bis nämlich die Russen das
Denkmal als Kriegsbeute nach Spandau entführten. Für den Rest des Jahrhunderts stand es dann unter
Gerumpel in einem Winkel des Zeughauses, wäre um ein Haar eingeschmolzen worden und wurde
schließlich 1802 in Königsberg in Preußen auf einem von Gottfried Schadow entworfenen Sockel
aufgestellt.
HO
Professor Sperlich führte dann wörtlich aus: „Die Betreuer der Schlösser und Gärten wollten seit jeher
das in Königsberg verlorene Werk in Bronze gießen lassen, weil der Gips der Gipsformerei allzu
gefährdet ist. Dieser Gipsabguß nach dem Original ist nun nach dem Verlust des Bronzedenkmals als
.Original' anzusehen, und wir haben die Pflicht, die so bewahrte Form dieses großen Kunstwerkes in
dauerhaftem Material, d.h. wiederum in Bronze, aufzuheben. Wir wußten, daß es diesen Gips gab.
Als es aber ernst wurde, als wir das Geld hatten, stellte es sich heraus, daß es wieder einmal Fatalitäten
mit den Beinen der Hohenzollern gab: Die uns benachbarte Gipsformerei der Staatlichen Museen
hatte nur das Oberteil der Statue, die Beine fehlten.
Wir gaben also traurig diesen Akt der Denkmalpflege auf, bis eines Tages Waldemar Grzimek ins
Schloß kam und uns mit Eindringlichkeit beschwor, Friedrich I. in Bronze gießen zu lassen, weil doch
der Gips eben nicht ewig hält. Als er erfuhr, warum wir das noch nicht getan hätten, wurde er sogleich
tätig und konnte freizügiger als wir feststellen, daß in der anderen Gipsformerei dieser Stadt (wir
haben ja alles doppelt) das Modell vollständig war.
Drüben wollte man von Gerhard Marcks eine große Figur haben, der sagte, ich will dafür kein Honorar, sondern nur, daß Ihr Schlüters Standbild in Bronze gießt, und durch diese so noble wie einfache
Transaktion steht nun dieses Werk als das Werk von vier deutschen Bildhauern vor uns."
Lapidar verkürzt faßte Professor Sperlich die lange Geschichte in die vier Bildhauernamen zusammen:
Schlüter-Schadow-Marcks-Grzimek.
Eine Marmorplatte am Sockel trägt den folgenden (neuen) Text: „Statue von Andreas Schlüter,
1698 für den Hof des Zeughauses bestimmt, 1801 von Friedrich Wilhelm III. der Stadt Königsberg in
Preußen geschenkt. Auf einem von Gottfried Schadow entworfenen Sockel am Schloß aufgestellt und
seit 1945 verschollen. Neu gegossen 1972 nach der Form der Staatlichen Gipsformerei zu Berlin mit
tätiger Hilfe von Waldemar Grzimek als Geschenk von Gerhard Marcks."
Von der linken Reliefplanke des Sockels, die nach Schadows Beschreibung mit Krone und Zepter
geschmückt war, ist kein Foto überliefert. Denkmalpflegerische Gewissenhaftigkeit erlaubt es nicht,
ein solches Emblem frei zu erfinden. Der Marmorbossen ist deshalb roh stehengeblieben, bis ein
Königsberger Landsmann in seinem Fotoalbum einen Schnappschuß von der linken Seite findet, der
die Nachgestaltung erlaubt.
H. G. Schultze-Berndt
Historisches Archiv zur Ingenieurausbildung
Wie in unseren „Mitteilungen", Jahrgang 1977, Heft 3, Seite 324, bereits kurz gemeldet wurde, ist im
Hause der Technischen Fachhochschule Berlin, Luxemburger Straße 10, 1000 Berlin 65, ein historisches Archiv eingerichtet worden, in dem alle erreichbaren Unterlagen über die Geschichte der
Ingenieurausbildung in Berlin (ausgenommen die Technische Universität) gesammelt und ausgewertet
werden. Einerseits will man Archivalien aus der Geschichte der im April 1971 zur Technischen Fachhochschule vereinigten Institutionen zusammentragen: der Ingenieurschulen bzw. -akademien für
Bauwesen (früher Leinestraße und Kurfürstenstraße) sowie Beuth, Gauß und Gartenbau. Andererseits sollen Textmaterial und Bildunterlagen ähnlicher Institutionen gesammelt werden. Ziel ist es,
einen Überblick über das Technische Bildungswesen in Berlin seit rund 200 Jahren zu erlangen. Das
Archiv wird von Professor Wefeld betreut, Telefon 4 50 44 20.
H. G. Schultze-Berndt
Ehrungen zum 50. Todestag Heinrich Zilles
Aus Anlaß des 50. Todestages, am 9. August 1979 werden Leben und Werk dieses Künstlers in
mehreren Ausstellungen gewürdigt.
So eröffnete das Berlin Museum am 7. September seine Ausstellung „Heinrich Zille und sein Berliner
Volk". Bereits seit dem 9. August läuft im Märkischen Museum eine Sonderausstellung. In sechs
Ausstellungsräumen werden bis zum November 1979 mehr als 300 Arbeiten (Zeichnungen, Druckgrafiken, Buchveröffentlichungen und Fotografien) gezeigt. Die Bestände des Märkischen Museums,
das bereits 1928 dem Meister eine erste große Jubiläumsausstellung widmete und das seit 1966 ein
Zille-Kabinett unterhält, werden durch Leihgaben des Kupferstich-Kabinetts und der Sammlung der
Zeichnungen der Staatlichen Museen zu Berlin, der Akademie der Künste der DDR, des Kupferstich-
111
kabinetts der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, des Kulturhistorischen Museums Magdeburg
sowie aus Privatbesitz ergänzt.
(Der Besuch dieser beiden Ausstellungen ist in das Veranstaltungsprogramm unseres Vereins für das
IV. Quartal aufgenommen.)
Die Galerie Pels-Leusden präsentiert aus dem selben Anlaß rund 200 Werke. In der Festspielgalerie
gegenüber der Gedächtniskirche werden Heinrich Zille, Kenner des Berliner „Milljöhs", und Emile
Zola, der große französische Romancier, mit ihren fotografischen Arbeiten vorgestellt.
Es ist vorgesehen, im nächsten Heft einen wertenden Rückblick auf alle Ausstellungen und Veranstaltungen abzudrucken.
Von unseren Mitgliedern
Studienfahrt nach Braunschweig und ins Braunschweiger Land
Es war akkurat eine halbe Hundertschaft, die sich vom 31. August bis 2. September 1979 vom
Programm der Exkursion und vom herrlichen Sommerwetter nach Braunschweig und in sein
Umland verführen ließ. Auftakt gleich nach der Ankunft am Ort war ein Besuch des Hofbrauhauses
Wolters, wo ein bescheiden als Imbiß getarntes Mittagessen auf die Gäste wartete. Grußworten des
Vorstandsvorsitzenden Wolf Horenburg folgte ein Rundgang durch die hochmoderne Brauerei, bei
dem sich Betriebsleiter Schwind und Braumeister Meier als so zuverlässige wie geduldige Führer
erwiesen. Das nötige Hintergrundwissen zu dieser Symbiose von Tradition und moderner Technik
vermittelte Dr. H. G. Schultze-Berndt mit seinem Vortrag „Zur Geschichte des Braunschweiger Bieres
und des 350jährigen Hofbrauhauses Wolters". Eine Kaffeetafel (es durfte aber auch Bier getrunken
werden) beendete diese Station der Reise, und es war nur folgerichtig, daß sich die Gäste am
Abend im Stammhaus der Brauerei, dem „Haus zur Hanse", einfanden. Noch um Mitternacht wurden
dann unermüdliche Reiseteilnehmer in Gartenlokalen der Innenstadt angetroffen, was zumindest für
die milde Nachtluft sprach.
Am 1. September 1979 erwartete Segeband von Henninges die Besucher in der Deutschordenskommende Lucklum, wo er, selbst Johanniter und historisch bewandert, in die Geschichte des Deutschritter-Ordens einführte, dessen Bedeutung und heutige Stellung aufzeigte und schließlich die Kirche
und den Rittersaal erläuterte. Pünktlich war die Reisegesellschaft dann im Eulenspiegelmuseum in
Schöppenstedt zur Stelle, auf dessen Stufen sie von Otto Buhbe, dem Vorsitzenden des Freundeskreises Till Eulenspiegels e.V., empfangen wurde. Er zitierte die historische Gestalt Eulenspiegels und
zeigte an den Objekten des Museums auf, wie sich Kunst und Volkstum im Laufe der Jahrhunderte
mit jeweils eigenem Anspruch dieses Schalksnarren und Volkshelden angenommen haben. Es blieb
dann noch Zeit zu einem Spaziergang im sonnigen Reitlingstal, das Mittagessen in der Gaststätte
„Reitling im Elm" verdiente hohes Lob, und auf die Minute fuhr der Omnibus an der Stiftskirche in
Königslutter vor, der der Stadtarchivar Heinz Röhr das Prädikat „Kaiserdom" verlieh. Er wußte von
Baugeschichte und Historie dieses mittelalterlichen Kleinods mit Sachkunde zu berichten, mußte aber
seine Gäste an der alten Linde verabschieden, damit diese die durch ein Chorkonzert eingeengte Zeit
zur Besichtigung der Klosterkirche Riddagshausen unter Führung von Pastor Dr. Gottfried Zimmermann nicht versäumten. Im aufgeregten Trubel des Riddagshäuser Mühlenfestes vermochte er aber
hinreichend Aufschluß zu geben über den Kirchenbau, wie er sich generell als profunder Kenner
der Zisterzienser und ihrer Klostergründungen in ganz Europa erwies. Er führte über den schönen
Kleiderseilerweg zum „Grünen Jäger" in Riddagshausen, dessen Geschichte (Stendhal, Wilhelm
Raabe) von Dr. H. G. Schultze-Berndt kurz skizziert wurde. Der Hinweis von Frau Zimmermann auf
die in Riddagshausen wieder erstandenen Fachwerkhäuser, die in anderen Landesteilen abgebrochen
werden mußten, bescherte noch ein interessantes Erlebnis. Das historische Gewandhaus am Altstadtmarkt vereinte die Reisegefährten und war zumindest die erste Station eines vergnüglichen Abends.
Der sonntägliche Stadtrundgang am 2. September 1979 unter Führung von Dr. Manfred Garzmann
machte mit der Geschichte der in der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1944 zu 90 % zerstörten Stadt
Braunschweig und ihrer ursprünglichen fünf Weichbilder bekannt. Von den mehr als 800 Fachwerk112
häusern sind nur wenige erhalten geblieben, die heute vielfach in sogenannten Traditionsinseln konzentriert werden. Dr. Garzmann war so sachverständig wie einfühlsam, er wußte den Spaziergang in
der Sonnenglut auch geschickt zu dosieren, verschaffte aber den Teilnehmern einen guten Überblick
über die einzelnen Viertel der Stadt und über die beherrschenden Kirchen, sofern nicht Kaufhausneubauten neue Herrschaftsansprüche durchgesetzt hatten. Im Dom St. Blasii übernahm Domvogt Reuter
das Regiment, führte zu den einzelnen Schätzen dieses Prachtbaus und ließ auch die Fürstengruft nicht
aus. Dort in der Kühle stieß Oberkustos Dr. Bodo Hedergott zur Reisegruppe, der unter dem Löwen
der Weifen Proben seiner Vortrags- und Lebenskunst gab, diese am Kaisermantel in der Burg Dankwarderode bewies und schließlich vor dem Familienbild Rembrandts im Herzog-Anton-Ulrich-Museum zur Meisterschaft entfaltete. Seine Mahnung, „wir Menschen sollten wieder die Kunst des
Weglassens üben", galt nicht nur für die Stipvisite in diesem reichen Museum, sondern für die ganze
Studienfahrt, die nicht mehr kann als einen Überblick verschaffen und nicht mehr will als Anregungen
geben.
So sah man dann beim Mittagessen im „Hotel Lorenz" und bei der Kaffeepause im „Quellenhof" zu
Bad Helmstedt nur frohe Gesichter. Dies mag auf die allgemeine große Zufriedenheit zurückzuführen
sein, die beim Wetter begann, beim vorzüglichen Frühlings-Hotel nicht endete und (man höre und
staune) sogar den Omnibus und dessen Fahrer einschloß. Ziel der Exkursion 1980 soll das MindenRavefisbergische Land sein.
.
H. G. Schultze-Berndt
Ehrenvorsitzender Professor Hoffmann-Axthelm verabschiedet
In einem kleinen Kreis von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern der Bibliothek wurde Professor Dr.
Dr. Walter Hoffmann-Axthelm am 20. Juli 1979 im Ratskeller Schmargendorf vor seiner Übersiedlung nach Freiburg (Breisgau) verabschiedet. Der Vorsitzende Dr. Gerhard Kutzsch würdigte in
wohlgesetzten Worten die Tätigkeit seines Vorgängers in 14jähriger Amtsdauer und seine Verdienste
um den Verein. Professor Hoffmann-Axthelm erinnerte sich des schweren Beginns als Nachfolger von
Bruno Harms, als der Verein nur 350 Mitglieder hatte (heute rund 850) und als es auch finanziell
schlecht aussah. An äußeren Dingen kann Professor Hoffmann-Axthelm für sich verbuchen, die Mitgliederverzeichnisse neu aufgelegt, die Reihe der „Grünen Schriften" fortgesetzt und die FidicinMedaille zu neuem Leben erweckt zu haben. Als Abschiedsgeschenk, zugleich im Namen seiner Frau,
Dr. Irmtraut Hoffmann-Axthelm, überreichte er dem Verein eine Nachbildung der Freiheitsglocke aus
Porzellan der KPM mit dem Wunsch, es mögen niemals Zeiten kommen, in denen das heute übliche
Lächeln über diese Glocke erstirbt.
Vom 1. August 1979 an lautet die Anschrift unseres Ehrenvorsitzenden und seiner Ehefrau wie folgt:
Schlierbergstraße 84, 7800 Freiburg (Breisgau), Telefon (07 61) 40 65 10.
Für das Einleben in der neuen Wahlheimat, die man nun wohl schon Altersruhesitz nennen kann,
gelten unserem langjährigen Vorsitzenden gute Wünsche.
H. G. Schultze-Berndt
*
Ohne Angabe des Absenders wurden wir davon informiert, daß unser Mitglied, der ehemalige Sparkassenrevisor Walter Ballin, im September sein 70. Lebensjahr vollenden konnte. Wenn er in der
Liste der Geburtstagskinder nicht aufgeführt wurde, so deswegen, weil er seit geraumer Zeit unbekannt
verzogen ist.
H. G. Schultze-Berndt
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum
70. Geburtstag Herrn Egon Fouquet, Frau Frieda Haack, Herrn Sigismund Keuten, Frau Gittli
Münckner, Herrn Leonard Rautenberg, Herrn Rudolf Schramm; zum 75. Geburtstag Frau Adelheid
Beck, Herrn Helmut Otto Krüger, Herrn Dr. Ernst G. Lowenthal, Herrn Prof. Julius Posener, Frau
Ilse Sarneck, Herrn Dr. Fritz Wegener; zum 80. Geburtstag Frau Käthe Hahn, Frau Eva Klauert,
Frau Elisabeth Kliche; zum 85. Geburtstag Herrn Heinrich Kühn; zum 90. Geburtstag Herrn Walter
Jagow.
113
Buchbesprechungen
Neue Publikationen zur nationalsozialistischen Stadtplanung in Berlin
Jost Dülffer/Jochen Thies/Josef Henke: Hitlers Städte. Baupolitik im Dritten Reich. Köln: Böhlau
1978. 320 S. m. Abb., brosch., 44 DM.
*c Lars Olof Larsson: Die Neugestaltung der Reichshauptstadt. Albert Speers Generalbebauungsplan für
Berlin. Stuttgart: Hatje 1978. 196 S., 188 Abb., brosch., 56 DM.
Mak} vAdelbert Reif: Albert Speer. Kontroversen um ein deutsches Phänomen. München: Bernard u. Gräfe
.
1978.501S.,Ln.,39DM.
nM\/ Albert Speer: Architektur. Arbeiten 1933 — 1942. Mit einem Vorwort von Albert Speer und Beiträgen
von Karl Arndt, Georg Friedrich Koch u. Lars Olof Larsson. Berlin: Propyläen 1978. 179 S., 64 Abb.,
Ln., 78 DM.
/ (Hans Reuther: Die Museumsinsel in Berlin. Berlin: Propyläen 1978. 160 S., 84 Abb., Pappbd., 68 DM.
* f Rudolf Wolters: Stadtmitte Berlin. Stadtbauliche Entwicklungsphasen von den Anfängen bis zur
Gegenwart. Tübingen: Ernst Wasmuth 1978. 224 S., 321 Abb., Ln., 68 DM.
Der Zusammenhang zwischen dem politischen System auf der einen und städtebaulicher und architektonischer Gestaltung auf der anderen Seite ist seit langem bekannt und in nahezu allen Geschichtsepochen nachzuweisen. Nirgends jedoch ist dieser Zusammenhang deutlicher zu erkennen als im
totalen Staat Adolf Hitlers. Jochen Thies, der die unmittelbare Verbindung machtpolitischer Ideen und
Architekturvorstellungen in dem Gedankengut Adolf Hitlers bereits früher in einer größeren Publikation dargelegt hat, publiziert nun gemeinsam mit Jost Dülffer und Josef Henke eine Reihe von Dokumenten, die einen Einblick in die nur ansatzweise verwirklichte Neugestaltung deutscher Städte
geben. Besonders umfangreich Pläne wurden für die „Führerstädte" Berlin, Hamburg, Nürnberg und
Linz a. d. Donau entwickelt. Die Planungsstäbe waren jeweils direkt von Hitler beauftragt und arbeiteten unabhängig von den städtischen Planungsämtern. Die so häufig im nationalsozialistischen
„Führerstaat" zu beobachtende bewußte Doppelbeauftragung, die nicht selten zu erheblichen Reibungsverlusten führte, fehlte auch auf dem Gebiet der Neugestaltung der „Führerstädte" nicht, wie das
in der Dokumentation abgedruckte Schreiben des „Generalbaurats für die Hauptstadt der Bewegung
(München)", Hermann Giesler, aus dem Jahre 1944 (S. 269 f.) zeigt. Neben Giesler scheint sich überhaupt nur der „Generalinspekteur für die Neugestaltung der Reichshauptstadt", Albert Speer, einer
beständigen Zustimmung Hitlers erfreut zu haben. Speer war ab 1936 mit der Berliner Planung befaßt,
nachdem die städtischen Behörden, die bereits 1933 mit Hitlers Umgestaltungsplänen vertraut
gemacht worden waren, in Hitlers Augen unzureichend gearbeitet hatten. Darüber hinaus enthält die
Dokumentation einiges Interessante, z. B. zu Fragen der Baukosten, die in Berlin wie in den anderen
Ausbaustädten in groben Überschlägen berechnet werden konnten, und zu Einzelobjekten, wie dem
vorgezogenen Ausbau des Flughafens Tempelhof. Sämtliche Dokumente werden als reproduzierte
Kopien, d.h. ohne jeden editorischen Aufwand, vorgelegt. Eine Ausnahme macht lediglich der
Abdruck der programmatischen Rede Hitlers vom 10. Februar 1939. Da die Mühe der Herausgeber
bei der Edition der Einzeldokumente doch denkbar gering war, hätte man die Überblicksinformationen
zur Gesamtthematik und den einzelnen Ausbauorten leicht durch systematische Archivalienverzeichnisse ergänzen können.
Die wohl umfangreichste Studie über die Planung Speers in Berlin legt der schwedische Architekturhistoriker Lars Olof Larsson in seiner Schrift: „Die Neugestaltung der Reichshauptstadt" vor. Der
Nachlaß eines engen Mitarbeiters Speers, Hans Stephan, diente ihm als Ausgangspunkt, Einzelaspekte
des in der Planung bis 1950 vorgesehenen Ausbaus Berlins zum Zentrum eines nationalsozialistischen
Weltreiches vorzustellen. Die monumentalen Straßen wie die „Große Straße", die „Ost-West-" und
„Nord-Süd-Achse" werden ebenso behandelt wie die neue „Hochschulstadt" (im Grunewald), die
Grünplanung und der Wohnungsbau.
Norden (Lehrter Bahnhof) und im Süden (Anhalter und Potsdamer Bahnhof) hätte den Ausbau der
Prachtstraßen und -gebäude möglich gemacht. Dies städtebauliche Problem stellt sich mit neuer
Aktualität den heutigen Planern! Bezeichnend ist, daß die Wohnungsplanung sich an den Kleinwohnungsbau der vorangegangenen Weimarer Epoche anschloß, ohne jedoch deren Qualität zu erreichen.
— Der Wohnungsbau hatte keine Priorität.
114
Manche Einzelheiten zu Einzelproblemen der Speer-Planung enthält der von Hans Reuther verfaßte
Band über die Museumsinsel. Wie viele andere Einrichtungen sollten auch die Museen gigantisch vergrößert werden. Dies hätte die Niederlegung des gesamten nordöstlich an die Museumsinsel angrenzenden Stadtteils erfordert.
Neben den sehr informativen Arbeiten von Larsson und Reuther kann, trotz exzellenter äußerlicher
Gestaltung, die Schrift „Stadtmitte Berlin" von Rudolf Wolters kaum bestehen. Der ehemalige SpeerMitarbeiter Wolters unternimmt hier einen Versuch, die baukünstlerische Gestaltung des Zentrums
von Berlin bis in die Gegenwart zu beschreiben. Besonders breiten Raum nimmt dabei auch die
nationalsozialistische Planung ein, ohne daß Neues berichtet wird.
Speer hatte mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit wohl am besten die Intentionen Hitlers erfaßt und in
seine Planungen aufgenommen. Ebenso wie für seinen Bauherrn standen für ihn sowohl in der stadtplanerischen wie auch in der architektonischen Gestaltung ästhetisch-baukünstlerische Momente im
Vordergrund. In dem Vorwort seines vom Propyläen-Verlag in vorzüglicher Ausstattung herausgebrachten Werkes über Architektur, das neben den Berliner Bauten und Planungen u. a. auch die Entwürfe für die Gestaltung des Reichsparteitaggeländes in Nürnberg enthält, geht er zwar auf die von
Karl Arndt im gleich Band näher erläuterten Zusammenhänge zwischen dem nationalsozialistischen
Macht- und Unterwerfungswillen und der von ihm entworfenen Architektur ein, doch zeigt die Bildauswahl und -kommentierung eindeutig einen Schwerpunkt im ästhetischen Bereich. Die in dem Werk
ebenfalls enthaltenen Aufsätze von Georg Friedrich Koch: „Speer, Schinkel und der preußische
Stil" und „Klassizismus in der Architektur des 20. Jahrhunderts" von Lars Olof Larsson zeigen, daß
die einzelnen Stilmomente sehr wohl in der zeitgenössischen Architektur enthalten waren, nicht
jedoch deren maßstabslose Anwendung, sieht man von einigen, niemals über skizzenhafte Planungen
herausgekommenen Ideen für Bauten in Moskau, Rom und Chikago ab.
Albert Speer gehörte auch zu den wenigen führenden Personen, die eine Mitschuld an den Verbrechen
des Dritten Reiches öffentlich bekannten, freilich in sehr eingeschränkter Form. Urteile und Meinungen über die vermeintliche oder tatsächliche Wandlung Speers von einem blinden Gefolgsmann zu
einem kritischen Gegner des Naziregimes wurden von Adelbert Reif in dem Buch: „Albert Speer.
Kontroversen um ein deutsches Phänomen" zusammengetragen. Außer den Akten des Nürnberger
Gerichtshofes wurden vor allem Stimmen zu den beiden autobiographischen Schriften Speers aus der
Feder namhafter Publizisten und Historiker erfaßt. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die von Eugen Gerstenmaier aufgeworfene Frage: „Was ist Schuld, was Schicksal?"
(S. 485-489).
Schuld haben sich alle, die an verantwortlicher Stelle an der Bauplanung für die „Führerstädte" beteiligt waren, aufgeladen: Polnische KZ-Häftlinge sollten 1940 in Hamburg zu den vorbereitenden
Arbeiten herangezogen und die Klinkersteine im Lager Neuengamme hergestellt werden. Zwischen
der Stadt Berlin und der SS, die auch ein entsprechendes Baustoffwerk im KZ Oranienburg unterhielt,
bestanden ähnliche Verträge (Dülffer/Thies/Henke, S. 199 f.).
Felix Escher
Kunstwerke und Dokumente aus den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hrsg.: HansGeorg Wormit. Stuttgart: Kohlhammer 1978. 236 S. m. 216 Abb. (zum Teil farbig), Ln., 48 DM.
Seit 1962 arbeitet die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Sie hat die Sammlungen des früheren Staates Preußen, die man ihr anvertraute, zusammengefaßt, Neubauten errichtet, Neuerwerbungen
durchgeführt und damit begonnen, die Stiftungseinrichtungen im Innern planmäßig auszubauen. Sie
wurde zu einem geistigen Organismus, der im deutschen Sprachgebiet seinesgleichen sucht - gemessen an der Vielfalt und dem Wert seiner Bestände, der Architektur und sachlichen Eignung seiner
neuen Gebäude, dem Interesse der Öffentlichkeit an seinen Sammlungen und der Intensität der
wissenschaftlichen Arbeit, die in ihnen geleistet wird. - Mit diesen Worten leitet Hans-Georg Wormit
sein Vorwort ein. Als Zweck der vorliegenden Schrift bezeichnet er es, dem großen Kreis der Besucher
und Benutzer der Museen, Bibliotheken, Archive und Institute einen Überblick über die Werte zu
geben, die im Eigentum der Stiftung liegen, und Auskunft darüber zu erteilen, wo die einzelnen
Gegenstände zu finden sind. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, daß die Herkunft des Preußischen
Kulturbesitzes makellos ist und sich nirgends Beutestücke finden lassen.
Am 25. Februar 1947 wurde der Staat Preußen durch das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats
aufgelöst. Das Kulturerbe Preußens war über mehrere Länder verstreut, und es hätte nahegelegen,
115
die Sammlungen Preußens in Bundeseigentum überzuführen oder sie auf die Nachfolgeländer des
aufgelösten Preußens aufzuteilen. Der Bundesminister des Innern als Vorsitzender des Stiftungsrates
bezeichnet die schließlich gefundene Lösung, mit der gleichzeitig Berlin eine weitere Chance gegeben
wird, sich als geistige Hauptstadt des deutschen Volkes zu behaupten, als „eine der bedeutsamsten
kulturpolitischen Leistungen der Nachkriegszeit".
Stephan Waetzoldt nennt den 3. August 1830, den Eröffnungstag des von Schinkel erbauten „Alten
Museums", als das offizielle Gründungsdatum der Preußischen Staatlichen Museen und Wilhelm von
Humboldt als deren geistigen Vater. Die Geschichte der Preußischen Kunstsammlungen beginnt aber
rund 150 Jahre früher, in der Regierungszeit des Großen Kurfürsten. Alle seine Nachfolger haben die
Bestände vermehrt, vor allem Friedrich der Große, der die Gemäldegalerie von Sanssouci als den
ersten selbständigen Museumsbau in Deutschland errichtete. Als die Preußischen Museen 1930 auf
den Stufen des Pergamon-Altars ihr lOOjähriges Bestehen feiern konnten, waren aus den ursprünglich
fünf Abteilungen inzwischen 19 geworden. Nach dem Kriege gelangten Sammlungen von insgesamt
14 Museen nach Berlin (West). Heute gehören dort die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz
nach Umfang und Qualität ihrer Sammlungen, nach der Art ihrer Dienstleistungen und nach der
Geltung ihrer Forschungstätigkeit wieder zu den ersten in der Welt.
Über die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz berichtet Ekkehart Vesper. Von den drei Millionen
Bänden, die während des Krieges ausgelagert wurden, fanden sich etwa 1,7 Millionen Bände in den
westlichen Besatzungszonen wieder, Grundstock für den heutigen Bestand. Man erfährt Einzelheiten
über die Sammelschwerpunkte wie auch über die Arbeit z.B. an den Gesamtverzeichnissen der Zeitschriften. Sicher ist nicht allgemein bekannt, daß das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz
die zur Zeit größte historische Fachbibliothek in Berlin (West) besitzt. Gerhard Zimmermann weist
überdies auf die Ausstellungen und auf die Publikationstätigkeit hin.
1930 führte die preußische Kulturpolitik in Berlin zur Errichtung des Ibero-Amerikanischen Instituts,
deren einzelne Sammlungen und Veröffentlichungen von Hans-Joachim Bock vorgestellt werden.
Schließlich erfährt man aus der Feder von Hans-Peter Reinecke, daß das Staatliche Museum für Musikforschung und Musikinstrumenten-Museum auf ein 1917 von Adolf zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg gegründetes Institut zurückgeht, das 1934 nach Berlin verlegt wurde. Heute gliedert es sich in
vier Abteilungen: die Musikinstrumentenkundliche Abteilung mit Musikinstrumenten-Museum, die
Historische Abteilung, die Abteilung für Musikalische Volkskunde und diejenige für Musikalische
Akustik.
Der Text beschränkt sich auf knappe Übersichten; wertvoller schien es dem Herausgeber zu sein, anhand von Abbildungen exemplarisch aufzuzeigen, wie reich und vielgestaltig der Bestand ist. Der
Kenner wird so viele Beispiele finden wie auch vermissen.
H. G. Schultze-Berndt
v
Klaus-Dieter Wille: 42 Spaziergänge. Historisches in Charlottenburg und Spandau. Berlin: Hessling
1976. Pappbd., 144 S. m. Abb., 19,80 DM (Berliner Kaleidoskop Bd. 17).
Mit diesem Büchlein, das bequem in die Brusttasche jedes Wanderers paßt, hat der Autor eine hervorragende Orientierungshilfe nicht nur für den einheimischen Spaziergänger, sondern auch für jeden
Berlin-Besucher geschaffen. Die jeweils zwischen den Artikeln eingefügten klaren Straßenpläne mit
deutlicher Numerierung und Erläuterung der sehenswerten Objekte machen auch unkundigen
Wissensdurstigen das Auffinden leicht. Gerade die sonst in dickleibigen Werken vernachlässigten weil von „höherer" Warte als unwichtig angesehenen - und doch für einen heimatliebenden Menschen so liebenswerten, oft versteckt liegenden Häuser, Plätze u. a. m. zu besuchen und Einzelheiten
darüber zu vermitteln, lag in der Absicht des Verfassers, und dies ist dem Heimatforscher und Erzähler
Klaus-Dieter Wille recht gut gelungen. Als alter Charlottenburger kann man eigentlich nur bedauern,
daß nicht das ganze Buch mit Dingen aus unserem Bezirk ausgefüllt worden ist; denn sie sind doch vor
allem hier reichlich vorhanden.
Lobenswert war die Absicht des Autors, knappe Einführungen in die Geschichte der beiden ehemaligen selbständigen Städte zu geben. Demjenigen, der wie der Rezensent sein Leben in dieser Gegend
mit offenen Augen und Interesse an der Heimatkunde verbracht hat, muß es aber u. a. seltsam erscheinen, warum der Autor z. B. bei dem Gefallenendenkmal am Bahnhof Zoo von Rätseln spricht,
obwohl der Standort vor dem Landwehr-Kasino und die Inschrift am Sockel alles erklären. Enthält
116
der Satz: „Auf einem rechteckigen Sockel. . . " einen Druckfehler? Er soll doch sicher enden:
. . .„Standbild eines idealisierten Kriegers." - nicht „eines Krieges."
Es schmerzt auch alte „Lützower" sehr, wenn heute jemand abwertend von einer deklarierten oder
einer Pseudo-Dorfaue in bezug auf den seit Jahrhunderten bestehenden Dorfplatz - heute AltLietzow benannt - spricht. Dieser Ort ist seit der Gründung des Dorfes der Mittelpunkt mit Friedhof
und Kirche gewesen. Noch in den dreißiger Jahren „wanderten" hier die Kinder zur Kirche - selbst
diejenigen, die nördlich der Spree wohnten - vorbei an den restlichen Grabkreuzen vor dem Kirchentor und vorbei an den letzten Bauernhäusern. Diese Dorfaue zeigt heute noch ihre historische Struktur,
nur daß die ehemaligen Feldwege jetzt Straßen sind.
Es wäre auch noch manche Ergänzung zum besseren Verständnis des ahnungslosen Betrachters angebracht, z.B. daß das Haus Tegeler Weg 21 nach Beendigung der Tätigkeit von Dreisbach jahrzehntelang ein nettes und vielbesuchtes Gartenlokal war und erst nach den Kriegszerstörungen 1945 als vorläufiges Provisorium einen Kindergarten aufnahm.
Doch sollten diese Einzelheiten kaum die Lust mindern, den hier vorgeschlagenen Spazierwegen zu
folgen.
Fritz Bunsas
Weihnachten im alten Berlin. Texte und Bilder gesammelt von Gustav Sichelschmidt. Berlin:
Rembrandt 1978. 159 S. m. 26 Abb., geb., 14,80 DM.
Das vorliegende Büchlein bietet uns eine recht umfassende Auswahl Altberliner Weihnachtsimpressionen, die einen Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten umfaßt und so bekannte Dichter wie Ludwig
Tieck, Willibald Alexis, Adolf Glassbrenner, Heinrich Seidel und Julius Stinde - um nur einige zu
nennen - zu Worte kommen läßt. Sie beschreiben zumeist das bunte Leben und Treiben auf dem
Berliner Weihnachtsmarkt vor der Kulisse des Schlosses. Die dichte und fast sinnlich wahrnehmbare
Atmosphäre wird noch angereichert durch eine Reihe guter, teilweise farbiger Bildwiedergaben von
Chodowiecki, Hosemann, Zille u. a. - Ein anheimelndes Buch für die bevorstehende Adventszeit, doch
sollte man sich beim Lesen und Anschauen der Bilder vergegenwärtigen, daß es auch Kinder waren,
die bei klirrender Kälte, durchfroren und sicher oft hungrig ihre „Dreierschäfken", Pyramiden und
„Walddeibel" verkaufen mußten - die Beunruhigung darüber brachte Theodor Storm in seinem
Gedicht „Weihnachtsabend" zum Ausdruck.
Irmtraut Köhler
Oswald Meichsner: Der Kurfürstendamm gezeichnet von Oswin. Berlin: O. Meichsner (Selbstverlag)
l°79,kart.,3()DM.
In Form eines Leporellos legt Oswin ein getreues Abbild des Kurfürstendamms zwischen Gedächtniskirche und Adenauerplatz (Wilmersdorfer Straße) in seiner gegenwärtigen Gestalt vor. Der Bildspaziergang auf dem Flanier-Boulevard hat für jede Straßenseite eine Länge von 7,50 m. Dabei ist es
Oswin gelungen, nicht nur die Fassaden darzustellen, sondern auch das Straßenleben einzufangen.
Neben dem künstlerischen Wert kommt dem Werk auch eine zeitgeschichtliche Bedeutung zu. 1946
hatte sich Oswin nämlich schon einmal der gleichen Aufgabe unterzogen und das Ergebnis ebenfalls
als Leporello herausgegeben. Obwohl als Werbegeschenk nachgedruckt, ist diese Ansicht des Kurfürstendamms seit längerer Zeit nicht mehr erhältlich. Die der Neuauflage beiliegende - im Format etwas
kleinere - „Erstfassung" ermöglicht einen Vergleich, der nicht nur zugunsten unserer Zeit ausfällt.
Trotz der noch zahllosen Ruinen hatte - das wird deutlich - der Kurfürstendamm sich bereits 1946
seine Stellung im Berliner Leben zurückerobert, wenn auch der Wiederaufbau zunächst meist auf das
Erdgeschoß beschränkt bleiben mußte. Zahlreiche Geschäfte behielten trotz der Errichtung pompöser,
den Stil der Straße störender Warenhäuser und Büropaläste ihren Standort bei. Der Charakter der
Straße blieb unverändert, wenn auch die Gebäude, ebenso wie Oswins flanierende Berliner, in den
letzten dreißig Jahren erheblich an Umfang zugenommen haben.
Ebenso einfühlsam und liebevoll wie die zeichnerische Darstellung des Kurfürstendamms ist die Einführung des als Schriftsteller und Dramatiker nicht weniger bekannten Bruders des Künstlers, Dieter
Meichsner. Es ist eine in ihrer Originalität und Qualität rundum gelungene Berlin-Publikation.
Felix Escher
117
Irmgard Wirth: Berlin 1650—1914. Von der Zeit des Großen Kurfürsten bis zum Ersten Weltkrieg.
Stadtdarstellungen aus den Sammlungen des Berlin Museums. Hamburg: H. Christians Druckerei
und Verlag 1979. 218 S. m. 182 z. T. fbg. Abb., Pappbd., 98 DM.
Nach Jahren einer gewissen qualitativen Bescheidenheit auf diesem Sektor der Berlinliteratur kam im
Frühjahr dieser Berlinband heraus, der, um das Fazit voranzustellen, durchaus das Prädikat „hervorragend und repräsentativ" für sich beanspruchen darf. Dies gilt sowohl für den Inhalt als auch für die
Gestaltung und, mit kleinen Abstrichen, die technische Ausführung.
Aufgeteilt in die zwei Kapitel „1650—1871, Berlin - Haupt- und Residenzstadt des Kurfüstentums
Brandenburg und des Königreiches Preußen" und „1871 — 1914, Hauptstadt des Deutschen Reiches",
bietet dieser Band mit seinem überwiegend kulturgeschichtlichen Text und dem sehr guten Bildmaterial dem an der stadtgeschichtlichen Entwicklung Interessierten die Möglichkeit, seine Kenntnisse
um ein Beträchtliches zu erweitern. Anhand von Plänen, Architekturzeichnungen, Urkunden, Gemälden und Druckgrafik kann der Leser nachvollziehen, wie sich die doch recht bescheidene Hauptstadt
Berlin-Coelln des Kurfürstentums Brandenburg im Laufe der Jahrhunderte langsam zu einer der
großen und bedeutenden europäischen Metropolen entwickelte. Deutlich wird hier außerdem, daß
seit dem 17. Jahrhundert das Interesse an der topografischen Darstellung der Stadt wuchs. Eine
Entwicklung, die dieser Band vorzüglich kommentiert. Auch das Loslösen von der reinen Architekturmalerei beginnt; Mensch und Tier beleben nun die Szene, schaffen somit Atmosphäre. Vom barocken
bis zum klassizistischen Berlin ist leider kaum noch etwas erhalten geblieben und damit das ursprüngliche Gesicht dieser Stadt nur in Spuren erkennbar. Um so reizvoller dürfte daher der hier gebotene
Rückblick sein.
Irmgard Wirth, seit nunmehr zwölf Jahren Leiterin des Berlin Museums, konnte bei der Auswahl der
Abbildungen voll aus dem doch inzwischen recht ansehnlichen Fundus des Museums schöpfen. So
kann der Leser im ersten Kapitel u.a. die Prospekte und Stadtansichten von Caspar Merian, Johann
Ruysche und Johann Stridbeck, den Vogelschauplan von Peter Schenk, Pläne und Zeichnungen von
Graf von Schmettau, Andreas Schlüter und Paul Decker, Eosander Göthe, den Prospekt von Matthäus
Seutter, Gebäudezeichnungen von J. D. Schleuen sowie Darstellungen aus dem damaligen Berlin von
Daniel Chodowiecki, Joh. Georg Rosenberg, Carl Benjamin Schwarz, F. A. Calau, Lütke jun., Karl
Friedrich Schinkel, Wilhelm Barth, Adolph Menzel, Theodor Hosemann und Eduard Gaertner
betrachten. Im zweiten Kapitel reicht die Palette der Künstler u.a. von Julius Jacob d.J. über Franz
Skarbina, Lesser Ury, Max Beckmann, Walter Leistikow, Max Liebermann und Paul Paeschke bis zu
Heinrich Zille.
Ein ordentliches Namens- und Sachregister sowie ein weiterreichendes Literaturverzeichnis ergänzen
den Inhalt.
Die grafische Gestaltung lag in den Händen von Andreas Brylka, der, wie bei allen seinen Arbeiten,
auch hier um eine einheitliche Linie über alle Seiten des Bandes bemüht war, was leider z. B. bei den
Titelseiten etwas unorganisch gegenüber dem Ganzen wirkt. Die Reproduktionen sind ausgezeichnet,
wobei nicht verschwiegen werden darf, daß es Abbildungen gibt (z. B. auf Seite 143), die nicht die
mögliche Farbgenauigkeit erreichen. Leider sind auch bei diesem Band wieder Abbildungen als
Doppelseiten konzipiert und durch den Falz unschön zerteilt; ein Problem, das sicher nie befriedigend
gelöst werden wird, will man Querformatiges noch in vernünftiger Verkleinerung abbilden. Auch der
zu geringe Bundsteg, vor allem an jenen Seiten, die als Blätter an Bogenteile geklebt wurden, ist
anzumerken.
Dennoch: Die hier aufgeführten Unebenheiten schmälern nur in geringem Umfang den sehr guten
Gesamteindruck, den diese Publikation hinterläßt.
Claus P. Mader
118
Unser Verein hat vom Senator für Bau und Wohnungswesen ein Verzeichnis der Ehrengrabstellen
Berlins, Stand August 1978, erhalten. Die Liste kann in der Bibliothek eingesehen werden.
*
Im Jahre 1980 werden die Tagesausfiüge zu lohnenden Zielen in die DDR wieder aufgenommen.
Einzelheiten wollen Sie bitte den nächsten Heften der „Mitteilungen" entnehmen.
*
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge
67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis
unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
*
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten.
Unser diesjähriges Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird im Oktober ausgeliefert. Es enthält acht
Beiträge mit insgesamt 34 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer
Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band zugeschickt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das
laufende Jahr </. Z. 36 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 22,80 DM. Bestellungen von
Nichtmitgliedern, Zusatzbestellungen oder Bestellungen von Buchhandlungen direkt in der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, oder beim Westkreuz-Verlag,
Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49.
Im III. Vierteljahr 1979
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Ursula Dahlhaus, Lehrstuhlsekretärin TU
Grolmanstraße 44/45, 1000 Berlin 12
Tel. 8 83 11 21
(Schriftführer)
Ilse Giebeler, Dolmetscherin i. R.
Romanshorner Weg 64, 1000 Berlin 51
Tel. 4 95 98 64
(H. D. Degenhardt)
Käte Haberland
Carl-Schurz-Straße 31, 1000 Berlin 20
Tel. 3 33 71 35
(Lucie Brauer)
Dr. Anne-Marie Herbst, Biologin
Erholungsweg 72,1000 Berlin 27
Tel. 4 33 63 53
(Dr. Schultze-Berndt)
Dagmar Jabbusch, MTA
Wedellstraße 33, 1000 Berlin 46
Tel. 7 75 16 23
(Dr. Balau)
Susanna Janzen, Hausfrau
Joachimsthaler Straße 24, 1000 Berlin 15
Tel. 8 81 27 16
(Maria Thiemicke)
Werner Janzen, Richter
Joachimsthaler Straße 24, 1000 Berlin 15
Tel. 8 81 27 16
(Maria Thiemicke)
Reinhardt Link, Postbeamter
Romanshorner Weg 73, 1000 Berlin 51
(Dieter Klatt)
John Henry Richter, Bibliothekar
P.O. Box 7978, Ann Arbor, Mich. 48107 USA
(Hans Schiller)
Wilhelmine Smink, Rentnerin
Paulstraße 6 - 7 , 1000 Berlin 21
Tel. 3 91 84 27
(Lucie Brauer)
119
Veranstaltungen im IV. Quartal 1979
1. Dienstag, den 23. Oktober 1979, 14.00 Uhr: Auf Mitgliederwunsch Wiederholung
der Führung durch Park und Schloß Bellevue unter der Leitung von Herrn Günter
Wollschlaeger. Treffpunkt am Hauptportal. Fahrverbindungen: Busse 16 und 24.
U-Bahn bis Hansaplatz. S-Bahn bis Bahnhof Bellevue.
2. Donnerstag, den 25. Oktober 1979, 16.00 Uhr: Führung durch die Ausstellung
„Heinrich Zille und sein Berliner Volk" im Berlin-Museum, Berlin 61, Lindenstraße
14. Treffpunkt im Foyer.
3. Mittwoch, den 14. November 1979, 11.00 Uhr: Spaziergang am Roseneck. Treffpunkt Rheinbabenallee, Ecke Luciusstraße. Fahrverbindungen: Busse 17, 19, 29,
50 und 60.
4. Sonntag, den 18. November 1979, 10.00 Uhr: Führung durch die Heinrich-ZilleGedenkausstellung im Märkischen Museum Berlin, DDR —Berlin 102, Am Köllnischen Park 5. Treffpunkt in der Vorhalle. Fahrverbindungen: S-Bahn bis Jannowitzbrücke.
5. Dienstag, den 27. November 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Günter
Wollschlaeger: „Notizen zur Baugeschichte ehemaliger märkischer Herrenhäuser".
Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
6. Dienstag, den 4. Dezember 1979, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dr.
Hartwig Schmidt: „Antike Motive an Berliner Miethäusern der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
7. Sonnabend, den 15. Dezember 1979, 17.00 Uhr: „Musik zum Advent" in der Dorfkirche Alt-Mariendorf. Anschließend vorweihnachtliches Beisammensein im Gasthof
„Heidekrug", Alt-Mariendorf 33. Fahrverbindungen: U-Bahn bis Alt-Mariendorf.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist
zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Freitag, den 19. Oktober, 16. November und 14. Dezember, ab 17 Uhr: Zwangloses
Treffen in der Vereinsbibliothek im Rathaus Charlottenburg.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, 1000 Berlin 19, Königin-Elisabeth-Straße 10.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, 1000 Berlin 31, Blissestraße 27, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, 1000 Berlin 65, Seestraße 13, Ruf 45 30 11. Schatzmeister:
Ruth Koepke, 1000 Berlin 61, Mehringdamm 89, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto des Vereins:
Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner Bank,
1000 Berlin 19, Kaiserdamm 95.
Bibliothek: 1000 Berlin 10, Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), Telefon 34 10 01, App. 2 34. Geöffnet:
freitags 16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, 1000 Berlin 41, Bismarckstraße 12; Felix Escher, Wolfgang
Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
120
RafsbifaHc'/
FadiabtJ-der Berliner Sic
A1015FX
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
76.Jahrgang
Heftl
Januar 1980
Haupteingang der Villa von der Heydt. Nach dem Entwurf von G. Linke und H. Ende,
gezeichnet von A. v. Keller, Lithografie, 1864.
121
Die Villa von der Heydt. Zeichnung von Gottlob Theuerkauf. Holzschnitt, 1866.
//
Die ehemalige Von-der-Heydt-Villa und ihre Umgebung
Von Hans Werner Klünner
Im Januar 1980 beziehen Präsident und Verwaltung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
ihr neues Dienstgebäude - die wiederaufgebaute Villa „von der Heydt" in der Von-derHeydt-Straße 18 am Südrand des Tiergartenviertels. Dieser Wandel der letzten der alten
hochherrschaftlichen Tiergartenvillen zum Verwaltungsgebäude ist der Anlaß zu einem
Rückblick auf seine Geschichte und die seiner Umgebung.
Als der preußische Handelsminister August von der Heydt im Jahre 1860 das Grundstück
zwischen dem Gartenlokal Moritzhof und dem Landwehrkanal kaufte, um sich hier eine
Villa bauen zu lassen, lag es noch auf Charlottenburger Gebiet, aber die Eingemeindung
dieses Teils der Nachbarstadt nach Berlin war mit „Allerhöchster Kabinettsordre" vom
27. Januar 1860 bereits verfügt und sollte ab 1. Januar 1861 in Kraft treten. Das Grundstück des Ministers umfaßte damals die Hälfte eines 240 m langen und 60 m tiefen Geländestreifens, der durch die Von-der-Heydt-Straße nördlich, die Calandrelli-Anlage östlich,
das Herkulesufer südlich und die Klingelhöferstraße westlich begrenzt wird und den
122
Wohnhaus des Stadtgerichtsrates Lehmann in Berlin. Nach dem Lntwurf von G. Linke, gezeichnet
von A. v. Keller. Lithografie, 1864.
heutigen Hausnummern 1 5 - 1 8 entsprach. (Der jetzige gebogene Verlauf der Von-derHeydt-Straße ist bei einem „verkehrsgerechten" Umbau vor etwa fünfzehn Jahren entstanden.) Die ganze Fläche war ursprünglich Ackerland, später Teil einer Maulbeerplantage
und entstand durch den in den Jahren 1845 bis 1849 durchgeführten Ausbau des Schafgrabens zum Landwehrkanal nach Peter Josef Lennes Plänen. Bis dahin floß der Graben
westlich der heutigen Calandrelli-Anlage nicht in seinem heutigen Lauf, sondern bog hier
nach Nordwesten stark ab. um durch die heutige Köbisstraße zu fließen. Der neue Landwehrkanal hingegen fließt mit Benutzung des alten „Markhofschcn Grabens", eines
Entwässerungsgrabens der Charlottenburger Feldmark, in Richtung des Zoologischen
Gartens südlich am Tiergarten vorbei. In das so entstandene Dreieck der Wasserläufe ließ
August von der Heydt seine Villa setzen, mit der Haupt- und Ansichtsseite bewußt nach
Osten orientiert, wie der hier gezeigte Holzschnitt von Gottlob Theuerkauf es deutlich
macht.
Die Villa wurde nach einem Entwurf des Geheimen Oberbaurates im Handelsministerium,
G. A. Linke, durch den Baumeister Hermann Ende von 1860 bis 1862 erbaut. Von Ende
selbst entworfen waren die Nebengebäude im Schweizerhausstil und die Umfassungs123
mauer, vielleicht auch die Innendekoration des Hauses. Die Urheberschaft Linkes an der
Villa wird von Irmgard Wirth in „Die Bauwerke und Kunstdenkmäler von Berlin, Bezirk
Tiergarten", Berlin 1955, Seite 152 f., bestritten, ergibt sich aber m.E. erstens aus der
Bezeichnung der beiden Lithografien im „Architektonischen Skizzenbuch" Heft LXVI
(1864), Blatt 4 und 5, mit „Linke u. Ende"; zweitens aus der verblüffenden Ähnlichkeit
mit Linkes Entwurf für das Wohnhaus des Stadtgerichtsrates Lehmann auf dessen Grundstück Tiergartenstraße 9 im „Architektonischen Skizzenbuch" Heft LXVII (1864), Blatt 2,
das unsere Abbildung zeigt. Die Mitautorschaft Linkes an der Von-der-Heydt-Vüla vertritt
auch Eva Börsch-Supan in ihrem Werk „Berliner Baukunst nach Schinkel 1840 — 1870",
München 1977, Seite 570. Hinzu kommt noch, daß Linke als Vortragender Rat dem
Minister dienstlich nahestand.
August von der Heydt, geboren am 15. Februar 1801 in Elberfeld, ursprünglich Bankkaufmann, war von 1848 bis 1862 Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Er
gab auch den Anstoß zur Erarbeitung des nach seinem Verfasser „Hobrechtplan" genannten Bebauungsplans von Berlin. Von März bis September 1862 war von der Heydt Finanzminister, im Januar 1863 wurde er in den erblichen Freiherrenstand erhoben. Nochmals
von 1866 bis 1869 Finanzminister, starb er am 13. Juni 1874 in Berlin und wurde auf dem
St.-Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße beigesetzt. Die Villa ging auf seinen
Sohn, den Consul Eduard von der Heydt, über, der sie aber nicht bewohnte, denn er hatte
draußen in Wannsee - Conradstraße Ecke Große Seestraße - eine eigene Villa. Im
Sommer 1878 wurde die Tiergartenvilla an die Chinesische Gesandschaft beim Deutschen
Kaiser vermietet.
Inzwischen hatten sich entscheidende Veränderungen in der Umgebung abgespielt. Abgesehen davon, daß der Weg zwischen dem Moritzhof und dem Ministergrundstück ausgebaut und mit Wirkung vom 18. Oktober 1861 „Von-der-Heydt-Straße" genannt wurde,
gingen die beiden benachbarten und jahrzehntelang beliebten und besuchten Ausflugslokale „Hofjäger" und „Moritzhof" 1872 in den Besitz der „Hofjäger- und CorsostraßenActiengesellschaft" über, die sie parzellierte und - im Gegensatz zum Villencharakter der
Umgebung — mit mehrgeschossigen Mietshäusern bebauen ließ. Dabei wurde 1873 auch
der Rest des Schaf grabens zugeschüttet und auf ihm eine neue Straße, die seit dem 5. September 1874 so bezeichnete „Kaiserin-Augusta-Straße", angelegt.
Die auf Theuerkaufs Holzschnitt noch sichtbare „Moritzhofbrücke" verschwand damals
und mit ihr auch der Kahnverkehr, der seitdem auf die engeren Tiergartengewässer rings
um den Neuen See beschränkt blieb. Der Schauspieler Hugo Wauer beschreibt in seinen
Erinnerungen „Humoristische Rückblicke auf Berlins ,gute alte' Zeit", Berlin 1908, auf
den Seiten 48 bis 53 auch den Schafgraben und die Bootflottille, die von einem ihm
bekannten Schiffbauer „Zander" betrieben wurde. Dieser Zander hieß eigentlich
„Alexander" und besaß schon 1862 ein dreigeschossiges Wohnhaus mit fünf Mietparteien
in der Von-der-Heydt-Straße 14, von wo aus er seinen Bootsbau und -verleih betrieb. Er
war also direkter Nachbar des Ministers, den diese betriebsame Nachbarschaft aber nicht
gestört zu haben scheint.
Die Grundstücke Nr. 9, 10, 11 und 12 der Von-der-Heydt-Straße wurden in den Jahren
1867 bis 1871 bebaut, wobei die Villa auf dem Grundstück Nr. 10/11 schon um 1875 vier
großen Mietwohnhäusern weichen mußte. Als Verbindung zwischen der „Albrechtshofer
Brücke" und der Hofjägerallee wurde 1873 die „Friedrich-Wilhelm-Straße" über den
ehemaligen Moritzhof gelegt. Ihren Namen nach dem deutschen Kronprinzen erhielt sie
124
August Freiherr von der Heydt (1801 -1874).
Zeichnung von G. Kühn.
Holzschnitt, 1869.
Liu-Ta-jen,
erster Gesandter Chinas in Berlin.
Holzschnitt, 1878.
1874, heute heißt sie „Klingelhöferstraße", nach dem sozialdemokratischen Politiker aus
den Jahren nach 1945. Die Albrechtshof er Brücke, 1849 nur aus Holz gebaut, wurde
1889/90 in Stein erneuert und nach den auf ihr aufgestellten Herkulesgruppen von der
alten Brücke über den Königsgraben ebenfalls „Herkulesbrücke" genannt.
Der Name „Kaiserin-Augusta-Straße" hat übrigens immer Anlaß zu Verwechselungen mit
der benachbarten „Königin-Augusta-Straße" gegeben. Diese, aus dem Uferweg des
Schafgrabens entstanden, hieß seit 1849 „Grabenstraße" und bekam mit Wirkung vom
15. Dezember 1866 den Namen nach der preußischen Königin; nach 1933 hieß sie „Tirpitzufer", und seit 1947 heißt sie „Reichpietschufer", während die „Kaiserin-AugustaStraße" nach einem Zwischenspiel als „Admiral-von-Schröder-Straße" seit 1947 „Köbisstraße" heißt. Von diesen Hin-und-Her-Benennungen ist die „Hohenzollernstraße"
verschont geblieben, sie hat den ihr nach 1933 verliehenen Namen „Graf-Spee-Straße"
behalten. Die Benennung dieser Straßen nach Angehörigen der ehemaligen kaiserlichen
Marine ist auf die Lage des Reichsmarineamtes, des heutigen „Bendler-Blockes", am
Reichpietschufer zurückzuführen.
Doch zurück zur Chinesischen Gesandtschaft: Im Oktober 1877 war der Gesandte LiuTa-jen - als erster Gesandter des Chinesischen Reiches in Deutschland überhaupt - nach
Berlin gekommen, hatte zunächst in der südlichen Friedrichstadt Wohnung genommen
und zog im Sommer 1878 in die Villa von der Heydt ein. Emil Dominik, Redakteur der
Zeitschrift „Über Land und Meer", beschreibt in Heft 8/1878 derselben die neue Wohnung des Gesandten: „Dieser schöne Bau wurde vor mehreren Jahren von Ende und
Böckmann am Landwehrkanal für den damals reichsten Mann Berlins in einem schönen,
125
baumreichen Park aufgeführt . . . Die Villa ist in den edlen Stylformen der griechischen
Renaissance aufgeführt und besteht aus einem herrschaftlichen Hause, das an der Ostseite
durch einen Portikus geziert ist, während an der Westseite Nebengebäude den Wirtschaftshof umgeben. In dem hochgelegenen Parterregeschoß, dem Hauptstockwerk, liegen die
Repräsentationsräume sowie die Wohnzimmer des Gesandten, in den oberen Räumen und
den Nebengebäuden die Wohnungen der verschiedenen Beamten. Der Hauptaufgang führt
von Norden her auf einer stattlichen Freitreppe, welche im Inneren durch eine breite, mit
Teppichen belegte Marmortreppe fortgesetzt wird. Dieselbe läuft auf einen großen, reich
verzierten Korridor aus, welcher mit den Marmorbüsten unseres Herrscherpaares geschmückt ist. Um alle diese Räume gruppieren sich die überaus geschmackvoll dekorierten
Salons des Gesandten. Einzelne Porzellanvasen und Schalen, die aus der Heimat mitgebracht sind, haben in den Räumen Aufstellung gefunden. Nach der Hauptfront, der Ostseite, liegen drei große Empfangssalons, nach der Südseite die Räume, welche dem Gesandten zur persönlichen Benützung dienen; sie bestehen aus Arbeits-, Schlaf-, Toiletteund Badezimmer und den Räumen für den Leibdiener, welcher bei der Toilette behilflich
sein muß." Soweit ein Auszug aus Dominiks Schilderung der Chinesischen Gesandtschaft.
Über ein Jahrzehnt später - der Gesandte Liu-Ta-jen hatte schon den zweiten Nachfolger
erhalten - , im April 1889, machte Theodor Fontane einen Spaziergang am Landwehrkanal
zwischen Potsdamer und Lützowbrücke. Eine kleine Plauderei hierüber veröffentlichte er
im Mai 1890 in der Zeitschrift „Freie Bühne für modernes Leben" unter dem Titel „Auf
der Suche. Spaziergang am Berliner Kanal." 1894 ist die Plauderei dann in dem Sammelband „Von vor und nach der Reise" bei F. Fontane & Co. erschienen. Der Dichter teilt
seine Absicht mit, die verschiedenen Ambassaden fremder Länder zu beschreiben und
beginnt mit der Gesandtschaft Chinas. Am Landwehrkanal entlangflanierend, „war auch
schon der Brückensteg da (die 1883/84 erbaute Lützowbrücke, eine im Kriege zerstörte
Fußgängerbrücke in Fortsetzung der Graf-Spee-Straße; d.V.), der mich nach China hinüberführen sollte. So schmal ist die Grenze, die zwei Welten von einander scheidet. Eine
halbe Minute noch, und ich war drüben. Kieswege liefen um einen eingefriedeten Lawn
(die heutige Calandrelli-Anlage; d.V.), den, an dem einen Eck, ein paar mächtige Baumkronen überwölbten. Da nahm ich meinen Stand und sah nun auf China hin, das chinesisch
genug dalag. Was das vorüberflutete, gelb und schwer einen exotischen Torfkahn auf seinem
Rücken, ja, wenn das nicht der Yang-tse-kiang war, so war es wenigstens einer seiner
Zuflüsse. Ganz besonders echt aber erschien mir das gelbe Gewässer da, wo die Weiden
sich überbeugten und ihr Gezweig eintauchten in die heilige Flut. Merkwürdig, es war eine
fremdländische Luft um das ganze her, selbst die Sonne, die durch das Regengewölk durch
wollte, blinzelte sonderbar und war keine richtige märkische Sonne mehr. Alles versprach
ethnographisch einen überreichen Ertrag, ein Glaube, der sich auch im Näherkommen
nicht minderte; denn an einer freigelegten Stelle, will sagen da, wo die Maschen eines zierlichen Drahtgitters die solide Backsteinmauer durchbrachen, sah ich auf einen Vorgarten,
darin ein Tulpenbaum in tausend Blüten stand, und ein breites Platanendach darüber.
Alles so echt wie nur möglich, und so war es denn natürlich, daß ich jeden Augenblick
erwartete, den unvermeidlichen chinesischen Pfau von einer Stange her kreischen zu
hören". Da aber nichts kreischte, umrundete Fontane das Gesandtschaftsgrundstück, um
dann die vor der Mauer spielenden Kinder zu beobachten: „Ich sah dem zu. Nach einigen
Minuten aber ließen die Jungen von ihrem Murmelspiel und die Mädchen von ihrem über
die Kordespringen ab und gaben mir, auseinanderstiebend, erwünschte und bequeme
126
•7'l7er etMenmauf ~7er
rdMfsncfertfesa'iPßcfcr//
Holzschnitt nach einer Zeichnung von A. Wanjura, 1887.
Gelegenheit, die Zeichnungen und Kreideinschriften zu mustern, die gerade da, wo sie
gespielt hatten, die chinesische Mauer reichlich überdeckten. Gleich das erste, was ich sah,
erschien mir frappant. Es war das Wort ,Schautau'. Wenn das nicht chinesisch war, so war
127
es doch mindestens chinesiert, vielleicht ein bekannter Berolinismus in eine höhere fremdländische Form gehoben." Trotz allen Wartens ließ sich hier kein Sohn des Himmels
blicken, und der Dichter trat den Rückweg an, um zu guter Letzt bei Josty am Potsdamer
Platz, wo er sich mit einer Tasse Kaffee erquicken wollte, zwei bezopfte Chinesen in ihrer
heimatlichen Tracht zu erblicken. - Unsere Zeichnung von A. Wanjura aus dem „Buch für
Alle", Nr. 8/1887, zeigt Fontanes „chinesische Mauer" mit den spielenden Kindern, auch
das Korde springende Mädchen ist dabei; ob Fontane die Zeichnung kannte und durch sie
zu seiner Plauderei angeregt wurde?
Im Jahre 1890 wurde die Chinesische Gesandschaft in das Haus „In den Zelten" Nr. 14
verlegt (etwa dort, wo jetzt die Kongreßhalle ist), weil ein Großneffe des Ministers, der
Bankier Karl von der Heydt, die Villa für sich als Wohnhaus gekauft hatte. Dem vorausgegangen war um 1887/88 eine Grundstücksteilung, wobei das alte Grundstück mit den
Hausnummern 14 und 15 in vier Teile zerlegt wurde, von denen das eigentliche Villengrundstück bei der kurz danach erfolgenden Umnumerierung der Hausnummern die
Nr. 18 erhielt. Auf den Grundstücken Nr. 15, 16 und 17 wurden Mietswohnhäuser errichtet, wobei im Parterre von Nr. 17 Eduard von der Heydt, der Sohn des Ministers, selbst
wohnte. Sein Vetter und Nachbar Karl von der Heydt war ein neben seinem Beruf vielseitig interessierter Mann, unter anderem Vorsitzender des „Orient-Komitees", Schatzmeister der „Vereinigung zur Erhaltung deutscher Burgen" (deren Vorsitzender Bodo
Ebhardt baute ihm 1913 sein Bankgebäude in der Mauerstraße) und nicht zuletzt auch
Schatzmeister des „Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins". Die wertvolle Gemäldesammlung
des Bankiers, zum Teil auch mit dem Rat Wilhelm Bodes zusammengebracht, war in der
Villa für die Freunde des Hauses zugänglich.
Die Villa selbst wurde in diesen Jahren und später durch Anbauten an der Westseite und
durch Aufsetzen eines weiteren Geschosses so stark verändert, daß sie ihren selbständigen
Charakter verlor und von den benachbarten Mietshäusern nur noch durch den Säulenportikus an der Ostseite abstach. 1919 verkaufte Karl von der Heydt das Haus an den
„Allgemeinen Deutschen Sportverein", der neben seinen Geschäftsräumen noch sechs
weitere Mietparteien darin unterbrachte. Nach einem kurzen Zwischenbesitz durch die
„Bayerische Vereinsbank" im Jahre 1937 erwarb das Reich das Haus und ließ es 1938 zur
Dienstwohnung für den Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. H.-H. Lammers,
umbauen. Dabei entstand auch anstelle der alten gelben Backsteinmauer die wuchtige,
abwehrende Mauer aus Muschelkalkstein, die das Grundstück noch immer umgibt.
Der kleine Rasenplatz vor der Ostfront der Villa von der Heydt, der durch die Zuschüttung des Schafgrabenrestes entstanden war, wurde von der städtischen Parkverwaltung
durch Bepflanzung mit Sträuchern und Blumen sowie Aufstellen von Ruhebänken in eine
idyllische Grünanlage umgewandelt, deren Krönung aber das vor der Villa aufgestellte
Marmorstandbild einer „Beim Bade überraschten Nymphe" war. Sie war im Auftrag der
„Städtischen Kunstdeputation" nach einem vom Bildhauer Alexander Calandrelli 1885
geschaffenen Modell gearbeitet worden und kostete 10 500 Mark. Die Grünanlage, nach
dem Künstler „Calandrelli-Anlage" genannt, ist durch Kriegseinwirkungen vernichtet
worden, nur das alte Namensschild, noch mit einem kleinen Bären geschmückt, hat die
Zeiten überdauert und findige Journalisten anscheinend angeregt, die Von-der-HeydtVilla „Calandrelli-Villa" zu nennen und dem Künstler auch ein Atelier in ihr anzudichten.
Diese Mär hat sogar amtlichen Charakter erhalten, indem der frühere Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie in seinen Arbeitsbericht für das Jahr 1970 aufnahm, als
128
Alexander Calandrelli:
„Beim Bade überraschte Nymphe".
Marmorbildwerk, 1885/1897.
er mitteilte, daß der Wiederaufbau der schwerbeschädigten Villa für die Verwaltung der
Stiftung im Frühjahr 1971 beginnen solle. Der tatsächliche Ausbau und die Wiederherstellung der Fassade begannen 1978. Gegenüber dem ursprünglichen Umfang ist sie auf
der Westseite um die Breite einer Fensterachse erweitert worden. Zusammen mit dem am
1./2. Dezember 1979 eröffneten neuen Museumsbau des Bauhaus-Archivs, der die Nachbargrundstücke bis zur Klingelhöferstraße einnimmt, wird die alte/neue Villa von der
Heydt die Ergänzung zu dem im Ausbau befindlichen Kulturzentrum im ehemaligen östlichen Tiergartenviertel an der Potsdamer Straße bilden.
Die 1937/38 entstandenen Pläne des „Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt"
sahen den völligen Abriß des Tiergartenviertels östlich der Bendlerstraße (heute Stauffenbergstraße) und seine Neubebauung mit öffentlichen Gebäuden, unter anderem einen
riesigen Komplex für das Oberkommando des Heeres, vor. Dadurch wurde eine große
Anzahl diplomatischer Vertretungen aus diesem Gebiet zum Umzug in das westliche Tiergartenviertel, das jetzt amtlich zum „Diplomatenviertel" bestimmt wurde, veranlaßt.
Diese neuerbauten Botschafts- und Gesandtschaftsbauten haben ja fast alle den Krieg
überstanden. Seinen Charakter als vornehmes, ruhiges Wohnquartier hatte das Tiergartenviertel sofort nach dem Ersten Weltkrieg verloren, als infolge der Wohnungszwangswirtschaft viele der großen Villen leer standen und in Büro- und Verwaltungsgebäude umgewandelt und die einst ruhige Tiergartenstraße zu einer der Hauptdurchgangsstraßen nach
dem Westen wurde. Für die Entwicklung der Von-der-Heydt-Straße ist es interessant zu
sehen, daß 1938 die der Villa benachbarten Mietshäuser Nr. 13 bis 17 in den Besitz des
Oberkommandos der Kriegsmarine übergingen, um als Bürogebäude genutzt zu werden.
129
Weitere Grundstücke waren bei Kriegsbeginn im Besitz des Staates, und so war es in allen
Straßen. Das Tiergartenviertel war damals schon ebenso entvölkert wie die Innenstadt,
wo in vielen Straßen nur noch die Hausmeister der Bürogebäude wohnten.
Wie wird dieser einstmals schönste Stadtteil von Berlin in der Zukunft aussehen?
Anschrift des Verfassers: Felixstraße 13, 1000 Berlin 42
Die Abbildungen stammen aus dem Archiv des Autors.
aniel Friedrich Loos
n Beitrag zur Berliner Münzgeschichte
Von Klaus Sommer
Daniel Friedrich Loos ist mit dem preußischen Münzwesen so eng verbunden wie kein
anderer Künstler auf diesem Gebiet. Mehr als 60 Jahre hat er an preußischen Münzstätten
als Künstler, Stempelschneider und Techniker gearbeitet. Die Sammler preußischer
Münzen besitzen viele Stücke, zu denen er die Stempel geschnitten hat. Darüber hinaus
finden wir in den Münzauktionen immer wieder Medaillen von seiner Hand. Seine Person
aber ist im Dunkel der Vergangenheit verschwunden. Kein allgemeines Lexikon enthält
seine Biographie. Mit seiner Wahlheimat Berlin blieb er stets eng verbunden. Er war nicht
nur ein angesehener und weit über Berlin hinaus berühmter Mann zu seiner Zeit, er hat
auch mit seinen Medaillen das Andenken an die Stadt Berlin und ihrer Geschichte, an
Berliner Persönlichkeiten, Begebenheiten und Gebäude erhalten. Gründe also genug, mit
diesem Aufsatz zu versuchen, Daniel Loos vor dem völligen Vergessenwerden zu bewahren.
Am 4. Mai 1816 berichtete die Zeitung „Berlinische Nachrichten": „Ein seltenes Dienstjubelfest wurde am lsten d. M. auf der hiesigen Börsenhalle gefeiert. Vor 60 Jahren ward
an diesem Tage der jetzige Königl. Hofmedailleur, Herr Daniel Friedrich Loos bei der
Königl. Münze zu Magdeburg als Graveur angestellet. Das Andenken hieran und an die
seit 50 Jahren bei der hiesigen Königl. Hauptmünze mit Auszeichnung und grosser Treue
nützlich geleisteten Dienste des trefflichen Künstlers und ehrwürdigen, noch immer
thätigen Greises zu feiern, erhielt die General-Münz-Direktion von dem Königl. Finanzministerium den ehrenvollen Auftrag. Nächst dem Jubelgreise wurden Räthe des Finanzministeriums, das gesammte hiesige Münzbeamtenpersonal, die nächsten Angehörigen,
Freunde und Kunstgenossen des Gefeierten zu einem Mittagsmahle eingeladen. Als er in
der Mitte der Versammelten erschien, überreichten des Hrn. Geh. Staats- und Finanzministers Grafen v. Bülow Excell. unter Bezeigung von freudiger Theilnahme an dem
seltenen Feste, dem tiefgerührten Jubelgreise ein allergnädigstes Schreiben Sr. Majestät
des Königs und mit demselben, als wohlverdiente Belohnung so vieljährig treu geleisteter
Dienste, das Allerhöchst verliehene allgemeine Ehrenzeichen Ister Klasse. Mit diesem
geschmückt und von allen Anwesenden herzlich begrüßt, wurde der Gefeierte nun zur
Tafel geführt und auf den Ehrenplatz gesetzt. Ein sinnvolles Gedicht, von einem ungenannten theilnehmenden Freunde übersandt, erhöhete die Freuden des Mahles, und eine
130
Medaille, von 2 Schülern des verehrten Veterans ihrer Kunst, für diesen Tag verfertigt und
Ihm überreicht, auf der Hauptseite Sein wohlgetroffenes Bildnis, auf der Kehrseite der
Eichenkranz für diesen in jeder Beziehung trefflichen deutschen Ehrenmann darstellend,
verschönerte dieses Fest, dessen Jahrestag unter gleicher Fülle von Gesundheit und Kraft
dem Gefeierten oft wiederkehren möge."
Mit dieser Feier vollendete sich das Lebenswerk des Mannes, der 81 Jahre zuvor, am
15. Juni 1735 in Altenburg an der Pleiße in Thüringen als achtes Kind des aus Grünhain
stammenden Weißbäckers Christian Gottfried Loosse und seiner zweiten Ehefrau
Dorothea Elisabeth geboren worden war. Bald darauf starb die Mutter und 1743 auch der
Vater. Als sich die Familie zerstreute, nahm sich der älteste Bruder des achtjährigen Kindes
an und zog mit ihm nach Grünhain. Ob die aus Süddeutschland bekannten Stempelschneider Carl Friedrich und Georg Friedrich Loos zu der Verwandtschaft gehörten, ist unwahrscheinlich. Daniel wurde schließlich von seinem Bruder in die Lehre zum HerzoglichGothaischen Hofsteinschneider und Graveur Johann Friedrich Stieler (1729—1790) nach
Altenburg geschickt.
Bei Stieler lernte der Junge die Kunst des Petschierstechens und Beinschneidens. Er
machte rasche Fortschritte, so daß der Meister die Entwicklung des talentvollen Lehrlings
mit Eifersucht beobachtete. Die Wege der beiden trennten sich, als Stieler 1750 aus Altenburg abwanderte. Auch Loos verließ mit 15 oder 16 Jahren seine Vaterstadt und ging,
„kaum bekleidet", nach Leipzig und fand dort bei dem Stempelschneider Ludwig Arbeit.
Ludwig erkannte bald, daß er sich eine nützliche Kraft ins Haus geholt hatte. Die Münzbehörde und die private Kundschaft lobten die vorzügliche Arbeit, ohne zunächst zu
wissen, wer für die verbesserte Qualität der Stempel und Siegel verantwortlich war. Ludwig
wollte sich mit fremden Federn schmücken und versteckte den Gesellen in seinem Haus.
Aber nicht lange konnte er den Künstler aus der Hinterstube verheimlichen, und als die
Beamten der Leipziger Münze erfuhren, von wem die gute Arbeit stammte, wollten sie
Ludwig entlassen und an dessen Stelle den jungen Loos zu ihrem Münzstempelschneider
ernennen. Loos wollte sich darauf aber nur einlassen, wenn auch Ludwig bleiben dürfte.
1756, wohl noch vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, verließ Loos Leipzig mit der
Absicht, in die Schweiz zu dem berühmten Medailleur Hedlinger zu gehen. Unterwegs
wollte er von seiner Kunst als Petschierstecher leben. Auf das Gerücht, Hedlinger sei
gestorben, änderte er die Reiserichtung und wanderte von Erfurt nach dem zu Hannover
gehörenden Göttingen. Von hier aus hoffte Loos nach England zu gelangen, um dort als
Graveur oder Mechaniker sein Glück zu versuchen. In Göttingen blieb er nur kurze Zeit,
denn eine Falschmünzerbande versuchte, den jungen Künstler in ihre Dienste zu zwingen.
Dieser Gefahr entzog er sich durch die Flucht nach Helmstedt. Hier fand er einen hilfsbereiten Freund in Professor Franz Dominicus Häberlin (1720—1787), der an der Universität Geschichte lehrte. Mit einem Auftrag Häberlins kam Loos eines Tages nach Magdeburg
und nahm bei der Gelegenheit Kontakt zu der preußischen Münze dort auf. Er muß noch
im Jahre 1756 hier eine Anstellung erhalten haben, denn sonst hätte das Jubiläum 1816
zur falschen Zeit stattgefunden. Die Verbindung zu Häberlin blieb bestehen. Der Gelehrte
drängte seinen Schützling, in Helmstedt das Mathematikstudium aufzunehmen, um seine
Begabung auch auf dem Gebiet der Mechanik zu entwickeln. Tatsächlich ließ sich Loos
auch unter dem 18. Oktober 1757 an der Universität Helmstedt immatrikulieren. Außer
der Matrikel ist von Loos in Helmstedt nichts zu finden, und wir dürfen deshalb annehmen,
daß aus dem Studium nichts geworden ist.
131
Der Stich aus der Großen Französischen Encyklopädie aus der Mitte des 18. Jahrhunderts
zeigt einen Medailleur bei der Arbeit. So etwa können wir uns auch Loos beim Stempelschneiden vorstellen. Der Graveur schnitt nach einer Skizze für die beiden Münzseiten
negativ Ober- und Unterstempel in Weichstahl, der anschließend durch Ausglühen gehärtet
wurde. Die Stempel drückten beim Prägevorgang die Gravur in den Schrötling. Auf der
geprägten Münze erschien nun das Münzbild positiv. Die Münzstempel nutzten sich durch
den Gebrauch ab und mußten deshalb immer wieder nach einer Mustermatrize gleichförmig
neu geschnitten werden. Das Vermögen, exakte Stempelkopien herzustellen, machte den
guten Stempelschneider aus. Ein vollbeschäftigter Stempelschneider mußte im Jahr an die
3000 Stempel schneiden. Die Medailleure erleichterten sich ihre Arbeit durch den
Gebrauch von Punzen. Für immer wiederkehrende Zeichen, Zahlen, Wappen oder gar
Porträts hatten sie positive Stahltypen hergestellt, die sie vor dem Härten in die Stempel
einsenkten. Da die Reduktionsmaschine noch nicht bekannt war, mußten die Graveure die
Stempel in der Größe der Münze schneiden.
Loos kam zu Beginn des Siebenjährigen Krieges an die preußische Münze nach Magdeburg
und erwarb sich dort bald hohes Ansehen. Er war nicht nur ein erstklassiger Stempelschneider, sondern auch ein geschickter Techniker. Obwohl die eigentlichen Prägearbeiten nicht zu seinen Aufgaben gehörten, führte er einige Verbesserungen in der Münztechnik durch, und es war vor allem eine Tat, die ihn berühmt machte: Er machte hier die
entscheidende Erfindung des Einsenkens bekannt. Ähnlich der Punze, stellte Loos für die
ganze Münze einen positiven Stahlstempel her, eine Patrize, den er in den noch ungehärteten Stempel einsenkte und auf diese Weise die negative Matrize schuf. Nun war es nicht
mehr nötig, immer wieder neue Stempel zu schneiden, wenn die alten abgenutzt waren.
Mit Hilfe der Patrize konnte ein vollkommen gleiches Matrizenpaar hergestellt werden.
Diese Technik erschwerte außerdem den vielen Münzfälschern jener Zeit ihre Arbeit.
Durchgesetzt hat sich das Einsenkverfahren in Preußen allerdings erst 1806.
Die Magdeburger Münze war während des Siebenjährigen Krieges stark beschäftigt, vor
allem, als 1760 die Berliner Münze ausfiel. Hier wurde auch der Silberschatz des Berliner
Schlosses vermünzt. Neben der Routinearbeit des Stempelschneidens nach den aus Berlin
kommenden Mustermatrizen schuf Loos in Magdeburg sein erstes Münzbild.
Zwar sind leider die Unterlagen aus der Magdeburger Münze verlorengegangen, aber aus
den verfügbaren Hinweisen können wir schließen, daß das Bild des Magdeburger Talers
und der entsprechenden Teilstücke aus der ersten Jahreshälfte 1764 sein Werk sind. Der
Bildtyp unterscheidet sich auffallend von den früheren, von Georgi stammenden und
späteren, von Abraham ausgeführten Typen.
Die ersten Jahre als preußischer Untertan fielen in die Kriegsjahre. Die preußischen
Beamten mußten auf die Barauszahlung ihrer Gehälter verzichten. Ob es Loos auch so
erging, wissen wir nicht. Ohnehin war sein Einkommen gering. Es wird bei 300 Talern im
Jahr gelegen haben. Loos lebte in ärmlichen Verhältnissen. Trotzdem ging er in dieser Zeit,
er war jetzt um die 30 Jahre alt, die Ehe mit Dorothea Sophia Hetrich ein, die ihm hier,
Anfang 1767, den Sohn Friedrich Wilhelm und dann die Tochter Johanna Dorothea
schenkte. - Kleine private Aufträge, ein Siegel hin und wieder, werden den kümmerlichen
Etat etwas aufgebessert haben. 1769 wurde die Magdeburger Münze geschlossen und das
Personal entlassen. Loos allerdings wollte man nicht verlieren. Er erhielt ein geringes
Wartegeld, zog mit seiner Familie nach Berlin und nahm die Stelle des 1768 gestorbenen
Stempelschneiders Ernst an der alten Münze ein.
132
General-Münzdirektor war zu dieser Zeit Martin Kröncke und Münzmeister an der Alten
Münze auf dem Friedrichswerder Aug. L. F. Nelcker. Beide hatten ihre Wohnung in der
Münze. Zum Personal gehörten außerdem ein Assistent des General-Münzdirektors, das
war seit 1770 K. G. Lessing, der Bruder des Dichters, ein Justitiar, ein Rendant, Buchhalter, Kassierer, der Münz-Wardein, ein Assistent des Münzmeisters, ein Kassendiener
und zwei Stempelschneider. Neben Loos war das Jakob Abraham (1732 — 1800). Zwei
Söhne Abrahams arbeiteten unbezahlt mit: Abraham Abramson (1752— 1811) und Hirsch
Abramson (1764—1803). Neben diesen Officianten waren mehrere Arbeiter an der Münze
beschäftigt.
Das Münzgebäude befand sich auf dem Friedrichswerder in der Unterwasserstraße zwischen Schleusen- und Jungfernbrücke, im ehemaligen Dalenconschen Haus, das für den
neuen Zweck 1750 erweitert worden war und einen Zugang auf den Werderschen Markt
zwischen Friedrichswerderschem Rathaus und dem Fürstenhaus erhalten hatte. Unter
Schlüter war das Spreewasser durch den Münzkanal in die Münze umgeleitet worden. Die
Alte Münze arbeitete demnach mit Wasserkraft. Als Ende des Jahrhunderts das Friedrichwerdersche Rathaus abbrannte, wurde 1799 bis 1800 auf dem Grundstück am Werderschen Markt ein größeres Münzgebäude von Gentz, dem Sohn des General-Münzdirektors,
errichtet. Als Schmuck erhielt es einen von F. Gilly und G. Schadow geschaffenen Fries,
der die Metallgewinnung und -bearbeitung sowie die Münztechnik in aktikem Reliefstil
darstellt. (Das Relief ist erhalten geblieben und befindet sich an der Fassade eines Altenheimes in Charlottenburg in der Nähe des Schlosses; vgl. Otto Uhlitz: „Der Berliner
Münzfries" in: Bär von Berlin, 27, 1978, S. 51 ff. Diese Ausgabe enthält auch Abbildungen
des Münzgebäudes von 1800.)
50 Jahre hat Loos an dieser Stelle, erst in dem alten und ab 1800 in dem neuen Münzgebäude gearbeitet.
Loos war, wie die meisten kleineren Beamten, auf einen Nebenverdienst angewiesen. Noch
lebte er mit seiner Familie in ärmlichen Verhältnissen. Nach dem Anstellungsvertrag war es
ihm ohne Genehmigung der Vorgesetzten nicht gestattet, Medaillen oder andere private
Graveurarbeiten auszuführen. Wir wissen nicht, warum und wer dafür verantwortlich war,
aber diese Genehmigung wurde Loos anfangs verweigert. „Mißgünstige Obere" sollen es
gewesen sein. Diese Behinderung drängte ihn zu einem völlig anderen Nebenerwerb. Er
hörte nämlich, daß Berliner Fabrikanten französische Modebänder nachzuahmen suchten.
Man nannte sie „goffres ä la reine". (Das Muster wird beim Gaufrieren mittels einer
gravierten Walze in das Gewebe gepreßt.) Versuche waren bisher kläglich gescheitert.
133
Loos, als Graveur besonders gut dafür geeignet, kam mit dieser Industrie in Berührung,
entwickelte eine geeignete Technik und baute die Maschinen. Der Erfolg stellte sich
schnell ein. Das von ihm entwickelte Verfahren bewährte sich vorzüglich. Die Muster waren
klar und entsprachen vollkommen dem Modegeschmack. Zudem waren die Produkte von
guter Haltbarkeit und billiger als die französischen Importe. Die Arbeit als Walzengraveur
und Maschinenbauer muß Loos viel Geld eingebracht und, damit verbunden, den Zugang
zur Berliner Gesellschaft verschafft haben. Wir wissen nicht, was ihn dazu bewogen hat,
sich aus dieser Industrie wieder zurückzuziehen und ganz den Münzen zuzuwenden. Wir
vermuten, daß das Münzdepartement den tüchtigen Stempelschneider nicht verlieren wollte
und deshalb zu Zugeständnissen bereit war. Die Gehaltserhöhung allein wird es wohl nicht
gewesen sein, denn sein Einkommen für das Jahr 1778 wird mit nur 400 Talern angegeben.
Vielmehr hatte man das Verbot, Medaillen herstellen zu dürfen, aufgehoben, und schon
1771 erscheint seine erste Medaille, und zwar auf die Gründung der neuen zweiten
Assecuranz-Compagnie in Hamburg, 1776 gefolgt von der Medaille auf die Ankunft des
Großfürsten von Rußland in Berlin.
Sein offizielles Gehalt war gering. Aber besondere amtliche Aufträge wurden zusätzlich
vergütet. So wurden ihm beispielsweise 1780 für 2 Matrizen und 110 Alphabet- und
Zahlenpunzen für die Königsberger Münze 65 Taler gezahlt, oder er erhielt 1802 für
Matrizen und Medailleninstrumente 100 Taler. Für die 1803 von ihm angefertigten
Majestätssiegel berechnete und erhielt Loos 300 Taler. Erheblich mehr jedoch brachte
ihm das Medaillengeschäft ein. Loos erwähnt 1802, daß der Gewinn aus der Weihnachtsund Neujahrssaison 2000 Taler ausmachte.
Wenn auch seine bedeutendsten Einkünfte aus der Medaillenarbeit flössen, so war er doch
in erster Linie preußischer Beamter und hatte als solcher seine Pflicht zu erfüllen. Das tat
er auch vorbildlich. Schon während des Siebenjährigen Krieges hatte Friedrich IL in
preußischen Münzstätten polnische Münzen herstellen lassen. Da sie unterwertig waren,
zog der König einen erheblichen Gewinn aus diesem Betrug. Ihre Verbreitung übertrug er
jüdischen Kaufleuten. Aber auch nach dem Kriege setzte der König diese zweifelhaften
Geschäfte fort. Angeregt durch den Erfolg der Österreicher mit dem Maria-Theresia-Taler
in der Levante, genehmigte Friedrich einem Bankier Schweigger das Nachmünzen russischer Rubel. Zunächst schlug das Unternehmen fehl, weil die nachgemachten Stücke sofort
134
als Fälschungen aufgefallen waren. Der Versuch wurde 1769 wiederholt. Nach der Vorlage
echter Rubel sollte der geschickteste preußische Medailleur identische Münzen herstellen.
Das machte Loos. Unter größter Geheimhaltung und unter Androhung harter Strafen lief
die Aktion an. Sie war erfolgreich und wurde über Jahre hin fortgesetzt. Auch die
Stempel für russische Imperiale (10 Rubel aus Gold) wurden von Loos geschnitten. Es
folgten holländische Taler und wieder polnische Gepräge. Im Gegensatz zu seinem Göttinger Erlebnis hatte er diesmal keine Skrupel, seine Kunst in den Dienst der Münzfälschung
zu stellen. Seine diskrete Loyalität dem König gegenüber ist ihm mit Wohlwollen vergolten
worden.
1768 wurde den Eheleuten die Tochter Carolina Friderica und 1773 Gottfried Bernhard
geboren. Allmählich wurde Loos ein angesehener und wohlhabender Mann. Seine Wohnung in Berlin hat er mehrere Male gewechselt. 1772 wohnte die Familie in der Kurstraße
beim Tischler Voigt, 1775 in der Jerusalemstraße nahe Schinkenbrücke im Hause der
Frau von Carlowitz, 1780 in der Neuen Friedrichstraße beim Buchdrucker Rellstab, 1784
in der Wallstrasse beim Brauer Fick. 1787 schließlich finden wir Loos im eigenen Haus, in
der Französischen Straße 21, ein paar Schritte vom Gendarmenmarkt entfernt. Das Haus
Nr. 20 gehörte ihm auch. Sein Sohn Friedrich Wilhelm wohnte im Hause des Vaters. In der
selben Straße hatte die Familie Bolle, damals Bierbrauer, ihre Häuser und in der Behrenstraße, auch nur „um die Ecke" wohnte Chodowiecki mit seiner Familie. Auf dem Wege zur
Münze ging Loos, den Gendarmenmarkt überquerend, die Jägerstraße entlang bis zum
Werderschen Markt. Im Berlin dieser Zeit muß er eine stadtbekannte Persönlichkeit
gewesen sein. Wir wissen aber nicht, in welchen gesellschaftlichen Kreisen die Familie Loos
verkehrte. Wir können annehmen, daß Loos zu einer der damals beliebten Ressourcen
(Clubs) gehörte. Im Hause seines Wirtes, des Buchdruckers und Musikalienhändlers
Rellstab, trafen sich die angesehensten Künstler. Jeden zweiten Sonntag fanden dort
große Konzerte statt. Daniel Loos war Freimaurer. Er war Mitglied der Johannes-Loge
„Zu den drei goldenen Schlüsseln" und gehört zu den Stiftern der Großloge „Zum Goldenen Pflug", 1776. Er hat sich rege am Leben der Loge beteiligt. Auch seine Söhne waren
Logenmitglieder. Mit seiner Vaterstadt Altenburg blieb er in Verbindung. Zumindest
zwischen 1803 und 1809 reiste er jährlich einmal nach Altenburg und unterstützte seine
dort noch lebenden Verwandten.
Loos bildete seine beiden Söhne auch zu Graveuren aus. Künstlerisch und handwerklich
war Friedrich Wilhelm der begabtere. Für ihn bemühte er sich, ihm die Nachfolge in seinem
Amt zu sichern und gewann dafür die Unterstützung des Ministers von Heinitz. Als
Assistent seines Vaters bezog Friedrich das kümmerliche Gehalt von 1 bis 3 Taler die
Woche. Über die Lebensdaten dieses Mannes ist fast gar nichts bekannt. Er war verheiratet
und hatte zumindest eine Tochter, die 1795 geboren wurde. Wie sein Geburtsdatum, so ist
auch unbekannt, wann er gestorben ist. Da eine Medaille auf den Frieden zu Paris, 1814,
noch von ihm stammen soll, er andererseits 1819 nicht mehr unter den Personen erscheint,
die den Tod Daniel Loos' bekanntgeben, wird er wohl zwischen 1814 und 1819 gestorben
sein. 1812 wird er noch im Adreßbuch der Stadt Berlin genannt. Sein Bruder Gottfried
Bernhard erwähnt später rückblickend den schlechten Gesundheitszustand seines Bruders.
Die Medaillen von Friedrich Loos lassen ein beachtenswertes Talent, das keineswegs hinter
dem seines Vaters zurücksteht, erkennen.
Eine andere Entwicklung nahm das Leben des zweiten Sohnes Gottfried Bernhard. Er
wurde 1773 in Berlin geboren und sollte auch Stempelschneider werden. Er hat dieses
135
Handwerk zwar auch erlernt, es aber kaum ausgeübt. Vielleicht hat er an einer Medaille
auf die Jennersche Pockenimpfung durch Dr. Bremer mitgearbeitet (1803). Als Gottfried
sah, daß sein älterer Bruder viel talentierter auf diesem Gebiet war, wurde er Eleve bei der
Münze, dann Kassierer und schon 1797 Wardein bei der Neuen Münze, der zweiten
Münze in Berlin. Er wurde dann Münzmeister-Assistent und leitete während der Besetzung
Berlins durch die Franzosen die Münze. Seine Karriere ging über den Vice-Münzmeister
zum General-Wardein. 1823 wurde er Münzrat. Er ist mit einer Anzahl von Veröffentlichungen über münztechnische Themen an die Öffentlichkeit getreten. Wo es sich ergab,
ließ er dabei diskret lobende Hinweise auf die gediegene Arbeit seines Vaters einfließen.
Gottfried Bernhard Loos ist vor allem als Leiter der Berliner Medaillen-Münze bekanntgeworden, ein Institut, das sich aus der Medaillenherstellung seines Vaters entwickelte.
Gottfried Bernhard Loos starb 1843. Sein Sohn Friedrich Wilhelm (1811 - 1893) setzte die
Familientradition fort. Er wurde auch Münzmeister.
Sein Fleiß, seine Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit seit über 25 Jahren an preußischen Münzstätten, schließlich auch seine gewonnene gesellschaftliche Stellung, trugen Daniel Loos
staatliche Anerkennung ein. 1782 erhielt er die Rechte eines Hofmedailleurs und wurde
1787 zum Hofmedailleur ernannt. Damit konnte er einen Sitz im Senat der Akademie der
Künste einnehmen. Der König, jetzt Friedrich Wilhelm IL, stand als Protektor an der
Spitze der Akademie. Freiherr von Heinitz, der Chef des Münzdepartements, war zu dieser
Zeit Kurator, Rhode Direktor und Chodowiecki Vice-Direktor. Zum akademischen Rat
gehörten Langhans, Frisch und Schadow. Zu den ordentlichen Assessoren gehörten der
Minister von Wöllner und der Oberbergrat Rosenstiel, auch ein leitender Beamter an der
Münze, und schließlich Loos, „wegen der Medaillen und Stempel zu den Münzen". An der
praktischen Arbeit der Akademie hat er sich kaum beteiligt. In den Senatsprotokollen von
1803 bis 1819 taucht sein Name kein einziges Mal auf.
Zu dieser Ehrung beigetragen hatte auch das Wohlgefallen des Königs an den neuen Münzen mit seinem Porträt. Besonders auffallend ist die nach alten Vorbildern von Loos entworfene Rückseite der neuen Taler.
Die ansprechenden Porträtmünzen aus den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms III.
sind schon ein Werk von Friedrich Loos. Der Vater verwandte diesen Typus bei einigen
seiner Medaillen, beispielsweise auf das 100jährige Jubiläum des Königreiches Preußen.
Diese Medaille ist ein gutes Beispiel für die enge Zusammenarbeit zwischen Daniell Loos
und seinem ältesten Sohn. Für dieselbe Medaille schnitt oft der eine den Stempel für die
Vorder- und der andere den für die Rückseite. Der zeichnerische Entwurf für die Münzen
und Medaillen wurde meistens von Malern, Bildhauern oder anderen Künstlern geliefert.
Aber auch Loos selbst fertigte Entwürfe.
Das Verhältnis zwischen Daniel Loos und Jakob Abraham war erträglich. Sicherlich hat es
Abraham geschmerzt, daß Loos und nicht er Hofmedailleur wurde. Loos respektierte den
erfahrenen Kollegen. Als 1800 Abraham starb, änderte sich das Klima an der Alten
Münze. Es begann damit, daß Loos und Abramson bei der damals üblichen Aufteilung des
Gehaltes eines Verstorbenen in Streit über die Aufteilung der Einkünfte von Jakob
Abraham gerieten. Wie der Streit ausging, erkennen wir aus der Gehaltsliste für das Jahr
1806. Loos lag mit 660 Talern vor Abramson mit 560 Talern Jahresgehalt. Über den häßlichen Streit zwischen Loos und Abramson berichtet ausführlich Tassilo Hoffmann in
seinem Buch über Abraham und Abramson. Loos und Abramson versuchten sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. So unterbot beispielsweise Loos seinen Kollegen mit
136
Medaillen auf ein bestimmtes Ereignis, zu dem Abramson auch Denkmünzen gearbeitet
hatte, indem er sie zum halben Preis auf den Markt brachte. Loos beschwerte sich wiederholt über Abramson: Dieser blockiere mit seinen Privatprägungen das Stoßwerk der
Münze (auf dem Loos wohl lieber seine eigenen Aufträge abgeprägt hätte) oder vernachlässige seine amtliche Arbeit als Stempelschneider. An diesem Vorwurf schien etwas
Wahres zu sein. Der Münzdirektor Goedeking versuchte in dem schwelenden Streit zu vermitteln und ordnete deshalb an, daß jeder nur jeweils 50 Medaillen hintereinander
abprägen dürfe, sofern beide Künstler Medaillen auf das selbe Ereignis herstellen wollten.
Abramson verlegte daraufhin seine Arbeiten in die Nachtstunden. Loos wurde zu dieser
Zeit von der Münzdirektion bevorzugt. Von 1810 an ließ der General-Münzdirektor alle
seine das Münzwesen betreffenden Anordnungen von Loos gegenzeichnen. Außerdem
durfte Loos wählen, auf welchem der beiden Stoßwerke er seine Medaillen herstellen
wollte. Abramson seinerseits ging 1809 zur Akademie der Künste und legte dort seinen
Entwurf für eine Münze mit dem Porträt des Königs vor und bat die Akademie festzustellen, daß sein Entwurf gelungener sei als der von Loos. Die Akademie hielt sich aus dem
Streit heraus, obwohl sie das Ansinnen von Abramson als lästig empfand.
Loos prägte seine Medaillen in der Alten Münze. Er und die anderen Medailleure mußten
für jede neue Medaille zuvor die Approbation des Münzdepartements einholen. Im übrigen
137
förderte die Münzbehörde die Medailleure und ihre Produktion, zumal die Münzkasse an
einem flotten Geschäftsgang interessiert war. Loos mußte das Silber von der Münze zu
einem von ihr festgesetzten Preis kaufen und außerdem Prägekosten nach Gewicht entrichten. Für die Münze war das Geschäft so lohnend, daß sie für diesen Zweck das zweite
Stoßwerk anschaffte.
Loos fertigte seine Medaillen in verschiedenen Größen und Gewichten in Silber und
Bronze an, einige auch in Gold und bis 1814 in der Königl. Eisengießerei bei Gleiwitz auch
in Eisenguß. 1802 kostete eine Silbermedaille in der Standardgröße von knapp 42 mm
3 Taler (heute im Handel zwischen 200 und 300 DM).
Von den das Königshaus und dessen Geschichte betreffenden Medaillen pflegte Loos den
Erstabschlag seinem König „alleruntertänigst zu Füssen zu legen", begleitet von einem in
devoter Form gehaltenen Schreiben. Der zuständige Referent ließ Loos dann entweder den
Preis der Medaille oder, falls das Gepräge besonderen Beifall gefunden hatte, ein königliches Geschenk von mehreren Goldstücken auszahlen.
Das Medaillengeschäft, das Loos betrieb, war außerordentlich erfolgreich. Er hatte sich
mit der Zeit einen gut funktionierenden Verkaufsapparat aufgebaut. In Berlin vertrieb er
seine Medaillen von seiner Wohnung aus, in den großen Städten Deutschlands und des
Auslandes bediente er sich als Kommissionäre der bedeutenden Buchhandlungen oder
anderer, das anspruchsvolle Publikum beliefernder Geschäfte. In Hamburg waren es die
Bijouterie-Handlung C. A. Rosenhauer und Hermanns Erben, in Frankfurt die berühmte
Jägersche Buchhandlung, in Nürnberg die Riegel- und Wiesnersche Buchhandlung.
Kommissionäre hatte er in St. Petersburg, Amsterdam und Kopenhagen. Auch auf der
Leipziger Messe bot er seine Medaillen an.
Daniel Loos war in der kultivierten Welt ein berühmter und geschätzter Mann. Wer immer
zu einem Jubiläum oder zur Erinnerung an einen Freund oder eine Begebenheit eine
Medaille verschenken wollte - und das war zu dieser Zeit große Mode - , dachte an Loos.
Zu seinen vielen Kunden gehörten nicht nur Privatpersonen, sondern auch gekrönte
Häupter und Regierungen. Der Herzog Karl August von Weimar, die Fürstin Pauline zur
Lippe, der dänische Hof, die Städte Frankfurt, Hamburg, Bremen, das Bistum Münster
und viele andere wandten sich mit ihren Medaillenwünschen an Loos.
Es ist bekannt, daß Loos nicht immer seine Medaillen selbst hergestellt hat, sondern daß
auch andere tüchtige Medailleure mit Loos zusammen- oder für ihn gearbeitet haben. Die
wichtigsten Mitarbeiter waren sein Sohn Friedrich und seit 1796 Johann Veit Doli
(1750— 1835) aus Suhl. Fast alle Medaillen sind signiert, meist mit LOOS, manchmal nur
mit L, einige mit F. LOOS (Friedrich L.) oder D. LOOS (Daniel L.). Wie viele verschiedene
Medaillen aus dem Atelier des Daniel Loos überhaupt stammen, wird nicht genau festzustellen sein. Bis zu seinem Tode waren es mindestens 300.
Wir können das Medaillenwerk in drei Gruppen einteilen: die staatlichen, die von der
Privatkundschaft bestellten und schließlich solche Medaillen, die Loos von sich aus in der
Meinung herstellte, daß sie von allgemeinem Interesse sein könnten. Bei den Arbeiten auf
Bestellung mußte er sich weitgehend nach dem Geschmack seiner Kunden richten. Aus den
vielen Medaillen der dritten Gruppe erkennen wir seinen eigenen Geschmack besser, obwohl er sich wegen der Verkäuflichkeit seiner Werke dem Zeitgeschmack anpassen mußte.
Betrachten wir seine Medaillen, so fällt uns die Vorliebe für einen antikisierenden Stil auf.
Nicht Menschen des 18. oder 19. Jahrhunderts finden wir (auf den Kehrseiten) vieler
Münzen, nicht Bäume und Pflanzen, die in der Mark Brandenburg gedeihen, nicht die
138
Medaille zum 300.
Jahrestag der Reformation,
1817
Medaille als
Geschenk für junge Frauen,
o. J. (vor 1802)
Medaille zur Rückkehr
des Königspaares nach Berlin,
1809
Kanonen und Musketen der friderizianischen Heere, vielmehr wird dem Betrachter das
Ereignis in antiken Bildern vorgeführt. Minerva zeigt auf einen Olivenbaum, der Götterbote Merkur in kurzem Röckchen schreitet durch Zypressenhaine, und der Preußenkönig
Friedrich Wilhelm III. steht in der Tracht eines römischen Legionsfeldherrn zwischen
Schild und Wurfspieß und sieht dabei aus wie ein Kind zwischen seinen Weihnachtsgeschenken. Es fällt uns Menschen von heute schwer, das richtige Verständnis für diese
Bildersprache zu finden.
139
Medaille zum
Regierungsantritt
Friedrich Wilhelms III..
1797
Im Urteil der Fachleute gilt Loos als ein erstklassiger, künstlerisch begabter Handwerker,
der die Medaillenkunst wieder auf ein höheres Niveau gestellt hat. Wenn es ihm auch noch
nicht gelang, den angestrebten reinen antiken Stil zu erreichen, so ist er doch in einer Zeit
der Geschmacklosigkeit dem Vorbild der antiken Typen gefolgt.
Unter seinen Medaillen beziehen sich viele auf Berliner Personen und Ereignisse. Die dynastischen Denkmünzen stehen ohnehin oft mit Berlin in Verbindung. Die Besuche des
Großfürsten von Rußland (1776) und des Zaren Alexander (1805) gehören zur
Berliner Geschichte, ebenso das Jubiläum des medizinischen Oberkollegiums (1785) oder
die Hochzeit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit der Prinzessin Luise (1793), die
Berliner Huldigungen, der Tod der Königin Luise (1810), das Mausoleum für
sie in Charlottenburg (1810) und das Friedensfest nach den Befreiungskriegen
(1816). Daneben sind uns private Medaillen von Loos mit Bezug auf das Berlin um
1800 bekannt: die Berlinische See-Assekuranz (1777), die Akademie der Wissenschaften
(1786), General-Chirurg Theden (1787), Blanchards Luftfahrt (1788), das Franz.-Reform.
Gymnasium (1789), Minister Anton von Heinitz (1795), Hans R. von Bischoffwerder
(1797), der Montagsklub (1798), der Schauspieler Iffland (1800), die Ballonfahrt des Ehepaares Garnerin (1803), die Pockenimpfung des Dr. Bremer (1803), C. F. Beyme (1803),
Besuch des Phrenologen Dr. Gall (1805), General-Chirurg Joh. Goerke (1805, 1817),
Medaille auf das
100jährige Bestehen
des med. Oberkollegs,
1785
140
Rückkehr von Alexander von Humboldt (1805), Fr. Ph. Rosenstiel (1811), eine Serie von
kleinen Medaillen auf die Befreiungskriege, u.a. auf die Schlacht bei Großbeeren (1813). —
Loos stellte ein Viertel des Verkaufserlöses hieraus den Lazaretten zur Verfügung. - Die
chirurgische und augenärztliche Klinik (1819) und der Arzt Dr. H. Meyer (1819).
Wissen wir viel über sein Werk, über die Persönlichkeit des Daniel Loos konnten wir leider
fast nichts in Erfahrung bringen. Aus den wenigen Anhaltspunkten, denen wir begegnet
sind, können wir uns einen selbstbewußten, aber doch die Öffentlichkeit scheuenden
Mann vorstellen. Er war sich des Wohlwollens des Königs und seiner Beamten sicher.
Durch seine Medaillen war er in der „großen Welt" ein bekannter Mann geworden. Personen von Rang aus aller Welt kamen in sein Haus. So sandte auch der Herzog von Weimar
einen Bevollmächtigten nach Berlin, damit er mit Loos über einen Medaillenauftrag verhandelte. Dabei erwies sich Loos als zäher Geschäftsmann, denn der Versuch, Loos im
Preis zu drücken, scheiterte. „Er sah, wie bestimmt Herr Loos überhaupt spricht und
handelt." Auch aus dem Streit mit Abramson können wir Schlüsse auf seinen Charakter
ziehen. Obwohl kerngesund, bezeichnen ihn seine Vorgesetzten als einen Hypochonder.
Aus seiner Geschäftskorrespondenz geht eine sachliche, ja kühle Haltung hervor.
Loos war seinem König treu ergeben, doch scheute er sich nicht, auch ihm gegenüber seine
Meinung zu vertreten. 1804 erhielt Loos den Auftrag, ein neues Majestätssiegel anzufertigen. Der König wollte darin seine Person in einem Kostüm sehen, das keinem Zeitalter
141
Medaille mit Mausoleum
für die Königin Luise
in Charlottenburg, 1810
Huldigungsmedaille, 1803
angehörte. Loos war anderer Ansicht. Er schlug vor, den König in die Tracht der Zeit zu
kleiden und wies auf die von Tassaert und Schadow ausgeführten Statuen auf dem Wilhelmplatz und im Lustgarten hin. (Seiner Vorstellung dürfte das Bild seiner Huldigungsmedaillen von 1803 entsprochen haben.) Sein Einwand war jedoch vergeblich. Er mußte
das Siegel nach den Wünschen des Königs anfertigen.
Durch seine Schule sind einige beachtenswerte Medailleure gegangen: sein Sohn Friedrich
Wilhelm, Anton König, Andreas Hoffmann, Gottlieb Götze (von ihm stammt die Medaille
auf Loos anläßlich des 60jährigen Jubiläums, 1816), J. J. G. Stierle, Franke, Stadelmann
und Jos. Krüger.
1817 wurde Loos von der praktischen Arbeit entbunden, behielt aber die Aufsicht über die
ihm vertraute Arbeit in der Münze. Am 7. Juni 1818 endlich, 83 Jahre alt, trat er mit einem
Jahresgehalt von 1000 Talern in den Ruhestand. Zu seinen letzten, von ihm veranlaßten
und von seinen Schülern Rollenbach und Voigt ausgeführten Werken zählen zwei Medaillen aus dem Jahre 1819 auf Dr. Heinrich Meyer (1767—1828), den Freund und Arzt von
Loos. Am 5. Oktober 1819 meldeten die Berlinischen Nachrichten: „Das heut am Entzündungsfieber erfolgte Ableben des Königl. Hof-Medailleurs Loos, zeigen wir tiefgebeugt
142
Medaille für
Daniel Loos
zu seinem 60jährigen
Dienstjubiläum
unseren Verwandten und Freunden hiermit ergebenst an.
Berlin, den 1. Oktober 1819
Der General-Münz-Wardein Loos — Köls, geb. Loos
Der Geheime Kriegsrath Köls."
Loos wurde am 4. Oktober 1819 auf dem Alten Friedhof, nahe Alexanderplatz, beigesetzt.
Anschrift des Verfassers: Heyenfeldweg 120, 4150 Krefeld-Verberg
Ein ausführliches Verzeichnis der Quellen und der benutzten Literatur findet sich bei meinem Aufsatz im Numismatischen Nachrichten-Blatt, Oktober 1978, „Daniel Friedrich Loos, Königlicher HofMedailleur in Berlin, Sein Leben und Werk".
Die wichtigste benutzte Literatur ist:
Friedrich Freiherr von Schrötter: Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. Acta Borussica.
Münzgeschichtlicher Teil. Berlin 1904-1913. Beschreibender Teil, 2. und 3. Heft.
Tassilo Hoffmann: J. A. Abraham Abramson, 55 Jahre Berliner Medaillenkunst, 1755 — 1810,
Frankfurt am Main 1927.
Adreß-Kalender der Königl.-Preußischen Haupt- und Residenz-Stadt Berlin (versch. Jahrgänge,
Landesarchiv Berlin).
Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen vom 4. Mai 1816, 5. Oktober 1819 und
7. Oktober 1819.
Brockhaus: Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie, Conversations-Lexikon, Leipzig 1827 und 1846.
Die Abbildungen stammen aus dem Archiv des Verfassers. Die Medaillen und Münzen sind, wenn
nicht anders angegeben, in Originalgröße abgebildet.
143
Käthe Schmidt-Jürgensen (1897-1979)
Ein Berliner Künstlerschicksal
Von Erika Schachinger
Obwohl Käthe Schmidt-Jürgensen nur einem engeren Kreis bekannt war, kann ihr Leben
stellvertretend für viele Künstlerschicksale in Berlin stehen. Mit ihr dürfte eine der letzten
Persönlichkeiten, die das Theaterleben der Wilhelminischen Zeit aus eigener, sehr persönlicher Erfahrung kennengelernt hatten, von uns gegangen sein.
Katharina (genannt Käthe) Schmidt wurde am 20. März 1897 in Köln-Ehrenfeld als
Tochter des Maschinenmeisters Theodor Schmidt und seiner Ehefrau Elisabeth geb.
Reuter geboren. Ihre schauspielerische Ausbildung erhielt sie am Stadttheater in Köln,
außerdem studierte sie privat Gesang bis zur Opernreife. 1916 starb ihr Vater, der im
Kölner Gaswerk gearbeitet hatte. Am 4. Mai 1918 heiratete sie in Chemnitz (heute KarlMarx-Stadt) den Schauspieler und Theaterdirektor Max Friedrich Louis Albert Samst, den
sie wahrscheinlich während seiner kurzen Bühnentätigkeit während des Ersten Weltkrieges in Köln kennengelernt hatte. Max Samst war am 29. November 1859 in Ortrand,
Kreis Liebenwerda, Provinz Sachsen, geboren worden. Schon sein Vater Emil Christian
Camillo Samst war Theaterdirektor gewesen. Zum Zeitpunkt der Eheschließung mit Käthe
Schmidt war Max Samst als Theaterdirektor am Chemnitzer Thalia-Theater tätig. In
Chemnitz vollendete Käthe Schmidt-Samst ihre Gesangstudien und arbeitete von 1920 bis
1924 als erste Liebhaberin an der Chemnitzer Volksbühne, bis sie ihrem Mann nach Berlin
nachfolgte. Aus ihrer Chemnitzer Zeit ist Käthe Schmidt auch als Bearbeiterin des romantischen Schauspiels „Ennod Mainas Lied vom Glück" bekannt, das ihr Mann inszenierte
und in dem sie nicht nur die weibliche Hauptrolle spielte bzw. sang, sondern als vielseitige
Künstlerin im letzten Akt „Das Lied vom Glück" auch tanzte, wie es - laut Stadt-Anzeiger
(leider ohne Datum) - eine Berufstänzerin kaum besser gekonnt hätte. In Berlin wurde
Käthe Schmidt-Samst nach eigener Aussage in fast allen Privattheatern in führenden
Rollen tätig. Zu ihrem Repertoire gehörten kleinere oder größere Rollen in Schauspielen
und vor allem in Operetten. 1927 spielte sie eine Nebenrolle in dem Film „Das rosa
Pantöffeichen" (mit Hanni Reinwald in der Hauptrolle). Nach dem Tod von Max Samst
1932 arbeitete Käthe Schmidt-Samst auch für den Rundfunk. Nach 1932 gab sie außerdem
öffentliche Konzerte, u. a. mit Liedern von Schumann, Schubert und Mozart.
Zu Lebzeiten ihres ersten Ehemannes Max Samst stand die künstlerische Zusammenarbeit
mit diesem im Vordergrund ihrer Tätigkeit. Da sein Lebensweg für die Berliner Theatergeschichte nicht uninteressant ist, sei es gestattet, an dieser Stelle näher auf ihn einzugehen. Max Samst, aus einer Schauspielerfamilie stammend, war im Alter von knapp
20 Jahren nach Berlin gekommen, wo er als Schauspieler in Klassikerrollen am Alten
Nationaltheater am Weinbergsweg seine Bühnenlaufbahn begann. Dort stand er u.a. neben
Josef Kainz und Ludwig Barnay auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Mit 25 Jahren
übernahm Max Samst bereits die Leitung eines der vielen kleinen Berliner Privattheater
jener Zeit, in denen er aber auch als Schauspieler wirkte. Er sollte 48 Jahre lang Theaterdirektor bleiben, in wechselnden Theatern, mit wechselndem Erfolg, meistens in den
nördlichen und östlichen Vorstädten des alten Berlin, in denen die Arbeiterschaft wohnte.
Am berühmtesten wurde seine Direktion des Ostend-Theaters in der Großen Frankfurter
144
Käthe Schmidt-Samst (um 1919)
Max Samst (um 1929)
Straße, des späteren Rose-Theaters, das er 1889 übernahm (zeitweilig hatte er die Leitung
nicht allein inne, vgl. Neuen Theater-Almanach). Hier gastierte von Mai bis September
1890 unter Samsts Leitung der große Schauspieler Josef Kainz, als dieser am Deutschen
Theater vertragsbrüchig geworden war und deshalb vom Deutschen Bühnenverein - aus
dem Samst schnell ausgetreten war - geächtet wurde, d.h. an keinem anderen Theater
mehr engagiert werden durfte. Mochte hinter diesem Engagement, das Besucher aus allen
Teilen Berlins anlockte, in erster Linie Geschäftssinn stehen, so wußte Samst doch auch
die Gelegenheit für sein kleines Theater zu nutzen, eine große Schauspielerleistung in
klassischen Stücken zu bieten (vgl. u.a. Edith Krull und Hans Rose, Erinnerungen an das
Rose-Theater, Berlin 1960, S. 17).
Am in Nationaltheater umbenannten Ostend-Theater führte Max Samst als Mitbegründer
der Freien Volksbühne als erster - 1893 in einer Serie von Vorstellungen - das damals noch
verbotene Schauspiel „Die Weber" von Gerhard Hauptmann auf, eine Mutprobe, die ihm
dieser nicht vergaß, auch in der Würdigung von Samsts Bemühungen, „Kunst dem Volke
und das Volk der Kunst zuzuführen "(so Gerhard Hauptmann zum 70. Geburtstag von Max
Samst, zitiert nach: Tempo, Berlin, 29. November 1929). Andere Aufführungen der
Freien Volksbühne folgten. Ibsens Schauspiel „Stützen der Gesellschaft" hatte in Deutschland seine erste Aufführung im Ostend-Theater (bereits im Oktober 1890, vgl. Edith Krull
und Hans Rose, Erinnerungen an das Rose-Theater, Berlin 1960, S. 17).
In die Zeit von Samsts Leitung des in Nationaltheater umbenannten Ostend-Theaters
fällt auch die Freundschaft mit Otto Lilienthal, dem berühmten Pionier des Fliegens.
Samst wollte 1892/93 für die Heizung seines Theaters einen sog. Schlangenrohr-Kessel
einführen, den sein Erfinder, Otto Lilienthal, selbst einzubauen sich erbot. Aus dieser
Begegnung wurde eine Freundschaft, die dazu führte, daß Lilienthal sich an der Leitung
145
des Theaters nicht nur finanziell beteiligte. Zwei Wechsel mit der Unterschrift von Samst
und Otto Lilienthal gehören zu den Erinnerungsstücken von Käthe Schmidt-Jürgensen an
ihren ersten Gatten. Unter dem Pseudonym Carl Pohle schrieb Otto Lilienthal ein Theaterstück „Gewerbeschwindel, Berliner Geschichten aus dem Winter 1894", das im Nationaltheater aufgeführt wurde. Das handgeschriebene Souffleurbuch ist ebenfalls noch vorhanden. In dem Volksstück „Preciosa" trat er auch als Räuberhauptmann auf. Otto Lilienthal
nahm auch den Gedanken von Wilhelm Meyer-Förster, dem späteren Verfasser des
Bühnenstückes „Alt-Heidelberg" auf, Theaterbillets für 10 Pf zu verkaufen, um so Bühnenkunst den sozial schlechter gestellten Volksschichten zugänglich zu machen. Wie volkstümlich eine Schiller-Aufführung im Ostend-Theater angeboten wurde, kann man MeyerFörsters Rückblick auf jene Zeit entnehmen: „Man sah ,Maria Stuart', ging während der
langen Pause in den Garten, wo man Karussell fuhr, sah wieder einen Akt ,Maria Stuart',
ging wieder in den Garten, um nach der Scheibe zu schießen, sah endlich Mortimer sterben
und aß dann im Garten sein Abendbrot" (zitiert und berichtet nach: Vossische Zeitung,
Berlin, Morgen-Ausgabe, 12. Mai 1932).
Auch und gerade bei dem Bemühen, kunsterzieherisch und sozialpädagogisch zu wirken
bei niedrigen Eintrittspreisen, blieb das Theaterspiel ein wirtschaftliches Risiko. Die
Freundschaft und Zusammenarbeit mit O. Lilienthal endete jäh durch dessen tragischen
Tod am 10. August 1896, nachdem dieser am Vortag bei einem seiner Flugversuche abgestürzt war.
Kurze Zeit später übernahm Max Samst die Leitung des Friedrich-Wilhelmstädtischen
Theaters in der Chausseestraße 30/31. Aus dieser Zeit ist eine Mietquittung überliefert, die
für die Hauptspielzeit 13 750 Goldmark Miete nachweist. Der Spielplan jener Zeit ist mir
nicht bekannt, aber es ist anzunehmen, daß er hauptsächlich aus sog. Volksstücken bestand. Während des Krieges und in der nachfolgenden Inflationszeit wich Max Samst mit
seinem kleinen Familienensemble in die „Provinz" aus, u.a. nach Königsberg, Magdeburg,
Hamburg, Köln und Chemnitz, um dort Theater zu spielen. Er konnte sich aber jeweils nur
kurze Zeit halten. Schon damals bestand sein Ensemble, das er patriarchalisch leitete, z. T.
aus seiner Familie; so arbeiteten einer seiner Söhne als Kapellmeister, sein Neffe und
seine Nichten als Schauspieler bzw. Schauspielerinnen mit. Die Kritik bemängelte im Laufe
der Jahre - mindestens seit dem Ersten Weltkrieg - immer stärker und sicher zu Recht, daß
Samst hauptsächlich das Volksstück, den Kitsch bis hin zur Schmiere bevorzugte, ohne so
recht anzuerkennen, wie schwierig das Theatergeschäft in der Kriegs- und Nachkriegszeit
für den alternden Theaterfachmann geworden war. Später kam noch das aufstrebende Kino
als Konkurrenz hinzu. Unternehmungsfreudig wie Max Samst war, fing er immer wieder von
vorn an, wobei ihm sein schlagfertiger Witz und sein Einfallsreichtum halfen, mit denen er
manchmal selbst seine Mitspieler aus dem Konzept bringen konnte. Als Charakterdarsteller
hatte er eine gute Presse. Nach Augenzeugenberichten muß er als lebensfroher Mensch
und als Komiker eine große Ausstrahlungskraft gehabt haben, gerade auch auf junge
theaterbesessene Menschen wie seine zweite Frau. Schon früh rankten sich Anekdoten um
seine Person.
Als er die junge Käthe Schmidt 1918 in zweiter Ehe heiratete, leitete er das Thalia-Theater
in Chemnitz, das er 1922 aufgeben mußte und das kurze Zeit später in ein Kino umgewandelt wurde. Max Samst ging wieder nach Berlin zurück, arbeitete zunächst als Schauspieler (z.B. als Graf Cohn mit zahnlosem Mund im Theater „Folies Caprice" am Oranienburger Tor) und versuchte dann wieder sein Glück als Pächter verschiedener kleiner
146
Theater, in denen er auch selbst noch spielte. Das Neue Theater am Zoo, das Residenztheater, das Wallner-Theater, das Zentraltheater (die Reihenfolge ist unverbindlich) und
zuletzt das Walhalla-Theater wurden von ihm - stellenweise mit Compagnons - in der
Nachkriegszeit gepachtet, zeitweilig drei Theater gleichzeitig. Auf die Dauer gesehen
hatte Max Samst im Berlin der Nachkriegszeit finanziell kein Glück mehr - auch nicht, als
er das Bon-System einführte, um das Publikum heranzulocken. Er verschickte Eintrittskarten durch die Post, die den Stempel „Freibillet" trugen, in deren Ecke sich aber der
Vermerk „Steuergebühr 60 Pf." befand. Dies war dann der tatsächliche Preis für die Karte,
der beim Eintritt in das Theater bezahlt werden mußte. Mit dieser Methode schaffte er
sich auch Gegner. Mit Hilfe von Preisrätseln, gestellten und gespielten Bildern versuchte
Max Samst ebenfalls, Publikum zu gewinnen. Aber trotz der finanziellen Schwierigkeiten
gelang es ihm als Kleinunternehmer und „Bühnenvater" immer wieder, die Gagen für seine
Mitspieler pünktlich zu bezahlen.
Das Repertoire umfaßte hauptsächlich Operetten, Schwanke und Possen, die in starkem
Maße aus dramatisierten (Zeitungs-) Romanen bestanden, die gespielt bzw. gesungen
wurden. Als Beispiel seien hier nur „Die Koblanks" erwähnt, eine rührselige Familiengeschichte aus dem Berliner Kleinbürgertum nach dem Roman von Erdmann Graeser,
dramatisiert von dem Verfasser unter Mithilfe von G. Burghardt, Musik von Richard
Hirsch, uraufgeführt im Residenztheater Berlin am 18. Juli 1925, weibliche Hauptrolle:
Käthe Schmidt-Samst. Nicht immer verlief die Zusammenarbeit zwischen Bühnenautor,
Komponist und Theaterdirektor freundschaftlich und reibungslos wie in diesem Falle. Bei
einer Auseinandersetzung im Zentraltheater zwischen Max Samst und dem Bühnenautor
Ernst Neubach ergriff Käthe Schmidt-Samst derart Partei für ihren Mann, daß sie den
Textautor ohrfeigte. Es fällt auf, daß in den noch vorhandenen Kritiken (oder wurden nur
solche aufgehoben?) Käthe Schmidt-Samst gut abschneidet, auch dann, wenn die Niveaulosigkeit der von Max Samst zur Aufführung gebrachten Stücke - im Vergleich zu seiner
früheren Tätigkeit am Ostend-Theater - kritisiert wurde.
1930 mußte sich Max Samst aus gesundheitlichen Gründen aus dem Berliner Theaterleben
zurückziehen. Er starb am 11. Mai 1932 in Berlin in großer wirtschaftlicher Bedrängnis
und nach schwerem Leiden (u.a. Diabetes), so daß Freunde des Ehepaares von einer
Erlösung sprachen. Am 14. Mai 1932 wurde er unter großer Anteilnahme auf dem Jerusalemer Friedhof in der Baruther Straße beigesetzt.
Nach dem Tode ihres Mannes Max Samst arbeitete Käthe Schmidt-Samst weiter für Privatbühnen und für den aufkommenden Rundfunk, wobei ihr von Kollegen immer wieder Mut
zugesprochen wurde. Es folgte eine kurze unglückliche Ehezeit mit Wolfgang Neusch,
einem Rundfunksprecher, von dem sie sich schnell wieder scheiden ließ.
Am 29. Juni 1938 heiratete sie in dritter Ehe Wilhelm Jürgensen, einen erfolgreichen
Exportkaufmann. Auch diese Ehe blieb für sie kinderlos.
Wilhelm Jürgensen, geb. am 9. Juni 1891 in Schleswig, stammte aus einer alten Gastwirtsfamilie. Er lernte zuerst bei einer Reederei in Kiel, die er dann in Königsberg/Ostpr.
vertrat, und machte sich später mit seinem Freund Karl Jurisch in Berlin selbständig. Ihre
Firma „Seeverkehr KG Jürgensen und Jurisch", Berlin, hatte als Tätigkeitsbereich die
Befrachtung von Seedampfern für Berliner Großhandelsfirmen, d.h. die Tätigkeit eines
Schiffs- und Befrachtungsmaklers der Seeschiffahrt als Vermittler zwischen den Verladern
in Berlin und den Reedereien in den Seehäfen.
Als Wilhelm Jürgensen 1937 seine zweite Frau Käthe geb. Schmidt kennenlernte (seine
147
erste Frau Hedwig geb. Doering starb 1935), war er bereits seit langem den schönen
Künsten zugetan. Mindestens seit 1923 war er als hochqualifizierter Amateur-Pianist
hervorgetreten, vorwiegend für klassische Musik und zur Begleitung von Sängern, u.a. bei
Wohltätigkeits- und Kurkonzerten. Nach ihrer Eheschließung mit Wilhelm Jürgensen am
29. Juni 1938 in Berlin gab Käthe Schmidt-Jürgensen ihre berufliche Tätigkeit als Schauspielerin und Sängerin (im Sinne der Mitgliedschaft bei der Genossenschaft der deutschen
Bühnenangehörigen bzw. bei der Reichstheaterkammer) auf, bestärkt von ihrem Mann in
dem Glauben, daß sie dies nicht mehr nötig hätte. Sie wandte sich nun unter dem Einfluß
ihres Mannes oder/und als Ausdruck eines neuen Lebensabschnittes der ernsten Musik
gänzlich zu. Bei ihren privaten Auftritten standen die Lieder von Schubert, Schumann und
Brahms im Vordergrund, aber auch J. S. Bach, Max Reger, Richard Strauß, Hugo Wolf,
Puccini und Verdi standen auf dem Programm. Unvergeßlich im Hause und bei Freunden
waren die Musiknachmittage („Musik am Nachmittag") bei Jürgensens in der Nikolsburger
Straße 10 in Berlin-Wilmersdorf, zu denen mit Programmzetteln eingeladen wurde. Käthe
Schmidt-Jürgensen sang Sopran, Gerty Bresser Alt, am Flügel begleitete Wilhelm
Jürgensen die Damen, die auch Duette sangen. Zeitweilig wirkte auch Barbara Techow
geb. Schmeidler bei diesen Konzerten mit. Sie war eine ausgebildete Opernsängerin und
wohnte ebenfalls in der Nikolsburger Straße 10. Während des Krieges sang Käthe
Jürgensen auch in Lazaretten. Vereinzelt erteilte sie Gesangsunterricht. Nach dem Krieg
gab Käthe Jürgensen Konzerte in Krankenhäusern, nicht nur in Berlin, sondern auch in
Potsdam (nachweislich für 1947). Am Flügel begleitete sie 1947 und 1948 (Wilhelm
Jürgensen war bereits verstorben) Ernst Günther von Cleve, von Beruf Kaufmann, ebenfalls wohnhaft in der Nikolsburger Straße 10. Es war dies eine höchst musikalische Hausgemeinschaft, deren Menschlichkeit sich in der Kriegs- und Nachkriegszeit bewährte.
Am 10. Februar 1946 starb Wilhelm Jürgensen in Berlin. Damit begann für seine Witwe
eine schwere Zeit, da durch den Krieg und die Nachkriegsereignisse die materielle Grundlage der Familie zerstört worden war. Doch die Gabe, jederzeit das Beste aus ihrem Leben
zu machen, sollte nun bei Käthe Jürgensen unter den widrigsten Umständen zur vollen
Entfaltung kommen. Bereits 1946, anläßlich des Todes von Wilhelm Jürgensen, schrieb ihr
eine Frau aus der Nachbarschaft, deren Mann sich noch in Kriegsgefangenschaft befand:
„Ich bin ja immer mit meinen Sorgen in Ihrer Küche zunächst gelandet und bin gut beraten
oder doch getröstet und meistens erheitert wieder gegangen." Diese Haltung können auch
die noch lebenden Hausbewohner und die vielen Untermieter bestätigen, die Käthe
Jürgensen aufnahm, um die Kosten für die große Neun-Zimmer-Wohnung zu bestreiten.
Von dieser Wohnung wollte sie sich angesichts der vielen damit verbundenen Erinnerungen
nicht trennen, obwohl sie 1945 teilweise von den Russen geplündert worden war. Immer
wieder verkaufte sie lieb gewordene Gegenstände wie ihre alte Bühnenkleidung, um ihren
Lebensunterhalt aufzubessern, selbst als sie eine kleine, mühsam errungene Sozialrente
erhielt.
Soweit es ihr möglich war, nahm sie bevorzugt Musikliebhaber in ihrer Wohnung auf. Für
junge Amateurmusiker und Musikstudenten war Käthe Jürgensen eine geradezu ideale
Wirtin, die nicht nur Verständnis für das ständige Üben entgegenbrachte, sondern die
jungen Leute in den Stunden ihrer Mutlosigkeit immer wieder dazu anspornte, weiterzumachen. Dies war ihr letztes und zugleich größtes Verdienst als Künstlerin und als
Mensch. Stellvertretend für andere kann hier ein ehemaliger Musikstudent zitiert werden,
der während seines Cello-Studiums von 1964 bis 1968 bei Käthe Jürgensen wohnte und
148
jetzt Solocellist an einer westdeutschen O p e r ist. 1971 schrieb er an Käthe Jürgensen:
„Voll größtem Entzücken d e n k e ich noch an Ihre Fähigkeit, die netten Feiern bei Ihnen
durch Ihren H u m o r , Ihr T e m p e r a m e n t und nicht zuletzt durch Ihre Kochkünste zu unvergeßlichen Stunden zu machen. Auch hat meine Frau längst ,spitz gekriegt', daß die Zeit bei
Ihnen durch Sie zu meiner entscheidenden Studienzeit geworden ist. Dabei haben Sie es ja
ganz schön schwer mit mir gehabt." W e n n Käthe Jürgensen bis Anfang der siebziger Jahre
mit ihren Musikstudenten und Amateurmusikern - darunter Cellisten und Geiger - im
großen Berliner Z i m m e r ihrer W o h n u n g musizierte, weitete sich dieser R a u m (mit dem
anschließenden Balkonzimmer waren es ca. 60 m 2 ) für die Beteiligten zu ihrer kleinen
Philharmonie. Sie selbst sang oder spielte Klavier. Hier sang auch Erwin Schindler, ein
ehemaliger Kammersänger, der als Halbjude unter den Nationalsozialisten Berufsverbot
hatte und sich in der Nachkriegszeit als Trauerredner betätigen mußte, weil er beruflich den
Anschluß nicht mehr fand.
1946 erkrankte K ä t h e Jürgensen an Gelbsucht, die nicht richtig ausheilte. A b Mitte der
sechziger Jahre litt sie an Arthrose, ab 1970 an Bluthochdruck mit langsam zunehmender
Herzinsuffizienz. 1971 brach sie sich das Bein. Später stürzte sie erneut und zog sich eine
Platzwunde am Kopf zu. Bis zuletzt spielte Käthe Jürgensen täglich Klavier, trotz der
zunehmenden Arthrose in den Fingern und Beinen. Nach einem tapfer durchgestandenen
Leben starb sie am 15. Mai 1979 in Berlin. Ein liebevolles G e d e n k e n bei der jungen und
jüngsten Generation innerhalb und außerhalb Berlins ist ihr gewiß!
Anschrift der Verfasserin: Reichsstraße 28a, 1000 Berlin 19
Nachrichten
Senat von Berlin fördert Berlin-Forschung
Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat für das Jahr 1979 für ein Förderungsprogramm der Freien
Universität Berlin für junge Wissenschaftler zur Berlin-Forschung 2 Mio. DM bereitgestellt und eine
Weiterführung in Aussicht genommen, die für 1980 einen Finanzaufwand von 6 Mio. DM und für
1981 von 8 Mio. DM erfordern würde. Neben wissenschaftlicher Qualität und berlinbezogener
Thematik waren auch Anwendbarkeit in der Praxis und Kooperation mit Einrichtungen außerhalb
der Hochschule als Förderungskriterien genannt worden. Die zunächst eingereichten 122 Projektanträge umfassen wesentliche Fragen der Stadtforschung, darunter Stadtplanung und Stadtstruktur,
natürliche Umwelt, politische Entwicklung und Kultur, doch ist die Auswahlkommission der Meinung,
daß darüber hinaus eine Reihe von Themen, die für Berlin wichtig sind, eingereicht werden könnte.
H. G. Schultze-Berndt
D e n k m a l - F o t o a u s s t e l l u n g in O s t - B e r l i n
In der (Ost-)Berliner Stadtbibliothek wurde im September eine Ausstellung unter dem Titel „Denkmale in Berlin, Hauptstadt der DDR" eröffnet. Darin wird dargelegt, wie mannigfaltig die Bemühungen sind, Denkmale der Geschichte, Kunst, Wissenschaft und Technik im Ostteil unserer Stadt zu
erhalten und zu pflegen.
H. G. Schultze-Berndt
149
Freiwillige Denkmalpfleger restaurieren auf Ost-Berliner Friedhöfen
Im Zusammenhang mit dem Aufsatz „Aus der Blütezeit des Berliner Kunstschmiedehandwerks zum 125. Geburtstag von Paul Marcus" von Fritz Bunsas im Heft 4/1979 der „Mitteilungen" verdient
die Meldung Aufmerksamkeit, daß Mitglieder der Interessengemeinschaft „Denkmalpflege, Kultur
und Geschichte unserer Stadt Berlin" im Kulturbund der DDR an der Restaurierung des Berliner
Garnisonfriedhofs in der Kleinen Rosenthaler Straße 3 im Bezirk Mitte mitarbeiten. Seit Januar 1978
haben sie den Rost an kostbaren gußeisernen Grabdenkmalen und schmiedeeisernen Grabgittern
entfernt. Anschließend erhielten die Zeugnisse Berliner Eisengußkunst vornehmlich aus dem 19.
Jahrhundert einen Anstrich mit Rostschutzfarbe und mit schwarzem Lack.
H. G. Schultze-Berndt
B e r l i n e r B ä r im Bischofswappen
Dr. jur. Johannes Dyba ist Pro-Nuntius (im Range des Botschafters) in Liberia und Gambia sowie
Apostolischer Delegat in Guinea und Sierra Leone. Unlängst wurde der 50 Jahre alte gebürtige
Berliner als Priester der Erzdiözese Köln im Kölner Dom zum Bischof geweiht. Sein Bischofswappen
ziert neben den drei Kölner Kronen der Berliner Bär. Sein Wahlspruch: „Filii Dei Sumus,, - Kinder
Gottes sind wir.
H. G. Schultze-Berndt
*
Die Leitung des Frühlings-Hotels in Braunschweig, Bankplatz 7, Telefon (05 31) 4 93 17/18, versichert im Anschluß an die Studienfahrt nach Braunschweig, daß auch in Zukunft Mitglieder unseres
Vereins dort bevorzugt untergebracht werden.
H. G. Schultze-Berndt
Von unseren Mitgliedern
Horst Behrend, Christ und Preuße t
Am 22. November ist unser Mitglied Horst Behrend im Alter von 66 Jahren verstorben. Als Sohn
des Senatspräsidenten Dr. Ernst Behrend in Stettin geboren, war er nach dem Abitur in Berlin und
einer Kaufmannslehre im Übersee-Speditionshandel in Bremen zunächst als freier Schriftsteller tätig,
bis Kriegsdienst und sowjetische Gefangenschaft seinen Weg unterbrachen. 1949 gründete er die
Vaganten-Bühne Berlin, mit der er im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Thespis-Karren über die
Lande zog und den Menschen mit aufrüttelnden Stücken seine Botschaft nahebrachte. Seine Tätigkeit
als Theaterdirektor und als Schriftsteller wurde 1960 durch Verleihung des Silbernen Blattes des
Deutschen Schriftsteller- und Komponisten-Verbandes und 1967 durch die Luther-Plakette in Silber
ausgezeichnet. 1979 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.
Den Mitgliedern unseres Vereins ist das vielfältige Wirken des Verstorbenen zumeist aus den Vorträgen bekannt, mit denen er thematisch einen weiten Bogen durch Brandenburg-Preußen zog und
die ihn ebenso in Strafanstalten und Volkshochschulen wie zur Urania und in eine Vielzahl von Vereinen führten. Horst Behrend war Rechtsritter des Johanniter-Ordens und Mitglied unterschiedlichster gesellschaftlicher Gruppen von den Lions bis zum Zollernkreis. Überall war er mit „ethischem
Ernst und christlichem Weltbewußtsein", wie Friedrich Luft schrieb, engagiert, ohne daß man den
Eindruck gewann, irgendeiner dieser Vereine habe ihn sich „einverleibt". Horst Behrend, der noch
aus einer Zeit stammt, in der auch die selbst auferlegten Pflichten Gewicht hatten, war ein „Multiplikator" seiner Ansichten über Gott und die Welt, über Preußentum und den Wert von Tradition
und Geschichte. Wenn er konservativ genannt werden kann, dann nur in dem Sinn, daß in unserem
Lande derjenige konservativ heißt, dem auch bittere Einsichten ein paar Jahre früher dämmern als
anderen. Ohne Titel, quasi als Ein-Mann-Unternehmen, oder — hochgegriffen - als „Institution"
150
Foto: Starck-Otto 1970
wirkte Horst Behrend in unserer Stadt, setzte sein Wissen und seine Erfahrungen gegen die Trägheit
der Herzen und fühlte sich nicht dem „Zeitgeist" verpflichtet, sondern dem Geist. Daß beim Trauergottesdienst in der Luisenkirche, in der er einmal monatlich als Prediger wirkte, Verse von Paul
Gerhardt und von Jochen Klepper gesungen wurden und Bischof Dr. Martin Kruse als einziger neben
den Gemeindepfarrern zu Worte kam, kennzeichnet selbst in dieser Abschiedsstunde unser Mitglied
Horst Behrend, Christ und Preuße, wie er genannt wurde, Freund und Mensch.
H. G. Schultze-Berndt
*
Unser Mitglied Axel Springer wurde in einer Feier der Stiftung „Ruf des Gewissens" (Appeals of
Conscience Foundation) in New York im Beisein des früheren Berliner Stadtkommandanten Frank
Howley und des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, Rüdiger
von Wechmar, als „Mann des Gewissens" geehrt. Der Präsident der Stiftung, Rabbiner Arthur
Schneier, überreichte Verleger A. Springer die Ehrenurkunde und würdigte dessen historischen
Beitrag zur Verständigung zwischen Deutschen und Juden.
H. G. Schultze-Berndt
*
Unserem Mitglied Franz Berndal wurde im Rahmen der Eröffnungsfeier der letztjährigen Kreuzberger Festwochen von Stadtrat Gerhard Schultze die Gedenkplakette des Bezirks Kreuzberg von Berlin
überreicht. Damit sollten seine früheren Leistungen und Vorträge in diesem Bezirk gewürdigt werden.
H. G. Schultze-Berndt
*
Unser Mitglied Horst Kintscher wird als Nachfolger von Hans Rosenthal Leiter der UnterhaltungsAbteilung beim RIAS Berlin.
H. G. Schultze-Berndt
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche
zum 70. Geburtstag Herrn Gerhard Koch; zum 75. Geburtstag Herrn Dr. H. H. Beerbohm, Herrn
Albert Brauer, Herrn Max Göhler, Herrn Dr. G. B. von Hartmann, Herrn Hans Schiller, Herrn Ernst
Schmidt, Herrn Paul Weihe; zum 80. Geburtstag Frau Gertrud Hartmann, Herrn Erich Kemnitz,
Frau Eva Paproth, Frau Elisabeth Roßberg, Frau Gertrud Warzecha, Frau Erna von Wolff; zum
85. Geburtstag Herrn Dr. H. Fricke, Herrn Karl Lortzing.
151
Buchbesprechungen
Günter de Brnyn: Märkische Forschungen. Erzählungen für Freunde der Literaturgeschichte. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1979 (Liz.). 152 S., geb., 22 DM.
Der Autor - er wohnt und arbeitet in der DDR - hat die Personen seines Buches in der Mark Brandenburg und in Berlin (Ost) angesiedelt. Ein Grund dafür besteht nicht, die Handlung könnte überall
vor sich gehen.
Zwei Männer, welche eine Leidenschaft für das gleiche Hobby haben, nämlich die Forschung nach
einem verschollenen märkischen Dichter, werden Freunde. Einer der beiden ist ein Universitätsprofessor und Institutsleiter im besten Alter, der andere ein junger Dorfschullehrer und Hobbyhistoriker.
Als der Lehrer in den Forschungen des Professors mögliche Fehler aufdeckt und dieser sein Lebenswerk gefährdet sieht, macht der Wissenschaftler den einstigen Freund, den er nun als unerträglichen
Widersacher betrachtet, mundtot. Der junge Lehrer geht daran zugrunde.
Die Beziehungen der beiden Männer zueinander und zu ihrer Umwelt sind psychologisch sehr genau,
spannend und überzeugend geschildert. Das einzige, was nicht überzeugt, ist eine ideologisch begründete Ablehnung der von ihm angestrebten Veröffentlichung in der Bundesrepublik. Der Autor
braucht jedoch diese Ablehnung, um das Vernichtungswerk an dem unerfahrenen und einflußlosen
Laienforscher zu vollstrecken.
Vera Gottke
Fritz V. Grünfeld: Heimgesucht - Heimgefunden. Betrachtung und Bericht des letzten Inhabers des
Leinenhauses Grünfeld. Berlin: arani-Verlag 1979. 233 S. m. Abb., Ln., 29,80 DM.
Wer von den Älteren kennt sie nicht, die „Grünfeldecke" Kurfürstendamm/Joachimstaler Straße das Leinenhaus Grünfeld, dessen letzter Inhaber das Buch seinen Enkelkindern widmet, „auf daß sie
wissen und nicht vergessen . . .".
Einige biographische Daten: Geboren wurde er 1897 im schlesischen Landeshut, wo sein Großvater
1862 die „Landeshuter Leinen- und Gebildweberei F. V. Grünfeld" gegründet hatte. Um die Jahrhundertwende Übersiedlung der Familie nach Berlin, Leipziger Straße; hier Schulzeit und Studium,
dann Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, danach Studienabschluß und 1926 Eröffnung des zweiten
Geschäfts am Kurfürstendamm. Er kommt, u.a. über seinen Schwiegervater Max Osborn, Schriftsteller und Kunstkritiker, mit vielen Repräsentanten des kulturellen Berlins der zwanziger Jahre
zusammen. Wir erleben mit ihm „den Höhepunkt und den Untergang der kurzen glanzvollen Emanzipation der Juden in Deutschland".
Aus der Nazizeit — die Auswanderung erfolgte nach zwangsweisem Verkauf der Geschäfte 1938 —
erfahren wir von so mancher Groteske: daß u. a. Görings Frau bei Grünfeld kaufte oder daß im
Wäschelager in Landeshut auf der einen Seite Bettbezüge mit hebräischen Inschriften für ein Krankenhaus in Tel Aviv, auf der anderen Seite solche für das Wehrkreiskommando III lagerten.
Das Buch handelt von dem Heimgesuchten, der ein zweites Heim in Israel gefunden hat. Grünfeld
beschreibt vier Etappen seiner Wandlung: vom Deutschen über den jüdischen Deutschen und den
deutschen Juden bis hin zum Juden in Israel. Es ist ihm allem Anschein nach nicht gelungen, sein
Geschäft dort in einem ähnlichen Rahmen wie früher wieder aufzubauen. Dabei darf natürlich nicht
vergessen werden, daß die Neugründung der eigenen Existenz mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und später mit dem Kampf Israels um eine eigene Staatsgründung zusammenfiel. So finden
wir Grünfeld in einem Komitee für Soldatenhilfe, als Organisator für Rationalisierung und Zuteilung
auf dem Gebiet der Textilwirtschaft wieder und schließlich - bis zu seiner Pensionierung - mit dem
Auf- und Ausbau einer Kette von Textilgeschäften befaßt. Das wird alles sehr genau geschildert, und
wir nehmen - aus Grünfelds Sicht - teil am Werden und an der Verwirklichung des neuen Judenstaates. Keiner der vielen Glieder der Familie Grünfeld ist auf Dauer nach Deutschland zurückgekehrt.
Zuweilen denkt man, daß Grünfeld auch gegenüber den Israelis Rechenschaft ablegt wegen seines
besonderen Verhältnisses zu Deutschland, was wohl im Zusammenhang mit seinem ursprünglichen
Sclbstverständnis als Deutscher gesehen werden muß. Hier klingt - jedenfalls für die Ohren der
Rezensentin - ein Stück der Tragik des jüdischen Volkes an, die gerade 1979, im Jahr der Veröffentlichung des Buches, durch die sich zuspitzende Problematik um Israel aktualisiert wurde. Es ist sicher
kein Zufall, daß er 1973 schon „die Feder dazu ansetzte", zu einem Zeitpunkt, als der „Überfall der
arabischen Übermacht auf meine neue Heimat alles Private überschattete".
Irmtraut Köhler
152
Swantje Peibst: Berlin-Brandenburgische Fayencen des 17. und 18. Jahrhunderts. Berlin (Ost): Märkisches Museum 1979. 97 S. m. z.T. fbg. Abb., brosch., 8 M.
Die Fayencesammlung des Märkischen Museums umfaßt rund 500 Stücke aus Berlin-Brandenburgischen Manufakturen. 90 Prozent davon stammen aus dem Besitz des Potsdamer Kunsthistorikers
Dr. Paul Heiland, dessen Versuche, ein deutsches Fayenceforschungszentrum und-museum zu gründen,
in den 20er Jahren fehlschlugen. Er hat seine Sammlung dann auf Museen in den Herkunftsgebieten
der Fayencen aufgeteilt, so auf München, Potsdam, Berlin, Nürnberg, Dresden, Bunzlau, Würzburg,
Frankfurt am Main, Bayreuth, Zerbst, Uffenheim, Ellwangen, Stuttgart und Erfurt. Für die dem
Märkischen Museum aus sieben Manufakturen überlassenen Fayencen zahlte ihm dieses jährlich eine
Rente von 15 000 RM.
Eine Auswahl von 155 Gegenständen wurde unter dem Thema „Berlin-Brandenburgische Fayencen
des 17. und 18. Jahrhunderts" in einer Ausstellung des Museums gezeigt. Diese gab einen Überblick
über die Entwicklung der Fayence in der Mark Brandenburg und über den Beginn der Herstellung
von Steingut in der Rheinsberger Manufaktur. Der Große Kurfürst errichtete 1678, also ein Jahrhundert vor der Gründung der ersten Porzellanmanufaktur durch Wegely, eine eigene Manufaktur
für das sogenannte „Delfter Porzellan", die Fayence nach holländischem Vorbild. Im letzten Drittel
des 18. Jahrhunderts verdrängte das nach englischem Vorbild hergestellte billigere Steingut die
Fayence; einige Manufakturen stellten darum ihre Produktion auf das neue Material um.
155 Stücke aus der Fayencesammlung werden in dem vorliegenden Band beschrieben und 32 von
ihnen ganzseitig abgebildet, zum Teil farbig. Vorangestellt ist die Geschichte der einzelnen Manufakturen bis zu deren Erlöschen. Es handelt sich im einzelnen um die Manufakturen Pieter Fransen van
der Lee, Gerhard Molin, Gerhard Wolbeer und Erben (1678 bis um 1764, erster Standort vor dem
Spandauer Tor), Cornelius Funcke und Erben (1699 bis 1747, in der Straße „Neucölln am Wasser"),
Johann Gottlieb Menicus (1747 bis 1767, gleichfalls „Neucölln am Wasser"), Carl Friedrich Lüdecke
und Erben (1756 bis 1866 in der Baumgasse vor dem Königstor), Johann Carl Heinrich (nach 1763
bis 1795, in der Dammvorstadt in Frankfurt/Oder), Christian Friedrich Rewendt und Erben (1756
bis 1866, in der Nauener Straße 7 in Potsdam) sowie Constantin Sartori (1775 bis um 1796).
Es mag noch interessieren, daß 1978 eine aus der Manufaktur Gerhard Wolbeer stammende Fayence
dem Berlin Museum von dessen Verein der Freunde und Förderer als Dauerleihgabe übergeben worden ist.
H. G. Schultze-Berndt
Von Moskau nach Berlin. Der Krieg im Osten 1941—45, gesehen von russischen Fotografen. München: Stalling 1979. 152 S. m. 125 Fotos, geb., 36,80 DM.
Dieser Bildband wurde bereits 1975 von zwei Tschechen herausgegeben, von dem englischen Historiker A. J. P. Taylor kommentiert und mit einem Vorwort von Heinrich Böll versehen, der u. a. die
Inschrift auf dem Mahnmal für die Opfer der Belagerung Stalingrads zitiert. „Wisse ein jeder niemand ist vergessen und nichts ist vergessen." Gerade diese - von anderer Seite schon so oft
geschriebene - Geschichte in Bildern zu betrachten, mag hin und wider etwas schwierig erscheinen,
ist doch häufig schon in Vergessenheit geraten, daß die Sowjetunion zwanzig Millionen Tote beklagt
in einem Krieg, der von Deutschland zu verantworten ist. Problematisch bleibt dieses Thema auch
deshalb, weil die Themen „Vertreibung" und „Befreites Polen" mit hineinspielen; Böll deutet es in
seinem Vorwort an.
Es sind sehr eindrucksvolle, aber zugleich grauenhafte Bilder, welche die Deutschen - und den
Krieg! - anklagen, die das Elend jedes Frontsoldaten und der Zivilbevölkerung gleichermaßen zeigen.
Hier wünscht man sich, daß diese Bilder und auch das „Nichts ist vergessen" allen Völkern und ihren
Regierungen allgegenwärtig bleiben.
Irmtraul Köhler
Will McBride: Knips! Berliner Bilder aus den 50er Jahren. Berlin: Rembrandt 1979. 72 S. m. 60 Abb.
Ln., 29,80 DM.
Mit diesem Buch stattet der inzwischen weltberühmte amerikanische Fotograf Will McBride seinen
Freunden einen Dank ab. Seine nun schon ein Vierteljahrhundert alten Aufnahmen spiegeln die
Begeisterung der 50er Jahre wieder, als in Berlin im Gegensatz zu anderen Orten jeder zunächst einmal die ganze Stadt und dann erst sich selbst verteidigte. Vielleicht sind die den Bildern beige-
153
gebenen Unterschriften für einen Amerikaner etwas zu pathetisch („das Tack-tack-Geräusch des
Meißels im zarten, weißen Marmor erregt mich"), wie sie wohl auch für die Zeit, für die Stadt und
für die „Knips'-Bilder zu viel Poesie ausströmen mögen.
Nachdem die Welle der Bildbände „vor hundert Jahren" hoch aufgebrandet ist und wir auch eine
stattliche Anzahl von Büchern über die Zeit vor fünfzig Jahren zu registrieren hatten, stehen jetzt die
50er Jahre nicht nur in Mode und Zeitgeschmack im Vordergrund, sondern auch auf dem Büchermarkt. Hierfür ist der vorliegende Band ein gutes Beispiel im doppelten Sinn. Der nachstehende Satz
mag beim Übertragen etwas verunglückt sein: „Während des Kalten Krieges lebten wir in Berlin
etwas schizophren, weil wir von Rußland umzingelt waren, und unterstützten Ostdeutschland
(D.D.R.),"
H. G. Schultze-Berndt
Michael Schmidt: Berlin, Stadtlandschaft und Menschen. Einführung: Heinz Ohff. Berlin: Stapp 1978.
92 S. m. 62 Abb., geb., 28 DM.
Die Zeiten, als man noch zwischen Landschaft und Stadtschaft zu unterscheiden wußte, sind vorüber,
sonst wäre es nicht möglich, daß hier der „Stadtlandschaft" und den Menschen gesonderte Bildteile
gewidmet würden. Heinz Ohff wertet die Fotografien auf, wenn er Michael Schmidt „als eine Art von
Merian" bezeichnet, der sich in erster Linie als Dokumentarist bezeichnet und dessen Handschrift in
der von ihm betroffenen Auswahl aus der Stadtlandschaft liegt. Schmidt bevorzugt die Schwarzweißfotografie, wobei die Grautöne überwiegen. So kann als das einzige Motiv Michael Schmidts „Berlin
strukturell" gelten oder, wie Heinz Ohff es nennt, das nackte Berlin, Berlin als Aktbild oder gar als
Skelett.
Bei den Menschen wird auf den demokratischen Charakter gewisser unverkennbarer Nivellierungserscheinungen hingewiesen und der „Einbezug nach anfänglichem Widerstand", der die Hugenotten
nach zwei oder drei Generationen in Berlin heimisch werden ließ, mit den ausländischen Gastarbeitern, besonders den Türken, für möglich gehalten. Diese sind dann auch im Bildteil hinreichend
repräsentiert, der die Menschen berlinischer zeigt als die Landschaft. Wenn dies als Dokumentation
heutiger Zeitverhältnisse und Gegebenheiten angesehen wird, so doch vielleicht mit der Einschränkung: Auch das ist Berlin.
H. G. Schultze-Berndt
Franz Burchard Dörbeck. Hrsg.: Hans Ludwig. Berlin: Stapp 1979. 114 S. m. Abb., Ln., 19,80 DM.
Der Blick zurück auf Franz Burchard Dörbeck (1799—1835) ist ein wenig von Theodor Hosemann
verstellt, der ihm als Illustrator der Heftreihe Adolf Glaßbrenners „Berlin, wie es ist - und trinkt"
folgte. Es ist erstaunlich, wie sich der in Estland geborene und in St. Petersburg ausgebildete Künstler
nach seiner Übersiedlung nach Berlin als 24jähriger in Geist und Erscheinung dieser Hauptstadt einfühlte. In dem vorliegenden Band sind die frühen Zeichnungen Dörbecks zum ersten Mal zusammengefaßt worden. Zu seiner Zeit waren Dörbecks Figuren zwar so populär wie einige Jahre später diejenigen von Hosemann, doch blieb der Zeichner fast so anonym wie die Schöpfer der Neuruppiner
Bilderbogen. Anerkennung blieb ihm zeitlebens versagt, und die offizielle Kritik beachtete ihn kaum.
Eine Ausnahme bildet der Historiker Franz Kugler, aus dessen Feder die Lebensgeschichte Friedrichs
des Großen stammt. Zum Tode Dörbecks 1835 hieß es u.a.: „Die Dörbeckschen Blätter sind ein
meisterhaft geschriebenes Kapitel in der Stadtgeschichte Berlins; sie werden unseren Nachkommen
von unschätzbarem Werte sein." Von den rund 200 Blättern, die von Dörbeck erhalten geblieben sind,
hat etwa die Hälfte in diesem Buch Aufnahme gefunden, dem Hans Ludwig, mit einer Reihe von
Büchern über Alt-Berlin, seine Künstler und Typen rühmlich hervorgetreten, ein einfühlsames Nachwort mit auf den Weg gegeben hat. Der Bemerkung, der Name Franz Burchard Dörbeck komme aus
dem Deutschen, und im 19. Jahrhundert wurde in den baltischen Provinzen neben Russisch auch
Deutsch gesprochen, wäre wohl ergänzend anzufügen, daß bis zum Hitler-Stalin-Pakt im Baltikum das
Deutsche neben den Landessprachen Estnisch, Lettisch und Litauisch die Lingua franca war.
H. G. Schultze-Berndt
Robert Liese: Urlaub in Berlin. Texte in Berliner Mundart mit Zeichnungen von Richard Gohlke.
Darmstadt: J. G. Bläschke Verlag 1976. 80 S., 9,80 DM.
Robert Liese hat, mit Zeichnungen von Richard Gohlke, bereits mehrere Bücher veröffentlicht, von
denen die „Berlinische Poesie" und „Willkommen! Aus Berlin?" (humorvolle Texte in Berliner
Mundartl eleichfalls unsere Stadt zum Gegenstand haben. Der vorliegende Gedichtband läßt einen
154
Mann statt in fernen Gegenden in Berlin seinen Urlaub machen und von der Buckower Kirche bis zum
Todesstreifen allerlei Abenteuer erleben und Erfahrungen sammeln, die auf jeweils einer Druckseite
mit einem zugehörigen Bild wiedergegeben werden. Die Lyrik und Grafik sind dem Gegenstand angemessen, und für eine abermalige Variante, die Berliner Mundart in Schriftform wiederzugeben, mag
das folgende Beispiel herhalten, „Kleistpark" überschrieben: Könichskolonaden,/Assoziation:/
Marschmusik, Paraden,/Jarde-Jarnison./Keene rechte Freude,/ab'n härtet Muß./Fahnen am Jebäude,/strenga Habitus./Hauch von Schuid und Sühne/fühlste uffgeschreckt./Selbst im Park det Jrüne/
atmet hier Respekt.
H. G. Schultze-Berndt
Ane: Berlin ssnni Piep'n. Karikaturen. Berlin: Stapp 1979. 64 S. m. z. T. fbg. Abb., Pappbd., 9,80 DM.
Mit dem Zeichenstift legt Ane, stadtbekannter Berliner Karikaturist, einen Gang durch das Jahr
1978/79 zurück. So ist ein für diesen Zeitabschnitt typisches Geschöpf entstanden, was sich aus den
Stichworten Fußball-Weltmeisterschaft, Jahr des Kindes, Jahrhundertwinter, Kopfläuse, ICC, Laubsäcke, „Grüne" und Bockbierfest ergibt. Angefügt sind eigentlich etwas unvermittelt zwei Betrachtungen, die Ane über Sylt und über Roma aeterna anstellt. Diese Glossen sind ihm so gut geraten,
daß man sich fragt, warum er eigentlich nicht nur schreibt. Daß der Springbrunnen auf der Piazza
Navona vier Füssen gewidmet ist, scheint weniger wahrscheinlich als daß es sich um vier Flüsse handelt.
Der Zufall wollte es, daß dem Rezensenten gleichzeitig ein vergleichbares, zeitgebundenes Buch aus
dem Jahre 1947 in die Hand fiel: „Berlin ohne Worte" von Horst von Möllendorff mit einem Vorwort
von Aribert Wäscher. Da dachte man doch, daß nicht nur mehr als drei Jahrzehnte zwischen diesen
beiden Veröffentlichungen liegen.
H. G. Schultze-Berndt
*
Im Jahre 1980 werden die Tagesausflüge zu lohnenden Zielen in die DDR wieder aufgenommen.
Einzelheiten wollen Sie bitte den nächsten Heften der „Mitteilungen" entnehmen.
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge
67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 7 1 - 7 4 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis
unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
*
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten.
Im IV. Vierteljahr 1979
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Dr. med. Klaus Brandes, Facharzt
Lerchenweg 17, 2121 Vögelsen
Tel.(0 4 1 3 1 ) 6 2100
(Ruth Koepke)
Kurt Hohnhäuser, Rechtsanwalt
Westfälische Straße 82, 1000 Berlin 31
Tel. 87 36 68
(H. Grigers)
Heribert Kremers, Kaufmann
Wilhelmsruher Damm 97, 1000 Berlin 26
Tel. 4 15 58 58
(H. Grigers)
Bernhard Linke, Student phil.
Altonaer Straße 9, 1000 Berlin 21
Tel. 3 91 32 60
(Günther Linke)
Volker Spieß, Verlagskaufmann
Großgörschenstraße 6,1000 Berlin 62
Tel. 7 81 35 14
(Schriftführer)
Helmut Will, Rentner
Elberfeider Straße 14, 1000 Berlin 21
Tel. 3 91 24 67
(Brauer)
Ruth Lüer
Warmbrunner Straße 37, 1000 Berlin 33
Tel. 8 23 81 06
(1. Köhler)
Hans-Jörg Bonz, Beamter
Bolivarallee 17A, 1000 Berlin 19
Tel. 8 65 23 75
(Bibliothek)
155
Veranstaltungen im I. Quartal 1980
1. Dienstag, den 15. Januar 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Professor Dr. Werner
Stein: „Einstein - Hahn - von Laue - Meitner, Zeugen für ein Jahrhundert Wissenschaft". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
2. Sonnabend, den 26. Januar 1980, 10.30 Uhr: Anläßlich des 115. Jahrestages der
Gründung des Vereins „Winterspaziergang durch den Park des Prinzen Carl am
Schloß Klein-Glienicke" unter der Leitung von Herrn Michael Seiler. Anschließend
Beisammensein im Schloß-Restaurant. Treffpunkt am Johanniter-Tor. Fahrverbindungen: Busse 18, 48 umsteigen in Bus 6; S-Bahn: Wannsee, dann Bus 6.
3. Donnerstag, den 7. Februar 1980, 16.30 Uhr: Besuch der Ausstellung „Von der
kurfürstlichen zur königlichen Residenz - Berlin um 1700" im Landesarchiv,
Kalckreuthstraße 1 (Ecke Kleiststraße). Führung: Herr Dr. Jürgen Wetzel.
4. Sonnabend, den 16. Februar 1980, 11.00 Uhr: Anläßlich des Geburtstages des
Großen Kurfürsten Besuch der hiesigen Französischen Kirche (Hugenottenkirche)
in Haiensee, Joachim-Friedrich-Straße 4. Referentin: Frau Pfarrerin Horsta Krum.
Fahrverbindungen: Busse 4, 10, 19, 21, 29, 69.
5. Dienstag, den 26. Februar 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Professor Dr.
Wolfgang Ribbe: „Charlottenburg als Residenz in Brandenburg-Preußen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
6. Dienstag, den 4. März 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor
Dr. Helmut Engel: „Zur historischen Entwicklung des Tiergartens". Bürgersaal des
des Rathauses Charlottenburg.
7. Dienstag, den 18. März 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Wolfgang Neugebauer:
„Die Entwicklung des Schulwesens in der Residenzstadt Charlottenburg im 18. und
19. Jahrhundert". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
8. Dienstag, den 25. März 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Felix Escher: „Die
Westausdehnung Charlottenburgs von 1900 bis 1945". Bürgersaa) des Rathauses
Charlotten bürg.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek
ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank, Kaiserdamm 95, 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
156
Ratsbibliotfaefc
Fadiabt, der Berliner Stadtbibliothek
A 1015 F X
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
76. Jahrgang
Heft 2
April 1980
~P
U
157
\
/
Otto Hintze (1861 -1940)
/ v o n Michael Erbe
/
„Diejenigen, die das Werk Otto Hintzes kennen, betrachten ihn einhellig als einen der
wichtigsten, wenn nicht überhaupt als den bedeutendsten deutschen Historiker in der
Zeit Wilhelms II. und der Weimarer Republik. Doch die Zahl derer, denen seine Schriften
bekannt sind, ist gering, und sein Einfluß auf die Geschichtswissenschaft ist, so tief und entscheidend er sich in einzelnen Fällen ausgewirkt hat, begrenzt geblieben." Mit diesen
Worten beginnt einer von Hintzes Schülern, den die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nach 1933 in die Emigration zwang, seine Einleitung zu einer Auswahl von HintzeAufsätzen in englischer Sprache, die vor fünf Jahren veröffentlicht wurde 1 . Der 25. April
dieses Jahres ist nun der 40. Todestag dieses Berliner Historikers. Zwar erinnert sich an
seinen Namen außerhalb der Fachwelt kaum noch jemand, aber gerade in den letzten
anderthalb Jahrzehnten ist er von einem Teil der jüngeren Historikergeneration gewissermaßen wiederentdeckt worden. Zumindest am Vorabend der Preußenausstellung tut man
in unserer Stadt gut daran, dieses Gelehrten zu gedenken, ohne den unsere Kenntnisse
über Preußen wesentlich geringer wären2.
Wie viele bedeutende Gelehrte Berlins ist Hintze nicht hier zur Welt gekommen 3 . Am
27. August 1861 wurde er in Pyritz (Regierungsbezirk Stettin) als Sohn eines dort tätigen
mittleren Beamten geboren. Bis 1878 besuchte er das Pyritzer Gymnasium, studierte dann
bis 1880 zunächst in Greifswald und danach in Berlin Geschichte, Germanistik und Philosophie. Von seinen Lehrern haben vor allem Johann Gustav Droysen und Wilhelm
Dilthey nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt. 1884 promovierte er über „Das Königtum Wilhelms von Holland" bei dem Mediävisten Julius von Weizsäcker. Für seine weitere Laufbahn ist dann die Begegnung mit dem Nationalökonomen und Historiker Gustav
Schmoller (1838 — 1917), der seit 1882 in Berlin lehrte, entscheidend geworden. Schmoller
rief 1887 mit Hilfe der Berliner Akademie der Wissenschaften das Publikationsunternehmen „Acta Borussica" („Denkmäler der preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert") ins Leben und übertrug Hintze die Bearbeitung der preußischen Seidenindustrie.
Bis 1892 legte der junge Historiker zwei Aktenbände und einen Darstellungsband zu
diesem Gegenstand vor, um sich dann auf Schmollers Anregung hin der Behördenorganisation seit 1740 zuzuwenden. Bleibende Frucht seiner Arbeit an diesem Stoff war
seine umfangreiche Einleitung zu den insgesamt fünf von ihm bearbeiteten Aktenbänden, in der er den Zustand des preußischen Behördenwesens beim Regierungsantritt
Friedrichs des Großen darstellte4. Hintze verfolgt hier die preußische Verwaltung von der
zentralen Gewalt bis hinein in die kleinsten Verästelungen der unteren Behörden, wobei der Wirtschaftspolitik - der Natur eines „merkantilsitischen" Staatswesens entsprechend - breiter Raum gewidmet wird. Die Arbeit an den „Acta Borussica", die er nach
Schmollers Tod als Leiter des Unternehmens weiter koordinierte, ließ ihn im Lauf
der Jahre zum besten Kenner der älteren preußischen Geschichte werden.
Hiervon zeugen seine zahlreichen Aufsätze zu Problemen der Entwicklung dieses Staates
ebenso wie sein 1915 im Auftrag des Kaisers vorgelegtes Buch „Die HohenzoUern und ihr
Werk" 5 . Diese heute noch als Gesamtdarstellung unübertroffene, kürzlich deshalb nachgedruckte Geschichte Preußens entstand anläßlich des fünf hundertjährigen Jubiläums des
Herrschaftsantritts der HohenzoUern in der Markgrafschaft Brandenburg. Sie enthält
158
deswegen einen längeren einleitenden Teil über das Haus Hohenzollern vor 1415, behandelt dann die Geschichte der Mark Brandenburg vor ihrer Zeit und bezieht anschließend
mit den territorialen Erwerbungen der neuen Dynastie immer größere Räume ein, bis sie
seit dem 17. Jahrhundert in eine „preußische" und ab 1871 in eine „deutsche" Geschichte
einmündet und mit den Ereignissen der ersten Weltkriegsjähre endet. Die Stärken des
Buches liegen zweifellos in der Behandlung der Zeit vor 1806, und diese füllt etwa zwei
Drittel des Umfangs. Danach - und vor allem je näher sie der Gegenwart des Verfassers
rückt - wird die Darstellung sehr zeitbedingt und wirkt für den heutigen Leser allzu einseitig von der HohenzoUernverehrung durchtränkt, die um 1900 einem großen Teil der
deutschen Historiker eigen war, sofern sie ein von den gesellschaftlichen Problemen
ihrer Zeit ungetrübtes Weltbild in sich trugen. Hintze hat seine monarchische und
im Programm der Nationalliberalen angesiedelte politische Einstellung denn auch nie
verleugnet, obwohl er in die schrillen Töne der Annexionslüstigen während des 1. Weltkriegs nicht mit einstimmte.
Diese - aus heutiger Sicht durchaus rückschrittliche - politische Einstellung paart sich
bei Hintze freilich mit einer Aufgeschlossenheit in der Anwendung neuer, noch jetzt
als „modern" geltender Methoden bei der wissenschaftlichen Arbeit, die immer noch
erstaunlich anmutet und zeigt, wie wenig das bequeme und auch unter Intellektuellen
weit verbreitete Schubladendenken, das einen Politiker oder Wissenschaftler scheinbar
problemlos „links" oder „rechts" einordnet, als „progressiv" oder „reaktionär" ein159
stuft, in den meisten Fällen einem Menschen in all seiner komplexen Natur gerecht zu
werden vermag. Hintze mußte bei seiner Beschäftigung mit der preußischen Verwaltung
des 18. Jahrhunderts tief in die Wirtschaftsgeschichte eindringen, um sich einem Staatswesen mit dem gebührenden historischen Verständnis nähern zu können, das notgedrungen
nach der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges und der Depression in den Jahrzehnten danach wirschaftlich unternehmend tätig werden mußte, um bestehen bleiben
zu können. Hierzu war die Aneigung und Weiterentwicklung des wirtschaftshistorischen
Instrumentariums erforderlich. Daß Hintze dabei erfolgreich war, hat er 1894 auf einem
anderen Feld bewiesen, nämlich in einem längeren Aufsatz über „Die Schweizer Stickereiindustrie und ihre Organisation 6 ". Hierin analysierte er beispielhaft die Wechselwirkungen zwischen den Interessen der verschiedenen Wirtschaftsträger und den sozialpolitischen Zielsetzungen des Staates, wobei er als Anhänger des damaligen „Kathedersozialismus" gerade darauf sein Augenmerk richtete. Es ist dabei bezeichnend, daß
Hintze Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte nicht als Selbstzweck betrieb, sondern
in den Bereichen von Administration und Ökonomie stets den Menschen als aktiv oder
passiv Beteiligten sah (freilich dabei stets an der Möglichkeit festhielt, soziale Probleme
von „oben" zu regeln). So gelangte er zur Sozialgeschichte, ja er gilt bis heute als unbestrittener Meister einer Verbindung zwischen Verwaltungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.
Diese Verbindung war um 1900 in der deutschen Historikerzunft ebenso ungewöhnlich
wie eine verständnisvolle Bereitschaft, sich mit der damals als Wissenschaftsdisziplin
institutionalisierenden Soziologie auseinanderzusetzen. Hintze war einer der ersten deutschen Historiker, die das Werk Max Webers vorurteilsfrei rezipierten. Dabei galt die
Soziologie in der deutschen Geschichtswissenschaft keineswegs als hoffähig. Für den
Rankeschüler Alfred Dove etwa war sie wegen ihres von Fremdwörtern durchsetzten
Begriffsapparats nichts als ein „Wortmaskenverleihinstitut 7 ". Und Sozialgeschichte, zumal wenn sie bestimmte typische Verläufe in der Geschichte nicht von vornherein in Abrede stellte, galt den meisten als marxistisch und damit geradezu als vaterlandsverräterisch.
Hintze, der konservativ-borussisch dachte, war freilich über solche plumpen Unterstellungen erhaben, und er konnte es sich leisten, in den Streit um die Methoden des Leipziger Historikers Karl Lamprecht mäßigend einzugreifen, ohne seine Reputation zu verlieren. Dieser „Lamprecht-Streit" entbrannte in den neunziger Jahren um das damals
erscheinende Hauptwerk des Gelehrten, die „Deutsche Geschichte", deren Ziel es u.a.
war, „die gegenseitige Befruchtung materieller und geistiger Entwicklungsmächte innerhalb der deutschen Geschichte klarzulegen sowie für die Gesamtentfaltung der materiellen wie geistigen Kultur einheitliche Grundlagen und Fortschrittsstufen nachzuweisen8".
Hintzes 1897, auf der Höhe der Auseinandersetzungen um die Methode Lamprechts, bei
denen sich fast alle Beteiligten durch Schläge unter der Gürtellinie hervortaten, veröffentlichter Aufsatz „Über individualistische und kollektivistische Geschichtsauffassung" 9 zeigt, daß er einer der wenigen damaligen deutschen Historiker war, die das
Grundanliegen beider Seiten begriffen und sachlich zu werten verstanden. Unnötig zu
sagen, daß sein vermittelndes Wort nahezu ungehört verhallte.
Hintze war damit lange, ehe er zum preußischen Hofhistoriographen ernannt wurde und
den Auftrag erhielt, die schon erwähnte Jubiläumsschrift zu verfassen, über die „preußische Schule" der Geschichtswissenschaft hinausgewachsen. Dies war sowohl hinsichtlich seiner Methode der Fall, betrieb er doch keine politische Ereignisgeschichte wie
160
noch Sybel oder Treitschke, als auch von seinen Forschungsschwerpunkten her. Denn die
Beschäftigung mit Preußen diente einem weiterreichenden Anliegen. Hintze ging es
um eine vergleichende Sicht der Entstehung des modernen Staatswesens, und der brandenburgisch-preußische Staat war für ihn nur ein typisches Beispiel, gewissermaßen der
Modellfall eines Verwaltungssystems in seiner Entwicklung von der rudimentären Form
des Mittelalters bis hin zur strikten Ressorttrennung und sachlich durchorganisierten
Verwaltung im 19. Jahrhundert. Ein gutes Beispiel dafür, wie er diese Art vergleichender
Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte betrieb, ist sein 1908 publizierter Aufsatz über
„Die Entstehung der modernen Ressortministerien", als deren Wurzel er sowohl mittelalterliche Hofämter wie die frühneuzeitlichen Sekretäre der Landesherren aufzeigt, die
anfangs noch sämtliche Angelegenheiten bestimmter Regionen eines Territoriums zu
bearbeiten hatten 10 . Ebenso aber waren die Träger dieses sich im Lauf der Jahrhunderte
wandelnden Verwaltungssystems, die Beamten, Gegenstand seiner Untersuchungen 11 .
Sie mündeten schließlich in eine nach dem Ersten Weltkrieg verfaßte „Allgemeine
vergleichende Verfassungsgeschichte der Neuzzeit" ein, die freilich wegen Querelen
mit dem dafür vorgesehenen Verlag nicht publiziert wurde und deren Manuskript
während des Zweiten Weltkriegs verlorenging.
Hintze ist indes hierbei nicht stehengeblieben, sondern stieß im Zusammenhang mit
diesen Studien zu Überlegungen über welthistorische Probleme vor, deren Ergebnisse noch
heute bedeutsam sind und innerhalb der Geschichtswissenschaft erörtert werden. Sie
wurden vor allem in zwei Aufsätzen vorgetragen: „Wesen und Verbreitung des Feudalismus" (1929) und „Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentatiwerfassung"
(1931) 12 . In dem inzwischen klassischen ersten Aufsatz hat Hintze zunächst versucht, die
Verwirrung um den Begriff Feudalismus zu beenden. Dieser ist nur dort anwendbar,
wo die drei Elemente einer ritterartigen Kriegerkaste, deren Grundherrschaft über bäuerliche Hintersassen und die Aneignung hoheitlicher Rechte durch diesen Adel zusammentreffen, ferner eine Gesellschaft sich die imperialen Ideen einer anderen Kultur
zu eigen macht und sich plötzlich ausdehnt, ohne über ein dafür erforderliches Verwaltungssystem zu verfügen. Dies alles trifft aber nur auf die Nachfolgestaaten des Karolingerreiches und Japan voll zu, partiell freilich auch auf die islamische Welt und Rußland.
Der zweite Aufsatz legt die Ursachen dafür bloß, warum sich das Repräsentativsystem,
das auf dem Ständestaat beruht, nur im abendländischen Europa (und Amerika) durchsetzen konnte. Hier hat die weitgehend selbständige Kirche die weltlichen Gewalten
durch ihre Rechtsethik geprägt, und der ständige Konkurrenzkampf innerhalb des europäischen Staatensystems führte dazu, daß die Obrigkeiten die maßgebenden gesellschaftlichen
Gruppen zur politischen Mitbeteiligung und Mitbestimmung heranziehen mußten. Angesichts der Schwierigkeiten, die uns im atlantischen Bereich geläufigen Staatsformen auf
die Dritte Welt zu übertragen, gewinnen derartige Gedankengänge wieder an Aktualität. Das gleiche gilt für Hintzes andere bedeutende Arbeiten vor 1933 über den modernen Kapitalismus und über die Herausbildung des modernen (europäischen) Staatswesens überhaupt. Mit diesen Arbeiten eilte er z. T. seiner Zeit weit voraus, und auch in
den modernen Sozialwissenschaften sind sie noch längst nicht überholt.
Dennoch ist Hintzes akademische Karriere nicht so glänzend verlaufen, wie sie bei einem
Gelehrten dieses Ranges zu erwarten gewesen wäre. Neben seinem stolz-zurückhaltenden Wesen, das sich nur wenigen Geduldigen in seiner Tiefe offenbarte und das wenig
publikumswirksam war, trugen daran auch persönliche Schicksalsschläge die Schuld.
161
Nachdem Hintze sich 1895 an der Berliner Universität habilitiert hatte, wurde er 1899
dort Außerordentlicher Professor für „Verfassungs-, Verwaltungs-, Wirtschaftsgeschichte
und Politik". Diese von ihrem Lehrauftrag ganz auf seine Person zugeschnittene Professur wurde 1902 in ein persönliches Ordinariat umgewandelt. 1914 wurde Hintze zudem
wegen seiner Preußenforschungen Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Rufe an andere Universitäten hat er nicht erhalten, und so blieb er mit der preußischdeutschen Hauptstadt, in deren Wirtschaftsbetrieb er wurzelte, für die Dauer seines
Lebens verbunden. Hierbei spielte es eine entscheidende Rolle, daß er um 1910 infolge einer seit der Jugendzeit bestehenden Herzschwäche eine schwere gesundheitliche Krise durchstehen mußte, von der er sich nie wieder zu voller Arbeitskraft emporschwingen konnte. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs trat dieses Herzleiden erneut
auf, und eine hartnäckige Augenkrankheit kam hinzu, so daß er sich 1920 von allen Lehrverpflichtungen dispensieren lassen mußte. Er hat freilich noch weiterhin Doktoranden
betreut. Dennoch war es ihm versagt, gerade in dem Augenblick durch Lehrveranstaltungen bedeutenderen Einfluß auf die jüngere Wissenschaftlergeneration auszuüben,
als er aus seiner Forschungsarbeit jene bedeutenden Ansätze zu welthistorischen Synthesen entwickelte, die die Beschäftigung mit seinen Aufsätzen heute noch so reizvoll
machen. Lediglich seine Wohnung, in der besonders Geladene des öfteren zusammenkamen, war eine Stätte anregender geistiger Auseinandersetzungen, an die sich Gleichaltrige wie jüngere Kollegen noch später gerne erinnerten.
An dieser häuslichen Atmosphäre hatte Hintzes Frau einen bedeutenden Anteil. In den
meisten Lebensabrissen über ihn tritt sie unberechtigterweise fast ganz zurück, obwohl sie selbst eine Historikerin von Rang gewesen ist. Hedwig Hintze 13 war dreiundzwanzig Jahre jünger als ihr Mann, den sie in einem seiner Seminare kennengelernt
hatte. Sie stammte aus der Münchner Bankiersfamilie Guggenheimer und gehörte zu
den wenigen jungen Frauen, die - gestützt freilich auf den finanziellen Rückhalt ihres
Elternhauses - sich vor dem Ersten Weltkrieg eine höhere Schulbildung aneignen und ein
Universitätsstudium beginnen konnten. Seit 1910 studierte sie in Berlin, im Dezember
1912 heiratete sie Otto Hintze. Man kann sich denken, daß diese Ehe mit einer Frau
jüdischer Herkunft, die noch dazu nach der Heirat die eigene akademische Laufbahn
keineswegs aufzugeben gedachte, im Geheimratsmilieu der Friedrich-Wilhelms-Universität auf zwiespältige Reaktionen stieß. Ein Nachklang davon ist eine Stelle in den
Lebenserinnerungen von Hintzes Freund Friedrich Meinecke, der 1914 nach Berlin berufen wurde und u.a. über die Zeit damals - nicht ohne einen Anflug von Stirnrunzeln - schreibt: „Er [Hintze] hatte . . . 1912, als Fünfziger, endlich geheiratet, und zwar
eine seiner Schülerinnen, die sich in seine wissenschaftliche Eigenart ganz eingelebt
hatte und bald auch selbständigen wissenschaftlichen Ehrgeiz entwickeln sollte. Eine Ehe
eigener Art, wie sie wohl nur im modernen Gelehrtenleben möglich wird und von Hintze
nun mit ritterlicher Würde durchgeführt wurde. Die Ehe blieb kinderlos, und die elegante
Wohnung am Kurfürstendamm [in dem im Zweiten Weltkrieg zerstörten Haus Nr. 44]
beherbergte zwei Arbeitszimmer, in denen harmonisch nebeneinander gearbeitet wurde." 14
Hedwig Hintzes Pflege war es, wie Meinecke berichtet, hauptsächlich zu danken, daß
sich die angegriffene Gesundheit ihres Mannes zunächst wieder stabilisierte. Was dieser
darüber hinaus dem Gedankenaustausch mit seiner Frau, einer hervorragenden Kennerin
der französischen Geschichte, verdankt, die 1924 promovierte und sich 1928 mit einem
noch heute grundlegenden Werk über „Staatseinheit und Föderalismus im alten Frankreich
162
und in der Revolution" 15 habilitierte, läßt sich nur ahnen. Einen Hinweis gibt Hintzes Rezension von 1927 über die von der Witwe Max Webers verfaßte Biographie ihres Mannes 16 . Die Anteilnahme, mit welcher diese Frau den gleichfalls um die Mitte seines
Lebens von einer schweren gesundheitlichen Krise betroffenen Gelehrten sich wiederaufrichten half, wird hier so eindringlich hervorgehoben, daß man sich unwillkürlich
an die Anfänge von Hintzes Ehe selbst erinnert fühlt. Freilich deutet manches auf eine
später eingetretene Entfremdung hin, bei der nicht nur die politisch entgegengesetzten
Auffassungen beider eine Rolle spielten - Hedwig Hintze war im Gegensatz zu ihrem
konservativ denkenden Mann linksliberal eingestellt und dem Sozialismus gegenüber
recht aufgeschlossen —, sondern auch das Auseinanderleben durch die nach 1933 notwendigen längeren Auslandsaufenthalte der aufgrund des sogenannten Gesetzes zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von ihren Lehrverpflichtungen an der Berliner Universität entbundenen Privatdozentin. Hintze hat seiner Frau, so gut er es
vermochte, die Stange gehalten, wie es seiner Charakterfestigkeit, aber auch seiner
grundsätzlich ablehnenden Haltung Hitler und seinem Herrschaftssystem gegenüber
entsprach16. Daß sie auf Veranlassung der Herausgeber der Historischen Zeitschrift,
Friedrich Meinecke und Albert Brackmann, kurz nach der „Machtergreifung" ihre
ständige Mitarbeit (sie betreute den Rezensionsteil zur Geschichte der Französischen
Revolution) an diesem wichtigsten Fachorgan der deutschen Historikerzunft einstellen
mußte, weil man befürchtete Einmischungen von oben so vermeiden wollte, führte zu
einer nachhaltigen Verstimmung zwischen Hintze und Meinecke. Als Hintze 1938 einen
Fragebogen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin über „Rassenzugehörigkeit"
ausfüllen sollte, beantwortete er die Frage, ob er „jüdisch versippt" sei, mit „Ja"
und kündigte gleichzeitig seine Mitgliedschaft auf. Kurz darauf emigrierte seine Frau
in die Niederlande. Dort erhielt sie 1940 die Nachricht vom Tod ihres Mannes. Die
kurze Zeit später erfolgende deutsche Invasion der Benelux-Länder hinderte sie an der
Abreise nach den USA, wohin sie einen Ruf auf eine Professur erhalten hatte. Um dem
Schicksal der Deportation und der Vernichtung zu entgehen, das bald fast alle in den
Niederlanden ansässigen Juden traf, nahm sie sich — vermutlich 1943 — das Leben.
Ebenso wie ihr wissenschaftliches Werk ist auch das Otto Hintzes ein Torso geblieben.
Nur seine Preußenforschungen haben in der erwähnten Jubiläumsschrift eine Synthese
gefunden. Leider ist - offensichtlich bis auf ein Kapitel über Polen17 - sein Werk zur
„Allgemeinen vergleichenden Verfassungsgeschichte" verloren. Freilich kann man sich
aufgrund der vielen einzelnen Aufsätze in etwa vorstellen, wie es ausgesehen hat.
Daß dieses zusammenfassende Buch nie erschienen ist, mag indes mit ein Grund
für seine Anziehungskraft auf viele jüngere Historiker sein, natürlich neben seiner Aufgeschlossenheit für sozialwissenschaftliche Methoden, denen gegenüber ein großer Teil
der deutschen Geschichtswissenschaft sich noch immer recht spröde verhält. Fertige
Werke scheinen rascher zu altern als Skizzen und Einzelstudien, denen notwendig etwas
Unvollendetes anhaftet und die daher eher zur Weiterführung reizen18. Denn das Werk
Hintzes weiterzuführen, bleibt die Aufgabe der Geschichtswissenschaft.
Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. Michael Erbe, Ringstraße 23,1000 Berlin 28
1
Felix Gilbert (Hrsg.), The Historical Essays of Otto Hintze, New York - Oxford 1975, S. 3-30,
163
(Weiter Anmerkung 1)
wiederabgedruckt in Gilberts Aufsatzsammlung „History. Choice and Commitment", Cambridge/
Mass. -London 1977, S. 3 9 - 6 5 ; vgl. dort auf S. 39.
2
Vom 24. bis 26. April 1980 veranstalten daher das Friedrich-Meinecke-Institut der Freien
Universität Berlin und die Historische Kommission zu Berlin ein „Hintze-Gedenk-Symposion".
3
Eine Biographie H.s, die der 1978 verstorbene beste Kenner seines Werkes, Gerhard Oestreich plante, gibt es bisher nicht. Vgl. aber seinen Artikel in der NDB 9 (1972), S. 1 9 4 - 1 9 6 .
Weitere Überblicke bieten neben Gilbert (Anm. 1) Fritz Härtung, O. H.s Lebenswerk, in:
O. H , Staat und Verfassung ( = Gesammelte Abhandlungen, Bd. 1) Göttingen 3 1970, S. 7 bis
33, und Jürgen Kocka in: Hans-Ulrich Wehler (Hrsg.), Deutsche Historiker, Bd. 3, Göttingen
1972, S. 41—64 (dort auch weitere Literatur, instruktiv davon vor allem: Dietrich Gerhard, O. H.
His Work and His Significance in History, jetzt in: ders., Gesammelte Aufsätze, Göttingen
1977, S. 268 — 295). Wichtig sind auch die Einleitungen Oestreichs zu H.s Gesammelten
Abhandlungen, Bd. 2: Soziologie und Geschichte, 2 1964, und Bd. 3: Regierung und Verwaltung [Preußen betreffend], 2 1967. Ein Verzeichnis von H.s Schriften befindet sich in den
Ges. Abhh.I,S. 5 6 7 - 5 8 6 .
4
Vgl. das Schriftenverzeichnis Nr. 18, 27, 33, 37 und 45. Die einleitende Darstellung, 639 Seiten
umfassend, erschien 1901.
5
Die Hohenzollem und ihr Werk. Fünfhundert Jahre vaterländischer Geschichte, Berlin 1915,
ND 1979.
6
Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 18 (1894), S. 1251-1299.
Vgl. bei Kocka (Anm. 3), S. 42f.
7
Vgl. Georg v. Below, Die deutsche Geschichtsschreibung von den Befreiungskriegen bis zu
unseren Tagen. München - Berlin 2 1924, S. 35.
8
Zitat bei Hans Josef Steinberg, Karl Lamprecht, in: H.-U. Wehler (wie Anm. 3), Bd. 1, 1971,
S. 58 — 68, S. 59. Zum Lamprecht-Streit vgl. auch G. Oestreich, Die Fachhistorie und
die Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland, Hist. Ztschr. 208 (1969),
S. 3 2 0 - 3 6 3 .
9
Hist. Ztschr. 78 (1987), S. 6 0 - 6 7 , auch in: Ges. Abhh. II, S. 3 1 5 - 3 2 2 .
10
Ges. Abhh. I, S. 2 7 5 - 3 2 0 .
11
Vgl. etwa „Der Commissarius und seine Bedeutung in der allgemeinen Verwaltungsgeschichte
[1910], Ges. Abhh. I, S. 2 4 2 - 2 7 4 ; „Der Beamtenstand" [1911], Ges. Abhh. II, S. 6 6 - 1 2 5 .
12
Ges. Abhh. I, S. 8 4 - 119 bzw. S. 1 4 0 - 1 8 5 .
13
Vgl. über sie den gelungenen, u.a. auf Archivalien der philosophischen Fakultät der alten
Berliner Universität fußenden Überblick von Hans Schleier, Die bürgerliche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin/DDR 1975, S. 2 7 3 - 3 0 2 .
14
Friedrich Meinecke, Straßburg/Freiburg/Berlin 1901-1919 [verfaßt 1943/44], in: ders.,
Autobiographische Schriften, Stuttgart 1969 ( = Werke, Bd. 8), S. 232 f.
15
Erschienen: Berlin —Leipzig 1928.
16
Wie Meinecke in seiner „Deutschen Katastrophe" (Autobiographische Schriften, wie Anm. 14,
auf S. 383) berichtet, hat Hintze über Hitler einmal gesagt: „Dieser Mensch gehört ja eigentlich
nicht zu unserer Rasse. Da ist etwas ganz Fremdes an ihm, etwas wie eine sonst ausgestorbene
Urrasse, die völlig amoralisch noch geartet ist."
17
Abgedruckt in: Ges. Abhh. I, S. 5 1 1 - 5 6 2 .
18
Vgl. dazu die Gedanken von Werner Kaegi in seiner Einleitung zur Neuausbage von Jacob
Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte, München 1977, Bd. 1, p. LV.
164
Widerstand und Verfolgung in Berlin
Bemerkungen zu einigen Neuerscheinungen aus der DDR
Von Wolfgang Wippermann
35 Jahre nach Kriegsende fehlt in unserem Teil Deutschlands noch immer eine umfassende
Darstellung des Widerstandes und der Verfolgung unter dem Naziregime. Die Wichtigkeit
der Aufarbeitung auch dieses Teiles der deutschen und damit auch Berliner Geschichte
steht außer Frage. Im folgenden sollen einige - zum Teil schwer zugängliche — Publikationen zu diesem Themenkreis aus dem anderen Teil Deutschlands vorgestellt werden.
„Das Autorenkollektiv der Bezirkskommission zur Erforschung der Geschichte der
örtlichen Arbeiterbewegung bei der SED-Bezirksleitung Berlin erarbeitet eine Gesamtdarstellung der Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung. Sie soll dazu
beitragen, die revolutionären Traditionen der Arbeiterklasse wirksam in der massenpoliti-1
sehen Arbeit der Partei zu nutzen. Die Gesamtdarstellung soll für Berlin zeigen: ,. . . Sie
(gemeint ist die SED) setzt das Werk der Kommunistischen Partei Deutschlands fort
und erfüllt das Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Sie ist die
Erbin alles Progressiven in der Geschichte des deutschen Volkes' (Programm der SED,
angenommen auf dem IX. Parteitag der SED 1976, S. 5)." 1
Diese Sätze stehen in der „Vorbemerkung" zu dem Buch „Geschichte der revolutionären
Berliner Arbeiterbewegung 1933 — 1939", das von der Sektorenleiterin am Institut für
Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Margot Pikarski, geschrieben ist. Diese,
im plattesten Sinne des Wortes .parteiliche' Tendenz, die mit einer marxistischen Geschichtsauffassung nur noch den Namen gemein hat, bestimmt ihr Buch. Konkret bedeutet
dies, daß sie programmatisch von der Definition des Faschismus ausgeht, die vom
XIII. Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale im Dezember 1933 formuliert wurde. Danach ist der Faschismus die „offene, terroristische Diktatur der am
meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals 2 ". Dieser dogmatisch-marxistischen Definition fühlt sich die Geschichtswissenschaft
der DDR nach wie vor verpflichtet, obwohl ihre empirische Brauchbarkeit auch von
Historikern aus Ungarn, Polen und der CSSR schon seit einiger Zeit angezweifelt
wird3, und obwohl in einigen neueren Veröffentlichungen der DDR, etwa in den bisher
zwei Bänden der „Geschichte des Zweiten Weltkrieges", ein differenzierteres Bild
des Verhältnisses zwischen Kapitalismus und Faschismus entworfen wird.4 Während sich
in dieser Hinsicht eine gewisse selbstkritische Sicht durchzusetzen scheint, zeichnen
sich neuere Arbeiten zum Thema Antifaschismus und Widerstand durch eine scharfe
Polemik am Verhalten der SPD und eine mehr oder minder kritiklose Verherrlichung
des antifaschistischen Kampfes der KPD aus.
Ähnlich wie es ihr Kollege Klaus Mammaen in seinem Buch, „Die KPD und die deutsche
antifaschistische Widerstandsbewegung 1933 — 1939" getan hat5, wirft auch Pikarski
der Berliner Führung der SPD und des ADGB vor, noch im Jahre 1933 durch ihre
„Kompromiß- und Stillhaltepolitik" die von den Kommunisten immer wieder angebotene
Einheitsfront verhindert zu haben (S. 24) 6 . Während der Widerstand sozialistischer Splittergruppen innerhalb der Arbeiterbewegung wie KPD-Opposition, SAP, ISK usw. überhaupt nicht erwähnt wird7, heißt es zu den „illegalen sozialdemokratischen Gruppen",
165
daß sie „ohne klare politische Zielsetzung im Lande am illegalen antifaschistischen Kampf"
teilnahmen (S. 52) 8 . Die KPD sei die „einzige Partei" gewesen, die „ein Programm zum
Sturz der Hitlerdiktatur" besessen habe. Tatsächlich hat die KPD-Führung jedoch
noch im Dezember 1933 die Ansicht vertreten, in Deutschland stünde ein revolutionärer
Aufschwung bevor; erst auf dem VII. Weltkongreß der Komintern von 1935 wurde die
fatale Sozialfaschismusthese revidiert. Eine offene Frage ist und bleibt, ob und in
welchem Umfang sich Sozialdemokraten und Kommunisten an der Basis des antifaschistischen Kampfes auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt haben. Interessant ist in diesem
Zusammenhang der Hinweis Pikarskis auf ein Memorandum der Bezirksleitung BerlinBrandenburg der KPD vom Herbst 1934, in dem offen zugegeben wurde, daß die
Schaffung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse in Berlin nicht vorangeschritten sei,
ja daß der Einfluß der KPD in Berlin, in der 1934 noch 6000 Personen, ein Fünftel der
Mitgliedschaft vom Januar 1933, organisiert waren, zu wünschen übrig lasse (S. 96 f.).
Am 16. Juni 1935 hätten dann Vertreter der Bezirksverbände von KPD und SPD ein
Abkommen „unbeschadet ihrer sonstigen politischen Anschauung auf der Basis vertrauensvoller Ehrlichkeit und Kameradschaftlichkeit" unterzeichnet (S. 123). In welchem
Umfang es jedoch in Berlin tatsächlich zu einem „Zusammenwirken von KPD-Organisationen" und „noch existierenden SPD-Gruppen und versprengten sozialdemokratischen
Mitgliedern" gekommen ist, wird nicht gesagt. Pikarski weist zwar auf die „Volksfront
Gruppe Berlin" von Otto Brass und Heinrich Brill hin (S. 164ff.), in der eine solche
Zusammenarbeit praktiziert wurde, betont aber an verschiedenen Stellen, daß sich
„viele Sozialdemokraten und führende Gewerkschaftler den kommunistischen Parteiorganisationen angeschlossen hätten" (S. 125) oder daß „klassenbewußte Sozialdemokraten" von der KPD in die „Diskussion über die Rolle der Parteiorganisation im
antifaschistischen Kampf" einbezogen worden seien. Derartige Angaben bestätigen eher
die Befürchtungen der zeitgenössischen Exil-Führung der Sopade, wonach die Kommunisten auch nach 1935 keine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten, sondern eine
vorherrschende Stellung innerhalb der Arbeiterbewegung angestrebt haben 9 .
Mit diesen kritischen Bemerkungen soll keineswegs die Tatsache relativiert werden, daß
die KPD in Berlin (wie in anderen Orten) von Anfang an entschieden Widerstand gegen
den Faschismus geleistet hat, obwohl sie immer wieder „empfindliche Verluste" zu
beklagen hatte (S. 53). Dies gilt vor allem für die Terrormaßnahmen des Jahres 1933,
wobei die Gestapo und SA systematisch ganze Arbeiterviertel durchkämmte (S. 54).
Besonders bekannt ist die berüchtigte Köpenicker Blutwoche vom 21. bis 27. Juni
1933 (S. 46). Ende 1935 und Anfang 1936 kam es zu einer neuen großen Verhaftungswelle, der auch Erich Honecker zum Opfer fiel, der im Sommer 1935 die Leitung des
Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD) in Berlin übernommen hatte (S. 127 f.).
Insgesamt sollen nach Angaben der Gestapo dabei 1688 Kommunisten und Sozialdemokraten festgenommen worden sein. Obwohl auch im Zeitraum von 1936 bis 1938 neben
200 Mitgliedern der illegalen SPD etwa 500 Kommunisten verhaftet und verurteilt wurden
(S. 185), sei es der KPD, die sich immer wieder neu organisieren mußte, im Sommer 1937
gelungen, die Berliner Parteiorganisation zu stabilisieren.
Bezeichnend für die politische Blindheit damaliger und heutiger Kommunisten ist die
Darstellung der Auswirkungen des Hitler-Stalin-Paktes auf den antifaschistischen Widerstand. Pikarski schreibt: „Das ZK der KPD richtete bereits am 25. August (1939)
einen Aufruf an die deutsche Arbeiterklasse, in welchem sie den deutsch-sowjetischen
166
Nichtangriffsvertrag als eine Friedenstat der Sowjetunion begrüßte und alle klassenbewußten Arbeiter aufforderte, im eigenen Interesse und im Interesse der Sowjetunion
für dessen Erhaltung einzutreten" (S. 211). Zumindest indirekt gibt Pikarskis sogar zu,
daß sich die Kommunisten von diesem Vertrag offensichtlich eine Verbesserung der
Situation in Deutschland versprochen haben, denn: „Die Möglichkeit der Diskussion
und Aussprache über die internationale Lage waren nämlich in diesen Tagen günstiger
als sonst.. ." 10
Der Wert der Darstellung Pikarskis ist einmal darin zu sehen, daß hier Dokumente
verwertet worden sind, die im Ostberliner Institut für Marxismus-Leninismus (IML)
liegen und für westliche Forscher in der Regel nicht zugänglich sind. Hervorzuheben
ist ferner, daß sich Pikarski darüber hinaus auf verschiedene Erinnerungen von Widerstandskämpfern stützen konnte.
Dies gilt im besonderen Maße für eine weitere Veröffentlichung der Autorin über die
Widerstandsgruppe Baum, die unter dem Obrtitel „Jugend im Berliner Widerstand"
im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik (!) erschienen ist11. Die
Gruppe Baum ist von der westlichen Forschung bisher als eine isolierte jüdische Widerstandsgruppe angesehen worden 12 . Ziel Pikarskis ist es, zu beweisen, daß „Herbert
Baum und seine Kampfgefährten" aus dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands
(KJVD) hervorgegangen und im engen Kontakt mit kommunistischen Widerstandsorganisationen wie der von Schulze-Boysen/Harnack gestanden hätten (S. 82). Dabei
kann sie als Beleg neben Zeugnissen ehemaliger Mitglieder vor allem eine Meldung der
Gestapo vom Anfang des Jahres 1935 anführen, in dem es heißt, daß sich „in den
letzten Wochen und Monaten . . . die Fälle gehäuft" hätten, wonach „jüdische Elemente
als Träger der illegalen Arbeit der kommunistischen Partei festgestellt werden konnten"
(S.53).
Doch auch Pikarski leugnet nicht, daß viele Mitglieder der Gruppe Baum gleichzeitig
im „Ring-Bund-Deutsch-Jüdischer Jugend" (RBDJJ) waren und nach dessen Auflösung
im Jahre 1938 der zionistischen Jugendorganisation „Hashomer Hazair" beigetreten
sind (S. 50), die die Auswanderung nach Palästina organisierte und durch Umschulungslehrgänge für landwirtschaftliche Berufe vorbereitete 13 . Offen bleibt also die Frage,
ob diese jungen Menschen jüdischer Herkunft den genannten Gruppen und der ebenfalls
erwähnten jüdischen Jugendorganisation „Schwarzer Haufen" in erster Linie als Juden
oder als Kommunisten bzw. als Sozialisten beigetreten sind, denn einige Mitglieder
stammten auch aus der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ). Auf jeden Fall wirkt es
äußerst abstoßend, wenn im Vorwort dieses Buches ungenannte „Überlebende der Widerstandsgruppe" betonen, daß die jungen Kommunisten der Gruppe Baum den „Zionismus, wie jeglichen Nationalismus und den Imperialismus überhaupt" entschieden abgelehnt hätten (S. 8). Ist es schon generell zu bedauern, daß die Darstellung und Würdigung
des deutschen Widerstandes von beiden Seiten in die tagespolitisch bestimmten Auseinandersetzungen zwischen West und Ost hineingezogen worden sind, so ist eine derartige Widerspiegelung der antiisraelischen und antizionistischen Politik der heutigen DDR
in einem Buch über den antifaschistischen Widerstand m. E. fehl am Platz.
Ausführlich wird in diesem Buch, das neben den Biographien einzelner Mitglieder der
Gruppe Baum auch verschiedene Photos und Auszüge aus Flugblättern und Dokumenten
enthält, die antifaschistische Tätigkeit beschrieben, die vor allem in der Anfertigung
und Verteilung von Flugblättern bestand. Nachdem Herbert und Marianne Baum,
167
Ilse Haak, Gerhard Meyer und Heinz Rotholz seit 1940 in den sogenannten „Judenabteilungen" des Elektromotorenwerkes der Siemens-Schuckert AG (Elmo-Werk) in
Siemensstadt zusammen mit 500 jüdischen Leidensgefährten Zwangsarbeit verrichten
mußten (S. 91), hätten sie ihre Tätigkeit selbst unter diesen Bedingungen fortgesetzt. In diesem Zusammenhang werden Kontakte zu französischen Zwangsarbeitern und
Sabotageakte an Elektromotoren, die für die deutschen U-Boote bestimmt waren, erwähnt. Am 18. Mai 1942 verübten Mitglieder dieser Gruppe einen Brandanschlag auf die
nazistische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies", die nach einer Meldung des
„Völkischen Beobachters" vom 9. April 1942 den „Schleier" vor der „Hölle des angeblichen Sowjetparadieses" zerreißen sollte (S. 123) Bei dem Anschlag wurden 11 Besucher
leicht verletzt, die Schäden selber konnten schnell beseitigt werden, eine Berichterstattung in der Presse wurde verhindert. Die führenden Mitglieder der Gruppe Baum
wurden kurz darauf verhaftet und hingerichtet. Darüber hinaus befahl SS-Obersturmbannführer Eichmann am 30. Mai 1942 die Vertreter der Reichsvereinigung der Juden in
Berlin zu sich in das Reichssicherheitshauptamt. Er teilte ihnen mit, „daß im Zusammenhang mit einem Anschlag auf die Ausstellung ,Das Sowjetparadies' in Berlin, an dem
fünf Juden aktiv beteiligt waren, fünfhundert Juden in Berlin festgenommen, davon 250
erschossen und 250 in ein Lager abgeführt worden sind, daß weitere Maßnahmen dieser
Art zu erwarten sind, falls noch einmal ein Sabotageakt vorkommen sollte, an dem
Juden beteiligt sind" (S. 125). Dies war der Beginn des Holocausts der Berliner Juden und
einer der Höhepunkte des faschistischen Terrors in unserer Stadt 14 .
An die Stätten einer bis heute nicht bewältigten Vergangenheit erinnert ein interessanter Aufsatz von Laurenz Demps, der unter dem Titel „Konzentrationslager in
Berlin 1933 bis 1945" im Bd. 3 des Jahrbuchs des Märkischen Museums erschienen
ist15. Demps, der einleitend darauf hinweist, daß die Geschichte der Konzentrationslager in Berlin trotz umfangreicher Nachforschungen nach wie vor im Halbdunkel
liege (S. 7) 16 , betont, daß man dabei zwischen drei Etappen unterscheiden müsse.
In der ersten Phase, die in der Nacht des Reichstagsbrandes beginne und bis in das Jahr
1934 reiche, seien von SA und SS in den verschiedensten Stadtteilen etwa 30 Konzentrationslager eingerichtet worden. In der Regel handelte es sich dabei um Sturmlokale
und Kasernen der SA und SS, in denen zunächst Kommunisten, dann auch Sozialdemokraten und Gewerkschaftler zusammengetrieben, geschlagen, gefoltert und in vielen
Fällen auch ermordet worden sind. Im Anhang findet man eine Liste dieser sogenannten
„wilden KZs", deren Existenz der Bevölkerung übrigens weitgehend bekannt war.
Auf dem Gebiet des heutigen West-Berlins waren es: die SA-Kasernen in der Hedemannstraße bzw. Friedrichstraße 234 in Kreuzberg, die Kasernen General-Pape-Straße
in Tempelhof, Unter den Eichen in Zehlendorf sowie die SA-Lokale Rudower Straße
in Neukölln, Liebenwalder, Utrechter und Genter Straße im Wedding, Prinzenstraße 100
in Kreuzberg und Rosinenstraße in Charlottenburg. Ihren Höhepunkt erreichte diese
Terrorwelle während der schon erwähnten Köpenicker Blutwoche, in der etwa 91 Menschen unter grausamen Umständen ermordet wurden (S. 11).
In der zweiten Phase, von Mitte 1934 bis zum Kriegsausbruch, wurden diese ,wilden'
Lager mit Ausnahme des Columbia-Hauses, das der SS gehörte, aufgelöst. Das „Konzentrationslager Columbia-Haus, Berlin SW 29, Columbiastraße 1 — 3" wurde (wie das vor den
Toren der Stadt liegende ursprünglich ,wilde' Lager der SA Oranienburg) zum „staatlich anerkannten" KZ 17 . Während dieser Zeit wurden sogenannte „Schutzhaftgefangene"
168
aber auch in den Folterhöhlen der Gestapo und SS gequält. Besonders berüchtigt war
das Polizeipräsidium am Alexanderplatz.
In der dritten Etappe, nach 1939, wurden in Berlin KZ-Häftlinge zum Beseitigen und
Entschärfen von Blindgängern eingesetzt. Diese Tätigkeit sollte, wie aus einem Befehl
der Schutzpolizei vom 21. Oktober hervorgeht, „auf Anordnung des Luftgaukommandos
III ausschließlich durch Häftlinge" erfolgen (S. 12). Außerdem wurden vor allem seit
1942 KZ-Häftlinge aus Sachsenhausen und Ravensbrück in verschiedenen Berliner Betrieben eingesetzt (S. 13). Im Raum des heutigen West-Berlins gehörten das Reichsbahnausbesserungswerk Grunewald, das DEMAG-Panzerwerk in Haiensee, das Luftgerätewerk in Hakenfelde, die Siemensbetriebe in Haselhorst, die Henschel-AG in Mariendorf,
die Krupp-Registrierkassen in Neukölln, die Borsig-Werke in Tegel, die Zehlendorfer
Spinnstoffwerke sowie verschiedene SS-Dienststellen in Lichterfelde dazu. Die Häftlinge
aus den KZs Sachsenhausen und Ravensbrück waren in Berlin in Außenlagern untergebracht. Dies waren zumeist Barackenlager, umgebaute Gaststätten oder Keller direkt in
den Betrieben. Medizinische Betreuung und Verpflegung waren gänzlich unzureichend,
so daß es wiederholt zu Fleckfieber- und Typhuserkrankungen kam.
Schließlich gab es in Berlin noch verschiedene sogenannte „Arbeitserziehungslager18".
Bekannt sind solche Lager in Grunewald, Spandau, Reinickendorf sowie das Lager Wuhlheide auf dem Gelände des heutigen Ostberliner Tiergartens, über das das „Komitee
der antifaschistischen Widerstandskämpfer der Deutschen Demokratischen Republik Kreiskomitee Berlin-Lichtenberg" einen sehr interessanten „Forschungsbericht" vorgelegt hat 19 . Diese „Arbeitserziehungslager" waren nicht dem Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS, sondern der jeweiligen Gestapo-Leitstelle zugeordnet. Die Insassen wurden
ähnlich wie bei den anderen erwähnten Lagern von der Reichsbahnbaudirektion beschäftigt.
In solche Lager kamen, wie es in einem Vermerk der Gestapo-Leitstelle Berlin vom
20. Januar 1940 hieß, Menschen, die als „Arbeitsscheue und Arbeitsverweigerer" inhaftiert worden waren. Dabei muß es sich um einen relativ großen Personenkreis gehandelt
haben, denn in einer Meldung der Gestapo Berlin vom März 1943 wird berichtet, daß
von den 2663 verhafteten Personen allein 201 Deutsche, 455 Sowjetbürger, 264 Polen,
475 Franzosen, 191 Tschechoslowaken, 125 Holländer, 90 Belgier, 118 Angehörige anderer osteuropäischer Völker sowie 123 Personen verschiedener Nationalitäten wegen
„Arbeitsniederlegung" verhaftet worden seien (S. 10).
Der Aufenthalt in einem „Arbeitserziehungslager" sollte bei schwerster körperlicher
Arbeit, bei Hungerrationen, Quälereien und Folterungen bis zu 3 Wochen, im Wiederholungsfall bis zu 50 Tage dauern. Sollte danach, wie man in einer Verordnung des
Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, vom 25. August
1941 lesen konnte, der „Haftzweck nicht erfüllt" sein, so sei eine „Einweisung in ein
Konzentrationslager zu beantragen" (S. 16). Nach einiger Zeit wurden neben sogenannten
„Arbeitsverweigerern" auch politische Gefangene nach Wuhlheide gebracht, bevor sie
dann von hier aus meist in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald oder
Mauthausen verschleppt wurden (S. 17). Seit 1942 gelang es vor allem den kommunistischen Häftlingen in dieser Gruppe, die wichtigsten Lagerfunktionen zu übernehmen
(S.33ff.)
Im Lager Wuhlheide waren temporär 700 Häftlinge untergebracht, insgesamt waren es
in den fast 5 Jahren des Bestehens 30 000, von denen etwa 3000 ermordet wurden
169
(S. 21 und 25). Als Todesursachen sind neben den Folgen schwerer Mißhandlungen vor
allen Dingen die mangelhafte Ernährung und die schlechten hygienischen Verhältnisse
zu nennen, die zu mehreren Ruhr- und Typhusepidemien führten.
Unter den Häftlingen befanden sich auch Kinder und Greise. Namentlich erwähnt werden
die 10jährige Lidija Cholodonek, die bei einem Stundenlohn von 24 Pfennigen für 160
geleistete Stunden in der Verkupferei eines Betriebes insgesamt 17,07 Mark ausgezahlt
bekam; sowie die 78jährige Anna Wolkowa, die bei einem Stundenlohn von 48 Pfennigen
für 228 Stunden geleistete Arbeit 20 Mark ausgezahlt bekam (S. 19).
Die meisten Häftlinge mußten beim Reichsbahnbauamt Köpenick arbeiten, wo sie Bahnanlagen und andere Einrichtungen bauten und ausbesserten. Ihre tägliche Arbeitszeit
betrug einschließlich des An- und Abmarsches bis zu 16 Stunden (S. 23). Sie erhielten
nur 60 % des Verpflegungssatzes, den die Reichsbahn ihren ausländischen Zwangsarbeitern
zubilligte. Die Häftlinge wurden nicht nur im Lager, sondern auch bei der Arbeit mißhandelt, was der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben konnte. So wird gemeldet,
daß nach der Ermordung eines Häftlings am Bahnhof Karlshorst etwa 30 bis 50 empörte
Bürger das Häftlingskommando bis fast zum Lagertor begleiteten und erst verschwanden, als ihnen die Festnahme angedroht wurde (S. 28).
Im Anhang dieser Broschüre sind verschiedene Auszüge aus dem Standesamt-Register
in Faksimile abgedruckt, aus denen hervorgeht, daß Häftlinge durch Selbstmord und Gewalteinwirkungen starben oder „auf der Flucht erschossen" wurden. Ferner findet man
hier neben einem Lageplan Fotokopien aus dem Betriebsarchiv der Siemens-PlaniaWerke. Darunter gibt es Auszüge aus den Lohnlisten sowie Anzeigen wegen „Arbeitsvertragsbruches und Disziplinwidrigkeit" sowie „staatsfeindlichen Verhaltens".
Besonders hervorzuheben ist, daß in diesem Band nicht nur auf das Schicksal kommunistischer Widerstandskämpfer - unter ihnen Werner Seelenbinder und Dr. Georg
Benjamin - hingewiesen, sondern auch erwähnt wird, daß in diesem Lager auch Domprobst Bernhard Lichtenberg sowie Pfarrer Josef Lenzel inhaftiert waren. Lenzel
hatte für verschleppte Polen Gottesdienste abgehalten und politisch Verfolgten geholfen
(S. 44/45). Beide sind dann im KZ ermordet worden 20 .
Zusammenfassend und abschließend möchte ich betonen, daß eine nähere Auseinandersetzung mit den Arbeiten der DDR zur Geschichte des Widerstandes und der Verfolgung in Berlin aus folgenden wissenschaftlichen, methodischen und didaktisch-politischen Gründen unbedingt erforderlich ist:
1. In den wissenschaftlich meist beachtenswerten Publikationen zum regionalen und lokalen
Widerstand findet man Angaben und häufig sogar ganz oder zumindest teilweise abgedruckte Dokumente 21 , die aus Archivbeständen stammen, die westlichen Forschern
in der Regel nicht zugänglich sind. Natürlich ist mir bewußt, daß dies kein Ersatz für
wissenschaftliche Archivstudien sein darf.
2. Während in der Bundesrepublik lange Zeit der Begriff Widerstand sehr eng gefaßt
wurde, wobei man meist nur solche Handlungen in diese Rubrik einordnete, die unmittelbar zum Sturz des Regimes führen konnten 22 , ging man in der DDR von Anfang an von
dem viel weiter gefaßten, aber zugleich wieder stark auf die Tätigkeit der KPD eingeengten Begriff des antifaschistischen Widerstandes aus. Beides, die Ausdehnung wie
die meist ideologisch geprägte Betonung des kommunistischen antifaschistischen Widerstandes, sind nicht unproblematisch.
In einigen vor kurzem in der Bundesrepublik veröffentlichten Publikationen kann man
170
die Tendenz feststellen, den Widerstandsbegriff zugunsten eines umfassenden Terminus
der „Nonkonformität" aufzugeben, wobei allerdings unterschiedliche politische Intentionen
verfolgt werden 23 . So wichtig es nun ist, auch Formen des nonkonformen Verhaltens
der Bevölkerung zu beachten, die ja keineswegs ganz dem nationalsozialistischen
,Ideal' der „Volksgemeinschaft" entsprach, so wichtig scheint mir doch die Feststellung
zu sein, daß ,Widerstand' an dem Endpunkt einer Skala einzuordnen ist, die vom nonkonformen Verhalten über Resistenz und Opposition eben zum offenen Widerstand
reicht. Bei der Diskussion dieser methodischen und terminologischen Fragen sollte
man die zahlreichen Veröffentlichungen aus der DDR zum regionalen und lokalen
.antifaschistischen Widerstand' stärker, als es bisher geschehen ist, heranziehen.
3. In jüngster Zeit ist in der Bundesrepublik m.E. zu Recht gefordert worden, bei der
Behandlung der NS-Zeit in der Schule müsse man vor allem eine emotionale Betroffenheit bei den Schülern erzeugen 24 . Dies ist nur dann möglich, wenn die Geschichte auch
und sogar zunächst ,von unten' betrachtet wird, die anonym, abstrakt und ,so weit
weg' wirkenden Ereignisse in die unmittelbar erfahrbare lokale Umgebung des Schülers
gestellt — kurz, wenn die Auswirkungen der sogenannten .großen Politik' auf den Alltag verdeutlicht werden.
Gerade unter diesem didaktischen Aspekt sollte die Erforschung des Widerstandes und
der Verfolgung in Berlin intensiviert und Materialien, die für den Schulunterricht geeignet
sind, bereitgestellt werden.
Notwendig ist es jedoch auch, die .parteiliche' Darstellung, die in den durchaus beachtenswerten Arbeiten der DDR zu finden ist, zu kritisieren. Wenn Historiker und Propagandisten der DDR behaupten, das „Vermächtnis der antifaschistischen Widerstandskämpfer"
erfüllt zu haben, so ist diesem ,Alleinvertretungsanspruch' energisch entgegenzutreten.
Die Zeit des Nationalsozialismus war und ist ein Bestandteil der gesamtdeutschen Geschichte, aus der man für die Gegenwart und Zukunft die ,Lehre' ziehen kann und muß,
daß die Demokratie tagtäglich zu verteidigen und zu verwirklichen ist.
Anschrift des Verfassers: Dr. Wolfgang Wippermann, Waltharistraße 22, 1000 Berlin 39
1
2
3
4
Margot Pikarski: Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung 1933—1939, Berlin
(Ost) 1978 ( = Beiträge zur Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung. Sonderreihe: Geschichte
der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung von den Anfängen bis zur Gegenwart), S. 8.
XIII. Plenum des EKKI, Dezember 1933, Moskau - Leningrad 1934, S. 277. Zur Faschismusdiskussion der DDR s.: Wolfgang Wippermann: Faschismustheorien. Zum Stand der
gegenwärtigen Diskussion, Darmstadt, 3. Aufl. 1976, bes. S. 49ff.; ders., The Post-War German
Left and Fascism, in: Journal of Contemporary History 11, 1976, S. 185 — 220.
Hinweise darauf bei: Hans-Ulrich Thamer/Wolfgang Wippermann: Faschistische und neofaschistische Bewegungen. Probleme empirischer Faschismusforschung, Darmstadt 1977, bes.
S. 3 f. und 85 ff.
Deutschland im zweiten Weltkrieg, hrsg. von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang
Schumann und Gerhart Hass, Bd. 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges
bis zum 22. Juni 1941, Berlin (Ost) 1974; Bd. 2: Vom Überfall auf die Sowjetunion bis zur sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad, Berlin (Ost) 1975.
171
5
Klaus Mammaen: Die KPD und die deutsche antifaschistische Widerstandsbewegung 1933
bis 1939, Frankfurt a.M. 1974. Kritisch zur Widerstandsforschung in der DDR vgl. bes.:
Gunter Plum: Widerstandsbewegung, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 6,
Freiburg 1972, Sp. 9 6 1 - 9 8 3 .
6
Zur Relativierung und Richtigstellung dieser Behauptungen vgl.: Siegfried Bahne: Die KPD
und das Ende von Weimar. Das Scheitern einer Politik 1932 — 1936, Frankfurt a.M. 1976;
Arnold Sywottek: Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD
1935-1946, Düsseldorf 1971.
7
Diese Gruppen leisteten auch in Berlin Widerstand. Angaben dazu bei: Karl-Hermann Tjaden:
Struktur und Funktion der „KPD-Opposition", Meisenheim 1964; Werner Link: Die Geschichte
des Internationalen Jugendbundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen KampfBundes (ISK), Meisenheim 1964; Hanno Drechsler: Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), Meisenheim 1965.
8
Zum sozialdemokratischen Widerstand in Berlin vgl.: Hans J. Reichhardt: Möglichkeiten und
Grenzen des Widerstandes der Arbeiterbewegung, in: Walter Schmitthenner/Hans Buchheim
(Hrsg.): Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Vier historisch-kritische Studien, Köln - Berlin
1966, S. 1 6 9 - 2 1 3 , bes. S. 1 7 1 - 1 9 9 ; Frank Moraw: Die Parole der „Einheit" und die Sozialdemokratie, Bonn-Bad Godesberg 1973. Die in den Anmerkungen 6, 7 und 8 genannten Arbeiten werden übrigens bei Pikarski nicht erwähnt.
9
Verschiedene Äußerungen dieser Art in: Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer,
hrsg. von Erich Matthias und bearbeitet von Werner Link, Düsseldorf 1968.
10
Vgl. dazu bes. Sywottek, Deutsche Volksdemokratie a. a. O.
11
Margot Pikarski: Jugend im Berliner Widerstand. Herbert Baum und Kampfgefährten, Berlin
(Ost) 1978.
12
So von: Arno Klönne: Gegen den Strom. Bericht über den Jugendwiderstand im Dritten Reich,
Hannover - Frankfurt a.M. 1957, S. 102; Günter Weisenborn: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 — 1945, Hamburg 1962,
S. 150 und 164; Ger van Roon - Widerstand im Dritten Reich, München 1979, S. 45f. nennt die Gruppe Baum im Kapitel über „Widerstand der Jugend".
13
Zum Widerstand der Juden vgl.: Lucien Steinberg: La revolte des Justes. Les Juifs contre
Hitler, 1933-1945, Paris 1970; ders., Der Anteil der Juden am Widerstand in Deutschland, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Stand und Problematik des Widerstandes gegen den
Nationalsozialismus, Bad Godesberg 1965, S. 1 1 3 - 1 4 3 .
14
Vgl. dazu: Kurt Jakob Ball-Kaduri: Berlin wird judenfrei, in: Jahrbuch für die Geschichte
Mittel- und Ostdeutschlands 22, 1973, S. 197 — 241. Sieht man von den Verfolgungen während
und nach der Reichspogromnacht ab, begann die Massendeportation der Berliner Juden
allerdings schon im Herbst 1941. Vgl. dazu: Uwe Dietrich Adam: Judenpolitik im Dritten
Reich, Düsseldorf 1972, S. 311 und ff.
15
Laurenz Demps: Konzentrationslager in Berlin 1933 bis 1945, in: Jahrbuch des Märkischen
Museums III, 1977, S. 7 - 1 9 .
16
Vgl. dazu neben den von Demps erwähnten Band: Vorläufiges Verzeichnis der Haftstätten
unter dem Reichsführer SS, 1933—1945, Internationaler Suchdienst, Arolsen 1969 Bd. 1;
- Olga Wormser-Migot: Les Systeme concentrationnaire Nazi (1933 — 1945), Paris 1968, S. 103;
Falk Pingel: Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung
im Konzentrationslager, Hamburg 1978, bes. S. 238. Dazu generell ferner: Anatomie des
SS-Staates, Bd. 1 und 2, München, 2. Aufl., 1967; Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, Bd. 1 bis 2, München 1958 und 1966.
17
Diese Ergänzung nach Pingel: Häftlinge unter SS-Herrschaft a. a. O., S. 238.
18
Vgl. dazu allgemein: Hellmuth Auerbach: Arbeitserziehungslager 1940—1944, in: Gutachten
des Instituts für Zeitgeschichte a. a. O., Bd. 2, S. 1 9 6 - 201.
19
Kurt Roßberg/Kurt Krautter (f)/Max Prengel: Forschungsbericht über das faschistische GestapoLager Wuhlheide, erarbeitet von der Kommission zur Erforschung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes beim Kreiskomitee Berlin-Lichtenberg, Berlin (Ost) o. J.
20
Der religiöse geprägte Widerstand von Protestanten, Katholiken und Bibelforschern wird innerhalb der Forschung der DDR nach wie vor vernachlässigt. Vgl. für Berlin die maßgebende
172
Studie des allzu früh verstorbenen Friedrich Zipfel: Kirchenkampf in Deutschland 1933
bis 1945, Berlin 1965.
Eine wahre Fundgrube zum Thema Widerstand und ,nonkonformes Verhalten' (s.u.) im Dritten
Reich ist die mit zahlreichen Photos und Photokopien von Dokumenten und Flugblättern
versehene Sammlung: Ausgewählte Dokumente und Materialien zum antifaschistischen Widerstandskampf unter Führung der Kommunistischen Partei Deutschlands in der Provinz Brandenburg 1933-1939, hrsg. von der Bezirksleitung Potsdam der SED, Bd. 1 und 2, Potsdam 1978.
Vgl. dazu: Peter Hoffmann: Widerstand gegen Hitler. Probleme des Umsturzes, München 1979,
S. 19: „Wirksamer Widerstand muß definiert werden als ,zum Sturz des Regimes führend'. In
der Begrenzung liegt keine Schmälerung des Heldentums der namenlosen vielen, oben kollektiv
Genannten, sondern die Klärung der Begriffe."
Exponent dieser Richtung ist vor allem: Timothy W. Mason: Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1975; ders.: Sozialpolitik im Dritten Reich, Opladen 1978. Mit weiterführenden
Literaturangaben zu dieser Frage: Peter Hüttenberger: Vorüberlegungen zum „Widerstandsbegriff", in: Jürgen Kocka (Hrsg.): Theorien in der Praxis des Historikers, Göttingen 1977,
S. 117-139; Detlev Peukert: Der deutsche Arbeiterwiderstand 1933-1945, in: Aus Politik
und Zeitgeschichte Bd. 28 und 29/79, S. 22-36.
Als Beispiel für viele andere: Alfred Krink: Nationalsozialismus und Widerstand als erfahrbare Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte Bd. 22/79, S. 3 — 18; und neuerdings: Nationalsozialismus im Unterricht. Empfehlungen des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im DGB, o. O., 1980.
Der Glockenturm am Olympia-Stadion in Berlin
Von Manfred H. Uhlitz
Seit dem Sommer 1979 haben die Berliner und die Gäste der Stadt wieder die Möglichkeit,
den von Kennern viel gerühmten Rundblick von der Plattform des Glockenturmes auf das
Olympia-Gelände, die Berliner Innenstadt, Spandau und das Havelland mit Fernsichten bis
Potsdam, Nauen und Henningsdorf zu genießen. Im Osten sind bei klarer Sicht die Müggelberge zu sehen, und auf den Funkturm glaubt man hinabzuschauen. Nach Süden blickt man
auf die weite Fläche des Grunewalds, die auswärtige Besucher immer wieder zu der erstaunlichen Frage führt: „Das alles ist West-Berlin?" Viele meinen, daß man von keiner
anderen Stelle aus einen besseren Eindruck von der schönen Lage Berlins inmitten der
Wälder und der Seen der märkischen Landschaft gewinnen kann.
Der Glockenturm gehört zur Gesamtanlage des 1934 bis 1936 nach den Plänen von Professor Werner March (mit Unterstützung seines Bruders Walter March) für die XI. Olympischen Spiele 1936 erbauten 132 ha großen „Reichssportfeldes". Im Mittelpunkt dieser in
ihrer Übersichtlichkeit und Landschaftsverbundenheit einmaligen Anlage liegt das Olympia-Stadion, welches das 1913 für die ausgefallenen Olympischen Spiele von 1916 inmitten
der Rennbahn Grunewald errichtete Deutsche Stadion ersetzte.
Die Entwürfe des Stadions beruhen auf einem gründlichen Studium ähnlich großer ausländischer, insbesondere amerikanischer Sportanlagen (vgl. W. March, Kunst und Technik im
Stadionbau, Zentralblatt der Bauverwaltung, 1933, 497 ff.). Sie waren schon 1933 fertig,
wurden aber noch im gleichen Jahr abgeändert, nachdem es gelungen war, die Widerstände
gegen die Beseitigung der Pferderennbahn des exklusiven Union-Klubs zu überwinden.
173
Glockenturm mit
Langemarckhalle,
Straßenansicht
Dadurch wurde eine großzügigere Gestaltung des Stadions und des Gesamtgeländes möglich.
Der Glockenturm steht als besonderes Kennzeichen dieser Gesamtanlage in der Mitte der
von den Seiten langsam bis zu 19 m Höhe (Höhe des Olympia-Stadions 17 m) ansteigenden,
mit Zuschauertribünen versehenen westlichen Umwallung des Maifeldes. Es schließt die
Gesamtanlage nach Westen ab und überragt sie mit seiner lichten Höhe von 77,17 m (145 m
über Normalnull) weithin. Durch ihn wird dem Besucher schon lange vor dem Betreten des
Olympia-Geländes von Osten her der Zusammenhang aller Bauwerke klar (vgl. W. March,
Die Olympia-Bauten auf dem Reichssportfeld in Berlin, Zentralblatt der Bauverwaltung,
1936,693).
Auf den Glockenturm gelangt man mit einem Expreßaufzug (Fahrzeit 25 Sekunden), der
den Besucher bis zur Glockenstube fährt. Hier hängt die nach dem Vorbild der beschädigten alten Glocke gegossene neue Olympia-Glocke. Sie trägt auf ihrem unteren Rand neben
den fünf olympischen Ringen die Inschrift „Ich rufe die Jugend der Welt - Olympische
Spiele 1936" und außerdem auf dem Mantel als Symbole das Brandenburger Tor und den
Adler.
Von der Glockenstube aus ist es nur noch ein kurzer Aufstieg bis zur Plattform, der den
Besuchern den eingangs geschilderten herrlichen Ausblick auf Berlins City, Seen und Wälder gewährt. Hier erkennt der Besucher, daß der Glockenturm „dasjenige Stück in der
Gesamtgliederung des Reichssportfeldes darstellt, auf das hin die wichtigsten Bauteile aus174
Luftaufnahme des Gesamtgeländes, 1936
gerichtet sind" (G. Krause). Nur von hier aus kann man heute das 1926 bis 1929 ebenfalls
von Werner March erbaute und 1934 bis 1936 erweiterte „Deutsche Sportforum" mit der
ehemaligen Reichsakademie für Leibesübung und dem Haus des Deutschen Sports (heute
Hauptquartier der britischen Militärregierung) sowie den wegen der Schießstand» i lienfalls weitgehend unzugänglichen nördlichen Teil des Grunewalds zwischen Glockcnturmstraße und Charlottenburger Chaussee und die Waldbühne sehen.
In den zahlreichen Geschossen des Turmes waren zu den Olympischen Spielen Beobachtungsstände der Festleitung, der Polizei, des Sanitätsdienstes sowie der Rundfunk- und
Filmreportage untergebracht. Das 75 Meter lange Mittelstück der Maifeldtribünen rechts
und links vom Turm ist nicht als Wall geschüttet, sondern als dreigeschossiges Bauwerk errichtet. In ihm war während des Krieges u.a. das Reichsfilmarchiv eingelagert, das nach
dem Einmarsch der russischen Truppen, vermutlich durch die Unachtsamkeit eines Soldaten, in Brand geriet. Die beim Brand entstandene große Hitze wurde über den Glockenturm wie durch einen Schornstein abgeleitet. Dadurch wurden tragende Teile der Stahlskelettkonstruktion derart deformiert, daß die Standfestigkeit des Turmes nicht mehr gegeben war. 1947 wurde er durch britische Pioniere gesprengt und anschließend enttrümmert.
Die bei der Sprengung heruntergefallene Olympia-Glocke erhielt einen vertikalen Sprung.
Sie wurde zunächst auf dem Platz vor dem Glockenturm vergraben, dort nach mühevollen
Sucharbeiten mit Hilfe von Geigerzählern wiederentdeckt, im Dezember 1956 geborgen
und kurze Zeit später auf einem Sockel vor dem Südportal des Olympia-Stadions aufgestellt. Wer seine Schießkünste mit einer panzerbrechenden Waffe ausgerechnet an der
wehrlosen Olympia-Glocke ausprobiert und den heute sichtbaren Durchschuß verursacht
175
Blick vom Glockenturm auf das Olympiastadion
hat, ist unbekannt. Die Glocke muß damals noch gehangen haben, denn sie wurde von innen
nach außen durchschossen. Wegen der Beschädigungen war die alte Glocke als Klangkörper nun nicht mehr verwendbar.
In den Jahren 1960 bis 1962 wurde der Glockenturm nach einem Entwurf von Professor
Werner March, dem Architekten des alten Turmes, im Auftrag des Bundesministers für
wirtschaftlichen Besitz des Bundes vom Bauamt Nord der Sondervermögens- und Bauverwaltung unter der Oberbauleitung von Heinz Boehm mit einem Kostenaufwand von
1,16 Mio. DM in Stahlbetonweise mit einer Muschelkalkkernstein-Verkleidung auf den
alten Fundamenten wieder aufgebaut. Im Erdgeschoß ruht er jetzt auf 6 Stahlbetonstützen
von je einem Quadratmeter Grundfläche. Der Querschnitt des Turmes beträgt unten 11,2 X
6,53 m, oben 9,46 X 6,53 m. Verbaut wurden 720 m 3 Beton, 130 t Rundstahl, 5000 Stück
Natur-Kalksteinplatten. Das Gewicht des Turmes beträgt 2500 t. Das Gewicht der vom
Bochumer Verein für Gußstahlfabrikation gegossenen Stahlglocke mit der Tonart fis 0 ist
den statischen Verhältnissen der neuen Bauweise angepaßt. Es beträgt 4,5 t gegenüber
9,61 der alten, von der gleichen Firma gegossenen Glocke.
Den größten Teil des Mittelgeschosses des unter den Maifeldtribünen errichteten Bauwerkes nimmt die sogenannte Langemarck-Halle ein, die ebenfalls besichtigt werden kann.
Sie ist dem Andenken der im Ersten Weltkrieg gefallenen deutschen Jugend gewidmet,
insbesondere der überwiegend aus Abiturienten und Studenten gebildeten FreiwilligenRegimenter, die, unzureichend ausgebildet und ausgerüstet, beim Sturm auf Langemarck
(bei Ypern in der belgischen Provinz Westflandern) am 10. November 1914 einen ungeheuer hohen Blutzoll entrichten mußten.
176
Die damals 12 Pfeiler der Halle trugen die 76 Fahnen der an der Schlacht beteiligten Regimenter. Am Massiv des mitten durch die Halle stoßenden Glockenturmes waren 12 Schilde
mit den Namen der Divisionen und ihrer Truppenteile angebracht. Diese vor der Sprengung
von den Engländern sichergestellten Schilde hängen heute an der östlichen Längsseite der
Halle rechts und links von den Türen zu den Maifeldtribünen. Der in der Mitte der Halle
eingebaut gewesene Schrein mit Erde vom Friedhof in Langemarck ist nicht mehr vorhanden. Die Schmalseiten der Halle tragen zwei Sprüche von Hölderlin und Walter Flex. Die
eingemeißelten Namen dieser Dichter wurden in den sechziger Jahren durch die Jahreszahlen 1770-1843 (bei Hölderlin) und 1887-1917 (bei Flex) ergänzt. Nach Westen ist
die Halle mit Blick auf die märkische Landschaft geöffnet. Es gibt Bestrebungen, eine frühere Idee von Werner March wieder aufzugreifen und in der Halle eine würdige Gedächtnisstätte mit einer Ehrentafel für die Olympiateilnehmer einzurichten, die in den beiden
Weltkriegen gefallen sind oder durch politische Verfolgung und Bombenangriffe ihr Leben
verloren haben. Auch die Aufstellung von Skulpturen würde dem Charakter der Ehrenhalle
keinen Abbrauch tun.
Zu Füßen des Glockenturmes liegt das 112 000 m2 große Maifeld.
Hier fanden während der Olympischen Spiele die Polo- und Dressur-Wettkämpfe der
Reiter und eine Vorführung von 20 000 Berliner Schulkindern statt. Später sollte es, wie
der Name besagt, insbesondere für die Feiern zum 1. Mai Verwendung finden. Das Maifeld
kann 250 000 Teilnehmer aufnehmen. Die Wälle bieten noch einmal Platz für 60 000 Zuschauer. Heute finden hier die alljährlichen, von Tausenden von Berlinern gern besuchten
Geburtstagsparaden für die englische Königin statt. Das Maifeld gehört zum Areal der britischen Schutzmacht, die hier Polo-, Rugby- und andere Wettkämpfe veranstaltet. Die
Rosselenker am Ostrand des Maifeldes stammen von Josef Wackerle. Die Kolbe-Plastik
„Der Zehnkämpfer", die nach der Wiederherstellung des Turmes zunächst auf der Maifeldtribüne zentral vor der Langemarckhalle aufgestellt wurde, steht seit 1974 wieder auf dem
ursprünglichen Platz im jetzigen britischen Hauptquartier.
Die vom Platz am Glockenturm aus sichtbare Vorderfront des massiven Mittelbaues mit der
Langemarckhalle und den Zugängen und Zufahrten zum Glockenturm und zum Maifeld
sowie die seitlichen Haupttreppen sind mit kräftigem Nagelfluh, einem Naturgestein aus
dem Voralpengebiet, verkleidet, das dem Bauwerk einen urwüchsigen Eindruck verleiht.
Öffnungszeiten: Vom 1. April bis 31. Oktober täglich von 10 bis 17.30 Uhr. Beliebig lange
Verweildauer.
Anschrift des Verfassers: Westendallee 71, 1000 Berlin 19
Literatur: Außer den im Text zitierten Aufsätzen von Werner March: Gerhard Krause, Das Deutsche
Stadion und Sportforum, Berlin o.J. (1926); Ph. Nitze, Das Deutsche Sportforum zu Berlin, Deutsche
Bauzeitung, 1928, 701 ff.; Gerhard Krause, Das Reichssportfeld, Berlin 1936; Werner March, Bauwerk Reichssportfeld, Berlin 1936; Das Reichssportfeld, hrsg. vom Reichsministerium des Innern,
Berlin 1936; Franz Bräckerbohm, Der Glockenturm auf dem Reichssportfeld Berlin, vermutlich aus
dem Jahre 1938 stammender, undatierter Sonderdruck aus der Zeitschrift „Der P-Träger" (Archiv
des Verfassers); Gerhard Küchler, Das ehemalige Reichssportfeld in Berlin, Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg, Nr. 60 vom 1. 1. 1969: Die Bauwerke und
Kunstdenkmäler von Berlin-Stadt und Bezirk Charlottenburg, bearb. von Irmgard Wirth, Berlin 1961,
S. 220 ff.
Für wertvolle Hinweise und Auskünfte ist Herrn Architekt Heinz Boehm und dem Bauamt Nord der
Sondervermögens- und Bauverwaltung zu danken.
Fotos: Aus dem Besitz des Verfassers.
177
Nachrichten
Heinrich Zille — Ausstellungen
Wie alles - so muß die Stadt Berlin auch ihren Zille teilen. Aber tröstlich ist es, erlebt zu haben, daß
sie trotzdem den 50. Todestag ihres Künstlers in mehreren Ausstellungen ehren konnte und wollte.
Diese verdeutlichten Werden und Wirken des am 10. Januar 1858 im sächsischen Radeburg geborenen
Zeichners, der am 9. August 1929 in Berlin verstorben war und auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf seine letzte Ruhe gefunden hat.
Jenseits der Mauer eröffnete daher das Märkische Museum am 9. August des vorigen Jahres seine
Sonderausstellung. Es hatte bereits 1928 den 70. Geburtstag ,Pinselheinrichs' mit einer so erfolgreichen Zille-Schau gefeiert, daß damals numerierte Einlaßkarten für die Besucher und Verehrer
ausgegeben werden mußten, und es hat als Hüter des Nachlasses eine Generation später im Jahre 1966
ein „Zille-Kabinett" eingerichtet.
So zeigte es jetzt mehr als dreihundert Arbeiten — Zeichnungen, Druckgrafiken, Illustrationen und
Fotografien - vereint mit Leihgaben des Kupferstichkabinetts und der Zeichnungensammlung der
Staatlichen Museen, der Akademie der Künste der DDR, des Kupferstichkabinetts der Staatlichen
Kunstsammlungen Dresdens, des Kulturhistorischen Museums Magdeburg und aus Privatbesitz. Ein
Überblick, der die künstlerische Entwicklung unseres liebenswürdigen Sozialkritikers anschaulich
machte. Vor allem der frühe Zille unter dem Einfluß Hosemanns war in vielen Zeichnungen vertreten. Erwähnenswert, weil vom Format her ungewöhnlich, das winzige Marxportrait, das die Brücke
von der Jahrhundertwende in die Gegenwart schlägt.
Diesseits der Mauer zog einen knappen Monat später das stadtgeschichtliche Berlin-Museum in der
Lindenstraße mit der Eröffnung seiner Gedächtnisausstellung am 7. September nach. Auch hier
Zeichnungen, Druckgrafiken, Buchillustrationen, Fotografien, Öl- und Glasbilder. Auch hier Leihgaben der Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, des Senators für
Bundesangelegenheiten in Bonn und aus Privatbesitz.
Eine beachtliche Dokumentation seiner fotografischen Arbeiten legte hier die Quellen frei, aus denen
der Meister schöpfte. Etwa um 1890 hatte er zu sich selbst und dem Thema Großstadt gefunden. Die
Milieuschilderungen seiner populären Rinnsteinkunst von Hinterhof und Kaschemme wiederholen
oft - manchmal in fast wörtlichem Zitat - die mit der Kamera festgehaltenen Motive. Auch hier war
sehr liebevoll Bekanntes und weniger Bekanntes zusammengestellt.
Flankierend präsentierte das Festspielzentrum in der Budapester Straße 48 die Ausstellung „Zille Zola, Berlin und Paris in Photographien um 1890—1900" vom 2. September bis zum 5. Oktober. Die
Arbeiten des französischen Romanciers waren erstmals in Deutschland zu sehen. Berlin, Paris und
auch London abseits der Prachtstraßen, in Ateliers und der Umgebung. Beide Künstler sahen die
Fotoserien ihrer Apparate, bei Zola angelehnt an die französische Malerei der Epoche, als eine Art
Skizzenbuch. Denn auch Zola fotografierte mit besonderer Vorliebe das Milieu, in dem er dann die
Sequenzen seiner Novellen und Romane ansiedelte.
Zur gleichen Zeit hatte am Kurfürstendamm 159 die Galerie Pels-Leusden eine Verkaufsausstellung
von 200 Exemplaren bekannter Druckgrafik und unbekannterer Zeichnungen Heinrich Zilles organisiert. Blätter wie „Das Eiserne Kreuz", „Krähen über dem Sumpf" oder „Ferienkolonie" lassen auch
hier den weitgespannten Bogen in der Aussage erkennen.
Als Letzte sei eine Schau erwähnt, die die Sparkassenzentrale in der Bundesallee 171 vom 5. September bis zum 31. Oktober veranstaltet hatte. 92 Zeichnungen, Radierungen und Lithografien Zilles
eines bekannten Mülheimer Privatsammlers, als Leihgaben zur Verfügung gestellt, waren zu betrachten. Besondere Aufmerksamkeit galt auch hier dem jungen Zille, der mit fünf Arbeiten aus seinem
16. Lebensjahr vertreten war.
Diese fünf Ausstellungen ermöglichten dem Interessierten - dem Kunstliebhaber oder dem Berliner sich noch einmal in großen Zügen das Lebenswerk Heinrich Zilles vor Augen zu führen und dessen
Entwicklung zum „Berliner Hofmaler" zu verfolgen. Ein umfassendes, ehrendes und auch geglücktes
Gedenken seiner „Heimatstadt".
Günter Wollschlaeger
178
Willy Dammasch
Foto: Malte v. Blumröder
Berlin-Pichelsdorf
1908
Bleistift auf grauem Papier
310 X 232 mm
/
Willy Dammasch
Zeichnungen, Aquarelle und Ölbilder von Willy Dammasch waren vom 11. Januar bis 23. Februar
1980 in den Räumen der Galerie -rst- zu sehen. In seinem 93. Lebensjahr wurde damit diesem in
Berlin, am Wedding, geborenen Künstler erstmalig in seiner Vaterstadt eine Einzelausstellung gewidmet.
Willy Albert August Dammasch wurde am 20. Mai 1887 als Sohn eines Eisenbahnbeamten geboren.
Nach dem üblichen Schulbesuch studierte er von 1907 bis 1912 an der Hochschule der Akademie der
Künste in Berlin, deren Direktor damals noch Anton von Werner war. Von den äußeren Erschütterungen der Kunstszene - Entwicklung des Kubismus, Manifest der Futuristen - ist in den frühen
überkommenen Arbeiten nichts zu spüren. Seine Lehrer waren hauptsächlich der Landschafter Paul
Vorgang und der Marinemaler Carl Saltzmann; beide hatten ebenfalls an der Akademie studiert und
waren dort zu Professoren ernannt worden. Saltzmann, der auch ordentliches Mitglied der Akademie
war, war dem Kaiserhause in Anbetracht seines Spezialgebietes sehr verbunden, so waren nicht nur
einige seiner Bilder im Besitz des Kaisers, sondern er konnte auch mit guten Auftragen rechnen. Er
hat u.a. eine größere Anzahl von Bildern für das Museum für Meereskunde (Berlin NW 7, Georgenstraße 3 4 - 3 6 ) am Bahnhof Friedrichstraße gemalt und offenbar derartige Aufträge auch an seine
Schüler weitergegeben, darunter an Willy Dammasch. Dessen Darstellung „Finkenwärder" beruhte
auf äußerst genauer Kenntnis der dortigen Verhältnisse. Häufige Besuche an der Küste, auch mit
Studienkollegen und Lehrer, förderten sein Interesse für die Küstenregion. Für zehn Jahre ließ er sich
nach dem Studium auf Finkenwerder nieder, wurde immer vertrauter mit den Fischern seiner Umgebung und mit deren Schiffen. Mit schnellem und genauem Strich gibt er in seinen nur teilweise aquarellierten Zeichnungen nicht nur den Gesamteindruck der vielen Segelschiffe, Kutter und Ewer wieder,
179
übertreibt nicht den phantastischen Eindruck, den das Gewirr der Masten und Bäume, der Wanten
und Seile auf den binnenstädtischen Besucher normalerweise macht, sondern versteht es, die Takelage in ihrer Funktion darzustellen. Noch heute kennt er die vielen speziellen Bezeichnungen.
Meist hat er dann unweit der Küste gewohnt. Worpswede, wo er seit 1922 mit Unterbrechungen
beheimatet ist, scheint da schon weit entfernt.
Dammasch gehört in dieser Künstlerkolonie zu den bedeutenden Vertretern, die nach dem Ersten
Weltkrieg die lähmende Stagnation der Routine überwinden konnten, die in ihrer Wertschätzung
aber noch immer hinter der Gründergeneration zurückstehen müssen. Nur Bernhard Hoetger und
Bram van Velde ist es gelungen, größere Aufmerksamkeit bei einem weitergestreuten Publikum auf
sich zu ziehen. Zu dieser Zeit hatte er sich bereits vollständig vom Akademismus gelöst. Mit breitem
Spachtel brachte er Farben auf die Leinwand, nutzte auch deren weiße Grundierung für das Bild. Bei
aller Expressivität wird gerade in diesen Bildern die gründliche Schulung durch die Akademie deutlich.
So sind ihm wesentliche Portraits gelungen; er beschäftigte sich auch mit mythologischen Darstellungen und Stilleben und natürlich mit der Worpsweder Landschaft.
Wie so viele andere unterlag auch Willy Dammasch dem Malverbot, viele seiner Bilder gingen verloren,
wurden zerstreut oder zerstört, so daß heute nur schwer ein Überblick über das in siebzig Jahren
Erarbeitete zu gewinnen ist. Bei der Vorbereitung der genannten Ausstellung ließ sich nur noch ein
Berliner Motiv finden, die frühe, akademische Zeichnung „Picheisdorf", die bereits 1907 den Hang zur
Waterkant deutlich macht. Obwohl Willy Dammasch nahezu ständig von Berlin abwesend war, hielt
er die Verbindung zu seiner Vaterstadt durch die Mitgliedschaft in der Vereinigung bildender Künstler
Berlins stets aufrecht.
Karl-Robert Schütze
Von unseren Mitgliedern
Verabschiedung von
H e r r n Dr. G e r h a r d Kutzsch, Direktor des Landesarchivs Berlin
Die offizielle Verabschiedungsfeier für den bisherigen Direktor des Landesarchivs Berlin Dr. Gerhard Kutzsch, der am 30. August 1979 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand trat,
fand am 13. September 1979 in Anwesenheit des Senators für Kulturelle Angelegenheiten Dr. Dieter
Sauberzweig in den Räumen des Landesarchivs statt.
Neben zahlreichen Vertretern der Senats- und Bezirksbehörde sowie verschiedener wissenschaftlicher Institutionen waren auch ehemalige Kollegen und alle Mitarbeiter des Landesarchivs
eingeladen, ein Spiegelbild des Kreises, von dem Dr. Kutzsch während seiner langjährigen
Tätigkeit als Archivdirektor umgeben war. Senator Dr. Sauberzweig zeichnete in seiner Ansprache
den Lebensweg und den beruflichen Werdegang von Dr. Kutzsch nach und würdigte seine
ständigen Bemühungen, das Landesarchiv nach der schwierigen und langandauernden Aufbauphase zu einer bedeutenden Dokumentationsstätte für die Berliner Stadtgeschichte auszubauen.
Äußerlich wurde diese Aufwärtsentwicklung nicht zuletzt 1976 durch den Einzug des Landesarchivs
in die neuen Räume in der Kalckreuthstraße deutlich. Dr. Kutzschs in über 25 Jahren im Berliner
Archivwesen gesammelten Erfahrungen haben das Institut, an dessen Spitze er seit 1964 stand, entscheidend geprägt: So wurde unter seiner Leitung die Zeitgeschichtliche Sammlung mit den
Schwerpunkten 1848er Revolution und Berliner Studentenbewegung der 60er Jahre zur wichtigsten
Dokumentation des nichtstaatlichen Schriftgutes. Ebenso ist es Dr. Kutzschs Verdienst, im Landesarchiv die größte Sammlung Berliner Zeitungen konzentriert zu haben. Diese ist mit Hilfe der ebenfalls
seiner Initiative zu verdankenden modernen Kopier- und Lesegeräte optimal benutzbar, was von
vielen Archivbesuchern lobend und anerkennend vermerkt wird. Abschließend dankte Senator
Dr. Sauberzweig dem aus dem Amt scheidenden Archivdirektor im Namen des Senats von Berlin
für seine geleistete Arbeit und wünschte ihm einen aktiven und erfüllten Ruhestand.
Im Namen der Mitarbeiter des Landesarchivs dankte Archivrat Dr. Wetzet Dr. Kutzsch für die
langjährige und gute Zusammenarbeit, die durch gegenseitige Achtung und das Vertrauen auf
Leistung und Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Mitarbeiter gekennzeichnet war.
In einer sehr launigen Rede würdigte Dr. Schulze-Berndt, Schriftführer des Vereins für die Geschichte Berlins, Dr. Kutzschs Tätigkeit als 1. Vorsitzender des Vereins und Herausgeber des Ver180
einsjahrbuches „Der Bär von Berlin". Begleitet vom Beifall aller Anwesenden wünschte er ihm
und dem Verein noch viele Jahre intensiver und fruchtbarer Zusammenarbeit.
Bewegt dankte Dr. Kutzsch allen für die so freundliche und aufmerksame Würdigung seiner
Arbeit, die mit dieser Verabschiedungsfeier zwar ihren offiziellen Abschluß gefunden hat, die
aber trotzdem weiterwirken wird.
Sabine Preuß
Albert Brauer 75 Jahre jung
Ein Berliner, der in Berlin geboren ist, ist heute fast eine Rarität - Albert Brauer ist es!
Er wurde am 6. März 1905 in Berlin geboren. Seine Vorfahren waren Großbauern in der Mark, in der
Regierungszeit des Großen Kurfürsten dort angesiedelt. Sie waren echte Märker: fleißig, treu, beharrlich, preußisch. Wie viele Menschen um die Jahrhundertwende, so zogen auch sie in die Hauptstadt.
Man verkaufte seinen Besitz, um als Berliner Bürger gut zu leben und an allen historischen Ereignissen
teilhaben zu können. Die Inflationszeit machte diesem Traum zumeist ein Ende. Der Familie Brauer
ging es nicht anders.
Albert Brauer, als Schüler bereits begeistert für Sport und Spiel, war bis in die „Altherrenjahre" aktiv
als Leichtathlet und Handballschiedsrichter tätig. Gleichzeitig galt sein besonderes Interesse der Historie in jeder Form. Gefördert wurde diese Neigung nicht nur von seinem Onkel, der als Lehrer auf diesem Gebiet tätig war, sondern vor allem von seinem Geschichtslehrer Dr. Hermann Kügler, mehrere
Jahre Vorsitzender des Vereins für die Geschichte Berlins. Dr. Kügler verstand es, die Jugend für die
Geschichte Berlins und Preußens zu begeistern. Wenn auch die Zeitumstände seinen verständlichen
Berufswunsch, Geschichtslehrer zu werden, zunichte machten und der Weg des Kaufmanns Albert
Brauer seine Höhen und Tiefen hatte, so sind doch seine Begeisterung und sein Interesse für viele
Gebiete nicht erloschen. Der Musik und dem Theater, besonders aber der Vor- und Frühgeschichte
(u.a. Museumsdorf Düppel, Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte) und vor
allem als stellvertretender Schriftführer unseres, seines Vereins für die Geschichte Berlins widmet er
viele Stunden des Tages, seines Lebens. Dabei wird der Name dieses Vorstandsamtes der immensen
Arbeit gar nicht gerecht, die sich aus der Leitung der Geschäftsstelle des Vereins und aus der Bedeutung dieses Ehrenamtes ergibt. Seine Familie (drei Söhne und auch eine Frau) hat Verständnis für
seine Tätigkeit und teilt seine Vorliebe in jeder Weise.
Möge unserem verehrten Albert Brauer, dem man seine Jahre wahrlich nicht ansieht, auch künftig
die Gesundheit erhalten bleiben. Wir danken für sein unbeirrbares Engagement und für sein langjähriges umsichtiges Wirken und gratulieren sehr herzlich. Wenn dieser Glückwunsch erst mit Verspätung
abgedruckt wird, so geht dies auf die Bescheidenheit des Jubilars zurück, der von seinem Ehrentag
kein Aufhebens machen wollte.
H. G. Schultze-Berndt
*
Dem langjährigen verdienstvollen Geschäftsführer der Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens E.V. (GGB), unserem früheren stellvertretenden Schriftführer Erich Borkenhagen, jetzt Faßberg, ist auf der letzten Mitgliederversammlung einmütig die Ehrenmitgliedschaft der
GGB verliehen worden. Neuer Geschäftsführer der GGB wurde als Nachfolger E. Borkenhagens Dr.
Hans Günter Schultze-Berndt.
.
SchB.
*
Wie unser Mitglied Pfarrer i. R. Harald Hasper mitteilt, ist entgegen der Angabe im Nachruf auf Horst
Behrend im letzten Heft unserer „Mitteilungen" der Trauergottesdienst neben dem Gemeindepfarrer
der Luisenkirche von ihm selbst als langjährigem Freund des Verstorbenen und vom Charlottenburger
Superintendenten Dr. Hans Storck gehalten worden.
SchB.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum
70. Geburtstag Herrn Dr. Otto Boese, Frau Dr. Edna Crantz, Herrn Günther Groebe, Herrn Gerhard
Hintze, Herrn Werner Lengricht, Herrn Johann Majewski; zum 75. Geburtstag Herrn Karlheinz
Knirsch, Frau Frieda Senger, Frau Ilse Stein; zum 80. Geburtstag Frau Dorothea Axthelm, Frau Rose
Marie Cramer, Frau Eva Paproth, Herrn Erich Starick; zum 85. Geburtstag Frau Toni Gundermann,
Frau Lucie Schulze.
181
Buchbesprechungen
Paul Clauswitz, Lothar Zögner: Die Pläne von Berlin von den Anfängen bis 1950. Nachdruck der
Ausgabe von 1906 mit bibliographischen Ergänzungen und Standortverzeichnis. Bearb. v. Lothar
Zögner unter Mitwirkung v. Elke Günther u. Gudrun K. Zögner. Berlin: Seitz 1979. IX u. 241 S.,
Ln., 78,50 DM.
Wilhelm Bonacker: Berlin im Werden des Stadtplanes. Berlin: Kiepert 1979. 24 S. m. Abb., kart.
12 DM.
Monumental-Plan der Reichshauptstadt Berlin mit nächster Umgebung. Maßstab 1:17 777. Bearb. u.
hrsg. v. Julius Straube. Berlin: Schacht 1979. 44 DM. (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Julius
Straube 1896.)
'Berlin die Praechtigst und mächtigste Hauptstatt des Churfürstenthums Brandenburg, auch Residenz
des Königes in Preussen und florissanter Handels-Platz. Matthäus Seutter. Berlin: Kiepert 1979.
9,10 DM. (Nachdruck der Ausgabe Augsburg 1728.)
Spandow - eine der vornehmsten Festungen der Christenheit. Aus der Architectura militaris moderna
des Mathias Dogen (Historische Grundrisse, Pläne und Ansichten von Spandau, Blatt 1). Hrsg. vom
Bürgerbeirat Zitadelle Spandau in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Spandau. Kommentiert von
Hartwig Neumann unter Mitwirkung von Barbara Nowak und Andreas Kaiesse. Limitierte Auflage
auf Bütten. Berlin-Jülich: Bürgerbeirat Zitadelle Spandau 1979. 25 DM. (Zu beziehen über: Bürgerbeirat Zitadelle Spandau, Andreas Kaiesse, Billstedter Pfad 2, Berlin 20; Buchhandlung Kiepert; Altstadtgalerie Spandau.)
Das Interesse an älteren Publikationen zur Stadtgeschichte Berlins hat sich in den letzten Jahren mehr
und mehr auch auf den Bereich der historischen Karten ausgedehnt. So sind in letzter Zeit auch zahlreiche Neudrucke aus diesem Gebiet erschienen. Einige davon sollen im folgenden vorgestellt werden.
Den besten Einstieg in die oft verwirrende Vielfalt der historischen Karten des Berliner Raumes gibt
noch immer die von dem damaligen Stadtarchivar Paul Clauswitz verfaßte und von unserem Verein
als Sonderpublikation — außerhalb der „Schriften" und der „Mitteilungen" - anläßlich der silbernen
Hochzeit Kaiser Wilhelms II. 1906 herausgegebene Arbeit „Die Pläne von Berlin und die Entwicklung des Weichbildes". Dem jetzigen Direktor der Kartenabteilung in der Staatsbibliothek der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz, Lothar Zögner, gebührt das Verdienst, das 233 Nummern umfassende Kartenverzeichnis von Clauswitz um ein Vielfaches ergänzt und bis 1950 fortgeführt zu haben. Anders als
Clauswitz fügt Zögner auch die Standorte der Karten hinzu. Hier zeigt sich freilich, daß ein beachtlicher Teil der von Clauswitz aufgeführten Karten heute für Zögner nicht mehr auffindbar ist. Dies
dürfte nicht allein auf die Kriegsverluste — z. B. erlitt die einst umfangreiche Kartensammlung unseres
Vereins beim Brand des Deutschen Domes am Gendarmenmarkt die schwersten Verluste — zurückzuführen sein. Noch schwerer wiegt m. EL, daß das Stadtarchiv im Ostteil der Stadt nach wie vor unzugänglich blieb. Die Bestände der Staatsbibliothek (Ost), ohnehin durch gute publizierte Kartenverzeichnisse erschlossen, konnten dagegen voll einbezogen werden. Auf den Inhalt der Clauswitzschen
Ausführungen zur Entwicklung des Weichbildes der Stadt Berlin geht der Herausgeber der Neuauflage
hingegen nicht ein. Doch führte gerade die Beschäftigung mit diesem Problemkomplex, der 1906 hochaktuellen Frage der Stadterweiterung, zur systematischen Erfassung der Karten! Hier muß freilich
angemerkt werden, daß zahlreiche hier geäußerte Auffassungen durch Ernst Kaeber, den Amtsnachfolger Clauswitz' im Stadtarchiv, revidiert worden sind. Trotz dieser Abstriche wird die leider zu einem
sehr hohen Preis erhältliche Neuausgabe für jeden, der sich mit der Kartographie der Stadt Berlin
beschäftigt, unentbehrlich sein.
1949 begründete der seinerzeit als Kartenverleger tätige Paul Lippa eine eigene Schriftenreihe, die
„Kartographischen Miniaturen". In dem ersten Heft dieser Reihe, das hier als Nachdruck vorliegt, stellt
Wilhelm Bonacker grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis zwischen Stadt und Stadtplan an. Für
die Zeit vom 17. Jahrhundert an nahm er die Beispiele aus der Berliner Kartographie.
In ansprechender Aufmachung und entsprechendem Preis liegt nun der Nachdruck des „MonumentalPlans der Reichshauptstadt Berlin" von 1896 vor. In der vielfarbig gedruckten Karte fallen vor allem
die zahlreichen rot angelegten Eisenbahnlinien mit ihren Kopfbahnhöfen an der Peripherie der älteren
Stadtviertel auf. Das Berliner Eisenbahnwesen befand sich zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt seiner
Entwicklung. Freilich ist in diesem „Monumental-Plan" nicht das ganze, 1896 verstädterte Gebiet,
nicht einmal innerhalb der Ringbahn, enthalten. So fehlen etwa die bereits dicht bebauten Stadtteile
182
Rixdorf-Neuköllns. Im Westen hingegen, etwa im Bereich des damals noch zu den selbständigen Gemeinden Charlottenburg und Wilmersdorf gehörenden Kurfürstendamms, zeigt die Karte weite, unbebaute Rächen. So kann die Karte gleichsam als eine „Momentaufnahme" eines Zustands in der sich
rasch entwickelnden Vergrößerung des städtischen Bereiches dienen.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erreichte Berlin mit ca. 100 000 Einwohnern die Bevölkerungszahl einer Großstadt. Einen guten Eindruck des Stadtumfanges dieser Zeit gibt der unter Verwendung zeitgenössischer Vorlagen entstandene Plan des Augsburger Geographen Seutter. Vor allem
für den Bereich der Vorstädte erhält der Betrachter einen guten Überblick über den Stand der Bebauung zu dieser Zeit. Neben dem Stadtgrundriß enthält das Blatt eine ebenfalls nicht nach der Natur,
sondern nach fremden Vorlagen erstellte Stadtansicht.
Neben den hier vorgestellten, aus kommerziellen Erwägungen edierten Publikationen verdient das von
interessierten Bürgern, dem „Bürgerbeirat Zitadelle Spandau", begonnene Unternehmen, historische
Pläne und Ansichten von Spandau herauszugeben, besondere Beachtung. Das Blatt 1 der bibliophil
gestalteten, jeweils numerierten Karten enthält einen Grundriß der Festung Spandau aus der in
Amsterdam 1647/48 in drei Sprachen (lateinisch, französisch und deutsch) erschienenen Architectura
militaris moderna des aus der Mark Brandenburg gebürtigen Festungsbaumeisters Mathias Dogen.
Dem auf Bütten gedruckten Plan liegt eine gediegen gearbeitete, knappe Einführung mit den wichtigsten Informationen über die Karte und deren Autor bei. Man kann dem Unternehmen der Spandauer Bürger nur Glück wünschen!
Felix Escher
Walther G. Oschilewski: Heinrich Zille Bibliographie. Veröffentlichungen von ihm und über ihn.
Hrsg. v. Gustav Schmidt-Küster. Hannover: Heinrich-Zille-Stiftung e. V./Fackelträger 1979. 84 S.
m. 30 z.T. fbg. Abb., biblioph. Pappbd., Schutzgebühr 20 DM.
Lothar Fischer: Heinrich Zille. Reinbek: Rowolt 1979. 158 S. m. Abb., brosch. 6,80 DM.
(Rowohlt Bildmonographien, Bd. 267.)
Winfried Ranke: Vom Milljöh ins Milieu. Heinrich Zille 1858-1929. Aufstieg in der Berliner
Gesellschaft. Hannover: Fackelträger 1979. 344 S. m. z. T. fbg. Abb., Ln., 69 DM.
Winfried Ranke: Heinrich ZUle. Photographien Berlin 1890-1910. München Schirmer/Mosel
1975/1979. 80 u. 196 S. m. Abb.,£rosch., 24,80 DM.
Wolfgang Tschechne: Heinrich ZUle - Hofkonzert im Hinterhaus. München: Deutscher-TaschenbuchVerlag (Liz.) 1979. 192 S. m. Abb., brosch., 6,80 DM.
Das kleine Zille-Buch. München: Heyne 1969 (7. Aufl. 1979). 108 S. m. Abb., brosch., 5,80 DM.
(Reihe: Heyne Ex Libris.)
Der 50. Todestag Heinrich Zilles am 9. August 1979 war Anlaß zu einigen Gedenkausstellungen und
einer Anzahl neuer Zille-Bücher bzw. Neuauflagen älterer Werke. Wir stellen dieser Sammelrezension voran die sehr begrüßenswerte, von unserem Ehrenmitglied Walter G. Oschilewski für die
Heinrich-Zille-Stiftung e.V. Hannover zusammengestellte Heinrich-Zille-Bibliographie. Aufgeteilt
auf zwölf Abschnitte bringt der Verfasser eine 567 Nummern umfassende Übersicht über Bücher,
Mappen werke, Vorzugsausgaben sowie Bilder in anderen Büchern / Texte von Heinrich Zille / Bühnenausstattungen, Plakate, Gelegenheitsarbeiten / Selbstbildnisse / Ausstellungskataloge / Über
Heinrich Zille (Beiträge in Büchern und Zeitschriften) / Zille-Porträts / Verse und Lieder auf
Zille / Zille-Filme, Zille-Bälle / Heinrich-Zille-Stiftung e.V. / Nachträge zu den verschiedenen
Kapiteln. Man sieht, daß hier weit mehr geboten wird, als nur ein Literaturverzeichnis, zumal sehr
viele Titel mit kommentierenden Hinweisen versehen sind. Eine kleine Richtigstellung der den
unvorbereiteten Benutzer wohl irreführenden bibliographischen Angabe sei nachstehend gegeben.
So steht unter Nr. 206 auf Seite 49:
„Ausflug des Sparvereins Hoffmann nach Stralau". Großes Ölbild. 1913. In: Ehemals Landkreis
Weißbierstuben, Berlin-Schöneberg, Siegfriedstraße 1.
Die richtige Angabe muß lauten:
„Ausflug des Sparvereins .Hoffnung' nach Stralau." Öl/Lwd., 1,11 X 5,40 m. 1913. Gemalt für
Landres Weißbierstuben, Stralauer Straße 36/37. Zuletzt im Lokal Siegfriedstraße 1 (jetzt Czeminskistraße) in Berlin-Schöneberg.
Das Verzeichnis ist mit farbigen und einfarbigen Abbildungen von Arbeiten Zilles illustriert; der
einführende Text über Leben und Werk des Künstlers ist freilich durch die inzwischen erschienenen
Biographien von Fischer und Ranke teilweise überholt. (Die Angabe auf Seite 14, daß Walter Zille,
183
drittes Kind von H. Z., 1901 geboren sei, dürfte ein Druckfehler sein, allgemein wird der 9. Januar
1891 als Geburtstag angegeben.) Gustav Schmidt-Küster, Chef des Fackelträger-Verlages, der die
Rechte an Zilles Werk treuhänderisch verwaltet, stellt dem Band ein Vorwort voran, in welchem er
darauf hinweist, daß das künstlerische Werk Heinrich Zilles bis jetzt noch keinen wissenschaftlichen
Bearbeiter gefunden hat, bzw. über Anfänge hinaus nicht weiter gediehen ist, und ruft dazu auf,
„daß sich doch noch eines Tages ein Zille-Enthusiast findet, der das gesamte Werk des Künstlers zu
einem Werkverzeichnis zusammenfügt".
„ . . . aber es gibt keine, auch nur ansatzweise, kritische Würdigung seines Werks und seines Lebens".
Dieser Satz aus dem Vorwort der Zille-Bildmonographie von Lothar Fischer verliert jetzt seine
Gültigkeit, denn hier liegt nun eine durchaus kritische Aufarbeitung dieses Themas vor. Der Autor,
bereits mit zwei Bänden über Max Ernst bzw. Georg Grosz in dieser Reihe vertreten, legt mit diesem
Band eine Arbeit vor, die zunächst einmal durch ihre sachliche Sprache und wohltuende Distanz
auffällt. Dort, wo diese Sachlichkeit langatmig zu werden droht, läßt der Autor Zille zugeschriebene
Zitate, Ausschnitte aus Briefen, Tagebuchnotizen und Anekdoten einfließen. Zeitgeschichtliches und
teils bekannte teils unbekannte Fotos tragen dazu bei, daß Zille - endlich - von jenem Podest gehoben
wird, das sich schon zu Lebzeiten des Künstlers aus falsch verstandener Verehrung, Sentimentalität,
Halbwahrheiten und einem gewissen Wunschdenken zu bilden begann. Hier wird der gelungene
Versuch unternommen, klar zu stellen, wie Zeit und Umwelt zum Werden und zum Ruf eines Heinrich
Zille entscheidend beigetragen haben. „Pinselheinrich", wie er zunächst spöttisch, später liebevoll
genannt wurde, konnte eben dadurch, getragen vom „Milljöh" jener Zeit, zum wohl populärsten
Künstler Berlins werden, was sich auch in den letzten Jahren durch reichlich fließende Honorare
auszahlte und damit die Mär vom „armen alten Zille" forträumt. Wie bei allen Heften dieser Reihe
ergänzen Anmerkungen, Zeittafel, Zeugnisse seiner Zeitgenossen und eine kleine Bibliographie
auch diesen Band. Für wenig Geld eine gute Sachinformation!
Wesentlich umfangreicher, größer, mit vielen - teilweise farbigen - Bildern versehen ist die ZilleBiographie, die der Kunsthistoriker Winfried Ranke für den Fackelträger-Verlag geschrieben hat.
Schon der Untertitel „Heinrich Zilles Aufstieg in der Berliner Gesellschaft" setzt den Schwerpunkt.
Ranke, der wie Fischer, bemüht ist, mit den Legenden und Vorurteilen, die sich um die Vita Zilles
ranken, aufzuräumen, bleibt manchmal etwas vorsichtig und deutet nur an. Andererseits sagt aber
auch er ganz klar, daß Zille nicht der arme Arbeiter, sondern jahrelang der technische Leiter der
„Photographischen Gesellschaft" war, bis er zu Ende des Jahres 1907 aus ungeklärten Gründen dort
entlassen wurde. Auch an manch anderem Lack wird gekratzt. So wird u.a. der künstlerische Werdegang kritisch beleuchtet und betont, daß Zille eben nicht nur Meisterwerke geschaffen hat. Rankes
Zurückhaltung kann man vielleicht damit entschuldigen, daß er gerade für jenen Verlag schreibt, der
am tüchtigsten zur Ausbreitung der unkritischen Zille-Legenden beigetragen hat. Nach Ranke hatte
bis Ende 1978 der Fackelträger-Verlag 342 860 Exemplare seiner Zille-Bücher verkauft und weitere
422 462 Exemplare waren durch Buchgemeinschaften als Lizenzausgaben verkauft worden.
Es ist beiden, Autor wie Verlag, mit diesem Buch eine gute Publikation gelungen. Besonders die vielen
erstmals farbig reproduzierten und teilweise unbekannten Abbildungen - Zille-Zeichnungen, Heliogravüren, Radierungen, Lithographien und Skizzen, kaum, wie bei Fischer, Familienfotos - machen
den Band zusätzlich interessant. Sorgfältige Gestaltung und technische Ausführung sind positiv
anzumerken, muß man doch bedenken, daß es sich hier keineswegs um eine bibliophile Ausgabe
handelt, sondern um eine Publikation, die weite Leserkreise ansprechen will; wenn auch mit mehr
sachlicher Information. Auch dieser Band verfügt über einen ausführlichen Anmerkungsteil, ein
sehr sorgfältiges Abbildungsverzeichnis und eine Bibliographie; jedoch leider über kein Register.
Nicht verschwiegen sei der Hinweis, daß dieses Buch von der Büchergilde Gutenberg/Frankfurt a. M.
übernommen wurde und daß es auch zwei Vorzugsausgaben mit je einer Heliogravur bzw. Originalradierung gibt.
Bereits 1975 erschien die erste Auflage eines Buches, das den Fotografen Heinrich Zille würdigt
und das gleichzeitig der Katalog fUr die Wanderausstellung dieser 1967 erstmals der Öffentlichkeit
vorgestellten Fotografien war, die u.a. auch im Berlin Museum gezeigt wurde und deren Fotos
später in den Besitz des Museums übergingen. Mit diesem Band machte Winfried Ranke zum ersten
Male mit einer Arbeit über Heinrich Zille auf sich aufmerksam. Die Presse zollte ihr wohlwollende
Anerkennung.
Erst um 1967 begann man sich dafür zu interessieren, daß Heinrich Zille auch intensiv und mit Erfolg
fotografierte, was aus der ansehnlichen Zahl von 318 Negativen und etwa 120 Abzügen, deren
184
Negative nicht mehr existierten, gut zu belegen war. Als Einstieg Zilles in jenes Metier kann etwa das
Jahr 1888 belegt werden. Er benutzte verschiedene Plattenkameras, am häufigsten das Format
9 X 12 cm. Die ersten Motive gab die Familie her, bis dann Aufnahmen von Künstlerkollegen, Motive
von Alt-Berliner Häusern und Straßen, Motive aus Charlottenburg und zahlreiche andere Dinge
folgten. Die Fotografien Zilles sind wertvolle, gekonnt aufgenommene Zeitdokumente. Hin und
wieder drängt sich der Vergleich mit jenen von Atget auf, doch liegt der entscheidende Unterschied
darin, daß jener die Fotografie um ihrer selbst willen pflegte, während Zille sie auch zum Festhalten
von Ideen und Gegebenheiten benutzte; vieles aus diesen Aufnahmen finden wir daher in seinen
Zeichnungen wieder.
Der Katalog bringt die in der Ausstellung gezeigten Exponate. Im Text, als geschlossener Block den
Abbildungen vorangestellt, geht Ranke intensiv auf jedes einzelne Bild ein. Hier ist auch Kritik
angezeigt insofern, daß zwar die Bildnummern im Text durch fette Auszeichnung hervorgehoben
sind, die Titel jedoch nicht unter den Bildern stehen. Die eventuelle Meinung, daß diese Zeilen vielleicht den individuellen Eindruck des Bildes zerstören könnten, wiegt u.E. nicht so schwer, wie das
lästige Suchen durch achtzig Seiten hindurch nach dem Bildtitel, der sich, wie gesagt, im Vortext befindet. Auch drucktechnisch ist noch ein störendes Moment anzumerken. Die Abbildungen, die, um
den alten Fotocharakter zu erhalten, mit einem gelben Fond unterlegt sind - ein durchaus richtiger
Weg - „schwimmen" teilweise (z.B. Abb. 22, 23, 2 ) in diesem Fond und nehmen den Bildern,
technisch bedingt, einen großen Teil der Tonwerte im hellen und mittleren Bereich. Sorgfältigere,
bzw. weniger Farbführung wäre den Bildern sehr zugute gekommen.
Die letzten beiden Bände „Hofkonzert im Hinterhaus" und „Das kleine Zille-Buch" schwimmen
noch auf der Zille-Welle mit, deren Fragwürdigkeit nach dem Studium der beiden Biographien
noch offenkundiger wird. Zille als Zentralfigur des „Milljöhs", der Schickeria der „Goldenen Zwanziger" war für den wirklichen Kenner der Zeit nie akzeptabel und müßte durch die zuvor besprochenen beiden Zille-Biographien endgültig widerlegt sein. Ebenso überholt für die Vermittlung des
Künstlers Heinrich Zille sollten nun Komplikationen wie „Kleine" (und ähnliche) Zille-Bücher sein,
die durch die ermüdende Wiederholung der bekanntesten Zille-Zeichnungen nichts Neues mehr
bringen.
Um der Chronistenpflicht zu genügen, muß noch vermerkt werden, daß neben vielen Gedenkartikeln
für den Künstler in Zeitschriften und Tageszeitungen auch der Bertelsmann-Lesering in Gütersloh
seinen Mitgliedern ein Zille-Buch anbot. Der Verlag Schirmer/Mosel in München brachte in einer
wohlgestalteten Faksimile-Ausgabe die „Hurengespräche" heraus, die 1913 von Heinrich Zille unter
dem Pseudonym ,W. Pfeifer' geschrieben und gezeichnet und vom Verlag Fritz Gurlitt herausgegeben
wurden.
H.-W. Klünner IC. P. Mader
Märkische Sagen. Berlin und die Mark Brandenburg. Hrsg. v. Ingeborg Drewitz. Düsseldorf/Köln:
Diederichs 1979. 306 S. m. Abb., geb., 19,80 DM.
Ingeborg Drewitz zeigt uns, welch reichen Sagenschatz Berlin und die (alte) Mark Brandenburg
aufzuweisen haben. Sie geht von Berlin aus über die Randgebiete vom Müggelsee bis Postdam hinein
in die Mark und dann im großen Bogen über Luckau und die Prignitz bis zur Neumark. Den Abschluß bilden die Sagen aus dem wendisch-sorbischen Kulturkreis, dem Spreewald und der Lausitz, mit ihren unergründlichen Mooren und tiefen Wäldern, wo sich germanische, slawische und
christliche Bräuche vermischten. Aus Berlin erfahren wir - um nur einige Beispiele zu nennen von dem von einem Menschen erschlagenen Riesen, dessen eine Rippe am Molkenmarkt aufgehängt wurde, oder von der unschuldig am „Galgenhaus in der Brüderstraße" gehenkten Dienstmagd und wie die Jungfernbrücke ihren Namen erhielt. Es fehlt nicht die Sage vom Ritter Kahlbutz,
dessen Leichnam noch heute - weder einbalsamiert noch sonst präpariert - als dreihundertjährige
Mumie in der Kirche zu Kampehl eine Touristenattraktion darstellt.
Das Buch ist mit einer Fülle von Lithografien und einigen Stichen illustriert und mit einem umfangreichen Ortsregister sowie Literatur- und Quellenverzeichnis versehen. Sicher kann es den einen
oder anderen Leser, vor allem der jüngeren Generation, anregen, auf den Spuren der Herausgeberin die nähere und weitere Umgebung Berlins zu erkunden.
Irmtraut Köhler
185
Gabriele Seelmann: Treffpunkt Kongreß- und Messestadt Berlin. Führer mit Stadtplan 1:27 500,
Straßenverzeichnis, Übersichtskarte der Sehenswürdigkeiten 1:42 500. Vorwort: Ilse Wolff. Berlin:
Kiepert 1979. 104/32 S. m. zahlr. Abb., brosch.. 12,80 DM (Stadtplan und Übersichtskarte ohne
Führer 6,40 DM).
„Nach dem Motto so knapp wie möglich, aber so ausführlich wie nötig zeichnet die Journalistin
Gabriele Seelmann ein lebendiges Kurzportrait von Berlin." Diesen einführenden Worten der
ehemaligen Leiterin des Verkehrsamtes, Frau Dr. Ilse Wolff, kann man sich anschließen, wirft
man einen Blick in den Führer. In Form einer Stadtführung werden die Sehenswürdigkeiten vorgestellt. Jedoch muß man wissen, daß allein der „City-Bummel" gut 40 km lang ist, ganz zu schweigen
von den „Kurz-Trips durch die Bezirke".
Der Text liest sich recht flüssig und weist z.T. sehr prägnante oder humorvolle Formulierungen auf.
Leider haben sich einige sehr ärgerliche Fehler eingeschlichen. So war z.B. Schlüter nicht direkt
am Bau des Charlottenburger Schloßes beteiligt; das vermeintliche Foto vom Schloß Bellevue
zeigt die Gemäldegalerie Dahlem, der außerdem noch die Bilder von Friedrich, Menzel, Courbet,
Manet und Monet zugeschrieben wurden. Diese Werke gehören jedoch zum Bestand der Nationalgalerie. Auch war Carstenn vor jetzt 114 Jahren der Begründer der Villenkolonie Lichterfelde und
lebte und wirkte nicht im 17. Jahrhundert.
Bei weiteren Auflagen sollte man den - im kulturellen Bereich - recht ausführlichen Führer von
diesen Fehlern befreien und - um ihn noch vielseitiger verwendbar zu machen — u. a. Hotels, Gaststätten und typische Berliner Lokale in den Inhalt aufnehmen.
Ein Viertel des Führers behandelt den Ostteil der Stadt und Potsdam, wobei leider nicht gesagt
wird, wie man dorthin gelangt.
Der beiliegende Stadtplan vom Reise- und Verkehrsverlag zeigt auf der einen Seite den größten
Teil von West-Berlin außer den Randgebieten nördlich von Tegel und des Nordgrabens und südlich der Linie Alt-Mariendorf—Rathaus Zehlendorf. Auf der Rückseite ist eine ausführliche
und nützliche Übersichtskarte mit den Sehenswürdigkeiten der ganzen Stadt. Über die Hälfte der
172 Hinweise sind bildlich dargestellt, was ein leichtes Wiedererkennen an Ort und Stelle zwar gewährleistet, doch wäre eine Karte von Potsdam und ein Verzeichnis der wichtigsten BVG-BusLinien sinnvoller gewesen.
Der Verlag empfiehlt seinen Führer „zur Information und als Erinnerung an Berlin". Diesen
Anspruch erfüllt er nur unvollkommen. „Zur Urlaubsplanung in und als Begleiter durch Berlin" ist
daher noch die zusätzliche Benutzung eines Programm-Magazins anzuraten, wo die notwendigen
Angaben zu finden sind. Der nächsten Auflage sind diese jetzt fehlenden Ergänzungen unbedingt zu
wünschen.
Rüdiger Brauer
Voranzeige der Studienfahrt nach Minden
Die diesjährige Exkursion soll von Freitag, 26. September, bis Sonntag, 28. September 1980, nach
Minden führen. Eine hinreichende Zahl von Hotelzimmern wurde bereits vorsorglich reserviert. Das
Programm sieht u. a. eine ganztägige Exkursion durch das Gebiet des ehemaligen preußischen Fürstentums Minden sowie einen Vortrag und eine Stadtführung mit Besichtigung des Domes und des Domschatzes in Minden vor. Ferner ist eine Rundfahrt am Wasserstraßenkreuz geplant, die gegebenenfalls
bis zur Porta Westfalica fortgesetzt werden soll.
Im Heft 3/1980 der „Mitteilungen" wird das ausführliche Programm veröffentlicht. Unverbindliche
Voranmeldungen können jetzt schon an den Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13,
1000 Berlin 65, gerichtet werden.
SchB.
186
Unser Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird im Herbst erscheinen. Die Mitglieder erhalten dann den
Band zugestellt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr entrichtet haben. Der
Ladenpreis wird bei ca. 24 DM liegen.
*
Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt
(lt. Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehender Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM).
*
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 67 — 70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71 — 74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten.
Tagesordnung der ordentlichen Mitgliederversammlung
1. Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts
2. Berichte der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer
3. Aussprache
4. Entlastung des Vorstands
5. Wahl von je zwei Kassenprüfern und Bibliotheksprüfern
6. Verschiedenes
Anträge aus den Kreisen der Mitglieder sind bis spätestens 26. April 1980 der Geschäftsstelle einzureichen.
Um pünktliches Erscheinen wird gebeten.
Im I. Vierteljahr 1980
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Michael Altmann, Versicherungskaufmann
Holsteinische Straße 17, 1000 Berlin 41
Tel. 8 5157 35
(Fr. Pakasa)
Hans-Jörg Bonz, Beamter
Bolivarallee 17 A, 1000 Berlin 19
Tel. 8 65 23 75 5
(Bibliothek)
Klaus-Peter Fleck, Verwaltungsbeamter
Hilssteig 26,1000 Berlin 37
Tel. 8 13 26 96
(K. H. Kretschmar)
Dr. Armgard v. Gaudecker, Ärztin
Joachim-Friedrich-Straße 42, 1000 Berlin 31
Tel. 8 91 69 84
(Frau Brast)
Alfred Krause,
Bartningallee 4, 1000 Berlin 21
Tel. 3 92 51 25
(Frau Kaatz)
Ursula Raths, Abteilungsleiterin
Schwäbische Straße 7 b, 1000 Berlin 30
Tel. 2 1164 71
(Brauer)
Jürgen Riedel, Dipl.-Ing.
Bonhoefferufer 4, 1000 Berlin 10
Tel. 3 44 19 49
(Günther Linke)
Fritz Schaletzke, Verwaltungsdirektor i. R.
Sächsische Straße 52,1000 Berlin 31
Tel. 87 59 26
(Frau Brader)
187
Veranstaltungen im II. Quartal 1980
1. Dienstag, den 15. April 1980, 19.30 Uhr: Herr Wolf Rothe präsentiert „Wenn Du meine
Tante s i e h s t . . . " Berliner Impressionen der 20er Jahre in Film- und Tondokumenten.
Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
2. Sonnabend, den 26. April 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Beständeausstellung im Neubau
des Bauhaus-Archivs, Klingelhöferstraße 13/14. Führung: Herr Hans-Werner Klünner.
Fahrverbindungen: Busse 9, 16, 24, 29.
3. Dienstag, den 6. Mai 1980, 19.30 Uhr: Jahreshauptversammlung. Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
Die Tagesordnung ist auf Seite 187 abgedruckt.
4. Sonnabend, den 10. Mai 1980, 10.30 Uhr: „Von Deutsch-Rixdorf nach BöhmischRixdorf". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt: Richardplatz, Ecke
Richardstraße. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Karl-Marx-Straße, Busse 41, 65, 95.
5. Dienstag, den 20. Mai 1980, 17.00 Uhr: Besuch der Ausstellung „Danzig - Bild einer
Hansestadt" im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Archivstraße 12,
1000 Berlin-Dahlem. Führung: Herr Archivoberrat Dr. Peter Letkemann. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Dahlem-Dorf, Busse 1 und 68.
6. Dienstag, den 3. Juni 1980, 19.30 Uhr: Vortrag von Herrn Ing. Rudolf Krug „Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen von Berlin aus" mit „handlichen" Beispielen. Vortragsraum des Berliner Post- und Fernmeldemuseums, An der Urania 15. Fahrverbindungen: Busse 19, 29, 73, 85 und U-Bahnhof Wittenbergplatz.
7. Sonnabend, den 14. Juni 1980, 11.00 Uhr: Besuch des Hugenotten-Museums, Platz der
Akademie, DDR —Berlin 108. Treffpunkt vor dem Französischen Dom. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Hausvogteiplatz, Busse 32,57, 59.
8. Freitag, den 27. Juni 1980, 15.00 Uhr: Führung durch das Schillertheater der Staatlichen
Schauspielbühnen. Treffpunkt vor dem Eingang, Bismarckstraße 110, 1000 Berlin 12.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist
zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank, Kaiserdamm 95, 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: freitags
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 4 1 ; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
188
'WM'.
^öi~~i^.;C:,
A1015FX
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
76. Jahrgang
Heft 3
Juli 1980
*ClM(Ae*JLtAy.
189
IMe Überwindung der Diaspora
/Die Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottenburg
Von Eleonore Liedtke
In dem gleichen Jahr, in dem Charlottenburg sein 275jähriges Bestehen feiert, kann das
Bistum Berlin auf 50 Jahre seiner Geschichte zurückblicken. Zudem findet 1980 zum
dritten Mal ein Deutscher Katholikentag in Berlin statt, und Charlottenburg ist für die
Zentralveranstaltungen der gastgebende Bezirk. Dieses Zusammentreffen historischer
Jubiläen bildet Anlaß, Rückschau zu halten. Bei der Gliederung der folgenden Ausführungen war leitender Gesichtspunkt, die Anfänge der katholischen Kirche in Charlottenburg von der Gründung der Mutterkirche Herz-Jesu in Alt-Lietzow Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Ausfaltung in die einzelnen Tochtergemeinden und Seelsorgezentren
aufzuzeigen. An einigen Stellen lassen sich, bedingt durch die geschichtliche und
systematische Aufgliederung, Überschneidungen nicht ganz vermeiden.
Zur Zeit der Gründung des Bistums Berlin umfaßte das Archipresbyterat Charlottenburg
das heutige Dekanat Charlottenburg und die Stadtteile Deutsch-Wilmersdorf, Haiensee
und Grunewald. Heute umfaßt das Dekanat Charlottenburg die Pfarreien Herz Jesu,
St. Canisius, Heilig Geist, St. Kamillus, Maria Himmelfahrt, Regina Martyrum und
St. Thomas 1 .
Wenn auch Charlottenburg keine lange katholische Tradition aufzuweisen hat, so fallen die
Anfänge einer katholischen Gemeindebildung in Charlottenburg in die Zeit, da noch der
Fürstbischöfliche Delegaturbezirk Berlin, Brandenburg, Pommern bestand, der von 1821
bis 1930 zum Erzbistum Breslau gehörte. Diesen Delegaturbezirk leitete der Fürstbischöfliche Delegat, der der jeweilige Propst von St. Hedwig, Berlin, war. Jener Pioniergeneration schlesischer Priester sind der Aufbau und die erste Ausbauphase der katholischen
Kirche sowohl in Berlin als auch in Charlottenburg zu verdanken. Sie bilden gleichsam
die „Säulen", auf denen das junge Bistum ruht, dessen Tag der Errichtung sich in diesem
Jahre, am 13. August 1980, zum 50. Male jährt.
l.Teil
Von den Anfängen bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft
Die Entstehung des Wirkens der katholischen Kirche in Charlottenburg seit der Mitte
des 19. Jahrhunderts ist der Initiative einiger katholischer Laien zu danken. Einen
eigenen katholischen Seelsorger2 hatten weder das Dorf Lietzow, das später zu Charlottenburg gehörte, noch die Stadt Charlottenburg vor dem Jahre 1858 gehabt. Die einzeln hier
wohnenden Katholiken hielten sich zur St.-Hedwigs-Kirche in Berlin. Zu einer Art
Gemeindebildung kam es im Jahre 1845, als der katholische Eichsfelder Barbier August
Meer etwa 30 Glaubensgenossen, meist Handwerker, um sich sammelte, um Gottesdienste
von St. Hedwig aus einzurichten; Propst Anton Brinkmann selbst feierte die erste heilige
Messe im Hause des Justizrates Robert in der Wilmersdorfer Straße für die damals
150 in Charlottenburg wohnenden Katholiken. Geistliche von St. Hedwig - und ab 1848
waren es geistliche Abgeordnete - waren bereit, in Mietlokalen Gottesdienst zu halten.
Im Herbst 1851 kam der Saganer Pfarrer Eduard Müller3 als Missionsvikar nach Berlin.
190
Müller, mit dem Beinamen Mües Christi und Apostolus Berolinensis, hielt in Abständen
von zwei bis drei Wochen in stets wechselnden Lokalen Charlottenburgs Gottesdienste
ab. Am 16. August 1855 konnte Propst Leopold Pelldram auf dem Grundstück Lützowplatz 10 eine kleine Kapelle benedizieren, die der auf über 400 Seelen angestiegenen
Gemeinde einen festen religiösen Mittelpunkt gab. Als auf Veranlassung von Propst
Pelldram und Missionsvikar Müller die „Schwestern vom guten Hirten" aus München zur
Übernahme eines Heimes für gefallene und gefährdete Mädchen am 11. Februar 1858
in Charlottenburg eintrafen, wurden ihnen Missionshaus und Kapelle zur Verfügung gestellt. Die Bonifatius-Kapelle wurde fortan gemeinschaftlich von der Orts- und Klostergemeinde genutzt, und der Hausgeistliche des Klosters übernahm zugleich die Gemeindeseelsorge. 1863 wurde die 500-Seelen-Gemeinde zur Missionspfarrei erhoben und im September staatlich anerkannt. Wie armselig die Anfänge der Gemeinde waren, zeigt die
Tatsache, daß der Unterricht an der auf eigene Faust vom Pfarrer gegründeten katholischen Schule in der aus zwei Räumen bestehenden Pfarrwohnung stattfand. Die pfarrherrliche Eigeninitiative fand zwar nicht den Beifall des Magistrats, zeitigte jedoch den
Erfolg einer nachträglichen Anerkennung der katholischen Privatschule.
Als die Bonifatius-Kapelle für die sonntäglichen Gottesdienste und die abendlichen
Herz-Jesu-Andachten zu klein geworden war, wurden ausgedehnte Sammlungen für den
Neubau einer Herz-Jesu-Kirche abgehalten. Am 8. September 1875 konnte der Grundstein für das von Hubert Stier entworfene Gotteshaus gelegt werden, einem dreischiffigen
roten Backsteinbau mit gotisierenden Formen. Die Kirchweihe jedoch war mit etlichen
Komplikationen verbunden, denn sie durfte nur mit Genehmigung des zuständigen Bischofs
vollzogen werden. Doch dieser, der Erzbischof von Breslau, war im Zuge der Auseinandersetzungen des Kulturkampfes abgesetzt und der Vollzug bischöflicher Handlungen mit
Gefängnisstrafen bis zu sechs Monaten belegt worden. Daher vernichtete man vor der
Weihe die schriftliche Genehmigung. Die Chronik berichtet, daß die Kirche nicht konsekriert werden konnte, daß sie aber auf Christi Himmelfahrt, am 17. Mai 1877, bei verschlossener Tür frühmorgens um 4 Uhr von Propst Rudolf Herzog benediziert wurde.
Sechzig Jahre später, am 3. Oktober 1937, konnte nun endlich das nachgeholt werden,
worauf die Herz-Jesu-Gemeinde so lange gewartet hatte, daß nämlich die bisher nur
benedizierte und inzwischen gründlich renovierte Kirche von Bischof Konrad von
Preysing konsekriert wurde.
Eine Wende trat im Leben der Herz-Jesu-Pfarrei ein, als am 18. März 1913 Bernhard
Lichtenberg zum Pfarrer investiert wurde. Bis zu seiner Berufung zum Pfarrer an der
St.-Hedwigs-Kirche und in das Domkapitel zur Heiligen Hedwig Anfang 1931 wirkte er
siebzehn Jahre lang als „Pastor bonus" von Charlottenburg. Er ist der eigentliche Schöpfer
des katholischen Charlottenburg. Weit über die Grenzen Berlins hinaus ist Lichtenberg
jedoch bekannt geworden durch sein öffentliches Eintreten gegen die Tötung von Geisteskranken und für sein abendliches Beten in der St.-Hedwig-Kathedrale für die verfolgten
„nichtarischen Christen und Juden" in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft.
Der Leidensweg des Bekennerpriesters Lichtenberg führte von der Untersuchungshaft in
Moabit ins Strafgefängnis Tegel. Sein Leben besiegelte er als Blutzeuge am 5. November
1943 auf dem Transport ins KZ Dachau bei Hof in Bayern, Diözese Bamberg.
Bernhard Lichtenberg gehört zu jener aus Schlesien stammenden und sich in der Berliner
Seelsorge voll entfaltenden Priestergeneration, die am Aufbau des Bistums Berlin in verantwortlicher Stellung mitwirkte.
191
Kapelle der Schwestern vom Guten Hirten in Alt-Lietzow, Vorläufer der Herz-Jesu-Kirche (Ausschnitt aus einem Ölgemälde von 1853).
Im schlesischen Ohlau an der Oder am 3. Dezember 1875 geboren, lernte er in diesem
überwiegend protestantischen Städtchen von Kindheit an die Auswirkungen und das
Zusammenhalten von Katholiken in der Kulturkampfzeit kennen. An der im 19. Jahrhundert wohl berühmtesten theologischen Fakultät des Kontinents, in Innsbruck, begann er
seine theologischen Studien, die er dann an seiner Heimatuniversität Breslau vollendete.
Seine Heimatprimiz in Ohlau war dort die erste öffentliche Prozession seit dem Kulturkampf. Seine erste Kaplanstelle führte ihn nach Neiße, ins „schlesische Rom". Die Jahrhundertwende brachte auch für Lichtenberg eine schicksalhafte Wende. Am 13. August
1900 wurde er in die Reichshauptstadt Berlin versetzt, genauer gesagt, nach St. Mauritius
in Friedrichsberg bei Berlin, einer Poststation beim „Dorfe" Lichtenberg, wo ihn Pfarrer
Nikolaus Kuborn in die Berliner Vorstadt- und Vorortdiaspora einführte. Im November
1902 wurde er als Kaplan für ein Jahr an die Charlottenburger Herz-Jesu-Kirche versetzt,
um nach einem Umweg als Kaplan bei St. Michael, als Kuratus in Karlshorst-Friedrichsfelde und Berlin-Pankow am 18. März 1913 in diese Gemeinde zurückzukehren. Er betrat
bekanntes Terrain. Auch jetzt legte er
wie draußen in der weiten Diaspora
seine
ausgedehnten Wege im Dienste der Seelsorge am liebsten nach Art der Apostel zu Fuß
zurück. Seine Versehgänge machte er nur in Soutane, Rochett und Stola.
Über seine Abgeordnetentätigkeit äußert sich Lichtenberg später: „Ein Mitglied seiner
Gemeinde, früherer Gouverneur von Ostafrika, regte Fridoiin (d.i. Lichtenberg) an, sich
für ein Stadtverordnetenmandat zur Verfügung zu stellen. So kam Fridoiin zuerst in die
Stadtverordnetenversammlung von Charlottenburg und dann von Groß-Berlin. In Charlottenburg schloß er sich der bürgerlichen, in Groß-Berlin der kleinen Zentrumsfraktion an.
192
Die Beteiligung am Windhorstbunde und an Zentrumsversammlungen sah Fridolin vom
seelsorglichen Standpunkt an." 4 Als in Berlin der Schulkampf tobte, setzte sich Lichtenberg
sehr für die katholische Schule ein. Im Charlottenburger Stadtparlament debattierte er
heftig und gezielt gegen einen immer stärker nach vorwärts strebenden „Schriftsteller"
von der Rechten, den späteren Reichspropagandaminister Dr. Joseph Goebbels. Leider
sind aus jener Zeit keine Stenogramme erhalten.
Aus dem Gebiet der Pfarrei Herz-Jesu war durch die ansteigende Bevölkerungszahl und
die damit verbundene Katholikenzahl 1897 der Pfarranteil Deutsch-Wilmersdorf ausgegliedert und die Pfarrei mit der Kirche St. Ludwig errichtet worden. Als Lichtenberg seine
Pfarrei übernahm, zählte sie 36 000 Seelen, die jetzt in der kleinen Kirche nur unzulänglich am Sonntag Platz fanden. Da eine solch große Gemeinde auch pastoral nicht zu erfassen war, ging der Pfarrer selbst auf Bettelreisen, kaufte mit diesem Geld Grundstücke für
spätere Kirchen, richtete mit Hilfe seines beachtlichen Männervereins (etwa 400 Mitglieder) Gottesdienststellen ein, gewann drei Obere für die Übernahme von Kuratien, bekam
Weltpriester für zwei Kuratien, und er behielt für sich die finanziell schwächste Pfarrei
Herz Jesu. „Strategisch" teilte er sein Pfarrgebiet auf und errichtete in wenigen Jahren
fünf Kuratien. Zwei Kuratien konnte er mit eigenen Kaplänen besetzen, für die drei
anderen gelang es ihm, Orden für die Seelsorge in Charlottenburg zu gewinnen. Die
Kuratie Jungfernheide hat sich erst in unseren Tagen durch die Gründung von Maria
Regina Martyrum verwirklicht. Die Kuratie im alten Ortsteil Martinikenfelde, wohin
auch die von Dominikanern geleitete Kuratie St. Paulus einen Pfarranteil hätte abtreten
sollen, ist bis heute nur in Lichtenbergs Planung geblieben. Diesen Tochtergründungen von
Herz Jesu, die sich zunächst mit Kapellen in Kellern, Reitbahn, Schulaula und Vereinssaal
begnügen mußten, verhalf der Pfarrer zum Aufbau durch die jahrelang ausgedehnten
Bettelreisen und Sammlungen in deutschsprachigen Diözesen.
Diese Gründungen werden nun im einzelnen vorgestellt. Sie geben zugleich ein Bild des
katholischen Lebens im Deutschland des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Als erster Männerorden ließ sich nach Lichtenbergs Wunsch der Jesuitenorden in Charlottenburg nieder. In seinen Sommerferien, die der Fürstbischöfliche Delegat und Propst
Joseph Deitmer noch als Pfarrer von Berlin-Steglitz regelmäßig in Ordrupshoj bei Kopenhagen verbrachte und von wo er sich auch seine Vertretungen holte, kannte er das dortige
deutsche Progymnasium. Außerdem hatte er wie Lichtenberg an der von Jesuiten geleiteten Universität Innsbruck Theologie studiert. Lichtenberg war zu diesem Plan, in Berlin
das erste katholische Gymnasium nach der Reformation in Berlin zu gründen, aus seelsorglicher Besorgnis gekommen, nachdem Auseinandersetzungen mit Vertretern des
evangelischen Bundes und Beobachtungen an der Haltung von Lehrern gegenüber katholischen Schülern vorausgegangen waren. Die angefragte niederdeutsche Ordensprovinz der
Gesellschaft Jesu war durch das ideelle und finanzielle Angebot, auch in Berlin ein
Vollgymnasium aufzubauen, arg in Verlegenheit gebracht. Aber das Berliner Angebot
lockte trotz aller anderen Planungen. Der Provinzial sah ein, daß die Berliner Neugründung
Vorrang vor allen anderen Plänen haben müsse, und gegen den Bischof von Osnabrück
argumentierte er, daß ohne die Hilfe der Jesuiten die Berliner Katholiken, die fast zehnmal
stärker an Zahl und Bedeutung waren als die Hamburger, überhaupt keinen katholischen
höheren Unterricht für die männliche Jugend erhalten, während in Hamburg schon katholische höhere Schulen bis zur mittleren Reife bestanden. 3
Allen anderen verlockenden Angeboten zum Trotz entschied sich die Leitung der nieder193
deutschen Ordensprovinz der Jesuiten für den Aufbau eines Vollgymnasiums in der Reichshauptstadt Berlin. Über die räumliche Lage schreibt der damalige P. Provinzial: „An der
Neuen Kantstraße lag das herrschaftliche, in seiner ganzen Einrichtung sehr solide, um
1906 erbaute Mietshaus und auf dem Platze stand ein zwei Stockwerk hohes, über 1000 qm
bedeckendes früheres Fabrikgebäude mit Zentralheizung, das seit Jahren vom Magistrat
von Charlottenburg gemietet und für die katholische 33. Gemeindeschule eingerichtet
war. Das ganze stellte Pfarrer Lichtenberg für die Gründung von Kuratie und Gymnasium
zur Verfügung." 6
Zunächst wurde die Canisius-Kuratie von der Pfarrei Herz-Jesu abgetrennt, und am
16. November 1921 konnte Jesuitenpater Rembert Richard die erste heilige Messe feiern.
Als Patron hatte man sich den „Praeceptor Germaniae" gewählt, den ersten deutschen
Jesuiten mit dem latinisierten Namen Petrus Canisius. Ihren liturgischen Mittelpunkt fand
die Gemeinde in der am 24. August 1924 benedizierten anheimelnden Kapelle in den
Parterre- und Kellerräumen des späteren Gymnasiums am Lietzensee, Neue Kantstraße 2.
Wegen der Genehmigung zur Gründung des Canisius-Kollegs durch den preußischen
Kultusminister sollte noch Zeit vergehen. Der Antrag auf Bestätigung des Gymnasiums
1923/24 durch den Preußischen Landtag blieb unberücksichtigt, da sich ihm Kultusminister
Otto Boelitz, der Sohn eines evangelischen Pfarrers in Wesel und Direktor des protestantischen Gymnasiums in Soest war, der Genehmigung persönlich widersetzte. Boelitz, seit
1921 Kultusminister, war Mitglied der von der sogenannten Großen Koalition gebildeten
Regierung in Preußen, die zunehmend in Schwierigkeiten geriet. Von der Rechten und
von der Linken wurde dem Zentrum ein Regierungsangebot gemacht mit dem Lockmittel
der Genehmigung des Jesuiten-Gymnasiums in Berlin 7 . Da sich das Zentrum für die
Zusammenarbeit mit der Linken entschied, verlor Boelitz seinen Posten als Kultusminister.
Der bisherige Staatssekretär Carl Heinrich Becker von der Demokratischen Partei wurde
sein Nachfolger. Schon während der Zeit der Vorverhandlungen war er dem Jesuitenkolleg in Berlin wohlwollend gesonnen, um sich damit beim Zentrum den Aufstieg zu
ebnen. Nachdem auch die Frage des Konfessionsverhältnisses im Interesse des künftigen
Canisius-Kollegs als Gymnasium mit rein katholischem Charakter gelöst war, schickte
Kultusminister Becker seine grundsätzliche Zustimmung an den Fürstbischöflichen Delegaten, den Propst und Weihbischof Joseph Deitmer, in der „das Bedürfnis eines katholischen Gymnasiums für Berlin, die Hauptstadt Preußens und des Reiches" 8 anerkannt
wurde. „An die Zentralbehörden seien ständig katholische Staats- und Reichsbeamte zu
berufen, die daheim katholische Lehranstalten für ihre Kinder hatten und in Berlin nicht
missen möchten; sie dürften hier nicht schlechter gestellt werden. So bestehe dieses Bedürfnis einzigartig in Berlin und auch dort nur für eine einzige höhere Lehranstalt für katholische Knaben." 9 In dem Schreiben des Provinzial-Schulkollegiums der Provinz Brandenburg und von Berlin vom 19. Februar 1925, in dem die Genehmigung erteilt wurde, zu
Ostern 1925 eine katholische private höhere Schule für Jungen zu errichten, hieß es dann
noch: „Der Herr Minister hat es im Interesse des konfessionellen Friedens und zur Vermeidung unnötiger Beunruhigung als erwünscht bezeichnet, daß bei der Wahl des Namens
für die neue Schule auf die Empfindungen der evangelischen Bevölkerung Rücksicht genommen wird. Da nach einer Mitteilung des Herrn Fürstbischöflichen Delegaten an den
Herrn Minister seitens der Gründer kein ausschlaggebender Wert auf die Bezeichnung
,Canisius-Colleg' gelegt wird, legen wir im Auftrage des Herrn Ministers nahe, bei der
Wahl des Namens diesem Gesichtspunkte Rechnung zu tragen." 10 Als Name für das
194
Gymnasium am Lietzensee, Eingang.
genehmigte Jesuitengymnasium wurde jetzt ein landschaftsgebundener gewählt, „Gymnasium am Lietzensee", aufgrund der Lage der Schule in der Nähe des sogenannten „Taufbeckens von Berlin", dem Lietzensee.
Als der neue Pfarrer von Charlottenburg, Pfarrer Lichtenberg, zum ersten Mal seine
Riesenpfarrei von etwa 36 000 Seelen durchwandert hatte und nach stundenlangem
Marsch zu seiner Kirche zurückkehrte, sagte er sich: „Dieses Kirchlein soll also der religiöse
Mittelpunkt für ein ganzes Armeekorps von Katholiken sein? Dabei hegt in dieser Pfarrei
noch eine zweite eigene Pfarrei, die Gemeinde der Kranken, dort oben am Spandauer
Berg, das städtische Krankenhaus Westend mit 1000 Betten, auf der Kirchstraße das
ehemalige Krankenhaus der Stadt Charlottenburg, auf der Sophie-Charlotten-Straße und
Pulsstraße das Bürgerhaus, das Auguste-Viktoria-Haus zur Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit, das Entbindungshaus, das Kinderheim, auf der Berliner Straße die Edelsche
Anstalt mit 400 Insassen, gegenüber der Augenklinik der Grauen Schwestern ein Sanatorium und dann eine Menge Privatkliniken, verborgen auf den großen Höfen der Berliner
und Bismarckstraße. Diese große Gemeinde der Kranken und Alten verlangt nach einem
eigenen Pfarrer. Wo nehmen wir den her?" 1
Durch die Anstellung eines vierten Kaplans in der Herz-Jesu-Gemeinde und durch das
Entgegenkommen der Stadt Charlottenburg, die die Aula in der Nehnngstraße 10 für
gottesdienstliche Zwecke an den Sonn- und Feiertagen zur Verfügung stellte, konnte am
ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1914 der erste Gottesdienst für die spatere St-Kamillus-Pfarrei stattfinden. Dieses Datum betrachtet die St.-Kamillus-Gemeinde als ihren
195
Geburtstag. Als Geistlicher wurde ein Kamillianerpater gewonnen, auch konnte der
Provinzial der Kamillianer einen weiteren Mitbruder nach Charlottenburg schicken, um als
Hausgeistlicher der Karmelitinnen und zugleich als Krankenhausseelsorger an den Charlottenburger Krankenanstalten zu wirken, denn gemäß ihrer Regel sind die Kamillianer zur
besonderen Seelsorge an den Kranken verpflichtet. Obgleich dieser Orden zur damaligen
Zeit noch keine selbständige Pfarrseelsorge auszuüben pflegte, machte Rom in diesem
besonderen Falle eine Ausnahme. Am 27. November 1921 konnte der zuständige Bischof
von Breslau, Adolf Kardinal Bertram, die Genehmigung zur Niederlassung des Kamillianerordens und zur Übernahme der Kuratie am Friedrich-Karl-Platz erteilen. In der
Aula Danckelmannstraße wurde der erste Kuratus P. Hubert Beckers am 16. Juli 1921 in
einem feierlichen Levitenamt eingeführt; zugleich wurde in allen Charlottenburger Gottesdiensten angekündigt, daß die ehemalige Reitbahn der Gardekürassiere in der Magazinstraße in eine Kapelle zu Ehren des Ordensstifters, des heiligen Kamillus de Lellis, umgebaut werden sollte. Dieser umgebaute Raum wurde am 25. März 1923 eingeweiht.
Inzwischen hatte die Gemeinde das Grundstück Friedrich-Karl-Platz 7/8 erworben, das
zwischen Miethäusern eingebaut, mit nur geringer Straßenbreite, sich weit in die Tiefe
erstreckt. Hier wurden zunächst Pfarrhaus, Kloster und der Gemeindesaal eingerichtet.
Die St.-Kamillus-Kirche, erbaut nach dem Entwurf von Hermann Mohr, ist umgeben vom
Klostergebäude und vom Pfarramt und wurde am 26. Juni 1932 eingeweiht.
Wie in der Mutterpfarrei Herz Jesu, so weist die Existenz des Kamillusheimes, direkt über
der Kirche erbaut, auf den besonderen Akzent der Seniorenseelsorge in dieser Pfarrei
hin. Die Pflege im Kamillusheim, einem Altenheim mit 47 Plätzen in Einzelzimmern
- früher waren es in Mehrbettzimmern 100 Plätze - , sowie die Betreuung des pfarreigenen
Kindergartens haben heute freie Schwestern und Kindergärtnerinnen übernommen, einen
Dienst, der einst in den Händen der Schwestern Unserer Lieben Frau gelegen hatte.
Da die Kamillianer als ein Krankenpflegeorden gegründet waren, nimmt es nicht wunder,
daß einem Kamillianerpater die Krankenhausseelsorge an den städtischen Krankenanstalten Charlottenburgs, besonders im Universitätsklinikum Westend, anvertraut wurde.
Die Anfänge der St.-Thomas-Gemeinde reichen bis in das Jahr 1913 zurück. Auf Antrag
des neuen Pfarrers der Herz-Jesu-Gemeinde, Bernhard Lichtenberg, genehmigte die
Schuldeputation der Stadt Charlottenburg, daß die Aula der 10. (katholischen) Gemeindeschule in Charlottenburg, Goethestraße 22, gegen Miete für katholische Gottesdienste zur
Verfügung gestellt werden könne, denn es wurde eine gesonderte seelsorgliche Betreuung
der Katholiken des sogenannten Charlottenburger Hochschulviertels angestrebt. Mit der
am 5. Oktober 1913 von Pfarrer Lichtenberg in dieser Aula gefeierten heiligen Messe
begann die Entwicklung der jetzigen St.-Thomas-Pfarrei. Fast zehn Jahre lang blieb diese
Aula das religiöse Zentrum für die Katholiken südlich der Bismarckstraße zwischen
Wilmersdorfer Straße und dem Zoo bzw. dem Knie, ein Gebiet, das wirtschaftlich blühte
und zu den fortschrittlichsten Gemeinden Groß-Berlins gehörte 12 . Eine kirchliche Anfrage
bei der Stadt Charlottenburg, ob ein öffentlicher Platz für den Bau einer römisch-katholischen Kirche zur Verfügung gestellt werden könne, wurde mit dem Hinweis beantwortet,
daß die Plätze der Stadt als Grünflächen gedacht seien13. Doch blieb der künftige Seelsorgebezirk zunächst ohne eigene Kultstätte, denn die Schulaula mußte nach jedem Gottesdienst wieder für den Gesang- und Zeichenunterricht der Schule sowie für Schulfeste
geräumt werden. Nur der leere Notaltar auf einem behelfsmäßigen Podium, durch einen
Vorhang von der Aula getrennt, durfte stehen bleiben 14 . Erst Mitte des Jahres 1922
196
erhielt die werdende Kuratie einen festen eigenen Mittelpunkt, als für einen Preis von
1 500 000 RM das Grundstück Schlüterstraße 72 gekauft werden konnte. In diesem Hause
war das katholische Privatlyzeum für katholische Mädchen unter Leitung von Fräulein
Muche untergebracht, das zweitweilig von etwa 400 Schülerinnen besucht wurde. Als
erster Kuratus wurde der langjährige Kaplan von Herz Jesu, Alois Piossek, bestellt, ein
Seelsorger, der mit den Charlottenburger kirchlichen Verhältnissen bestens vertraut war
und dem bald ein Kaplan beigegeben wurde. Diese am Tage Maria Lichtmeß 1924 durch
Pfarrer Lichtenberg benedizierte Notkapelle St. Thomas und ein Zimmer, das als „Marienkapelle" benutzt wurde, dienten der bis 1936 kanonisch nicht errichteten Kuratiegemeinde
mit einer Seelenzahl von 7000 Katholiken bis zum 13. November 1932, dem Tage der
Benediktion der neuerbauten Thomaskirche in der Schillerstraße 102 durch Generalvikar
Paul Steinmann, als Gottesdiensträume.
Im Hinblick auf die Studenten der Umgebung war die Kapelle dem heiligen Thomas von
Aquin geweiht. Diese Kapelle in der Schlüterstraße, später in St. Benedikt umbenannt,
wurde der Ort, an dem Johannes Pinsk und Romano Guardini ihre Studentengottesdienste
hielten.
Als dritter Männerorden kamen die „Steyler Missionare" nach Charlottenburg. Als im
Jahre 1921 der bekannte Ethnologe P. Wilhelm Schmidt aus der Gesellschaft des Göttlichen Wortes in Breslau seine „Christusvorträge" hielt, befand sich unter den Zuhörern
auch Pfarrer Lichtenberg. Er trag P. Schmidt sein Anliegen vor, seine Riesengemeinde
aufzugliedern, und bat um Vermittlung bei den Oberen, die sich ihrerseits schon mit dem
Plan einer Niederlassung im Berliner Norden getragen hatten. Die Verhandlungen zogen
sich noch ein Jahr hin, bis P. Eustachius Riedel in Berlin eintraf, um seine Wohnung im
St.-Elisabeth-Krankenhaus bei den Grauen Schwestern in der Nußbaumallee 37/39 zu
nehmen. Von diesem Standquartier aus „missionierte" er den westlichen Zipfel desjenigen
Charlottenburger Pfarreigebietes, der bisher am meisten vernachlässigt war. Zu dem dichtbesiedelten älteren Teil zwischen dem heutigen Theodor-Heuss-Platz und der KöniginElisabeth-Straße trat ein ausgedehntes Villengebiet im alten Westend, das sich immer mehr
nach Norden und Westen schob, mit Villen, Lauben, Siedlungen und Wohnblocks.
P. Riedel bemühte sich sehr um die Seelsorge bei den Hausangestellten der reichen Villengegend. Da für diese neue Gemeinde noch keine Kirche vorhanden war, wurde der erste
Gottesdienst am 16. Juli 1922 im St.-Elisabeth-Krankenhaus gefeiert. Weil die Zahl der
Gemeindemitglieder erheblich anwuchs, wurde nun der Gottesdienst in die 1926 neugegründete Kapelle des St.-Hildegard-Krankenhauses, Thüringer Allee 12, verlegt.
Eine neue Epoche begann für die Gemeinde, als durch die tatkräftige Unterstützung Pfarrer Lichtenbergs der Bau der Heilig-Geist-Kirche in der Bayernallee 28 gelang. Weil man
die Kirche nur für ein Provisorium hielt, wurde sie am 18. Dezember 1934 durch Generalvikar Dr. Paul Steinmann nur benediziert.
Martin Braunstorfinger lieferte den Plan zu dem schlichten einschiffig rechteckigen Bau,
dessen rechts angefügter Glockenturm im Erdgeschoß die Eingangshalle bildet. Gedämpftes Licht erfüllt den flach gedeckten Kircheninnenraum durch beidseitige farbige Oberfenster, die christliche Symbole zieren. Bemerkenswert ist die Neugestaltung der Apsiswand durch Goldmosaik und dreizehn rote Feuerflammen des Heiligen Geistes, in die als
Ptingstzeugin auch die Gottesmutter eingeschlossen ist. Nach einer Gesamtrenovierung
des Gotteshauses, die den Zustand des Provisoriums beendete, wurde die Kirche endlich
am 16. November 1960 von Julius Kardinal Döpfner konsekriert. Der Name Heilig Geist
197
weist hin auf die dritte Person der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die der Stifter der Steyler
Missionare besonders verehrt hat. Erwähnenswert ist die Tatsache, daß in ein und derselben Gemeinde alle drei Gründungen von P. Arnold Janssen 15 präsent sind: 1. die Steyler
Patres in der Gemeindeseelsorge, 2. die Dienerinnen des Heiligen Geistes von der ewigen
Anbetung im Anbetungskloster St. Gabriel, das 1937 gegründet wurde, und 3. die Steyler
Missionsschwestern, die von 1934 bis 1974 im St.-Hildegard-Krankenhaus arbeiteten.
Als höhere Mädchenschule war die „Katholische Schule Liebfrauen" entstanden; und zwar
gründete am 13. Mai 1895 Frau von Borell in der Spreestraße die erste katholische Privatschule für Mädchen in Charlottenburg, die später von Frau Burcyk geleitet wurde. 1909
übernahm Frau Direktorin Elfriede Muche die Leitung der Schule, verlegte sie in die
Schlüterstraße 72 und erwirkte ihr die Anerkennung als „Lyzeum Muche". Im Jahre 1926
rief Pfarrer Lichtenberg die Schwestern Unserer Lieben Frau an diese seit 1895 bestehende
private Töchterschule.
Pfarrer Lichtenberg war von einer Genossenschaft zur anderen gewandert, um Schwestern
für seine Schule zu gewinnen. Überall hatte er vergebens angeklopft, bis ihn sein Weg
nach dem kleinen Ort Mühlhausen am Niederrhein geführt hatte, einen Ort, den er nicht
einmal im Baedeker habe finden können. Anfangs schien die Hoffnung gering, aber durch
die Verhandlungen mit der ehrwürdigen M. Maria Antonie gelang es, daß die Schwestern
Unserer Lieben Frau vom 1. April 1926 ab die Schule als „Liebfrauenschule" übernahmen
und weiterführten. Msgr. Lichtenberg blieb der Schule weiterhin als Religionslehrer verbunden und war den Schwestern bis zu seiner Verhaftung durch die Gestapo ein tatkräftiger Freund und Helfer. Sr. Borgia schreibt: „Als es in einer Abstimmung der Stadtverordneten um die dringend notwendige finanzielle Hilfe für die Schule ging, kam er, der selbst
im Stadtrat war, von Wien mit dem Nachtzug herüber, gab seine Stimme ab und fuhr wieder
zurück nach Wien. Die e i n e Stimme hatte die Finanzhilfe durchgebracht." 16 Im Jahre
1927 verlegten die Schwestern Unserer Lieben Frau die „Liebfrauenschule" nach dem
Königsweg 23 und eröffneten eine einjährige allgemeine Frauenschule, einen Kindergarten
sowie ein Internat. 1929 konnten zweijährige Lehrgänge zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen angegliedert werden. In „Maria am See", Kuno-FischerStraße 3, brachte man 1932 einen Teil der Vollanstalt unter, zu der das Lyzeum 1931 ausgebaut worden war. Die erste Reifeprüfung an der „Liebfrauenschule" wurde 1934 abgehalten. Im gleichen Jahre konnten die Schwestern das Schülerinnenheim „Maria Regina"
in der Ahornallee 33 erwerben, ein Grundstück, auf dem noch heute die „Katholische
Schule Liebfrauen" steht.
Neben den großen Pfarreien und katholischen Schulen waren noch andere religiöse Mittelpunkte entstanden, die sich um Schwesternkonvente zentrierten.
Eng mit der seelsorglichen Aufbauarbeit der Herz-Jesu-Pfarrei während der ersten fünfzig
Jahre waren die „Schwestern vom Guten Hirten" verbunden.
Die Wiege der Schwestern der Kongregation Unserer Frau von der Liebe des Guten Hirten
in Berlin stand in Charlottenburg, wo ihr erstes Haus neben der Kapelle in Alt-Lietzow
lag. Auf Veranlassung des Propstes von St. Hedwig, Leopold Pelldram, waren am
11. Februar 1858 vier Schwestern aus dem Provinzialhaus in München nach Charlottenburg gekommen. Obwohl es König Friedrich Wilhelm IV. nicht erwünscht war, eine derartige Anstalt in der Nähe seiner Residenz entstehen zu sehen, gab er doch seine Zustimmung für den Bau des Ordenshauses 17 . Allerdings waren die Räumlichkeiten anfangs sehr
beschränkt. Der Strom der jungen Mädchen, die den Verlockungen der aufsteigenden
198
Anbetungskloster St. Gabriel, Inneres der Kirche.
Großstadt zur Hauptstadt des Deutschen Reiches nicht gewachsen waren, nahm ständig
zu. Sittlich gefährdete Jugendliche, denen die leitende Hand eines sorgenden Elternhauses
meist fehlte, wurden ebenfalls den Nonnen zugeführt. Der Ruf, den die Fürsorge der
Schwestern vom Guten Hirten genoß, war so groß, daß das Charlottenburger Heim bald
überfüllt war, um alle aufnehmen zu können, die ihrer Hilfe bedurften. So plante man die
Erweiterung oder auch die Einrichtung eines neuen Hauses in einer anderen Stadtgegend.
1887 konnte ein altes Fabrikgelände in Berlin-Reinickendorf erworben werden. Für
Charlottenburg war der 8. Februar 1905 insofern ein dies ater, als die Schwestern mit
345 Zöglingen nach Marienfelde übersiedelten, weil sie dort ein großes Grundstück erworben hatten, auf dem nun ihr neues stadtbekanntes Kloster entstanden ist, das sie aber
inzwischen aus Mangel an Schwesternnachwuchs an den Bischöflichen Stuhl abgetreten
haben.
Nur etwa zehn Jahre nach dem Wegzug der Schwestern vom Guten Hirten zogen in die
Räumlichkeiten in der Lützowstraße die Karmeliterinnen vom Göttlichen Herzen Jesu
ein. Diese Kongregation der Konvertitin Maria Teresa Tauscher van den Bosch, einer
evangelischen Pfarrerstochter aus der Mark, ist 1891 auf dem Boden des Delegaturbezirks selbst entstanden. 1915, dem Jahre ihrer kirchlichen Anerkennung als Kongregation mit dem Ziel der Kinderpflege und Waisenerziehung, wurde in Charlottenburg das
St.-Josephs-Heim für heimatlose Kinder gegründet, nach dem Modell des Josephsheims in
der Pappelallee. Hier auf dem größeren Gelände der Niederlassung in Charlottenburg, das
bis zur Spree hinunterreicht, wurde auch das Noviziat untergebracht. Heute wirken die
Karmeliterinnen vom Kloster Sta. Trinita, dem Provinzialhaus, im Kinderheim und in der
Kindertagesstätte von Herz Jesu.
Auf dem Gelände des St.-Hildegard-Krankenhauses, Thüringer Allee 12, befand sich bereits 1870 ein Reservelazarett des Königin-Elisabeth-Regiments. Der Neubau des Garni199
sonslazaretts im Pavillonstil für ein westlich vom damaligen Exerzierplatz gelegenes Grundstück 18 war 1901 fertiggestellt. Bis 1926 soll es als Altenheim gedient haben. Vermutlich
wird für die künftige Trägerschaft und Leitung dieses Hauses auch hier Pfarrer Lichtenberg seine vermittelnde Hand mit im Spiel gehabt haben, denn 1925 erfolgte die mietweise
Übernahme der Anlage durch das Krankenhaus Reichskanzlerplatz GmbH; 1926 schloß
der Deutsche Caritasverband in Freiburg einen Pachtvertrag mit der Stadt Berlin ab und
übernahm die Trägerschaft dieses Krankenhauses. Im gleichen Jahre nahmen die Schwestern von der heiligen Hildegard ihre Arbeit im Krankenhaus auf und benannten es nach
ihrer Schutzpatronin, nach der heiligen Hildegard von Bingen. Sie leiteten es bis zum
1. April 1934, da sie es aus Mangel an Kräften nicht länger halten konnten 19 .
Aus dem Mutterhause zu Breslau stammt die Kongregation der Grauen Schwestern von der
heiligen Elisabeth, die auf Betreiben Eduard Müllers nach Berlin gekommen waren. 1889
zogen sie in die Nußbaumallee 37/39 und gründeten das St.-Elisabeth-Stift, ein Krankenhaus mit fünfzig Betten. Ein kleines Erholungsheim, einen Kindergarten sowie eine Suppenküche für Arme richteten sie ein. Heute leiten sie dort das St.-Joseph-Krankenhaus,
eine Spezialklinik für Augen-, Ohren-, Hals- und Nasenkranke. Ihre Hauskapelle ist die
Urzelle der Heilig-Geist-Gemeinde.
Im Anschluß an seine Teilnahme am Eucharistischen Weltkongreß in Chicago im Jahre
1926, nur mit einer Aktentasche als Reisegepäck, besuchte Msgr. Lichtenberg in Philadelphia das Anbetungskloster der Göttlichen Liebe. Der Wunsch des Pfarrers von Charlottenburg, auch in seiner Gemeinde ein Anbetungskloster zu errichten, traf sich genau mit der
Absicht der Generaloberen, in Schlesien eine Niederlassung zu gründen, nur schwankte
man hier zwischen Berlin und Schlesien. Die Entscheidung von seiten der Genossenschaft
der Dienerinnen des Heiligen Geistes von der Ewigen Anbetung fiel zunächst zugunsten
Schlesiens aus, da der Bischof von Olmütz zu seiner Genehmigung der Gründung in
Leobschütz den Schwestern das frühere Kloster der Schulschwestern anbieten konnte. Die
glaubensmäßige Situation der Millionenstadt Ende der zwanziger Jahre forderte die Errichtung eines Anbetungsklosters in Berlin als Oase der Stille und Anbetung heraus.
Prälat Lichtenberg durfte selbst am 27. Mai 1937 den Grundstein zur Kapelle legen, die
dann Bischof Konrad von Preysing gegen Jahresende konsekrierte. Das Anbetungskloster
St. Gabriel, benannt nach dem Engel der Verkündigung, in Westend, Preußen- Ecke
Bayernallee, ist das einzige Kloster seiner Art in ganz Berlin. Die Steyler Anbetungsschwestern, im Volksmund auch „Rosa Schwestern" genannt wegen ihrer rosafarbenen
Tracht, sehen ihre Aufgabe in der immerwährenden Anbetung, in der restlosen Verfügbarkeit für Gott, um betend die Tätigkeit der Menschen in der Welt zu begleiten, auch
während der Nachtstunden. Neben der Hostienbäckerei und der Paramentenfertigung liegt
heute auch eine wichtige Aufgabe in der Wahrnehmung des Briefapostolats, um dem in der
Großstadt sich einsam Fühlenden Antwort aus dem Glauben zu bieten.
Anschrift der Verfasserin: Eleonore Liedtke, Ceciliengärten 25,1000 Berlin 41
1
2
Neue Dekanatseinteilung vom Dezember 1962, in: Amtsblatt des Bischöflichen Ordinariats Berlin
vom 1. Januar 1963 (35. Jg.), Stück 1, S. 2 f.
Diese Ausführungen lehnen sich stark an die unter dem Namen „Chronik der katholischen Gemeinde von Charlottenburg" geschriebene Pfarrchronik von Herz-Jesu an. Papst Pius DC. dehnte 1856
das Herz-Jesu-Fest auf die ganze Kirche aus.
200
3
Eduard Müllers Grab befindet sich in der St.-Eduard-Kirche in Berlin-Neukölln.
Aufzeichnungen Lichtenbergs aus dem Gefängnis unter dem Pseudonym „Fridolin", Privatbesitz
von Lichtenbergs Pfarrschwester an St. Hedwig, Schwester Stephana Ostendorf.
5
Bernhard Bley, Zur Geschichte des Canisius-Kollegs in Berlin, in: Mitteilungen an die deutschen
Provinzen der Gesellschaft Jesu, 20 (1964), S. 196.
6
Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 195.
7
Bei der zögernden Einstellung der Ministerialbeamten hinsichtlich der Gründung eines Jesuitengymnasiums muß man auch berücksichtigen, daß seit der Aufhebung des „Jesuitenparagraphen" im
Jahre 1917 erst verhältnismäßig kurze Zeit vergangen war.
8
Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 202.
9
Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 202.
10
Bley, Canisius-Kolleg (wie Anm. 5), S. 203.
11
Kamillusbote, 18. Jg. (1971), Mai-/Juni-Ausgabe.
12
Chronik von St. Thomas.
13
Chronik von St. Thomas.
14
Chronik von St. Thomas.
15
Gründer der Gesellschaft des Göttlichen Wortes, kurz Steyler Patres genannt nach ihrem Gründungsort Steyl in Holland an der Maas. P. Janssen stammte aus Goch am Niederrhein und wurde
am Weltmissionssonntag 1975 selig gesprochen.
16
Petrusblatt, Nr. 19 (1976): Sr. M. Borgia: 50 Jahre Katholische Schule Liebfrauen. T. 1.
17
Kabinettsordre vom 19. Juni 1857, abgedruckt bei Wilhelm Gundlach, Geschichte Charlottenburgs.
Berlin 1905, Bd. II, S. 462.
18
Chronik des St.-Hildegard-Krankenhauses.
19
Chronik des St.-Hildegard-Krankenhauses. Die Schwestern von der heiligen Hildegard gingen nach
Alexanderdorf und gründeten später dort das Priorat St. Gertrud.
4
Jugeaderinnerungen an Onkel Toms Hütte
>Von Gertrud Brummer
Die Jugenderinnerungen der heute hochbetagt in einem Altersheim lebenden Gertrud Brummer geb. Kluge führen uns zurück in die große Zeit der Berliner Ausflugslokale um die
Jahrhundertwende, als der Vater der Autorin 1904 das bereits zwei Jahrzehnte bestehende
Ausflugslokal, das heute einem Teil Zehlendorfs seinen Namen gegeben hat, übernahm.
Die hier leicht gekürzten Erinnerungen beginnen mit einer Beschreibung der Baulichkeiten.
Diese entsprachen nicht denen der zuvor vom Vater gepachteten Restaurationen, z.B.
„Habeis Neue Weinstuben" und das „Zoo-Restaurant".
Frau Brummer führt aus:
Hier war ein weites Betätigungsfeld für meinen Vater, Emil Kluge. Während in „Habeis
Weinstuben" alles in hellstem elektrischem Licht erstrahlte, mußten wir in „Onkel Toms
Hütte" mit Handlampen treppauf, treppab und von Zimmer zu Zimmer ziehen. Auf dem
Hof befand sich eine Lampenkammer, in der 40 Messinglampen standen, die alle von
einem dafür zuständigen Hausdiener gewartet wurden. Fließendes Wasser gab es auch
nicht, es mußte mühselig aus zwei Brunnen - einer vor der Waschküche in der Nähe der
Küche und der andere vor dem Garten auf dem mittleren Wagenplatz - herangeschleppt
werden. Zur Wasserspeicherung stand ein großer Kupferkessel vor der Küche zur Verfügung, der durch einen schweren Deckel vor Verunreinigung geschützt war. Diese Mängel
201
waren für ein größeres Restaurant auf die Dauer nicht tragbar, und so mußte Vater viele
Besprechungen mit Dr. Pasewaldt, dem Eigentümer von Onkel Toms Hütte und von dem
ganzen umgebenden Wald, und mit der Gemeinde Zehlendorf pflegen. Das Resultat
dieser Unterredungen war, daß binnen weniger Jahre die Schwierigkeiten aus dem Weg
geräumt wurden und wir elektrisches Licht und fließendes Wasser hatten.
Auch draußen sorgte mein Vater für das Nötige. Er hatte einen Gärtner, der zusammen
mit zwei Hausdienern einen Morgen Wald in einen Garten umwandelte. In diesem Garten
ließ mein Vater mehrere Pfirsichbäume pflanzen, deren duftende Früchte die Bowlen für
die Gäste verschönten. Neben dem Garten wurden allmählich große Mengen Holz gestapelt, und darunter fand ein Fuchs seine Behausung. Nachts bei hellem Mondenschein
hörten wir sein heiseres Gebell, das bis in unsere Schlafzimmer drang. Für uns Kinder ließ
mein Vater Turngeräte anbringen: eine Schaukel, ein Paar Ringe, ein Reck und eine Kletterstange, an denen wir unsere Kräfte erproben konnten.
Montags ging mein Vater meistens nach guten Geschäftssonntagen zur Deutschen Bank
nach Berlin, um dort das Geld - in kleinen Säckchen nach Werten sortiert — abzuliefern. Der
Direktor der Deutschen Bank war damals Mankiewitz, der zu der Zeit auch Berater des
Kaisers war. Als Reiter war er ein regelmäßiger Gast bei uns, und ich lernte ihn kennen,
als er sich im Kontor mit meinem Vater unterhielt, und hatte das Glück, gemeinsam mit
seiner Nichte, Luise Mankiewitz, auf sein Gut Selchow eingeladen zu werden.
Noch weitere berühmte Leute - vor allem Schauspieler, Sänger und Tänzer - verkehrten
bei uns; aus der Diplomatenwelt kehrte Dr. Solf, Staatssekretär im Reichskolonialamt,
oft bei uns ein. Er kam mit seinen „Freitagsherren" jede Woche zum Abendessen und
ließ sich von Küche und Keller verwöhnen.
Eine andere Prominenz, die ich meiner schlechten Augen wegen des öfteren besuchen
mußte, war der Berliner Augenarzt Professor Silex. Sein Wartezimmer war recht prunkvoll eingerichtet. Was mir am meisten imponierte, war ein rundes Sofa, von dem aus man
gut die verschiedenen echten Gobelins bewundern konnte, die an den Wänden hingen. Er
selbst zeigte sich nur im schwarzen Gehrock und kassierte für eine Untersuchung ein
20-Mark-Goldstück. Er riet mir, mich nach der Schulentlassung an Frau Dr. Castner zu
wenden, die in Marienfelde eine Gartenbaulehranstalt leitete, was ich dann auch tat. Herr
und Frau Silex machten weite Spaziergänge im Grunewald, wenn sie müde waren,
pflegten sie bei uns einzukehren und ließen sich den Kaffee - wenn das nur immer möglich
war — in der ersten Etage im Schlafzimmer meiner Eltern servieren. Dabei rauchte Frau
Professor ihre Zigarre, und dies zu einer Zeit, wo ein solches Vorgehen bei Frauen unmöglich war, und gab meiner Mutter zu verstehen, daß es für eine Frau töricht wäre, so zu
schuften. Das Arbeiten sei Sache des Mannes.
In ihren vielen Arbeiten wurden meine Eltern von der „polnischen Anna" unterstützt.
Mein Vater hatte sie auf der Suche nach Personal bei einer Vermittlung angetroffen und
sie gefragt, ob sie Lust hätte, bei uns in der schönen freien Natur zu arbeiten. Sie sagte zu,
und dies war der günstigste Griff seines Lebens. Anna arbeitete sich schnell ein. Sie blieb
20 Jahre bei uns in Onkel Toms Hütte und oblag vielen Pflichten; dazu gehörte das Beziehen der Leutebetten, die damals noch mit rot und blau karierten Bezügen versehen waren.
Ferner zog sie die Küken in der warmen Badestube auf, von denen wir bald hundert Stück
besaßen, auch fütterte sie die Hühner, Kaninchen und Tauben. Eine polnische Eigenart
von ihr war, daß sie meinen Eltern als Dankesbezeugung die Hand küßte. Wir stellten dies
immer mit Erstaunen zu Weihnachten fest. Zwischen ihr und uns Kindern entwickelte sich
202
Restaurant Onkel Toms Hütte, 1907.
bald große Vertrautheit, so daß wir uns auch untereinander duzten. Ihr Charakter war nur
lobenswert.
Als Vater uns einen eleganten, offenen Landauer kaufte, waren wir hell begeistert. Er war
dunkelblau ausgeschlagen, und noch heute sehe ich seine Lampen leuchten. Er wurde in
dem Raum untergestellt, wo die große Wäschemangel stand und auf das sorgsamste gepflegt. Außer dem Landauer besaßen wir noch eine Art Kremser, der zu den Markttagen
in Zehlendorf gebraucht wurde, und einen hohen vierrädrigen Wagen, der uns jeden Tag
zur Schule beförderte.
Im Winter war das Aufregendste für uns Kinder der Besuch der „Eiser", die mit schweren
Pferden und Wagen kamen und die Stille der Natur mit dem Geräusch ihrer Eissägen
unterbrachen. Sie hatten natürlich durch ihre schwere Arbeit einen gesunden Appetit und
wurden auch immer bestens von meiner Mutter verpflegt. Das vom Riemeistersee losgesägte Eis, das der Frischhaltung des Fleisches diente, wurde auf die Wagen geladen und
zu einem Teil in den muffig riechenden Eiskeller gebracht oder auch in die unterirdische
Kelleranlage unter dem Hof. Ein anderer Teil des Eises wurde im Walde gelagert und durch
eine dicke Schicht Kiefernnadeln gegen die Sommerhitze geschützt. Wir Kinder wußten
damals nicht, daß Kiefernnadeln ein so gutes Isolationsmittel darstellen, so daß sich das Eis
bis zum Hochsommer hielt. War dieses Eis verbraucht, so kamen die anderen, besser geschützten Eisvorräte an die Reihe.
Im Winter war der Besitz eines Schlittens unumgänglich. Unser Gefährt galt als besonders
schön, es war wie eine Muschel gestaltet und mit hellgrünem Samt ausgeschlagen. Wir
Kinder saßen mit Fußsäcken voller heißer Steine im Fond des Schlittens, und der Kutscher
thronte hinter uns, mit Stroh in den Stiefeln. Während die Winter sehr kalt waren, waren
die Sommer damals oft unerträglich heiß. Im Sommer 1911 trocknete der Riemeistersee
plötzlich aus. Zentnerweise blieben die Fische obenauf liegen. Niemand konnte sich der
Gefahr aussetzen, in dem schlammigen Untergrund zu versinken, und so blieben die
Fische als Futter für die Krähen. Das Austrocknen und somit Verschwinden des Sees war
203
ein großer Verlust für die Schönheit der Gegend, der uns und das Publikum sehr traf, zumal sich unmittelbar am See ein kleines Restaurant etabliert hatte, von dem man die
Schwäne und die Wasserrosen bewundern konnte. Dieses kleine Restaurant war sehr beliebt, da die Gäste dort in Hemdsärmeln sitzen konnten, während das oben bei uns in
Onkel Toms Hütte streng verboten war.
Meine Mutter, eine sehr tüchtige und ordnungsliebende Partnerin meines Vaters im Geschäft, verstand es, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden. Sie ging nie spazieren,
ohne zugleich alle herumliegenden Papiere aufzuheben. Dabei traf sie auf „Kümmelneese",
der vor dem Eingang unseres Restaurants an der Chaussee Ansichtskarten verkaufte und
mit einem kräftigen Zug aus der Flasche seinen Durst vertrieb. Nicht weit ab von „Kümmelneese" hatte Herr Richter ein kleines Holzhäuschen, in dem er Unterschlupf fand, und
einen Leierkasten, dessen Melodien bis nach Onkel Toms Hütte hinhallten. Während
„Kümmelneese" ein alter Mann war, stand Herr Richter in den besten Jahren. Er hatte ein
Bein im Kriege 1870/71 verloren, und sein Einkommen bezog er durch die Bezahlung
beim öffnen des großen Gatters über die Spandauer Chaussee (Onkel-Tom-Straße).
Meine Mutter lehrte uns frühzeitig, daß man seinen bedürftigen Mitmenschen helfen muß,
und kein Tag verging, an dem wir Kinder diesen beiden Männern nicht einen Teller Suppe
hintrugen, über den sie sich stets sehr freuten. Meine Mutter hatte in der Jugend am eigenen
Leibe erfahren, wie ihre Eltern durch die Industrialisierung der Webereien arbeitslos
wurden und sich nicht ein Mensch um sie kümmerte. Darum ging Mutter mit 13 Jahren zu
Frau von Böse und lernte dort die Hauswirtschaft. Meine Mutter und Anna sorgten überall
für die peinlichste Sauberkeit. So kümmerten sie sich darum, daß der Hof, auf dem die
Angestellten unter einer großen Kastanie ihre Mahlzeiten einnahmen, stets blitzblank war.
Es war immer ein großes Hallo, wenn der Hof gescheuert wurde. Meine Mutter stand mit
einem dicken Straßenbesen da und die Hausdiener mit Wassereimern und Schläuchen; sie
spülten die Wanderwege der zahlreichen Ratten durch, die dann - ins Freie getrieben - von
dem kräftigen Biß eines Hundes ins Jenseits befördert wurden.
Da meine Eltern mit der Führung des Restaurants vollauf beschäftigt waren, hielten sie es
für angemessen, eine Gouvernante und eine Klavierlehrerin für uns einzustellen.
Eine der Gouvernanten, Fräulein Matrowitz, brachte es fertig, unseren sehr beliebten
Oberkellner zu heiraten und ihn nach einiger Zeit sogar zu entführen. Dies war ein Schlag,
der meinen Vater sehr traf, da besagter Oberkellner nicht nur sehr beliebt bei den Gästen
war, sondern es außerdem ausgezeichnet verstand, die Speisekarten mit großem Schwung
und Geschick fertigzustellen. Daß es ihm bei uns nicht schlecht ging, geht daraus hervor,
daß wir ihn eines Abends, als alle Gäste schon weg waren, lang ausgestreckt neben seinem
Stuhl auf dem Boden der Gaststube schnarchend fanden. Aus seinen Taschen waren zahlreiche 10- und 20-Mark-Goldstücke herausgerollt. Er hatte wieder einmal zu tief ins Glas
geschaut, aber seine Frau brachte es schließlich fertig, ihn von seiner Trunksucht zu kurieren. Er nahm jedoch ein tragisches Ende, Seine Frau wurde schwer krank und verstarb.
Er wußte sich allein nicht zurechtzufinden und machte seinem Leben ein Ende. Regelmäßig
engagierte Vater einen Seifensieder, der im Sommer selbständig aus Fettstücken, die in
großen Bottichen gelagert waren, Seife herstellte. Es war dies ein sehr durchdringender
Geruch; aber wenn die Seife erst in Riegeln trocknete, so war die unangenehme Seite überstanden, und wir konnten uns auf die handlichen Stücke, die Mutter dann schnitt, freuen.
Meine Eltern waren sehr tierliebend, und wir Kinder erbten diese Vorliebe von ihnen. Als
wir 1904 Onkel Toms Hütte übernahmen, stand im Stall ein schöner, schwarzer, hoch204
Restaurant Onkel Toms Hütte, 1909.
gewachsener Hengst, Neuling genannt. Zu unserem großen Leidwesen erkrankte er an
Darmverschlingung, und es blieb nichts anderes übrig, als das schöne Tier vom Tierarzt
erschießen zu lassen. Eine Menge Schwalben hatten wir als Hausgenossen, und in der Nacht
machten sich die Eulen bemerkbar, deren Schreie ich fürchtete, da man mir erzählt hatte,
daß bei jedem Eulenruf ein Mensch sterben müsse.
In der Nähe der Gartentür stand ein großes Wasserfaß mit einer stark duftenden Pflanze,
wo sich von Zeit zu Zeit eine possierliche Kröte sehen ließ. Sie verstand es, mit den Hinterbeinen ein Loch in die Erde zu graben, ohne daß das augenfällig war, und in diesem Loch
verschwand sie allmählich, was beinahe wie Hexerei wirkte. Wenn ich abends im Bett lag,
konnte ich sie mir nur mit einer Krone auf dem Köpfchen vorstellen, so entzückend und
märchenhaft fand ich dieses Tier. Weniger schön fanden meine Eltern die zahlreichen
Frösche, die ein großes Konzert auf der Wiese veranstalteten und sie mit ihrem Gequake
nachts nicht schlafen ließen. Diesen Fröschen dienten Millionen von Mücken als Nahrung.
Letztere waren für unsere Gäste alles andere als angenehm, während wir gegen Mückenstiche immun waren. Ein großes Vergnügen bestand für uns Kinder darin, auf der Wiese
mit den Füßen zu stampfen, was das Erscheinen einer lustig hopsenden Schar von Fröschen
hervorrief. Drückte man vorsichtig auf die Kehle dieser possierlichen Tierchen, so verfielen sie in eine kurze Betäubung, die wir dazu nutzten, sie reihenweise hinzulegen. Wer
von uns die längste Reihe hatte, war „Sieger". Freude hatten wir Kinder gleichfalls an
zahmen Eichhörnchen, die sich in einem offenen Käfig tummelten, der neben dem sogenannten Eiskeller lag. Die Tierchen besaßen sogar einen Kletterbaum in ihrem aus zwei
Riesenkisten zusammengestellten Bau und fühlten sich so wohl bei uns, daß sie ein Nest
bauten. Wir waren natürlich hell begeistert, als Nachwuchs ankam.
Mein sonst so freundlicher Vater konnte sehr ungemütlich werden, wenn nicht vorsichtig
genug mit dem Geschirr umgegangen wurde, das viel Unkosten verursachte, denn in den
205
Der Restaurant-Garten Onkel Toms Hütte, um 1928. Links im Bild das Restaurant nach dem um 1925
durchgeführten Umbau. Für die Innenausstattung hatte der Bauhaus-Meister Hinnerk Scheper den
Entwurf geliefert.
Friedensjahren von 1904 bis 1914 kam jedes Jahr ein Wagen - später ein Auto - von der
Firma Jacobi heraus zu uns, der Ersatzgeschirr brachte. Eine Lieblingsbeschäftigung meines Vaters war es, auf das Barometer zu klopfen, um festzustellen, wie wohl das Wetter
werden würde, was von ausschlaggebender Bedeutung für den Restaurantbetrieb war. An
schönen Fest- und Sonntagen kamen bis zu 300 Reiter zu uns heraus. Da der vorhandene
Platz für die Pferde nicht ausreichte, ließ mein Vater noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg
20 neue Stände auf dem Schwarzen Weg" errichten. Wie groß unser Restaurant war,
kann man daran ermessen, daß vor dem Kriege um die 30 Kellner an schönen Sonntagen
beschäftigt waren. Zur Kaffeezeit schleppten sie Tabletts mit 20 Tassen Kaffee, der zu dieser Zeit ausschließlich dreipfundweise gebrüht wurde. In der Küche wirkten zwei Köche,
und in der „kalten Küche" arbeiteten eine Mamsell und unsere Tante Jennie, die nie
ohne ihr Tageblatt und Aufsätzen von Theodor Wolff in ihrem Zimmer verschwand, denn
sie war eine politisch sehr interessierte Persönlichkeit. Die zum Abwaschen nötigen zwei
Männer wurden bei Bedarfsfall per Telefon herangerufen. Sie mußten schwere Körbe
voller schmutzigen Geschirrs vom Garten in die Abwaschküche schleppen, und für diese
Arbeit waren Männerkräfte erforderlich. Abends wurde mit den Kellnern abgerechnet,
und wir Kinder setzten zur Addition die Registrierkasse in Bewegung. Damit dem Personal die Zeit nicht zu lang wurde, hielt meine Mutter einen Riesentopf mit einer vorzüglichen Brühe auf dem Feuer, mit der sich unsere Mitarbeiter stärken durften.
1913/14 kamen die ersten Autobusse zu uns nach Onkel Toms Hütte heraus vom Zoo und
anderen Abfahrtsstellen. Damit die Autobusse beim Wenden nicht im Sande stecken206
blieben, wurden riesige Sandflächen mit Quadersteinen unterlegt. Welch ein Gewühl war
das! Menschen, Räder, Motorräder, Autos in jeder Größenordnung, Autobusse und
Kutschwagen. E s war nicht zu übertreffen. Dies blieb bis zum Kriegsbeginn 1914 so. D a nach ging es nur noch bergab.
Anschließend kann man wohl sagen, daß wir ein arbeitsreiches Leben in Onkel Toms Hütte
führten, aber auch ein sehr glückliches. Meinen Eltern blieben noch 15 ruhige Jahre des
Privatlebens nach Aufgabe des Restaurants im J a h r e 1924.
Die Fotos stammen aus dem Archiv Hans-Werner Klünner.
Nachrichten
Forschungsvorhaben „Berlin — Symbol der Konfrontation,
Prüfstein der Entspannung"
Die Stiftung Volkswagenwerk hat dem American Council on Germany (New York) einen Betrag von
etwa 200 000 DM für eine Studie bewilligt, in der die Nachkriegsgeschichte Berlins erforscht werden
soll. Schwerpunkt der Untersuchungen wird das Viermächte-Abkommen von 1971 und dessen
Anwendung sein. Weitere Gegenstände der Forschung sind im Rahmen der allgemeinen Ost-WestBeziehungen die Blockade, die Ära Chruschtschows, die Beziehungen zwischen Berlin (West) und
der Bundesrepublik Deutschland, die innerdeutschen Abkommen sowie die Mitgliedschaft in der
UNO. Es ist vorgesehen, daß amerikanische und deutsche Wissenschaftler in Arbeitsgruppen, bei
Vortragsveranstaltungen und in Seminaren mit ehemaligen und noch tätigen Politikern aus Deutschland und aus den Vereinigten Staaten zusammentreffen.
H. G. Schultze-Berndt
Beiträge des Architekten Fritz Rothstein zur Berliner Denkmalpflege
Im Märkischen Museum wurde parallel zu der des großen Interesses wegen bis Februar 1980 verlängerten Heinrich-Zille-Ausstellung eine Sonderschau der Beiträge des Architekten Fritz Rothstein
zur Berliner Denkmalpflege von 1948 bis 1975 gezeigt. Aus Entwürfen, Modellen, Fotografien und
Veröffentlichungen konnte abgelesen werden, welchen Objekten in Berlin (Ost) das Bemühen Fritz
Rothsteins galt. Am bekanntesten wurde er durch die Neugestaltung des Köllnischen Parks mit dem
steinernen Freilichtmuseum und durch die Verpflanzung und den Umbau des Ermeler-Hauses.
H. G. Schultze-Berndt
25 Jahre Institut für Denkmalpflege in Ost-Berlin
Das Institut für Denkmalpflege in Ost-Berlin konnte im September 1979 auf ein Vierteljahrhundert
seines Bestehens zurückblicken. Es verfügt über fünf Arbeitsstellen in Berlin (für die Bezirke Potsdam,
Frankfurt/Oder, Berlin), Dresden (für Cottbus, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig), Erfurt (für
Gera, Suhl, Erfurt), Halle (für Magdeburg, Halle) und Schwerin (für Rostock, Schwerin, Neubrandenburg). Das Institut berät bei denkmalpflegerischen Maßnahmen, wirkt bei der Ausbildung des Nachwuchses mit und arbeitet an einer Denkmälerliste, die gegenwärtig 40 000 Objekte umfaßt. Die 1977
gegründete Gesellschaft für Denkmalpflege beim Kulturbund der DDR unterstützt das Institut.
207
Dieser Gesellschaft gehören mittlerweile 260 Interessengemeinschaften mit 3500 Mitgliedern an,
deren Hilfe beim Erfassen und Betreuen von Denkmälern eine wertvolle Ergänzung bildet. Aus
Anlaß des Jubiläums wies Generalkonservator Professor Dr. Ludwig Deiters auf die wachsende
Bedeutung der historischen und zeitgeschichtlichen Denkmale im Bewußtsein der Öffentlichkeit hin.
Insbesondere würdigte Professor Deiters die Forschungsarbeit des Instituts zur Methodik und Technik
der Denkmalpflege.
H. G. Schultze-Berndt
VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow
Der seit rund drei Jahren bestehende VEB Denkmalpflege in Berlin-Treptow sorgt mit seinen etwa
160 Mitarbeitern in Ost-Berlin und in den benachbarten Bezirken für die Erhaltung und die Wiederherstellung von nahezu 50 Denkmälern. Die Arbeit wird von einer Vielzahl von Handwerkern geleistet (Maurer, Putzer, Zimmerer, Elektriker, Tischler, aber auch Stukkateure, Kunstschmiede, Kunsttischler sowie Restauratoren), die in diesem Betrieb auch eine Spezialausbildung erhalten. Das Institut für Denkmalpflege arbeitet eng mit dem VEB Denkmalpflege zusammen und sorgt für dessen
Aufträge.
Gegenwärtig werden die Innenräume des Schlosses Köpenick, 1674 bis 1685 von Rütger van Langerveld in holländischem Barock erbaut, wiederhergestellt. 1980 sollen u.a. auch die Fassade und der
Säulengang des 1824 bis 1830 von Karl Friedrich Schinkel erbauten Alten Museums restauriert werden. Bereits im Dezember 1979 konnten die Spittelkolonnaden in der Leipziger Straße, 1776 von Carl
von Gontard entworfen, in der Nähe ihres ursprünglichen Standortes wieder der Öffentlichkeit übergeben werden.
SchB.
Denkmalschutz für Treptower Bruno-Taut-Siedlung
Die Siedlung „Am Falkenberg" im Bezirk Treptow, 1913 bis 1915 nach Plänen von Bruno Taut
errichtet, wurde in die Bezirksdenkmalliste von Ost-Berlin aufgenommen. Die Verwaltung hat den
Bewohnern dieser Siedlung in einem Faltblatt die Entstehung dieser Gartenstadt-Siedlung mitgeteilt und versucht, Anregungen zu vermitteln, wie das schöne Gesamtbild erhalten bleiben kann.
Weitere Gegenstände der Denkmalpflege in Treptow sind u.a. das Jugendstilhaus Scheiblerstraße 27,
zu Beginn unseres Jahrhunderts als Musterbau einer Bauausstellung errichtet, das ehemalige Späthsche Wohnhaus am Arboretum sowie Wohnhäuser, die 1905 unter dem Einfluß des Jugendstils erbaut wurden und jetzt sorgfältig restauriert worden sind.
SchB.
Märkisches Museum umgebaut
Die gegenwärtig noch laufenden Arbeiten zur Renovierung der Ausstellungsräume im Erdgeschoß
des Märkischen Museums sollen Mitte 1980 abgeschlossen sein. Die ständige Ausstellung zur Berliner
Geschichte von den ersten Spuren der Besiedlung vor 8000 Jahren bis 1848 wird dann wieder zugänglich sein. Der Abschnitt zur Stadtentwicklung zwischen 1648 und 1813 sowie die anderen Ausstellungsbereiche wurden überarbeitet. Im April gedachte das Märkische Museum mit einer Studienausstellung in der Eingangshalle des 110. Geburtstags Lenins und seiner Besuche in Berlin, im Mai des
traditionsreichen Berliner Volkstheaters der Familie Rose.
Im ersten Quartal 1980 verzeichnete das Märkische Museum annähernd 25 000 Besucher.
SchB.
Alter Hörsaal in Ost-Berlin renoviert
Der Hörsaal für experimentelle Physik der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 42 weist die
typischen architektonischen Merkmale eines solchen Saales aus den Anfängen unseres Jahrhunderts
auf. Er wurde jetzt unter Aufsicht der Denkmalpflege gründlich renoviert, wobei darauf geachtet
wurde, daß er in seinem Charakter erhalten blieb.
SchB.
208
Von unseren Mitgliedern
Mitgliederversammlung 1980
Vor einem leider nur kleinen Auditorium konnte der Vorsitzende Dr. G. Kutzsch die Ordentliche
Mitgliederversammlung am 6. Mai 1980 mit der Totenehrung einleiten. Seit der letzten Hauptversammlung sind die folgenden Mitglieder verstorben, zu deren Ehren sich die Anwesenden von ihren
Plätzen erhoben:
Herbert Adam, Horst Behrend, Professor Volkmar Denckmann, Gertrud Dreusicke, Alfred Hartmann, Dr. B. von Hartmann, Werner Haube, Irmgard Herrmann, Herman Holzhausen, Dr. Katharina
Hussels, Dr. Joachim Lachmann, Margarete Muthmann, Otto Penneckendorf, Gerhard Raths,
Annelise Richter, Lothar Schulz.
Der Tätigkeitsbericht des Schriftführers und der Kassenbericht der Schatzmeisterin lagen vervielfältigt vor. Einige Fragen wurden von den beiden Vorstandsmitgliedern zur Zufriedenheit der Fragesteller beantwortet. Aus dem Bibliotheksbericht von H. Schiller wurde von C. P. Mader zitiert, daß
bei den Mitarbeitern keine Veränderungen eingetreten sind, der Leihverkehr weiter zunimmt und die
Zusammenarbeit mit den Besuchern gut ist. Eine Modifizierung der Einstellweise ist in Angriff
genommen worden. Zur Unterstützung der Bibliotheksbetreuer wird ein Ausschuß erbeten.
Die Kassenprüfung am 4. Februar 1980 hat nach Testat der Kassenprüfer Degenhardt und Kretschmer
keine Beanstandungen ergeben. Dies gilt auch für den Bericht der Bibliotheksprüfer Frau Bannier
und M. Mende, deren Anregungen berücksichtigt werden sollen.
In der Aussprache stellt Frau I. Köhler im Namen der Bibliotheksbetreuer den satzungsgemäßen
Antrag, die Öffnungszeiten der Bibliothek von freitags auf mittwochs zu verlegen. In einer Abstimmung schloß sich die überwiegende Mehrheit der Anwesenden diesem Vorschlag an. Hinsichtlich des
von Dr. Hugo angeregten Neudrucks des Mitgliederverzeichnisses ermächtigte die Versammlung den
Vorstand mit Mehrheit, dem Vorschlag des Schriftführers folgend ein Mitgliederverzeichnis in ansprechender Aufmachung mit einem Limit von 5000 DM zu drucken.
Mit einem Dank für die geleistete Arbeit beantragte Landgerichtsrat a.D. Rechtsanwalt D. Franz die
Entlastung des Vorstands. Diesem Antrag wurde ebenso einmütig stattgegeben wie der Wiederwahl
der bewährten Mitglieder Degenhardt und Kretschmer zu Kassenprüfem und der Bestätigung von
Frau Bannier und M. Mende als Bibliotheksprüfer.
Dem Ehrenmitglied W. Mügel und seiner Gattin, die beide am Tage der Mitgliederversammlung ihr
79. Lebensjahr vollendeten, wurden die Glückwünsche des Auditoriums übermittelt. Bezirksbürgermeister Lindemann hatte gebeten, der Mitgliederversammlung seine besten Grüße zu übermitteln.
Am Jahresbeginn 1980 hatte die Bibliothek einen Bestand von rund 10 000 Bänden; die Zahl der
Mitglieder belief sich auf 895.
H. G. Schultze-Bemdt
*
Unser Mitglied Pastor Heinrich Albertz, der frühere Regierende Bürgermeister, ist mit dem von der
SPD gestifteten „Gustav-Heinemann-Bürgerpreis" für 1980 ausgezeichnet worden. In der Begründung für die Verleihung heißt es, Albertz habe sein ganzes Leben lang mutig und folgerichtig die
Bürgertugenden bewiesen und die Grundsätze verwirklicht, die mit dem Preis allen Bürgern eingeschärft werden sollten.
SchB.
*
Unser Schriftführer, Dr. Hans Günter Schultze-Bemdt, ist auf dem Deutschen Braumeistertag in
Hamburg am 3. Mai 1980 in das Präsidium des Deutschen Braumeister- und Malzmeister-Bundes
(Technisch-wissenschaftliche Vereinigung) e.V. gewählt worden.
*
Unsere Schatzmeisterin Frau Ruth Koepke bittet, daß sich derjenige telefonisch melden möge, der
12 DM als Restzahlung für 1980 überwiesen hat, ohne den Absender anzugeben.
209
%
Walter Mügel t
Unser langjähriges Mitglied, unser Freund und Gönner Walter Mügel, ist 79jährig verstorben.
Geboren im alten Deutsch-Wilmersdorf, wurde bald Charlottenburg sein Heimatbezirk, in dessen
Dienst er auch sein berufliches Wirken stellte. Als Verwaltungsdirektor des Bürgerhaus-Hospitals
und der Frauenklinik schied er 1966 aus dem Amt, um einen wohlverdienten Ruhestand zu genießen.
Nahezu 30 Jahre lang war Walter Mügel Mitglied unseres Vereins. Er begnügte sich nicht mit dem
Besuch der Vorträge und Stadtführungen - den Mann, der so überzeugt vom Werte geschichtlicher
Kenntnisse für unsere Gegenwart war, drängte es nach Mitarbeit und Mitgestaltung im Verein der
Freunde der Stadthistorie. Seine reichen Verwaltungskenntnisse konnte er als unser Schatzmeister
vieljährig nutzen. In zahlreichen Sitzungen diente Walter Mügel dem Vorstand mit Rat und Tat: Auch
daß wir Räume im Rathaus Charlottenburg für unsere Veranstaltungen erhalten und für die Bibliothek ein Unterkommen finden konnten, verdanken wir ihm. Am 27. November 1973 wurde er
unser Ehrenmitglied („Mitteilungen", Oktoberheft 1973). An dieser Stelle sei auch auf die Beiträge
in den „Mitteilungen", Juliheft 1971 und Aprilheft 1976, hingewiesen.
Walter Mügel war immer für uns da, wenn wir ihn brauchten und nach ihm riefen. Wir danken ihm
für seine Bereitschaft und seine Arbeit in unserem Kreise und werden stets seiner in Ehren gedenken.
Gerhard Kutzsch
Jjemchim Lachmann f
Im 81. Jahr seines Lebens starb Joachim Lachmann am 1. Juni 1979 in Berlin, der Stätte seines langjährigen Wirkens. Wer den kleinen, schmächtigen, immer leicht gebeugt dahergehenden Mann kannte,
hätte ihm das Erreichen eines fast biblischen Alters nicht zugetraut. Oft genug warfen Krankheit
und Schwäche den anscheinend so Zerbrechlichen nieder, aber ein starker Wille zu Gesundung und
Leben, auch die unermüdliche Pflege durch seine Gattin, verliehen ihm immer wieder die Kraft des
Überwindens aller physischen Malaisen. Viele Reisen dienten gleichem Zweck - für Österreich und
die Schweiz hatte man in Joachim Lachmann so etwas wie einen lebendigen Baedeker vor sich,
der auch über den entlegensten Winkel eines Alpentales noch einiges zu berichten wußte.
Gemessene Distanz zum Archivwesen seitens der Oberen in der Berliner Verwaltung ließen den
Jahrzehnten steter Leitung des Stadt- bzw. Landesarchivs durch Ernst Kaeber, der 73jährig 1955 in
den Ruhestand trat, viele Jahre der Unbeständigkeit und Unruhe folgen: 1965 erhielt das Landesarchiv
seinen fünften Chef innerhalb der verflossenen Dekade. Joachim Lachmann sah sich immer wieder
in der Rolle eines Leiters „in Vertretung", ein Zustand, gewiß so unerquicklich für ihn wie für
die Mitarbeiter. Ihnen war er ein freundlicher und milder Vorgesetzter, voll des Verständnisses für
ihre Probleme und Kümmernisse, deren in den ersten Nachkriegsjahren nicht wenige waren. Heftige
Erregungen über quer gelaufene Dinge waren Teil seines Naturells und klangen so schnell ab wie sie
aufgekommen waren. Nachtragend war Joachim Lachmann nie. Er schuf sein Arbeitspensum am
Schreibtisch, soweit seine Kräfte es ihm erlaubten. Der Beruf als Stadtarchivar, also „Pflicht", und
die Neigung des gebürtigen Berliners, genauer Charlottenburgers, zum heimatlichen Bereich, verbanden sich zu jenem eindringlichen und gepflegten Interesse, das er an der Stadt und ihrem Leben
210
in Vergangenheit und Gegenwart stets nahm. Er war ein rühriges Mitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, in dessen Vorstand er jahrelang saß, und der Landesgeschichtlichen Vereinigung. An
ungezählten Vortragsabenden beider Vereine konnte er regelmäßig begrüßt werden, meist in Begleitung seiner liebenswürdigen Gattin. Er bearbeitete die „Berlin-Bibliographie" unseres Jahrbuchs „Der
Bär von Berlin", war Literaturrezensent und Schriftleiter der wiedererstandenen „Mitteilungen" des
Geschichtsvereins.
Joachim Lachmann wurde am 11. Oktober 1897 in Charlottenburg geboren, damals noch eine selbständige Großstadtgemeinde westlich Berlins gelegen. Im Gegensatz zum Vater, der Professor am
Preußischen Meteorologischen Institut war, fühlte sich der Sohn zu den Geisteswissenschaften hingezogen und studierte Geschichte, Germanistik und Theologie in Berlin und Innsbruck. Seinen
Lebensunterhalt und die Mittel zum Studium mußte er sich als Werkstudent nebenbei verdienen, Vater
und Mutter waren verstorben. Im geselligen Kreis pflegte sich Joachim Lachmann gern seiner Jahre
als Studienreferendar zu erinnern, die er im Anschluß an das Staatsexamen für das höhere Lehramt
(1926) an der Mädchen-Oberrealschule in Gaienhofen bei Konstanz verbrachte. Mit einer magnacum-laude-Dissertation über „Die männlichen Orden und Kongregationen der Katholischen Kirche
in Preußen von 1815 bis 1929" promovierte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität zum Dr. phil.
(1929). Der anschließende Besuch des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin-Dahlem (Mai 1930 bis September 1931) stellte die Weichen seiner Lebensbahn um und verhalf ihm zu seinem endgültigen Beruf. Er volontierte ein halbes Jahr am Geh. Staatsarchiv (1931/32) und war anschließend, als Stipendiat von dessen Publikationsstelle tätig, insbesondere mit der Bearbeitung der die Ostprovinzen betreffenden Archivalien beschäftigt. Zu diesem
Zweck ließ er sich 1934 noch schriftlich und mündlich in der polnischen Sprache prüfen. In wirtschaftliche Bedrängnis geraten, bemühte sich Joachim Lachmann um Anstellung im Staatsdienst, der
die Zugehörigkeit zur Staatspartei fast als conditio sine qua non voraussetzte. Es ist ihm gewiß nicht
leicht gefallen, ihr beizutreten. Tatsächlich wurde er 1937 von der Preußischen Archivverwaltung
eingestellt und dem Staatsarchiv Breslau zur Dienstleistung überwiesen. Eine Arbeit über „Die schlesischen Urbare und ihre Bedeutung für die landesgeschichtliche Forschung" konnte infolge der
Kriegsverhältnisse nicht abgeschlossen werden. Anfang 1943 wurde Lachmann in Vertretung des
zur Wehrmacht einberufenen Leiters des oberschlesischen Staatsarchivs nach Kattowitz versetzt; im
Februar 1945 verfügte der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive seine Rückkehr nach Berlin.
Die schwierige frühe Nachkriegszeit sah ihn zunächst im Dienste des Evangelischen Konsistoriums
der Mark Brandenburg an der Arbeit zur Sicherung, Verzeichnung und Wiederherstellung der aus den
Ostgebieten der Landeskirche nach Berlin verbrachten Kirchenbücher. Seit 1947 wirkte Joachim
Lachmann als Archivrat beim Stadtarchiv Berlin, dem späteren Landesarchiv (1951), dem er noch
kurzfristig als Direktor vorstehen konnte, bevor er am 31. Oktober 1962 mit dem Erreichen der
Altersgrenze die Bürde der Amtsgeschäfte niederlegen durfte.
Gerhard Kutzsch
Hochherzige Spende von Dr. Heinz Hugo
Anläßlich der 50. Wiederkehr des Jahrestages seines Eintritts in unseren Verein hat Dr. Heinz Hugo
eine großzügige Geldspende gemacht und dem Verein wertvolle Dokumente übereignet. Dr. Heinz
Hugo ist seit einem Vierteljahrhundert Matrikelführer des „Herolds", Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften (Berlin), und hat im Rahmen einer biographischen Forschungsarbeit, als deren Ergebnis allmählich eine Herold-Gesamtmatrikel seit 1869 entsteht, bisher etwa 120
Menschen aus allen Jahrzehnten festgestellt, die sowohl dem Herold als auch unserem Verein angehört haben, die meisten von ihnen mit Lebensläufen. Nach Abschluß seiner Arbeit will Dr. H. Hugo
diese „Zweibändermänner" in einer Art Simultan-Matrikel beider Vereinigungen festhalten und ein
Exemplar davon dem Archiv übergeben. Mit einem Gruß an unser verdienstvolles Mitglied Dr. Heinz
Hugo und mit einem Dank seien hier seine Zeilen wiedergegeben: „Ich bin nämlich der Meinung, daß
alte kulturelle Gesellschaften etwas von den Menschen wissen und es bewahren sollten, die sie getragen
haben: es ist das ein Stück ihrer Geschichte und ihr sich wandelndes Antlitz. - Ein winziges Pflaster
also auf die unheilbare Wunde des Verlustes unserer alten Vereinsmatrikel mit den Hunderten von
Porträtfotos, die Brendicke, Marquardt, Suder, Kügler durch Jahrzehnte aufgebaut hatten."
SchB.
211
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche
zum 70. Geburtstag Frau Ilse Dietrich, Frau Hildegard Golisch, Frau Annemarie Pfützenreuter; zum
75. Geburtstag Frau Anni Ihlenfeld, Frau Hilde Krauss, Herrn Günther Rühl; zum 80. Geburtstag
Herrn Werner Obigt, Frau Christa Ohle, Frau Grete Paesler; zum 85. Geburtstag Frau Ilse Cordes,
Herrn Heinrich Jonas; zum 90. Geburtstag Herrn Hans Atzroth.
Buchbesprechungen
i;|. v Ausgrabungen in Berlin. Forschungen und Funde zur Ur- und Frühgeschichte. Bd. 5/1978. Hrsg.:
Archäologisches Landesamt Berlin; Alfred Kernd'l u. Adriaan von Müller. Berlin: V. Spiess 1980.
178 S. m. zahlr. Abb. u. 1 Faltplan als Beilage, brosch., 48 DM.
Nach einer langen Pause liegt nun der fünfte Band der inzwischen durch Gesetz zum „Archäologischen Landesamt" gewordenen (West-)Berliner Landesdenkmalpflege vor. Ihm ist ein kurzer
Lebensabriß des langjährigen Direktors des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte und
Staatlichen Vertrauensmannes für die Bodendenkmalpflege, Otto Gandert, der 1978 sein 80. Lebensjahr vollendete, durch seinen Amtsnachfolger und Herausgeber der Zeitschrift, Adriaan von Müller,
vorangestellt. Das nun schon bewährte Konzept, insbesondere die instruktiven orientierenden Hinweise" der Herausgeber, ist auch in diesem Heft beibehalten worden. Der zeitliche Rahmen der
Fundberichte ist in gewohnter Weise weit gespannt und reicht von der Jüngeren Bronzezeit bis in die
Frühe Neuzeit (17. Jh.). Für die erstgenannte Periode liegen zwei Berichte über bereits in der Vorkriegszeit abgeschlossene Grabungen zum Fundplatz Götelstraße, Ecke Weverstraße, in BerlinSpandau und eines größeren Gräberfeldes der jüngeren Bronzezeit von Berlin-Rosenthal, Ortsteil
Wilhelmsruh, vor.
Von noch größerem Interesse für eine breite Leserschaft dürfte der Aufsatz von Wolfgang Gehrke
„Siedlung und Burg auf dem Gelände der Spandauer Zitadelle vor der Renaissancefestung" (S. 83 bis
136) über die seit 1969 laufenden Grabungen im Festungsbereich sein. Sie können insgesamt als sehr
erfolgreich bezeichnet werden. Die bauliche Entwicklung der über mittel- und spätslawischen Siedlungsschichten entstandenen hochmittelalterlichen Burganlage scheint nun geklärt zu sein. Durch
Suchschnitte wie auch durch sorgfältige Beobachtung von Senkungserscheinungen im Innenraum
der Zitadelle konnte auch der Umfang des Haupt- und Vorburgbereiches der großen Anlage festgestellt werden. Die ältesten noch heute vorhandenen Bauteile, Juliusturm und Palasgebäude, können
nun ebenfalls besser datiert werden: Für den Juliusturm hält Gehrke ein vor dem 14. Jh. liegendes
Entstehungsdatum durchaus für möglich. Der Palas dürfte, wie die Untersuchungen eindeutig bewiesen haben, in der Regierungszeit Kaiser Karls IV., der Mitte des 14. Jhs., entstanden sein. Die zahlreichen Funde von Architekturteilen aus unterschiedlichen Epochen lassen zudem ein genaueres Bild
der baulichen Entwicklung des Gebäudes zu, als es die bisher bekannten schriftlichen Zeugnisse
vermochten. Die zahlreichen Kleinfunde, zu denen auch die von Klaus Tidow vom Textilmuseum
in Neumünster gesondert untersuchten, in einer slawischen Siedlungsgrube entdeckten Gewebefunde
gehören, stellt Gehrke vielfach in größere kulturgeschichtliche Zusammenhänge, die mitunter den
Charakter von Exkursen annehmen.
Freilich sind die Argumentationsketten, z.B. die in allen Einzelheiten sehr phantasievolle Merianansicht für das Vorhandensein eines Treppenturmes heranzuziehen, recht gewagt.
Den vergleichsweise hohen Stand bürgerlicher Wohnkultur des 16. Jhs. zeigt die von Alfred Kernd'l
und Raimund Maczijewski vorgestellte Ofenkeramik der Renaissance aus der Spandauer Altstadt,
während Günter Rau im Beitrag Das Glaslaboratorium des Johann Kunckel auf der Pfaueninsel in
Berlin", Archäologische Untersuchungen 1973/74" Einblicke in die Breite der Experimentiertätigkeit des Alchimisten im späten 17. Jh. gibt.
Es bleibt zu hoffen, daß die Zeitschrift in dem neuen Verlag demnächst wieder in kürzeren Abständen
erscheinen wird.
Felix Escher
212
Alfred B. Gottwaldt: Berliner Verkehr. 150 Bildpostkarten aus der alten Reichshauptstadt. Düsseldorf: alba 1979.120 S. m. 162 Abb., z.T. fbg., brosch., 18 DM.
Eine Welle immer neuer Berlinliteratur überspült zur Zeit den Büchermarkt. Das Verzeichnis der
lieferbaren Berlinliteratur einer hiesigen Buchhandlung nennt fast 500 Titel, weitere sind bereits angekündigt. Berlinensien „boomen"! Soweit es sich um allgemeine Stadtbeschreibungen und um
Themen aus Geschichte, Kunst und Kultur handelt, steht für Autoren, die die Mühe emsigen Forschens nicht scheuen, ausreichendes Ouellcnmaterial zur Verfügung. Eine Ausnahme bildet jedoch
der Bereich des Berliner Verkehrs; hier tröpfeln Sachinformationen spärlicher. Gerade diese Sparte,
durch die fotografische Wiedergabe visuell attraktiver Szenen aus dem Straßenleben und dem Bereich
des öffentlichen Nahverkehrs, versprach von jeher besonders gute Verkaufserfolge. So ist eine Hochflut von Ansichtskarten- und anderen Bildreproduktionen in Umlauf gekommen, wobei Objekte aus
der fernen Kaiserzeit um die Jahrhundertwende auf der Nostalgiewelle hochschwappen. Bemühungen,
die beliebten und interessanten Oldtimer aus dem Straßenverkehr korrekt zu benennen, sie zeitlich
richtig einzuordnen und sie gegebenenfalls auch näher zu beschreiben, ist unbedingt zu begrüßen,
zumal schon heute oft nur noch die Älteren und einigermaßen Versierten unter uns den Pferdebus
von der Pferdebahn und einen Decksitzwagen von einem Doppeldecker zu unterscheiden imstande
sind. Absolut abzulehnen ist dagegen die Unbedenklichkeit, mit der sich manche Autoren in Ermangelung eigenen Wissens oder um sich zeitraubende Ermittlungen zu ersparen, zu Glossierungen hinreißen lassen, die unzutreffend und zudem leicht widerlegbar sind, in der Annahme, der Leser
werde mangels eigener Sachkenntnisse schon darüber hinweglesen. Noch so attraktives Bildmaterial mit gedruckten, aber unrichtigen Texten versehen - birgt zudem noch den Zeitbombeneffekt, späterhin selbst als Quellenmaterial angesehen und verwendet zu werden, wodurch sich Auffassungen zu
Dogmen zementieren, die niemals Gültigkeit besessen haben. Die Bereitschaft notfalls auch Ausschußware zu produzieren, um leicht zu schnellem Gewinn zu gelangen, ist in allen Bereichen verwerflich. Besonders hier in der Berlinliteratur darf sie nicht weiter Platz greifen als bisher.
Von der Sünde eines unzureichenden Quellenstudiums ist auch Alfred B. Gottwaldt nicht freizusprechen, der nach Veröffentlichung seines ausgezeichneten Bildbandes „Eisenbahn-Brennpunkt
Berlin" sich nun mit dem Hoch- und Untergrundbahn- und dem Straßenbahn- und Omnibusverkehr
im alten Berlin befaßt. Eine große Anzahl seiner Begleittexte enthalten jedoch falsche Angaben und
grobe sachliche Fehler bei Nennung der Linienführung von Straßenbahn und Omnibus, falsche
zeitliche Einstufung einzelner Vorgänge, unrichtige Darstellung von Zugläufen und -Verbindungen
sowie irrtümliche Bezeichnungen von Straßennamen und Fahrzeugtypen.
Als mildernder Umstand sollte der verschämte Hinweis des Autors auf Seite 2 seines Buches gewertet
werden, das er Stadtkämmerer a.D. Dr. Siebert widmet, der ihn in die Geheimnisse des BerlinVerkehrs eingeführt habe" - dies jedoch leider nur höchst unzureichend! Genaues Studium der jedermann zugänglichen Unterlagen des „Arbeitskreises für Nahverkehr" vor Drucklegung des Bildbandes
hätten den Störeffekt der vielfachen Fehlberichterstattungen vermieden und dem Autor die daraus
resultierenden berechtigten Vorwürfe erspart. Er wäre gut beraten, die Begleittexte gelegentlich einer
Neuauflage dieses Buches einer gründlichen Revision zu unterziehen. Die Idee, die Sphäre des alten
Berlin durch Ansichtspostkarten Wiederaufleben zu lassen, ist unbedingt begrüßenswert. Der volle
Wert der betrachtens- und beachtenswerten Sammlung wäre als Zeitdokumentation erhalten geblieben, wenn Gottwaldt den sachlichen Angaben der Bildtexte die ihnen zukommende Wichtigkeit beigemessen hätte.
Hans Schiller
Hans Scholz: Wanderungen und Fahrten in der Mark Brandenburg. Band 7. Berlin: Stapp 1979.
176 S.m. 8 Abb., Ln., 22 DM.
In Band 7 seiner Wanderungen und Fahrten in der Mark Brandenburg führt Hans Scholz den Leser
nach Kremmen, Neuruppin, Lindow und Rheinsberg. Wie stets gibt es etwas Neues zum Nachdenken
und Hinzulernen. Wer kannte bisher den in Kremmen wohnhaft gewesenen Dichter Richard
Dehmel, einen vorzüglichen märkischen Landschaftslyriker?
Neuruppin und sein Museum findet eine ausführliche Würdigung. Daß Fontane und Schinkel
erwähnt werden, versteht sich von selbst, doch wer kennt heute noch den in Neuruppin geborenen
Orientmaler Wilhelm Gentz? Gentz war Mitglied der Königlichen Akademie der Künste und
zählte zur höchsten Gesellschaft Berlins. 1890, im Todesjahr des Künstlers, veranstaltete die
Königliche Nationalgalerie eine Gedächtnisausstellung. Es wurden gezeigt: 76 großformatige Olge213
mälde, 261 Skizzen und Studien in ö l , 231 Handzeichnungen, insgesamt 508 Exponate, und
sie waren doch nur ein Teil seiner Arbeiten. Leihgeber waren das damalige Kaiserhaus, viele deutsche
Museen und Berliner Millionäre. Wo sind heute die vielen Arbeiten von Gentz geblieben? Die
Neuruppiner Bilderbogen (gedruckt bei Gustav Kühn in Neuruppin) dagegen sind noch in großer
Menge vorhanden und werden in abwechselnden Exemplaren im Neuruppiner Museum ausgestellt;
von Gentz hat das Museum jedoch nur wenige kleine Zeichnungen.
In Rheinsberg, so findet jedenfalls der Autor, weht noch Hofluft nach: Schloß, Park und
Anlage der Stadt mit schönen alten Linden, der „Anspruch des ganzen residentiellen Ensembles"
ist noch vorhanden.
Lindow ist ein Luftkurort mit weltabgeschiedenem Kloster, in dem sich heute ein Heim für pensionierte
Pfarrer und deren Frauen befindet. Bleibt noch zu erwähnen, daß der Autor auch diesen
7. Band mit 8 wunderschönen Aquarellen ausgestattet hat.
Vera Gottke
0 tjo Adolph Menzel: Skizzenbuch 1846. München: Idion 1980. 84 S., Faksimile-Ausg., im Schuber,
(J
128 DM.
Man kann dieses Buch nicht anders als gediegen und seinen Inhalt als erfreulich bezeichnen. Der Lichtdruck, hier zweifarbig, hat es möglich gemacht, daß man geneigt ist, einige versehentlich auf dem
Papier festgehaltene Bleistiftstriche wegzuradieren, so wirklichkeitsgetreu ist das Faksimile gelungen!
Als Adolph Menzel diese Zeichnungen schuf, war er 30 Jahre alt und wohnte im zweiten Stock des
Hauses Schöneberger Straße 18. Eine Reihe der Blätter hält dann auch den Blick aus seinem Fenster
fest. Zur gleichen Zeit entstand das Gemälde „Das Fenster mit der wehenden Gardine", das vom
Künstlertum Menzels Zeugnis ablegt. Dies tut nicht weniger sein Skizzenbuch, dessen Original im
Zweiten Weltkrieg verbrannt ist. Das Faksimile in seiner bibliophilen Aufmachung ist so schön, daß
man nicht weiß, ob man es lieber behalten oder einem guten Freund schenken soll.
y
H. G. Schultze-Berndt
Berlin West. Ein Fotobilderbuch. Fotos v. Alexander Nagel, Texte v. Regina_Lindenlauf u. Alexander
Nagel. Berlin: Galerie u. Verlag A. Nagel 1977 (2. Aufl.). 96 S., brosch., 12 DM.
Der Galerist, Fotograf und Autor Alexander Nagel hat in diesem Bilderbuch Schnappschüsse aus
dem Jahre 1974 zusammengefaßt und auch den Text unverändert in die neue Auflage übernommen,
obwohl man heute nicht mehr für 60 Pfennig U-Bahn fahren kann (inzwischen muß man 1,40 DM
berappen). Vielleicht hätte man diesen Charakter einer „Momentaufnahme" stärker herausstellen
sollen, was etwa auch für die recht zeitgebundene Aussage zutrifft, es hinge „leider auch oft von der
finanziellen Situation der Eltern ab, welcher Oberschulzweig besucht wird" (gegenwärtiger BAFöGSatz für Oberschüler monatlich 260 DM).
Auf die Periode der lackierten Ansichtskartenfotos in Bildbänden über Berlin folgte vor einiger Zeit
eine Welle von „Anti-Fotos", die „Berliner Wände" und ähnliche bewußt verkommene, vernachlässigte und jedenfalls meist übersehene Sujets auf die Platte bannten. Die Fülle derartiger Ansichten
aus der Subkultur bringt es nun aber kurioserweise mit sich, daß diese Bilder heute schon wieder als
„schön" empfunden werden.
H. G. Schultze-Berndt
Hans-Jochen Kehrt: Frühling in Berlin und anderswo in der Mark. Heilbronn: Eugen Salzer Verlag
1978. 94 S., brösch., 7,90 DM. (Salzers Volksbücher, Bd. 209/210.)
Es wird nicht nur der Frühling in Berlin, sondern auch die Jugend des Verfassers beschrieben, die
dieser vor allem in Steglitz verlebt hat. Seine Schulzeit am Helmholtz-Realgymnasium und später
am Gymnasium Steglitz war vom Wandervogel geprägt, und Hans Schwarz, der Dichter, und Hans
Blüher, der Denker, gehörten zu den bedeutenden Lehrern. Die Schule von damals war „an Substanz weit mächtiger als manche philosophische Fakultät von heute".
Später spielt die Familiengeschichte auch in Jüterbog und in Wittstock. Sie wird in einem von der
Erinnerung verklärten Ton vorgetragen. Der Autor mußte dann seine Heimatstadt verlassen, „und
seitdem hat es mich nie lange irgendwo gehalten; denn wenn man nicht in Berlin leben kann, ist's
schon wurscht, wo man lebt". Er stimmt ein hohes Lied auf das Theaterleben der großen Stadt
Berlin an und erwähnt dabei auch Werner Krauß, der sich wirklich mit „ß" schreibt. Am Schluß steht:
„Was aber blieb uns, als diese Stadt so, wie wir sie noch erlebten, zu lieben, wie man sich einer
214
alternden Freundin im Kerzenschein nähert, in dem sich die Spuren der Zeit verwischen und nur
die Stimme noch trägt, die immer die gleiche bleibt."
H. G. Schultze-Bemdt
Eingegangene Bücher
(Besprechung vorbehalten)
< Albach-Retty, Rosa: So kurz sind hundert Jahre, Erinnerungen. Aufgezeichnet von Gertrud SvobodaSrncik. München/Berlin: F. A. Herbig 1978. 296 S. m. Abb.
Aumann, Hans J.: Mein Leben als Mischmosch. München: Kindler 1977. 300 S.
" Bauen in Berlin. Hrsg.: Rolf Rave, Hans-Joachim Knöfel. Berlin: Kiepert_1977 (2. Aufl.). 236 S. m.
Abb., Karten u. Faltplan.
^Baumgardner-Karabak: Die verkauften Bräute. Türkische Frauen zwischen Kreuzberg und Anatop . lien. Reinbek: Rowohlt 1978. 123 S. m. Abb. (Tb. rororo-aktuell).
*vJ"*\jJenckert, Michael: Brüderlich verbunden - Bischöfe in Berlin. Frankfurt a. M : Otto Lambeck 1977.
146 S.
Bergner, Elisabeth: Bewundert viel und viel gescholten. München: C. Bertelsmann 1978. 302 S.
m. Abb.
Biermann, Wolf: Preußischer Ikarus. Lieder, Balladen, Gedichte, Prosa. Köln: Kiepenheuer u. Witsch
I
1978. 230 S.
Biewend, Edith: Gleich links vom Kurfürstendamm. Roman. München: Ehrenwirth 1979. 280 S.
Bredow, Ilse Gräfin von: Kartoffeln mit Stippe. Eine Kindheit in der märkischen Heide. Bern/
München: Scherz 1979 (4. Aufl.). 216 S.
Brentano, Bernard von: Berliner Novellen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979. 94 S. (Suhrkamp
TB 568)
eo Bonhoeffer, Dietrich: Fragmente aus Tegel. Drama und Roman. Hrsg.: Renate u. Eberhard Bethge.
München: Chr. Kaiser 1978. 252 S.
Bürgerinitiativen: Model! Berlin. Eine Dokumentation. Hrsg.: W. Beer, W. Spielhagen. Berlin: zittyVerlag 1978. 227 S. m. Abb.
•"•' Deutschkron, Inge: Ich trug den gelben Stern. Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1979. 216 S.
Dietrich, Marlene: Nehmt nur mein Leben . . . Reflexionen. München: Marlene Dietrich/C. Bertelsmann 1979. 352 S. m. Abb.
Diwald, Hellmut: Geschichte der Deutschen. Frankfurt a. M./Berlin/Wien: Propyläen 1978. 767 S.
V«^- m. Abb.
\.*rj Drewitz, Ingeborg: Bettine von Arnim. Romantik - Revolution - Utopie. Düsseldorf: Diederichs
19ft9 ? Ann München: W. Heyne 1979. 332 S. (Heyne Biographien)
dies.: Gestern war Heute - Hundert Jahre Gegenwart. Roman. Düsseldorf: Ciaassen 1978. 382 S.
Durieux, Tilla: Meine ersten neunzig Jahre - Erinnerungen. Die Jahre 1952-1971 nacherzählt von
Joachim Werner Preuß. München: F. A. Herbig 1979 (5. Aufl.). 470 S. m. Abb.
Eggebrecht, Axel: Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche. Reinbek: Rowohlt 1975.326 S.
Ellis-Jones, Barrie: Berliner Scharade. Roman. Tübingen: Wunderlich 1978. 277 S.
Ferber, Christian: Die Seidels. Geschichte einer bürgerlichen Familie 1811 - 1 9 7 7 . Stuttgart: Deutsche
Verlags-Anstalt 1978. 383 S. m. Abb.
Fischer-Fabian, S.: Preußens Gloria. Der Aufstieg eines Staates. Locarno: Droemer 1979. 368 S.
m. Abb.
Fontane, Theodor: Theaterkritiken. Hrsg.: Siegmar Gerndt. Bd. I = 1870-74, Bd. II = 1 8 7 5 - 7 8 ,
Bd. III = 1 8 7 9 - 8 3 , Bd. IV = 1884-94. Frankfurt.a. M./Berlin/Wien: Ullstein 1979. 281/
256/332/364 S. (Fontane Bibliothek Nr. 4537-4540.)
,Gärtner, Karlheinz: Theodor Fontane, Literatur als Alternative. Bonn: Bouvier 1978. 264 S.
Gerlach, Heinrich: Nur der Name blieb. Das Schicksal der echten Preußen. Düsseldorf/Wien: Econ
1978. 296 S. m. Abb. u. Karten.
Grobecker, Kurt: Alt-Berlin vom Hinterhof zur Kaisergalerie. Bildreportagen aus dem vergangenen
Jahrhundert. Hamburg: Hoffmann u. Campe 1979. 72 S. m. Abb.
Habe, Hans: Drei über die Grenze. Roman. Ölten: Walter 1978. 384 S.
Hahn, Otto: Begründer des Atomzeitalters. Hrsg. von Dietrich Hahn. München: List 1979. 357 S.
m. Abb.
Härtung, Hugo: Die Potsdamerin. Roman. München: Schneekluth 1979. 272 S.
215
L
t l/Hasse, Otto Eduard: O. E. - unvollendete Memoiren. München: C. Bertelsmann 1979. 296 S.
m. Abb.
*?Heesters, Johannes: Es kommt auf die Sekunde an. Erinnerungen an ein Leben im Frack. München:
Blanvalet 1978. 320 S. m. Abb.
,1 Hetmann, Frederik: Rosa L. Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit. Frankfurt a. M.:
Fischer Taschenbuch-Vlg. 1979. 308 S. m. Abb. (Bd. 2132)
Höcker, Karla: Ein Kind von damals. Berlin: Klopp 1977. 240 S. m. Abb.
dies.: Die nie vergessenen Klänge. Erinnerungen an Wilhelm Furtwängler. Berlin: Klopp 1979. 244 S.
.
m. Abb.
"jtiHoffmeyer-Zlotnik, Jürgen: Gastarbeiter im Sanierungsgebiet. Das Beispiel Berlin-Kreuzberg.
,
Hamburg: Hans Christians Druckerei u. Verlag 1979. -173 S. m. Abb. u. Skizzen.
I/L,Jannings, Emil: Mein Leben. Aufgeschrieben von C. C. Bergius. München: Goldmann 1979. (Gold, t „
mann-Taschenbuch Nr. 11931.)
' Kessel, Martin: Herrn Brechers Fiasko. Roman. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1956. (Suhrkamp
Taschenbuch 453,1. Aufl. 1978.) 513 S.
' Keun, Irmgard: Das kunstseidene Mädchen. Roman. Düsseldorf: Ciaassen 1979. 218 S.
Kleist, Heinrich v.: Werke und Briefe. Ges.-Ausg. in 4 Bänden. Berlin (Ost): Aufbau 1978. 680/
726/788/714 S.
•*" König, Joel: David. Aufzeichnungen eines Überlebenden. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch-Vlg.
1979. 331 S. (Bd. 2196)
Kötter, Ingrid: Alle sagen Neuer zu mir. Hamburg: Dressler 1978.112 S. m. Abb.
,ot Korn, Karl: Lange Lehrzeit. Ein deutsches Leben. München: Dtsch. Taschenbuch-Vlg. 1979. 277 S.
(Bd. 1463).
/ Kuntzemüller, Otto: Urkundliche Geschichte der Stadt und Festung Spandau von Entstehung der
J(s
Stadt bis zur Gegenwart. 2 Bde. Berlin-Spandau 1928/29. Nachdruck Berlin: arani 1978. 321 u.
309 S. (lbdg. Ausg.).
Lange, Lothar: Künstler in Berlin. Berlin (Ost): Henschel 1979. 72 S. m. Abb. (Reihe „Welt der
,
Kunst").
ifl-V Lentz, Georg: Muckefuck. Roman. München: C. Bertelsmann 1976. 335 S.
^WU^Lernstatt im Wohnbezirk. Kommunikationsprojekt mit Ausländern in Berlin-Wedding. Inst, für
Zukunftsforschung, Cooperative Arbeitsdidaktik. Frankfurt a. M./New York: Campus-Vlg. 1978.
231 S. m. Dok.-Anhang, Abb. u. Zeichnungen.
" * < dann,
*
H. G.: Prozeß Bernhard Lichtenberg - Ein Leben in Dokumenten. Berlin: Morus 1977.
120S.m.Abb.
" Mehring, Walter: Müller - Chronik einer deutschen Sippe. Roman. Düsseldorf: Ciaassen 1978.
269 S.
/ Mendelssohn-Studien. Beiträge zur neuen deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 4.
•*<>
Berlin: Duncker u. Humblot 1979. 309 S.
• Milde, Maria: Berlin Glienicker Brücke. Babelsberger Notizen. München: Nymphenburger 1978.
348 S. m. Abb.
Morgner, Irmtraut: Hochzeit in Konstantinopel. Roman. Darmstadt/Neuwied: Luchterhand 1979.
190 S. (Sammig. Luchterhand.)
f » Müller, Konrad F./Schreiber, Hermann: Willy Brandt. Hamburg: A. Knaus 1978. 96 S. m. Abb.
«so öres, Aras: Deutschland, ein türkisches Märchen. Gedichte. (Übers.: Gisela Kraft) Düsseldorf:
Claasen 1978.120 S.
. Pangels, Charlotte: Friedrich der Große - Bruder. Freund und König. München: Callwey 1979. 394 S.
"^••Paretti, Sandra: Der Wunschbaum. Roman. München: Droemer 1975. 416 S.
HV Petersen, Jan: Unsere Straße. Eine Chronik. Berlin (Ost): Aufbau 1978. 328 S.
Plessen, Elisabeth: Kohlhaas. Roman. Köln: Benziger 1979. 348 S.
Quadflieg, Will: Wir spielen immer. Erinnerungen. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1976. 304 S. m. Abb.
Rosendorfer, Herbert: Der Prinz von Homburg oder Der Landgraf mit dem silbernen Bein. Bibliographie. München: Nymphenburger 1978. 376 S. m. Abb. u. Tafeln.
- -. Saphir, Moritz Gottlieb: Mieder und Leier. Gedankenblitze aus dem Biedermeier. Feuilletons, Glossen, Kurzgeschichten, Aphorismen. Zur Erde geleitet, gebündelt und in gute Nachrede gebracht
von Manfred Barthel. Olten/Freiburg i. Br.: Walter-Vlg. 1978. 180 S.
Sänger, Fritz: Verborgene Fäden. Bonn: Verlag Neue Gesellschaft 1978. 250 S.
216
Schimmang, Jochen: Der schöne Vogel Phönix. Erinnerungen eines Dreißigjährigen. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp 1979. 300 S.
Schmeling, Max: Erinnerungen. Berlin: Ullstein 1977. 544 S. m. Abb.
.Schneider, Rolf: November. Roman. Hamburg: A. Knaus 1979. 260 S.
'S Scholem, Gershom: Von Berlin nach Jerusalem. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1977. 228 S.
Schröder, Ernst: Das Leben - verspielt. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1978. 293 S. m. Abb.
i Stuckenschmidt, H. H.: Zum Hören geboren. Ein Leben mit der Musik unserer Zeit. München:
{
y
Piper 1979. 380 S. m. Abb.
I 10 Tergit, Gabriele: Effinger. Roman. Frankfurt a. M.: Wolfgang Krüger 1979. 740 S.
.c«-'Vierhans, Rudolf: Am Hof der Hohenzollern. Aus dem Tagebuch der Baronin Spitzemberg 1865 —
1914. München: Dtsch. Taschenbuch-Vlg. 1979j[2^Auflg.). 291 S. (dtv-Dokumente, 2911).
w» Viertel, Salka: Das unbelehrbare Herz. Ein Leben in der Welt des Theaters, der Literatur und des
Films. Vorwort: C. Zuckmayer. Reinbek: Rowohlt 1979. 360 S. (Rowohlt Taschenbuch.)
-«•e^Witte, Barthold C : Der Preußische Tacitus. Aufstieg, Ruhm und Ende des Historikers Barthold
Georg Niebuhr, 1776-1831. Düsseldorf: Droste 1979. 224 S.
Wollseiffen, Siegfried: Angaben zur Person - Erzählung. Frankfurt a. M.: Roter Stern 1978.116 S.
'$i Zwerenz, Gerhard: Kurt Tucholsky - Biographie eines guten Deutschen. München: C. Bertelsmann
1979. 336 S. m. Abb.
Nachtrag
4&dolph, Walter: Erich Klausener. Berlin: Morus 1955.153 S. m. Abb.
***&
Becker, Heidede/Keim, K. Dieter: Wahrnehmung in der städtischen Umwelt - möglicher Impuls
für kollektives Handeln. Berlin: Kiepert 1978 (4. Aufl. m. kommentiertem Lit,-Nachtrag).
.
376S.m.Abb.
"t>VBerühmte Städte - Berlin. Mannheim: Bibliographisches Institut 1978, 29 S. m. Abb.
Durst, Rolf: Heinrich von Kleist - Dichter zwischen Ursprung und Endzeit. Bern: A. Francke 1965.
224 S.
Engelmann, Bernt: Preußen - Land der unbegrenzten Möglichkeiten. München: Bertelsmann 1979.
y- 447 S. m. Abb.
*y Haeusserman, Ernst: Herbert von Karajan. Eine Biographie. München: Goldmann 1978. 283 S.
m. Abb.
Hermann, Georg: Grenadier Wardelmann. Ein Roman aus friderizianischer Zeit. Frankfurt a.MV
,
Berlin/Wien: Ullstein 1979. 279 S.
ders.: Rosenemil - Roman. Frankfurt a. M. /Berlin/Wien: Ullstein 1979. 328 S.
Hörn, Peter: Heinrich von Kleists Erzählungen - Eine Einführung. Königsstein/Ts.: Athenaeum/
Hanstein/Scriptor 1978. 215 S.
Hoverland, Lilian: Heinrich von Kleist und das Prinzip der Gestaltung. Königsstein/Ts.: Athenaeum/
Hanstein/Scriptor 1978. 269 S.
? Kerr, Judith: Eine Art Familientreffen. Ravensburg: O. Maier Verlag 1979. 184 S.
Köhler, Jochen: Klettern in der Großstadt. Volkstümliche Geschichten vom Überleben 1933-1945.
Mit einem Vorwort von Wolf Biermann. Berlin: Verlag Das Arsenal 1979. 274 S. m. Abb.
Kunert, Günter: Heinrich vonJCleist - Ein Modell. Berlin: Akademie der Künste 1978. 36 S.
nj^Leibholz-Bonhoeffer, Sabine: Vergangen - erlebt - überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer.
Gütersloh: Mohn 19J7_X2-Aufl.). 230 S. m. Abb.
Maass, Joachim: Kleist - Die Geschichte seines Lebens. Bern: Scherz 1977. 416 S. m. Abb.
Martin, Hansjörg: Bei Lehmanns ist was los. München: Bertelsmann 1979. 160 S. m. Abb.
Müller, Adriaan v.: Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann - Berlin im Mittelalter. Berlin: Haude
u. Spener 1979. 378 S. m. Abb.
Novak, Helga M.: Die Eisheiligen. Darmstadt: Luchterhand 1979 (2. Aufl.). 362 S.
, Roth, Joseph: Per Lefter. Die Geschichte eines Bürgers. Köln: Kiepenheuer u. Witsch 1978. 166 S.
u.Schewe, Heinz: Gesucht Berlin. Hamburg: Christians Verlag 1978. 158 S. m. Abb.
Wille, Klaus Dieter: 41 Spaziergänge in Reinickendorf und Wedding. Berlin: Haude u. Spener 1979.
180 S. m.Abb.
Zahl, Peter-Paul: Die Glücklichen. Schelmenroman. Berlin: Rotbuch Verlag 1979. 525 S. m. Abb.
217
Unser diesjähriges Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird im Oktober erscheinen. Es enthält 5 Beiträge mit insgesamt 38 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt.
Die Mitglieder erhalten den Band per Post zugestellt, soweit sie den {älligen Mitgliedsbeitrag für
das laufende Jahr (48 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 23,80 DM. Bestellungen von
Nichtmitgliedem und Buchhandlungen direkt beim Verlag: Westkreuz-Verlag, Rehagener Straße 30,
1000 Berlin 49.
Zusatzbestellungen unserer Mitglieder bei der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31.
*
Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt
(li. Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch ausstehender Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM).
*
Für unsere neuen Mitglieder sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge 6 7 - 7 0 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 7 1 - 7 4 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer „Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
*
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12,1000 Berlin 41, zu richten.
*
Die Glückwünsche zu meinem Geburtstag waren so zahlreich, daß ich auf diesem Wege am besten
meinen Dank sagen kann. Sie haben mich durch ihr Gedenken und den „Lebenslauf" in unseren
Mitteilungen sehr erfreut und mir bestätigt, daß sich ein Einsatz für eine gute Vereinigung immer
lohnt.
Albert Brauer
Im I.Vierteljahr 1980
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Michael Riepel, Postbeamter
Am Rupenhorn 8,1000 Berlin 19
Tel. 3 04 47 47
(Grave)
Dr. phil. Wolfgang Wippermann, Priv.-Doz.
Waltharistraße 22, 1000 Berlin 39
Tel. 8 03 32 14
(Dr. F.scher)
Ernst Weber, Rentner
Götelstraße 137,1000 Berlin 20
Tel. 3 6188 87
(Bibliothek)
Die Bibliothek des Vereins für die Geschichte Berlins
hat ab Mittwoch, dem 16. Juli 1980,
neue Öffnungszeit.
Jeweils Mittwoch von 16.00 bis 19.30 Uhr.
Vor den Veranstaltungen im Rathaus Charlottenburg eine halbe
Stunde zusätzlich.
Studienfahrt nach Minden
Ziel der diesjährigen Exkursion sind die Stadt Minden und der Kreis Minden-Lübbecke, der sich etwa
mit dem früheren preußischen Fürstentum Minden deckt. Stadt. Archivdirektor Dr. Nordsiek vom
Kommunalarchiv Minden und Verkehrsamtsleiter H.-E. Wulf vom Verkehrs- und Werbeamt der Stadt
Minden haben uns bei der Gestaltung des nachstehenden Programms sachkundig unterstützt:
Freitag, 26. September 1980:
6.30 Uhr
Abfahrt von der Hardenbergstraße 32 (Berliner Bank)
12.00 Uhr
Mittagessen im Restaurant „Die Große Klus" in Bückeburg-Röcke
13.30 Uhr
Eintreffen in den Hotels
14.00 Uhr
Besichtigung der Noll Maschinenfabrik GmbH mit anschließender Kaffeetafel in
Kruses Parkhotel
17.00 Uhr
Besichtigung von Dom und Domschatz, Führung Dompropst Garg
19.30 Uhr
Gemeinsames Abendessen im Restaurant Laterne, Hahler Straße 38
Sonnabend, 27. September 1980:
8.30 Uhr
Aufbruch zur landeskundlichen Exkursion mit Kreisheimatpfleger Rektor i.R.
Wilhelm Brepohl, Vorsitzender des Mindener Geschichtsvereins, über die Mühlenstraße zu Baudenkmalen im Kreis Minden-Lübbecke
13.00 Uhr
Mittagessen im Gasthof Wilhelmshöhe in Stemwede
16.30 Uhr
Kaffeetafel im Schloß Petershagen
19.30 Uhr
Gemeinsames Abendessen im Dorfkrug zur Linde in Rinteln
Sonntag, 28. September 1980:
9.00 Uhr
Abfahrt an der Schachtschleuse zur Wasserstraßenkreuzfahrt
11.10 Uhr
Eintreffen in Porta Westfalica, Fahrt zum Wittekindsberg, Fußweg zum KaiserWilhelm-Denkmal
12.00 Uhr
Stadtrundgang unter Führung von Dr. Nordsiek
13.30 Uhr
Gemeinsames Mittagessen im Ratskeller im historischen Rathaus, anschließend
Abfahrt nach Berlin, Kaffeepause im Quellenhof in Bad Helmstedt
ca. 21.30 Uhr
Ankunft in Berlin, Änderungen vorbehalten
Es sind vorsorglich die folgenden Zimmer reserviert worden:
im Hotel Exquisit, In den Bärenkämpen 2 a:
10 Doppelzimmer (Preis je Person 35 DM) und
20 Einzelzimmer (45 DM)
in der Hotel-Pension Marienhöhe, Marienglacis 45:
15 Einzelzimmer (33 DM bis 35 DM Endpreis)
Alle Interessenten, soweit sie sich nicht schon gemeldet haben, werden gebeten, ihre Anmeldung
formlos an Dr. H. G. Schuitze-Berndt, Seestraße 13,1000 Berlin 65, zu richten. Aus Urlaubsgründen
muß Meldeschluß schon der 20. Juli 1980 sein. Nachzügler können je nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berücksichtigt werden. Der Teilnehmerbeitrag beläuft sich auf 69,50 DM je Person, er
schließt die Omnibusfahrt, die Exkursion in das Fürstentum Minden, den Ausflug mit der Mindener
Fahrgastschiffahrt sowie alle Führungen ein.
Zu gegebener Zeit erhalten die Teilnehmer Angaben über die in den einzelnen Gaststätten bestellten
Menüs, wo aus Gründen der schnelleren Bedienung gemeinsame Essen vorgesehen sind.
H. G. Schuitze-Berndt
219
Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegt ein vereinsinterner Hinweiszettel
bei.
Veranstaltungen im III. Quartal 1980
1. Dienstag, den 22. Juli 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr.
Stephan Waetzold: „Bilder vom Menschen in der Abendländischen Kunst". Eine Einführung in die Jubiläumsausstellung der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz.
Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
2. Sonnabend, den 26. Juli 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie „Bilder vom Menschen in der Abendländischen Kunst". Eintritt zum ermäßigten
Gruppenpreis. Treffpunkt im Vestibül.
Im August finden keine Veranstaltungen statt — Sommerpause.
3. Sonnabend, den 6. September 1980, 10.30 Uhr: „Von der Kastanienterrasse zur
,Harfenjule' - Der Schillerpark am Wedding". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein.
Treffpunkt: Müllerstraße, Ecke Ungarnstraße, Nähe U-Bahnhof Seestraße. Fahrverbindungen: U-Bahnhof Seestraße und Busse 12,16,89.
4. Sonnabend, den 20. September 1980, 11.00 Uhr: Besuch der Sonderausstellung im
Rahmen der Berliner Festwochen „Emil Nolde - Das graphische Werk" im BrückeMuseum, Bussardsteig 9, 1000 Berlin 33. Eintritt zum ermäßigten Gruppenpreis von
1,50 DM. Führung: Herr Otto Adolf Brasse. Fahrverbindungen: Busse 1, 18, 68, dann
umsteigen auf 60.
5. Freitag, den 26. September, bis zum Sonntag, 28. September 1980, Studienfahrt nach
Minden.
Das Programm ist auf Seite 219 ausgedruckt.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste willkommen. Die Bibliothek ist
zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein
und Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank. Kai-crdamm 95. 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10. Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
220
MAT^-
A1015FX
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
76. Jahrgang
Heft 4
Oktober 1980
Katsbibliomek
«dwttt. der Berliner Stadtbibttotfiafe
Stanislaw Przybyszewski
(Krystyna Kolinska: Stachu, jegokobiety i jego dzieci, Krakow 1978)
221
Stanislaw Przybyszewski - Ein Pole in Berlin1
Jürgen Vietig
Er war nicht nur liberal, sondern arbeitete als Redakteur einer sozialistischen Wochenzeitung,
von der er schließlich wegen abweichender Ansichten entlassen wurde. Er war nicht nur
aufklärerisch, sondern ein erbitterter Ankläger des Klerikalismus. Er war nicht nur tolerant,
sondern zeigte in seinen Büchern Verständnis für alle Formen des Geschlechtslebens bis hin zur
Nekrophilie. Er war darüber hinaus phantasievoll, kannte sich in Schwarzer Magie und
Satanskult aus; er war ein Trinker und Drogensüchtiger; er vermischte Dichtung und Wahrheit
so stark, daß er sich selbst darin nicht mehr zurechtfand. Er trieb seine Geliebte in den
Selbstmord und überließ die gemeinsamen Kinder dem Waisenhaus. Er war ein polnischer
Preuße, der in Berlin am Ende des letzten Jahrhunderts seine Karriere als deutscher Schriftsteller machte. Sein skandinavischer Zeitgenosse und Kollege Adolf Paul schilderte Stanislaw
Przybyszewski ein wenig ironisch: „Er war klein, nervös, hellblond, mit spitzem Vollbart,
Augen, die überall und nirgendswohin, niemals aber einem anderen gerade in die Augen
blicken konnten, und einer leisen, fast unhörbaren Stimme. Er galt als das größte Genie des
Kreises und wurde besonders von Richard Dehmel als solches propagiert. Ein Meister in der
Kunst, sich interessant zu machen. Dillettant auf vielen Gebieten, nicht nur in der Literatur,
sondern auch in der Musik und vor allem in der Politik, hatte er etwas von Christus und
Charlatan zugleich an sich, war immer von einer Glorie des Hungermartyriums und des
geheimnisvollen Verfolgtseins umstrahlt, raste genial unbekümmert auf dem Klavier und
propagierte mit nimmer ermüdendem Enthusiasmus seinen Landsmann Chopin sowohl dort
(d. h. im Berliner Boheme-Lokal „Zum Schwarzen Ferkel" - Anm. J. V.) wie auch in einem
literarischen Essay, in dem er ihn mit Nietzsche in einen Topf warf."2
Paul und Przybyszewski gehörten zu den Stammgästen des „Schwarzen Ferkels" in der Berliner
Neuen Wilhelmstraße. Dort trafen sich im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts die
Wortführer des „Jungen (oder auch: Jüngsten) Deutschland", des „Jungen Skandinavien" und
des „Jungen Polen": der Schwede August Strindberg, die Deutschen Richard Dehmel, Max
Halbe, Otto Erich Hartleben - um nur einige zu nennen - und eben auch der Pole Stanislaw
Przybyszewski.
Denn Berlin zog damals auch Zehntausende der polnischen Untertanen Preußens an, die seit
der Aufteilung des polnischen Staates, besonders aber seit der Bismarck-Epoche zum großen
Teil in ständig stärker werdender Opposition zur offiziellen Germanisierungspolitik standen.
Przybyszewskis Vater hatte als Volksschullehrer in Lojewo bei Inowrazlaw öffentlich Protest
gegen die Zurückdrängung der polnischen Unterrichtssprache erhoben - und war über diesen
Akt von Zivilcourage in tiefe Depressionen verfallen. Dennoch lockte der Glanz der preußischdeutschen Hauptstadt den einunzwanzigjährigen Sohn nach dem Abitur aus der Geborgenheit
der Heimat fort, die noch weitgehend im Zeichen von Tradition und Aberglauben stand, wie
aus Przybyszewskis Autobiographie hervorgeht:
„Plötzlich, ohne ersichtlichen Grund erkrankte ich schwer an Kopfschmerzen, gegen die auch
ein so erfahrener Arzt wie der alte Rakowski kein Mittel kannte. Ich wußte, was geschehen war,
aber ich schwieg. (Das vom Vater beleidigte Dienstmädchen - J. V.) Ulicha hatte mich gepackt,
mir die Haut auf der Stirn zerschnitten... und in die kleine Wunde den Saft unreifer Pflaumen
gerieben, auf die sie vorher gespuckt hatte. Mir aber hatte sie zu sagen befohlen, ich hätte mir
die Stirn an der Tischkante aufgeschlagen, sonst käme ich lebend in die Hölle... Aber über mir
wachte Lucha Lawecka... „Stasio ist behext" verkündete sie (und)... als es Nacht wurde, grub
222
Die Volksschule von Lojewo, wo Przybyszewski am 7. Mai 1868 geboren wurde
die Lawecka in ihrem Garten ein paar Schwarzwurzeln aus..., pflückte Blätter der weißen
Wasserlilie, besprengte sie mit dem Schwarzwurzelabsud, der in Weihwasser abgekühlt worden
war... legte mir die ganze Nacht über diese Blätter auf Kopf und Brust, wobei sie immerzu
etwas murmelte: ich weiß nur, daß es keine Gebetsworte waren. Am nächsten Tag geschah ein
Wunder, ich stand auf, gesund und munter wie nie, Ulicha dagegen fand m a n . . . zähneklappernd infolge heftigen Schüttelfrostes;... kurz darauf starb (sie). Das ist ein klassisches Beispiel
für den choc en retour."3
Trotz dieses Glaubens an den auf die Hexe zurückwirkenden Schock und seine Heilungskraft
entschied sich Przybyszewski für ein Medizinstudium. Doch der Marcinkowski-Verein, der den
polnischen akademischen Nachwuchs aus dem Großherzogtum Posen durch Stipendien aus
polnischen Spendenmitteln unterstützte, war der Meinung, es gebe bereits genügend polnische
Arzte, man brauche dagegen polnische Architekten in Posen. Przybyszewski fügte sich dieser
Entscheidung und nahm tatsächlich 1889 das Architekturstudium in Charlottenburg auf, doch
bereits nach einem Jahr schrieb er sich an der medizinischen Fakultät der Berliner Universität
ein. Damit entfielen die Stipendienzahlungen, und er mußte sich nun wirklich durchhungern.
Die Unterstützung durch Vater und Bruder reichte nicht aus zum Leben, zumal er ab Februar
1892 nicht nur für seine ebenfalls mittellose Freundin Malta Foerder, sondern auch für einen
gemeinsamen Sohn zu sorgen hatte.
„Sollte nicht ein Genie die Verpflichtung haben, die menschliche Rasse zu verbessern?... Nun,
natürlich dadurch, daß er (sie!) möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Frauen zeugte."4 So
heißt es in einem seiner literarischen Werke - doch auch in seinem Leben hat er sich an dieses
Motto gehalten. Um ihm treu bleiben zu können, mußte er sich nach einer einigermaßen
sicheren Quelle für seinen Lebensunterhalt umsehen.
223
Dabei kam ihm zweierlei zugute: Erstens hatte er nicht nur in der Kneipenrunde im „Schwarzen
Ferkel" Chopin und Nietzsche „in einen Topf geworfen", sondern auch für seinen Essay zu
diesem Thema 5 sofort einen Verleger gefunden und war dadurch mit einem Schlage einem
größeren Publikum bekannt geworden; zweitens war er - wie gesagt - preußischer Untertan.
1892 hatte nun die von deutschen Sozialdemokraten und polnischen Sozialisten in der Londoner Emigration gemeinsam in Berlin publizierte Wochenzeitung „Gazeta robotnicza" („Arbeiterzeitung") zum zweitenmal ihren Redakteur verloren; die preußischen Behörden hatten ihn,
da es sich jedesmal um einen Polen aus dem russischen oder österreichischen Teilungsgebiet
handelte, ohne große Umstände als unliebsamen Ausländer abschieben können. Da Przybyszewski inzwischen bewiesen hatte, daß er gut schreiben konnte - sogar auf deutsch, sein
Polnisch konnte nur besser sein -, und er als Preuße nicht ohne weiteres aus Berlin ausgewiesen
werden konnte, fiel die Wahl der Sozialdemokraten auf ihn, der sich bisher politisch nicht
sonderlich engagiert hatte. Er sollte nun mit journalistischen Mitteln unter den polnischen
katholischen Industriearbeitern Schlesiens und Landarbeitern Posens für den Sozialismus
werben. Als Entgelt erhielt er dafür monatlich 120 Mark, die ihn der allergrößten materiellen
Sorgen enthoben. An seine neue Aufgabe ging Przybyszewski mit einem ziemlich unorthodoxen Rezept:
„Die Gruppe der alten polnischen Internationalen (in London - J. V.) bemühte sich derart auf
den polnischen Arbeiter einzuwirken, daß sie ihn vor allem von der Kirche fortriß und von
jedem religiösen Glauben löste. Der listige Großpole - wie man mich nannte - erwähnte kein
einziges Mal Marx und Lassalle - für die polnischen Arbeiter, vorwiegend Analphabeten, ist
das Hekuba. Dagegen berief er sich unablässig auf das Evangelium, auf die Schriften der
Kirchenväter, er begann einen Kampf mit der konservativ-katholischen, durch und durch
deutschen, aber in polnischer Sprache redigierten Presse in Oberschlesien, und die Abonnentenzahl stieg ständig."6
Tatsächlich wirken die Artikel aus der „Gazeta robotnicza", die Przybyszewski verfaßte, eher
wie Andachten oder Bibelstunden, nicht aber wie Agitationen und Propaganda - obwohl sie es
ohne Zweifel waren:
„Jeder, der das Neue Testament kennt, muß zugeben, daß Jesus Christus stets die Gleichheit
verkündete. Er liebte die Kinder, und über die Ausbeuter sagte er, daß eher ein Kamel durch ein
Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Himmelreich komme. Und wann wird die Gleichheit, die
uns der Herr Jesus lehrte, herrschen? Erst dann, wenn es keine Reichen und keine Armen gibt,
wenn alle gleich arbeiten und die Früchte ihrer Arbeit genießen. Wir sehen, daß die Lehren
Christi vollständig mit den Zielen, die die Sozialisten anstreben, übereinstimmen: völlige
Gleichheit, die man nur durch die Verstaatlichung des Privateigentums erreichen kann."7 Und
zur Bekräftigung werden dann noch die Heiligen Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und
Basileus zitiert.
Trotz solcher und ähnlicher Artikel, die unter der polnisch-katholischen Arbeiterschaft auf
großes Interesse stießen, waren die Auftraggeber Przybyszewskis mit ihm nicht zufrieden.
Manchem altgedienten Sozialisten paßte die „listige Art", sich auf die Kirchenväter bei der
Verbreitung des Sozialismus zu stützen, nicht. Aber es gab auch andere Gründe, die wahrscheinlich schwerer wogen. Zum chaotischen Lebensstil Przybyszewskis gehörte eine entsprechende Kassenführung, so daß aus London immer wieder Briefe in der Redaktion in der
Dresdner Straße eintrafen, in denen nach dem Verbleib bestimmter Gelder, nach Abrechnungen und Belegen gefragt wurde. Als Przybyszewski schließlich bei einer polizeilichen Durchsuchung, die dem bei ihm versteckten Sozialisten Stanislaw Grabski 8 galt, die Nerven verlor, als
andere Genossen berichteten, daß er durch inzwischen zwei uneheliche Kinder und deren
224
Dagny Juel, die norwegische Ehefrau Przybyszewskis (ermordet am 20. Mai 1902)
Stanislaw Przybyszewski in Lodz (1902)
Mutter sehr belastet sei und deshalb trinke, sich mit Okkultismus und Dekadenz beschäftige,
da wurde im September 1893 von der Partei ein Nachfolger ernannt, der sein Amt am
1. Oktober des Jahres antrat 9 .
Gleichzeitig mit seiner Karriere als Redakteur einer sozialistischen Wochenzeitung ging auch
eine andere Karriere in Berlin zu Ende: sein Medizinstudium. Der Universität war davon
Mitteilung gemacht worden, daß er einen polizeilich gesuchten Sozialisten verborgen hatte, und
der Rektor, Rudolf Virchow teilte ihm kurz mit: „Wenn Sie von der Universität nicht weggehen, so werden Sie gegangen."10
Es nützte Przybyszewski auch nichts - und er hätte es auch nicht verraten dürfen - , daß er
bereits einige medizinische Doktorarbeiten verfaßt hatte; so behauptet er jedenfalls:
„Man muß nämlich wissen, daß es zu jener Zeit in Berlin ein Büro gab, das reichen Doktoranden Arbeiten lieferte, auf Grund derer sie den Doktortitel erhielten. Mit Arbeit in diesem Büro
erwarb ich mir den Lebensunterhalt. Ich habe einige derartige Arbeiten geschrieben: eine über
Napoleons Zug nach Moskau, ich schrieb über den Einfluß des Chloroforms auf den tierischen
Organismus; ich schrieb eine Arbeit über die Entstehung der Zähne bei Embryos und schließlich eine Arbeit über Fechners „Bewußtseinsschwelle". Weil der Doktorand beim Examen von
dieser unglückseligen Schwelle keine Ahnung hatte, fiel der durch, seine Arbeit erweckte
Verdacht, man verfolgte die Spur rückwärts, und eines Tages fand ich das Büro leer: der
Direktor hatte gerade noch flüchten können."11
Die preußisch-deutsche Hauptstadt hatte für Przybyszewski als Politiker und Wissenschaftler
keinen Platz mehr, es blieb ihm nur noch die Beschäftigung mit der Literatur und mit den
Frauen. Literatur und Leben vermischten sich bei ihm ununterscheidbar mit einander: Liebe,
225
Ro
Berlin, dnia 6 listopada 1891.
Nr. 45.
GAZETA ROBOTNICZA
Organ Socyalistöw Polskich.
" wjreboa* oo «statt. ' Vi (»jfiUl kwartaln* wy*0«i oa wsrMtkich pocftarh p*BStw* niemiwkicg" »0 fcnygtw. Zapiaom Jcat w porUowjm katalOfii
• t a n *M .8. »acktntf n r 2&un«>rre)il»t* flu 1891 unter •. poiniwb Nr. 30*u AbooMutni mieti^toT u knlpoHcWi* t <wl«t»w» >lo <lömu wyao« 30 f«j|r&w.
P»d ofäak* • ehst—ljey? fcwartafaie w Niemnwch 1 Aettryi 1 u u k ( 30 fen.. *n gruir» 1 mr, W fca. - CM» optcwcA o.I wie**M» trxyiautfwtgo drobocgo diuk*
•0 frnjfO* — Hetekry» i Mk*y*ijvj% •aftjdaje ^ w Berh'me SW., UevttotrMse 3, w j*.iwf,na 4 pi^tro OB lewa. üsty.- pmwylki plen^ene i tamäwienta na ioMtMy
pmayta oafeiy pod powyiazytn •dresem.
Towarzyszel
U p r a s z a m y W a s o rozszerzanie „Gazety Robotniczej!"
n» IroDfrawi« w Brftrofc.
Ta «pofoezna pnemijui» Dmaczx wyiwolenio
nietylko k l t s j robotnicsäj, sl« cal^j iudikosci,
cierpiiy^j wakulek dxisiejsKego utann ^potecziiego.
Ale wyswotpfti« in inotn bytf tylko dzictom kU«y
rototoicM'js poaiowü wezyutkie iun« klasy, pnmimo riiöic KWOIQII int*ro-iii".v, HU>JI na gntncio
prywatiuSj wliuaoiici srodk6n- produkeyi i d%i^
do olrzyroaDift podstsw dzwiejaiügo spoleczeriatwa,
jtko do •»•«(to «"'piitoogo colli.
*M**tw* «prevtdM i iiti •>•)•>. koniaowoÄci^
f i J i k drobMgo pnamyalbi kttrego pod»t*w».
j a * WIMBOM pt7«»tea *rodfaw pnMhfccyi *"
•yk* nbotDik» « f «Hgdafeqfck — &MTVOJ
MB • d d m l » robottik* od jag« #odkAw pro*»krri i H ^ M B M go w w QH po«wdq%(xgn
. gdy *rodki prodokcyi
Jrowo liesby
Walk» kUsy robotniczej prseciw kivpiuK«ycznnmu wyivbkiwmiiu jont r. k;>niecznoki
«aik^ politycm^.
Kluia robotiiicia nie raoic
prowadcid walk okouomicrnycli i rnz.sriaa/ «w»'-j
ekonomicxn^ orsaniucyi bez praw pölitycioycb
Nie moie ona askutscnuä przeJMcia Aroiliiöw
produkeyi w poaiadftnt« eatcgn spolenenttw^,
jeieli ote poai^dzie wtatUy politycznvj.
Lxiynirf t*j walkq robotniczej klaay äwiadomty
i jodnobut, vskustd j^i konioczae celo — oto
Progi
ii«mitckJ6| ptrtyi aocyalsoöflmokrttrcimi,
•ffcw^ony jodnoirtofai« 1oi> 21 paMssntik&l991
4. Zmoaiunie WFzystkich uitaw, ktorc acieiniajn
lub gwatca, swdboj? jirjekonari i prawo «gromaözefi i BtmvartysieA.
6. Ztiicsicnio wwyKtkich ustaw, ktore podpore*dkow>ijj| kubietq ir"jicKy*nio w prawnyeh atonuiikfirh irnblic/.nyr.ti i [irywotiiych.
0. OgioBzeuie retigii z* rzecz prywsUwi.
Zniesionie wssy*tkich wydttÜtoiv zo irodkiw
puMiczaycii n» wie kosci*lno Job religijne.
Öminj' ko*cioloo i religijn« Bhleiy vw*x*& jftko
prywatneriednoceroiA, ktoro Hpora*ikoinw "»oje
«prawy tupetme lamodzielnie.
7. SwieekoM sskoly, Obowiixkowe neu;aiezanie do publicznych axk6I Indowyeb. Bexplttnosü nauki i irodkAw naukowycb OTM opteki
w piiblieznycb iikot&ch ludowych, jakotoA wo
wyiszych atkltwlkch natikowych dl» tycb ocruiiw
i acseDoic, ktorych m u t i o s powoda ich sdolnoici za odpowi«4mch do dalezego ksaUfcen»-
Titelblatt der in Berlin erschienenen Gazeta robotnicza, des Organs polnischer Sozialisten, vom 6. November 1891 mit dem am 21. Oktober 1891 beschlossenen Erfurter Programm der SPD
Sehnsucht, Satanismus - das sind die Hauptmotive seiner Werke, die seinen literarischen Ruhm
unter seinen Zeitgenossen in Berlin festigen, die ihn als typischen Vertreter des Fin de siecle
erscheinen lassen; im persönlichen Leben führten sie ihn in stets neue Tragödien und entfremdeten ihn seinen Berliner Freunden. Sie sahen ihn als schuldig am Tode seiner Freundin Marta
Foerder, der Mutter seiner drei Kinder, an. Sie hatte nach Przybyszewskis Eheschließung mit
der umschwärmten Norwegerin Dagny Juel12 1896 Selbstmord begangen13. Seinen literarischen Erfolgen tat das jedoch keinen Abbruch. Die Sensation, die sein Werk hervorrief, ist
heute nur schwer nachzuvollziehen - durch „Frankenstein"- und „Dracula"-Filme „verwöhnt",
ist heute wohl kaum noch ein Leser durch eine Szene wie die folgende zu schockieren:
„Wie eine Pantherkatze schlich ich langsam an die Leiche heran - ich war dicht an ihr.
Mit irren keuchenden Fingern suchte ich das Lid zu heben; ich zitterte und flog an allen
Gliedern; ein fürchterlich verzerrtes Wollustgrinsen lag auf dem Gesichte. Ich hatte die
Empfindung, daß mein Kopf mir durch das Fenster flöge, und ich lachte und schrie und fühlte
meine eigenen Laute auf mich zurückprallen wie Steinwürfe - ich küßte ihr Gesicht, ich riß und
sog an ihr, und plötzlich biß ich mich mit geifernden Lippen wie ein Vampir schrill in ihre Brust
hinein."14
Dieses Buch erlebte zwei deutsche Auflagen, wurde ins Russische, Tschechische und Bulgarische, zuerst aber natürlich ins Polnische übersetzt15.
Durch seine Berliner Werke und deren großes Echo drang Przybyszewskis Ruf nach Krakau,
ins österreichische Galizien, wo damals der polnischen Kultur die größten Entfaltungsmöglichkeiten gegeben waren. Dort konnte er 1898 die Literaturzeitschrift „Zycie" („Das Leben")
226
übernehmen und seine Erfahrungen mit der deutschen und skandinavischen Moderne weitervermitteln: Sein Journal wurde zum Forum des geistigen Austauschs zwischen diesen Ländern
und Polen; von Przybyszewski gingen dabei Anstöße für die Literatur des „Jungen Polen" aus,
die dort bis heute die Erinnerung an ihn wachhalten, zumal die literarische Bedeutung des
„Jungen Polen" ungleich gewichtiger ist als die des „Jungen Deutschland".
In Berlin erinnert fast nichts mehr an ihn. Hätte ihn nicht eine Dagny Juel August Strindberg
vorgezogen, wäre er nicht Stammgast im „Schwarzen Ferkel" gewesen, so wäre sein Name wohl
auch aus der Lokalgeschichte Berlins verschwunden16. Mag sein, daß zu diesem Vergessen auch
Przybyszewskis fast physischer Haß gegen alles Preußische, dem er drastischen Ausdruck gab,
beigetragen hat:
„Wäre es für die Polen im preußischen Teilungsgebiet nur um Germanisierung gegangen, so
wäre das nur halb so schlimm gewesen, eine rein germanische Seele wäre nicht imstande
gewesen, auf so schädliche Weise mit einem unterjochten Volk umzugehen, und wer weiß, ob
sie es unterjochen wollte - aber hier ging es um etwas anderes: um eine abscheuliche Verpreu227
ßung. Die Preußen sind ein Volk von Bastarden, das aus eingeströmten deutschen Elementen,
vermischt mit Slawen und Juden, besteht. Der reine Germane hat seine Tugenden, ihn findet
ihr, je weiter ihr euch von Preußen entfernt - in Bayern, im Rheinland, in Württemberg -, und
er wäre nicht fähig, die polnische Seele so zugrunde zu richten wie der Bastard-Preuße."17
Durch seinen Tod im Jahre 1927 blieb es Przybyszewski erspart, 1939 den schrecklichen Beweis
des Gegenteils durch ein vom Rassenwahn befallenes Deutschland zu erleben.
Nicht die pauschale Kritik eines „Muß-Preußen" an Preußen läßt ihn heute noch erwähnenswert erscheinen. Aber seine originellen politischen Aktivitäten, die nur auf dem Boden eines
Preußen mit seinen unterschiedlichen Nationalitäten denkbar waren, und vor allem seine
„Erinnerungen an das literarische Berlin" der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts sollten
auch in dieser Stadt die Erinnerung an ihn wachhalten. Zwar ist seine Autobiographie mit
großer Vorsicht zu lesen: Der angebliche Tod der Hexe Ulicha durch den rückwirkenden
Schock konnte beispielsweise von Literaturwissenschaftlern nicht bestätigt werden; andere
Passagen hat er, der Feind aller Genauigkeit, fast ohne Änderung bei einem anderen Literaturhistoriker abgeschrieben. Doch das, was er selbst erlebt hat (oder erlebt zu haben meint), stellt
er sehr plastisch dar, zum Beispiel den Friedrichshagener Dichterkreis, der sich damals aus der
Großstadt Berlin zurückgezogen hatte:
„In der Gruppe der Künstler . . . herrschte eine solche Solidarität, eine fast überempfindliche
Kollegialität, daß es keinen unter ihnen gab, der mit dem anderen nicht alles geteilt hätte, was er
besaß. Ein Kommunismus der Enterbten, der für den satten Pöbel so unverständlich war, daß
er ihn mit dem berühmten Pasquill zu verhöhnen vermochte:
,Wir wollen uns mit Schnaps berauschen,
Wir wollen unsere Weiber tauschen,
Wir wollen uns mit Talg beschmieren,
Im Sonnenscheine nackt spazieren Wir wollen echte Russen sein!'
Der letzte Aufruf bezieht sich auf die russischen anarchistischen Strömungen, die gerade die
Friedrichshagener Kolonie durchsetzten, und jedes ihrer Glieder galt als gefährlicher Anarchist
. . . (Doch) die tiefe Sympathie, die sie für die russischen Märtyrer empfand, war nur platonisch."18
Als Beobachter und Interpret dieser Randgruppe, die Stanislaw Przybyszewski wie kaum ein
anderer in Berlin gekannt hat, wird der polnische Preuße wider Willen seinen Rang sicher
behalten.
Anschrift des Verfassers: Jürgen Vietig, Wildpfad 20a, 1000 Berlin 33
1
2
3
4
5
6
7
8
Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung einer Sendung des
RIAS-Bildungsprogramms.
Adolf Paul: Zum schwarzen Ferkel, in: Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte
Berlins, XXVIII/1979, S. 97. - Zum genannten Essay s. Anm. 4
Stanislaw Przybyszewski: Erinnerungen an das literarische Berlin. Mit einem Geleitwort von Willy
Haas (aus dem Polnischen übertragen von Klaus Staemmler - Originaltitel: Moi wspötczesni - Wsröd
obcych, Warszawa 1926), München 1965, S. 256 ff.
Stanislaw Przybyszewski: Homo sapiens. T. HI - Im Malstrom, Berlin 1895, S. 36
Ders.: Zur Psychologie des Individuums. T. I - Chopin und Nietzsche, Berlin 1892.
Ders.: Erinnerungen ..., S. 95.
Gazeta robotnicza, Nr.43 (1892), zitiert nach Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, Krakow 1958,
S.62.
Grabski war in den zwanziger Jahren polnischer Volksbildungsminister.
228
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, S. 69 f.
Stanislaw Przybyszewski: Erinnerungen ..., S. 97.
Ebenda, S. 93 f.
Zu Dagny Juel vgl. Adolf Paul (2): Zum schwarzen Ferkel..., S. 96 f.
Stanislaw Helsztyriski: Przybyszewski, S. 142.
Stanislaw Przybyszewski: Totenmesse, Berlin 21900, S. 51.
Stanislaw Helsztyriski: Bibliografia pism Stanislawa Przybyszewskiego, Warszawa 1968, S. 6/7.
1979 ist jedoch in einer (leider etwas oberflächlich gemachten) Neuauflage Przybyszewskis „Die
Synagoge des Satans" beim Verlag Clemens Zerling, Berlin (West), herausgegeben worden.
Stanislaw Przybyszewski: Moi wspölczesni - Wsröd swoich, Warszawa 1930, S. 10 f.
Ders.: Erinnerungen ..., S. 87 f.
Die Tjtoerwindung der Diaspora
J3ie Entwicklung der katholischen Kirche in Charlottenburg
2. Teil: Zerstörung, Wiederaufbau und Ausbau
Von Eleonore Liedtke
Kirchenkampf, Schließung katholischer Bildungseinrichtungen sowie die Zerstörung katholischer Kirchen durch die Bombenangriffe in der Zeit des Nationalsozialismus kennzeichnen die
erste Phase katholischen Lebens in Charlottenburg, die durch die Phase des mühseligen
Wiederaufbaus des Bistums Berlin nach 1945 in Frieden und Freiheit fortgesetzt wird. Die
beiden katholischen Gymnasien in Charlottenburg erfuhren in zunehmendem Maße den
kirchenfeindlichen Druck der nationalsozialistischen Diktatur, der einschneidende Veränderungen brachte.
Bis zum Jahre 1940, dem Jahre der gewaltsamen Schließung durch die Machthaber des
Nationalsozialismus, hatten 1332 Schüler das „Gymnasium am Lietzensee" besucht, darunter
auch der am 13. Dezember 1979 verstorbene Bischof von Berlin, Dr. Alfred Kardinal Bengsch.
Nach der Zerstörung des Schulgebäudes 1943 durch Bomben erstand 30 Tage nach dem
Zusammenbruch das „Gymnasium am Lietzensee" neu unter dem Namen „Canisius-Kolleg".
1947 erfolgte der Einzug in das ehemalige Krupp-Verwaltungsgebäude in Berlin-Tiergarten.
Auch die Notkapelle „St. Canisius" aus den zwanziger Jahren wurde durch Bomben zerstört.
Doch als sich in Berlin seit der Mitte der fünfziger Jahre wieder freischaffendes Bauen ohne
Diktatur und Krieg entfalten konnte, wurde auch „das künstlerische Unikat im deutschen
Kirchenbau des 20. Jahrhunderts" geschaffen, Berlins katholische „Wiegenkirche" St. Canisius, Witzlebenstraße 27-29. Die 1955 fertiggestellte neue St.-Canisius-Kirche von Reinhard
Hofbauer, deren bautechnische Überholung 1965 abgeschlossen war, öffnet sich zum Lietzensee und zu der ihn umgebenden Parkanlage. Von dem großen Portalvorplatz mit dem freistehenden Turm im Hintergrund nimmt seit 1961 alljährlich die Fronleichnamsprozession für die
Katholiken im Westteil Berlins ihren Ausgang und führt durch die Parkanlage rund um das
„Weihwasserbecken" herum. Die Kirche ist auf konischem Grundriß errichtet. An den Halbkreisbogen der Eingangsfront schließen sich - hintereinander geschichtet - hohe Bögen an, die
sich bei gleichbleibender Scheitelhöhe zum Altar hin verjüngen. Angezogen wird der Beter von
dem Crucifixus Gerhard Schreibers an der Abschlußwand. Dieser Eindruck wird unterstützt
229
St. Canisius-Kirche
durch den Lichteinfall aus Fenstern, die verborgen bleiben. Die Canisius-Gemeinde selbst ist
bekannt durch ihr reges Gemeindeleben. Das Angebot an zahlreichen Sonntagsgottesdiensten,
die täglichen Abendmessen sowie die Fastenpredigten dieser 6000 Seelen zählenden Gemeinde
wirken auf viele Gläubige anziehend. St. Canisius ist außerdem als überpfarrliche „Beichtkirche" beliebt und aus zahlreichen Übertragungen von Fernsehgottesdiensten in letzter Zeit über
den Rahmen der Stadt hinaus bekannt geworden.
Die umliegenden Gebäude, wie das Dr.-Erich-Klausener-Haus in der Witzlebenstraße 30, das
einst Arbeitsräume des Bischöflichen Ordinariats und katholischer Organisationen beherbergte, sowie die Helene-Weber-Akademie für Sozialarbeit und das im Hintergrund in der
Suarezstraße gelegene Wilhelm-Weskamm-Haus - einst als Studentenwohnheim benutzt -,
rahmen den Gemeindekomplex ein. Die Helene-Weber-Akademie, die 1972 aufgelöst wurde,
verstand sich als Nachfolgeinstitution der 1917 gegründeten „Sozialen Frauenschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes", einer Bildungsstätte für weibliche Fachkräfte der Sozialarbeit. Besonders unter der Leitung der beiden inzwischen verstorbenen Direktorinnen,
Paula Regnier und Dr. Marianne Pünder, hat sich der gute Ruf dieser Ausbildungsstätte für
Seelsorgehelferinnen und Sozialarbeiter(innen) weit verbreitet.
Auch für die „Katholische Schule Liebfrauen" brachte die nationalsozialistische Ära eine
230
einschneidende Veränderung. Der 1936 verfügte stufenweise Abbau dieser Schule war im Juli
1942 beendet und die Schule geschlossen.
Das Schulhaus wurde in ein Heim für berufstätige Damen umgewandelt. Die Lehrerinnen
konnten z. T. noch in den anderen Schulen der Kongregation eingesetzt, die übrigen mußten
mit häuslichen Aufgaben beschäftigt werden. Am 30. Januar 1944 wurde das Liebfrauenhaus
durch Sprengbomben zerstört, am 15. Februar brannten die restlichen Gebäude ab. Unter der
zielstrebigen Leitung von Sr. M. Coelestis, „Coe" genannt, wurde kurz nach der Beendigung
des Zweiten Weltkrieges mit dem Wiederaufbau der Schule begonnen. Am 1. Juni 1945 wurde
im früheren Schülerinnenheim der Unterricht wieder aufgenommen. Die Kurse für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen liefen 1952 aus. Eine neue Phase in der Entwicklung der
Liebfrauenschule wurde 1951 mit der Eröffnung der ersten Grundschulklassen eingeleitet.
Versuche, die zerstörte Liebfrauenschule am Lietzensee wieder aufzubauen, scheiterten. Dafür
konnte, nach Erwerbung eines weiteren Grundstücks, der Neubau in der Ahornallee 33 von
Bischof Julius Kardinal Döpfner im Jahre 1959 eingeweiht werden. Neben dem bereits
bestehenden neusprachlichen Typ wurde 1969 die sozialwissenschaftliche Oberstufe aufgebaut,
um neue Wege und Möglichkeiten der Menschenbildung zu suchen. Außer den Schulen St.
Franziskus, St. Marien, Salvator, Herz Jesu hatte das Bistum Berlin am 1. Januar 1970 auf
Antrag der Ordensschulträger - aus finanziellen und personellen Gründen - auch die Liebfrauenschule übernommen. Damit wurde die Möglichkeit einer Koordinierung des katholischen
Schulwesens in Berlin (West) gegeben. Eine im Herbst 1973 eingeleitete allmähliche, jahrgangsweise Umstellung im Rahmen einer Änderung der Schulorganisation mit dem Abbau der
Grundschule und dem Auf- und Ausbau der Realschule war 1978 abgeschlossen.
Als jüngste katholische Schulgründung in Charlottenburg ist die Katholische Schule Herz Jesu
in der Insterburgallee 8-10 zu betrachten. Mit Hilfe von Frau Dr. Westrick war es der
Provinzoberin der Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu, M. Maria Tiefenbacher, 1945
gelungen, bei der sowjetischen Militärkommandantur als allererste Schule in Berlin, also noch
vor den öffentlichen Schulen, eine Unterrichtsgenehmigung für die jetzige Herz-Jesu-Schule zu
erreichen. Die Ordensfrauen, auch als Sacre-Coeur-Schwestern bezeichnet, brachten Schulerfahrung mit, denn seit 1937 leiteten sie in der Hagenstraße 39-47 im Grunewald eine Schule für
Diplomatenkinder und unterhielten ein Wohnheim für studierende und berufstätige Mädchen.
Als Ostern 1939 in der überwiegenden Zahl der Pfarreien des Bistums Berlin die katholischen
staatlichen Volksschulen geschlossen wurden, verloren auch die Ordensfrauen vom heiligsten
Herzen Jesu ihr Wirkungsfeld und wurden vertrieben. Bereitwillig fanden sie gastliche Aufnahme bei den Anbetungsschwestern von St. Gabriel in der Bayernallee. Nun übernahmen die
Schwestern andere Aufgaben wie Konvertitenunterricht, Aushilfe in der Seelsorge u. a. Nach
dem Zusammenbruch fand der Schulunterricht der neu eröffneten Herz-Jesu-Schule zuerst im
Pfarrsaal der Heilig-Geist-Gemeinde statt, danach in einer Baracke in der Preußenallee 25,
dort, wo heute der Kindergarten der Heilig-Geist-Gemeinde liegt. Erst zum Christkönigsfest
1949 gelang es den Ordensfrauen vom heiligsten Herzen Jesu, ein für Schulzwecke geeignetes
Haus zu erwerben, nämlich die große Villa in der Insterburgallee 8-10. Mit Hilfe der durch den
Verkauf des Grundstücks im Grunewald an den italienischen Schwesternorden „Sorelle della
Misericordia di Verona", die hier das Karl-Steeb-Heim, ein Altersheim, betreuen, empfangenen
Mittel konnte die Villa in ein Schulhaus umgewandelt werden und ein Gebäudetrakt angebaut
werden. Die Herz-Jesu-Schule führt eine Grundschule, die in einen Realschulzweig mündete.
1976 lief jedoch dieser Realschulzweig aus, und die Koordinierung mit der Liebfrauenschule
begann.
Auch das St.-Hildegard-Krankenhaus mit seiner Kapelle trug Kriegsschäden davon. Die an der
231
Stelle des ehemaligen Kohlenschuppens von den Schwestern der hl. Hildegard errichtete
Kapelle diente der Hl.-Geist-Gemeinde bis zum Bau der großen Hl.-Geist-Kirche in der
Bayernallee als Gemeindekirche. Diese Kapelle wurde beim Angriff am 23. November 1943
zerstört. Ein weiterer Luftangriff am 25. Februar 1944 zerstörte das Krankenhaus zu 75 %. Als
1956 das Röntgenhaus umgebaut und erweitert werden mußte, gestaltete man einen Teil des
Gebäudes als neue Kapelle mit etwa hundert Sitzplätzen aus.
Die Nachfolge der Hildegardschwestern in der Krankenhausleitung traten die Dienerinnen des
Heiligen Geistes an, Missionsschwestern aus der Spiritualität des seligen P. Arnold Janssen.
Über vierzig Jahre, bis Ende des Jahres 1976, haben die Dienerinnen des Heiligen Geistes
diesem katholischen Krankenhaus das besondere christliche Gepräge gegeben, bis auch sie sich
wegen Nachwuchsmangels auf ihre ordenseigenen Krankenanstalten in Westdeutschland zurückzogen. Seit Januar 1966 liegt die Trägerschaft des St.-Hildegard-Krankenhauses mit seinen
rund 180 Betten beim Caritas-Verband Berlin, der es auch weiterhin als Erste-Hilfe-Krankenhaus an der Avus und im Bereich des Messegeländes unterhält.
Auch die „Maria Himmelfahrt"-Gemeinde ist eine Gründung Bernhard Lichtenbergs. 1922
beauftragte er seinen Kaplan Georg Hillebrand, im „Kalowswerder" eine Gottesdienststätte
einzurichten. In der Schulaula in der Wiebestraße konnte am 22. August 1922 die erste hl.
Messe mit 65 Teilnehmern gefeiert werden. Pfarrer Lichtenberg selbst war auch noch für diesen
Kapellenbau betteln und sammeln gegangen. Der große Kirchbauplan des Dahlemer Architekten Kaufhold zerschlug sich. Die Mittel reichten nur für einen Teilbau als Provisorium. Die
Grundsteinlegung am 15. September 1925 und die Benediktion der Kapelle am 15. August 1926
konnte Msgr. Lichtenberg selbst vornehmen. Das Festgeheimnis des Benediktionstages „Maria
232
Himmelfahrt" wurde auch der Name der am gleichen Tage gebildeten Gemeinde. Am 1. April
1959 wurde der nördliche Teil der Gemeinde ausgepfarrt, und zwar die Kolonien in Plötzensee
und Jungfernheide in die seelsorglich selbständige Kuratie „Maria Regina Martyrum".
40 Jahre hatte diese Charlottenburger Pfarrgemeinde auf ihr richtiges Gotteshaus warten
müssen, das jetzt auf dem Grundstück Mindener Straße/Mierendorffplatz steht, im Zentrum
des ehemals „Kalowswerder" genannten Stadtgebietes, jenseits von Spree und Schloßbrücke.
Sowohl städtebaulich-architektonisch als auch in ökumenischer Hinsicht stellt „Maria Himmelfahrt" eine gelungene Ergänzung zur evangelischen Gustav-Adolf-Kirche dar, eine Schöpfung Otto Bartnings bereits aus dem Jahre 1934. In dieser Kirche fand die katholische
Gemeinde während des Kirchenneubaus gastliche Aufnahme, so daß durch diese gelebte
Nachbarschaft in Brüderlichkeit zwischen diesen beiden Gemeinden viele fruchtbare ökumenische Kontakte entstanden sind. Den Entwurf für das neue Pfarrgrundstück lieferte der
Münsteraner Diözesanbaurat Alfons Boklage. Der 33 m hohe halbrunde Glockenturm, eine
„Conche", ist zu beiden Seiten von über 600 farbigen Wabenfenstern umgeben. Licht und
Farbgebung empfängt der im ersten Stockwerk gelegene Kirchenraum von diesen Wabenfenstera und der gegenüber dem Altar liegenden Fensterwand, die das „himmlische Jerusalem"
darstellt, beides Schöpfungen des Glasmalers Paul Ohnsorge. Der Altarraum wird durch den
hellen Anstrich der Ziegel in der Wölbung der Conche, wo die Sitze für Priester, Lektoren und
Ministranten eingefügt sind, aus dem sonst rötlichen Ganzen des Kircheninnenraumes herausgehoben. Stark ist der Altar in die „Mitte des Gottesvolkes" gerückt, damit, um ihn geschart,
die Gläubigen gemäß dem Schriftwort „Der Bräutigam kommt. Geht ihm entgegen!" die hl.
Kommunion stehend empfangen können.
Als jüngste der katholischen Gemeinden Charlottenburgs ist „Maria Regina Martyrum", die
Gedächtniskirche der deutschen Katholiken zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und
Gewissensfreiheit in den Jahren 1933 bis 1945, am Heckerdamm entstanden, dort, wo die
Bernhard-Lichtenberg-Straße auf den Heckerdamm stößt. „Sie befindet sich im Fadenkreuz
zwischen dem 1975 eröffneten Flughafen Tegel und dem Charlottenburger Schloßgarten an der
Spree und in der Querrichtung zwischen den gemischten Wohn- und Industriesiedlungen der
Siemensstadt und des Westhafenviertels."1
Die Entstehung dieser Gedenkkirche ist eng mit den beiden ersten Deutschen Katholikentagen
in Berlin verknüpft: Auf dem 75. Deutschen Katholikentag 1952 rief Bischof Wilhelm Weskamm auf Anregung des Berliner Domkapitels zum Bau der Märtyrerkirche auf; 1958 legten
die deutschen Katholiken das Gelöbnis ab, die Verwirklichung dieses Gedankens in unmittelbarer Nähe der Hinrichtungsstätte Plötzensee Denkmal werden zu lassen. Das nach einer
Anrufung aus der Lauretanischen Litanei benannte Gotteshaus, von den Würzburger Architekten Hans Schädel und Friedrich Ebert erbaut, wurde am 5. Mai 1963 vom Erzbischof von
München-Freising, Julius Kardinal Döpfner, konsekriert. „Maria Regina Martyrum", Gedenkstätte und Sühnemal in der lebendigen Mitte einer Gemeinde, dient der in CharlottenburgNord entstandenen neuen Wohnsiedlung zugleich als Gemeindekirche. Auch äußerlich kommen diese zwei Funktionen zum Ausdruck, indem hohe, betongegossene Wände diese beiden
Bereiche sowohl umschließen als auch zugleich voneinander trennen: die Gedächtnisstätte mit
der Doppelkirche und das Gemeindezentrum. Wie Gefängnismauern wirken die schwarzgrauen Gußplatten aus Basaltkiesel um den weiten Hof der Gedenkstätte, dem Gemeindebezirk dagegen geben sie mehr den Charakter der Umfriedung und des Geborgenseins.
Das Herzstück dieser Kirche ist ihre Krypta, eine Grabkirche. Hier wurde der frühchristliche
Baugedanke des Martyrions wieder aufgegriffen. Rechts neben dem Altar sind vor der Pietä
Fritz Königs drei Gräber, mit Grabplatten bedeckt. Das rechte Grab enthält die Asche des am
233
Maria Regina Martyrum, Gedenkkirche zu Ehren der Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit
in den Jahren 1933-1945
30. Juni 1934 ermordeten Vorsitzenden der Katholischen Aktion und ersten Märtyrers des
jungen Bistums, Dr. Erich Klausener, die vom St.-Matthias-Friedhof hierher übergeführt
wurde. Das linke Grab ist für die Gebeine von Dompropst Bernhard Lichtenberg bestimmt,
dessen sterbliche Überreste in der Krypta der St.-Hedwigs-Kathedrale ruhen. Zwischen diesen
beiden Blutopfern aus der Zeit des Nationalsozialismus, dem Priester und dem Laien, liegt ein
„Symbolgrab", dessen Inschrift lautet:
Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde.
Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind
Die Altarwand der Oberkirche, die man über eine Treppe erreicht, wird beherrscht durch das
große Wandbild Georg Meistermanns mit einem Thema aus der Apokalypse des hl. Johannes.
Der Glockenturm an der südöstlichen Ecke des Mauerbezirks wurde als Eingangstor gestaltet,
durch das man die offene Feierstätte mit dem Freialtar betritt, um den sich 10000 Gläubige
scharen können. Die östliche Hofmauer entlang ziehen sich die 14 Kreuzwegstationen, Bronzeskulpturen des sudetendeutschen Künstlers Otto Herbert Hajek.
234
Wie gezeigt wurde, hatte die kontinuierliche Entwicklung des Auf- und Ausbaus des jungen
Bistums Berlin durch die kirchenfeindlichen Tendenzen des Dritten Reiches einen tiefen
Einschnitt mit Rezession und Stagnation erhalten. Langgehegte Projekte von Bildungs- und
Sozialeinrichtungen sowie seelsorgliche Schwerpunkte konnten erst in den sechziger Jahren
realisiert werden. Dabei erfolgte eine Bevorzugung des Standortes in Charlottenburg, das
nunmehr City-Funktionen wahrnehmen sollte.
Gleichsam eine Frucht der Verwirklichung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils
ist die Theologisch-Pädagogische Akademie des Bistums Berlin in der Westendallee 54. Am 11.
Oktober 1966, dem vierten Jahrestag der Eröffnung dieses Konzils durch Papst Johannes
XXIII., erhielt dieses Bildungszentrum durch den Diözesanbischof Dr. Alfred Kardinal
Bengsch seine kirchliche Weihe. Den Ruf des damaligen Regierenden Bürgermeisters Willy
Brandt nach dem 13. August 1961 zur Schaffung eines Kulturzentrums für Berlin nahm das
Bistum Berlin auf, indem es das Grundstück Westendallee 54/Oldenburgallee 14 erwarb, um
aus Bundesmitteln ein langjähriges und notwendiges Desiderat des Bistums, eine zentrale
Aus-und Weiterbildungsstätte für den Nachwuchs an schuleigenen Religionslehrern und Katecheten, zu schaffen. Bisher hatten diese Bildungsveranstaltungen über viele Pfarreien zerstreut
stattfinden müssen. In der sogenannten ersten nachkonziliaren Phase verstand sich diese
Akademie als ein Arbeitszentrum für die fachliche religionspädagogische Ausbildung aufgrund
der neuen bibelwissenschaftlich-kerygmatischen Ergebnisse, der Aufarbeitung der ekklesiologischen und christologischen Themenstellungen und der neuen Standortgewinnung der Schulkatechese innerhalb der Religionspädagogik. Die Bildungsbemühungen der Theologisch-Pädagogischen Akademie von der religiösen Vorschulerziehung bis zu den vielfältigen Formen
der kirchlichen Erwachsenenbildung drängten allmählich zu einer gewissen Zusammenfassung
aller kirchlichen Bildungsaufgaben im Westteil des Bistums, so daß mit Wirkung vom 1. Januar
1977 die drei Bildungseinrichtungen des Bischöflichen Ordinariates, die Theologisch-Pädagogische Akademie, die Katholische Akademie mit dem Primanerforum und das Katholische
Bildungswerk, zur Zusammenarbeit verpflichtet wurden. Dieses so neugeschaffene „Katholische Bildungszentrum des Bistums Berlin" gliedert sich nunmehr in zwei Abteilungen: 1. Ausund Weiterbildung kirchlicher Dienste (= Theologisch-Pädagogische Akademie) und 2. Erwachsenenbildung (= Katholische Akademie mit Primanerforum, Katholisches Bildungswerk).
Der Aufgabenkreis der Theologisch-Pädagogischen Akademie ist erweitert worden, denn zu
der Aus- und Weiterbildung der Katecheten und Religionslehrer, der Gemeindereferentinnen
und der Ordensfrauen tritt die Weiterbildung der Lehrer an katholischen Schulen, der Küster,
der Lektoren, der Kommunionhelfer, der Heimerzieher, der Erwachsenenbildner und auch der
Priester. Das Bildungswerk leistet hauptsächlich Bildungsarbeit in Schwerpunktpfarreien der
Dekanate, während die Katholische Akademie sich mehr auf Vortragsarbeit auf Stadtebene
konzentriert, um jeden geistig aufgeschlossenen Menschen an die wesentlichen Zeitprobleme
heranzuführen. Das Primanerforum ist gedacht als Gesprächs- und Begegnungsstätte vor
allem der katholischen Schüler und Schülerinnen der gymnasialen Oberstufe.
Der Theologisch-Pädagogischen Akademie angeschlossen ist die Diözesanbibliothek, die erste
wissenschaftliche theologische Fachbibliothek zwischen Elbe und Oder nach der Reformation,
die öffentlich zugänglich ist. Der erste Leiter dieser Akademie, Prälat Dr. Alfred Heyder, hatte
seinerzeit in seiner Begrüßungsrede am Einweihungstag auf die enge Verbindung von Akademie und dem Herzstück des Hauses, der Diözesanbibliothek, hingewiesen: „Topographisch
bildet die neue Akademie eine Art Schlußstein oder i-Punkt und ist Ausläufer der großen
preußisch-deutschen Kulturstättenachse: beginnend vom Lustgarten zu den Bauten am Tier235
TheologischPädagogische Akademie,
Katholisches Bildungszentrum des
Bistums Berlin
J£%
garten (Philharmonie, Kongreßhalle), dem künftigen Mies-van-der-Rohe-Projekt mit Nationalgalerie, Deutscher Staatsbibliothek, dann in Richtung Charlottenburger Schloß, SFB hin zu
unserer Akademie. Wie im spätantiken Alexandrien wird jeweils das Museion, damals der
hellenistische Musentempel, als priesterlicher Kultverein mit der Bibliothek verbunden . . .
Unsere Verbindung von Akademie und Bibliothek soll auch für das junge Bistum Berlin eine
Verpflichtung bedeuten."
Der bisher katalogisierte Buchbestand der Diözesanbibliothek in der Westendallee 54, die sich
als Nachfolgebibliothek der Ordinariatsbestände versteht und geistig an die Akademische
Lesehalle von Dr. Carl Sonnenschein Ende der zwanziger Jahre anknüpft, beträgt über 20000
Bände. Die Besucherzahl verzeichnete zwei Höhepunkte: 1967 mit über 900 und 1972 mit über
1000 Benutzern.
Die Katholische Volksbücherei Berlin ist anläßlich des Katholikentages 1958 als Modellbücherei entstanden. Seit ihrem Umbau im Jahre 1974 heißt sie Carl-Sonnenschein-Bücherei und
dient mit ihren ca. 15 000 Bänden als katholische Zentralbücherei des Bistums Berlin auch den
Pfarrbüchereien zur Ergänzung ihrer Bestände.
Wie schon oft in ihrer Geschichte hat die Kirche es übernommen, eine sogenannte „Marktlücke" zu schließen.
Als am Anfang der sechziger Jahre in Berlin ein erheblicher Mangel an Pflegeplätzen bestand,
besonders für Alterskranke und chronisch Kranke, planten der Caritas-Verband für Berlin e.V.
und der Verein Schlesischer Malteser-Ritter die Errichtung einer „Krankenanstalt für chronisch und langfristig Kranke". Am 12. November 1966 weihte der Bischof von Berlin, Dr.
Alfred Bengsch, das von einem Spezialisten für Krankenhausbauten, dem Architekten HansBertram Lewicki, entworfene Malteser-Krankenhaus in der Pillkaller Allee 1 ein. Spezielle
236
Malteser-Krankenhaus
Aufgabe der Arbeit in dieser für Berlin einzigartigen Neuschöpfung ist es, aus christlichem
Geist und Lebensauftrag heraus chronisch Kranke und Alterskranke mit den modernen
Methoden der Physiotherapie (Hydro- und Beschäftigungstherapie sowie Krankengymnastik)
einer Rehabilitation zuzuführen, ihren Lebenswillen zu stärken und zur menschlich-geistigen
Bewältigung der Krankheit zu verhelfen. Chefarzt Josef Böger gelang es, als Kern der weiblichen Pflegerinnen die Salvatorianerinnen zu gewinnen, die infolge der Schließung des Westsanatoriums hier neben den Freien Krankenschwestern einen neuen Dienst am kranken
Menschen übernehmen konnten.
Seit Weihnachten 1973 ist die „Katholische Glaubensinformation" im Frauenbundhaus,
Wundtstraße 40-44, am Lietzensee untergebracht. Angefangen hatte Jesuitenpater Robert
Manitius unter bescheidenen Verhältnissen 1953 im Neuköllner Pfarramt St. Clara unter der
Bezeichnung „Glaubensberatung für religiös Suchende", später verallgemeinert in „Glaubensberatung für Suchende". Als er seinen Tätigkeitsbereich am 1. Oktober 1960 in eigene Räumlichkeiten im Hinterhof der Kreuzberger Stresemannstraße 66, nahe der Sektorengrenze,
verlegen konnte, setzte sich der Name „Katholische Glaubensinformation" für diese Seelsorgeeinrichtung durch, eine Institution, die es auch in anderen deutschen Großstädten gibt.
Nachdem der gesamte Gebäudekomplex Stresemannstraße 66/Wilhelmstraße der Kroatischen
Mission zum Aufbau eines Seelsorgezentrums geschenkt wurde, zogen die Jesuiten mit ihrer
Niederlassung aus. Die Katholische Glaubensinformation fand geeignete Räumlichkeiten in
Charlottenburg. Den vielfältigen Fragen nach dem Sinn des Lebens aus katholischer Sicht,
nach den Erscheinungsformen des Katholischen schlechthin stellt sich P. Manitius mit einem
kleinen Helferkreis in persönlichem Gespräch, in Unterrichtsstunden wie in offenen Diskus237
sionsabenden über Glaubensfragen. Ferner hilft er, falsche Vorstellungen und Vorurteile
gegenüber der katholischen Kirche abzubauen. Weit über tausend Suchende haben seit 1960
über die Katholische Glaubensinformation den Weg in die katholische Kirche gefunden. Auch
zur „nachgehenden Seelsorge" nach erfolgter Konversion und zur Lebenshilfe beim Einüben
ins „Katholisch-Sein" wird in einem abwechslungsreichen Programm Gelegenheit geboten.
Während des 78. Deutschen Katholikentages in Berlin wurde am 6. August 1958 in den
gemieteten Parterreräumen eines Versicherungsneubaues in der Rankestraße 6 von dem damaligen Bischof Julius Döpfner die „Offene Tür Berlin" (OTB) eröffnet. Im südöstlichen Zipfel
des Dekanates Charlottenburg, inmitten der City, in einer Querstraße zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche gelegen, empfängt den Besucher eine Atmosphäre von Gesprächsbereitschaft,
Ruhe, Unaufdringlichkeit und Diskretion. Der Schöpfer dieses „Modells einer GroßstadtPastoral", der Jesuitenpater Gebhard Graf Stillfried, hat hier in seiner besonderen Weise der
Individualseelsorge den Weg gewiesen, wie im persönlichen Gespräch Katholiken wie Nichtkatholiken die religiöse Unsicherheit zu nehmen ist. Dabei rechnet er auf Ratsuchende, die aus
vielerlei Gründen den Weg zum katholischen Pfarrhaus scheuen. Einen ersten Einschnitt für
den Besucherkreis und damit in der Arbeit P. Stillfrieds bedeutete der Mauerbau 1961. Durch
das am 8. Dezember 1965 beendete Zweite Vatikanische Konzil „erfuhren Probleme und
Fragen der Ratsuchenden einen Wandel". Wenn Seelsorge und ihr Erfolg sich auch nicht in
Statistik einfangen lassen, so vermitteln einige Zahlen eine Vorstellung von dem Wirken in der
Stille. Bis einschließlich 1977 konnten 230 000 Besucher gezählt werden. Das Jahr 1959 wies die
Rekordziffer von über 22 000 Ratsuchenden und Interessenten auf. Heute hat die durchschnittliche Besucherzahl sich bei jährlich etwa 10 000 eingependelt, die der geführten Gespräche liegt
bei etwa 2500. Mag auch ein zahlenmäßiger Wandel zu verzeichnen sein, so stellt auch nach
dem Tode P. Stillfrieds die OTB inmitten der City ein Refugium dar, eine Oase der Stille und
Begegnung für den Vereinsamten oder Suchenden, im persönlichen Wort mit dem Priester oder
dem, der schweigend im Tabernakel der Kapelle auf ihn wartet.
Zum Schluß soll nicht unerwähnt bleiben, daß Charlottenburg auch Sitz zentraler katholischer
Verwaltungsbehörden ist. Das Bischöfliche Ordinariat Berlin (West) befindet sich im St.-OttoHaus in der Wundtstraße 48-50. Die Hauptvertretung des Deutschen Caritas-Verbandes ist
beheimatet in der Ahornallee 49.
*
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß Charlottenburg, abgesehen von der einstigen rechtlichen Zugehörigkeit zum Spandauer Benediktinerinnenkloster, auf eine knapp 135jährige
katholische Tradition zurückblicken kann, die jedoch eine vielfältige und bis heute inhaltsreiche Entwicklungsgeschichte aufzeigt. Dem Aufbau der Mutterpfarrei Herz Jesu durch die
schlesische Gründerpfarrergenerationen folgte die Entfaltung und Ausweitung in den „Goldenen Zwanzigern", verknüpft mit dem Namen des späteren Dompropstes Bernhard Lichtenberg, unter dessen Ägide die generalstabsmäßige Ausfaltung in die fünf neugegründeten
Kuratien erfolgte. Sämtliche Bereiche kirchlichen Lebens: Kirchengemeinden, die Ordensniederlassungen, Ausbildungsstätten, Schulen, theologische Bildungszentren, Bibliothek,
Krankenhäuser, Altersheime und Zentralbehörden sind in Charlottenburg präsent und zeigen
die Entwicklung Charlottenburgs zur Cityfunktion auch auf dem katholischen Sektor.
1
Streicher, Gebhard, und Drave, Erika: Berlin - Stadt und Kirche. Berlin 1980, S. 266.
238
Übersicht über Charlottenburger Straßennamen, die an Katholiken oder an katholische Stätten erinnern:
Bernhard-Lichtenberg-Straße: Bernhard Lichtenberg (1875-1943), Pfarrer in Charlottenburg, Dompropst.
Delpzeile: Alfred Delp (1907-1945), Jesuitenpater.
Jakob-Kaiser-Platz: Jakob Kaiser (1888-1961), christlicher Gewerkschaftler, CDU-Vorsitzender in der
sowjetischen Besatzungszone.
Jungfernheide weg: Jungfernheide - Bezeichnung für den Wald, der den Spandauer Benediktinerinnen
gehörte.
Klausingring: Friedrich Karl Klausing (1920-1944), Oberleutnant, Adjudant Stauffenbergs.
Klausenerplatz: Dr. Erich Klausener (1885-1934), Ministerialdirektor.
Letterhaus weg: Bernhard Letterhaus (1894-1944), Verbandssekretär christlicher Arbeitervereine, Zentrumsabgeordneter im Preußischen Landtag.
Nikolaus-Groß-Weg: Nikolaus Groß (1898-1945), Bergmann, christlicher Gewerkschaftsführer.
Nonnendamm: Erinnert an das Spandauer Nonnenkloster, das in den sumpfigen Nonnen wiesen einen
Damm anlegen ließ, um bessere Verbindungen zu den Bauernhöfen am Lützow und Casow herzustellen.
Terwielsteig: Maria Terwiel (1910-1943), Sekretärin.
Thrasoltstraße: Ernst Thrasolt (1878-1945), Priesterdichter (Pseudonym).
Wirmerzeile: Joseph Wirmer (1901-1944), Rechtsanwalt.
Anschrift der Verfasserin: Eleonore Liedtke, Cecüiengärten 25, 1000 Berlin 41
Gärl Gustav Berndal zum 150. Geburtstag
Von Franz Berndal
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hatte der Name meines Großvaters einen
guten Klang. Er wurde in der Reihe großer Künstler .des königlTchen Schauspielhauses als
einer der ersten genannt.
Carl Gustav Berndal wurde am 2. November 1830 in Berlin geboren. Er entstammte einer
schwedischen Familie, die sich Ende des 18. Jahrhunderts hier ansässig machte. Er sollte
infolge des frühzeitigen Todes seines Vaters, auf Wunsch des für ihn bestellten Vormundes,
nach absolviertem Schulpensum, ursprünglich zum Medizinstudium vorgesehen, den kaufmännischen Beruf ergreifen. Doch der wiederholte Besuch von Schauspielaufführungen am
Hoftheater erweckte in ihm den starken Wunsch, Schauspieler zu werden. Obwohl zwei
ältere Mimen, Theodor Döring und Hermann Hendrichs, ihm davon abrieten, setzte mein
Großvater seinen Willen durch. Dem Hofschauspieler Hoppe gefielen das außerordentlich
gute Organ und die schlanke Gestalt des 17jährigen Kunstjüngers, so daß er ihm erfolgreich
dramatischen Unterricht gab. Der damalige Intendant von Küstner nahm sich seiner an, und
als Bote in der „Braut von Messina" durfte der junge Berndal am Schauspielhaus debütieren. Am 5. Juli 1948 spielte er dann die Rolle des Dieners MarcAnton in„JuüusCäsar". Als
Opfer einer Verleumdung, während einer Vorstellung im Zuschauerraum gezischt zu haben,
die sich später als unwahr herausstellte, wurde er entlassen.
Der bedauernswerte Mime wanderte in die Provinz. Sein Ziel war Rostock. Aber auch
dort hatte er kein Glück. Im Herbst 1849 erhielt er wegen Repertoiremangels wieder die
239
Mein Großvater Karl Gustav Berndal
in jungen Jahren.
Seine Ehefrau Johanna
geb. Hartmann.
Kündigung. Er kehrte nach Berlin zurück, um zunächst seiner Militärdienstpflicht zu genügen. Dann vervollkommnete er seine schauspielerische Ausbildung am Liebhaber-Theater „Urania", aus dem viele bedeutende Schauspieler hervorgingen. Als ihn dort Direktor
Woltersdorf als „Marquis Posa" sah, verpflichtete er den vielversprechenden jungen Künstler sofort an sein Theater in Königsberg. Hier konnte sich mein Großvater zusehends entfalten. Aber noch vorteilhafter wurde bald darauf sein Engagement in Stettin. Es dauerte
von 1852 bis 1854. Seine Antrittsrolle war „Macbeth"; sehr erfolgreich gelang ihm dort
schon der „Faust".
Nun wurde das Berliner Hoftheater plötzlich wieder sehr hellhörig. Es lud Berndal zu
einem Gastspiel ein. Als 24jähriger kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Er spielte nun
den „Romeo" und „Ferdinand" und wurde sofort verpflichtet. 1854 begann mein Großvater als „Max Piccolomini". Nach kurzer Zeit rechnete man ihn zu den beliebtesten
Schauspielern. Dies ermutigte ihn, schon 1860 in das ältere Helden- und Charakterfach
überzuwechseln. Infolge seiner großen Vielseitigkeit erhielt er bereits nach zwölf Jahren,
als Zeichen besonderer Anerkennung, das Dekret der Anstellung auf Lebenszeit. „Ich
war", so urteilte mein Großvater gesprächsweise, „über meinen ersten Erfolg selbst überrascht. Weder nach Erscheinung noch Wesensart glich ich einem der damaligen jugendlichen Liebhaber und Helden, denen man gern ein bißchen Unverstand nachsah, wenn sie
dafür scharf ins Zeug gehen, Gemeinplätze mit Stimmkraft ins Parterre schleudern konnten. Ich bemühte mich, einfach und klar zu sein. Es glückte mir, mich in meinem Rollenfache neben dem damals ungemein geschätzten Hermann Hendrichs zu behaupten." Als
dieser dann im Jahre 1864 ausschied, übernahm mein Großvater seine Rollen.
240
Das Grabdenkmal
auf dem Jerusalemer
Friedhof.
Die Inschrift lautet:
Karl Gustav
Berndal
geb. Berlin, 2. November 1830
gest. Gastein, 31. Juli 1885
Um sich die Leichtigkeit des französischen Konversationstones anzueignen, reiste er 1865
nach Paris und hatte auch in diesem Genre Erfolge. Seine Gewissenhaftigkeit bewog ihn,
jede Rolle bis ins kleinste Detail zu studieren, um den Charakter der Rolle, getreu im Sinne
des Dichters, darzustellen.
Inzwischen hatte mein Großvater im Jahre 1856 seine Kollegin, die Hofschauspielerin
Johanna Hartmann, geheiratet. Sie zog sich danach von der Bühne zurück. Aus der sehr
glücklichen Ehe gingen zwei Kinder hervor: ein Sohn - mein Vater - und eine Tochter.
Meine Großmutter überlebte ihren Mann bis 1915.
Ein besonderes Ereignis in Berndais Berufsleben, kurz vor Ausbruch des Krieges mit
Frankreich, war das Angebot der Stadt Leipzig, die Direktion des dortigen Stadttheaters
nach Heinrich Laubes Ausscheiden zu übernehmen. König Wilhelm, der spätere Kaiser, der
gerade in Bad Ems zur Kur weilte, bat meinen Großvater zur Audienz, um ihn zu veranlassen, doch in Berlin zu bleiben. Aus Treue zu seiner Vaterstadt kam Berndal dieser Bitte
nach und schlug für dieses Amt seinen Kollegen Friedrich Haase vor, der es gern annahm.
Am 22. April 1874 verlieh der Kaiser meinem Großvater nach seiner 50. Aufführung als
„Faust" einen Brillantring mit Beifügung eines besonderen Anerkennungsschreibens für
seine langjährigen, von großem Verständnis zeugenden dramatischen Darstellungen. Am
5. Mai 1879 beging mein Großvater sein 25jähriges Bühnenjubiläum.
Von seinem langjährigen Intendanten, Graf Botho von Hülsen, von der Kollegenschaft,
der Presse und Öffentlichkeit und von nahestehenden Freunden wurden ihm zahllose
241
Glückwünsche als Zeichen der Dankbarkeit und Verehrung zuteil. Als Ehrengabe des
Schauspielhauses bekam er die Prachtausgabe von Goethes „Faust" aus dem Verlag
Cotta mit Kupferstichen von Seibert und Widmung mit Unterschriften des Ensembles.
Leider ging dieses Wertobjekt, das im Schlüterhof des ehemaligen Schlosses mit anderen
Reminiszenzen untergebracht war, in den Wirren des letzten Krieges verloren. Mein Großvater pflegte besondere Gedenktage der klassischen Dichter wie Goethe, Schüler, Kleist,
Lessing, auch den von Martin Luther, im engen Freundeskreis daheim bei Kerzenlicht zu
feiern. Dazu gehörten auch der Geiger Joseph Joachim und der Dichter Julius Wolf.
Neben seinem Beruf als Darsteller betätigte er sich auch als Lehrer für dramatische Schauspielkunst am Sternschen Konservatorium. Dies bewog ihn 1876 zur Herausgabe einer
Denkschrift „Ansichten zur Errichtung einer dramatischen Hochschule". Sie befaßte sich
mit dem Berufsbild des Schauspielers, auch des Intendanten, mit allen Rechten und Pflichten, mit den Subventionen des Staates für die Förderung der Theater in Verbindung mit
der Nachwuchsausbildung. Ferner gab Berndal Ratschläge über die Einstellung zum Publikum gemäß der Forderung Schillers, „die Zuhörerschaft zur wahren Kunst zu erheben, anstatt sie herabzuziehen". Die Shakespeare-Gesellschaft richtete daraufhin einen Antrag
an den Kultusminister zwecks Errichtung einer Schauspielakademie. Die erhoffte Realisierung dieses Vorschlags erlebte mein Großvater nicht mehr. Es entwickelten sich aber
Schauspielschulen unter Anwendung der fruchtbaren Gedanken. Ein Schüler Berndais
an der Wiener Hofburg, Robert Emmerich, erreichte dort Hervorragendes in seinen Darstellungen.
Nach Gründung der Deutschen Bühnengenossenschaft 1871 durch Ludwig Barnay wählte
man Carl Gustav Berndal aufgrund seiner reichen Bühnenkenntnis und der großen
Achtung, die er bei allen Kollegen und seinen Berlinern besaß, zum Präsidenten (dem
dritten: 1880 bis 1882), wobei er außerdem noch das Amt eines Regisseurs bekleidete.
Das ehemalige Vorstandsmitglied des Vereins für die Geschichte Berlins, Dr. Mario
Krammer, bewertete in seinem Buch „Berlin im Wandel der Jahrhunderte" meinen Großvater als den geachtetsten hauptstädtischen Schauspieler. Dieser erlebte noch vor seinem
viel zu frühen Tode im Alter von 55 Jahren die Verlobung seines Sohnes, meines Vaters,
mit der Tochter Elsa des Pianofortefabrikanten und späteren Generalvertreters der Firma
Steinway and Sons, Oskar Agthe, der auch mit Carl Bechstein verwandt war. In dieser musischen Familie wurden die Künste des Schauspiels, der Musik und Malerei gesellschaftlich sehr gepflegt. Der Bruder meiner Mutter, Curt Agthe, war ein mit hohen Auszeichnungen bedachter, äußerst geschätzter Berliner Genremaler und Gemälderestaurator. Die
Stadt Berlin erwarb zahlreiche seiner Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg in schlesische
Schlösser evakuiert wurden. Mein Großvater sammelte leidenschaftlich Zinnsoldaten, verständlich im Hinblick auf seine Darstellungen soldatischer Größen. Die Sammlung ging
in die Zehntausende. 1881 widmete ihm Carl Robert Lessing eine Prachtausgabe des
„Nathan" von 1779 in Erinnerung an den hundertsten Todestag des Dichters (15. Februar
1881). Paul Schienther, der die Theaterkritiken Fontanes mit dessen beiden Söhnen zusammenstellte, meinte, einen weiseren Nathan als den Berndalschen nie gesehen zu haben.
Nach der Premiere von Brachvogels „Narziß" verehrte ihm ein Neffe Gneisenaus einen
aus Nußbaum gedrehten Spazierstock mit silbernem Kopfporträt des Generals, den ich
1962 dem Kreuzberger Kunstamt für dessen Heimatausstellung stiftete. Noch kurz vor seinem Tode schrieb mein Großvater seine Gedanken über Lessings Trauerspiel „Miss Sara
Sampson" nieder. Professor Edward Dvoretzky vom German Department der Universi242
tat Iowa (USA) nahm sich 1978 dieser Arbeit an. Sie soll in seinem dritten Lessing-Werk
1980 in Stuttgart erscheinen.
Am 31. Juli 1885 erlag mein Großvater unerwartet während eines Kuraufenthaltes in
Bad Gastein einem Herzschlag. Auf Wunsch des Kaisers und auf Staatskosten wurde sein
Leichnam nach Berlin überführt und auf dem Jerusalemer Friedhof zwischen den Gräbern vieler Berühmtheiten feierlich beigesetzt. Das Schauspielhaus errichtete ihm ein würdiges, schlichtes Grabmal aus rotem Granit mit einem Kreuz und seinem bronzenen Charakterkopf von dem bekannten Bildhauer F. Thomas. Zum 100. Geburtstag des Großvaters
(1930) veranstaltete der Schauspieler und Intendant Ernst Legal eine Berndal-Ausstellung.
Sie brachte die 400 Rollen, die dieser gepielt hatte, in Erinnerung, zeigte wichtige Dokumente, Fotos, Briefe, Theaterzettel und auch die Ritterrüstung des Götz von Berlichingen,
dessen Gestaltung durch Berndal Fontane als die beste bezeichnete, die ihm innerhalb von
vierzig Jahren auf der Bühne begegnet sei. Ein Zitat Ifflands schließe mein Gedenken ab:
Das Kunstwerk des Schauspielers geht dahin wie das Lächeln über das Gesicht des Menschen, darum rede der Freund und Bewunderer seines Talents ein dankbares Wort von
dem, was gewesen ist.
Fotos: Archiv des Autors.
Anschrift des Verfassers: Kreuznacher Straße 68,1000 Berlin 33
Nachrichten
Groß-Berlin entsteht - Zum 60. Jahrestag
Unter dem obengenannten Titel findet vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1980 im Landesarchiv eine
Ausstellung statt. Sie soll ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte Berlins in das Gedächtnis zurückrufen. Vor sechzig Jahren wurde mit der Schaffung Groß-Berlins eine in die Zukunft weisende Entscheidung
getroffen. In den neuen Grenzen entwickelte sich die Stadt zu einer der bedeutendsten industriellen und
kulturellen Metropolen der Welt. Schicksalhaft ist die Entscheidung von 1920 aber auch mit der heutigen
politischen Situation Berlins verknüpft: das „Gesetz über die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin"
wurde Grundlage für das Londoner Protokoll vom 14. November 1944, das die Teilung der Stadt in drei
Sektoren vorsah, und für das Viermächte-Abkommen vom 3. September 1971. (Das Londoner Protokoll
wurde wegen des Beitritts Frankreichs am 1. Mai und 26. Juli 1945 ergänzt und sah nun die Teilung Berlins
in vier Sektoren vor.)
Scheint dem rückschauenden Betrachter mit der Schaffung von Groß-Berlin die logische Folgerung aus
der Wirtschafts-, Verkehrs- und Bevölkerungsentwicklung im Berliner Raum seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts gezogen zu sein, so war diese Lösung bei den Zeitgenossen jahrzehntelang heftig umstritten.
Durch Eingemeindungen umliegender Gebiete hatte Berlin in der Vergangenheit stets sein zu eng
werdendes Territorium dem Wachstum anzupassen gewußt. Die preußische Regierung erwies sich dabei
als verständnisvoller Förderer ihrer Hauptstadt. Die letzte größere Ausdehnung erfolgte 1861, als Moabit,
Wedding, Gesundbrunnen sowie Teile von Schöneberg und Tempelhof eingemeindet wurden. Nach der
Reichsgründung beschleunigte sich das Wachstum Berlins. Das Zentrum Preußens war nun zum administrativen Mittelpunkt Deutschlands geworden. Es beherbergte nebem dem kaiserlichen Hof, dem Reichstag und dem Bundesrat fast alle Zentralbehörden des Reiches, Preußens und der Provinz Brandenburg.
Gleichzeitig entwickelte sich Berlin zum stärksten Wirtschaftszentrum, zur bedeutendsten deutschen
Industrie-, Banken- und Handelsmetropole. Aus allen Teilen Deutschlands, besonders aber aus den
östlichen Provinzen, strömten die Menschen in die Stadt. In zwanzig Jahren, von 1860 bis 1880, hatte sich
die Bevölkerungszahl von 540000 auf 1 120000 mehr als verdoppelt. (Vgl. Konrad Kettig, Berlin im 19.
und 20. Jahrhundert 1806-1945. In: Heimatchronik Berlin, Köln 1962, S. 427 ff.) In dem Maße wie sich
243
Berlin vergrößerte nahm auch der Zuzug in den umliegenden Gemeinden zu. Mit kleinen Eingemeindungen war den vielfältigen sozialen, administrativen und verkehrstechnischen Problemen nun nicht mehr
beizukommen.
Dieser Entwicklung suchte der Oberbürgermeister Artur Hobrecht (1872-1878) mit dem Plan Rechnung
zu tragen, Berlin und Charlottenburg mit den umliegenden Gemeinden der Kreise Teltow und Niederbarnim zu einer Provinz zusammenzufassen. Der Bau einer gemeinsamen Kanalisation und die verkehrsmäßigen Verflechtungen ließen eine engere Verbindung der Gemeinden zu diesem Zeitpunkt sinnvoll
erscheinen. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Regierung über die Bildung einer Provinz Berlin stieß
jedoch nirgends auf Gegenliebe. Er blieb 1875 und in abgeänderter Fassung 1876 in den Ausschüssen des
preußischen Abgeordnetenhauses stecken. (Nur eine Bestimmung des Gesetzentwurfes von 1875, die die
Eingemeindung des Tiergartens, des Zoologischen Gartens und des Schloßbezirks Bellevue vorsah, wurde
1881 verwirklicht.) Die Konservativen wehrten sich gegen eine Vergrößerung der liberalen Großstadt, und
einige wohlhabende Gemeinden im Westen fürchteten einen Finanzausgleich zu ihren Ungunsten. Selbst
der Berliner Magistrat sah nur Nachteile für die Stadt: hohe finanzielle Aufwendungen für die Armen, für
die Straßenpflasterung, für die Kanalisation und für den Feuerschutz. Außerdem fürchtete er eine
Entwertung des unbebauten Berliner Grundbesitzes. Eine große Chance für Berlin war vergeben worden.
In den folgenden Jahren hielt der Zuzug in die Reichshauptstadt unvermindert an, und Berlin wuchs mit
seinen Vororten wirtschaftlich und räumlich immer enger zusammen. Die Gemeindegrenzen waren kaum
noch sichtbar. Wegen der hohen Grundstückspreise waren viele wohlhabende Bürger in die südwestlichen
Vororte abgewandert und verhalfen ihnen zu wirtschaftlicher Blüte, während die Gemeinden im Norden
und Osten durch die eingewanderten Arbeiter unter Notständen litten. Bis zur Jahrhundertwende gab es
deshalb immer wieder Ansätze - vor allem auch von der Regierung -, den Berliner Raum zu erweitern, um
der prosperierenden Stadt Ausdehnungsmöglichkeiten zu verschaffen und den Übelständen in den
Vororten abzuhelfen. Diese Initiativen scheiterten nach dem Tode von Oberbürgermeister Forckenbeck
1892 an der Entschlußlosigkeit seines Nachfolgers Zelle und der führenden Männer des Magistrats. Einige
Stadträte sprachen offen aus, daß sie wegen der zu erwartenden hohen Kosten gegen größere Eingemeindungen seien. Augenblickliche Bedenken verstellten ihnen abermals den Blick in die Zukunft. (Vgl. Ernst
Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Städteordnung. Teil II. Der Kampf um
Groß-Berlin 1890-1920. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd 49,
1937, S. 21 ff.)
Nachdem 1892 die treibende Kraft in der Eingemeindungsfrage, Innenminister Herrfurth, zurückgetreten
war, führten die Verschleppungstaktiken des Berliner Magistrats zu einem Stimmungswandel in der
preußischen Regierung. Um den „Wasserkopf Berlin" (vgl. Ernst Kaeber, S. 38) zu entlasten, förderte sie
nun das Entstehen eines „Kranzes leistungsfähiger Vororte" (vgl. Ernst Kaeber, S. 56) und erteilte
folgerichtig den benachbarten Landgemeinden Schöneberg 1898, Rixdorf 1899, Wilmersdorf 1906 und
Lichtenberg 1907 das lang ersehnte Stadtrecht. Obwohl die neuen Städte in ihrer Entwicklung von der
Reichshauptstadt abhängig und längst mit ihr zu einer Einheit zusammengewachsen waren, schlössen sie
sich in ihrer Verwaltung stolz gegenüber Berlin und eifersüchig gegeneinander ab. Den übrigen Gemeinden im Berliner Raum verboten die Landräte von Niederbarnim und Teltow alle weiteren Eingemeindungsverhandlungen.
Die sozialen Gegensätze zwischen den reichen westlichen und den armen nördlichen und östlichen
Vororten Berlins, das Durch- und Nebeneinander im Wohnungs-, Schul-, Steuer- und Verkehrswesen
hatten nach der Jahrhundertwende Ausmaße angenommen, daß die Regierung, das Abgeordnetenhaus,
die umliegenden Kreise und westlichen Gemeinden ihre Opposition gegen einen kommunalen Zusammenschluß aufgeben mußten.
Inzwischen war mit Oberbürgermeister Kirschner eine Persönlichkeit an die Spitze der Berliner Verwaltung getreten, die sich energisch für die Überwindung der kommunalen Zersplitterung einsetzte. Aber von
der großen Idee, die Reichshauptstadt mit der ganzen Region zu einer Verwaltungseinheit zusammenzufassen, war nur noch der Gedanke übriggeblieben, die unhaltbaren Zustände durch einen Zweckverband
zu bewältigen. Am 12. April 1912 trat schließlich das Gesetz in Kraft, das Berlin, Charlottenburg,
Schöneberg, Wilmersdorf, Neukölln, Lichtenberg und Spandau sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim im Zweckverband Groß-Berlin zusammenfaßte. Seine Zuständigkeiten waren eng begrenzt. Sie
erstreckten sich nur auf die Regelung des Verkehrswesens, auf das Abstimmen der Baupläne und auf den
Erwerb und die Erhaltung von Freiflächen, Wäldern und Parks. Seine Organe bildeten die Verbandsversammlung mit 100 Mitgliedern, der Verbandsausschuß, bestehend aus den Oberbürgermeistern der
kreisfreien Städte, den Landräten von Niederbarnim und Teltow und acht von der Verbandsversammlung
gewählten Mitgliedern, und der Verbandsdirektor, der auf sechs Jahre gewählt wurde. Er führte die
244
laufenden Geschäfte, bereitete die Beschlüsse des Ausschusses vor und sorgte für ihre Ausführung. Die
Beiträge wurden auf die Mitglieder nach dem Steuersoll umgelegt. Nur bei den Kosten für die Verkehrsmittel wurde auch das Interesse der einzelnen Mitglieder an ihnen berücksichtigt.
In achteinhalb Jahren seiner Tätigkeit, darunter vier Kriegsjahren, gelangen dem Zweckverband vor allem
zwei Erfolge: 1915 der Ankauf von 10000 ha Dauerwald (darunter dem Grunewald), der somit der
Bodenspekulation entzogen und der Bevölkerung als Erholungsgebiet erhalten blieb, und 1919 der Erwerb
der bislang einer Privatgesellschaft gehörenden „Großen Berliner Straßenbahn", wodurch später weitere
Maßnahmen zur Verkehrseinheit möglich wurden.
Der Zweckverband hatte die in ihn gesetzten weitgespannten Hoffnungen nicht erfüllen können. Die eng
begrenzte Zuständigkeit und die Rivalitäten in der Verbandsversammlung verhinderten seinen weiteren
Ausbau. Es gelang ihm weder, die Verwaltungsprobleme der Region mit nun über drei Millionen
Einwohnern zu lösen, noch einen Finanzausgleich zwischen den reichen und den armen Gemeinden
herbeizuführen. In den Notzeiten des Krieges hatte aber die Bevölkerung kein Verständnis mehr für die
schädliche Entwicklung, die durch die kommunale Zersplitterung, durch das Neben- und Gegeneinander
von mehr als achtzig Gemeindebehörden entstanden war. Im „Bürgerausschuß Groß-Berlin", der 1917
vom Schöneberger Oberbürgermeister Dominicus gegründet worden war, fand sie ihr Forum für den
Kampf um die administrative Neugestaltung des Berliner Raumes. Als sich nach dem Krieg die politischen
Mehrheitsverhältnisse änderten, konnte am 24. April 1920 endlich in der preußischen Landesversammlung mit den Stimmen der Sozialdemokraten beider Richtungen (SPD und USPD) das „Gesetz über die
Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin" verabschiedet werden, das sieben Städte, neunundfünfzig
Landgemeinden und siebenundzwanzig Gutsbezirke mit Berlin zu einer neuen Verwaltungseinheit zusammenfaßte. Mit diesem Gesetz, das am 1. Oktober 1920 in Kraft trat, wurde die Einheitsgemeinde mit
kommunaler Dezentralisation gebildet, die nun für die seit Jahrzehnten zusammenwachsende Region eine
einheitliche Verwaltung und damit eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung gewährleistete. Nach
den Kämpfen eines Menschenalters hatte Berlin nun endlich den Umfang erreicht, den es für seine
damalige und zukünftige Entwicklung benötigte.
Jürgen Wetzet
Der Moses-Mendelssohn-Preis des Berliner Senats Bericht über den Verleihungs-Festakt
„Es dient nicht dem Frieden, wenn man -jedenfalls in den öffentlichen Verlautbarunger' " ^ w ^ e r
emmal fortlaufend zum alleinigen Sündenbock macht und allein ihm
* ° f ^ ^ ^ ™ ^
feindlichen Umwelt gleichzeitig das Minimum an politischer Moral zu fordern,
^ ^ f ™ ^
ständlichen Aufruf an Humanität und Frieden ließ Amtsgerichtsdirektorin Dr. ^ * ^ f £ ^ ^
(Mannheim) ihre leidenschaftliche Rede über „Toleranz" ausklagen, die sie nach &&***
* ™
Berliner Senat verliehenen Moses-Mendelssohn-Preises „zur Förderung der Toleranz gegenüber^Andere
V
n
u
denkenden und zwischen den Völkern, Rassen und Religionen" hielt Die
;« "^ "fJ^bl^.
7. September 1980, einen Tag „ach Mendelssohns 251. Geburtstag, im 0 ^ B ™ n f ™ ^ ^ ™ a k
thek Preußischer Kulturbesitz statt. Es sei an der Zeit, meinte die Pre.stragenn, a c h einen^Aj*eU a n ^
arabischen Staaten zu richten, zu erklären, ob bei ihnen überhaupt ein Wunsch nach Frieden mit dem
Staat Israel besteht, wenn dieser seine Truppen aus den besetzten G e b i e t e n ; « f ^ ^ ä S T S
sind, diesem Staat seine Existenz zu garantieren". Zuvor hatte s.e in ihrer dem
P ^ ^ J ^
zugewandten, eindrucksvollen Ansprache ihre Gedanken über Toleranz zwischen einzelnen Menschen
und zwischen Gruppen entwickelt.
_ „.
c „ „ k . , ™ « 0 eröffnet
Die Feierstunde waV vom Senator für Kulturelle Angelegenheiten Dr. D i e t e r ^ b e r z w e . g «oflne
worden. Noch einmal umriß er die Gedanken und Motive, die ^ S t i f t u n g
^ ^ ^ ^ S ,
Gesellschaft anläßlich der 250. Wiederkehr von Mendelssohns Geburtstag vo J a h ^ * T g n
Toleranz-Preises geführt hatten. Toleranz, Duldsamkeit sei, um den
r ^ ^ ^ J ^ f f i
Professor Alexander Mitscherlich zu zitieren, „kritische Selbständigkeit in K o n k ^ ™ * £ ™ ^
tuationen, wozu noch die Fähigkeit kommt, den Gedanken und Gefühlen des anderen ^ h « ^
J^
zu können". Sauberzwe.g gab erschreckende Beispiele für den Mangel
«
^
r
^
g
S
hob die Verdienste von Frau Dr. Just-Dahlmann um die Übung von T o l e r a n i n h « n ^ ^
^
Wirkungsbereichen und Einflußsphären hervor. Der Senator dankte der w I ansch a u , c h pantati ch
zusammengesetzten Jury für die von ihr geleisteten Arbeit. Die e.gentl.che Laudatio hielt Dr. Cecue
245
Lowenthal-Hensel, die Vorsitzende der Mendelssohn-Gesellschaft und auch des Preisgerichts. Sie kennzeichnete Frau Just-Dahlmanns Herkunft (geboren in der früheren Provinz Posen und dort zweisprachig
aufgewachsen) sowie die Vielartigkeit ihres beruflichen Werdegangs und ihres Interessen- und Wirkungsrahmens und wies insbesondere auf ihre langjährige aktive Mitarbeit im Ausschuß „Juden und Christen"
beim Deutschen Evangelischen Kirchentag hin. Von ihrer menschlichen Grundhaltung sei ihre vom Geist
der Toleranz geprägte Leistung nicht zu trennen: Als Juristin setze sie sich für eine zeitgemäße Liberalisierung des Strafrechts ein, und als Autorin präsentiere sie ihre Erfahrungen in Leben und Beruf einer breiten
Öffentlichkeit, ohne dabei die Kritik der Justiz und der Politiker zu scheuen. So rechtfertige Dr.
Just-Dahlmanns Gesamtwirken die Zuerkennung des Moses-Mendelssohn-Preises. (Der mit 20 000 Mark
ausgestattete Preis wird alle zwei Jahre verliehen, zum zweiten Mal also 1982.)
E. G. L
570 Denkmale und historische Ensembles in Ost-Berlin
In Ost-Berlin gibt es gegenwärtig 570 Denkmale und historische Ensembles, die von (ehrenamtlichen)
Denkmalpflegern, Restauratoren, Kunstwissenschaftlern und Architekten gepflegt werden. An historische Ereignisse und an verdienstvolle Persönlichkeiten aus Geschichte und Kultur erinnern 185 Gedenktafeln und 93 Gedenkstätten. Listen über erhaltenswerte Architektur liegen bislang in den Bezirken
Friedrichshain, Pankow und Prenzlauer Berg vor.
SchB.
Von unseren Mitgliedern
Hans Schiller 75 Jahre
Hans Schiller, getreuer Eckehart unserer Bibliothek, konnte in diesem Jahr sein 75. Lebensjahr vollenden.
So wie er Gewicht auf die Tatsache legt, daß er in Schöneberg geboren worden ist, bestehen wir darauf, daß
wir den Dank für sein unermüdliches ehrenamtliches Engagement für unseren Verein auch auf diese Weise
abstatten. Schon sehr früh ergab sich für den Schüler am Falk-Realgymnasium über Dr. Hans Brendicke,
den Vater seines Lehrers Günther Brendicke, ein Kontakt zum Verein für die Geschichte Berlins, und
schon der 13jährige besuchte die Bibliothek des Vereins im Deutschen Dom. Ein Jahr später (1919) erhielt
er die Sondergenehmigung seines Gymnasialdirektors, die Magistratsbibliothek im Rathaus in der Königstraße regelmäßig benutzen zu dürfen.
Wie früh sich die bis heute anhaltenden Interessen für die historische Entwicklung des öffentlichen
Nahverkehrs in Berlin durchsetzten, geht daraus hervor, daß der 15jährige Hans Schiller die Verkehrsangaben für den Neudruck des Pharus-Plans für Berlin und seine Vororte, Ausgabe 1920, verantwortlich
redigierte. Beruflich war der Jubilar als Kaufmann im Transport- und Speditionswesen tätig, und
nachdem er 1938 als Regimegegner mit Frau und Kleinkind nach Argentinien übergesiedelt war, führte er
dort ein Vierteljahrhundert lang ein Transportgeschäft auf eigene Rechnung. Seit 1965 ist er wieder in
Berlin ansässig, seit 1966 ehrenamtlicher Mitarbeiter und Korrespondent in der Vereinsbibliothek. Aus
seiner Feder stammen gediegene Veröffentlichungen einschließlich Buchbesprechungen und Referate aus
dem Nahverkehrsbereich in unseren „Mitteilungen", in den „Berliner Verkehrsblättern" sowie in den
Organen verschiedener Heimatvereine.
1923 stellte ihm der Dampfkesselrevisionsverein Berlin-Charlottenburg einen Führerschein aus, seit
nunmehr 57 Jahren ist Hans Schiller Autofahrer. In einer Selbstdarstellung hat er einmal niedergeschrieben:
»Laufende Privatkorrespondenz in alle fünf Erdteile, nie ein Tropfen Alkohol, keine Zigarette lebenslang
und noch immer ein halbwegs rüstiger Greis und Verächter von „tierischem Ernst" auf breiter Front.«
Daß er alle seine guten Eigenschaften auch künftig bewahren und sie in Gesundheit wie bisher auch zum
Nutzen unseres Vereins zum Tragen bringen möge, ist unser aufrichtiger Wunsch!
Hans G. Schultze-Berndl
246
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum
70. Geburtstag Herrn Dr. Werner Bollert, Herrn Fritz Darr; zum 75. Geburtstag Herrn Werner August,
Herrn Alfred Klatt; zum 80. Geburtstag Frau Frieda Heyn.
Buchbesprechungen
Wissenschaft und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Technischen Universität Berlin 1879-1979.
Festschrift zum hundertjährigen Gründungsjubiläum der Technischen Universität Berlin. Hrsg. im Auftrag des Präsidenten der Technischen Universität Berlin. Berlin - Heidelberg - New York: Springer 1979.
2 Bde., 610 u. 273 S. m. Abb., Ln., 120 DM.
Festschrift für Helmut Winz aus Anlaß seines 70. Geburtstages. Geographie in Wissenschaft und Unterricht.
Hrsg. von Reinhard Hanke im Auftrag des Seminars für Geographie und Landeskunde der Pädagogischen Hochschule Berlin. Berlin. 492 S. m. Abb., brosch. 39 DM.
Festschriften erscheinen als Jubiläumsgaben der mit dem Jubilar verbundenen Gelehrten. So war das
hundertjährige Bestehen der Technischen Universität Berlin, vormals die „Königliche Technische Hochschule zu Berlin", Anlaß, über den Entwicklungsgang dieser weit über den Berliner Bereich hinaus
bedeutsamen Institution Rechenschaft abzulegen. Der Zusammenhang von technischer Innovation und
gesellschaftlicher Entwicklung, der schon von Hochschullehrern der Gründungszeit wie Franz Reuleaux
gesehen wurde, steht hier im Mittelpunkt. Dem Herausgeber und Fachhistoriker Reinhard Rürup gelang
es unter diesem Generalthema, eine Fülle von Einzelbeiträgen zusammenzustellen, die von der Baugeschichte, dem Verhältnis von Repräsentation und Funktion der Gebäude, über die Geschichte und
Struktur des Lehrkörpers, Biographien bedeutender Hochschullehrer, Verwaltungsgeschichte der Hochschule und Entwicklung der Studentenschaft und der Entwicklung ihres Selbstverständnisses im Laufe des
hundertjährigen Bestehens der Anstalt bis hin zur Geschichte einzelner Institute reichen. Aus der Fülle der
Namen einzelner Autoren, deren unterschiedliche wissenschaftliche und hochschulpolitische Ausgangspositionen durchaus deutlich werden, sei der Name des allzufrüh verstorbenen Historikers Hans Ebert
herausgehoben, dessen zum Jubiläum geplante Geschichte der Technischen Universität unvollendet blieb,
dessen wissenschaftlicher Nachlaß vom Herausgeber und einer Reihe von Autoren, z. B. zum Problem der
Rationalisierungsbewegung in Deutschland, dem Studiengang des Wirtschaftsingenieurs, den Anfängen
des Frauenstudiums und der Technischen Hochschule zur Zeit des Nationalsozialismus, mitverwendet
werden konnten.
Hingewiesen sei auch auf den statistischen Anhang, der wesentliche Einblicke in die Entwicklung der
quantitativen und qualitativen Gliederung von Studenten und Hochschullehrern im Laufe der vergangenen hundert Jahre gibt.
So dürfte diese in ihrer Konzeption nach extrem kurzer Vorlaufszeit außerordentlich gelungene Festschrift
zu einem Standardwerk nicht nur für die an der Geschichte der TU Interessierten, sondern für alle mit dem
Fragenkomplex befaßten Personen werden.
In diesem Jahr wurde die Pädagogische Hochschule Berlin aufgelöst. So dürfte die dem Inhaber des
Lehrstuhles für Geographie von 1956 bis 1973 und langjährigen Mitglied unseres Vereins, Helmut Winz,
gewidmete Festschrift eine der letzten Veröffentlichungen der Lankwitzer Ausbildungsstätte sein.
Die Einzelbeiträge behandeln unter methodischen oder auch didaktischen Gesichtspunkten geographische Probleme in Schweden, Frankreich, England, der Sowjetunion bis hin nach Kenia, Ceylon und
Indonesien und legen damit auch Zeugnis ab für die weitgespannten wissenschaftlichen Interessen des
Jubilars. Ein Schwerpunkt der Arbeiten des Geographieprofessors war aber auch seit dessen Studienzeit
an der alten Berliner Universität die engere Heimat, ein Gebiet, das nicht nur in eigenen, sondern auch in
vielen Veröffentlichungen seiner Schüler gepflegt wurde. So behandelt Gerd Heinrich in der Festschrift
unter dem Titel „Hunderttausend Wenden hier untergingen, Bemerkungen über die Verfassungs- und
Siedlungsgeschichte der altbrandenburgischen Territorien Teltow und Barnim" das Kontinuitätsproblem
der slawischen Siedlung; Charlotte Pape untersucht eingehend „Die Entwicklung des wilhelminischen
Großstadtgürtels in Berlin. Dargestellt an einem Beispiel aus dem Bezirk Prenzlauer Berg". Und Dieter
Voll stellt Gedanken „Zum Problem der Infrastrukturinvestitionen - dargestellt an Beispielen aus dem
Etat der Stadt Spandau in den Jahren 1900 bis 1914" vor. Unter vornehmlich didaktischen Gesichtspunkten steht der Beitrag von Jürgen Aufermann-„Die Behandlung stadtgeographischer Fragen am Beispiel des
247
Berliner Bezirks Wilmersdorf'. Besonders sei auch auf den Beitrag von Otto Koppelmann „Das Werden
der Pädagogischen Hochschule Berlin 1946 bis 1959 und die Entwicklung des Wahlfaches Geographie"
hingewiesen.
Felix Escher
Hermann Rückwardt: Das kaiserliche Berlin. 53 Photographien aus dem Jahre 1886. Erläutert und mit
einem Nachwort von Hans Schiller. Dortmund: Harenberg Kommunikation 1980. 128 S. mit 53 Abb.,
brosch., 14,80 DM. (Die bibliophilen Taschenbücher, Bd. 170.)
Auf 53 zumeist wohlgelungenen Aufnahmen, die alle das ehrwürdige Alter von fast hundert Jahren haben,
läßt der zeitgenössische Fotograf Hermann Rückwardt die monumentalen Prachtbauten und Denkmäler
des alten Berlin von 1886 vor unseren Augen wieder auferstehen. Einige wenige von ihnen haben Krisen
und Kriege überlebt, die Mehrzahl ist heute verschwunden, bestenfalls aber teilzerstört erhalten geblieben
oder in abgewandelter Form restauriert worden. Das kaiserliche Schloß und das Rathaus präsentieren ihre
eindrucksvollen Fronten und die prachtvoll ausgestatteten Säle. Eine lange Reihe schöner Aufnahmen
zeigt die Wahrzeichen des alten Berlin: das Brandenburger Tor und die Siegessäule, das Palais des alten
Kaisers und sein Arbeitszimmer mit dem historischen Eckfenster, Museen, Schauspiel- und Gotteshäuser,
Bauten staatlicher Institutionen, öffentliche Plätze mit den wohlgepflegten gärtnerischen Anlagen sowie
Denkmäler und Brücken mit ihrem vielfältigen allegorischen Figurenschmuck.
Der Wert des handlichen Bändchens wird durch seine übersichtliche Einteilung erhöht. Jedem Bild ist ein
Kommentartext von Hans Schiller gegenübergestellt, der dem Betrachter und Leser das Wissenswerte in
kurzgefaßter Form - oft bis hin zur Angabe von Tagesdaten - exakt vermittelt. Im Nachwort, das sich dem
Bildteil anschließt, verläßt der Autor die Sphäre des Erhabenen, die die ehrwürdigen Denkmale umweht,
und schildert das Leben und Treiben der Berliner, wie es sich vor rund hundert Jahren auf ihren Straßen
abgespielt hat. Da kommt das Pferd als Hauptträger der Nahverkehrsmittel wieder zu hohen Ehren, und
wir erleben die Geburtsstunde der heutigen Verkehrsampel. Dem Autor gelingt es, selbst die Bedürfnisanstalten, die er aufgrund seines handfesten Berliner Humors als „Herrenentwässerungsantalten" bezeichnet,
mit einem Schimmer echt nostalgischer Wehmut „unmißverständlich" zu verklären (S. 118).
Nicht unerwähnt sollen einige kleinere Ungenauigkeiten bleiben, die dem durchaus erfreulichen Berolinensium leider anhaften: Wie aus der Aufnahme des Pariser Platzes (S. 7) ersichtlich, ist das gleiche Foto
auf dem Umschlag des Buches irrtümlich seitenverkehrt abgebildet worden. Die sechs Bronzedenkmäler
der fridenzianischen Feldherren auf dem Wilhelmplatz sind nicht nach Entwürfen verschiedener Künstler
(S. 80), sondern alle vom Bildhauer August Kiß geschaffen worden, um die teilweise stark verwitterten
Marmorstatuen (um 1860) zu ersetzen. Ob der Neubau des Anhalter Bahnhofs in Anwesenheit des alten
Kaisers eingeweiht wurde (S. 86) oder ohne den Monarchen, ist strittig. Die Friedenssäule auf dem
Belle-Alliance-Platz (S. 89) bestand nicht wie ihr Sockel aus poliertem Marmor (S. 88), sondern aus Granit
- einem Restbestand aus dem Block der großen Granitschale, die 1834 im Lustgarten Aufstellung
gefunden hatte. Die im Schlußsatz auf Seite 94 erwähnten Ausstellungshallen befanden sich nicht auf dem
Gelände des ehemaligen Hamburger Bahnhofs, sondern westlich des Lehrter Bahnhofs und sind auf dem
Bild nicht erkennbar. Friedrich der Große hatte nicht zwei jüngste Brüder (S. 124 und 125), sondern zwei
jüngere und einen jüngsten Bruder.
Hans Schiller hat dem Bildband außer einem Quellen- und einem Tafelverzeichnis erfreulicherweise ein
Personenregister angefügt (S. 123 ff.), das alle im Text erwähnten Regenten, Staatsdiener, Künstler usw.
aufzählt und über ihr Leben und Wirken mit zeitlichen Angaben orientiert.
Dem „kaiserlichen Berlin" im Taschenbuchformat ist als Zierde und Bereicherung jeder Berolinensiensammlung weite Verbreitung zu wünschen.
Irmtraut Köhler
Dietrich O. Müller: Verkehrs- und Wohnstrukturen in Groß-Berlin 1880-1980. Geographische Untersuchungen ausgewählter Schlüsselgebiete beiderseits der Ringbahn. Berlin: Institut für Geographie der
Technischen Universität Berlin 1978. 160 S. m. Abb., Tabellen, Summary, brosch. (Berliner Geographische Studien, Bd. 4. Hrsg: B. Hofmeister u. H. Valentinf. Schriftleitung: Albrecht Steinecke.)
Die 1978 erschienene Dissertation von Dietrich O. Müller befaßt sich mit der Entwicklung der Wohn- und
Verkehrsstrukturen im Groß-Berliner Raum. An den Problemen von vier ausgewählten geographischen
Stadtgebieten wird die rund hundertjährige Entwicklung der Bebauung und des Verkehrs vom Ausgang
der 1870er Jahre bis in unsere Tage aufgezeigt. So unterschiedliche Zonen wie das Charlottenburg-Wilmersdorfer Gebiet zwischen Kaiserdamm und Grunewaldkolonie beiderseits der Ringbahn, Teile der
Bezirke Prenzlauer Berg/Pankow und Rixdorf-Neukölln sowie ein Bebauungskomplex im Bereich der
248
Vororte Wilmersdorf/Schöneberg/Friedenau werden hinsichtlich der Wechselwirkung der strukturellen
Bau- und Verkehrsplanungen und der für die Zukunft zu erwartenden Entwicklungen eingehend beschrieben. In diesem Zusammenhang verweis! der Autor durch Zitieren baupolizeilicher Anordnungen
und Vorschriften auf die zeitlich bereits weit zurückliegende Epoche zwischen 1890 und 1910.
Im weiteren Text wird die besondere Problemsituation des „Nassen Dreiecks" in Charlottenburg erläutert
und die Entstehung dieses Begriffes; durch seine prekäre Baugrundbeschaffenheit hervorgerufen. Die
Verkehrsanlagen der BVG-Betriebe (U-Bahn, Straßenbahn und Autobusse), die S- und Fernbahn mit
ihren Bahnhöfen und Gleistrassen, der Ausbau der Stadtautobahnen und die dadurch bedingten Straßenverlegungen und -Veränderungen werden einer genauen Analyse unterzogen. Den eingehenden Untersuchungen zur Differenzierung der Wohnbebauung in den einzelnen Bezirken ist ein breiter Raum zugemessen. Die Gegenüberstellung exakter fotografischer Aufnahmen aus den verschiedenen Epochen, jedoch
vom gleichen Standort aufgenommen, vermitteln dem Betrachter die besten Vergleichsmöglichkeiten von
den tiefgreifenden Veränderungen, die sich im Wandel der letzten Zeit vollzogen haben.
Als Abschluß ist eine Zusammenfassung in deutscher und englischer Sprache abgedruckt. Die Anmerkungen zum Text bieten weitere gute Information und das sehr ausführliche Quellenverzeichnis umfaßt 16
Druckseiten. Die Qualität des beigefügten reichhaltigen Karten-, Skizzen- und Tabellenmaterials ist als
erstklassig zu bezeichnen. Der Hinweis unter Bild 44 (S. 111) bezieht sich jedoch nicht auf den Kaiser-Wilhelm-Platz (in Schöneberg), sondern auf den Friedrich-Wilhelm-Platz (in Wilmersdorf-Friedenau). Hervorzuheben ist die Übersichtlichkeit der Abhandlung, die durch eine bis ins letzte Detail durchgeführte
Aufgliederung erreicht wurde.
Die Auswertung von Forschungsergebnissen aus der Literatur und Statistik, des sehr reichhaltigen
Kartenmaterials und der eingehenden Archivstudien bis hin zu speziellen Geländebegehungen haben es
dem Autor ermöglicht, nicht zuletzt aufgrund seiner profunden Fachkenntnisse eine wertvolle Informationsquelle zu erstellen, nicht nur für den Wohnbau- und Verkehrsplaner, sondern auch für den einschlägig interessierten Berlinkenner, der eine Vielzahl bisher ungeklärter Fragen beantwortet erhält.
Hans Schiller
Joh. Gottlieb Rhode: Berlin 1799 für Freunde des Geschmacks und der Moden. Beiträge zur Charakteristik
der Einwohner Berlins. Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1977. 48 S. m. 14 Illustr. v.
Wolfgang Jörg u. Erich Schönig, Pappbd., 32 DM. (Reihe: Werkdruck, Nr. 6, Großformat, 1200 Expl.,
numeriert u. signiert.)
Julius von Voß: Merkwürdiger Briefwechsel der blonden Karoline mit ihrem Liebhaber und anderen vornehmen und geringen Leuten in Berlin 1813. Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1978. 40 S. m.
Illustr. v. Wolfgang Jörg u. Erich Schönig, Pappbd., 32 DM. (Reihe: Werkdruck, Nr. 7, Großformat, 1200
Expl., numeriert u. signiert.)
Johanniterstraße 2-5 (1872-1944). Die Historie des berüchtigten Mietblocks zu Berlin im Bezirk Kreuzberg.
Hrsg.: Uwe Otto. Berlin: Berliner Handpresse, 1979. 16 S. m. Illustr. v. Wolfgang Jörg u. Erich Schönig,
brosch., 18 DM. (Reihe: Satyren und Launen, Nr. 8, Großformat, 1000 Expl. numeriert u. signiert.)
Der Werkdruck Nr. 6 der Berliner Handpresse enthält Abhandlungen und Beschreibungen des Äußeren
Berlins, die dem von 1799 bis 1800 vierteljährlich erschienenen Magazin „Berlin, eine Zeitschrift für
Freunde der schönen Künste, des Geschmacks und der Moden" entnommen worden sind. Herausgeber
war Johann Gottlieb Rhode, Hauslehrer, vielseitiger Schriftsteller und später u. a. Dozent für Geographie
an der Breslauer Kriegsschule. Die Beschreibungen des zeitgenössischen Berlins sind in die Form fiktiver
Briefe an einen Freund gekleidet. Uwe Otto hat diesem Text ein Geleitwort vorangestellt, in dem auf das
damalige Berliner Pressewesen und auf die Hintergründe dieses Textes hingewiesen wird, der dem an der
Geschichte Berlins interessierten Leser heute nicht leicht zugänglich ist. Als Beispiel sei hier die Schilderung der gerade jüngst wieder ins Gespräch gekommenen „Puppenallee" aus dem Kapitel „Oeffentliche
Promenaden" wiedergegeben: „Ueberall stehn auch im Thiergarten einzelne Statuen von Sandstein,
welche Friedrich II. hinsetzen liess; sie haben indess alle sehr wenig Kunstwerth. Der Weg nach Charlottenburg führt über einen Kreis, der rund umher mit Statuen, Götter und Göttinnen vorstellend, besetzt ist.
Einen characterischen Zug der Berliner kann ich Dir dabei anführen. Sie nennen diesen Platz nie anders
als: den Puppenplatz, und die Statuen selbst, die Puppen; dies zeigt ihren Kunstsinn nun freilich noch in
einer jungen Gestalt."
Es bleibt jedem Berliner überlassen, ob er sich in der nachstehenden Beschreibung wiedererkennt. „Der
Charakter des eigentlichen Volks in Berlin giebt kein unangenehmes Bild. Hervorstechende Züge in
249
demselben sind: gutmüthiger Frohsinn, Neugierde und Hang zur gesetzlichen Ordnung. Daher sind
unruhige Auftritte so selten, als wenig gefährlich. Mordthaten sind äusserst selten, Selbstmorde häufiger,
aber die Diebereien, selbst Einbrüche in die Häuser und Krambuden unzählbar. Während ein Theil sich
über alle religiöse Gebräuche und gottesdienstliche Handlungen hinweg setzt, herrscht unter den andern
die krasseste, oft in Intoleranz ausartende Orthodoxie."
Über das Verhältnis zwischen den Gatten heißt es: „Fast nirgends macht das kalte Sie zwischen Eheleuten
die Herzlichkeit und das Zutrauen gegen einander verdächtig; das edlere Du deutet fast überall auf
Innigkeit und ehelichen Frieden. - Selten macht der Mann den Tyrannen - noch seltener die Frau die
Gebieterin." Und weiter: „Das Verhältnis zwischen heranwachsenden Kindern und Eltern ist zutraulich
und schön. Zu bedauern, und von den verderblichsten Folgen ist es indess, dass man so sichtlich anfängt,
dies an sich schöne Verhältnis über seine Grenze hinaus zu dehnen, und Kinder als selbständige freie
Menschen handeln zu lassen, ehe Reife des Verstandes und Klugheit sie dazu geschickt machen: und wo sie
oft durch Erfahrungen - die nach der Meinung der Eltern sie klug machen sollen - zu Grunde gerichtet
werden, ehe sie anfangen zu leben."
*
Im 7. Band der „Reihe Werkdruck" der Berliner Handpresse werden von Julius v. Voß keine aus kritischer
Beobachtung entstandenen Beschreibungen Berlins und seiner Einwohner wiedergegeben. Nur indirekt
vermittelt der Text Anhaltspunkte zu einer Charakteristik der Berliner. Wie Uwe Otto in seinem Vorwort
mitteilt, glaubt die Berliner Handpresse, einen bisher vielfach übersehenen Chronisten der Berliner
Stadtgeschichte wieder entdeckt zu haben, wie Julius von Voß auch als Verfasser der ersten Berliner
Possen angesehen wird.
*
Authentische Zeugnisse zur Geschichte einer „berüchtigten" Kreuzberger Mietskaserne sind in der Reihe
„Satyren und Launen" Nr. 8 in Faksimile wiedergegeben worden. Erstmals 1872 wird der Gebäudekomplex auf dem Grundstück Johanniterstraße 2-5 bei der Polizei aktenkundig. Im Laufe der Zeit gelten dann
die Wohnverhältnisse in diesem Gebäude für eine Reihe Berliner Tageszeitungen als exemplarisch. 1944
fällt diese Mietskaserne einem Fliegerangriff zum Opfer. Alle wiedergegebenen Schriftstücke sind der von
der Baupolizei angelegten Akte des Gebäudekomplexes entnommen.
Die Berliner Handpresse macht wie stets bei diesen Werken darauf aufmerksam, daß die Unterschiede des
Druckes nicht auf Fehler in der Herstellung zurückzuführen sind, sondern bei Faksimiles, hier im
Offsetverfahren, immer vom Zustand des benutzten Originals abhängen.
H. G. Schultze-Bemdt
Katharina Heinroth: Mit Faltern begann's. München: Kindler Verlag 1979.308 S. m. 34 Abb., geb., 28 DM.
Dieses autobiographische Buch der heute über achtzigjährigen Biologin, die sich zunehmend der vergleichenden Verhaltensforschung zugewandt hatte, spricht sowohl den Laien wie auch den fachlich interessierten Leser an. Die Autorin war von 1945 bis 1956 Direktorin des Berliner Zoos; sie berichtet in
lebhaftem Stil von ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung; der Untertitel des Buchs „Mein Leben
mit Tieren in Breslau, München und Berlin" weist dann auch auf die wichtigsten Stationen ihres Lebens
hin. Hier in Berlin heiratete sie auch den bekannten Ethologen Oskar Heinroth. An seiner Seite half sie mit,
die Folgen der Bombenangriffe zu beseitigen, die gerade den Zoo besonders hart getroffen hatten. Unter
größtem persönlichen Einsatz hat sie in den letzten Kriegstagen versucht, noch zu retten, was noch zu
retten war. Nach dem Tod ihres Mannes Ende Mai 1945 übertrug man ihr die Direktorenstelle. Nur 91
Tiere hatten den Bombenhagel und die Kämpfe überlebt, beinahe alle Gebäude waren zerstört, es gab kein
Wasser und keinen Strom. Mit Energie und Organisationstalent schaffte sie es, den Zoo schon im Sommer
1945 der Bevölkerung wieder zugänglich zu machen. Allmählich konnten auch neue Tiere angeschafft
werden. Da kam ein neuer Schlag: die Berliner Blockade. Wieder stand der Zoo vor seiner Auflösung, und
wieder war es ihr zu verdanken, daß er überlebte und nicht zu einem großen Gemüseanbaugebiet gemacht
wurde, wie es geplant war. Mit Diplomatie und Umsicht konnte sie das Schlimmste verhüten. Frau Dr.
Heinroth hat ihre ganze Kraft dem Wiederaufbau des Berliner Zoos gewidmet. Um so befremdlicher muß
es uns daher berühren, wie wenig ihr gedankt wurde, wie der Aufsichtsrat des Zoos sich „nicht schön gegen
sie verhalten hat", wie Konrad Lorenz, ein Schüler ihres Mannes, recht milde in seinem Vorwort zum
Ausdruck bringt. Jedoch nicht nur diese Kapitel sind lesenswert, sie sind nur ein Ausschnitt aus der
Darstellung eines bis heute rastlos tätigen Lebens.
Irmtraut Köhler
250
Irmgard Wirth: Eduard Gaertner - Der Berliner Architekturmaler. Berlin: Propyläen/Ullstein 1979.290 S.
m. 196 Abb., Pappbd., 68 DM.
Was Comenico Quaglio für München und Rudolf von Alt für Wien, war Eduard Gaertner für unsere
Stadt: ein Architekturmaler mit weit mehr als nur lokaler Bedeutung. Ausgestattet mit einem sicheren
Blick für den jeweils schönsten Standort, hatte er darüber hinaus einen Sinn für Physiognomien, was ihn
auch zu einem überdurchschnittlichen Porträt-, Landschafts- und Vedutenmaler seiner Zeit (1801-1877)
werden ließ; er war eben mehr als nur ein betulich-genauer Bildchronist.
Die Autorin, langjährige Direktorin des Berlin Museums, ist mit diesem Thema wie kaum jemand anderer
vertraut. Sie beschreibt hier gang unprätentiös das Leben des Malers, seine Werke und seine Stellung in der
deutschen Architekturmalerei des 19. Jahrhunderts. Das liest sich gut - klingt beinahe wie erzählt.
Dennoch läßt der Ärger nicht lange auf sich warten! Es fehlen die Querverweise vom Text zu den Bildern,
selbst wenn die Bildfolge ungefähr der des Textes entspricht, und es fehlen - noch gravierender - diese
Hinweise zwischen den Abbildungen und dem Werkverzeichnis, das mit 547 Nummern das bislang
umfassendste ist. Es darfauch nicht verschwiegen werden, daß die Jahresangaben unter mehreren Bildern
falsch sind. Diese Angaben sind zwar im Werkverzeichnis berichtigt worden, jedoch fehlt jeglicher
Korrekturvermerk, der auf diese Fehlerquelle hinweist.
Das gezeigte Bildmaterial ist gut, wenngleich man sich fragt, warum es nur 6 Farbabbildungen gegenüber
190 einfarbigen Abbildungen sind; für diesen Preis ist das etwas zu wenig.
Die typografische Gestaltung, die Bildanordnung, die Druckqualität und die Materialien sind in der
bekannten guten Art des Verlages.
Schade, daß dieser Band - durch die angesprochenen Versäumnisse bedingt - im Wissenschaftlichen stark
gemindert ist.
Claus P. Mader
Georg Holmsten: Berlüi-Charlottenburg. Freiburg i. B.: Karl Baedeker 1980. 84 S. m. 5 Karten u. Plänen
und 28 Abb., brosch., 7,80 DM.
Georg Holmsten: Berlin-Steglitz. Freiburg i. B.: Karl Baedeker 1980. 84 S. m. 5 Karten u. Plänen und 25
Abb., brosch., 6,80 DM.
Nach Wilmersdorf, Wedding, Tempelhof und Kreuzberg bekamen nun auch Charlottenburg und Steglitz
ihren „Baedeker". Neben einer geschichtlichen Übersicht und einer Bezirksbeschreibung enthalten die
Bändchen auch praktische Angaben über Hotels, Theater, Galerien und über weiterführende Literatur.
Die Karten und Abbildungen (Zeichnungen) ergänzen den Text sinnvoll. Durch den recht späten
Redaktionsschluß konnten auch noch die neuesten Angaben berücksichtigt werden. Für alle Berliner, die
sich intensiv mit „Ihrem Bezirk" befassen wollen, sind diese Publikationen eine wertvolle und preiswerte
Hilfe.
Hier stellt sich auch die Frage, wann es dem Verlag gelingt, eine korrigierte und ergänzte Neuauflage des
„Berlin-Baedekers" herauszubringen; die 24. Auflage von 1966 ist kaum noch brauchbar.
Claus P. Mader
Berlin 1737-1785. 32 alte Kupferstiche. Mühlheim a.M.: Verlag „Robinson-Drucke" 1979. Postkartenheft mit 32 Ansichten, 9,80 DM.
Unter dem Motto „Einladung zu einer Betrachtung Ihrer Stadt - in alter Zeit" stellt sich dieser neue
Verlag vor. Sein Programm besteht wohl hauptsächlich in der Herausgabe dieser Postkartenhefte mit
alten Städteansichten des 18. und 19. Jahrhunderts. Als eines der ersten Hefte kam nun das hier
angezeigte heraus. Als Vorlagen dienten mehr oder weniger bekannte Stiche und Lithographien, deren
Wiedergabe im Offsetverfahren ob der großen Verkleinerung qualitative Einbußen mit sich bringt.
Trotzdem - zumal noch sehr preiswert - dürften diese Karten, als Sonntagsgruß versandt, ihre Freunde
finden.
Claus P. Mader
In der Reihe der neuaufgelegten „Berlinischen Reminiszenzen" sind von unserem Mitglied Ilse Nicolas
kürzlich die beiden Bände „Vom Potsdamer Platz zur Glienicker Brücke" (Nr. 13) und „Kreuzberger
Impressionen" (Nr. 26) erschienen. In erweiterter und aktualisierter Ausstattung in Text und Bild bringen
sie nach wie vor ebenso fundierte wie lesenswerte Schilderungen von ausgewählten Teilen der Berliner
Stadtlandschaft. (Verlag Haude & Spener 1979, je Bd. 16,80 DM.)
251
Rolf Italiaander, Arnold Bauer, Herbert Krafft: Berlins Stunde Null 1945. Ein Bild-Text-Band. Düsseldorf.
Droste Verlag 1979. 173 S. m. 150 Abb., Ln., 46 DM.
In der Flut der Berlin-Bücher ist der vorliegende Band beachtenswert. Drei Autoren führen uns zurück
nach 1945, lassen uns anhand von Bildern, Dokumenten und Berichten am Zusammenbruch des „Dritten
Reiches" und am zähen Wiederbeginn nach dem 2. Mai teilnehmen.
Rolf Italiaander schildert seine Erlebnisse vor und nach der Kapitulation, mit Deutschen, Russen und
Amerikanern; Arnold Bauer gibt einen Abriß der „Anfänge von Kultur und Politik" in der ersten Zeit
nach der sowjetischen Besetzung; Herbert Krafft schließlich kommentiert die Berliner Wirtschaft zur
Stunde Null.
A. Bauer zeigt, wie sich schon Mitte Mai 1945 das kulturelle Leben der Stadt wieder regt, wie erste
Lesungen, Konzerte und auch ein Kabarett unter schwierigsten Bedingungen zustande kommen; die
Philharmoniker spielen bereits im Juni im Titania-Palast, das Renaissance-Theater beginnt mit dem
„Raub der Sabinerinnen". So unwahrscheinlich es für uns heute klingen mag: die Menschen damals
lechzten nach Kultur, sie lebten eben nicht vom Brot allein. Noch im Sommer 1945 erscheinen - mit
sowjetischer Lizenz - die ersten Zeitungen, und der Aufbau der Parteien und gewerkschaftlichen Organisationen beginnt. Nach dem Einzug der Amerikaner, Briten und Franzosen im Juli wird Berlin nun „eine
Stadt zwischen den Welten, der kommunistisch-totalitären und der parlamentarisch-demokratischen".
Eines aber scheint mir jedenfalls sicher zu sein, Berlin hat in jener ersten Nachkriegszeit trotz erbärmlicher
äußerer Umstände, unter denen seine Bewohner lebten, einen in dieser Güte und Höhe kaum wieder
erreichten Stand an kultureller Freiheit, Gemeinsamkeit und Vielfalt erreicht.
Herbert Krafft beleuchtet die wirtschaftliche Seite. Er berichtet z. B., daß die Kraftwerke der Bewag selbst
während der Kampfhandlungen lebenswichtige Betriebe der Stadt mit Strom versorgten; als Klingenberg
und Rummelsburg ausfielen, lieferten die westlichen Werke noch weiter, und als hier gekämpft wurde,
begannen Rummelsburg und Klingenberg bereits wieder ZU arbeiten. Es wird in Erinnerung gerufen, was
die Berliner an Lebensmitteln bekamen, wie die Müllabfuhr nach Verlust ihrer Pferde und ohne Benzin
ihre Aufgaben zu bewältigen suchte, wie die Berliner im kalten Winter 1945/46 ohne Kohlen dastanden
und die Brennholzaktion rund um die Stadt durchgeführt wurde. Er berichtet auch von den mühseligen
Wiederanfängen im Handwerk, von den Scheinarbeitsverhältnissen zur Erlangung einer höheren Lebensmittelration, von den sich bildenden Schwarzmärkten, wo man ein Pfund Butter für 450 und ein Brot
für 100 Reichsmark erstehen konnte. Einen breiten Raum nehmen die Ausführungen des Verfassers zur
Demontage ein. 85 % der industriellen Kapazität hatten die Westsektoren verloren, in der sowjetischen
Besatzungszone seien es 4 5 % gewesen, in Ost-Berlin 33%, in den drei westlichen Besatzungszonen
dagegen nur etwa 8 %. „Die Sowjets hatten ihre Chance zur Demontage vor Eintreffen der westlichen
Alliierten gründlich genutzt." Krafft zitiert dazu eine amerikanische Zeitung vom Juli 1945: „Das Problem
der deutschen Nachkriegsindustrie ist für Berlin gelöst; Es gibt dort keine Industrie mehr."
Eine Zeittafel 1945/46 beschließt das informative Buch.
Irmtraut Köhler
Evelyn Hardey:... damals war ich fünfzehn. Reutlingen: Ensslin & Laiblin, 1979. 156 S., Ln., 14 DM.
War vor einiger Zeit im Verlag Jugend und Volk ein Band „Damals war ich 14 - Jugend im Dritten Reich"
erschienen, so legt der bekannte Jugendbuchverlag Ensslin & Laiblin nunmehr ein fast titelgleiches Buch
über denselben Themenbereich vor. Es handelt sich um die Aufzeichnungen eines Mädchens des Jahrgangs 1930, das über seine Erlebnisse mit der Oli-Bande (am Olivaer Platz) berichtet, die es von 1942 bis
über das Kriegsende hinaus in einem etwas altklugen Tagebuch festgehalten hat. Dieses Tagebuch führt
alle jene Poussagen und Eifersüchteleien auf, die einem Mädchen aufzunotieren wichtig sein mögen. An
einigen Stellen, wo der heutige Leserkreis nicht mehr über die damaligen Geschehnisse orientiert ist, sind
nachträgliche Erläuterungen hinzugefügt worden (z. B. bei Mussolini und beim Warthegau). Manchmal
hat man den Eindruck, als sei die Schreiberin auch der damaligen Propaganda erlegen, denn daß noch im
Dezember 1943 deutsche Flugzeuge englische Städte „wie toll und besessen mit Bomben verwüsten", hat
selbst Hermann Göring nicht mehr geglaubt. Oder ist das ganze Buch nur (geschickt) nachempfunden?
Hierfür könnte die Tatsache sprechen, daß ein BdM-Mädel schon am 20. Juni 1944 den Einsatz der V 2 in
ihrem Tagebuch festhält, den die Historiker zum ersten Mal am 6. September 1944 registrierten. Daß
jemand 1944 am Reichpietschufer entlangläuft, das bis 1947 Tirpitzufer hieß und erst dann nach dem
meuternden Matrosen Reichpietsch genannt wurde, könnte ähnliche Gedanken aufkommen lassen.
Vielleicht ist das eigentliche Kriegsende dann zu rosig geschildert worden - der Autorin wäre es zu
wünschen.
H. G. Schullze-Berndt
252
Romantisches Berlin. Sechs Aquarelle von der Pfaueninsel bis Glienicke. Gesehen und gezeichnet von Prof.
Gerhard Ulrich. Berlin: Verlag der „Berliner Morgenpost", 1979. Mappe nicht im freien Buchhandel
erhältlich.
Die hier zusammengestellten Blätter bieten einen so erfreulichen Anblick, daß man nur hoffen kann, der
ersten Auswahlmappe möge bald eine zweite folgen. Gerade in einer Zeit, in der meist Kunst erst jenseits
der Erkennbarkeit angesiedelt ist, kann es nur begrüßt werden, wenn sich jemand wie Prof. Ulrich findet,
der mit sehr viel Liebe und Einfühlungsvermögen in der Wahl der Motive und in der Darstellung Blätter
schafft, die die immer seltener werdenden Schönheiten Berlins festhalten. Ist es doch für den empfindsamen Betrachter eines Bildes ein erheblicher Unterschied, ob er eine noch so meisterhafte Fotografie oder
eben wie hier Zeichnungen oder Aquarelle vorgelegt bekommt. So kann man den Verlag nur zu der Idee
beglückwünschen und dazu, in Prof. Ulrich ein Mann gefunden zu haben, der solche Bilder schaffen kanri
und dabei noch den Mut besitzt, gewissermaßen gegen den Strom zu schwimmen.
Ernst Alberts
Wissenschaftlicher Schriftenaustausch mit anderen Institutionen und Vereinen. Nachstehende Schriften
können eingesehen und ausgeliehen werden.
Allgemein:
Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine: Protokolle 1890-1913; Blätter für deutsche Landesgeschichte 1952 ff.
Deutscher Heimatbund: Jahrbücher 1959-1968.
Gesellschaft für deutsche Postgeschichte: Archiv für deutsche Postgeschichte 1963 ff. Die Post in Bildern.
Gesellschaft für die Geschichte und Bibliographie des Brauwesens: Jahrbücher 1952 ff.
Gesellschaft für Theatergeschichte: Schriften 1913 ff.
Akademie der Wissenschaften der DDR: Jahrbücher 1963 ff.
Humboldt-Universität Berlin: Gesamtverzeichnis der Zeitschriften 1966; Zeitschrift 1965 ff.
Museum für deutsche Geschichte, Berlin (Ost): Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1966 ff.
Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Jahrbuch 1962 ff.
Akademie der Wissenschaften Göttingen: Jahrbuch 1966 ff.
Familienkundliche Nachrichten: 1956 ff.
Hansischer Geschichtsverein: Hansische Geschichtsblätter 1950 ff.
Nassauischer Verein für Naturkunde: Jahrbuch 1959 ff.
Ostdeutsche Familienkunde: 1953 ff.
Bayern:
Historischer Verein von Oberbayern: Oberbayerisches Archiv 1954 ff.
Historischer Verein von Oberpfalz und Regensburg: Verhandlungen 1950 ff.
Oberpfälzer Wald-Verein: Oberpfälzer Heimat 1967 ff.
Historischer Verein Unterfranken und Aschaffenburg: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und
Kunst 1950 ff.
Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte: Mainfränkische Hefte 1948 ff.
Heimatverein Erlangen und Umgebung: Erlanger Bausteine zur fränkischen Heimatforschung 1955 ff.
Institut für fränkische Landesforschung der Universität Erlangen-Nürnberg: Jahrbuch für fränkische
Land.-Forschung 1965 ff.
Verein für die Geschichte der Stadt Nürnberg: Mitteilungen 1949 ff.
Historischer Verein Eichstätt: Sammelblätter 1948 ff.
Baden-Württemberg:
Historischer Verein Heilbronn: Jahrbuch 1960 ff.
Universität Heidelberg, Pressestelle: Diverse Berichte.
Vereinigung der Freunde der Universität Heidelberg: Mitteilungen 1954 ff.
Bremen:
Staatsarchiv Bremen: Veröffentlichungen 1953 ff.; Bremisches Jahrbuch 1975 ff.
Hamburg:
Verein für Hamburger Geschichte: Zeitschrift 1978 ff.
Museum für Hamburger Geschichte: Beiträge zur dtsch. Volks- und Altertumskunde 1964 ff.; diverse
Veröffentlichungen.
Museums- und Heimatverein Harburg und Land: Harburger Jahrbuch 1948 ff.
253
Hessen:
Historischer Verein für Hessen: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde 1943 ff.
Oberhessischer Geschichtsverein: Mitteilungen 1953 ff.
Mainzer Altertumsverein: Mainzer Zeitschrift; Mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und
Geschichte 1950 ff.
Fuldaer Geschichtsverein: Zeitschrift 1959 ff.
Frankfurter Verein für Geschichte und Landeskunde:
Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 1948 ff.
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde: Zeitschrift 1959 ff.
Niedersachsen:
Historischer Verein für Niedersachsen: Hannoversche Geschichtsblätter 1952 ff.
Braunschweiger Geschichtsverein: Jahrbuch 1949 ff.
Verein für die Geschichte der Stadt Einbeck: Jahrbuch 1955 ff.
Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück: Mitteilungen 1947 ff.
Harz-Verein für Geschichte: Harz-Zeitschrift 1962 ff.
Nordrhein-Westfalen:
Aachener Geschichtsverein: Zeitschrift 1949 ff.
Düsseldorfer Geschichtsverein: Jahrbuch 1951 ff.
Kölnischer Geschichtsverein: Jahrbuch 1950 ff.
Historischer Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark: Beiträge zur Geschichte 1965 ff.
Bergischer Geschichtsverein: Zeitschrift 1964 ff.
Bonner Heimat- und Geschichtsverein: Bonner Geschichtsblätter 1967 ff.
Mindener Geschichts- und Museumsverein: Mitteilungen 1965 ff.
Historischer Verein für Stadt und Stift Essen: Beiträge 1961 ff.
Verein für die Geschichte von Soest und Börde: Zeitschrift 1965 ff.
Rheinland-Pfalz:
Historischer Verein der Pfalz: Mitteilungen 1953 ff.
Gesellschaft für nützliche Forschungen und der Stadtbibliothek Trier: Kurtrierisches Jahrbuch 1961 ff.
Verein Trierisch: Trierisches Jahrbuch 1952 ff.
Stadt Worms und Altertumsverein: Zeitschrift 1963 ff.
Schleswig-Holstein:
Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: Zeitschrift 1968 ff.
Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte: Mitteilungen 1948 ff.
Brandenburg:
Bezirksheimatmuseum Potsdam: Veröffentlichungen 1963 ff.
Staatsbibliothek Potsdam/Fontane-Archiv: Fontane Blätter 1965 ff.
Mecklenburg:
Universität Rostock: Wissenschaftliche Zeitschrift 1964 ff.; Veröffentlichungen der Wissenschaftler,
Bibliographie 1974 ff.
Stadtarchive Greifswald und Stralsund: Jahrbuch 1965 ff.
Sachsen-Anhalt:
Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg: 450 Jahre - Chronik, Bad. I-III; Geschichte Wittenbergs
1952 ff.
Stadtarchiv Erfurt: Diverse Schriften 1965 ff.
Sachsen:
Museum für Geschichte der Stadt Leipzig: Jahrbuch 1975 ff.; diverse Schriften.
Stadtarchiv Karl-Marx-Stadt (Chemnitz): Beiträge zur Heimatgeschichte 1952 ff.
Museum Hohenleuben-Reichenfels/Vogtland: Jahrbuch 1953 ff.
Sächsische Landesbibliothek Dresden: Sächsische Heimatblätter 1954 ff.
Thüringen:
Friedrich Schiller-Universität Jena: Geschichte der Universität 1958; diverse Schriften 1968 ff.
Österreich:
Oberösterreichischer Musealverein: Jahrbuch 1947 ff.
Steiermärkisches Landesarchiv: Mitteilungen 1957 ff.
Steiermärkische Landesbibliothek: Diverse Schriften 1968 ff.
Stadt Graz: Historisches Jahrbuch 1968 ff.
Historischer Verein für die Steiermark: Zeitschrift 1950 ff.; Blätter für Heimatkunde 1950 ff.
254
Verein für die Geschichte der Stadt Wien: Jahrbuch 1946 ff.; Wiener Geschichtsblätter 1946 ff.; Wiener
Schriften 1955 ff.
Schweiz:
Historische und antiquarische Gesellschaft zu Basel: Zeitschrift 1951 ff.
Antiquarische Gesellschaft in Zürich: Mitteilungen 1950 ff.
„Mittels Tun ein Mensch werden" - unter diesem Titel erschien 1969 eine kleine Festschrift zum 65. Geburtstag Walther G. Oschilewskis. Zehn Jahre später, zum 75., war es eine Bibliographie, die auf andere,
nicht minder eindrucksvolle Weise von diesem vielfältigen „Tun" unseres Ehrenmitgliedes Zeugnis gibt
(Hrsg.: Archiv der sozialen Demokratie/Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1979,52 S.). Die rund 500 Titel
des Publizisten, Literaten, Journalisten und - nicht zuletzt - „Berlinomanen" W. G. O. leuchten den
gesamten Umkreis seiner beruflichen Tätigkeiten und Interessen aus - sei es als Dichter, Bibliophile,
Kunstkritiker, politischer Biograph, Theaterpublizist, Bibliothekar oder Feuilletonredakteur. Das in
diesem Büchlein Zusammengetragene ist längst nicht alles, aber selbst diese Auswahl der wichtigsten
Arbeiten läßt schon an der Bandbreite ihrer Themen erkennen, in welch enzyklopädischer Manier uns
dieser berlinische Geist mit seinem Tun erfreut, belehrt, angeregt, ja bereichert hat. Die Liste möge in
Zukunft beliebig verlängert werden!
P L.
Unser diesjähriges Jahrbuch „Der Bär von Berlin" wird in wenigen Tagen ausgeliefert. Es enthält S Beiträge
mit insgesamt 40 Abbildungen zur Geschichte sowie Kultur- und Kunstgeschichte unserer Stadt. Die Mitglieder erhalten den Band per Post zugestellt, soweit sie den fälligen Mitgliedsbeitrag für das laufende Jahr
(48 DM) entrichtet haben. Der Ladenpreis beträgt 24,80 DM. Bestellungen von Nichtmitgliedern und
Buchhandlungen direkt beim Verlag: Westkreuz-Verlag, Rehagener Straße 30,1000 Berlin 49.
Zusatzbestellungen unserer Mitglieder bei der Geschäftsstelle des Vereins: Albert Brauer, Blissestraße 27,
1000 Berlin 31.
*
Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (It.
Beschluß der Jahreshauptversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch
ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM).
*
Für unsere neuen Mitglieder, sind bei der Geschäftsstelle noch einige komplette Serien der Jahrgänge
67-70 = 16 Hefte, Inhaltsverzeichnis und Register, und 71-74 = 16 Hefte und Inhaltsverzeichnis unserer
„Mitteilungen" jeweils zum Preis von 40 DM zuzüglich Porto erhältlich.
*
Bestellungen von Publikationen des Vereins sind ausschließlich schriftlich an die Geschäftsstelle des
Vereins: Herrn Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, zu richten.
Zuschriften, die den Inhalt dieser Hefte betreffen, sind an die Schriftleitung: Herrn Claus P. Mader,
Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41, zu richten.
Im III. Vierteljahr 1980
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Lisbeth Dwars, Hausfrau
Kölner Damm 71, 1000 Berlin 47
Tel. 6 04 37 39
(Gertraud Polke)
Elsa Feldmann, Hausfrau
Kommandantenstraße 30, 1000 Berlin 61
Tel. 6 14 85 31
(Ellen Wiegand)
Gisela Krift, Bibliotheks-Ang.
Fritz-Erler-Allee 114, 1000 Berlin 47
Tel. 6 03 60 28
(Albert Brauer)
An unsere Bezieher! Die Beanschriftung der Zeitschriften erfolgt jetzt in neuer Form aus Gründen eines
kostensparenden Vertriebs, und wir bitten Sie, Ihre Anschrift zu prüfen. Wenn Sie Fehler feststellen,
erbitten wir Ihre Mitteilung an Westkreuz-Druckerei und Verlag, Rehagener Straße 30, 1000 Berlin 49.
255
Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegen ein Prospekt und eine Bestellkarte des
Westkreuz-Verlages und der Prospekt „Charlottenburg-Festschrift" des Colloquium-Verlages
bei.
Veranstaltungen im IV. Quartal 1980
1. Dienstag, den 21. Oktober 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr.
Helmut Börsch-Supan: „Das Schloß Charlottenburg zur Zeit Friedrichs I." Bürgersaal des
Rathauses Charlottenburg.
2. Sonntag, den 26. Oktober 1980, 14.00 Uhr: Besuch im Hohenzollernmuseum, Grunewald,
Heydenstraße 21. Fahrverbindungen: Busse 10, 17, 19, 29, 50, 60, 68.
3. Sonntag, den 9. November 1980, 10.00 Uhr: „Rund um die Museumsinsel". Leitung: Herr
Hans-Werner Klünner. Führung anläßlich des 150jährigen Bestehens der Staatlichen
Museen. Treffpunkt: Brücke am Pergamon-Museum, Kupfergraben.
4. Sonnabend, den 15. November 1980, 15.00 Uhr: Besuch des Steglitzer Heimatarchivs.
Führung Herr Otto Wilhelm. Lichterfelde, Drakestraße 64a. Fahrverbindungen: Busse 11
und 85.
5. Dienstag, den 25. November 1980, 19.30 Uhr: Lichtbildervortrag von Frau Dr. Veronika
Bendt: „Geschichte und Neuplanung des Jüdischen Museums in Berlin". Bürgersaal des
Rathauses Charlottenburg.
6. Sonnabend, den 6. Dezember 1980, 10.30 Uhr: „Vorweihnachtsbummel um St. Nikolai in
Spandau". Treffpunkt vor dem Hauptportal. Leitung Herr Günter Wollschlaeger.
Um 13.00 Uhr anschließendes vorweihnachtliches Beisammensein in der historischen Gaststätte „Zitadellenschänke". Teilnahme-Anmeldungen wegen der Bestellung des MittagsMenüs (Menügruppenpreis 20,80 DM) bis zum 10. November erbeten unter der Rufnummer
85127 39.
7. Freitag, den 12. Dezember 1980, 15.00 Uhr: „Besichtigung und Anmerkungen zu den
Kunstgußschätzen im Schloß Charlottenburg - auch hinter den Kulissen". Leitung: Herr
Professor Dr. Martin Sperlich. Treffpunkt im Ehrenhof des Schlosses vor dem westlichen
Seitenflügel.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek
ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und
Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
256
uU>^- < W
KChbibüofhsk
A
FaA«bt. der Berliner Stadtbibliethek
i m
,PY
iU1!>t
A
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
G E G R Ü N D E T 1865
77. Jahrgang
Januar 1981
Heft 1
9)ctcr etytwWi
»un&ctfame
Qi < f <t> i tr> ( «
m i t g t t | e t 11
SB»
Ebtlbert
von ßbamiffo
an»
f> e t .1 u t 3 ( g ' S> ( u
9 0 &
gtiebricb Sarcn be la «Rotte gouque.
ttti einem Äuiifer.
6
:
A'/i'T
' 'c/t ff/////>(
^ 3 ^
bei 3 ° N
n n
Sionhatti
©4tag
.
Titelblatt mit Frontispiz der Erstausgabe von Chamissos „Peter Schlemihls wundersame
Geschichte", mit dem Kupfer von Friedrich Leopold
257
AdeH5ert von Chamisso - Ein Wanderer zwischen zwei Welten
2um 200. Geburtstag des Dichters
Von Jürgen Wetzel
Es ist still um Adelbert von Chamisso geworden. In modernen Bibliographien sind nur noch
wenige Versuche über ihn verzeichnet. Vor einem Jahrhundert dagegen als vaterländischer
Dichter gefeiert, waren seine Veröffentlichungen in jedem Bürgerhaus zu finden, und einige
seiner Gedichte gehörten zum selbstverständlichen Repertoire deutscher Lesebücher. Hat
Adelbert von Chamisso uns heute nichts mehr zu sagen?
Wenn zum zweihundertsten Geburtstag seiner mit einer biographischen Skizze gedacht wird,
dann soll eine Person gewürdigt werden, die in einem außergewöhnlichen Leben und in
meisterhafter Beherrschung der deutschen Sprache den Gedanken der Humanität lebendige
Impulse verliehen hat. Es soll ferner daran erinnert werden, daß Chamisso auf der schwierigen
Suche nach seiner Identität hier in Berlin im Kreise von „Dichtern und Denkern" seine Heimat
gefunden hat. Kein Geringerer als Thomas Mann zollte diesem Manne seinen Tribut. In der
Sammlung „Adel des Geistes" wurde ein Beitrag über Chamisso aufgenommen, in dem er sich
über dessen Entwicklung voller Bewunderung äußert: „Wieviel bewußte Arbeit, wieviel Ringen
und Werben um die Gunst unserer Sprache war . . . nötig, damit aus einem französischen
Knaben ein deutscher Dichter wurde!"1 Selbst ein Meister deutscher Sprache, wird wohl nur
ihm ganz nachvollziehbar gewesen sein, welche Zweifel und welche Qualen Chamisso auf
diesem Weg durchlitten hatte. Seine Bescheidenheit ließ es ihn lange als Vermessenheit erachten, sich zugehörig zum deutschen Parnassos zu betrachten. Um so größer war seine Freude, als
Beifall der Besten ihm einen Platz in ihrer Mitte wies. Erstaunt stellte er in einem Brief an seinen
Freund de la Foye fest: „Was man sich in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle; ich
glaube fast, ich sei ein Dichter Deutschlands."2 Thomas Mann führt uns vor Augen, was es
damals hieß, ein Dichter zu sein. Die Romantik habe dem europäischen Begriff von Poesie
ihren Stempel aufgedrückt. „Poesie - das war Romantik. Aber romantisch - das war deutsch."
„Ein Deutscher sein, das hieß beinahe ein Dichter sein."3 Hier liegt vielleicht der Schlüssel zum
Verstehen, weshalb ein Ausländer heimisch in der deutschen Sprache werden konnte.
In dem Gedicht „Le Chäteau de Boncourt" hat Chamisso seine Biographie poetisch gedeutet.
Das längst verschwundene Schloß seiner Väter in der Champagne und die Tage seiner Kindheit
waren oft Ziel seiner Träume. Als Romantiker waren ihm Empfindungen von unerfüllbarer
Sehnsucht nicht fremd. Doch er ergab sich nicht der melancholischen Resignation. Er raffte
sich auf, das „Saitenspiel in der Hand", um als fahrender Sänger die Erde zu durchstreifen.
Auf jenem Schlosse Boncourt wurde der Dichter am 27. Januar 17814 als fünfter Sohn des
lothringischen Edelmannes Louis Comte de Chamisso geboren und auf die Namen Louis
Charles Adelaide getauft.5 Neun Jahre später vertrieb die Französische Revolution den königstreuen Vasallen mit seiner Familie. Das Schloß Boncourt, die Stätte von Chamissos Kindheit,
wurde zerstört und dem Erdboden gleichgemacht. Unter großen Entbehrungen irrte die
Familie durch Länder und Städte - Lüttich, Haag, Düsseldorf, Würzburg und Bayreuth waren
die Stationen der Flucht - bis sie schließlich 1796 in Berlin Asyl fand.
Berlin im letzten Regierungsjahr Friedrich Wilhelms II. war eine Stadt im Aufbruch. Neue
Formen des gesellschaftlichen Lebens hatten alte Standesschranken überwunden. In Bürgerhäusern und Salons trafen sich Männer und Frauen, Katholiken, Protestanten und Juden,
Künstler und Gelehrte, Kaufleute und Adlige zu Dichterlesungen, zu Diskussionen über
258
Kunst, Wissenschaft und Politik. Unverkennbar waren die Einflüsse der Französischen Revolution, die über den Terror hinaus mit dem Ideal der Humanität, den Gedanken von Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit weiterwirkte. Zahlreiche Veröffentlichungen, Bücher, Zeitungen
und Zeitschriften zeugten vom Interesse am politischen und gesellschaftlichen Geschehen und
befriedigten ein gesteigertes Informationsbedürfnis.
Auch in Kunst und Kultur hatte Berlin sich eine führende Stellung in Deutschland erobert. Der
unsichere, doch musisch begabte König, der „Vielgeliebte", wie er mit einem ironischen
Unterton genannt wurde, förderte Musik, Poesie und Theater. In Literatur und Wissenschaft
begünstigte er die deutsche Sprache. Die Werke von Lessing, Goethe und Schiller wurden
begierig gelesen und erlebten erfolgreiche Aufführungen. Die preußische Hauptstadt wurde
aber nicht die Stadt der Klassiker. In Berlin fand die Romantik eine Heimstätte. Wieweit der
König mit seinem Hang zum Mystischen, Übersinnlichen und Phantastischen die Anfänge
dieser Entwicklung gefördert hat, soll dahingestellt bleiben. Festzuhalten gilt, daß noch zu
seinen Lebzeiten die führenden Romantiker Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder
und August Ferdinand Bernhardi in Berlin wirkten und viele bedeutende Männer in die Stadt
zogen.
Ausgehend von der Naturschwärmerei Rousseaus, wandten sich die Romantiker gegen Aufklärung und Klassizismus. Dem klassischen Ideal der Vollendung stellten sie das Unendliche
gegenüber, der Harmonie das Chaos, dem Streben nach dem Erreichbaren die ewige Sehnsucht
nach dem Unerreichbaren. Ziel war die Verschmelzung von Religion, Wissenschaft und Leben
zur höheren Einheit in der Kunst. Der Künstler war in ihren Augen folgerichtig der Künder
göttlicher Offenbarung.
Als der fünfzehnjährige sensible Chamisso mit seinen Eltern 1796 nach Berlin kam, wird er die
Erregungen in der Stadt gespürt haben, ohne sich über seine künstlerischen Empfindungen klar
gewesen zu sein. Seine Entwicklung führte ihn zunächst in eine entgegengesetzte Richtung. Aus
Not wollten die Eltern Adelbert - so nannte er sich seit dieser Zeit - ein Handwerk lernen lassen.
Dem unermüdlichen Bemühen seines Bruders Prudens gelang es jedoch, ihm die Stellung eines
Pagen bei Königin Friederike Louise zu verschaffen. Seine Brüder Charles und Hippolyt hatten
bis zu ihrer Flucht in gleicher Stellung dem unglücklichen König von Frankreich gedient.
Chamisso erhält zum erstenmal geregelten Unterricht und die Königin gibt ihm die Möglichkeit, an öffentlichen Lehrgängen des französischen Gymnasiums teilzunehmen. Erziehung und
Unterricht sollen ihn für den Kriegsdienst vorbereiten. Durch die Überreichung einer militärwissenschaftlichen Abhandlung machte Chamisso 1798 den jungen König Friedrich Wilhelm
III. auf sich aufmerksam, der seine Ernennung zum Fähnrich bei dem zur Besatzung Berlins
gehörenden Regiment von Goetze fördert. 1801 erhält er das Leutnantspatent.
Im gleichen Jahr gestattet Napoleon, Erster Konsul der Französischen Republik, den Emigranten die Heimkehr. Chamissos Eltern und Geschwister verlassen Deutschland. Er bleibt allein
zurück. Die Eltern hatten ihn beschworen, die gesicherte Stellung nicht gegen eine ungewisse
Zukunft einzutauschen. Chamisso fühlt sich verlassen, leidet im preußischen Heer unter seiner
Herkunft und der Stupidität von Zucht und Ordnung, Paraden und Exerzieren. In dieser Krise
findet er Trost in der Beschäftigung mit Philosophie und Literatur. In mühevoller Arbeit
bemüht er sich um die deutsche Sprache. Er liest Klopstock, Goethe, Schiller und unternimmt
erste literarische Versuche zunächst auf französisch, dann auf deutsch. Studien zu Faust
bringen ihn in Verbindung zu dem ebenfalls dichtenden Karl August Varnhagen. Jetzt gelingt
ihm, wonach er sich lange sehnte, er schließt Freundschaft mit Gleichgesinnten, mit dem
achtzehnjährigen Varnhagen, mit dem Referendar Julius Eduard Hitzig, mit Louis de la Foye,
Emigrant und Offizier wie er, mit dem Theologen Franz Theremin und dem Arzt Johann
259
Adelbert von Chamisso
nach einer Zeichnung von
E.T.A. Hoffmann
aus dem Jahre 1805
(In: Franz Kugler, Liederhefte.
H. 5, Stuttgart 1853)
Ferdinand Koreff. Sie treffen sich bei Chamisso auf der Wache, wenn er sie am Brandenburger
oder Potsdamer Tor hat, und durchwachen die Nächte in Diskussionen über Dichtung und
Poesie. Sie verlieren sich in philosophischen Spekulationen und schmieden Lebenspläne.
Schwärmerisch artikulieren sie das unstete Verlangen, die Sehnsucht nach der Ferne, das
Unbegreifbare. Sie begeistern sich für August Wilhelm Schlegels Shakespeare-Übersetzungen
und erhalten in dessen Berliner Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur das
Rüstzeug für die eigenen romantischen Versuche. In welcher Stimmung sich Chamisso in dieser
Zeit befindet, geht aus einem Brief an Hitzig hervor: „O wie würde jenes unstäte Verlangen, das
aus den bedrängenden Schranken hinaus in die Weite mich ruft, vieles zu erfahren, zu
erkennen, durch Schlachten mich zu schlagen, in That und Schall mich ins Äußere zu ergießen,
o wie würde es sanft sich auflösen und das stilleste Leben in mich gekehrt mir genügen, würde
mir ein dem Deinen ähnliches Glück zu Theil."6 Die Frucht der Verbrüderung ist der „Nordsternbund" und ist die Herausgabe des Musenalmanachs7, der - weil sich kein Geldgeber fand zunächst auf Kosten Chamissos herauskommt. Zwei folgende Nummern erscheinen dann bis
1806 in einem Leipziger Verlag. Freundschaftlich-kritisch begleitet das geistige Berlin diese
Literaturzeitschrift. Chamisso knüpft neue Verbindungen, lernt E.T.A. Hoffmann kennen, der
eine hübsche Zeichnung von ihm anfertigt, und Friedrich de la Motte-Fouque, der Beiträge für
den Musenalmanach liefert. Auch Johann Gottlieb Fichte wird auf den jungen Dichter
aufmerksam und stellt ihn unter seinen väterlichen Schutz.
Der Nordsternbund hat nur eine kurze Dauer. Schon 1804 verlassen einige Mitglieder Berlin.
Die Freundschaften aber, die Chamisso mit ihnen und Fouque schließt, halten ein Leben lang.
Sie erleichtern sein Hereinwachsen in die deutsche Umwelt. Noch aber ist er sich darüber nicht
im klaren. Noch fühlt er sich in Deutschland als Franzose und in Frankreich als Deutscher.
Neben der nicht überwundenen Identitätsneurose treibt ihn die Abreise der Freunde in eine
Existenzkrise. „Ich möchte mit Fäusten mich schlagen", schreibt er an de la Foye, „ein Kerl von
24 Jahren und nichts gethan, nichts erlebt, nichts genossen, nichts erlitten, nichts geworden,
260
nichts erworben, nichts, rein nichts, in dieser erbärmlichen, erbärmlichen Welt!"8 Chamisso
stürzt sich auf Sprachstudien. Neben Griechisch und Lateinisch beschäftigt er sich mit modernen Sprachen, mit Englisch, Italienisch und Spanisch. Er weiß nun, daß seine Vorliebe für
Literatur und Sprachen mit seiner Stellung als preußischer Offizier nicht vereinbar ist. Doch
bevor er seinen Entschluß zum Verlassen des Heeresdienstes fassen kann, überrollen ihn die
außenpolitischen Ereignisse.
Gegen das zu mächtig gewordene Frankreich Napoleons beginnen England, Rußland und
Österreich den Dritten Koalitionskrieg. Preußen bleibt zwar neutral, bereitet sich jedoch durch
Truppenbewegungen auf den unvermeidlichen Zusammenprall vor. Im Oktober 1805 wird
Chamissos Regiment nach Westdeutschland verlegt. Dort erlebt er im Herbst 1806 den
Weserfeldzug und die ruhmlose Kapitulation der Festung Hameln. Der schnelle, unerwartete
Zusammenbruch Preußens bewahrt Chamisso davor, gegen seine Landsleute kämpfen zu
müssen. Kriegsgefangen erhält er einen Paß nach Frankreich. Dort leidet er unter der Siegesstimmung der Franzosen. Ohne Beruf, ohne Familie - seine Eltern waren inzwischen gestorben
-, zwischen Deutsch- und Franzosentum hin- und hergerissen, reist er von Paris ratlos durch
die Champagne. Im Herbst 1807 kehrt er nach Berlin zurück. Es folgen einsame, untätige
Jahre. „Irr an mir selber", schreibt er später, „ohne Stand und Geschäft, gebeugt, geknickt
verbrachte ich in Berlin eine düstere Zeit."9 Fernweh und die Sehnsucht nach Geborgenheit, die
zwei sich bekämpfenden Triebkräfte der Seele, lähmen ihn. Doch er gibt sich nicht auf. Ein Ruf
in das Land seiner Väter, nach Napoleonville10, als Professor am dortigen Lyzeum entreißt ihn
dem unleidlichen Zustand. Im Januar 1810 tritt Chamisso die Reise an, um eine neue Enttäuschung zu erfahren. Die Stelle war inzwischen aufgehoben worden. Er bleibt in Paris, trifft dort
August Wilhelm Schlegel, Alexander von Humboldt und Ludwig Uhland. Schlegel vermittelt
die Bekanntschaft mit Madame de Stael", in deren Bann Chamisso gerät. Er bewundert diese
geistreiche Frau, den Charme und die Kühnheit, mit der sie selbst dem Imperator die Stirn
bietet. Aus Paris verbannt, unterhält sie auf den Loire-Schlössern Chaumont und Fosse einen
literarischen Hofstaat und beendet die Arbeiten an ihrem Werk „De l'Allemagne". Im Sommer
begibt sich Chamisso zu ihr. „Ich habe bei dieser großartig wunderbaren Frau unvergeßliche
Tage gelebt", bekennt er rückblickend, „viele der bedeutendsten Männer der Zeit kennengelernt und einen Abschnitt der Geschichte Napoleons erlebt, seine Befeindung einer ihm nicht
unterwürfigen Macht".12
Den Winter 1810/11 verbringt er auf Einladung Prosper von Barantes, des Präfekten der
Vendee, in Napoleonville, sammelt Volkslieder und beschäftigt sich mit altfranzösischer
Literatur, mit Rousseau und Shakespeare. Als Madame de Stael auch aus Frankreich vertrieben wird, folgt er ihr im Frühjahr in die Schweiz. Napoleon, der sich nun anschickt, mit seinen
Armeen ganz Europa zu überfluten, haßt und fürchtet diese Frau, die ihn ungebrochen mit
spitzer Feder bekämpft. Sie flieht vor seinen Armeen nach Moskau, Stockholm, London und
weiß sich schließlich auf Seiten der Sieger. Zunächst aber hat sie einige Monate Ruhe, die sie auf
ihrem herrlich gelegenen Schloß Coppet am Genfer See genießt, Chamisso mit ihr. Auf
Anregung seines Freundes de la Foye beginnt er sich dort mit Botanik zu beschäftigen. Seit
seiner Kindheit wird er „mächtig von der Natur angezogen, Blumen, Insekten, alles was da ist,
blühet, sich reget... haben einen unsäglichen Reiz" für seine Seele.13 In langen Hochgebirgswanderungen am Montblanc-Massiv, in stiller Betrachtung und Bestimmung von Pflanzen
scheint Chamisso seine Berufung zu sehen. Seine Bescheidenheit behindert noch immer ein
Bekenntnis zum Dichterberuf. Mit dem festen Entschluß, Naturwissenschaften zu studieren,
kehrt er im Herbst 1812 nach Berlin zurück. Als über Dreißigjähriger schreibt er sich für die
Fächer Medizin und Botanik an der neugegründeten Universität ein. Mit der Aufnahme des
261
Studiums wendet er sich ab von den aristokratischen Traditionen seiner Familie, und mit der
Hinwendung zur Natur folgt er Rousseauschen Gedankengängen. Diese Hinwendung zur
Natur ist ein entscheidender Schritt zur Selbsfindung.14 Chamisso ist ein fleißiger Student. „Ich
will alle Naturwissenschaften mehr oder weniger umfassen", schreibt er, „und in einigen Jahren
als ein gemachter Mann und ein rechter Kerl vor mir stehen, der zu einer gelehrten Reise im
Allgemeinen und zu einem bestimmten Zweig insbesondere in einer größeren Unternehmung
der Art als tauglich sich darstellen könne.'" 5 Dieses Ziel behält er fortan fest im Auge.
Wieder aber werden seine Pläne durch die Weltpolitik durchkreuzt. Im Frühjahr 1813 beginnen
die Befreiungskriege. Eine nie dagewesene nationale Begeisterung erfaßt alle Schichten der
Bevölkerung. Chamisso leidet, abseits stehen zu müssen, nicht teilhaben zu können an dieser
Aufbruchstimmung gegen Frankreich. Tief getroffen, zieht er sich in die Einsamkeit, auf das
Landgut Kunersdorf der befreundeten Familie von Itzenplitz zurück. Dort in ländlicher
Abgeschiedenheit schreibt er im Sommer 1813 für die Kinder seines Freundes Hitzig den „Peter
Schlemihl"16, die wundersame Geschichte eines Mannes, der seinen Schatten verkauft. Diese
von Fouque herausgegebene Fabel geht um die Welt und macht Chamisso auf Anhieb
bekannt. An dieser romantischen Erzählung ist viel heruminterpretiert worden. Ohne Zweifel
enthält sie autobiographische Züge. Es ist die phantastische Geschichte eines Gezeichneten, der
durch frühe Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen wird, ähnlich wie
Chamisso, der die Qualen einer jugendlich problematischen Existenz erleidet, ohne Heimat,
ohne Laufbahn, ohne Zukunft. Frei wird Schlemihl durch die Einstimmung in sein Schicksal,
durch Selbstüberwindung und Tätigkeit. Für Chamisso war es die prophetische Deutung seines
eigenen Schicksals.
Im Winter nimmt er seine Studien in Berlin wieder auf. Durch intensive Beschäftigung mit der
lateinischen Sprache bereitet er sich auf die Doktorprüfung vor. Doch nach Rückkehr Napoleons von der Insel Elba, nach erneuter Niederlage und Gefangennahme entbrennen noch
einmal die nationalen Leidenschaften. Es zerreißt ihn, bei „solcher waffenfreudigen Volksbewegung müßiger Zuschauer"17 bleiben zu müssen. Er möchte sich verstecken. Aber in ganz
Preußen gibt es nun keinen Ort mehr, wohin er sich zurückziehen könnte. Da kommt ihm ein
Zufall zu Hilfe. Bei seinem Freund Hitzig liest er in der Zeitung von einer bevorstehenden vom
russischen Reichskanzler Graf Romanzow ausgerüsteten Entdeckungs-Expedition in den Pazifik und das Polargebiet, um die Nordwestpassage zu erkunden. „Ich wollte, ich wäre mit diesen
Russen am Nordpol!" ruft Chamisso unmutig aus.18 Der rührige Hitzig greift diesen Gedanken
sofort auf und verschafft ihm über seine Verbindungen zu dem russischen Staatsrat August von
Kotzebue19, dessen Sohn Otto das Kommando der Forschungsreise führt, die Teilnahme.
Chamisso nimmt als Experte, als Naturwissenschaftler an der Expedition teil. „Nun war ich
wirklich an der Schwelle der lichtreichsten Träume", schreibt er später, „die zu träumen ich
kaum in meinen Kinderjahren mich erkühnt, die mir im Schlemihl vorgeschwebt, die als
Hoffnung ins Auge zu fassen ich, zum Manne herangereift, mich nicht vermessen."20 Im Juli
1815 beginnt die Weltreise, die ihn auf der Brigg Rurik in drei Jahren von Kopenhagen über
Plymouth, Teneriffa, Brasilien und Chile nach Kamtschatka und in die Beringstraße führt,
ohne daß die Expedition die erhoffte Nordwestpassage entdeckt.21 Von Kamtschatka geht es
über Kalifornien nach Hawaii22 und von dort über Manila um das Kap der Guten Hoffnung
nach London und Petersburg zurück. Eine phantastische Chance für einen Romantiker, der am
Fernweh leidet, dessen Hang zum Exotischen, zum Phantastischen den Geist beflügelt. Auf
dieser romantischen Wanderfahrt erlebt Chamisso die reichsten, erfüllendsten Jahre seines
Lebens, „eine Zeit des wahren Glücks", wie er selbst schreibt. Vor allem die Landschaft der
Subtropen, die üppige Vegetation, der blaue Himmel, die lauen Nächte, die Anmut und
262
Schönheit der Menschen erregen ihn. In paradiesischer Fülle sammelt Chamisso Eindrücke,
Erfahrungen, Bilder. Träume der Seele werden dort gestaltet.
Literarisches Produkt der Wanderschaft ist die „Reise um die Welt".23 Aber wichtiger ist,
Chamisso findet zu sich. Klar steht die Zukunft vor seinem Auge. In wilder Ferne erfährt er
nun, wohin ihn sein Heimatgefühl zieht, nach Deutschland, nach Berlin, dorthin, wo er die
Freunde der Jugend weiß. Der Zwiespalt doppelter Nationalität ist überwunden. Deutscher
aus Neigung, angezogen von deutscher Sprache und deutschem Geist mit der ihm damals
immanenten Verpflichtung zur Humanität, ein erstaunlicher Vorgang, besonders für die
Rückschauenden, für die Zeitgenossen Hitlers und der Krematorien von Auschwitz. Als
Chamisso im Oktober 1818 in Swinemünde wieder deutschen Boden betritt, begrüßt er das
Land mit dem Vers „O Deutsche Heimat". In deutscher Erde will er ruhen, wenn „müd am
Abend seine Augen sinken". Und dreizehn Jahre später, als Fünfzigjähriger, hat er in dem
Gedicht „Berlin" der „lieben deutschen Heimat" Dank gesungen für alle Freundlichkeit, die sie
dem „gebeugten Gast" gewährt. So wird ihm Deutschland zum „Land der Erlösung", wie er
selbst einmal bekennt. In dem schwierigen Prozeß der Selbstfindung überwindet er die
Schmach der Vertreibung, wandelt das Exil zur Heimat um und gewinnt dadurch die Möglichkeit zum Neuanfang.
Mit der inneren Ruhe, die Chamisso auf langer Wanderschaft gewonnen hat, kommen
Anerkennung, Erfolge und Glück. Für seine botanischen Forschungen ernennt ihn die Friedrich-Wilhelms-Universität 1819 zum Ehrendoktor und die Gesellschaft naturforschender
Freunde zum Ehrenmitglied. Im gleichen Jahr wird er als wissenschaftlicher Assistent im
Botanischen Garten angestellt. Gemeinsam mit seinem Studienkollegen Dietrich von Schlechtendahl verwaltet er die umfangreichen Herbarsammlungen.24 Er hat nun die materielle Basis,
um sich eine Frau zu erwählen und eine Familie zu gründen.
Chamisso war ein schöner Mann, hochgewachsen, mit edlen Gesichtszügen und lockigem
Haar, das bis auf die Schultern fiel. Sanft und ritterlich im Auftreten hat seine Erscheinung stets
auf Frauen gewirkt. Die Bewunderung war gegenseitig. An seine Brüder hatte er schon als
Achtzehnjähriger geschrieben, daß er den deutschen Mädchen „sehr gut, recht sehr gut" sei und
sie den „Schwerenothsfranzösinnen" vorziehe. „Deutsche Weiber, deutsche ehrliche Weiber,
wie es deren noch giebt, schätze ich höher, als alle jene Zierpuppen."25 Dennoch verliebt er sich
einige Jahre später in die temperamentvolle Französin Ceres Duvernay, Witwe und Erzieherin
in einem Charlottenburger Bankiershaushalt. Seinen Antrag weist die junge Dame freundlich
ab, geht nach Frankreich zurück, heiratet und verschwindet mit dem Gatten spurlos in
Spanien. Leidenschaft und Enttäuschung stürzen Chamisso in ein Gefühlschaos, das er nur
schwer überwindet. Ähnlich leidenschaftlich und enttäuschend war seine Begegnung mit der
Schriftstellerin Helmina von Chezy26, die er 1810 in Paris kennenlernte und mit der er Schlegels
Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur ins Französische übersetzt.
Ganz anderer Art war die Beziehung zu der fünfzehn Jahre älteren Germaine de Stael. Er
bewunderte diese Frau, und Eros, der Beflügler der Seele, wies ihm hier die Rolle eines
Minnesängers zu. - Wenig bekannt ist Chamissos Affäre mit Marianne Hertz, der Frau eines
Hamburger Apothekers.27 In schwerer Zeit, als das Leben vieler Menschen durch die nationalsozialistische Rassenideologie bedroht war, gelang der Nachweis, daß der Verlagsbuchhändler
Wilhelm Hertz dieser Verbindung entstammte. - Seine Lebensgefährtin jedoch findet Chamisso nach seiner Rückkehr von der Weltreise im Hause Hitzig, in der Husarenstraße, wo er
wie schon so oft als Gast wohnte. Es ist die Pflegetochter seines Freundes, die achtzehnjährige
Antonie Piaste. Der Heimatlose gründet nun ein Heim. Er wohnt zunächst mit seiner jungen
Frau in einem Häuschen am Botanischen Garten in Schöneberg. Nachdem es abbrennt, zieht
263
Grabstätte des Ehepaares v. Chamisso. Foto: Archiv des Vereins
er nach Berlin in die Linden- und später in die Friedrichstraße. Das häusliche Glück, dem Paar
werden sieben Kinder geboren, beflügelt ihn, und er entfaltet sein dichterisches Talent zur
Meisterschaft. In bewegenden Versen, in dem Zyklus Frauen - Liebe und Leben, besingt er die
Gattenliebe und findet in Robert Schumann den kongenialen Partner, der seine Worte vertont.
In der von Hitzig gegründeten literarischen Mittwochgesellschaft trifft Chamisso das gelehrte
und künstlerische Berlin: Fouque, Eichendorff, Hegel, Raupach, Holtei, Schadow, Zelter. In
diesem Kreis liest er seine Gedichte vor und erntet großen Beifall. Der Erfolg spornt ihn an. Die
Verse fließen ihm zu. Der Dichterruhm wächst. Die Tätigkeit im Botanischen Garten füllt ihn
nicht aus, läßt ihm genügend Zeit für seine literarischen Arbeiten. Als Fünfzigjähriger endlich
entschließt er sich zur Herausgabe seiner Lyrik. In „Traum und Erwachen", Chamisso weiß
sich am Ziel. Er ist nun der deutsche Dichter, den die Besten der Nation in ihren Kreis
aufnehmen, dem die Jüngeren zujubeln.
Ab 1832 gibt er mit Gustav Schwab und ab 1837 mit Franz von Gaudy den Deutschen
Musenalmanach heraus und nimmt damit Bestrebungen seiner Jugend wieder auf. Neben
bekannten Schriftstellern gibt Chamisso, der unermüdliche Motor des Unternehmens, auch
den Jüngeren eine Chance. Er erkennt die Bedeutung der Schriftsteller des „Jungen Deutschland" und wird zu ihren Wegbereitern. Durch seine Abneigung gegenüber Konventionen,
durch seine Distanz zur Reaktion wird er ihnen Vorbild, durch seine zeit- und sozialkritischen
Lieder Anreger der politischen Lyrik des Vormärz und des Realismus.
Deutscher aus Neigung, von einer ganzen Nation verehrt, vergißt Chamisso nie seine Herkunft.
In den Traditionen abendländischer Bildung wurzelnd, bleibt er der Wanderer zwischen den
Welten, der Brücken der Verständigung von Frankreich nach Deutschland schlägt. Er übersetzt französische Literatur28, besonders Beranger29, ins Deutsche, Schlegel und seine eigenen
Dichtungen ins Französische. Wenn spätere Generationen ihn zum vaterländischen Dichter
hochstilisieren und sogar gegen Frankreich ins Feld führen, dann werden sie seinem Wirken
nicht gerecht, das sich auf Toleranz und Humanität im Umgang der Menschen sowie Völker
gründet. Chamisso war zutiefst von der Notwendigkeit des Wechsels der Zeitverhältnisse und
der Gesellschaftsformen überzeugt. Eine Reihe von Äußerungen und zeitkritischen Gedichten
zeugen davon. Seine Bedeutung läßt sich deshalb ebensowenig - wie es das wilhelminische
264
Deutschland gern wollte - auf Frauenidealisierung, Freundschaftshymnik und folkloristische
Versdichtung einschränken.
Chamisso bleiben nur noch wenige Jahre. Neben seiner Würdigung als Dichter erfährt er nun
auch Anerkennung für seine Tätigkeit als Botaniker. Auf Vorschlag Alexander von Humboldts
ernennt ihn 1835 die Preußische Akademie der Wissenschaften zum Mitglied. Der Vielbegabte,
als letzte Arbeit hinterläßt er eine Hawaiische Grammatik, die sein Andenken auch unter den
Linguisten wachhält.
Im Mai 1837 erleidet Antonie Chamisso einen tödlichen Blutsturz, vierzehn Monate später, am
21. August 1838, folgt er der geliebten Frau nach. Er erliegt einer nie auskurierten Grippe, die er
sich schon 1833 zugezogen hatte. Auf dem Friedhof vor dem Halleschen Tor findet er seine
letzte Ruhestätte.
Chamissos Name lebt nicht als der eines Botanikers oder Linguisten, sondern als der eines
Dichters. Er ist der Meister der Prosa ebenso wie der lyrisch-epischen Versform, der Terzinen
und Sonetten. Er beherrschte die Kunstform und traf den Volkston. Das Loblied auf die
Waschfrau wird bleiben wie die Ballade Salas y Gomez, eine Sensation in der gebildeten Welt,
die neben dem Schlemihl seine literarische Stellung festigte. „Mit welcher ökonomischen
Weisheit", rühmt Thomas Mann, „sind die Mittel der Sprache gewählt und verwandt", die
Furcht und Grauen, Freude und Mitleid erregen. Nie habe er es im Deutschen zu mündlicher
Geläufigkeit gebracht. Bis zuletzt habe er seine Eingebungen laut auf französisch vor sich
hingesprochen, bevor er daran gegangen sei, sie in Verse zu gießen - „und was zustande kam,
war dennoch deutsche Meisterdichtung".30
Anschrift des Verfassers: Dr. Jürgen Wetzel, Karlsbader Straße 2, 1000 Berlin 33
' Thomas Mann, Chamisso. In: Adel des Geistes, Oldenburg 1959, S. 29
Chamisso an de la Foye, 10.6.1828. In: Adelbert von Chamissos Werke, hrsg. von Friedrich Palm,
Berlin 1864 (5. Auflage), Bd. 6. S. 215 f.
3
WieAnm. 1.S.30
4
Das Genealogische Handbuch des Adels (Adelige Häuser B, Bd. 5 [1961] S. 43) nennt den 27.1. als
Geburtsdatum. Das genaue Datum ist jedoch nicht bekannt. Nur der Tauftag (31.1.) wurde in den
Pfarrakten festgehalten. Vgl. Chamissos Werke, Bd. 3, S. 63
s
Die biographischen Daten wurden im wesentlichen der Darstellung von Julius Eduard Hitzig, des
ersten Biographen Chamissos, entnommen. Seine Ausgabe von „Leben und Briefe von Adelbert von
Chamisso" bilden Band 5 und 6 der Gesamtausgabe von Friedrich Palm (zit. Chamissos Werke).
Herangezogen wurden ferner Mähly, Chamisso. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig 1876,
Bd.4, S.97-102. - Karl Fulda, Chamisso und seine Zeit, Leipzig 1881. - Adalbert Elschenbroich,
Chamisso. In: Deutsche Biographie, Berlin 1957, Bd. 3, S. 190-192. - Adelbert von Chamisso Gesammelte Werke, eingeleitet und hrsg. von Otto Flake, Gütersloh 1964. - Werner Feudel, Adelbert
von Chamisso, Leipzig 1971. - Adelbert von Chamisso - Sämtliche Werke in zwei Bänden. Textredaktion von Jost Perfahl. Bibliographie und Anmerkungen von Volker Hoffmann, München 1975
6
Chamisso an Hitzig, 6.7.1804. Chamissos Werke, Bd. 5, S. 36
7
Vgl. Karl August Varnhagen von Ense. Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens, Berlin 1922, Bd. 1,
S. 127 ff. Über die Begegnungen mit Chamisso vgl. S. 111 f. u. 123
8
Chamisso an de la Fove, 20.9.1804. Chamissos Werke, Bd. 5, S.48
9
WieAnm. 8, Bd. 3, S. 5
10
Heute La Roche-sur-Yon, Hauptstadt des Departements Vendee
" Germaine Baronin von Stael-Holstein 1766-1817 war die Tochter des französischen Finanzministers
Jacques Necker, dessen Vater aus Brandenburg stammte.
12
Chamissos Werke, Bd. 3, S. 6
13
WieAnm. 12, Bd. 5, S. 59
14
Vgl. Chamisso an de la Foye, Nov. 1812, a.a.O., Bd. 5, S. 375 ff.
2
265
15
WieAnm. 14.
Jiddischer Ausdruck für Pechvogel
Chamissos Werke, Bd. 3, S. 6
18
WieAnm.l7,S.7
19
Seine Ermordung durch den Studenten Sand am 23. März 1819 war Anlaß für die Karlsbader
Beschlüsse, die mit einem Universitäts- und Pressgesetz die Demagogenverfolgung einleiteten.
20
Chamissos Werke, Bd. 3, S. 8
21
Die Nordwestpassage wurde erst 1906 von Roald Amundsen entdeckt.
22
Über Chamissos Aufenthalt auf Hawaii vgl. Anneliese Moore, Beziehungen zwischen Hawaii und
Berlin. In: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 31 (1980)
23
Der genaue Titel lautet: Reise um die Welt mit der Romanzoffischen Entdeckungs-Expedition in den
Jahren 1815-18 auf der Brigg Rurik, Kapitain Otto von Kotzebue
24
Vgl. Friedrich Karl Timler und Bernhard Zepernick, Der Botanische Garten, Berliner Forum 7/78,
S. 29 f. - Günther Schmid, Chamisso als Naturforscher, Leipzig 1942
25
Chamissos Werke, Bd. 5, S. 18
26
Helmina von Chezy, geb. von Klenke, 1783-1856 war die Enkelin der Dichterin Anna Luise Karsch
(der „Karschin")
27
Vgl. Hans W. Hertz, Wilhelm Ludwig Hertz ein Sohn des Dichters Adelbert von Chamisso. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Bd. 10, Frankfurt/Main 1969
28
Vgl. auch Elisabeth Ehrlich, Das französische Element in der Lyrik Chamissos, Berlin 1932
29
Pierre Jean de Beranger 1780-1857, Lyriker. Erfolgreichster und populärster französischer Liederdichter. Beranger bekämpfte die Bourbonen und war an der Bildung der Napoleonlegende beteiligt.
30
Thomas Mann, Chamisso. In: Adel des Geistes, Oldenburg 1959, S. 28
16
17
KXKJahre Jüdischer Friedhof Weißensee
/ v o n Ernst G. Lowenthal
I.
Es ist fast ein Jahrzehnt her, daß in Berlin des 300jährigen Bestehens einer neuzeitlichen
jüdischen Gemeinde gedacht wurde, offiziell und feierlich, in Wort und Schrift und verbunden
mit einer vielbeachteten Ausstellung „Leistung und Schicksal". 1671 waren Juden, wenn auch
zunächst nur in kleiner Zahl, in Berlin erstmals wieder zugelassen worden; während der
vorangegangenen 100 Jahre hatten sie sich nirgendwo in der Mark Brandenburg niederlassen
dürfen.
Lange bevor 1712 der Grundstein zur ersten öffentlichen Berliner Synagoge (in der Heidereutergasse) gelegt wurde, entstand 1672 als erste jüdische Kultuseinrichtung im Stadtzentrum ein
Friedhof, der in der Großen Hamburger Straße lag (deren Name 270 Jahre danach wegen des
dort von den Nazis eingerichteten „Sammellagers" so unselig werden sollte). Als dieser Friedhofgeschlossen wurde, jedoch, dem Religionsgesetz entsprechend, in seiner Gesamtheit lange
erhalten blieb, wurde 1827 ein neuer an der Schönhauser Allee im Bezirk Prenzlauer Berg
angelegt. Wie viele Gräber jener älteste gezählt haben mag, wer will es genau wissen? Bekannt
ist nur, daß auf ihm zwischen 1751 und 1827 etwas mehr als 7000 Beerdigungen stattgefunden
haben; hingegen existiert für die Frühzeit (1672-1751) keine Unterlage. An den einst in der
Großen Hamburger Straße gelegenen, 1943 auf Geheiß der Gestapo zerstörten Friedhof
erinnert nur noch eine Parkanlage; in ihre Mauer sind einige alte Grabsteine eingelassen, und
auf der Rasenfläche steht ein schlichter Gedenkstein für den Philosophen Moses Mendelssohn,
der 1786 dort zu Grabe getragen worden war. Nach der Schließung des „neuen" Friedhofs an
der Schönhauser Allee stellte man rund 23000 Gräber und 750 Erbbegräbnisse fest; zu den
266
Die Rückseite des Ehrensteines
für Herbert Baum
letzteren gehört auch das der alten Berliner Familie Liebermann - dort konnten noch 1935
Professor Max Liebermann, der Maler, und 1943 seine Witwe, die sich vor der ihr drohenden
Deportation das Leben nahm, ihre letzte Ruhestätte finden.
Der dritte jüdische Friedhof in Berlin, der größte in Deutschland, wurde vor 100 Jahren
eröffnet: am 9. September 1880, in Weißensee (jetzt Ost-Berlin), an der Lothringen-, der
heutigen Herbert-Baum-Straße (so benannt nach dem 30jährigen Studenten, Führer einer
jüdischen Widerstandsgruppe in Berlin, der, von der Gestapo verfolgt, 1942 ums Leben kam).
Die Gedanken, nicht selten auch die Wege und Schritte zahlreicher Berliner Juden, mögen sie
in Deutschland leben oder draußen in der Emigration, gehen in unserer Zeit, trotz politisch und
administrativ noch so veränderter Umstände, immer wieder und sicherlich erst recht am
9. September zu dieser weitausgedehnten Gräberstätte zurück; bleibt sie doch eine zentrale
Gedenkstelle, für viele die einzige Erinnerung an Angehörige und Freunde, oft auch nur das
letzte Bindeglied zur Vergangenheit...
Zur Einweihung des Friedhofs in Weißensee 1880 waren etwa 200 Personen erschienen. In der
„Bethalle", einem, wie es hieß, trotz noch unvollständiger malerischer Ausschmückung stimmungsvollen Raum, fand der Weiheakt statt. Stadtverordneter Justizrat Siegmund Meyer,
damals Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, eröffnete die Feier mit einer Ansprache, in der
er in erster Linie allen am Friedhofsbau Beteiligten, insbesondere dem Architekten, Baumeister
Licht, dankte. Gleichzeitig gab er der Hoffnung Ausdruck, daß in Zukunft die meisten
Trauerfeiern, statt wie bisher im Trauerhaus, in der neuen Halle stattfinden würden, und schloß
mit dem Wunsch, der Friedhof möge nicht nur als Stätte der Trauer angesehen werden,
267
Theodor WolfT, Journalist
Dr. Max Hirsch, Nationalökonom
und Sozialpolitiker
sondern auch „unter der Gemeinde das Gefühl des Friedens verbreiten und die Hände aller
über den künftigen Gräbern zur Eintracht vereinen". Rabbiner Dr. P. F. Frankl legte seiner
Rede diese Sätze zugrunde: „Das Geschlecht ehrt sich selbst, das seine Toten ehrt", und: „Die
geboren werden, ihrer harret der Tod, und welche sterben, derer harret das Leben". Mit einem
deutschen Chorgesang und einem Gebet (Rabbiner Dr. Ungerleider) ging die Einweihungsfeier
zu Ende. Unter den Anwesenden befanden sich die Vorstandsmitglieder der Gemeinde,
zahlreiche ihrer Mitglieder, auch Vertreter von Stadt und Bürgerschaft sowie der Landrat
Scharnweber des für Weißensee damals zuständigen Kreises Niederbarnim.
Schon bis zum Ende des Gründungsjahres zählte man etwa 200 Beisetzungen. Die Beerdigungsziffern stiegen später von 800 (1881) auf mehr als 2200 (1925). Ob vom 50jährigen
Bestehen des Friedhofs im Jahre 1930 öffentlich besonders Notiz genommen wurde, ist
fraglich. Doch war 1926 davon die Rede, daß bis dahin der Friedhof ungefähr insgesamt 72 000
Gräber zählte - heute werden es weit über 100 000 sein. Man bedenke dabei, daß die jüdische
Bevölkerung der ehemaligen Reichshauptstadt rapide zugenommen hatte, von 5600 im Jahre
1837 und 8300 (1847) auf rund 172000 im Jahre 1925.
Angesichts solcher einzelner Erinnerungen ist man, nicht zum ersten Mal, geneigt, zu fragen,
wie es zu erklären ist, daß die Entstehung, die Entwicklung und die Bedeutung dieses Friedhofs
bisher keinen publizistischen Niederschlag gefunden haben. Diese beiläufige, noch dazu gewagte Bemerkung erfolgt hier nicht etwa mit Rücksicht auf Erbbegräbnisse oder in Ehrenreihen beigesetzte verdiente Berliner Juden, obwohl diese, zusammen betrachtet, Geschichte
gemacht haben. Vielmehr sollte hier auch der Gedanke mitsprechen dürfen, daß Gräber wie
268
Dr. Heymann Steinthal, Philosoph
Lesser Ury, Maler und Graphiker
überhaupt Friedhöfe als kulturgeschichtliche Denkmäler eine nicht zu unterschätzende historische Quelle bilden können. Das gilt nicht nur für alte jüdische Friedhöfe wie die in Worms, Prag
oder Wertheim am Main. Seit Ludwig Geiger (1871) und Eugen Wölbe (1937) fehlt für Berlin
ein Werk, das die Kultur- und Sozialgeschichte der Juden dieser Stadt im Zusammenhang,
zuverlässig und, wenn möglich, bis heute fortgesetzt festhält. Eine Bestandsaufnahme der
Grabstätten in Weißensee könnte für die Erforschung und Darstellung der Geschichte dieses
Zeitraums, in dem gerade der Zustrom von Juden aus den preußischen Ostprovinzen wie
überhaupt aus dem östlichen Europa beträchtlich war, eine wertvolle und ergiebige Quelle sein.
Vor etwa 50 Jahren, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, wurde ein gewisser, kleiner Anfang
gemacht, als der Historiker Jacob Jacobson (1888-1968), unvergessen als Direktor des Berliner
„Gesamtarchivs der deutschen Juden" (der später Theresienstadt überlebte), W. Wohlberedts
„Verzeichnisse der Grabstätten bekannter und berühmter Persönlichkeiten in Groß-Berlin und
Potsdam mit Umgebung" mit Angaben über Weißensee zu bereichern oder zu ergänzen sich
bemühte. Ein Mann wie Dr. Jacobson, der, zudem ohne Auftrag, eine Mischung von Denkmalpfleger und Gemeindekonservator verkörperte, fehlt uns heute. Vielleicht aber kommt
dieser aus dem aktuellen Weißensee-Gedenken entstandene Anstoß zum Nachdenken (noch)
nicht zu spät. Es käme auf den Versuch an, zu sammeln, zu rekonstruieren und gemeinverständlich-wissenschaftlich zu beschreiben: ein unter den heutigen Gegebenheiten, wie wir
glauben, sicherlich äußerst schwieriges Unterfangen, aber eines, das, wenn mit Teilaspekten
bescheiden begonnen würde, nicht aus dem Auge verloren werden sollte. „Zeit ist's!", rief Franz
Rosenzweig aus, als er 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, in einem Offenen Brief seinem Lehrer,
dem Philosophen Professor Hermann Cohen (Marburg), Vorschläge für die Erneuerung
jüdischen Bildungswesens unterbreitete. Und er hatte Erfolg damit.
269
Gustav Karpeles, Schriftsteller
Karl Emil Franzos, Schriftsteller
IL
Unter den durchweg ausgezeichneten 50 Abbildungen von Grabsteinen, enthalten in dem
soeben erschienenen, jüdischen Gottesäckern gewidmeten Heft 1 der Schriftenreihe „Historische Friedhöfe in der Deutschen Demokratischen Republik", befinden sich u. a. auch solche,
die, wenn man sie alphabetisch ordnet, erinnern an: den 1942 von den Nazis ermordeten
jüdischen Widerstandskämpfer Herbert Baum, den Rabbiner und Schriftsteller Simon Bernfeld, an Micha Bin-Gorion, den Herausgeber von Sammlungen jüdischer Märchen und Sagen,
an den Parlamentarier Justizrat Oscar Cassel, an den Neukantianer Hermann Cohen, den
Schriftsteller Karl Emil Franzos, den Oberkantor Leo Gollanin und den Sozialpolitiker Max
Hirsch: ferner findet man da die Namen von Professor Salomon Kalischer (Mathematiker an
der Technischen Hochschule Charlottenburg), der Sozialarbeiterin Lina Morgenstern, des
Verlegers Rudolf Mosse, auch Martin Riesenburger, von 1953 bis 1965 der Rabbiner in
Ost-Berlin, sowie den Bibliographen Moritz Steinschneider, den Sprachwissenschaftler und
Völkerpsychologen Hugo Steinthal, den Maler und Graphiker Lesser Ury und Theodor Wolff,
den langjährigen Chefredakteur des „Berliner Tageblatts".
Sie alle und zahlreiche andere Persönlichkeiten, deren Lebensdaten in der neuen Gedenkschrift
festgehalten sind, wurden in der oder den Ehrenreihen des Weißenseer jüdischen Friedhofs an
der damaligen Lothringenstraße zur letzten Ruhe bestattet. Andere Fotos zeigen u. a. den vor
der Trauerhalle errichteten Gedenkstein für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgung, das Ehrenfeld und das Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen
Sodaten, den Ehrenstein für die 1942/43 hingerichteten Mitglieder der Widerstandsgruppe
Baum und die Grab- beziehungsweise Erinnerungsstätte für Kurt Tucholskys Eltern. Außerdem enthält das Heft Bilder des ursprünglichen Grabsteins für Moses Mendelssohn
(1729-1786) auf dem 1827 geschlossenen, von den Nazis vernichteten Friedhof an der Großen
Hamburger Straße und des nach Kriegsende nahe dieser Grabstelle errichteten Gedenksteins.
270
ULRIKE
EMM8SSE
Rl'DULFMOSSE
MOSSE
GEB.LOEWFYSTEIN
GEB.WOLFF
GEB. 23. DEZ, 1851 , GEB. 8. MAI »41 _L
GEST. U. OKT. 1924
GEST.8.SDT.Ö30. * * *
CB.3jUlffl.i8U
;
«STJJJBIDAlim *
Wolieanu
/WOSS1
*,*.mTlMW
|«Ui&jUWi
Erbbegräbnisstätte Rudolf Mosse, Verleger
An den Zweitältesten Berliner jüdischen Friedhof, den an der Schönhauser Allee, der gleichfalls
heute nicht mehr existiert, erinnern Abbildungen des Giacomo-Meyerbeer-Grabsteins und des
Erbbegräbnisses der Familie Max Liebermann. Andere Grabstellen auf diesem Friedhof
(Reichenheim, Ludwig Geiger, Zunz, Major Meno Burg, Joseph Mendelssohn, Leopold
Ullstein, Gerson von Bleichröder u. a. m.) sind in einer besonderen Planskizze vermerkt.
Gedacht wird auch des von der „Adass-Jisroel"-(Austritts-)Gemeinde 1878 errichteten kleineren Friedhofs in Weißensee sowie des mittelalterlichen und des 1859 errichteten in Spandau.
Auf den insgesamt 64 Seiten des zum 100jährigen Bestehen des großen jüdischen Friedhofs in
Weißensee erschienenen pietätvollen Büchleins sind - und darin ist, neben und nach den
vorzüglichen Bildern, dessen wesentlicher Erinnerungswert zu erblicken - die Namen von
mindestens 200 jüdischen Menschen genannt, die für die einstige Reichshauptstadt etwas
bedeuteten. Als Herausgeber zeichnet, in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde
Berlin-Ost, das Institut für Denkmalpflege der DDR. Autoren sind Alfred Etzold, Heinz
Knobloch und, gleichzeitig als Redakteur, Dr. Peter Kirchner, Vorsitzender der Gemeinde in
Ost-Berlin. Das Nachwort stammt von Klaus Gysi, dem gegen Ende 1979 ernannten Staatssekretär für Kirchenfragen bei der Regierung der DDR.
III.
Heute ist die Situation so, daß der 100jährige, ehrwürdige Friedhof in Weißensee nur noch von
der kleinen, annähernd 350 Seelen zählenden Jüdischen Gemeinde Berlin (Ost) benutzt, aber
immer wieder von zahlreichen, meist emigrierten Angehörigen der früher dort Beigesetzten
besucht wird. Deren Gräber werden nach Möglichkeit - individuell - gepflegt, aber das
ausgedehnte Friedhofsgelände als solches befindet sich in einem beklagenswerten Zustand.
Indes, auch so bleibt dieser Gottesacker, für Berlin und die Juden in und aus Berlin, eine
historische Stätte, auch deshalb sollte alles für seine Erhaltung getan werden.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin (West) mit heute mehr als 6000 registrierten Mitgliedern
besitzt seit 1955 in der Heerstraße am Scholzplatz ihren eigenen, neuen, gut gepflegten Friedhof
mit rund 3500 Grabstellen.
Anschrift des Verfassers: Dr. Ernst G. Lowenthal, Kaunstraße 33, 1000 Berlin 37
271
Das Spandauer Stadtarchiv
Von E d m u n d Schneider
Über 700 Jahre hinweg blieben dem Spandauer Rats-(Stadt-)Archiv seine überaus reichen und
wertvollen Bestände erhalten. Auch der letzte, so folgenschwere Krieg brachte nur unbedeutende Verluste, die teilweise durch ältere Abschriften kompensiert werden können. So ist das
Spandauer Stadtarchiv heute eine reiche Kornkammer der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung, wohl die einzige vollgefüllte, die für uns und Westdeutsche derzeit ohne
Schwierigkeiten erreichbar ist.
Die erste Originalurkunde des Archives datiert vom 27. Dezember 1282. Es handelt sich um ein
Notifikationsschreiben des Rats zu Spandau über den Ablaß, der von verschiedenen Bischöfen
zur Förderung des Baues des Hospitals zum Hl. Geist bewilligt worden ist (Nr. 5 des Protokollbuches). Es liegt zwar noch die sogenannte Stadtgründungsurkunde vom 7. März 1232 im
Archiv, jedoch handelt es sich hier nicht um das Original, sondern um eine deutsche Übersetzung des ursprünglich lateinischen Textes, der Adolf Friedrich Riedel für seine Edition der
Spandauer Urkunden im Codex diplomaticus Brandenburgensis noch vorgelegen hat. Die auf
Pergament geschriebene Übersetzung wird im 14. Jahrhundert angefertigt worden sein.
Die Spandauer Urkundenbestände insgesamt sind in einem besonderen Findbuch erfaßt. Der
Gesamt bestand des Archives besteht aus folgenden Abteilungen:
1. Die Urkundensammlung (Findbuch I)
2. Das alte Ratsarchiv (Findbuch II)
Das alte Ratsarchiv enthält die Kämmereirechnungen ab 1463, Ratsprotokolle, Polizei-(Gerichts-)protokolle, Hospitalrechnungen, Kirchenrechnungen (St. Nikolai ab 1526, St. Moritz
ab 1657), Kirchenvisitationen ab 1541 - Pastorenvokation ab 1566; Innungsprotokolle, Gildebriefe (Bäckergewerkbrief von 1324, Erneuerung der Bäckergilde) der Fleischhauer, Garnweber, Tuchmacher, Huf- und Waffenschmiede, Protokoll- und Innungsbücher (ab 1642), WröhArtikel der „Ackersleute zu Spandau" 1612, Grenz- und Besitznachweisungen der Stadt, das
Urbarium von 1744, Garnison- und Festungsangelegenheiten, das Schönowsche Protokollbuch (1473-1694), Einwohner-Verzeichnisse ab 1652 und andere Akten.
Auch dieses Archiv ist in die Generalrevision einbezogen, ein neues, erweitertes Findbuch wird
erstellt.
3. Das alte Magistratsarchiv bis 1920.
Die einzelnen Akten enthalten z.T. sehr alte Vorgänge, teilweise auch eingeheftete Urkunden
oder Kopien von Urkunden, bis in das 16. Jahrhundert zurückreichend. Diese Bestände
werden derzeit aufgenommen, mit den Reposituren verglichen und in ein Findbuch III eingetragen.
4. Das „Albert-Ludewig-Archiv"
Es enthält eine reiche Akten-, Plan- und Bildsammlung über die Spandauer Altstadt (Häuser,
Straßen, Einwohner aus der ältesten Zeit, Garnison und Festung, Kirchenliegenschaften,
Liegenschaften der Stadt, Militaria, Militärpersonalien, Regimenter bis 1920, Zeitungen, Zitadellen in Europa, Zitadellenbaumeister, Korrespondenzen, Genealogien Spandauer Familien,
Schützengilde Spandau, Aktensammlungen bis ca. 1970.
Diese überaus wertvolle Sammlung wird derzeit aufgenommen und in das Findbuch IV
übertragen.
5. Eine ca. 10 000 Stück umfassende Lichtbildsammlung (Postkarten, Ansichtskarten, sonstige
Lichtbilder, Gemälde).
272
Auch diese Sammlung wird derzeit aufgenommen, registriert und in das Findbuch IV übertragen.
6. Eine umfangreiche Sammlung alter Landkarten, Stadt- und Festungspläne, Stadtkataster
und Altstadtstraßenpläne.
7. Zum Archiv gehört ferner eine kleine, aber gute Handbücherei, die nicht nur alte Adreßbücher, Amtsblätter und Geschichtswerke enthält, sondern auch Rara, wie etwa die lateinische
Originalausgabe des Nikolaus Leuthinger „Vom Zustand der Mark Brandenburg", Wittenberg
1592. Eine deutsche Übersetzung befindet sich als Handschrift im Archiv. Laut Kämmereirechnung erhielt Leuthinger für dieses Werk, das er dem Rat dedizierte, 6 Taler in den Jahren
1594 und 1603 sowie 4 Taler im Jahre 1612. Leuthinger war ein weitgereister Mann, Historiograph des Kurfürsten Johann Georg, Magister philosophiae und zeitweise auch Rektor der
Schule zu Crossen an der Oder.
Vor kurzem wurden die 1598 in Frankfurt a. d. Oder erschienenen „Annalen der Mark
Brandenburg" des Andreas Engel (Angelus), Archivar zu Strausberg, ein ebenfalls sehr seltenes
Werk, für das Archiv erworben.
Das Archiv besitzt ferner seltene Edikte aus der Zeit Friedrich Wilhelms I., Zeitungen und
Sammlungen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und aus der Übergangszeit (Russische
Kommandantur), eine Sammlung der Stadtsiegel ab 1282, verschiedener adliger und bürgerlicher Siegel, eine reiche Münzsammlung sowie eine umfangreiche Autographen- und Briefsammlung.
Ein so reiches Archiv verdanken wir der Tatsache, daß die stets auf Wahrung ihrer Freiheiten
und Rechte bedachte Stadt Spandau sich ihre Privilegien wiederholt bestätigen ließ. Diese
Bestätigungsurkunden liegen über Jahrhunderte vor und bilden den Grundstock des Archivs.
Die Stadtschreiber (Archivare) hatten die Aufgabe, diese Urkunden sorgfältig zu hüten und bei
Rechtsstreitigkeiten oder anderen entsprechenden Gelegenheiten zu präsentieren. Das Urbarium von 1744 bietet eine Zusammenstellung der Rechte und Einkünfte der Stadt, die aus
solchen Privilegien resultieren. Daher waren die Stadtschreiber stets auch Mitglieder des Rates
und bezogen in der Regel höhere Gehälter als der Erste Bürgermeister. Über die Jahrhunderte
hinweg haben wir für das Archiv daher auch sehr gewissenhaft geführte Repertorien, das erste
erhaltene vom Jahre 1652. Diese Unterlagen ermöglichen es, in der anstehenden Generalrevision aller Bestände etwa Fehlendes sachlich und zeitlich genau zu bestimmen. Auch kann man
ab 1463 die jeweils tätigen Stadtschreiber namentlich - und meist auch mit weiteren Angaben
zu ihrer Herkunft und zu ihrem Leben - nachweisen. Aus den Unterlagen ließe sich u. a. eine
detaillierte Geschichte der Spandauer Stadtschreiber erarbeiten.
Das Stadtarchiv Spandau ist seit Oktober 1979 der Öffentlichkeit zugängig. Seine geschichtlich
so bedeutenden Bestände stehen damit auch der wissenschaftlichen Forschung zur Auswertung
frei. Wertvolle und grundlegende Arbeiten zur Stadt- und Festungsforschung, zur Wirtschaftsgeschichte, zur industriellen, kulturellen und sozialen Entwicklung der Stadt stehen an, auch
zur Vor- und Frühgeschichte und selbst Spezialaufgaben wie Untersuchungen zur Ökologie der
Spandauer Forsten.
Für den geschichtswissenschaftlichen Teil ist zu bemerken, daß unter besonderer Förderung
seitens des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin sich Studenten und
Doktoranden mit Fragen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte unter Heranziehung
der Archivalien des Spandauer Stadtarchives eingehend beschäftigen. Aber auch Heimatforscher, Familiengeschichtsforscher und viele „Alt-Spandauer" nehmen die Möglichkeit des
Quellenstudiums in dem sehr zweckmäßig und schön eingerichteten Forschungs- und Leseraum des Archives gern in Anspruch. Im ersten Jahr nach der Neueröffnung haben bereits 400
273
Interessenten das Stadtarchiv Spandau besucht.
Ein Archiv ist voller Leben, „was heute geschieht, ist morgen Geschichte." So wie den „alten"
Archivaren von einst für ihre sehr oft aufopfernde Arbeit des Sammeins, Bewahrens u n d
Erhaltens heute großer D a n k gebührt, so wird es die Aufgabe der Nachfolger sein, nicht n u r
weiterhin das ü b e r n o m m e n e , verpflichtende Erbe zu hegen u n d zu bewahren, sondern auch zu
vermehren. N a c h Abschluß der Generalrevision u n d Veröffentlichung der neuen Findbücher
wird daran gegangen, die Verkartung der Personen- u n d Sachdaten mit Hilfe neuer Techniken
durchzuführen, also eine weitgehende Aufschlüsselung zu erreichen, die Ablichtung der alten
Bestände (auf Mikrofilm) durchzuführen, zur Linderung im Katastrophenfall wie aber auch
zur Schonung der Kostbarkeiten bei der Benutzung (Bereitstellung der Materialien z. B. in
Ablichtungsbänden; eine Arbeit, die bereits im abgelaufenen Arbeitsjahr durchgeführt u n d
nun beharrlich weitergeführt wird). Dies gilt auch für den Austauschverkehr mit anderen
Archiven. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit sowie die weitgehende
Unterstützung öffentlicher Aufklärungsarbeit ( z . B . Materialbereitstellung für die 1981 in
Berlin durchzuführende „Preußen-Ausstellung") wird d e m Spandauer Stadtarchiv auch künftig ein ganz besonderes Anliegen sein.
Anschrift des Verfassers: Edmund Schneider, Stadtarchiv Spandau, Zitadelle, 1000 Berlin 20
Nachrichten
^ouise Northmann - genannt die „Harfenjule"
Wenn wir über Ereignisse und Personen aus der Geschichte Berlins berichten und uns an bekannte
Berliner oder Berlinerinnen erinnern - die letzteren leider immer noch weit in der Minderzahl -, dann darf
die Erinnerung nicht nur begüterten und deshalb meist gebildeten Personen gelten, sondern sie sollte auch
die sogenannten einfachen Menschen einschließen, die oft sehr schwer mit ihrem Schicksal ringen mußten.
Am 12. Januar 1981 jährt sich zum 70. Mal der Todestag von Louise Northmann, geb. Schulze, genannt
„Harfenjule", einem noch heute nicht ganz vergessenen Berliner Original.
Am 6. September 1829 wurde in Potsdam ein blindes Mädchen geboren. Es war Louise Schulze, welche
später als „Harfenjule" bekannt wurde. Victor Laverrenz widmete ihr in seinem Buch „Berliner Originale"
ein Kapitel (Berlin: Verlag Hermann Eichblatt, 1899). Seine Schilderung liegt diesen Zeilen zugrunde.
Die Verhältnisse im Elternhaus von Louise waren die denkbar ärmlichsten. Der Vater des Mädchens war
Brettschneider, die Mutter verdiente etwas Geld durch Waschen. Im Alter von 11 Jahren wurde Louise an
den Augen operiert. Nach dieser Operation konnte sie auf einem Auge einen leichten Nebelschimmer
sehen. Bereits als Kind besaß Louise eine schöne Stimme. Ein Bewohner der russischen Kolonie in
Potsdam, dem sie leid tat, gab ihr Gesangunterricht und erweiterte ihr Programm auch durch Opernarien;
Opernsängerin konnte sie jedoch wegen ihrer Blindheit nicht werden. Nach ihrer Einsegnung mit 14
Jahren am 24. März 1844 mußte sie sich selbst ernähren. Sie tat dies mit Singen. Von 1862 bis 1864 ernährte
sie damit auch ihre kranken Eltern.
1865 heiratete Louise den an Tuberkulose leidenden Marionettenspieler Northmann in Küstrin. Das
Ehepaar zog von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf. Northmann spielte Marionettentheater und Louise
sang. Dem Ehepaar wurden zwei Kinder geboren, beide starben jung an Tuberkulose. Northmann selbst
starb an dieser Krankheit am 26. Januar 1871. Nach dem Tode ihres Mannes zog Louise Northmann nach
Berlin, wo sie mit einer Schwägerin, Louise Freund, geb. Leist, in einer sehr bescheidenen Wohnung in
Schöneberg in der Steinmetzstraße, im Hochparterre des Seitenflügels, wohnte.
274
Harfenjule. Foto: Archiv des Vereins.
Grabstein
gespendet vom Steinsetzmeister Franz Merk.
Foto: Archiv des Vereins.
Erst hier in Berlin entstand der Name „Harfenjule", unter dem sie bekannt wurde. Mit Singen, und
Harfesp.elen ernährte sie sich und ihre Schwägerin. S.e „schlich" durch d.e Straßen steh von Haus zu Haus
tastend Laverrenz hat, als er sein Buch über die Berliner Originale zusammenstellte, * ^ W » f f £
und man darf annehmen, daß die genauen Datenangaben in seinem Bericht von ihr selbst stammen- Sie
beklagte sich bei Laverrenz über die große Konkurrenz der Leierkästen die oft ihren Gesang u b e r m L
Die „Harfenjule" besaß eines der ältesten Patente als „Hofmus.kant" und fand einen Trost dann, daß die
Polizei nicht so leicht eine Spielerlaubnis erteilte.
.
Die blinde Sängerin war oft den Belästigungen durch Jugendliche ausgesetzt, die ihr s o g a J e Harfe
zerschlugen und sie dadurch in bitterste Not brachten. Laverrenz bezeichnete s.e als d a s " b e m " ' e l d ^ e [ ;
teste Original Berlins" und bittet die Mitbürger, ihren Lebensabend em w e n i g . z u * % * * » * * * * "
hohem Alter mußte die Harfenjule - von großer Not verfolgt - bei Wind und Wetter Singen gehen
Nach ihrem Tode am 12. Januar 1911 erhielt Louise Northmann ein Armengrab auf dem ^ h o f der
Luthergemeinde Schöneberg, der sich in Lankwitz. Malteserstraße 113 ^ e ^ S ? ™ * ^ " ™ "
Stein. Es wurde jahrzehntelang über die übliche Liegefnst erhalten und W ^ V o r d e r E ^ e b w n g des
Grabes im Jahre 1969 spendete der Steinsetzermeister Frank Merk der im Jahre 19 1 Verctorbenen einen
Gedenkstein, der im Mittelweg des Friedhofes, nicht an der Liegestätte, aufgestellt wurde^
Die harte Lebensgeschiente jener armen, blinden Frau sollten
™™h\veWsse\ff°ZH7L"
überhaupt vorsteHen, was es bedeutet, den gesamten Lebensunterhalt mit Singen auf AnlHofen zu
bestreiten? Im vergangenen Jahrhundert konnte eine Frau keinen Beruf erlernen. Die wenigen^beruflichen
Tätigkeiten, die einer Frau damals offenstanden, waren von Louise Northmann weger » J « B g J J e r t
nichlauszuüben. Wenn eine Frau unter diesen widrigsten Umständen von ihrem 14. Lebens*ihr an fürsich
und andere den Lebensunterhalt durch Singen auf den Höfen verd.ente sc kann " ™ ™ n ^ ™ * £
Heldin bezeichnen. Das müssen auch der Autor Victor Laverrenz und der
^ ^ ^ " l ^ ^
empfunden haben, als er, 58 Jahre nach dem Tode der Sängerin, einen Grabstein für s.e a n f W
275
Rekonstruktion des Alten Marktes in Potsdam
Die Häuser am Alten Markt in Potsdam sollen rekonstruiert werden. Damit soll die Magistrale in
Potsdam (vom Wasserwerk, der „Moschee", bis zum Alten Markt) mit ihrem geplanten Neubaukomplex
an „die Geschichte angebunden werden". Wiederhergestellt bzw. rekonstruiert werden sollen am Alten
Markt die Nikolai-Kirche (Termin der Fertigstellung soll der 200. Geburtstag Schinkels am 13. März 1981
sein), der Marstall (künftig ein Filmmuseum), das Hiller-Brandtsche Haus und die Fassaden der von
Knobelsdorff errichteten Bauten Schloßstraße 13 und 14 (künftig Klub der Bauarbeiterjugend).
Nach Fertigstellung dieses Bereichs soll der unweit davon entfernte Kietz mit meist schlichten zweigeschossigen Barockhäusern, ursprünglich ein Fischerdorf aus dem 13. Jahrhundert, das erst 1721 eingemeindet
und 1777 neu bebaut wurde, zu einer städtebaulichen Ruhezone umgestaltet werden.
SchB.
Restaurierung des Alten M u s e u m s auf der Museumsinsel
Bis zum 200. Geburtstag Karl Friedrich Schinkels am 13. März 1981 soll das nach seinen Plänen von 1824
bis 1830 am Lustgarten errichtete Alte Museum wieder sein ursprüngliches Aussehen erhalten. Vor allem
soll die Säulenfassade umfassend restauriert werden. Die Rückwände der imposanten Säulenvorhalle
haben im Herbst 1980 einen neuen marmorierten Anstrich erhalten. Die Malereien an der Decke wurden
ausgebessert, die Inschrift über den Säulen ergänzt und restauriert. Die beim Wiederaufbau nach den
Kriegszerstörungen in den 18 ionischen Säulen eingefügten Vierungen sollen den Schwärzungen des
umgebenden alten Sandsteins so angepaßt werden, daß die Säulen wieder ein einheitliches Bild geben.
Nach Abschluß der Restaurierung dieses zu den schönsten klassizistischen Bauwerken Berlins zählenden
Museums sollen auch die nach den Plänen Schinkels in der Vorhalle aufgestellten Standbilder (Winckelmann, Knobelsdorff, Schinkel, Cornelius und Carstens) sowie zwei römische Granitwannen dort wieder
ihren Platz finden.
SchB.
Restaurierung des Köpenicker Schlosses
Seit längerem schon werden die Innenräume des Köpenicker Schlosses restauriert. Gegenwärtig gehen die
Arbeiten am Konzertsaal und am Italienischen Saal weiter. Hier werden vor allem die barocken Stuckdecken wiederhergestellt, Die Arbeiten führt der VEB Denkmalpflege Berlin aus, der dabei gleichzeitig
auch seine Lehrlinge ausbildet.
SchB.
„Schinkel in Berlin"
Anläßlich des 200. Geburtstages veranstaltet das (Ost-)Berliner Reisebüro vom Februar 1981 an neben
neun weiteren Routen eine einstündige Stadtrundfahrt „Schinkel in Berlin". Diese kann mittwochs und
sonntags gebucht werden. Zu den gegenwärtig tätigen 130 Stadtbilderklärern des Reisebüros der DDR
kommen bis dahin weitere 25 Nachwuchskräfte, die gegenwärtig ausgebildet werden.
SchB.
Schinkel Wettbewerb 1980
Der Architekten- und Ingenieurverein Berlin hat junge Architekten, Stadtplaner, Künstler und Ingenieure
des Straßen-, Wasser- und des konstruktiven Ingenieurbaus sowie Studierende zum 126. Schinkelwettbewerb mit Aufgaben aus dem Themenkreis der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984 aufgerufen. Die
Aufgaben lauten:
Hochbau: Neuordnung zweier Blöcke für innerstädtisches Wohnen zwischen dem Charlottenburger
Schloß und der Spree. Kernstück der Entwurfsaufgabe ist ein Architektur-Archiv, das Karl Friedrich
Schinkel gewidmet werden soll.
Städtebau: Der Bereich zwischen Schloß Charlottenburg und Schloß Bellevue als Uferkonzeption wird zur
Aufgabe gestellt: „Die Spree im innerstädtischen Bereich" soll unter Einbeziehung neuer Ordnungsfaktoren für Betriebe, Hochschuleinrichtungen und Erholungsanlagen verknüpft werden.
Kunst und Bauen: „Neugestaltung des John-F.-Kennedy-Platzes vor dem Rathaus Schöneberg". Außer
dem Platz selbst sollen die Fassaden der Platzwände gestaltet werden.
SchB.
276
Von unseren Mitgliedern
Studienfahrt nach Minden
Die diesjährige Exkursion führte vom 26. bis 28. September 1980 in die Stadt Minden und in das Gebiet des
heutigen Kreises Minden-Lübbecke, der sich fast mit dem früheren preußischen Fürstentum Minden
deckt. Die große Zahl der Interessierten machte es wieder erforderlich, einen Doppeldecker-Omnibus zu
benutzen. Nach glatter Fahrt war das gute Mittagessen im Restaurant „Die Große Klus" in BückeburgRöcke ein verheißungsvoller Auftakt. Verkehrsamtsleiter H.-E. Wulf und Kreisheimatpfleger W. Brepohl
hießen hier schon die Gäste herzlich willkommen. Die Besichtigung der Noll Maschinenfabrik GmbH
(weltweit anerkannter Spezialist für Getränkeabfüllanlagen), vielleicht als Programmpunkt etwas skeptisch aufgenommen, erwies sich als ein ausgesprochener Knüller, nicht zuletzt dank der berlinisch-herzlichen Art, mit der sich Betriebsleiter Ulrich seiner Aufgabe entledigte. Im Namen der Geschäftsführung
sprach er bei der anschließenden Kaffeetafel in Kruses Parkhotel auch Gruß worte, denen sich H. Kobo w,
der Vorsitzende des Kreisverbandes Minden des Bundes der Berliner und Freunde Berlins e. V., anschloß.
Dompropst Garg war dann ein glänzender Führer durch den wieder erstandenen Dom, den er historisch
und kunstgeschichtlich in das rechte Licht zu setzen wußte. Daß im neu erbauten „Haus des Domes" der
Domschatz von den Berliner Gästen als erster Gruppe überhaupt besichtigt werden konnte, verlieh dieser
eindrucksvollen Führung noch einen besonderen Schlußakzent.
Am Sonnabend, 27. September 1980, widmete sich der Vorsitzende des Mindener Geschichtsvereins,
Kreisheimatpfleger Rektor i. R. W. Brepohl, seinen Gästen auf einer landeskundlichen Exkursion mit
einer solchen Hingabe und mit derart beispielhafter Liebe zur Sache, daß ihm die Herzen der Teilnehmer
zuflogen. Da sich auch das Wetter von seiner besten Seite zeigte, war dieser Ausflug über die von
W. Brepohl festgelegte Mühlenstraße zu den Baudenkmalen des Kreises ein Höhepunkt der Fahrt und ein
Erlebnis, das man nicht missen möchte. Es ist hier nicht genügend Raum, auf die einzelnen Stationen näher
einzugehen: auf die Roßmühle Oberbauerschaft, das Landschloß Hüffe, auf Levern mit seiner Stiftskirche,
das Museumsdorf bei Rahden, die Windmühle Süderhemmem, den Glasbrennturm Gernheim und auf
das Scheunenviertel in Schlüsselburg. Die exzellente Aufnahme im Berggasthof Wilhelmshöhe Haldem
bei Stemwede und der Pflaumenkuchen im Schloß Petershagen verdienen aber doch eine lobende
Hervorhebung. Eine Kommune kann sich glücklich schätzen, wenn sie für die Pflege des Heimatgedankens und für die Bewahrung überkommener Gebäude einen solchen Sachverwalter besitzt wie Wilhelm
Brepohl!
Der Sonntagvormittag brachte eine Schiffsfahrt mit MS „Menelaos" über die Schachtschleuse zum
Wasserstraßenkreuz und zur Porta Westfalica, wo vom Wittekindsberg aus das Kaiser-Wilhelm-Denkmal
im großen Ausflugsgetriebe dieses herrlichen Sonnentages bestiegen wurde. Städtischer Archivdirektor
Dr. Nordsiek machte dann mit seinen Gästen einen Geschwindmarsch durch die Stadt und führte sie an
die wesentlichen Gebäude heran, die zum Teil in jüngerer Zeit renoviert worden waren. Im Ratskeller des
historischen Rathauses wurden dann Grußworte und Geschenke (auch des Mindener Patenbezirks
Wilmersdorf) zwischen W. Brepohl, Dr. Nordsiek und Dr. H. G. Schultze-Berndt ausgetauscht. Die
Heimreise wurde im Quellenhof, Bad Helmstedt, unterbrochen; nach der so aufmerksamen Gastronomie
in und um Minden fiel es besonders peinlich auf, daß trotz schriftlicher Bestätigung die Kaffeetafel nicht
gerichtet worden war. Dies war der einzige Schatten auf dieser Studienfahrt, die sich im übrigen den so
harmonisch wie erfolgreich verlaufenen Exkursionen vergangener Jahre würdig anschloß.
Mölln und Ratzeburg wurden als Ziel der Studienfahrt 1981 ins Auge gefaßt.
H. G. Schultze-Bemdt
Dr. Hans Brendicke zum Gedenken
Am 19. November 1980 jährte sich zum 130. Mal der Geburtstag von Dr. Hans Brendicke, dem langjährigen Schriftwart und Herausgeber der „Mitteilungen" des Vereins für die Geschichte Berlins. Für seine
Verdienste wurden ihm die bronzene Vereins- und die silberne Fidicinmedaille verliehen. Dr. Brendicke
war Ehrenmitglied der Deutschen Turnerschaft und seit 1920 auch Ehrenmitglied des Vereins für die
Geschichte Berlins. 1970 wurde seine letzte Ruhestätte durch Senatsbeschluß als Ehrengrab der Stadt
Berlin anerkannt. Bis zu ihrer Eliminierung im Zuge einer großangelegten Sanierung im Ostberliner Bezirk
Friedrichshain trug die ehemalige Fliederstraße den Namen Brendickestraße.
277
Dr. Hans Brendicke,
Grabstelle auf dem
Luisenstädtischen Friedhof
Meine Erstbegegnung mit dem verdienstvollen Berlinforscher alten Schlages vollzog sich im Herbst 1918
in seiner Wohnung in der Gleditschstraße 41 gelegentlich der Verlobung seines Sohnes Günther, meines
Gymnasiallehrers, mit Fräulein Edith Schlawin. Für Dr. Brendickes anfeuernde Aufmunterung, das
Festmahl bestehend aus Eichelkaffee und Kartoffelkuchen nur mutig „anzugehen", konnte ich weit
weniger Enthusiasmus aufbringen als für die Unmenge von Büchern, die auf den Regalen in dem großen
Berliner Zimmer bis unter die Decke aufgereiht waren. Als Dr. Brendicke mir erklärte, daß der größte Teil
dieser Bücher Berlin-Literatur beinhalte, verwandelte sich meine Bewunderung in Faszination. Zum
ersten Mal hörte ich von einem „Verein für die Geschichte Berlins", dessen Sitz und Bibliothek sich im
Deutschen Dom befinden sollten. Die Aufforderung Brendickes, mich demnächst dorthin einmal mitzunehmen, ließen diese Begegnung für mich, den damals dreizehnjährigen Berlinenthusiasten zum glücklichsten Tag meines bisherigen Daseins werden. Unvergeßlich bis heute hin sind mir der Urberliner Humor
und die überaus große Freundlichkeit geblieben, mit der der Forscher mich stets beschenkt hatte. Das gute
Gedenken an ihn war und ist die Basis meiner lebenslangen Verbundenheit mit dem Verein für die
Geschichte Berlins, für den ich nach einem Menschenalter noch heute allwöchentlich im Bibliotheksdienst
ehrenamtlich tätig bin.
Hans Schiller
Karl Bullemer 95 Jahre
Karl Bullemer, Ehrenmitglied, langjähriges Vorstandsmitglied und in seinem Wirken unvergessener
Schriftführer unseres Vereins, vollendete am 2. Januar 1981 sein 95. Lebensjahr. Seit 1959 schon aus dem
aktiven Dienst ausgeschieden, hat er sich seitdem in einer Reihe von Ehrenämtern überaus verdient
gemacht und vor allem auch eine fleißige Feder geführt. 50 Jahre zuvor, 1909, war Karl Bullemer aus
Westfalen nach Berlin gekommen, wo er in den Verbänden des Berliner Braugewerbes und der Exportbrauereien tätig war. Politisch hat ihn der Liberalismus geprägt, für den ihn schon in jungen Jahren
Friedrich Naumann zu begeistern wußte. Als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, später der
Deutschen Staatspartei und nach dem Zweiten Weltkrieg der LDP/FDP hat er dieses Gedankengut zu
verbreiten und zu vertreten vermocht.
Ob man Karl Bullemer nur als einen Nestor unseres Vereins ansehen oder nun gar schon als einen
Methusalem bezeichnen kann, möge er selbst entscheiden. In die Zeit seines rührigen Wirkens für den
278
Verein fiel dessen 100-Jahr-Feier. Es ist nicht vermessen, Karl Bullemer an seinem Altersruhesitz in 8230
Bad Reichenhall, Wisbacher Straße 4, zu wünschen, daß auch er in einem Jahrfünft Mittelpunkt einer
privaten Säkularfeier sein möge. Daß er bis dahin rüstig bleibe, an allem Geschehen auch über den Kreis
unseres Vereins hinaus regen Anteil nehme und seine Stimme wenigstens durch den Fernsprecher
vernehmen lasse, ist unser aller Hoffnung!
H. G. Schultze-Bemdt
*
Unser Ehrenmitglied Willy Brandt, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ist am
25. Oktober 1980 im Rathaus von Athen mit der Goldenen Ehrenmedaille der Stadt ausgezeichnet
worden. Damit sollen seine Verdienste um den Kampf der griechischen Demokraten gegen die siebenjährige Militärdiktatur (1967 bis 1974) gewürdigt werden.
SchB.
*
Am 28. Oktober 1980 hat die Juristische Fakultät der Universität Southampton Willy Brandt die Ehrendoktorwürde verliehen.
SchB.
*
Bundespräsident Karl Carstens hat unserem Mitglied Richard von Weizsäcker am 24. November 1980 in
Anerkennung seiner parlamentarischen Verdienste das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern verliehen.
Damit wurden die Arbeit R. von Weizsäckers, des jetzigen Vizepräsidenten des Bundestages, seit drei
Legislaturperioden und insbesondere auch sein Eintreten in und für Berlin gewürdigt.
SchB.
*
Unser Mitglied Pastor Heinrich Albertz, der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin, ist mit dem
Gustav-Heinemann-Bürger-Preis ausgezeichnet worden. Damit sollte das Engagement des Preisträgers
für Frieden und Demokratie gewürdigt werden. Albertz hat es stets für nötig und für möglich gehalten,
„das Ungewohnte zu tun, wo der innere Kompaß dies anzeigte". Der mit 20000 DM dotierte und vom
Vorstand der SPD gestiftete Bürger-Preis ist damit zum dritten Mal nach Berlin vergeben worden.
SchB.
*
Unser Mitglied Paul Weihe, Landhausstraße 10-12, 1000 Berlin 31, hat dem Verein handgeschnitzte
Wappen der Stadt Berlin und ihrer zwölf westlichen Bezirke als Geschenk vermacht. Wir danken dem
Spender herzlich für diese sinnfällige Gabe! Der ursprüngliche Gedanke, mit diesen Wappen den
Vorraum des Intarsienzimmers zu schmücken, mußte fallengelassen werden, da dort des allgemeinen
Publikumsverkehrs wegen auch schon andere Gegenstände abhanden gekommen sind. So werden die
Wappen der westlichen Hälfte Berlins das Intarsienzimmer selbst zieren.
SchB.
*
Frau Professor Dr. Margarete Kühn ist ihrer Verdienste um den Wiederaufbau der Berliner Schlösser nach
dem Zweiten Weltkrieg wegen mit dem Karl-Friedrich-Schinkel-Ring ausgezeichnet worden. Neben ihr
erhielt Sir Nicolaus Pevsner diesen wertvollen Denkmalschutzpreis, der 1978 gestiftet worden ist. Wir
freuen uns über die so verdiente wie würdige Auszeichnung unseres langjährigen Vorstandsmitglieds!
SchB.
*
Unserem Mitglied Professor Dr. Johannes Broermann, Klingsorstraße 48, 1000 Berlin 41, Inhaber des
Verlages Duncker und Humblot, ist im Rahmen eines Festaktes in Aachen der Ehrenring der GörresGesellschaft verliehen worden. Damit sollen seine Verdienste um die Förderung der Wissenschaft ausgezeichnet werden.
SchB.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum
70. Geburtstag Frau Ursula Ebert, Herrn Dr. Kurt Kärnbach, Frau Ingrid Schultze; zum 75. Geburtstag
Frau Dr. Dr. Edith Heinschke-Artelt, Herrn Dr. Wolfgang Knochenhauer, Herrn Emst Jürgen Otto,
Frau Käthe Sandeck, Herrn Fritz Votava, Herrn Hans Hötje; zum 80. Geburtstag Frau Hertha Eichhardt,
Frau Charlotte Hardow, Herrn Friedrich Hillenherms, Herrn Eugen Honette, Herrn Kurt Meurer, Herrn
Reinhold Napiralla; zum 85. Geburtstag Frau Johanna Giesemann, Herrn Dr. Hans Wendorff; zum
90. Geburtstag Frau Else Schoen.
279
Buchbesprechungen
/Gustav Sichelschmidt: Berliner Kirchen in alten Ansichten. Zaltbommel/Niederlande: Europäische Bibliothek 1979. Unpaginiert. 92 Abb. Ln., 24,80 DM.
Günther Kühne u. Elisabeth Stephani: Evangelische Kirchen in Berlin. Mit einer Einführung von Oskar
Söhngen. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1978. 500 S. m. Abb. Ln., 24 DM.
'Franz Pauli: Kirchtürme. Streiflichter aus dem evangelischen Berlin. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1977. 64 S. m. Abb. brosch., 4,80 DM.
Gebhard Streicher u. Erika Drave: Berlin Stadt und Kirche. Berlin: Morus(1980) 345 S. u. Abb. Ln., 89 DM.
Dibelius: So habe ich's erlebt. Selbstzeugnisse. Hrsg. von Wilhelm Dittmann, zusammengestellt und
< Otto
kommentiert von Wolf-Dieter Zimmermann. Berlin: Christlicher Zeitschriftenverlag 1980,368 S. m. Abb.
brosch., 24,80 DM.
Kurt Scharf: Brücken und Breschen. Biographische Skizzen. Hrsg. von Wolf-Dieter Zimmermann. Berlin:
Christlicher Zeitschriftenverlag 1977. 200 S. m. Abb. brosch., 19,80 DM.
Bischöfl. Ordinariat (Hrsg.): Alfred Bengsch. Der Kardinal aus Berlin. Mit einem Geleitwort von Erich
^'Klausener. Berlin: Monis 1980. 160 S. m. Abb. Pappbd., 22 DM.
„Würde man von der horrenden Zahl der Berliner Kirchen Rückschlüsse auf die religiösen Bedürfnisse der
Berliner ziehen, gelangte man zu der gewagten These einer besonderen spirituellen Disposition dieses
verwegenen Menschenschlages." So beginnt Sichelschmidt seine knappe Einleitung zu dem in der bekannten Reihe „In alten Ansichten" erschienenen Buch „Berliner Kirchen". Für das Bändchen mußte freilich
eine Auswahl der Sakralbauten getroffen werden. Der Verfasser tut dies nicht ohne Geschick. So stellt er
neben den historischen evangelischen Kirchen des alten Stadtzentrums und zahlreicher Ortskerne der zu
Berlin geschlagenen Dörfer und Städte auch bemerkenswerte katholische und russisch-orthodoxe Gotteshäuser (Wilmersdorf und Tegel), Synagogen (Oranienburger und Fasanenstraße) und die Wilmersdorfer
Moschee vor. Auch Beispiele evangelischer und katholischer Vorstadtkirchen aus der Bauzeit vor 1933
fehlen nicht. Allerdings wurde auf eine Darstellung des „Buddhistischen Hauses" ebenso verzichtet wie auf
eine Erwähnung der Vielfalt der aus dem 18. Jahrhundert stammenden kirchlichen Einrichtungen im
Rixdorfer Ortskern. Der allzu knappe Text steht - wie allgemein in der Reihe - hinter den Bildern zurück
und ist häufig in der Verkürzung fehlerhaft. So fehlt ein Hinweis auf die Zerstörung und den Abriß der
Petrikirche in Alt-Kölln, und die Luisenstädtische Kirche - 1964 eingeebnet - wird als Ruine bezeichnet.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Fundierte Ausführungen über die Geschichte und den gegenwärtigen Bauzustand der evangelischen
Kirchen Berlins, mithin auch über die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges, dem - mit Ausnahme der
Sophienkirche und den nur beschädigten Bauten am ehemaligen Gendarmenmarkt und der Parochialkirche - alle Barockkirchen der Innenstadt zum Opfer fielen, gibt der von Günther Kühne und Elisabeth
Stephani bearbeitete Großoktavband „Evangelische Kirchen in Berlin". Auch das Baugeschehen nach
dem Kriege in Ost und West findet in dem nach Kirchenkreisen geordneten Werk gebührende Beachtung.
Wer sich nicht nur für die Bauten, sondern auch für die Geschichte der Gemeinden selbst interessiert, muß
nach anderer Lektüre Umschau halten. Als Überblick kann das Heftchen von Frank Pauli „Kirchtürme.
Streiflichter aus dem evangelischen Berlin" dienen. Aus jedem der evangelischen Kirchenkreise des
Westteiles der Stadt werden jeweils bemerkenswerte Einrichtungen auf knappstem Raum dargestellt, so
etwa die Gemeinde von St. Thomas, heute hart an der Grenze in Kreuzberg, die vor der Jahrhundertwende
über 130000 Seelen, also eine Großstadtbevölkerung, zählte. Im Mittelpunkt stehen Fragen moderner
Großstadtseelsorge.
Im dritten Teil des zum Katholikentag 1980 erschienenen Prachtbandes „Berlin Stadt und Kirche" wird für
den Westteil der Diözese Berlin nicht nur die Architektur der Pfarrkirchen, sondern auch in Kurzchroniken die Geschichte der Parochien seit dem Beginn der Aufteilung der mit der Bistumsgründung 1930 zur
Kathedrale erhobenen St.-Hedwigs-Kirche gegen Mitte des 19. Jahrhunderts behandelt. Hier zeigt sich,
daß der Aufbau und Ausbau der Pfarrorganisation der katholischen Kirche trotz der Diasporasituation der katholischen Kirche gehören heute in Berlin nur ca. 11 % der Bevölkerung an, dagegen 65 % der
evangelischen Kirche - ungleich schneller geschehen konnte. Zur Zeit besitzt die katholische Kirche in
Berlin (West) mit 84 Gemeindekirchen etwa halb soviel Gotteshäuser wie die wesentlich größere Evangelische Landeskirche. Im ersten Teil des auch als repräsentativer Bildband ausgestatteten Buches ist die erst
wieder nach der Reformation einsetzende Geschichte des Katholizismus in Berlin-Brandenburg unter
verschiedenen Aspekten zusammengefaßt worden. Hier sind vor allem die Abschnitte über sakrale Kunst
in der Stadt in Wort und Bild eindrucksvoll gestaltet. Die im zweiten Teil wiedergegebenen (Quellen-)
280
t
Texte aus dem katholischen Berlin ergänzen die historischen Abschnitte des ersten Teiles vom Toleranzproblem im 18. Jahrhundert, der Aufbruchstimmung gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, zu den vielfältigen
Formen geistlicher Tätigkeit in der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg, für das die Namen Carl Sonnenschein und Romano Guardini stehen können, Verfolgung und Blutzeugenschaft bis hin zu Problemen der
Institutionalisierung der modernen Volkskirche.
Stehen in den bisher besprochenen Büchern die Baugeschichte, Entwicklung und Organisation der
Kirchen und Fragen der Seelsorge im Vordergrund, so soll hier auch der Persönlichkeiten an der Spitze,
der Bischöfe, gedacht werden. Vornehmlich aus gedrucktem oder über den Rundfunk gesendeten Material
stellte Wolf-Dieter Zimmermann die Selbstzeugnisse des seit 1945 amtierenden ersten evangelischen
Bischofs von Berlin-Brandenburg der Evangelischen Kirche der Union, Otto Dibelius (1880-1967), vor.
Breiten Raum nimmt dabei das Problem des Verhältnisses des Kirchenmannes zur Obrigkeit ein. In
preußischen Traditionen aufgewachsen, übernahm er das Erbe doch nicht unreflektiert. Wie gezeigt wird,
stand er der kirchlichen Gegenwart mitunter sehr kritisch gegenüber, so z. B. den oben geschilderten, für
die praktische Seelsorge äußerst ungünstigen Riesengemeinden der Stadt, deren Weiterbestehen er 1910 als
Fehler ansah. Nach 1933 blieb er, als Generalsuperintendent der Kurmark amtsenthoben, der Bekennenden Kirche zugewandt. Der gebürtige Berliner änderte seine kämpferische Grundeinstellung auch nach
1945 nicht, als er neue Ansätze der Entchristlichung, diesmal unter anderen Vorzeichen, erblickte.
Für den Nachfolger im Bischofsamt, Kurt Scharf (1902, Bischof 1966-1976) hat Zimmermann ebenfalls
biographische Skizzen zusammengestellt. Allerdings konnte er in diesem Fall auf die offenbar noch
wesentlich umfangreicheren Lebenserinnerungen des Altbischofs zurückgreifen, der ihm die Auswahl
überließ. Es ist reizvoll, die Auffassungen der Bischöfe, die nicht nur eine Generation trennte, zu
vergleichen: Es werden Unterschiede deutlich, z. B. im theologischen Gebiet: Hier näherte sich Scharf
unter dem Eindruck des Kirchenkampfes der theologischen Auffassung Karl Barths ( S. 64 ff. von dem
Dibelius sich 1930/31 noch zu distanzieren zu müssen glaubte (Dibelius, S. 161 ff.), an, ebenso wie im
Bereich der Kirchenorganisation: Im Gegensatz zu Dibelius hätte Scharf die im Kirchenkampf bewährte
Organisationsform der Bruderräte auch für die Zeit nach 1945, nicht die hierarchische Form mit einem
Bischof an der Spitze, bevorzugt. Bereits 1934 zum ersten Mal verhaftet, hatte er als Präses des Bruderrates
der Bekennenden Kirche in Brandenburg den Kirchenkampf gegen das nationalsozialistische Regime an
hervorragender Stelle mitgetragen. Sofort nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1945
stellte er sich wieder der Brandenburger Kirche zur Verfügung und verlegte im Dienst der Kirche 1951
seinen Wohnsitz nach Ost-Berlin, was ihn eine weitgehende Trennung von seiner Familie kostete. Kurz
nach dem Mauerbau 1961 blieb ihm die Rückkehr nach Ost-Berlin verwehrt. Als Bischof mußte er 1969
erleben, daß sich die Organisation im DDR-Teil verselbständigte und ebenfalls einen Bischof wählte. Dies
geschah in einer Zeit, in der Scharfund die Westberliner Teilkirche durch die Studentenbewegung vor bis
dahin unbekannte Konflikte gestellt wurden.
Das katholische Bistum Berlin ist, so paradox es klingen mag, um mehr als ein Jahrzehnt älter als das
evangelische Bischofsamt. Stammten die ersten fünf Oberhirten der Diasporadiözese zwischen Rügen und
dem Spreewald aus traditionell katholischen Gebieten, so änderte sich dies 1961 mit der Berufung von
Alfred Bengsch. Wie andere „Prominente", z.B. Hermann Ehlers, Präsident im ersten Bundestag, die
Schauspielerin Marlene Dietrich und der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph, stammt er von der „Schöneberger Insel", dem ganz von Gleisanlagen eingeschlossenen Ostteil des gleichnamigen Stadtbezirks.
Bengsch, der nach Antritt seines hohen Amtes bald zum Erzbischof, später auch zum Kardinal erhoben
wurde, blieb durch sein ganzes Leben Großstadtmensch, Berliner. Unablässig bemühte er sich in Wort und
Schrift, dem modernen Großstädter, dessen Einstellung ihm völlig vertraut war, mit den Grundwahrheiten und Tatsachen der christlichen Glaubenslehre vertraut zu machen. Sein Berliner Zungenschlag machte
es ihm leichter als seinen Vorgängern, die Brücken zu bauen, auf denen ihm die Gläubigen folgen konnten.
Das hier vorliegende Gedenkbuch bietet eine Fülle „berlinischer" Anekdoten. Dies war jedoch, wie betont
wird, nur eine Seite des vielschichtigen Mannes. Die besondere Situation seines Bistums zeigte sich über
sein irdisches Wirken hinaus in spezifischer Weise: Nach seinem Tod 1979 wurde der Leichnam von
seinem Amtssitz in Ost-Berlin nach Schöneberg überführt und in der St.-Matthias-Kirche aufgebahrt,
damit auch der Westteil des Bistums von dem allzu früh Verschiedenen Abschied nehmen konnte. Den
Westteil durfte der in Ost-Berlin residierende Bischof zuletzt an 12 Tagen im Vierteljahr besuchen.
Die drei Bischöfe stehen gleichzeitig für drei Generationen christlichen Lebens und Wirkens in dieser
Stadt. Vielleicht zeigen die hier genannten Publikationen dem Leser, daß die eingangs zitierte These von
der „besonderen spirituellen Disposition des verwegenen Menschenschlages" gar nicht so gewagt ist.
Felix Escher
281
Cecile Lowenthal-Hensel: 50 Jahre Bistum Berlin. Menschen und Ereignisse 1930-1945. Berlin: Morus- Verlag 1980. 80 S. m. Abb., brosch., 5 DM.
Nicht nur das Gedenken an historische Ereignisse, sondern auch aktuelle gesellschaftspolitische Veranstaltungen werden heute fast durchweg von Ausstellungen begleitet. In einer Zeit wachsender Besinnung auf
das Erbe der Vergangenheit ist man bemüht, deren Zeugnisse ebenso wie deren Schätze zu präsentieren,
Geschichte für das Auge darzubieten. Anläßlich des 86. Deutschen Katholikentages vom 4.-8. Juni 1980
in Berlin verzeichnete das Programm nicht weniger als 19 Ausstellungen, die mittelbar oder unmittelbar
auf das große Kirchentreffen in unserer Stadt ausgerichtet waren. Dabei trug die vom Geheimen
Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz betreute Dokumentarschau „50 Jahre Bistum Berlin" in den
Messehallen ausschließlich den historischen Belangen Rechnung. In Porträts, Szenenfotos, Aktenauszügen und Presseberichten gab sie einen vielgestaltigen Überblick über ein bewegtes Kapitel deutscher
Kirchengeschichte. Auf die Gründung des Bistums Berlins im Anschluß an das Preußenkonkordat von
1929 folgte schon bald die Belastungsprobe durch die Pressionen der Nationalsozialisten, die sich bis zum
Kriegsbeginn immer mehr verstärkten und durch die Betreibung der „Endlösung der Judenfrage" auch
zahlreiche katholische Christen in Bedrängnis brachten. Aufschlußreiches Quellenmaterial gab es über die
Betreuung der nicht auswandernden Juden durch das „Hilfswerk" beim Bischöflichen Ordinariat, dessen
Wirksamkeit mit den Namen von Dompropst Lichtenberg und Frau Dr. Margarete Sommer untrennbar
verknüpft ist. Am Ende standen Not und Tod sowie die Zerstörung fast aller Kirchengebäude. In der
heutigen Kirche Maria Regina Martyrum ehrt das Bistum seine Blutzeugen für Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Jahren 1933-1945.
Die hier anzuzeigende Broschüre ist kein eigentlicher Katalog zu dieser Kirchenausstellung (die inzwischen
noch in Aachen gezeigt wurde), sondern eine Zusammenstellung der wichtigsten Dokumente und Bilder
mit entsprechenden Erläuterungen. Der Bogen spannt sich auch hier von den ersten Anfängen der Berliner
Gemeinden im 19. Jahrhundert über die Konkordatsverhandlungen und die Bedrückungen der NS-Zeit
bis zur Vorstellung der Bischöfe in der Nachkriegszeit. Bild und Text, jeweils thematisch auf einer Seite
zusammengefaßt, sind knapp und informativ, wobei die Wiedergabe der - bis zur letzten Zeile lesbaren Originalschriftstücke den Dokumentationswert ganz entscheidend erhöht. Zwar standen wichtige zentrale
Unterlagen infolge der Kriegs- und Nachkriegsentwicklung nicht mehr zur Verfügung, doch konnte dieses
Manko u. a. durch Gemeindechroniken und Privatpapiere, die bisher unbekannt waren, ausgeglichen
werden. So ist eine kleine, auch in ihren Ausschnitten repräsentative Einführung in die verhältnismäßig
junge Geschichte des Berliner katholischen Bistums entstanden, die die Ereignisse und ihre Akteure in
bewegter Zeit eindrucksvoll festhält.
Peter Letkemann
/
Sigfrid von Weiher: Tagebuch der Nachrichtentechnik von 1600 bis zur Gegenwart. Berlin: VDE-Verlag
1980. 199 S. m. Abb., geb., 34 DM.
Sigfrid von Weihers „Tagebuch" ist ein Nachschlagewerk, ein Lexikon, wenn man so sagen will, das
hauptsächlich die Telegraphie, das Fernsprechwesen, den Rundfunk und das Fernsehen behandelt,
desgleichen die Wissenschaftler, Forscher und Techniker, die sich auf diesen Fachgebieten besonders
hervorgetan und sie weiter entwickelt haben, sowie die Unternehmen, die die von den Forschern geschaffenen Grundlagen dann für den Bau und Vertrieb von Apparaten, Geräten usw. verwerteten. Das Buch ist
chronologisch geordnet, das Datum ist ausschlaggebend; ein Personenregister erleichtert aber das Auffinden eines gesuchten Gegenstandes. Ein Sachregister fehlt leider. Die 825 kurzen Artikel referieren aus aller
Welt, d. h. vor allem aus den USA, England, Deutschland usw.; vom 20. November 1602, dem Geburtstag
des Magdeburger Physikers Otto Guericke, bis zum 4. Dezember 1979, an dem der Miterfinder des
Licht-Tonfilms, Hans Vogt, starb. Über hundert Eintragungen berichten von Ereignissen, die sich in
Berlin zugetragen, oder von Persönlichkeiten, die einst hier gewirkt haben. Das Buch enthält eine
überraschende Fülle von Einzelheiten, die für die Berliner Wissenschafts-, Technik- und Industriegeschichte von Bedeutung sind.
Der optische Telegraph Berlin-Koblenz von 1832 und seine Schöpfer Pistor und Etzel werden ebenso
behandelt wie das berühmte Magnussche Haus am Kupfergraben oder die erste „pneumatische Depeschenbeförderung" zwischen der Zentral-Telegraphenstation und dem Bürogebäude in Berlin am 18. November 1865 oder die ersten Versuche, die der Generalpostmeister Stephan am 24. Oktober 1877 in Berlin
mit dem Bellschen Telephon vornehmen ließ. Der Frühgeschichte des Rundfunkwesens wird eine hervorragende Beachtung geschenkt. Von Slabys Versuchen, drahtlos zwischen Oberschöneweide und der
282
Technischen Hochschule in Charlottenburg zu telegraphieren (22. Dezember 1900), erfahren wir ebenso
wie von der ersten Weltrundfunkkonferenz, die am 3. Oktober 1906 in Berlin auf Einladung des Kaisers
Wilhelm II. zusammentrat, oder dem 1922 in Berlin eingerichteten ersten deutschen Wirtschaftsrundfunk.
Die Übertragungen aus dem Voxhaus seit dem 29. Oktober 1923 fehlen ebensowenig wie die erste deutsche
Funkausstellung am 4. Dezember 1924 in Witzleben: „Für 11 Tage hatten 268 Firmen ihre Geräte
ausgestellt, über 114000 Personen waren erschienen." Auch der Brand dieser Funkhalle von 1924 am
19. August 1935, dem die von der Rundfunkindustrie aufgebaute „Fernsehstraße" zum Opfer fiel, ist zu
finden, wie denn überhaupt den Versuchen und Entwicklungen der Bildtelegraphie und dem Fernsehen
breiter Raum gegeben ist; so findet man auch Mitteilungen über die in Berlin von der Post während der
Olympiade 1936 betriebenen öffentlichen Fernsehstuben. Von den Berliner Wissenschaftlern und Industriellen werden Rathenau, Siemens, Halske, Lorenz, Genest, Slaby, Bredow und viele andere, z.T.
mehrfach erwähnt. Auch Konrad Zuse fehlt nicht. Er zeigte am 12. Mai 1941 in seiner Berliner Wohnung
(in der Kreuzberger Methfesselstraße) Vertretern der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt „seinen
ersten voll funktionsfähigen programmgesteuerten elektromechanischen Rechner".
Das Buch ist reich illustriert, einige Abbildungen betreffen auch Berlin. Nachdenklich stimmt, daß nach
1945 nur noch wenige auf Berlin bezügliche Eintragungen zu finden sind. Der Verlust der Hauptstadtfunktionen zeigt sich hier ganz deutlich; die Entwicklung geht weiter, aber - an Berlin vorbei.
Arne Hengsbach
Kalender „Berlin 1981". Fotografien von Ute und Bernd Eickemeyer und Wolfgang Skowronski. Berlin:
focus-bilderladen 1980. 22 DM.
„Berliner Ansichten". Mappe mit 12 fbg. Offsetdrucken. Fotos: Ute und Bernd Eickemeyer. Berlin:
focus-bilderladen 1980. 22 DM.
f „Berliner Landschaften". Mappe mit 12 fbg. Offsetdrucken. Fotos: Wolfgang Skowronski. Berlin: focusbilderladen 1980. 22 DM.
Die drei profilierten Fotografen präsentieren eine Reihe eindrucksvoller Schwarzweißfotos im Format
20X29 und 30X40 cm. Im Berlin-Kalender zeichnen Ute und Bernd Eickemeyer durch verschneites
Maschendrahtgeflecht winterliche Schrebergartensphäre (Blatt 1). Meisterhaft der Blick (Blatt 5) auf die
bildbeherrschende Kopfsteinpflasterung der langen Spandauer Eiswerderbrücke mit ihrer wuchtigen
Stahlkonstruktion. Keine Menschenseele in Sicht, keine Katze flitzt über den leeren Fahrdamm. Die
gleichsam tönende Stille, gerahmt von der kalten Leitplanke in der Kurve, ist von ebenso gewaltiger
Aussagekraft wie die zu früher Sonntagsmorgenstunde eingefangene Stimmung im Zugang zu Ludwig
Loewes Fabrikgebäude in der Huttenstraße (Blatt II). Nicht minder wuchtig in der Wirkung die
Kreuzberg-Landschaft (Blatt 7), die in krasser Nacktheit zwischen magerem Bodengestrüpp eine erkaltete
Feuerstelle mit halbverbrannten Unratresten zeigt. Im Hintergrund mahnt vom zerfallenden Gemäuer der
Schrei „Gorleben soll leben". Herbstwind hat (Blatt 9) welke Blätter am Rinnstein zusammengetrieben,
einzelne von ihnen sind wie verloren in der Straßenmitte liegengeblieben. Vor schemenhaftem Hintergrund die Silhouette der alt-ehrwürdigen Bedürfnisanstalt, die trotz Denkmalschutzes auf Herrenbesucher
wartet. Bäume, ein Peitschenmast, Verkehrsschilder ohne Verkehr - ein öder Anblick? Nein: urgewaltig
die schwingende Stille.
Nicht minder attraktiv, was das Künstlerauge Wolfgang Skowronskis eingefangen und festgehalten hat.
Rankendes Grün an bröckelndem Mauerputz, wie Geburt und Tod wirkend (Blatt 3), Strauchwerk und
vor sich hinfaulende Äste im Sumpfgelände (Blatt 4), wogendes Schilf am Waldesrand und üppigste
sommerliche Vegetation (Blatt 6 u. 10). Trutzig behelmt blickt des deutschen Reiches Schmied und
Gründer vom marmelsteinernen Sockel inmitten dichten Tiergarten-Blätterwerks in die Runde (Blatt 8),
und ein Baum am langen, handgefertigten Holzzaun hütet wie ein Wächter den ländlichen Frieden und die
Weite des letzten Berliner Landschaftsgebietes in Lübars (Blatt 12).
Großartig die enorme Aussagekraft der Bildermappe „Berliner Ansichten" von Ute und Bernd Eickemeyer.
Auf keiner der Reproduktionen sind Personen sichtbar. Sehr starke Effekte bieten der aus dem Bild
herausfahrende VW am Friedrich-Krause-Ufer mit den schmutzigen Schneeresten am Straßenrand und
das gelungene Experiment des Fotografen-Duos, die erdrückende Wucht des gespensterhaft wirkenden
Stahlgebälks der Swinemünder Brücke mit der gähnenden Leere auf dem Fahrdamm in ein fast furchterregendes Kontrastverhältnis zu setzen.
Mit Recht und Fug gebührt dem Fotokünstler Wolfgang Skowronski der Ehrentitel eines Baumfetischisten, wovon eine Reihe einmaliger Aufnahmen der Mappe „Berliner Landschaften" kündet. Hier wären die
283
sommerlichen Waldmotive im Volkspark Glienicke, der unpassierbare Morast des Spandauer Teufelsbruchs und der Blick auf das Baumkronenmeer vom Teufelsberg zu nennen. Zwei weitere herrliche
Baummotive zeigen, daß mit dem Begriff Gatow nicht unbedingt nur Bootsfreuden auf der Havel gemeint
sein müssen. Das Tegeler Fließ mit dem rustikalen Holzzaun an der Krümmung des Baches beschließt
zusammen mit dem Baumriesen am Havelufer die sehens- und besitzenswerte Sammlung dieser überdurchschnittlichen Reproduktionen.
Nicht immer müssen Touristengewimmel und Autokolonnen in Buntdruck auf lärmdurchtosten Straßen
für das Konterfei einer Großstadt stehen. Die vorliegenden Blätter beweisen, um wie vieles eindringlicher
eine extrem gestraffte Kargheit der Motive wirksam werden kann. Auch das ist Berlin.
Hans Schiller
X Paul Gurk: Berlin. Roman vom Sterben der Seele. Berlin u. Darmstadt: Agora-Verlag 1980. 362 S., Ln.,
32 DM.
Hier wird vom Agora-Verlag ein fast vergessener Dichter wiederentdeckt, dessen Werk fast 200 Bühnenstücke, Romane, Gedichte, Novellen und Märchen - zum größten Teil gedruckt nicht mehr greifbar umfaßt, der für sein Bühnenstück „Thomas Münzer" 1921 den Kleistpreis empfing, der 1923 auf Vorschlag
Thomas Manns den Buchpreis der Frankfurter Zeitung erhielt und der noch 4 Monate vor seinem Tod
zum Mitglied des PEN-Clubs berufen wurde.
Paul Gurk, in Frankfurt/Oder 1880 als Sohn eines Postkutschers und Enkel eines Schäfers geboren, ist
1953 in Berlin vereinsamt gestorben, nachdem er die letzten 20 Jahre seines Lebens zurückgezogen in
kärglichster Weddinger Hinterhofatmosphäre zugebracht hatte.
Der hier vorliegende Roman vom „Sterben einer Seele", so Gurk, an der Zivilisation und an der
Verruchtheit der Großstadt, das sein Held, der Buchtrödler Eckenpenn, durchleidet, geht einher mit einer
immerwährenden Huldigung an die Natur, die der Dichter in einen heute kaum mehr vorhandenen
Sprachreichtum kleidet. Figuren, die den Buchtrödler aus der Markgrafenstraße umgeben, oft irritierend
und nicht recht greifbar, sind mit ihm auf geheimnisvolle Weise durch ein „blaues Heft" verbunden - alles
bleibt schwebend und gleichnishaft und muß wohl a u c h verstanden werden als autobiographischer
Niederschlag seines Solipsismus, von dem M. Schlösser in seinem Nachwort spricht.
Irmtraut Köhler
/
Hellmuth Berg: Berlin damals - ein Spaziergang mit Witz. Berlin: Kleineberg Verlag 1979. 194 S., geb.,
24,80 DM.
Hellmuth Berg referiert über die Geschichte Berlins, indem er den Studienrat Adolf Kluge erfand, dessen
Vornamen er irrtümlich mit „Atze" ins Berlinische übersetzt, und ihn mit einer Schar Wißbegieriger im
Jahre 1924 auf einen Streifzug durch Alt-Berlin schickt. Oberlehrer Kluges Gefolge rekrutiert sich, wie der
Leser einer speziellen „Anwesenheitsliste" auf S. 184/85 entnehmen kann, aus 42 Mitläufern, unter
anderen „ein braunäugiges Dienstmädchen, eine vollbusige Kassiererin, ein Portier und ein Gaskontrolleur sowie mehrere korpulente Hausfrauen gesetzten Alters". Alle diese Typen berlinern auf gröbste,
womit der Autor vermeint, seiner Berichterstattung die witzige Basis gesichert zu haben. Ob der Stadtjargon in Sicht selbst des unentwegtesten Berlinenthusiasten in Bergs Werk nicht dennoch eindeutig überstrapaziert wird, steht dahin.
Das Buch spricht einen Leserkreis an, der sich aus der Lehnsesselperspektive mit der Materie vertraut
machen möchte. Wer die Lektüre bis zur Seite 170 bewältigt hat, ist nicht nur über 700 Jahre Berliner
Stadtgeschichte informiert, sondern auch mit der langen Reihe einschlägiger Anekdötchen und Histörchen vertraut, die Studienrat Kluge seinem begierig lauschenden Fußvolk vorsetzt. Wie der Buchtitel
besagt, hat der Autor das Abfassen eines wissenschaftlichen Werkes über die Geschichte Berlins nicht
beabsichtigt. Um so willkommener sind die zahlreichen und oft auch informativen Fußnoten und
Quellennachweise, die den Text auf fast jeder Seite ergänzen. In einem Nachwort geht Berg auf die
Entwicklung Berlins und sein Erleben in der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Ein Personenregister
(leider ohne Zeitangaben!) und ein Quellenverzeichnis ergänzen den Textteil. Zu vermerken ist, daß die
Berolina nicht schon 1859 (S.3 u. 43), sondern erst 1895 aufgestellt wurde, daß der geographische
Mittelpunkt Berlins nicht der Spittelmarkt (S. 8), sondern der Dönhoffplatz war, daß Friedrich Wilhelm I.
die Hofchargen beim Tode seines Vaters nicht 1740 (S. 87), sondern schon 1713 verjagte, daß die
Straßenbahnlinie 41 nie nach dem Kastanien Wäldchen fuhr und die Linie 68 nicht den Humboldthain,
sondern den Friedrichshain passierte (S. 149). Eine Reihe recht guter Fotos versöhnt den Leser wenigstens
halbwegs.
Hans Schiller
284
k/ Georg Lentz: Molle mit Kom. Roman. München/Berlin: Herbig 1979. 352 S., Ln., 28 DM.
In der vorangegangenen möglicherweise gleichfalls autobiographischen Erzählung „Muckefuck" hat der
1928 in Berlin geborene und dort auch aufgewachsene Georg Lentz das Milieu Berliner Vorortbewohner,
die man noch früher wohl als „Kleine Leute" bezeichnet hätte, treffend wiedergegeben. Hinsichtlich des
Titels der sich jetzt anschließenden Erinnerungen bleibt er bei den Getränken, selbst wenn diese in der
Berliner Blockadezeit 1948/49, in der die Geschichte spielt, nur mit Schwierigkeiten zu haben waren.
Wenn man nicht an „Schultheiss Patzenhofer aus Vor-Blockade-Beständen" herankam, mußte man sich
mit dem Dünnbier behelfen, für das das Malz über die Luftbrücke eingeflogen wurde.
Höhepunkt dieser lebendigen Schilderung ist die Errichtung und der Betrieb einer Fabrik für Ersatz-Leberwurst, die in der Nähe der Kleingartenkolonie in Zehlendorf in der Einflugschneise für Tempelhof
gegründet wurde. Grundlage hierfür bildete „Bärme" (Bierhefe), von der aus einer Brauerei in Ludwigslust
eine Fuhre herangeschafft wurde. Als dann die Deutsche Mark (West) eingeführt wurde, gab es auch
wieder Bier mit Spitzenqualität. Daß dieses aus offensichtlich zurückgehaltenem Malz und Hopfen
gebraut wurde, erregt die Bewohner der Kolonie Tausendschön: „Laubenpieper sind die Schlußlichter der
Nation!"
Das Buch gibt die Atmosphäre jener Blockadetage gut wieder, die Sprache der Menschen und ihr Denken.
Einige wenige Ausdrücke aus unseren Tagen (Spasties, harter Kern, Fan-Klub) hätten vielleicht dem
Lektor zum Opfer fallen können.
H. G. Schultze-Berndt
/
Herta Zerna: Rieke - eine Liebesromanze aus alter Zeit. Düsseldorf: Marion von Schröder Verlag, 1980.
369 S., geb., 34 DM.
Eine „Liebesromanze aus alter Zeit" ist der Untertitel dieses erstmals 1960 erschienenen heiteren Romans
aus dem Berlin zur Zeit der preußischen Könige. Der Verfasserin diente als Vorlage die für die damalige
Zeit etwas heikle Geschichte der hübschen Rosselenkerin auf dem Brandenburger Tor. Die von Schadow
geschaffene Viktoria lenkte ihre vier Rösser nämlich - nach antikem Vorbild - unbekleidet. Darüber
entrüsteten sich sittenstrenge Berliner und Schadow mußte wohl oder übel auf Abhilfe sinnen. Da kam
ihm das niedliche Nichtchen des Potsdamer Hofkupferschmieds Emanuel Jury gerade recht. Sie diente
dem Meister als prächtiges Modell beim Anpassen eines flatternden Gewandes aus Kupferblech, das die
Unbekleidete dann verhüllte. Um diese Rieke Jury nun ranken sich die Berliner Geschichten, um ihre
Könige, Bürger und Begebenheiten am Ausgang des 18. Jahrhunderts.
Zum besseren Verständnis ist dem Buch noch eine „Nachlese für Wißbegierige" mit zahlreichen geschichtlichen Hinweisen angefügt.
Irmtraut Köhler
Eingegangene Bücher
(Besprechungen vorbehalten)
Aust, Hugo (Hrsg.):/Fontane aus heutiger Sicht, 10 Beiträge. München: Nymphenburger 1980, 296 S.
.Arnold-Forster, Mark': Die Belagerung von Berlin. Von der Luftbrücke bis heute. Berlin - Frankfurt/M. Wien: Ullstein 1980, 240 S.
Bieler, Manfred: Ewig und drei Tage, Roman. Hamburg: Knaus 1980, 286 S.
Bormann, Werner: Die gewerbliche Kartographie in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin
(West) 1945-1975. Berlin: Kiepert 1974, 64 S. mit Tafeln und Tabellen.
Catudal, Honore M. Jr.: The Diplomacy of the Quadripartite Agreement on Berlin. A New Era in
East-West Politics. Berlin: Berlin-Verlag 1980, 336 S.
Canetti, Elias: Die Fackel im Ohr, Lebensgeschichte 1921-1931. München: Carl Hanser 1980, 412 S.
Chamberlin, Brewster S.: Kultur auf Trümmern. Berliner Berichte der amerikanischen Information
Control Section, Juli-Dezember 1945. Stuttgart: dva 1979, 252 S.
Deinert, Wolf: Meine Heimat. Berlin/Jossa: März Verlag 1980, 168 S.
Die Berliner Landnahme. Zur Entwicklung der Prüfungspraxis des Wissenschaftlichen Landesprüfungsamtes. Frankfurt - M.: Haag + Herchen 1979, 328 S.
285
Eiselt/Heinrich: Grundriß des Schulrechts in Berlin. Neuwied: Luchterhand 1979, 258 S.
Embacher, Gudrun: Berliner Hochzeit. Ludwigshafen: Hohenstaufen 1979, 292 S.
Erne, Nino: Kellerkneipe und Elfenbeinturm, Roman. Gütersloh: Bertelsmann 1979, 346 S.
Frei, Otto: Berliner Herbst, Erzählungen. Zürich: Die Arche 1979, 184 S.
vkFurtwängler, Elisabeth: Über Wilhelm Furtwängler, Wiesbaden: Brockhaus 1980 (2. Aufl.), 168 S.
Haffner/Venohr: Preußische Profile. Königstein/Ts.: Athenäum 1980, 265 S.
Hentschel, Volker: Preußens streitbare Geschichte - 1594 bis 1945. Düsseldorf: Droste 1980, 348 S.
Jerome, Jerome K.: Drei Männer auf einem Bummel. Zürich: Sanssouci Verlag 1979, 200 S.
Klotz, Heinrich: Architektur in der Bundesrepublik. Frankfurt/M. - Berlin - Wien: Ullstein 1977,324 S.
•yJ^ Köhler, Bruno: Gotha - Berlin - Dachau. Werner Sylten. Stationen seines Widerstandes im Dritten Reich.
Stuttgart: Radius 1980,96 S.
Koch, Hannsjoachim W.: Geschichte Preußens. München: 1980, 480 S.
Lange, Horst: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg. (Hrsg.: Hans Dieter Schäfer) Mainz: v. Hase u.
Koehler 1979, 348 S.
Mostar/Lentz: Preußenliebe, Roman. München: Herbig 1980, 240 S.
j Peters, Bruno: Berliner Freimaurer. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Berlins. Berlin: Im Selbstverlag
^ "
1980, 72 S.
Pincus, Lily: Verloren - Gewonnen. Mein Weg von Berlin nach London. Stuttgart: dva 1980, 208 S.
Plenzdorf, Ulrich: Legende vom Glück ohne Ende. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1980, 320 S.
Pörken, Uwe: Weißer Jahrgang, Roman. Düsseldorf: Bohne u. Erb 1979, 388 S.
Rosendorfer, Herbert: Das Messingherz, Roman. München: 1979, 574 S.
Schlabrendorff, Fabian von: Begegnungen in fünf Jahrzehnten. Tübingen: Wunderlich 1979, 396 S.
Schlesinger, Klaus: Leben im Winter. Frankfurt/M.: S. Fischer 1980, 128 S.
Scholz, Gustav: Der Weg aus dem Nichts. Frankfurt/M.: Krüger 1980,400 S.
Schuh, Oscar Fritz: So war es - war es so? Notizen und Erinnerungen eines Theatermanns. Berlin Frankfurt/M. - Wien: Ullstein 1980, 192 S.
Skärmeta, Antiono: Nix passiert. Neuwied: Luchterhand 1978, 84 S.
Sösemann, Bernd: Das Ende der Weimarer Republik in der Kritik demokratischer Publizisten. Berlin:
Colloquium 1978, 252 S.
Ulmann, Hellmuth von: Beinahe ein König, Roman. Heilbronn: Salzer 1980,460 S.
Vogler/Vetter: Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung. Köln: Pahl-Rugenstein 1980,308 S.
i-,{v Zivier, Ernst R.: Rechtsstatus des Landes Berlin. Berln: Berlin-Vlg. 1977, 400 S.
Im IV. Vierteljahr 1980
haben sich folgende Damen und Herren zur Aufnahme gemeldet:
Vera Grossheim, Angestellte
Framstraße 19, 1000 Berlin 44
Tel. 623 3468
(Fritz Bunsas)
Dr. Christiane Knop, Oberstudienrätin
Rüdesheimer Straße 14, 1000 Berlin 28
Tel. 4014307
(Schriftführer)
Klaus Mikat, Betriebswirt
Breisgauer Straße 40, 1000 Berlin 38
Tel. 8014183
(Bibliothek)
Elisabeth Schmitz, Renterin
Konstanzer Straße 57 III, 1000 Berlin 31
Tel. 8818494
(A.Brauer)
Michael Scholz, Diplomlandwirt
Seydlitzstraße 8, 1000 Berlin 21
Tel. 3942359
(Bibliothek)
Dr. Armin Spiller, Bibliotheksrat
Edithstraße 3, 1000 Berlin 37
Tel. 813 8294
(Dr. P. Letkemann)
Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (lt.
Beschluß der Jahresversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung dieses Betrages und noch
ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM).
An unsere Bezieher! Die Beanschriftung der Zeitschriften erfolgt jetzt in neuer Form aus Gründen eines
kostensparenden Vertriebs, und wir bitten Sie, Ihre Anschrift zu prüfen. Wenn Sie Fehler feststellen,
erbitten wir Ihre Mitteilung an Westkreuz-Druckerei und Verlag, Rehagener Straße 30, 1000 Berlin 49.
286
Die Veröffentlichungen des Vereins
Von den früheren Ausgaben des Jahrbuchs
DER BÄR VON BERLIN
sind folgende Bände noch erhältlich:
1953 und 1957/58 je 4,80 DM; 1964= 5,80 DM; 1965 (Festschrift) 38,-DM;
1968 und 1969 je 9,80 DM; 1971 und 1972 je 11,80 DM; 1973 und 1975
je 12,80 DM; 1976 und 1977 je 18,50 DM; 1978 und 1979 je 22,80 DM;
1980= 24,80 DM.
MITTEILUNGEN
des Vereins für die Geschichte Berlins
erscheinen vierteljährlich im Umfang von 32 Seiten. Sie enthalten in der
Regel mehrere Artikel mit Themen zur Berliner Geschichte (mit Abbildungen), Nachrichten zu aktuellen Anlässen und aus dem Vereinsleben,
Buchbesprechungen und das Programm der laufenden Veranstaltungen
des Vereins.
Einzelhefte aus früheren Jahrgängen sind zum Stückpreis von 4 - DM
noch erhältlich.
Von der neuen Folge der
Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins
sind bisher erschienen:
Heft 59: Johann David Müller, Notizen aus meinem Leben. (1973)
Preis 9,80 DM
Heft 60: W. M. Frhr. v. Bissing, Königin Elisabeth von Preußen. (1974)
Preis 11,80 DM
Heft 61: Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg. (1977)
Konrad Kettig, Goetheverehrung in Berlin. Ein Besuch von
August und Ottilie von Goethe in der preußischen Residenz 1819.
(1977) Preis 16,80 DM
Alle Preise zuzüglich Porto
Bestellungen sind an die Geschäftsleitung des Vereins zu richten:
Albert Brauer, Blissestraße 27,1000 Berlin 31
Beilagenhinweis: Der Versandauflage dieses Heftes liegt ein Prospekt des Arani-Verlages bei.
Veranstaltungen im I. Quartal 1981
(Bitte, beachten Sie die veränderten Anfangszeiten der Vorträge im Rathaus Charlottenburg.)
1. Donnerstag, den 22. Januar 1981,16.30 Uhr: Besuch der Ausstellung „Groß-Berlin entsteht
- zum 60. Jahrestag" im Landesarchiv Berlin. Führung: Herr Dr. Jürgen Wetzel. Treffpunkt
im Landesarchiv Berlin, Schöneberg, Kalckreuthstraße 1. Fahrverbindungen: Busse 19,29,
73, 85; U-Bahn Wittenbergplatz.
2. Dienstag, den 27. Januar 1981,16.00 Uhr: Besuch der Ausstellung über den Orden „Pour le
merite für Wissenschaften und Künste" im Geheimen Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz. Führung: Herr Dr. Peter Letkemann. Treffpunkt im Staatsarchiv, Dahlem, Archivstraße 12-14. Fahrverbindungen: Busse 1 und 68; U-Bahn Dahlem-Dorf.
Aus Anlaß des 116. Gründungstages unseres Vereins anschließend gemütliches Beisammensein im „Alten Krug" in Dahlem.
3. Dienstag, den 3. Februar 1981, 19.45 Uhr: Vortrag mit Lichtbildern von Herrn Günter
Wollschlaeger: „Der Große Kurfürst und die Hugenotten". Bürgersaal des Rathauses
Charlottenburg.
4. Mittwoch, den 11. Februar 1981, 16.00 Uhr: Führung durch das Heimatmuseum Reinickendorf mit Besichtigung des dort errichteten germanischen Gehöfts. Treffpunkt im
Heimatmuseum Hermsdorf, Alt-Hermsdorf 35. Fahrverbindungen: Busse 15 und 20.
5. Dienstag, den 24. Februar 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Dipl.-Biol. Reinhard Frese: „Der tiergärtnerische Beitrag des Zoologischen Gartens Berlin zur Erhaltung
bedrohter Tierarten". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
6. Dienstag, den 3. März 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Auf
den Spuren der Königin Luise, 1. Teil 1776-1802". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
7. Dienstag, den 10. März 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erhard Mayer: „Auf
den Spuren der Königin Luise, 2. Teil 1802-1810". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
8. Dienstag, den 17. März 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Professor Dr.
Helmut Börsch-Supan: „Karl Friedrich Schinkel als Maler". Bürgersaal des Rathauses
Charlottenburg.
9. Dienstag, den 7. April 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Wolfgang Eckert:
„Von der Mühle an der Panke zum Stadtbezirk Wedding". Bürgersaal des Rathauses
Charlottenburg.
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek
ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und
Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Alleo 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher, Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
288
OHAW.
lotsbibitofrwk
A1015FX
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
77. Jahrgang
Heft 2
April 1981
Preußisches Finanzministerium, Sitz der Akademie des Bauwesens, Berlin C2, Am
Festungsgraben 1
(Foto: Landesbildstelle Berlin)
289
JBie Akademie des Bauwesens
Von Eckart Henning
Vor hundert Jahren wurde durch Allerhöchsten Erlaß Kaiser Wilhelms I. vom 7. Mai 1880' die
Akademie des Bauwesens2 ins Leben gerufen - Grund genug, dieser nützlichen, heute leider
nahezu vergessenen preußischen Einrichtung gerade im Schinkel-Jahr noch einen Nachruf zu
widmen.
Die neue Akademie trat an die Stelle der am 1. Oktober 1880 aufgelösten Technischen
Bau-Deputation 3 , die ihren Sitz in Berlin W, Voßstraße 35, hatte, im Lauf der Zeit aber zu
einem bloßen Prüfungsamt für Bauführer und Baumeister abgesunken war4, während Aufsichtsfunktion5 und gutachterliche Tätigkeit - zumal verschiedene Behörden inzwischen über
eigenes technisches Personal verfügten - immer mehr in den Hintergrund traten. Daher
entwickelte der im gleichen Jahr erst mit der Leitung des neu gebildeten Ministeriums für
öffentliche Arbeiten betraute Albert v. Maybach (Abb. 1), bekannt vor allem als Pionier des
Eisenbahnwesens, Reformvorstellungen, die er Bismarck am 30. März vortrug: Das oberste
beratende Baugremium der Monarchie sollte künftig mit den tüchtigsten Vertretern nicht allein
Preußens (wie bisher), sondern auch anderer Bundesstaaten besetzt werden, deren Amtszeit
(nicht wie bisher) zeitlich begrenzt bleiben müßte. Zudem wollte man nicht nur Ingenieure und
Architekten, sondern auch Künstler zur Mitarbeit einladen, um den ästhetischen Ansprüchen
an Staatsbauten besser gerecht zu werden. Der Kanzler billigte diese Reformpläne in der klugen
Erkenntnis, daß eine „organische Verbindung der Reichsbauverwaltung mit der preußischen
nach beiden Seiten hin förderlich sein werde"6. Die Verwirklichung von Maybachs Absichten
wurde dabei von der Kritik begünstigt, die bei Etatberatungen im Preußischen Landtag
(Dezember 1879) an den vom „Baumandarinenthum" behinderten Leistungen deutscher Architekten und Ingenieure laut geworden war7.
So kam es, nachdem auch das preußische Staatsministerium insgesamt den Maybach-Plan
gebilligt hatte, zur Errichtung der neuen „Akademie des Bauwesens", in deren Gründungserlaß
es programmatisch hieß: Die neue Akademie ist in allen „Fragen des öffentlichen Bauwesens,
welche von hervorragender Bedeutung sind, zu hören und namentlich berufen, das gesamte
Baufach in künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung zu vertreten, wichtige öffentliche
Bauunternehmungen zu beurteilen8, die Anwendung allgemeiner Grundsätze im öffentlichen
Bauwesen zu beraten, neue Erfahrungen und Vorschläge in künstlerischer, wissenschaftlicher
und bautechnischer Beziehung zu begutachten und sich mit der weiteren Ausbildung des
Baufaches zu beschäftigen". Außerdem sollte die Akademie Vorschläge für Ehrungen und
Ordensverleihungen unterbreiten.
In seiner Eröffnungsansprache an die dreißig ordentlichen und neunzehn außerordentlichen
Akademie-Mitglieder, die sich nach ihrer Wahl am 2. Oktober 9 zum ersten Male wieder am
18. Oktober 1880, dem Geburtstag des Kronprinzen Friedrich Wilhelm, versammelten, gab
Maybach, zu dessen Geschäftsbereich das neue Gremium natürlich gehörte10, seiner Hoffnung
Ausdruck, daß die „Sprüche" der Akademie, „die sie über wichtige öffentliche Bauunternehmungen abzugeben berufen sei, in gleicher Weise die realen Bedürfnisse, wie - worauf besonderer Wert zu legen - die Forderungen des Idealen berücksichtigen und im Lande nicht nur wegen
des Glanzes der Namen ihrer Mitglieder, sondern auch wegen des inneren Wertes ihres Wirkens
volle Würdigung und Anerkennung finden werden"". Auch dem Landtag gegenüber begründete der Minister „seine" neue Akademie: „Wir glauben mit der gegenwärtigen Einrichtung den
Keim gelegt zu haben für eine gute Institution, die der Fortbildung fähig ist, die frisches Leben
290
Abb. 1:
Albert von Maybach
(1879-1891)
Preußischer Minister
der öffentlichen Arbeiten
(Foto: Bildarchiv der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz)
in die Technik hineinbringt, die ihr die Fühlung ermöglicht mit der öffentlichen Meinung und
die nach allen Seiten hin frei und anregend wirken soll, um die Bautechnik auf derjenigen Höhe
zu halten, auf der sie sich gerade für Deutschland befinden müsse"12. Damit hatte Maybach die
Kritik des Abgeordneten Reichersperger aufgegriffen, der sich gegen den „Schlendrian der
Routine" gewandt hatte und nun sogar seinerseits widerstrebend zugestehen mußte: „Es sind
Männer hinzugezogen worden, welche außerhalb des Kreises der Bauverwaltung sich befinden,
von denen zu erwarten ist, daß sie wohltätige Impulse geben"13.
Die Akademie des Bauwesens, deren Geschäftsbereich im einzelnen durch die Instruktion vom
27. August 1880 festgelegt wurde14, war in eine Abteilung für den Hochbau und in eine andere
für das Ingenieur- und Maschinenwesen gegliedert. An ihrer Spitze stand ein Präsident und
zwei Abteilungsdirigenten15, die von den Mitgliedern der Akademie für drei Jahre gewählt
wurden. Ihre Wahl bedurfte jedoch der Bestätigung durch das Preußische Staatsministerium.
Unter den Mitgliedern, die ebenso wie die Akademiespitze ehrenamtlich tätig waren, gab es
ordentliche und außerordentliche, die auf Vorschlag des zuständigen Fachministers ebenfalls
vom Staatsministerium ernannt wurden. Von ihnen schied nach Ablauf dreier Jahre ein Drittel
aus, für das nach Anhörung der Akademie neue Mitglieder ernannt wurden, auch konnten
ausgeschiedene auf Vorschlag erneut berufen werden.
291
Einen guten Überblick nicht nur über den Mitgliederbestand, sondern auch über die Anfangstätigkeit des neuen Gremiums gewährt die inzwischen selten gewordene Jubiläumsschrift zum
fünfundzwanzigjährigen Bestehen dieser Königlichen Akademie16, der zwischen 1880 und 1905
vier Präsidenten, nämlich Schneider(1880-1895),Spieker(1892-1895),Kinel(1895-1901)und
seit 1902 (bis 1919) Hinckeldeyn, sämtlich höhere preußische Baubeamte, vorstanden. In dieser
Zeit gab die Akademie 258 Gutachten ab, und zwar 57 auf Beschluß der Gesamtakademie, 183
auf den der Hochbauabteilung (gelegentlich mit zusätzlichem Minderheitsgutachten!) und nur
18 auf Beschluß der Abteilung für Ingenieur- und Maschinenwesen. Diese Gutachten bezogen
sich auf Bahnhofsanlagen, Kirchen, Brücken, Theaterneubauten, Museen, Archive und Bibliotheken, Bank- und Gerichtsgebäude, Postämter usw. oder auf Flußregulierungen (besonders
der Weichsel und der Unterweser).
Der Anschaulichkeit wegen seien wenigstens einige Themen aus der ersten Zeit der Akademie
herausgegriffen, wie der Vollendungsbau des Straßburger Münsters (1880), die Anlage des
Zentral-Personenbahnhofs in Frankfurt a.M. (1881), das Post- und Telegraphengebäude in
Breslau (1882), das Theater in Riga (1883), das Archiv- und Bibliothekgebäude in Hannover
(1885), der Abbruch des dritten Geschosses des Halberstädter Domturmes (1884), die Lange
Brücke bei Potsdam (1886), der Einsturz des Dachgewölbes der Anatomie in Königsberg i. Pr.
(1888), das Domhotel in Köln (1889), das Rathaus in Aachen (1890) usw.
Diese keineswegs lückenlose Aufzählung gibt vielleicht eine Vorstellung von der Vielfalt der
Akademie-Projekte. Daß dabei auch die bauliche Entwicklung Berlins" nicht zu kurz kam,
zeigen andere Gutachten, von denen hier gleichfalls nur einige genannt werden können: die
Neue Kirche am Gendarmenmarkt (1880), das chemische Laboratorium für die Technische
Hochschule (1881), die neue Packhofanlage in Berlin-Moabit (1882), die nochmalige Erhöhung
des Kreuzberg-Denkmals (1882), das Naturhistorische Museum (1882), das Reichstagsgebäude
(1882/83), die Ursachen des Nationaltheaterbrandes (1883), ein Dienstgebäude für das Patentamt (1886), der Neubau für das Haus der Abgeordneten (1888), der Dom und die Reichsdruckerei (1889), der Umbau der nächsten Umgebung des Weißen Saales im Königlichen
Schloß (1889/90) usw.
Doch außer zu Bauaufgaben der Hauptstadt oder denen der preußischen Provinzen nahm die
Akademie auch gutachterlich zu allgemeinen Baufragen Stellung, wie etwa zu Schutzvorkehrungen gegen Theaterbrände (1882), zum Bauelevenjahr (1886), zur Normung einheitlicher
Lieferungen von Portland-Zement (1887), zur Standfestigkeit hoher Bauwerke auf geringer
Grundfläche bei Winddruck (1889/90) usw. Im Jahre 1904 wurden auch die ersten maßgeblichen Vorschriften für den Eisenbetonbau von der Akademie erlassen18.
Die meisten Gutachten, die im ersten Vierteljahrhundert erstellt wurden, konnten auch amtlich
veröffentlicht werden" und sind dadurch nicht nur in Fachkreisen ausreichend bekannt und
diskutiert worden, sondern festigten auch das Ansehen der Akademie in der Öffentlichkeit, so
daß sie nicht nur von den Baubehörden Preußens und des Deutschen Reiches um ihr Urteil
gebeten wurde, sondern auch von zahlreichen Städten und kommunalen Körperschaften, die
nicht dazu verpflichtet waren. Anläßlich des fünfundzwanzigjährigen Akademie-Jubiläums
(1905) konnte man daher mit Recht feststellen, daß dieses Gremium die Erwartungen erfüllt, ja
teilweise übertroffen habe, daß die ihr gestellten Aufgaben vielseitig waren und sich auf alle
Gebiete der Architektur (weniger allerdings auf die des Ingenieur- und Maschinenwesens)
erstreckten. Auch von ihrem Vorrecht, eigene Vorschläge zu unterbreiten und Anregungen zu
geben, hatte die Akademie Gebrauch gemacht. Bedenklich blieb allerdings, daß ihrem Antrag
auf Veröffentlichung ihrer Gutachten in manchen Fällen „der Erfolg versagt" blieb, weil dies
„besondere Gründe" geboten. Präsident Hinckeldeyn hatte anläßlich der Jubiläumsveranstal292
Abb. 2:
Medaille der Akademie
des Bauwesens (1909)
(Foto: Reprographie der
Freien Universität Berlin)
tung sogar den Mut, kritisch anzumerken, daß es „sich dabei nicht selten um sehr wichtige und
hervorragende Entwürfe [handelte], bei denen durch höhere Entschließung andere Entscheidungen getroffen wurden, als die Akademie sie empfohlen und gewünscht hatte". Allerdings
können sich Hinckeldeyns Zukunftserwartungen heute wohl nicht mehr erfüllen, daß diese
Gutachten einmal „aus dem Archiv hervorgeholt" werden würden, um „ihren Wert und
Unwert nachzuprüfen", da diese Akten, soweit wir wissen, gegen Ende des Zweiten Weltkriegs
durch Bombenangriffe vernichtet worden sind20. Trotz dieser Monita sprach Hinckeldeyn aber
in Gegenwart der Minister v. Budde und v. Thile nicht umsonst den Wunsch aus, daß der
Akademie künftig eigene Mittel zur Verfügung gestellt werden mögen, „um Preisaufgaben zu
stellen oder zu bauwissenschaftlichen Studien und Reisen Beihilfen zu gewähren"21.
Daraufhin erhielt das Gremium im Jahre 1907 erstmals jährlich 15 000 Mark aus öffentlichen
Mitteln zur Dotierung von Preisaufgaben und konnte auf diese Weise eine sehr viel stärkere
Breitenwirkung ihrer Arbeit erzielen22. Außerdem verlieh sie seit 1909 eine „Goldene Medaille",
die der Bildhauer Georges Morin (Berlin) entworfen hatte (Abb. 2). Sie zeigt Minerva mit einem
Siegeskranz in der Hand vor einer Mauer, deren Abschluß ein Fries mit Darstellungen der
Architekten- und Ingenieurtätigkeit bildet; auf der Rückseite steht in einer schildartigen
Umrahmung der Name des Empfängers23. Sie wurde als ersten dem Ingenieur Schwieger und
dem Architekten Schmieden verliehen, und zwar auf der zugleich ersten öffentlichen Sitzung
der Akademie in Berlin am Geburtstag ihres Gründers, Kaiser Wilhelms I., die im großen
Sitzungssaal des Potsdamer Bahnhofs am 22. März 190924 abgehalten wurde, wo man jährlich
auch künftig zusammenkam, um die Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Akademie zu
unterrichten, der Toten zu gedenken, Baupreise zu verteilen und den Anwesenden die preisgekrönten Schriften der Akademie zu präsentieren. Den Festvortrag25 hielt damals Otto March
über „Das ehemalige und das künftige Berlin in seiner städtebaulichen Entwicklung"26.
293
Im Ersten Weltkrieg ruhte diese Öffentlichkeitsarbeit, obwohl die Akademie auch weiterhin zu
Fachsitzungen zusammentrat. Nur einmal veranstaltete sie noch gemeinsam mit der Akademie
der Künste in Berlin eine Kundgebung, in der beide Akademien 1916 zum Thema „Heldenehrungen und Kriegsdenkmäler" Stellung nahmen und ebenso mutig wie vergeblich vor einer
Inflation entsprechender Denkmäler minderen Niveaus warnten27.
*
Bald nach dem Kriege beschäftigte sich die Akademie bezeichnenderweise mit Vorschlägen
(1919), wegen des großen Mangels an Backsteinen wieder eine „ausgedehnte Anwendung des
Lehmbaus" zu empfehlen, und befürwortete den Bau von Probeanlagen dafür28.
In einer nichtöffentlichen Gedenkveranstaltung beging sie dann 1920 ihr vierzigjähriges Bestehen. Die Medaille wurde aus diesem Anlaß Robert Bosch (Stuttgart) für seine Verdienste um
die Förderung der technischen Wissenschaften und R. Koldewey (Berlin) für seine Erforschung
der antiken Baugeschichte zuerkannt. Einer Denkschrift der Architekturabteilung der TH in
Berlin-Charlottenburg stimmte man im allgemeinen zu, vor allem fand man an ihr empfehlenswert, „daß den Studierenden der oberen Semester weitgehend Freiheit in der Wahl der
Lehrfächer zugestanden werde, um im Rahmen einer einheitlichen Diplomprüfung den Neigungen nach künstlerischer Betätigung einerseits und der mehr wissenschaftlich-technischen
Richtung andererseits nach Möglichkeit Rechnung zu tragen"29. Ein im selben Jahr gebildeter
Ausschuß sollte schließlich die Frage prüfen, ob „angesichts der starken Zuständigkeitsveränderungen im Bauwesen nicht die Umwandlung der Akademie des Bauwesens in eine Reichsakademie anzustreben sei"30.
Doch es kam anders: Am 16. Februar 1921 gab das Preußische Staatsministerium bekannt, daß
die bisher dem Ministerium der öffentlichen Arbeiten zugeteilte Hochbauabteilung durch
Beschluß vom 3. März 1920 dem Finanzministerium angegliedert werde31 und damit außer
dem Technischen Ober-Prüfamt, den Redaktionen der „Zeitschrift für Bauwesen", des „Zentralblattes der Bauverwaltung" und der „Denkmalspflege" am 1. April auch die Akademie des
Bauwesens bei diesem Ministerium ressortiere32. Umwandlungspläne in eine Reichsakademie
wurden offenbar nicht weiterverfolgt.
Am 22. März 1921 konnte nach sieben Jahren erstmals wieder eine öffentliche AkademieSitzung im großen Saal des Potsdamer Bahnhofs abgehalten werden, in der Präsident Dr.
Sympher, der Hinckeldeyn am 30. September 1919 abgelöst hatte, bedauerte, daß die Aufgaben
des Gremiums in den letzten Jahren hinter den Anforderungen, die der Krieg an die Mitglieder
gestellt hatte, zurücktreten mußten33. Für die große Zahl der in diesen Jahren Verstorbenen
(= 29), zu denen u. a. Anton v. Werner und Werner v. Siemens gehörten, sollten allmählich
neue Mitglieder nachgewählt werden. In einer Entschließung sprach sich die Akademie auch
für die Errichtung von Hochhäusern aus, doch warnte sie zugleich „vor einer Häufung von
Turmhäusern" in den Städten und riet überdies noch zur Vorsicht bei der Verwendung zu
Wohnzwecken34.
Im kommenden Jahr beschäftigte sich die Akademie in einer Vollsitzung mit der von privater
Seite ins Leben gerufenen „Deutschen Akademie des Städtebaus" und kritisierte, „daß diese
Sonderinteressen verfolgende Gründung nach außen im Gewände einer staatlichen Einrichtung mit behördlichem Charakter aufzutreten suche und außerdem einen Aufgabenkreis
behandeln will, für den die Akademie des Bauwesens die zuständige Stelle bildet"35.
In der öffentlichen Sitzung am 22. März 1922 konnte der neue Präsident, Oberhofbaumeister
i. R. Geyer, der nach Symphers Tod am 16. Januar 1922 dieses Amt übernahm (und es bis zum
31. Dezember 1928 innehaben sollte), unter den Gästen der Akademie auch erstmals „ihren"
294
neuen Minister, den preußischen Finanzminister v. Richter, begrüßen. Im übrigen äußerte
Geyer die Hoffnung, daß die neugefaßte Geschäftsordnung der Akademie vom 14. Juli 192236,
die sich freilich im wesentlichen an die alten „Instruktionen" anlehnte, „gerade in der Zeit
größter deutscher Not37 die Aufgabe der Akademie erleichtern werde, die Ideale technischen
Schaffens zu hüten und zu fördern"38. Immerhin wurde die Zahl der ordentlichen Mitglieder
nun auf 30 Architekten und 40 Ingenieure erhöht, um sich auch personell der fortschreitenden
Spezialisierung in der Technik besser gewachsen zu zeigen.
Auch 1923 änderte sich die schlechte finanzielle Situation der Akademie, entsprechend der
allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Lage Preußens, noch keineswegs. So bedauerte
Geyer in seinem Rechenschaftsbericht, daß es der Akademie nicht möglich sei, die bisherigen
Staatspreise zu verteilen, Zuschüsse zur Drucklegung wissenschaftlicher Arbeiten zu leisten, da
noch keine Mittel zur Verfügung gestellt werden konnten und auch das Stiftungsvermögen
während der Inflationszeit zusammengeschmolzen sei39. Kaum anders sah es in den Jahren
1924 bis 1926 aus. So mußte Präsident Geyer noch am 22. März 1925, als die Akademie ihr
fünfundvierzigjähriges Bestehen beging, in seiner Eröffnungsansprache darauf hinweisen, wie
sehr die quasi mittellose Akademie „behindert sei, ihre überlieferte Aufgabe zu erfüllen".
Gleichwohl arbeite sie „trotz der eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten weiter": so konnte
von ihr mit einer privaten Beihilfe die Veröffentlichung „der dem Verfall entgegengehenden
Schinkelschen Fresken in der Vorhalle des Alten Museums" erreicht werden40 - die erste
wichtige Entscheidung dieses um das Werk Schinkels verdienten Gremiums! Die Akademie
konnte sich außerdem zu einer Reihe von Baufragen gutachterlich äußern und verlieh auch
wieder ihre Medaille.
Im Jahre 1926 förderte die Akademie durch eine gutachterliche Stellungnahme (vom 7. Mai)
den Aufbau des Markttors von Milet in dem von Messel-Hoffmann errichteten Neubau der
Antiken-Abteilung der Staatlichen Museen nach den damals noch „vielumstrittenen"41 Plänen
Theodor Wiegands42. Trotz solcher Vorhaben bezeichnete es Geyer in seinem Jahresbericht
vom 22. März 1927 als „herzlich erwünscht, daß die Staatsbehörden, die städtischen Verwaltungen und öffentlichen Verbände mehr als bisher nach dem Kriege von der Tätigkeit der
Akademie als begutachtende Körperschaft für alle bedeutsamen Fragen des Bauwesens Gebrauch machten". Zugleich konnte er mit Befriedigung feststellen, daß der Akademie erstmals
wieder „mehr Mittel durch den preußischen Finanzminister zur Verfügung gestellt worden
seien, um wissenschaftliche Arbeiten zu unterstützen"43.
Auch in den folgenden Jahren blieb die Gutachtertätigkeit der Akademie, wie Geyer am
22. März 1928 ausführte, noch „beschränkt durch die geringe Bautätigkeit unserer wirtschaftlich bedrängten Zeit"44. Erwähnenswert sind gleichwohl die Gutachten über das Schiffshebewerk Niederfinow45 und die neue Berliner Baupolizeiordnung.
Erst 1929 war es der Akademie des Bauwesens unter ihrem neuen und letzten Präsidenten, dem
Ministerialdirektor im Verkehrsministerium, Dr.-Ing. E. h. Johannes Gährs (Abb. 3), endlich
wieder möglich, eine Preisaufgabe zu stellen, die der „Vervollkommnung des Eisenbetonbaues
in der Konstruktion und Formgebung" gelten sollte46. In seinem Erläuterungsvortrag dazu
hatte Professor Dr. W. Gehler (Dresden) schon am 9. November 1928 diese Preisaufgabe
begründet: „Während die Gebiete der Säulen und Gewölbe, der gebogenen Balken und der
Rahmen theoretisch als voll ausgebaut bezeichnet werden können und nur hinsichtlich der
Ausführungsverfahren noch Fortschritte zu erwarten sind, eröffnen sich noch viele Anwendungsmöglichkeiten für Platten und Schalen, sowie für den Zusammenbau von Fertigzeugnissen ..." 47 .
Im Jahre 1929 verfügte der Preußische Finanzminister, Dr. Höpker Aschoff, am 1. Februar
295
Abb. 3:
Dr.-Ing. E. h. Johannes Gährs,
Präsident der Akademie
des Bauwesens (1929-1944)
(Foto: Geheimes Staatsarchiv
Preußischer Kulturbesitz)
nochmals einige Änderungen an den aus dem Jahre 1880 stammenden, zuletzt 1922 revidierten
Instruktionen der Akademie, die aber am 6. Mai 1929 in neuer Fassung erlassen wurden. Ein
Jahr später, am 7. Mai 1930, konnte die Akademie ihr fünfzigstes Bestehen feiern und zu diesem
Anlaß eine zweite Festschrift herausgeben48, die aber leider weder einen geschichtlichen
Rückblick noch ein Verzeichnis der Akademie-Gutachten enthält. Sie bietet außer dem an
anderer Stelle schon wiederholt abgedruckten Gründungserlaß des Kaisers (1880) allerdings
den Wortlaut der vervollständigten „Geschäftsordnung" aus dem Vorjahr, ferner ein Verzeichnis der Akademie-Präsidenten und Abteilungsdirigenten seit 1880, der Medaillenträger (Architekten und Ingenieure) seit 1909, der Stiftungen für bedürftige und würdige Studierende an der
Technischen Hochschule Berlin49, schließlich ein Verzeichnis aller Akademie-Mitglieder seit
1880 (geordnet nach dem Jahr ihrer Berufung in dieses Gremium). So dankenswert das ist, so
stellt sich doch die Frage, warum die inhaltliche Aussage so dürftig ausfiel, warum man einen
Rückblick bzw. Tätigkeitsbericht vermied, und sei es auch wiederum nur in Form einer
Gutachten-Tabelle. Die Jubiläumsrede von Präsident Gährs, die er anläßlich einer Festsitzung
am 7. Mai in der alten Aula der Friedrich-Wilhelms-Universität hielt, gibt darüber zumindest
indirekt Aufschluß: Leider, so mußte er rückblickend bekennen, entfallen auf die in fünfzig
Jahren erstatteten 343 Gutachten der Akademie des Bauwesens nur 85 auf die Zeit von 1905 bis
1930, 258 aber auf die ersten fünfundzwanzig Jahre (1880 bis 1905).
Wo lagen die Gründe für diesen Rückgang? Sicherlich nicht allein in der Kriegs- und Nachkriegszeit, in der kaum „Monumentalbauten" errichtet wurden, deren Entwürfe der Akademie
sonst vorgelegt worden wären, sondern äußerlich betrachtet trug schon der Umstand dazu bei,
daß das Ministerium der öffentlichen Arbeiten aufgelöst worden war und die Anordnung dieses
296
Ministers, entsprechende Entwürfe der Akademie zur Begutachtung vorzulegen, „allmählich in
Vergessenheit geraten" war. Der tiefere Grund lag aber wohl in einer wesentlichen Verbesserung der Ingenieursausbildung der letzten fünfzig Jahre. Gährs betonte, daß deshalb „oft nicht
mehr das Bedürfnis besteht", entsprechende Projekte der Akademie vorzulegen. Hinzu komme
das immer mehr zunehmende Ausschußwesen, so daß auch einige der der Akademie „zugedachten Aufgaben inzwischen in erweitertem Ausmaße auf besondere Ausschüsse übergegangen sind". Gährs fragte angesichts dieser Lage, was für die Akademie zu tun übrig bleibe. Er sah
jedoch Zukunftsaufgaben 1. in der Begutachtung neuer Baustoffe, wie Beton und Eisenbeton,
2. in der Errichtung neuer technischer Bauten mit höherer Lebensqualität (in denen sich künftig
„alle Menschen wohl fühlen"), 3. im Umweltschutz (ohne allerdings diesen Begriff zu verwenden), denn Gährs warf der Technik, deren Leistungen er anerkannte, vor: „sie macht zuviel
Lärm, sie verdirbt die Luft durch Staub und Abgase ihrer Maschinen; Abwässer verunreinigen
die Flüsse, und schöne Landschaften werden oft durch häßliche Bauten zerstört". Der Präsident sah voraus, daß künftig die Beratertätigkeit der Akademie auf diesem Felde wichtiger
werden würde als früher. Ferner sollte sich die Akademie 4. zur Belebung ihrer Arbeit verstärkt
der Denkmalspflege bzw. Baugeschichte, und zwar zunächst Schinkel und dessen bevorstehendem 150. Geburtstag, zuwenden. Die Akademie wollte daher noch im Jahr ihres eigenen
Jubiläums zur Erhaltung der Schinkel-Fresken im Alten Museum durch Bildung eines besonderen Ausschusses beitragen, in dem Dammeier den Vorsitz übernahm (weitere Mitglieder
waren Blunck, Hielke, Krencker, Nonn und Rave, der als Leiter der Beuth-Schinkel-Sammlung
auch die Schriftleitung für die geplante Herausgabe des K.-F.-Schinkel-„Lebenswerkes" übernahm). Einen weiteren Ausschuß gründete man zum Schutz gegen die Gefahren, die den auf
Pfahl- und Schwellrosten gegründeten historischen Bauten in der Berliner Innenstadt durch
Senkung des Grundwasserspiegels drohten.
Die Geldmittel der Akademie konnten zum Jubiläum erstmalig seit 1907 von 15 000 Mark auf
jährlich 20000 Mark erhöht werden. Sie wurden, wie bisher, zur Veröffentlichung wertvoller
Vorträge, für Preisausschreiben und Beihilfen bauwissenschaftlicher Arbeiten verwandt.
Die Medaille der Akademie wurde von 1909 bis 1929 neunmal an Architekten, zwölfmal an
Ingenieure vergeben und 1924 auch erstmals an ein Akademie-Mitglied, an den früheren
Präsidenten Hinckeldeyn. Die Verleihung der Medaille an Ludwig Hoffmann (Berlin), Fritz
Schumacher (Hamburg), Heinrich Zimmermann (Berlin) und Waldemar Hemmich (Berlin)
krönte auch die Festsitzung der Akademie im Jahre 1930. Zu neuen Mitgliedern wählte die
Versammlung Hans Poelzig und Peter Behrens, gleichsam als Bestätigung der an Maybach
gemahnenden Worte Höpker Aschoffs anläßlich des Jubiläumsempfanges, daß Ergänzungswahlen der Mitglieder immer mehr das Bestreben zeigten, „der Akademie führende Männer des
modernen Bauwesens zuzuführen"50. Ministerialdirektor Gährs zeichnete nicht nur zum Jubiläum, sondern auch im Jahr darauf, als man am 22. März 1931 im Gelben Saal des Hotels
Kaiserhof zusammenkam, ein positiveres Bild vom Verlauf der Gutachtertätigkeit, die wieder
„neuen Stoff erhalten habe", und auch für die Herausgabe wissenschaftlicher Schriften seien
Beihilfen bewilligt worden51.
Im Jahr 1932 feierte die Akademie die hunderste Wiederkehr von Goethes Todestag, da dieser
die „bedeutungsvolle Entwicklung" der Technik vorausgesehen habe. Präsident Gährs verteidigte „die für viele Schäden in der menschlichen Gesellschaft zu Unrecht verantwortlich
gemachte Technik" und betonte im Gegensatz zu Spenglers Pessimismus, „daß die zweifellos
vorhandene Ausartung in der Anwendung technischer Prinzipien in Zukunft durch eine
technische Planwirtschaft vermieden werden könne, die das menschliche Wohlergehen dem
wirtschaftlichen Nutzen überordnet"52. Unter den Gutachten fand das über den Umbau der
297
Berliner Binnenschiffahrtsschleuse am Mühlendamm, der das Ephraimsche Palais bedrohte,
besondere Beachtung. Den Festvortrag über „Zeitloses und Zeitbewegtes" hielt Peter Behrens,
in dem er einen Überblick über die kulturelle Lage der Gegenwart und ihre Beziehungen zur
Technik bot53.
In der öffentlichen Sitzung am 22. März 1934 berichtete Präsident Gährs in seinem Jahresüberblick vor allem über die die Hauptstadt betreffenden Gutachten der Akademie54, von denen
ihre bereits im Januar abgegebene Stellungnahme zu „Fragen der städtebaulichen Gestaltung
Berlins aus Anlaß des Erweiterungsbaues der Reichsbank" sicherlich am wichtigsten war.
Darin wurde deutlich, daß die „von der Stadt gewünschte große Ost-West-Verbindung quer
durch die Wilhelmstraße und durch die Ministergärten" vom Verkehrsstandpunkt ganz anders
beurteilt wurde als vom künstlerischen. Entsprechend heißt es in Punkt vier der Zusammenfassung: „Die Architekten bekämpfen den Durchbruch angesichts der dabei zu opfernden geschichtlichen und städtebaulichen Werte. Die Ingenieure würdigen zwar auch ihrerseits deren
Bedeutung, halten aber den Durchbruch über kurz oder lang für unvermeidlich"55.
Ebenso wurde der Stand der Vorbereitungen des Schinkel-Werkes erörtert, die auf der letzten
noch nachweisbaren öffentlichen Sitzung der Akademie am 22. März 1935 als „nahezu
abgeschlossen" bezeichnet wurden56. Unter den von der Akademie sonst geförderten Arbeiten
befand sich auch der erste Band von Geyers Monographie über das Berliner Stadtschloß57.
Wirft man noch einen Blick auf den Mitgliederbestand der Akademie nach den Wahlen vom
1. Juni 1935, so fällt auf, daß außer den 57 ordentlichen Mitgliedern beider Klassen, die sich
durch Zuwahl von 11 auf 68 (laut Satzung aus Berlin und Umgebung) erhöhen, die regionale
Streuung der 72 außerordentlichen Mitglieder doch recht gering war: auf Preußen entfielen 35
(davon 18 ebenfalls aus Berlin), auf Bayern 12, Sachsen und Württemberg 7, auf Baden 5,
Danzig 2 sowie auf Hessen, Thüringen, Hamburg und Bremen je eins; somit hatte die
Akademie 1936 insgesamt 140 Mitglieder58. Schon 1936 konnten als wertvolle Arbeitsergebnisse des Schinkel-Ausschusses ein Verzeichnis des „Schinkel-Schrifttums" von P. O. Rave und
ein Probedruck für das Gesamtwerk, nämlich die auf gründlichem Aktenstudium beruhende
Arbeit von Johannes Sievers über das von Schinkel errichtete Berliner Palais des Prinzen
August von Preußen, erscheinen. In dieser ersten Veröffentlichung - wie in allen künftigen sollte freilich „weniger der Bearbeiter als der Künstler selbst über seine Bauten zu Worte
kommen"59.
m
Nach 1936 werden die Nachrichten über die Tätigkeit der Akademie spärlicher. Es häufen sich
dagegen die Versuche nationalsozialistischer Stellen, preußische Kompetenzen auch im Bauwesen zu „verreichlichen" - wie der unschöne Ausdruck dieser Zeit lautete -, denen der
preußische Finanzminister und Förderer der Akademie, Professor Dr. Joh. Popitz (Abb. 4),
einen ebenso entschlossenen wie erfolgreichen Widerstand entgegensetzte. So tauchte schon in
einer Denkschrift vom 13. März 1935 des nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik
und der Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit zum „Neuaufbau der
Reichsbauverwaltung" der Plan auf, auch die Akademie des Bauwesens dieser neuen einheitlichen Hochbauverwaltung zu unterstellen60. Als sich diese Idee nicht durchsetzen ließ, wandte
sich Reichsarbeitsminister Franz Seldte am 21. April 1938 an Popitz mit dem Wunsch, „auch
auf dem Gebiete der Ihnen unterstehenden Preußischen Akademie des Bauwesens ein engeres
Zusammenarbeiten zu ermöglichen..." Er bedauerte zugleich, daß bisher nur ein Ministerialrat und Abteilungsdirigent seines Ministeriums (Professor Schmidt) der Akademie angehörte,
und bat bei Neuwahlen um die Aufnahme von Ministerialrat Scholz als Leiter der Abteilung
„Städtebau", doch offenbar vergeblich61. Zu den wenigen prominenten Nationalsozialisten in
298
Abb. 4:
Professor Dr. Johannes Popitz,
Preußischer Finanzminister
(1932-1944)
(Foto: Landesbildstelle Berlin)
der Akademie gehörten die Generalbauinspekteure und späteren Reichsminister Professor
Albert Speer und Dr.-Ing. Fritz Todt als ordentliche Mitglieder.
Im Jahresbericht der Akademie für 1938 (vom 16. und 18. Februar 1939), dem letzten
Friedensjahr, wird nochmals auf das Gutachten über den Neubau der großen Strombrücke in
Magdeburg aus dem Jahre 1936 zurückgegriffen«, ferner ein Gutachten für das Reichsverkehrsministerium über eine neue Tauchschleuse erwähnt, schließlich Vorträge und Ausschußsitzungen, darunter auch über das „Schinkel-Werk", von dem auch 1938 einige Abschnitte „im
Manuskript zuende geführt und in Druck gegeben werden" konnten".
Wie im Ersten Weltkrieg scheint die Gutachtertätigkeit der Akademie auch während des
Zweiten Weltkriegs weitgehend geruht zu haben. Neu- bzw. Wiederwahlen haben wohl seit
1937 nicht mehr stattgefunden, doch traten die Mitglieder der Akademie noch einmal am
23. Februar 1940 zu ihrer (vorletzten) Plenarsitzung zusammen, auf der als erster Band des
Schinkel-„Lebenswerkes" (Abb. 5) Hans Kanias Buch „Potsdam, Staats- und Bürgerbauten"
(erschienen 1939) vorgelegt werden konnte. Die Akademie beschloß damals, die von Finanzminister Popitz angeregte und von Franz Jahn 64 gemeinsam mit Hilfskräften in Stettin,
Königsberg i. Pr. und Berlin geförderte „Geschichte der preußischen Staatsbauverwaltung"
herauszugeben65. Den Arbeitsertrag archivalischer Forschungen in Stettin über die staatliche
preußische Bautätigkeit in Pommern (1770 bis 1809) konnte er noch in einem umfangreichen
Bericht niederlegen66, in dem er besonders auf die Bedeutung von David Gilly67 hinwies. Sem
zweiter ausführlicher Bericht über die staatliche Bautätigkeit in Neuostpreußen (1793-1807)68
blieb leider ungedruckt. Als erstes abgeschlossenes Ergebnis seiner Quellenstudien wollte Jahn
299
n H H H H H H
Abb. 5:
KARL FRIEDRICH
Titelblatt des ersten Bandes, Berlin 1939
(Foto: Reprographie der
Freien Universität Berlin)
SCHINKEL
HERAUSGEGEBEN VON DER
AKADEMIE DES BAUWESENS
eine Sonderveröffentlichung zur Baugeschichte von Plock (Schröttersburg) herausgeben, wozu
es aber infolge seines Todes in den letzten Kriegstagen nicht mehr kam69.
Weitere Akademiesitzungen wurden seit Februar 1940 zunächst kaum noch abgehalten, „da
der Akademie in den letzten Jahren keine wichtigen geschäftlichen Aufgaben vorlagen", wohl
aber wurden bis zum 12. November 1943 noch zwölf Vortragsnachmittage veranstaltet.
Wegen der an sich fälligen Neuwahlen schrieb Präsident Gährs schon am 28. Februar 1941 an
Finanzminister Popitz, „daß die gegenwärtige Kriegszeit es angezeigt erscheinen läßt, diese
Wahlen vorläufig auszusetzen". Dem stimmte Popitz zunächst befristet bis Anfang 1942 zu. Ob
er dafür auch die Zustimmung Görings herbeiführte, ist nicht festzustellen. Am 2. Februar 1942
entschloß sich der Finanzminister endlich, Neuwahlen überhaupt „bis zur Beendigung des
Krieges weiter aufzuschieben"70.
Die letzte Gesamtsitzung und wohl auch der letzte Jahresbericht der Akademie des Bauwesens
trägt das Datum vom 21. Januar 1943. Präsident Gährs beklagte darin den Tod von 17
Mitgliedern, unter ihnen auch von Behrens, Dörpfeld und Schaper. Die erforderlichen Vorbereitungen für Neuwahlen sollten für Ende 1943 getroffen werden, wenn satzungsgemäß erneut
ein Drittel der Mitglieder ausscheiden mußte. Auf Wunsch des Generalbauinspekteurs für die
Reichshauptstadt Berlin wurde die Aufstellung einer Grabstättenkartei von Berliner Baufachleuten durch die Akademie beschlossen; als Bearbeiter wurden Geßner, Rüster und Hertwig
benannt. Inzwischen waren noch drei weitere Bände des Schinkel-Lebenswerkes erschienen,
nämlich „Schlesien" von Günther Grundmann, „Berlin I" von Paul Ortwin Rave und „Bauten
für den Prinzen Karl" (= Glienicke und das Ordenspalais) von Johannes Sievers; weitere Bände
standen unmittelbar vor dem Abschluß.
300
Abb. 6:
Vortragszimmer im Preußischen
Finanzministerium / Sitz der
Akademie des Bauwesens,
ein Festraum aus der Schinkelzeit (früher im abgebrochenen
Weydinger-Haus, Unterwassergasse 5)
(Foto: Reprographie der
Freien Universität Berlin)
Im Jahre 1944 wurde das Büro der Akademie im Preußischen Finanzministerium (Abb. 6 u.
Titelbild) bei „Terrorangriffen"71 am 23. Mai nahezu zerstört; Brände vernichteten die meisten
Unterlagen, die heute noch über die Tätigkeit der Akademie hätten Auskunft geben können.
Eine Ausnahme bilden Registraturreste aus den Jahren 1944/45, die nach Kriegsende ins
Geheime Staatsarchiv gelangt sind, ferner die zumeist eigenhändig ausgefüllten, „in besonderer
Verwahrung" befindlichen72 Personalbögen der Akademie-Mitglieder. Sie stellen eine unersetzliche, bisher kaum genutzte Quelle zur preußischen Baugeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, speziell ihrer Architekten und Ingenieure, dar; aus der Vielzahl bekannter Namen seien
wenigstens die folgenden als Beispiele genannt: Peter Behrens, Wilhelm Cauer, Wilhelm
Dörpfeld, Otto v. Falke, Ed. Fürstenau, Wilhelm Kreis, Max Leibbrand, Werner March, Paul
Mebes, Oskar v. Miller, Hermann Muthesius, Bruno Paul, Hans Poelzig, Gottwalt Schaper,
Paul Schmidthenner, P. Schultze-Naumburg, Franz Schwechten, Albert Speer, Heinrich Tessenow, Paul Wittig usw.73
Die neu angelegten Sachakten der Akademie zeugen besonders im ersten Halbjahr 1944,
solange Professor Popitz als Preußischer Finanzminister und Chef der Staatshochbauverwaltung noch im Amt war, von dessen unablässigem Bemühen, den Druck des zweiten Bandes von
Geyers Monographie über das Berliner Schloß, vor allem aber den des Schinkel-Werkes
voranzutreiben74. So heißt es noch in seinem Schreiben vom 6. Juni 1944 an den Deutschen
Kunstverlag, dem er versichert, daß er es auch weiterhin nicht an der nötigen finanziellen
Unterstützung fehlen lassen wolle: „In einer Zeit, die so manches Werk Karl Friedrich
Schinkels geschädigt oder schon vernichtet hat und weitere mit Vernichtung bedroht, ist es
301
doppelt wichtig, das Wirken dieses großen Künstlers wenigstens durch vorbildliche Veröffentlichungen der Nachwelt zu überliefern"75. Einen Monat später wurde er wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen Hitler (20. Juli 1944) verhaftet und später hingerichtet76, sein
Ministerium, das letzte preußische Fachressort, aufgelöst bzw. dem Reichsfinanzministerium
angegliedert. So hat Popitz den Druck, wenigstens des Pommern-Bandes von Hans Vogel, der
dank seiner steten Förderung 1952 noch als erster nach dem Kriege erscheinen konnte, nicht
mehr erlebt.
Im letzten Rundbrief an sämtliche Mitglieder der Akademie des Bauwesens vom 27. Dezember
1944 wird unter Hinweis auf Fliegerangriffe, Mangel an geeigneten Räumlichkeiten usw.
lediglich mitgeteilt, „daß sich bisher keine Möglichkeiten gefunden haben, Sitzungen anzuberaumen oder Vortragsnachmittage zu veranstalten". Ferner heißt es darin: „Durch die Auflösung des Preußischen Finanzministeriums hat sich an der rechtlichen Stellung der Akademie
des Bauwesens insofern nichts geändert, als daß sie ebenso, wie die Hochbauabteilung des
Preußischen Finanzministeriums, an das Reichsfinanzministerium übergegangen ist"77.
Verschwiegen wird in diesem Rundbrief, daß Präsident Gährs im Oktober 1944 „die Geschäfte
des Präsidenten niedergelegt" und sich aufsein Gut Sellin im Regierungsbezirk Köslin (Hinterpommern) zurückgezogen hatte78. Statt dessen heißt es nur, daß der Vizepräsident der Akademie und Berliner Architekt, Professor A. Geßner, ehemals Vorsitzender des Landesbezirks
Brandenburg im Bund deutscher Architekten (BDA), „durch die Abwesenheit des Herrn
Präsidenten von Berlin" die Geschäfte „bis zu seiner Rückkehr übernommen" habe 7 '.
Doch Geschäfte fielen kaum noch an. Abgesehen von Glückwunschschreiben zu besonderen
Geburtstagen 80 oder Kondolenzen zum Tod einzelner Mitglieder und der üblichen Korrespondenz über kriegsbedingte Anschriftenänderungen, ruhte die Tätigkeit der Geschäftsstelle der
Akademie, die sich bis zuletzt im stark beschädigten, heute wiederhergestellten Gebäude des
Preußischen Finanzministeriums in Berlin-Mitte, Am Festungsgraben 1 (hinter dem Kastanienwäldchen), befand81. Anders als ihre beiden älteren Schwestern, die Akademie der Künste
und die Akademie der Wissenschaften, erfuhr die Akademie des Bauwesens m. W. nach 1945
keine Neubelebung mehr. Ihre Aufgaben nehmen heute die verschiedensten Gremien in Ost
und West wahr.
Anschrift des Verfassers: Archivoberrat Dr. Eckart Henning M. A., Lückhoffstraße 33, 1000 Berlin 38
1
2
3
4
5
6
7
Vgl. Gesetz-Sammlung für die kgl. preußischen Staaten (= GS), 1880, S. 261 f.; Zentralblatt für die
gesamte Unterrichtsverwaltung 1882, S. 331-333.
Die Akademie ist nicht zu verwechseln mit der 1799 gegründeten Bauakademie als Vorläuferin der
Technischen Hochschule Charlottenburg (1879) bzw. der Technischen Universität Berlin (1946).
Begründet durch die Verordnung über die obere Verwaltung des Bauwesens vom 22. Dezember 1849;
vgl. GS, 1880, S. 15. Als ideelle Vorläuferin der Akademie des Bauwesens nahm jedoch Präsident Gährs
im Jubiläumsjahr 1930 (s. d.) die von Beuth begründete ältere technische Deputation in Anspruch,
deren Geist die Akademie fortsetze, obgleich sie eigentlich Nachfolgebehörde dieser 1850 eingesetzten
Baudeputation sei.
Bis September 1876.
Bis 1875 fungierte die Deputation auch als Kuratorium der Bauakademie.
Zit. nach dem Bericht über die Feier des fünfundzwanzigsten Bestehens der Königlichen Akademie des
Bauwesens; in: Zentralblatt der Bauverwaltung (= ZB) 25 (1905), S. 537-539; hier S. 538.
Votum des Abgeordneten Reichersperger; in: Stenographische Berichte der Verhandlungen des Hauses
der Abgeordneten, 20. Sitzung vom 6. Dezember 1879, Berlin 1880, S. 484. Im Kontrast zum deutschen
Ausbildungssystem, das man als allzu bürokratisch und theoriebetont empfand, empfahl R. die
Nachahmung des in England überlieferten Systems der Meisterschulen und deren empirische Ausbildung.
302
8
Erst der Erlaß des Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 13. September 1881 bezeichnete diejenigen
Bauunternehmungen, die unbedingt der Beurteilung der Akademie unterworfen werden sollten, sowie
diejenigen, bei denen das nur der Fall sein sollte, wenn die Kosten 750 000 Mark übersteigen würden,
vgl. ZB 1 (1881), S. 247.
9
Vgl. den Jahresbericht der Akademie des Bauwesens; in: ZB 2 (1882), S. 239 f.
10
Die Akademie des Bauwesens blieb von 1880 bis 1920 der Fachaufsicht des Ministers der öffentlichen
Arbeiten unterstellt.
11
Zit. nach dem Bericht über die Feier zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen, a.a.O., S. 538. Über
Maybach vgl. Friedrich Jungnickel: Staatsminister Albert von Maybach, Stuttgart und Berlin 1910.
12
ZB 25, 1905, S. 538 f.
13
ibd.
14
Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung 41 (1880), S. 212-215. Diese Instruktion galt mit
einigen Abänderungen des Ministers vom 3. November 1899 bis 1922.
15
Wobei der Präsident zugleich Dirigent einer Abteilung sein konnte, was zur Regel wurde.
16
Die Königliche Akademie des Bauwesens 1880-1905, Berlin 1905.
" Die kgl. preußische Akademie des Bauwesens und die bauliche Entwicklung der Stadt Berlin; in:
Deutsche Bauzeitung 32 (1898), S. 301.
18
Für die Weiterentwicklung wurde später der Deutsche Ausschuß für Eisenbeton gegründet.
" Im ZB 1 (1881), S. 366, wird ein Akademie-Beschluß über die Veröffentlichung ihrer Berichte und
Arbeiten erwähnt, wonach die Akademie sie von Fall zu Fall „in den ihr geeignet erscheinenden Fällen"
beim Minister der öffentlichen Arbeiten beantragen soll.
20
ZB 25 (1905), hier S. 539.
21
ibd., S. 537.
22
ibd., 27 (1907), S. 68.
23
Abb., ibd., 29 (1909), S. 171. Die Medaille ist das Ergebnis eines Preisausschreibens der Akademie vom
10. Januar 1908 (vgl. ZB 28 [1908], S. 13), zu dem 132 Modellskizzen von 119 Künstlern eingegangen
waren, die vom 16. bis 26. April 1908 im Kunstgewerbemuseum ausgestellt wurden (ibd., S. 217). Diese
Medaille der Akademie ist nicht identisch mit der von ihr schon 1880 begutachteten, durch Allerhöchsten Erlaß vom 13. Juni 1881 geschaffenen Medaille, die ursprünglich in Gold durch den Kaiser, in
Silber durch den Minister der öffentlichen Arbeiten verliehen wurde. Erst seit den dreißiger Jahren
dieses Jahrhunderts wird diese letztere Medaille als „Medaille der Akademie" bezeichnet (vgl. ZB 2
[1882], S. 240).
24
Diesen Brauch behielt man übrigens auch während der Weimarer und in der Hitler-Zeit bei.
25
Die Festvorträge wurden zumeist im Zentralblatt der Bauverwaltung abgedruckt und spiegeln das
hervorragende Niveau dieser Veranstaltungen wider.
26
ZB 29 (1909), S. 163, und 169-171.
21
ibd., 36 (1916), S. 181 f.
28
Eingabe Siebolds (Bethel), vgl. ibd., 39 (1919), S. 526.
25
ibd., 40 (1920), S. 527.
30
ibd., S. 292.
31
ibd., S. 169.
32
Veröffentlicht in: ZB 41 (1921), S. 165.
33
ibd.,S. 161.
34
ibd., S. 473; vgl. auch Gutachten, ibd., 42 (1922), S. 169 f.
35
ibd., S. 143.
36
Veröffentlicht im Deutschen Reichs- und Preußischen Staatsanzeiger Nr. 159 vom 21. Juli 1922; vgl.
auch ZB 42 (1922), S. 387.
37
Entsprechend galt der Festvortrag Kicktons der Wiederherstellung eines nationalen Symbols, der
Marienburg.
38
ZB 42 (1922), S. 155.
35
ibd., 43 (1923), S. 152.
40
ibd., 45 (1925), S. 145. Vgl. Karl Friedrich Schinkel, Katalog zur Ausstellung der Staatl. Museen zu
Berlin im Alten Museum 23. Oktober 1980 - 29. März 1981, bearbeitet von Gottfried Riemann,
Berlin(-Ost) 1980, S. 147-152.
41
ZB 46 (1926), S. 240.
42
W. erhielt im gleichen Jahre auch die Medaille der Akademie; vgl. ZB 46 (1926), S. 147.
43
ibd., 47 (1927), S. 153.
303
44
ibd., 48 (1928), S. 215.
ibd., 47 (1927), S. 341.
ibd., 49 (1929), S. 209; die Veröffentlichung der Preisaufgabe folgte in der nächsten Nummer der
Zeitschrift (= S. 232); vgl. auch S. 785.
47
W. Gehler: Das Wesen und die Formung des Eisenbetons; in: ZB 48 (1928), S. 784. Ein Auszug der
preisgekrönten Wettbewerbsarbeit von Alwin Weiß (Berlin-Spandau) findet sich in der Zeitschrift für
Bauwesen 81 (1931), S. 1-28: Über Gestaltung von Eisenbetonbauten.
48
50 Jahre Akademie des Bauwesens 1880-1930, Berlin 1930, 75 Seiten.
49
Zur Verfügung standen der Akademie bis 1930 nominell die Eytelwein-Stiftung (1832), die Hagen-Stiftung (1870), die Ende-Stiftung (1907) und die Havestadt-Stiftung (1909). Sie waren jedoch durch die
Inflation praktisch erloschen.
50
Sämtliche Zitate, die die Festsitzung betreffen, aus dem Bericht: Fünfzig Jahre Akademie des Bauwesens; in: ZB 50(1930), S. 345, m. Abb. der Goldenen Medaille (des Bildhauers Erwin Scharff, Berlin),
mit Ansprache des Präsidenten Gährs (S. 346-348) und dem Festvortrag von Martin Kießling:
Staatsgedanke und Baukunst (S. 349-353).
51
ZB 51 (1931), S. 208.
52
ibd., 52 (1932), S. 178.
53
ibd., S. 361-365.
54
ibd., 54 (1934), S. 182.
55
ibd., 55 (1935), S. 297-316; hier S. 316.
56
ibd., S. 259 f.
57
An der Fortsetzung durch Kühn/Peschken/Wiesinger wird noch gearbeitet.
58
Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (= GStA), Rep. 151, Nr. 3529.
59
ZB 56 (1936), S. 156. Vgl. dazu auch Johannes Sievers: Aus meinem Leben. Als Ms. vervielfältigt, Berlin
1966, S. 398 ff. u. M. Kühn im Vorwort zu G. Peschken: Das Architektonische Lehrbuch. München
1979, S. 1 ff. (= Schinkel-Lebenswerk III, 1).
60
GStA, Rep. 151, Nr. 3469, Bl. 5 der Denkschrift.
61
ibd., Nr. 3529.
62
Besonders gedrucktes Gutachten in: Rep. 151, Nr. 3530.
63
Es war beabsichtigt, es zu Schinkels 100. Todestag am 9. Oktober 1941 fertigzustellen.
64
E. Henning: In memoriam Dr. Franz Jahn; in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 75
(1979), S. 106-110.
65
GStA, Rep. 92 Jahn, Nr. 5, enthält u.a. Sitzungsbericht der Akademie des Bauwesens vom 21. November 1941.
66
Aus der Tätigkeit der Preußischen Staatsbauverwaltung in Pommern (1770-1809), bearbeitet von
E. Henning auf der Grundlage eines amtlichen Berichtes von Franz Jahn; in: Baltische Studien N.F. 66
(1978), S. 41-65.
67
ibd., S. 51 ff. Vgl. künftig auch den 1940 für die „Pommerschen Lebensbilder" von Franz Jahn
geschriebenen Abriß über David Gilly (1745-1808), hrsg. und für den Druck bearbeitet von E. Henning; in: Baltische Studien N.F. 66 (1980), S. 80-94, m. 16 Abb.
68
GStA, Rep. 151, Nr. 3531, und Rep. 92 Jahn, Nr. 60; vgl. auch Nr. 69.
69
GStA, Rep. 92 Jahn, Nrn. 61 ff., 70-71.
70
GStA, Rep. 151, Nr. 3529.
71
GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 4.
72
Vgl. Schreiben von Regierungsbaurat i.R. Bartsch an das Berliner Hauptarchiv vom l.Juni 1951
(=Tgb. Nr. 707/51).
73
Ihre Benutzung im Forschungssaal des GStA ist prinzipiell frei, sofern das gesuchte Mitglied mindestens seit 30 Jahren tot ist.
74
GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 64.
75
ibd., Bl. 105.
76
Über Popitz vgl. Hans Herzfeld: Johannes Popitz. Ein Beitrag zum Schicksal des deutschen Beamtentums; in: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festschrift für Fritz Härtung, Berlin 1958, S. 345-365,
und für die frühere Zeit Hildemarie Dieckmann: Johannes Popitz. Entwicklung und Wirksamkeit in
der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1960 (= Studien zur europäischen Geschichte, 4). Die
Verdienste von P. um die Bauverwaltung (1932-1944) würdigt ein bisher unveröffentlichtes Manuskript
seiner ehemaligen Mitarbeiter, Min.-Dir. a. D. Reck und Min.-Dirigent Dammeier: „Minister Popitz
und die Preußische Staatshochbauverwaltung" (6 Maschschr.-S.) (= GStA, Rep. 151, Nr. 13 755).
45
46
304
77
78
79
80
81
GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 33.
ibd., Bl. 52.
ibd., Bl. 33.
Die letzte Amtshandlung, die der Verf. in den noch überlieferten Akten der Rep. 210, Nr. 4, Bl. 97,
feststellen konnte, war ein Glückwunschschreiben des stellvertretenden Präsidenten Geßner an den
Geh. Baurat Prof. Dr. Th. Rehbock zum 12. April 1940, gezeichnet am 3. April und gefertigt am 8. April
1945.
GStA, Rep. 210, Nr. 4, Bl. 92.
„Man hat nicht sehr strenge sein dürfen"
Wildwuchs im Berliner Elementarschulwesen des 18. Jahrhunderts
Von Gerhard Krienke
Berliner Eltern, die Wert darauf legten, daß ihr Kind lesen, schreiben, vielleicht auch rechnen
lernte, hatten im 18. Jahrhundert die Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten:
Sie konnten es in eine der zahlreichen „teutschen Privatschulen" schicken. Dies waren in der
Regel Einlehrerschulen, in denen Kinder verschiedenen Alters und Leistungsstandes gleichzeitig unterrichtet wurden. Das Schulgeld war je nach Unterricht im „Buchstabieren", Lesen,
Schreiben, Schreiben mit Rechnen gestaffelt und seit 1738 durch feste Sätze begrenzt. Seit dem
gleichen Jahre 1 war die Gründung solcher Schulen an gleichmäßige Voraussetzungen gebunden; die kirchlichen Stellen und der Magistrat waren beteiligt geworden: „Es muß sich niemand
des Schulhaltens eigenmächtig anmaßen, sondern ein jeder bei dem Inspectore und den
Predigern des Kirchspiels, wo er Schule halten will, sich melden, von ihnen sämmtlich examiniert werden, und wenn er tüchtig befunden, auch deshalb ein schriftliches Testimonium
erhalten, respektive sich dem evang.-reformirten Kirchen-Directorio und Magistrat allhier
sistiren, und Confirmation suchen." Wo die Schule einzurichten sei, war, um eine möglichst
gleichmäßige Verteilung dieser kleinen Unterrichtsgelegenheiten zu sichern, „mit den Predigern
des Kirchspiels zu überlegen". Zeit und Dauer des Vor- und Nachmittagsunterrichts waren für
das ganze Stadtgebiet einheitlich festgesetzt. Einige störende Gewohnheiten allerdings ließen
sich damals zwar tadeln, aber schlecht reglementieren: die üblichen Unterrichtsmethoden, die
Abwerbung von Kindern anderer Schulen, sehr unregelmäßiger Besuch des Unterrichts,
vorzeitige Beendigung des Schulbesuchs, Wechsel der Schulen aus unzureichenden Gründen,
zuweilen nur nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Schulmeister oder des Schulgeldes
wegen: weil sie es „dem ersteren schuldig geblieben und damit ihm entwischen wollen".
Die Eltern hätten aber auch andere Gelegenheiten nutzen und ihr Kind einer Parochialschule
zuführen können. Berliner Kirchengemeinden hatten für Schulen gesorgt, in die neben Schulgeld zahlenden Kindern auch Unbemittelte aufgenommen wurden. So erhielten z. B. im Jahre
1749 in den Schulen der Dreifaltigkeitskirche etwa 200, in denen der Jerusalemskirche (beide in
der Friedrichstadt) um 300 Kinder kostenlosen Unterricht2. In der erstgenannten Parochie war
bereits einige Jahre davor ein anderer Fortschritt erzielt worden: Einrichtung getrennter
Klassen für jüngere und ältere Schüler, den Berlinern mit wenigen einfachen Worten zur
Kenntnis gebracht: Der „Jugend zum Vortheil" werde „eine jede Gattung besonders abgewartet". „Jetzo wohnen zwey und zwey Schulhalter beysammen, künftig werden sie noch näher
zusammen rücken."3 Die Schulverhältnisse der Berliner Parochien waren allerdings keineswegs
305
einheitlich. Die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für Initiativen, für die Verpflichtung von Lehrkräften, Bereitstellung von Schulräumen, Beschaffung von Geld für den Unterricht Unbemittelter differierten stark.
Unentgeltlicher Unterricht wurde auch in den - zuletzt 16 - vom Armendirektorium abhängigen Armenschulen erteilt. Die meisten wurden zwischen 1779 und 1781 mit den Parochialschulen vereinigt. Sie hatten, angewiesen auf Stiftungen, Zuwendungen und Spenden jahrzehntelang eine wichtige Aufgabe erfüllt. Mitte des Jahrhunderts war ihre Zentralisierung erwogen,
dann aber verworfen worden: Der Schulbesuch würde dadurch unregelmäßig, die Kinder
würden ermüdet und wenig aufmerksam sein, „der Gefahr nicht zu gedencken, welche den
Kindern und den vielen hin- und herfahrenden Kutschen und Wagen alhier und der daher
entstehenden Reitzung, die Schulen zu verabsäumen, verursacht werden könnte. Denn es sind
einige Kinder, welche mitten aus der Wilhelms-Strasse, aus der Dorotheenstadt und daselbst
aus der letzten Strasse solche Frey-Schulen besuchen. Einige derselben wohnen am äussersten
Ende der Spandauer Vorstadt und am Oranienburger Thore, noch andre am Ende der
Landsberger Strasse in der Königs-Vorstadt, andre am Ende der langen Gasse vor dem
Stralauer Thore, ja auf dem Holzmarckt, andre in der Köpenicker Vorstadt. Wenn nun ein
grosser Mensch von solchen Enden dieser weitläuftigen Stadt bis zum Mittel-Punct derselben
(man mag ihn annehmen, wo man will) bey einem ziemlich geschwinden Gange dennoch eine
halbe Stunde zubringen muß: so kan man sich leicht vorstellen, daß ein kleines Kind, welches
ohndem auf dem Wege zur Schule sich gern abhalten lasset, sich wol eine Stunde lang darauf
aufhalten werde; welches beym zweymaligen Besuch der Schule durch hin- und hergehen vier
gantze Stunden ausmachen würde. Wobey noch die Unbequemlichkeit des Weges bey übeler
Witterung, sonderlich im Winter, eine grosse Hinderniß zu verursachen pflegt."4
Gegen Ende des Jahrhunderts konnten Berliner ihre Kinder auch „Arbeitsschulen" und
„Erwerbsschulen" zuführen. Für Berliner Soldatenkinder gab es einige besondere Gelegenheiten.
Wurde für Einrichtungen, die dem Bereich des Elementarschulwesens angehörten, eine Sammelbezeichnung gewählt, dann begegnen wir verhältnismäßig oft dem Ausdruck „deutsche"
Schule. Er wurde meist sachlich, zuweilen aber auch im abwertenden Sinne gebraucht5.
Nur Teile einiger dieser verschiedenen Schulgruppen Berlins boten für später, für das 19. Jahrhundert, Ansatzstellen der Entwicklung zum Institutionellen, zu „dauerhaften sozialen Gebilden"6.
I
Besonders labil war die Existenz der „teutschen Privatschulen". Sie hing im wesentlichen ab von
der Fähigkeit des Schulmeisters, eine zureichende Anzahl zahlender Schüler zu gewinnen, sich
das Wohlwollen der Eltern zu erhalten und die Konkurrenz abzuwehren. Die Abwehr wurde
erschwert durch „Winkelschulen", deren Schulhalter kein „Testimonium" erworben, keine
Konzession beantragt und keine Abrede über „Gasse und Gegend" getroffen hatten. Der
Magistrat suchte zwar die Interessen der konzessionierten Schulmeister zu wahren und es zu
verhindern, daß Konkurrenten, die sich nicht an die Regeln hielten, ihnen „ihr Brodt benahmen"7. Es war jedoch nicht immer zweckmäßig,rigorosvorzugehen. Sachliche Erfordernisse
und persönliche Umstände mußten berücksichtigt werden. Die Akten darüber vermitteln zwar
keine statistisch auswertbaren Kenntnisse des Berliner Winkelschulwesens, geben aber einige
Einblicke in die Verhältnisse und den Personenkreis. Unter diesem Gesichtspunkt werden die
folgenden Beispiele ausgewählt8.
306
Dem Ernst Gottfried H., verheiratet, in der Dragonerstraße, „in Baltzers Behausung", also zur
Miete, wohnend, war verboten worden, weiterhin Schule zu halten. Er bat den Magistrat, seine
bedrängte Lage zu berücksichtigen. Er sei ein „alter schwacher Mann" und könne sich und seine
Frau „nicht anders als durch die feder in Rechnen und schreiben ernehren". Er habe sich auf
Zuraten seiner Nachbarn des Schulhaltens angenommen, „dieselbe haben auch ihre Kinder
mier freywillig zur Schulen geschickt ohne mein Bitten". Ein Jahr habe er bereits als ein
ehrlicher Mann unterrichtet, „so daß über mich keine Klage sein wird". Während bei seiner
verstorbenen Kollegin Mathesen über 80 Kinder zur Schule gegangen seien, betrage seine
Schülerzahl nur 20, „und ich also dehnen andern Schulhaltern wenig abtrag thue". Die meisten
Schüler seien Soldaten- und Tagelöhnerkinder, für die wenig Schulgeld einkomme. Nachdem
ein Prediger bescheinigt hatte, daß H. nur eine bereits früher bestehende Schule weiterführe,
erlaubte es ihm der Magistrat, „die in der Königs Stadt in der Dragoner Straße bereits angelegte
Privat-Schule fortzusetzen, wobey derselbe aber angewiesen wird, sich nach dem wegen der
Teutschen Privat-Schulen unterm 16t. Octbr. 1738 publicirten Reglement überall zu achten"9
(1755).
Der ehemalige Bierschenker L., „Bürger und Eigenthümer in der Sand Gasse vorm Königs
Thor", wehrte sich besonders zäh. Ihm war 1771 Gefängnis angedroht worden, wenn er sich des
Schulhaltens nicht begebe. Er teilte daraufhin dem Magistrat mit, daß er um Erlaubnis beim
Oberkonsistorium nachgesucht habe, und bat, ihn „bis zum Austrag der Sache" unterrichten zu
lassen. Der Magistrat nach drei Tagen: „Es bleibt bey ihm erteilten Decrete." Nachdem das
Oberkonsistorium inzwischen auch die Eingabe einiger Eltern erhalten hatte, forderte es
Bericht an und entschied, daß der Magistrat den L. „zur Ruhe weisen" solle. Die Angelegenheit
ging friedlich aus. Schulhalter L. ließ sich prüfen und übernahm, etwa zwei Jahre nach Beginn
des Streits, eine Parochialschulstelle. Auch seine Witwe wurde später als Schulhalterin genannt.
Sie hatte die Erlaubnis erhalten, einige kleine Kinder bis zum Lesen zu unterrichten10.
Anna Helene B., Frau eines ehemaligen Feldwebels, späteren Kastellans am Joachimsthalschen Gymnasium, späteren Akziseeinnehmers in Joachimsthal, machte bei ihrer Vernehmung
(1791) geltend: Mit ihrem vom Schlage getroffenen Mann sei sie wieder nach Berlin gezogen
und habe angefangen zu unterrichten, was sie übrigens früher „mit Erlaubnis" auch schon getan
hätte, um das Familieneinkommen aufzubessern. Die Eltern der Schüler wären mit ihr zufrieden. Ihr wurde „in Betracht der von ihr ad Protocollum angezeigten Umstände" der Unterricht,
eingeschränkt auf Mädchen bis zu 11 Jahren, erlaubt, „widrigenfalls derselben alles Schulhalten gäntzlich untersagt werden soll".
Maria Catharina K., Witwe, die noch eine 89jährige Mutter ernähren mußte, wurde gleichfalls
in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. Sie durfte nur noch in weiblichen Handarbeiten unterrichten.
Die Knaben, die angeblich nur zum „Stillesitzen" in ihre Schule geschickt worden seien und
denen sie etwas „Buchstabieren" beigebracht habe, wurden ihr entzogen, „weil letzteres nur ein
Vorwand zu seyn scheinet und zum Mißbrauch Anlaß geben kann" (1791).
Auf Handarbeiten wurde auch der Unterricht bei Maria Henriette A. reduziert, die sich darauf
berufen hatte, „von Jugend auf bey adelichen Herrschaften Kinder unterrichtet" zu haben und
daß „ich keine andere Art mich zu ernähren weiß, indem ich zu alt bin, um bey Herrschaften
unterkommen zu können" (1791).
Das Winkelschulwesen nahm einen beachtlichen Umfang an, doch läßt sich nicht in allen
Fällen feststellen, was gegen unerlaubtes Schulehalten unternommen wurde. Oft finden sich in
Erhebungen und Anzeigen nur Hinweise in kurzer Form: auf einen Mann, „ist ehedem
Verwalter gewesen"; auf „eine Person, so einen Schneider Gesellen zum Mann hat, der Mann
arbeitet auf die Profession und die Frau hält Schule"; auf die „alte Frau" T. in der Rosenthaler
307
Straße; die „Frau Seh." am Schönhauser Tor; den Unteroffizier St. in der Schönhauser Straße,
„welcher denen concessionirten Schulhaltern die Kinder aus ihren Schulen lockt und mit ihnen
Commödien und andere Spiele vornimmt, wodurch erstere sehr verlieren".
Es war bereits erwähnt worden, daß Schulhalter und Eltern sich gegen ein Verbot zu wehren
versuchten. Hier ein Beispiel einer durchaus wohlwollenden Regelung nach einer Elternbeschwerde: Propst Zöllner hatte 1794 abgeraten, einer Schulhalterin die beantragte Konzession
zu erteilen, und statt dessen die Beschränkung auf weibliche Handarbeiten empfohlen. Der
Vater einiger Schulkinder, ein Kanzleiinspektor, protestierte. Aus seinem Schreiben geht u. a.
hervor, daß er die Schulhalterin ursprünglich gegen freie Wohnung und Kost zum Unterricht
seiner eigenen Kinder angenommen und auch einen Sprachmeister sowie einen Schreib- und
Rechenmeister hinzugezogen hatte. Um die Kosten erträglich zu halten, waren auch noch
Kinder aus andern Familien beteiligt worden. Propst Zöllner hatte auf dies Schreiben hin die
Schule inspiziert und dem Magistrat berichtet, daß er die Angelegenheit nunmehr anders
beurteile: Die Inhaberin der Schule, Demoiselle Rückin, „ist von Person gebrechlich gebaut
und hat kaum größere Fähigkeiten, als erforderlich sind, kleine Mädchen im Lesen und
Buchstabiren außer weiblichen Handarbeiten zu unterrichten. In ihrer kleinen Schulanstalt
fand ich 14 Kinder, nemlich 12 Mädchen und zwei kleine Knaben von sechs oder sieben Jahren.
Alle diese Kinder waren munter und froh und hatten in der That so viele Kenntnisse, als nach
der Zeit, in welcher sie die kleine Schule besucht hatten, bei ihrem Alter zu erwarten waren. Ich
habe mich umständlich mit ihnen unterredet, und sie besaßen (wenigstens die älteren) so viele
Fertigkeit im Ausdruck und so viele Freymütigkeit, daß sie meine Fragen, durch die ich ihre
Übung im Nachdenken beurtheilen wollte, ziemlich befriedigend beantworteten." Die „Fortsetzung" der Schule möge gestattet werden, und zwar unter folgenden Bedingungen: Höchstzahl 20 Kinder; Knaben jedoch nur bis zum 7. Lebensjahr „zum Erlernen der ersten Anfangsgründe"; keine Heranziehung solcher „Nebenlehrer", „welche nicht geprüft und approbirt
sind". „Dies letztere ist eine wesentliche Bedingung." Es sei notwendig, darauf zu achten, „weil
gewöhnlich die wohlfeilsten, mithin auch schlechtesten Stundenlehrer genommen werden."
Der Magistrat entschied in diesem Sinne.
II
Nun existierten Schulen, die der erstrebten Ordnung entgegenstanden, nicht nur in Berlin. Sie
waren auch andernorts keine Novitäten. Berlin wies aber darüber hinaus im letzten Drittel des
Jahrhunderts noch eine Gruppe anderer privater Elementarschulen auf, die sich mit Erfolg
einer Reglementierung entziehen konnten: die kleinen „französischen" Schulen.
Zur Erläuterung ein kurzer Protokollvermerk: 1792 hatte der Magistrat entschieden: „Auf die
pp. Vernehmung des unbefugten Schulhalters Friseur Clavel wird demselben hiermit und bey
10 Rthlr. Strafe aller Unterricht gäntzlich untersagt, bis er die von Ein. löbl. französischen
Consistorio erhaltene Concession würklich beygebracht haben wird."
Der Friseur hatte sich auf das Französische Konsistorium berufen, ein Organ kirchlicher
Selbstverwaltung, das in Berlin seit Ende des 17. Jahrhunderts, seit den Jahren nach der
Aufnahme zahlreicher französischer Flüchtlinge reformierten Bekenntnisses, bestand. Es übte
noch ein Jahrhundert später für die „französischen Gemeinden" • • regulierende Funktionen aus
und beanspruchte auch das Recht, Personen seines Bereichs das Schulehalten zu erlauben.
Wurde eine solche Erlaubnis vorgewiesen, dann ließ der Magistrat die Schulhalter gewähren.
Eine Beeinträchtigung der andern kleinen Schulen wäre vermeidbar gewesen: Das Französische Konsistorium hätte sich bei Erteilung von Erlaubnis mäßigen und die von ihm Konzessionierten zur Rücksichtnahme auf andere Elementarschulen verpflichten müssen. Eine Zurück308
haltung dieser Art ist nicht zu bemerken. Lehrer anderer Schulen - auch von Parochialschulen
- mußten es hinnehmen, daß nun weniger „Geldkinder" - zahlende Schüler - ihre Schulen
besuchten und das Einkommen sank.
Ein Bericht über die Verhältnisse in einem nur sehr kleinen Teil der Stadt, in der Parochie der
Dreifaltigkeitskirche, führte u.a. aus' 2 : „Die meisten dieser Schulen setzten sich unter dem
Namen französische Schule an, demohnerachtet informiren sie auch im Deutschen, und kann
mit Wahrscheinlichkeit behauptet werden, daß nicht der 4te Theil von den Kindern französischer Colonie, sondern von der deutschen Gemeinde sein und also denen angesezten Schulhaltern entzogen worden." Der Schaden, u. a. auch für die sieben ParochialschuUehrer dieses
Bereichs, sei groß, „denn a) zeiget dieses der Catalogus von unsern Schulen deutlich an, da in
einigen nicht die Hälfte von der sonst gewöhnlichen Anzahl von Kindern jetzt sein, und b)
schicken die bemittelten Eltern ihre Kinder gemeiniglich in diesen Schulen, weil sie französische
Schulen heißen, ohne sich darum zu bekümmern, ob sie was lernen oder nicht, dahingegen die
armen Kinder, so kein Schul-Geld geben können, in unsere Schulen frey aufgenommen werden
müssen." Diesen Bemerkungen folgte eine Liste mit Angaben über die nach Ansicht des
Berichterstatters „unerlaubten" „Schulhalter und Demoisels" innerhalb der Parochie. Mit
einiger Wahrscheinlichkeit beziehen sich nur zwei Namen auf unerlaubte deutsche Privatschulen. Die übrigen Namen deuten auf Zugehörigkeit der Schulhalter zum Bevölkerungsteil
französischer Herkunft; Schulhalter Lecointe in der Leipziger Straße, Nähe Wilhelmstraße
(„ . . . dieser Mann ist ein gelernter Zeugmacher . . . hat jetzt an 100 Kinder in der Schule und
thut denen Schulhaltern Klee und Richter großen Schaden, er informiret deutsch und französisch"); Demoiselle Michele (Wilhelmstraße, ca. 30 Kinder); die beiden Demoiselles Juittet in
der Mauerstraße (30 Kinder); Monsieur Courjoun (Französische Straße, etwa 40 Schüler);
Monsieur Franson (Taubenstraße, etwa 50 Schüler); Demoiselle Pouvife (15 Schüler).
Auch in andern Teilen Berlins waren bis in das nächste Jahrhundert hinein Schulen dieser Art
vorhanden. Nach einer 1806 auf Wunsch des Magistrats angestellten Polizeirecherche über das
Schulwesen und die Konzessionierung der Schulhalter gab es sie in fast allen Polizeirevieren13.
Über das Einkommen dieser Schulhalter lassen sich keine zuverlässigen Angaben gewinnen. In
einer Stellungnahme zu Winkelschulen, französischen Schulen und zum Einkommen der
Schulmeister (1782) wird u. a. in folgender Weise geschätzt: „Ein bekannter Peruquenmacher
in der Juden Straße verläßt seine Profession, weil er eine französische Frau hat, weil diese
vermutlich de facto eine Schule angeleget hat, wobey er sich besser als bey sein Handwerk
stehet. Dem äußerlichen Verlaut nach soll diese Schule aus 40 Kindern bestehen. Wenn ich
annehme, daß davon 20 kleine, wo vor monathlich 16 Gr., und 20 größere vor monathlich 1
Rthlr. unterrichtet werden, so ist seine monathliche Einnahme 33 Rthlr. 8 Gr. und die jährliche
400 Rthlr., das Holtz-, Licht-, Tinten-, Papier-, Jahrmarkts- und Neujahr-Geld ohngerechnet."
Diese zeitgenössische Schätzung bezieht sich auf einen günstigen Fall und sagt über den
Verdienst der andern Schulhalter nichts aus. Über die Relation zu den „deutschen" Schulmeistern - deren Einnahmen, von einigermaßen zureichenden Beträgen bis zum Hungerlohn, in
den Akten gelegentlich genannt oder geschätzt werden - läßt sich nur allgemein etwas sagen: in
keinem einzigen bekannten Fall wurde das Einkommen des ehemaligen Perückenmachers und
seiner französischen Frau erreicht.
III
Wie urteilten damals Zeitgenossen über die Winkelschulen und die kleinen „französischen"
Schulen Berlins?
Die härteste Beurteilung stammt von Büsching, dem Direktor des Gymnasiums zum Grauen
309
Kloster: „Die Winkelschulen werden von verdorbenen Predigern und Kandidaten, von Soldaten, Handwerkern und Weibern gehalten... ein unleugbares Verderben für unsere Stadtkinder
und die ganze Stadt...'"
In den Akten „betr. die vom Kgl. Ober-Consist. erwirkte Vereinigung der v.J. 1699 ab
bestandenen besonderen Armen-Schulen... mit den Parochialschulen .. ,"15 vermerkte Sekretarius Schartow: „Die unter Einem hohen Ober-Consistorio und Kirchen-Directorio stehende
und aus einem öffentlichen Fond mit einem ansehnlichen Zuschuß aus der allgemeinen
Armen-Casse zu unterhaltende sogenannte Freyschulen leiden dadurch unendlich, daß so viele
mit dem Unterricht der Kinder ein Gewerbe treiben, die dazu so wenig autorisiret als geschult
sind. Die große Menge von Winkelschulen und die sich obgedachten approbirten Schulhaltern
auf die Thüre setzen, ziehen alle Geldkinder nach sich." Sehr schädlich sei es auch, daß „jede
Französin" sich als Schulhalterin „etablieren" könne.
Die kurzen handschriftlichen „Reflexiones über den großen Schaden, welcher durch die
Winckel- und Neben-Schulen in einer Gemeinde angerichtet wird", - vermutlich aus den
achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts stammend - sind recht konkret und geben Erfahrungen
aus dem Katechumenen-Unterricht wieder16: Diese Kinder seien gefragt worden, „in welcher
Schule sie vorher Unterricht genossen. Da erfuhr er zu seiner nicht geringen Befremdung, daß
einige in französische, andere in andere Winkelschulen, ja einige sogar bey Mädchens, welche
von den Herrschaften wegen ihrer Untreue dimittiret wären, gegangen. Manche konnten
französisch lesen, nicht aber teutsch; das Vaterunser konnten sie nur französisch beten ..."
Nachdem er die Unwissenheit in Christenlehre gekennzeichnet hatte, fuhr der Verfasser fort:
„Statt dessen wußten diejenigen, die bey Franzosen in die Schule gingen, die Gespräche aus
Peptiers Grammaire herzubeten, ohne im geringsten französisch sprechen gelernt zu haben."
„Über 30 hat er abweisen müssen, weil sie nicht einmal teutsch lesen konnten und zum Theil
schon das löte Jahr zurückgelegt hatten, und da sie schon theils als Zieh-Jungens bey den
Webern, theils als Kinder-Mädchens und Auslauffer in Diensten standen, keine Hoffnung
hatten, jemals lesen zu lernen, und waren doch 4 bis 5 Jahr in solche Klipp-Schulen gegangen ..."
Propst Zöllner machte in „Vorschlägen" vom 21. Januar 1803 darauf aufmerksam, daß bei
steigender Bevölkerungszahl Berlins und dem Mangel an Schulhäusern und „besoldeten"
Lehrern die Konzessionierung nicht sehr streng gehandhabt werden konnte: „Sowie die
Einwohner-Zahl zunahm, fanden sich Männer und Weiber, Invaliden, Friseurs u. dergl. welche
auf ihre eigene Rechnung Schulen anlegten, eine Wohnung mietheten und lehrten, was sie
konnten. Seit Errichtung des Ober-Schul-Collegii ist zwar darauf gedrungen worden, daß
niemand, ohne eine Concession zu haben, Schule halten darf; aber man hat mit Ertheilung der
Concession nicht sehr strenge seyn dürfen, weil sich keine sehr geschickte Personen zu Stellen
fanden, mit welchen kein Gehalt verbunden ist, und man zum Theil froh seyn mußte, wenn sich
hie und da einer ein Häufchen Kinder gesammelt hatte und also doch einiger Unterricht ertheilt
ward. Noch schlimmer wurde die Sache dadurch, daß die französische Colonie das Recht
behauptete, Concessionen zu Schulen zu ertheilen, worin auch deutsche Kinder unterrichtet
werden, und daß vom Militär dienstthuende und invalide Soldaten beim Schulhalten, als bei
einem unschädlichen Erwerbszweige, geschützt wurden."17
IV
Wenige Jahre später waren im Zuge der Stein-, Hardenbergschen Reformen nicht nur kommunale Selbstverwaltungsorgane entstanden; auch im Behördenaufbau und in den Prinzipien,
nach denen verwaltet werden sollte, hatte sich viel geändert. Das Schulwesen Berlins blieb
310
davon nicht unberührt. Prüfung und Konzessionierung standen nun einer 1812 gebildeten, aus
Mitgliedern des Magistrats, Stadtverordneten und Vertretern der Kirchenbehörden zusammengesetzten Schulkommission18 zu. Für sie galten Verfahrensregeln19, die Kompromisse bei
der Konzessionierung erschwerten. Auch in den etwas später einsetzenden Überlegungen und
Abwägungen darüber, wie allmählich ein stadteigenes Schulwesen aufgebaut und mit den
Parochial- und Privatschulen in wirksame Verbindung gesetzt werden könne, war für Rücksichten auf Schulgruppen, die den Aufbau behindern konnten, kein Platz. Die Nachrichten
über die Winkelschulen schwinden.
Auch die Möglichkeit, leicht und schnell „französische" Elementarschulen zu eröffnen, gab es
nicht mehr. Interessenten mußten sich den nun für alle geltenden Bedingungen und Anordnungen fügen. Das Französische Konsistorium, das sie einst großzügig konzessioniert hatte, war in
der Schulkommission durch nur einen Deputierten vertreten.
Anschrift des Verfassers: Gerhard Krienke, Herrlinghausen 35 a, 5632 Wermelskirchen 1
1
Reglement wegen der Teutschen Privatschulen in denen Städten und Vorstädten Berlin, vom 16. Oktober 1738. Zitiert nach Text in: Vormbaum, Reinhold (Hrsg.): Evangelische Schulordnungen; Gütersloh
1860-1864; Bd. III, S. 440 ff. Zur Entstehung s. Heubaum, Alfred: Geschichte des deutschen Bildungswesens seit der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts; Bd. I; Berlin 1905; Anm. zu S. 173; dort auf Quelle
hingewiesen: Geh. Staatsarchiv Rep. 47, 2 a.
2
Hecker, Johann Julius: Sammlung der Nachrichten von den Schulanstalten bey der DreifaltigkeitsKirche auf der Friedrichsstadt in Berlin wie auch von gegenwärtiger Verfassung derselben ... Berlin
1749. Christian Friedrich Henning. S.4 (Anm.).
3
wie Anm. 2; S. 18.
4
Rauch, W. L.: Der Zustand der zwölf freyen Armen-Schulen... Bey dem Anfang des 1747ten Jahres...
gebührend vorgelegt ... Berlin, gedruckt mit Michaelischen Schriften; S. 4.
5
Stadtarchiv Rep. 7309 (nach der im Jahre 1958 gültigen Signatur): Bericht Bünemanns an den Magistrat (betr. Aufschrift des nur kurze Zeit bestehenden Friedrichstädtischen Gymnasiums, die zur
Verwechslung mit einer „deutschen" Schule Anlaß gebe, dadurch die Schüler kränke und sie der
„hochmütigen Verachtung" anderer Schüler aussetze).
6
Definition nach Schelsky, Helmut: Zur Theorie der Institution. Düsseldorf 1970; S. 8.
7
Nach Stadtarchiv Rep. 13552.
8
Einige Beispiele auch in: Rittershausen, Dietrich: Beiträge z. Geschichte des Berliner Elementarschulwesens. Von der Reformation bis 1836. In: Märkische Forschungen; IX. Band; Berlin 1865.
9
Stadtarchiv Rep. 13552. die folgenden Beispiele ebenda bzw. Rep. 7062.
10
Stadtarchiv Rep. 7062.
" Vgl. Nicolai, Friedrich: Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller
daselbst befindlicher Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend; 3. Aufl.; Bd. 2; S. 614-617.
12
Stadtarchiv Rep. 7062; undatiert; zwischen Aktenblätter des Jahres 1782 eingeheftet und inhaltlich zu
andern Schriftstücken dieses Jahres gehörend.
13
Stadtarchiv Rep. 27061.
14
Aus Büschings Bericht vom 29.12.1768; abgedruckt in: Clausnitzer, Eduard: Die Volksschulpädagogik Friedrichs des Großen und der preußischen Unterrichtsverwaltung seiner Zeit; Halle 1902;
S.105/06.
,s
Stadtarchiv Rep. 7062.
16
Gezeichnet „N"; Name nicht mit Sicherheit festzustellen; Stadtarchiv Rep. 7062.
17
Stadtarchiv Rep. 26975.
18
Wegen der besondern Berliner Verhältnisse statt der in der Städteordnung von 1808 vorgesehenen
Schuldeputation gebildet (Reskript des Departements für den Cultus und öffentlichen Unterricht vom
27.4.1812); mit Wirkung vom 1.8.1829 „Schuldeputation".
" Reglement für die Privat-Lehr-und Erziehungsanstalten zu Berlin vom 28.5.1812; Näheres in: Bericht
über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1829 bis incl. 1840. Hrsg. von den Stadt. Behörden;
Berlin 1842.
311
Nachrichten
Um den Berliner Stadtkern
Im Gebiet der Spandauer, Rathausstraße und Poststraße, im alten Kern Berlins, wird in den kommenden
Jahren ein städtebauliches Ensemble historischer und neuer Bauten entstehen. Mittelpunkt dieses Projektes ist die Nikolaikirche, die in ihrer äußeren Form originalgetreu wieder aufgebaut wird. Ringsum sollen
dann historische Häuser angesiedelt werden, die einst auf der Fischerinsel standen, ferner die ehemalige
Gerichtslaube (jetzt im Park Babelsberg) und das historische Gasthaus „Zum Nußbaum". Nach alten
Vorlagen wird auch das Ephraimsche Palais wieder erstehen. Neben 796 Wohnungen werden im Bering
der Nikolaikirche auch Ladengeschäfte, Einrichtungen für Dienstleistungen usw. vorgesehen. In diesem
Zusammenhang sind ein Friseur-Museum und eine Apotheke mit historischer Abteilung von Interesse.
SchB.
300 Jahre Friedrichs-Werdersches Gymnasium
1931 feierte das Friedrichs-Werdersche Gymnasium im Landwehrkasino mit etwa 100 Beteiligten sein
250jähriges Bestehen. Vom Großen Kurfürsten war es auf der Spreeinsel, dem Friedrichs-Werder,
gegründet worden. Von 1908 an stand die Schule in der Bochumer Straße in Moabit. Dort wurde sie etwa
1935 unter Hitler wegen zu kleiner Schülerzahl gestrichen. Die Akten des Hauses und die Gedenktafeln der
Jahrhunderte liegen im Archiv der Georg-Herwegh-Schule in Hermsdorf. Es müßte sich einer der letzten
ehemaligen Werderaner finden, der die Einberufung zu einer Jubiläumsfeier veranlaßte und die Gaststätte, die wohl kein Saal zu sein braucht, bestimmte. Der vielleicht älteste Ehemalige, Studienrat i. R. Paul
Sohst, Wohnstift Otto Dibelius, Hausstockweg 57, 1000 Berlin 42, Telefon 7498401, kann sich die
Organisation eines solchen Treffens nicht mehr zumuten. Als Helfer fungiert der Schriftführer des Vereins
für die Geschichte Berlins, gegründet 1865, Dr. H. G. Schultze-Berndt, Artuswall 48, 1000 Berlin 28,
Telefon 4 0142 40, der auch Anschriften entgegennimmt.
SchB.
Von unseren Mitgliedern
Am 30. November 1980 ist Frau Professor Dr. Irmgard Wirth, die erste Direktorin des 1967 gegründeten
Berlin-Museums, in den Ruhestand getreten. Im Rahmen einer feierlichen Abschiedsstunde hat der
Senator für kulturelle Angelegenheiten, Dr. D. Sauberzweig, Frau Professor Wirth das ihr vom Bundespräsidenten verliehene Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
überreicht und ihre Verdienste gewürdigt. Diese seien ihr auch an dieser Stelle gedankt. Daß alle Pläne zur
Errichtung eines zweiten Hauses in Erfüllung gehen und Frau Dr. Wirth Gesundheit und Schaffensfreude
erhalten bleiben, damit sie sich auch künftig ihren Forschungen und ihrer literarischen Tätigkeit widmen
kann, ist unser aufrichtiger Wunsch.
SchB.
*
Unser Mitglied Harry Ristock, ehemaliger Senator für Bau- und Wohnungswesen, ist zum Ehrenmitglied
des Bundes Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure e.V. (BDB) gewählt worden. In der
Begründung hieß es, in Ristocks Amtszeit habe es eine Wende in der Stadtpolitik gegeben, da H. Ristock
eine behutsame Stadtreparatur versucht habe, „um die Identität der Innenstadt zu wahren".
SchB.
*
Am 24. November 1980 hat die Königliche Akademie der Freien Künste, Stockholm, unser Mitglied
Professor Julius Posener zu ihrem ausländischen Ehrenmitglied gewählt.
*
Der Verein für die Geschichte Berlins übermittelt im kommenden Vierteljahr seine Glückwünsche zum
70. Geburtstag Herrn Dr. Kurt Kärnbach, Herrn Dr. Robert Thevoz; zum 75. Geburtstag Frau Maria
Barthel, Frau Käthe Dietrich, Frau Käthe Feller, Frau Hildegard Hellwig, Herrn Hans Höltje, Herrn
Wolfgang Knochenhauer, Herrn Kurt Kühling, Herrn Günther Linke, Frau Ruth Sassmannshausen,
Herrn Hans Joachim Scheil; zum 80. Geburtstag Herrn Gotthilf Hahn, Frau Else Mügel, Herrn Kurt
Meurer; zum 85. Geburtstag Frau Dr. Hildegard de la Chevallerie.
312
Buchbesprechungen
(r L
Hans-Wemer KlUnner und Helmut Börsch-Supan (yerantwortl. Autoren): Berlin-Archiv. Braunschweig:
Archiv-Verlag 1980 ff. Loseblattsammlung. (Nur als Abonnement, nicht im Buchhandel erhältlich.)
Die bereits von Samuel Heinrich Spiker 1832 eingeführte und in besonderem Maß in dem durch Ernst
Fidicin ab 1868 herausgegebenen repräsentativen Band der „Berlinischen Chronik" mit ihren Kunstbeilagen geübte Praxis, besonders hervorragend illustrierte „Berlin-Literatur" in Fortsetzungsreihen erscheinen
zu lassen, hat durch die Initiative der in Braunschweig beheimateten Archiv-Verlag-Gruppe einen
modernen Nachfolger gefunden. Hier sind freilich nicht mehr die einzelnen Bogen von privaten Buchbindern zusammenzufügen, sondern mit den Mitteln der modernen Heftmechanik können die monatlich neu
erscheinenden 5 Kunstdruckblätter mühelos in die dafür bereits vorbereiteten Plastikordner eingeordnet
werden. Da nun bereits über 90 Einzelblätter erschienen sind, wird es Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen.
Die Gliederung des Werkes in Einzelabschnitte „Handelsstadt - Hansestadt - Residenz", „Hauptstadt des
brandenburgischen Kurstaates", „Stadt der preußischen Könige", „Unter bürgerlicher Selbstverwaltung"
und „Reichshauptstadt und Weltstadt" geben in chronologischer Reihenfolge die Etappen des Aufstiegs
der Stadt wieder. „Die Vororte bis zur Eingemeindung" bilden daneben noch einen besonderen Abschnitt.
Von dem fachkundigen und in seiner Mischung von Landes- und Kunsthistorikern sich vorzüglich
ergänzenden Autorenteam sind für jeden Abschnitt typische Ansichten oder auch Porträts ausgewählt
worden, die dann von den Autoren beschrieben werden, d. h., der Text ordnet sich jeweils dem Bildteil
unter. Die einzelnen im Bild dargestellten Architektur- und Landschaftselemente werden jeweils in einem
größeren Rahmen behandelt, und ihre Geschichte wird von den Anfängen bis in die unmittelbare
Gegenwart verfolgt. Die Auswahl der zum großen Teil wenig bekannten Ansichten verrät die Vertrautheit
der Autoren mit der Topographie der Stadt. Dies zeigt sich sowohl in den Ansichten wie auch in den
liebevoll ausgewählten Porträts einzelner Persönlichkeiten von König Friedrich Wilhelm IV. über Fontane bis zu Richard Schöne. Als sinnvolle Ergänzung werden Pläne und Schriften zur Stadtgeschichte
angeboten. In diesem Zusammenhang verdient die Neuausgabe des nach dem Vorbild der bereits zur
Entstehungszeit der Schrift weitverbreiteten „Baedeker-Reiseführer" gestalteten Stadtführers „Berlin und
Potsdam im Jahre 1860" von Friedrich Morin besondere Beachtung.
So sei diese Edition jedem, der aus Freude an guten Illustrationen zur berlinischen Geschichte auch etwas
Geld opfern will, nachhaltig empfohlen.
Felix Escher
Ursula E. Koch: Berliner Presse und europäische Geschehen 1871. Eine Untersuchung über die Rezeption
der großen Ereignisse im ersten Halbjahr 1871 in den politischen Tageszeitungen der deutschen Reichshauptstadt. Berlin: Colloquium 1978. 495 S., geb.
In den späten zwanziger Jahren begann man sich an deutschen Hochschulen mit zeitungsgeschichtlichen
Studien zu befassen. Die „Zeitungswissenschaft" wollte bald eine autonome wissenschaftliche Disziplin
sein, ein ihr oft bestrittener Anspruch, da man in der Beschäftigung mit den Kommunikationsorganen und
ihren Mitteln allenfalls eine Lehre, aber auch nicht mehr sah. Hier sind in den letzten Jahrzehnten Wandel
vor sich gegangen. Nicht etwa, weil einflußreiche Kommunikationsmittel - modern Medien genannt - wie
das Fernsehen hinzugekommen sind, sondern weil jene Disziplin bloßer Selbstbespiegelung entsagte und
sich ohne Einbuße an Wert oder Wirkung in umfassendere wissenschaftliche Bereiche und Themenstellungen einbauen ließ. Es sei erlaubt, nach dem Standort einer so ausgreifenden und sorgfältigen Studie wie
der von Ursula E. Koch zu fragen: Ist hier die „Zeitungswissenschaft" Werkzeug oder selbst Gegenstand
der historischen Forschung? Ist sie Hilfswissenschaft oder gar Bestandteil der Geschichtswissenschaft
schlechthin? Ohne eine methodologische Debatte entfachen zu müssen, liegt die Antwort im interdisziplinären Bereich.
In einem umfangreichen ersten und zweiten Teil untersucht Vf. die Lage der Berliner Presse im Jahre 1871:
die wirtschaftlichen Aspekte, den formalen wie inhaltlichen Aufbau der Zeitungen und stellt alsdann 12
Zeitungsporträts aller politischen Couleurs nebst ihren Editoren und Redakteuren vor, Männer, von
denen sich nicht wenige einen bleibenden Namen in der Politik, der Wirtschaft oder im kulturellen Leben
gesichert haben. Auf der soliden Basis der beiden ersten Teile kommt der dritte zum eigentlichen Anliegen
des Buches: die Aufnahme des politischen und militärischen Geschehens der ersten Jahreshälfte 1871
durch die Zeitungen zu untersuchen. Kommentare und öffentliche Meinung bedingen einander in Wechselwirkung. Staatsmännische Meinungen steuern und werden gesteuert. Fehlbeurteilungen und -progno-
313
sen gab es auch 1871 in der Presse nicht wenige. Doch Meinungsvergleich kann ein Korrektiv auf dem
Wege zu gültiger Erkenntnis sein. Ihr dient auch der umfangreiche Rückgriff auf deutsche und französische Memoirenschreibung und wissenschaftliche, auf Akten und anderen offiziellen Quellen basierende
Literatur, die die Tagesarbeit der Journalisten von ehedem noch aus der klärenden Distanz von Jahren
beleuchtet und, wenn erforderlich, mit kritischer Sonde untersucht. Bis zum großen Umbruch in unserer
Jahrhundertmitte standen die deutschen Historiker der Zeitung als Geschichtsquelle sehr reserviert
gegenüber. Das Mißtrauen baut sich ab, der Gründe dafür sind viele. Aber doch sind Aufgabenstellungen
wie die hier vorliegende noch recht rar und eine so gründliche und hochinformative Arbeit ist noch immer
als avantgardistisch anzusehen.
Gerhard Kutzsch
Gerhardt Hoffmann: Kreuzberger Geschichten. Erzählungen aus dem Milieu. Mit 9 Zeichnungen von Inge
X. Husemann. Berlin: Stapp 1980. 94 S., geb., 12,80 DM.
Über 94 Seiten im Taschenbuchformat läßt Gerhardt Hoffmann die Berliner Luft der frühen fünfziger
Jahre wehen. Das Kriegsende ist noch nicht gar so fern, allenthalben ragen Ruinen, starren - brettervernagelt - leere Läden wie schwarze Zahnstumpen aus lückenhaften Häuserreihen. Durch Hausflure wallen
Kohlrouladendämpfe, und im zweiten Stock fehlt das Treppengeländer. Das Wirtschaftswunder hat noch
nicht begonnen, die anatolische Invasion noch nicht voll eingesetzt - im Bezirk Kreuzberg gibt's noch
echte Berliner. Pfarrer Hoffmann berichtet in der Ich-Form aus seinem Sprengel; seinen Mitbürgern ein
echter Freund und Helfer.
In vierzehn Kurzgeschichten entfaltet sich ein fantastisch lebensechtes Gemälde des Daseins in den
Mietskasernen, den Hinterhöfen und auf den Gottesäckern des Bezirks. Da steigt nie und nirgends
pastorales Pathos auf- Barett, Beffchen und Talar würden an diesem Gottesmann eher wie Verkleidung
wirken.
Wir vernehmen, wie ihm als Kandidat nach Eintreffen in Berlin vom Oberkonsistorialrat eine Billigpension empfohlen wird, in der menschenfreundliche Zoo-Nutten hausen, die dem Neuling „erste Hilfe"
leisten. Wir begleiten „den Paster" beim winterlich-nächtlichen Besuch eines Kuhstalls in der Taborstraße,
in dem ein Dutzend Milchkühe wie auf Kommando - platzregenartig - gleichzeitig zu urinieren beginnt,
lernen, daß Tote zumeist keine Klosettschlüssel mit ins Grab nehmen und daß es bei Scheintoten „immer
mit Verspätung blutet, weil der Kreislauf erst wieder in Gang kommen muß". In einem anderen Kapitel
kommt Sarg- und Urnenträger Zielewski die Trauergemeinde beim Gang zum offenen Grabe abhanden,
auf Seite 58 kippt Mutter Burdig mit der Zinkbadewanne um, und wir erfahren, was es mit „raumfressenden Ehebetten" zuweilen auf sich haben kann.
Die Berichterstattung aus dem Alltag des Pfarrers ist einmalig - ein Zille des Prosawortes ist erstanden.
Lest Hoffmanns vierzehn Erzählungen! Neun eingestreute Zeichnungen von der Hand Inge X. Husemanns erfreuen Auge und Herz.
Hans Schüler
./Gustav Sichelschmidt (Hrsg.): Berlin! Berlin! Ein literarischer Bilderbogen der letzten 150 Jahre. Tübingen: Erdmann 1980. 214 S. m. 15 Illustr., geb., 28 DM.
Aus einem Zeitraum, der sich über 150 Jahre erstreckt, berichten 24 Autoren über Berlin, so wie es sich
jedem einzelnen von ihnen dargestellt hat. Glassbrenner schildert das turbulente Treiben beim Stralauer
Fischzug, der schon zur Biedermeierzeit alljährlich im August von Tausenden von Berlinern gefeiert
wurde, die in die zahlreichen Ausflugslokale auf der Landzunge pilgerten, um den zumeist überdimensionalen Durst in Strömen von „Weiße mit Schuß" oder Unmengen von Kaffee aus bauchigen Kannen zu
ertränken. Durch Glassbrenners heile Welt rollen fürstliche Equipagen „von strotzenden Pferden gezogen", und Schusterjungen, Gipsfigurenverkäufer, ambulante Kesselflicker und pfeifeschmauchende Rentiers beleben das Straßenbild jener fernen Epoche, in der Briefträger „in den Häusern noch treppauf,
treppab sprangen". Ernst Kossak führt durch unerfreuliche, feuchtfinstere Gewölbe, „Berliner Keller"
genannt, David Kaiisch läßt auf ganzen 40 Zeilen eine bislang utopisch anmutende Liebesbeziehung in
Pulverdampf der 48er Revolution - unter der Bettdecke der Künstlerin Elvira als Fluchtort - ersehnte
Wirklichkeit werden, Ludwig Pietsch geleitet den Leser durch Altberliner Konditoreien, und mit Julius
Rodenberg passieren wir auf einer Droschkenfahrt die Potsdamer Brücke, als eine Wasserleiche aus dem
Landwehrkanal geborgen wird. Laut Paul Lindau erkennen wir, daß es in den Ferien nicht immer nach
Heringsdorf, „dem Harze" oder ins Engadin, den Vorläufern von Mallorca und den Bahamas, gehen
mußte, sondern daß auch die Übersiedlung mit Kind und Kegel in die Sommerwohnung „draußen in
Charlottenburg" von eigener Romantik verklärt war. Alfred Kerr begegnet auf täglichem Spazierwege
einem „knusperigen Bäckermädchen", bis dies eines Tages nicht mehr in der Ladentür steht. „Plötzlich ist
314
sowas weg, plötzlich zieht das fort - ohne Rücksicht", greint der König der Kritiker. Auburtin zeigt, wie
der Berliner „beschäftigt spazierengeht", und Tucholsky argwöhnt, daß Berliner im Himmel - vorausgesetzt, daß sie überhaupt dahingelangen - „auch dort um viere noch was vorhaben", und wenn Tucho die
Liebespaare abends nach sechs den Tiergarten durchstreifen läßt, dann hat die wahre, ineinander
verklammerte Zweisamkeit zu greifbarer Realisierung von Wunschträumen geführt; zwischen all den
Sträuchern.
Eine Reihe weiterer profilierter Autoren bewahrt den animierten Leser davor, beim Gang durch die
Markthalle nicht auf Mohrrübenresten in glitschigen Fischwasserpfiitzen auszurutschen (S. 156), nennt
das Warten auf die abendliche Weihnachtsbescherung im Elternhaus „die Stunde, die wie kein Fest des
späteren Lebens gleich einem Pfeil im Herzen des Tages zittert" (S. 158), entdeckt auf der Basis gemeinsamer Gelüste die glücklich machende Übereinstimmung der Seelen (S. 170) und schildert, wie das
Auffinden einiger leicht lädierter, aber postfrischer Briefmarken im Gesamtwert von 0,90 RM samt der
Einlösung leerer Pfandflaschen für zwei Liebende an einem verregneten Abend zur Basis eines unverhofften Luxussoupers wird. Ein anderer Literat konstatiert: „Man lebt gut hier, wenn man lebt. Wenn man tot
ist, ist man sehr tot in dieser Stadt" (S. 189), und: „Berlin ist keine schöne Stadt, aber überall spüre ich den
Geschmack des Zuhauses" (S. 190). Hinreißend die Formulierung der „verschrumpelten Handtasche" der
Großmutter aus Sachsen auf der Bahnhofstreppe am Zoo (S. 196) und die Bezeichnung „Volksbesitzer von
Beruf, wenn die Person des Verderbers Deutschlands gemeint ist (S. 204).
Ein Gang durch Tucholskys Geburtshaus in Berlin-Moabit beschließt als Epilog die attraktive Auslese
dieser Berlin-Skizzen durchweg hoher Qualifikation. Herausgeber Sichelschmidt bleibt mangels eigenen
Textes diesmal der Vorwurf der Unbedenklichkeit erspart, mit der er durch unkorrekte Glossierung von
Abbildungen seine Arbeiten bereits mehr als einmal entwertet hat. Ein Quellenverzeichnis am Schluß des
Bandes ergänzt die wohlgelungene Auswahl der Texte.
Hans Schiller
Ludwig Böer (Verf.): Das ehemalige Schloß in Schwedt/Oder und seine Umgebung. Aus Anlaß des
dreißigjährigen Bestehens der Kreisgemeinschaft Angermünde in der Landsmannschaft Berlin - Mark
Brandenburg. Hrsg. v. Heimatkreisbetreuer Siegfried v. Rohrscheidt-Hartwig. Stuttgart: Im Selbstverlag
1979. 202 S. m. 76 Abb., brosch.
Dorothea, die zweite Frau des Großen Kurfürsten, ließ an der Stelle des verfallenen Renaissance-Schlosses
eines im „märkischen Barock" erbauen. Sie gewann die Zustimmung ihres Gatten zur Begründung der
hohenzollernschen Seitenlinie Brandenburg-Schwedt für ihre leiblichen Nachkommen, und das verschlafene Landstädtchen Schwedt an der Oder wurde sozusagen über Nacht zu einer markgräflichen Residenz.
Hier findet sich en miniature alles vor, was vom Kernbau und den Flügeln über die künstlerische
Innenausstattung bis zu den Lustgärten zu einer fürstlichen Hofhaltung des 17. und 18. Jahrhunderts
gehört. Das gut illustrierte Buch von L. Böer geht mit seiner Detailkenntnis fast noch auf den letzten Nagel
ein, der in die Wand geschlagen wurde. Angesichts des Umstandes, daß der Zweite Weltkrieg das Schloß
vom Erdboden verschwinden ließ, gerät eine solche Intensivbeschreibung zu einer weiter in Wert und
Bedeutung steigenden Dokumentation dahingegangener Kultur.
Gerhard Kutzsch
l
Berliner Schimpfwörterbuch. Zusammengestellt v. Theodor Constantin. Berlin: Haude u. Spener 1980.
94 S., brosch., 9,80 DM (Edition Jule Hammer).
Da steht einem ja einiges ins Haus, wenn Konrad Jule Hammer, Berlins Hans Dampf in allen Kulturgassen, in seiner Edition „vergessene Wegbereiter Berliner Satire wie aktueller Nonsens-Literatur", Monographien Berliner Originale, faksimilierte Ausgaben Berliner Groschenliteratur und einen „Baedecker von
Vorgestern" herausgeben will, der sich nun allerdings Baedeker schreibt. Zutreffend bemerkt er in seinem
Vorwort „Berlin als satirische Werkstatt", dem Butterberg der EG habe sich ein Berliner Bücher-Berg
beigesellt.
So greift Theodor Constantin voll in die Saiten oder in die Tasten seiner Schreibmaschine, wenn er der
Berliner Schimpfsprache von Aas bis zwitschern nachspürt. Anleihen macht er dabei von Hans Meyer
über Agathe Lasch bis zu Heinz Küpper und Walther Kiaulehn, steuert aber auch viele eigene Sprachbeobachtungen bei, die er mit Beispielen und Anekdoten anreichert. Dabei erweist sich auch bei ihm die
Umschreibung des Berliner Dialekts als schwierig.
Aus dem Buchstaben B wären beispielsweise aufzuführen Bärme, Hefe („Dem ham se Bärme unter de
Beene jelegt", für einen sehr groß gewachsenen Menschen); Beerdigung („Der wird ooch bei seine
Beerdigung det erstemal nüchtern sein", über einen „Schluckspecht"); Biertante, weibliche Bedienung in
einer Kneipe, oder Blechkremser als Bezeichnung für die Berliner Straßenbahn, die entgegen der Ansicht
315
des Autors doch noch vorhanden ist (oder gehört Ost-Berlin nicht mehr zu unserer Stadt?). Wo bei
einzelnen Schimpfwörtern, etwa Daffke, ergänzt wird „aus d. jüd.", würde man das Wort häufiger aus dem
Jiddischen ableiten. Kaum bedarf die Liste der Ergänzungen. Wolkenschieber für einen Reformer oder
Entspannungspolitiker könnte allenfalls noch aufgenommen werden. Die Definition für „kaputte Type":
ein von den Verhältnissen überwundener Mensch, sollte nicht unwidersprochen stehenbleiben. Sicher
wäre die Type nicht kaputt, wenn sie die harte Schule der NVA durchlaufen hätte. Ob man dem Autor und
den Typen diese Verhältnisse aber wünschen soll, bleibe als Frage hier stehen. Den Rezensenten dieser
Ansicht wegen zu beschimpfen, liefert das Arsenal dieses Wörterbuches reichlich Munition.
H. G. Schultze-Berndl
Curt Bois: Zu wahr, um schön zu sein (Mitarbeit: Gerold Ducke). Berlin (Ost): Henschelverlag Kunst und
Gesellschaft 1980. 162 S. m. 210 Abb., Ln., 15 M., 22 DM.
Curt Bois als einen Wanderer zwischen mehreren Welten zu bezeichnen, ist nicht abwegig - zwischen den
Kunstformen des Schauspielers und des Tänzers oder Pantomimen, zwischen (auch bitteren) Erfahrungen
in Deutschland und in der Emigration, zwischen Berlin Ost und West. Hier legt er in der Art einer
Autobiographie ein Werk vor, das einige (Glanz-)Lichter auf den großen Künstler Curt Bois wirft: auf das
Wunderkind, den in jungen Jahren mit Max Reinhardt zusammenarbeitenden Mimen, auf die Jahre des
Exils 1933 bis 1950, auf den Neubeginn und auf den reifen Künstler. Ein Rollenverzeichnis aus den sieben
Jahrzehnten 1908 bis 1978 (Theater und Film) beschließt diesen reich bebilderten Band. Manches ist nur
angedeutet, vieles erschließt sich wohl nur dem Kenner der Szene. Unvergeßlich aber bleibt der Eindruck,
den Curt Bois mit jeder seiner so widersprüchlichen Rollen vermittelte. Daß der Autor bei seiner
Übersiedlung vom Ostteil unserer Stadt nach dem Westen im Jahre 1954 nicht zufrieden war, gibt er zu.
Die Gründe des Wegzugs bleiben aber im Dunkel.
Geben wir hier Fritz Kortner, dem kongenialen Kollegen, das Wort, der aus dem Erlebnis der Zusammenarbeit schreibt: „Curt Bois, der den Androklus spielte, war eines der wachrüttelnden Elemente. Dieses
manisch-depressive, selbstzerstörerische Geschöpf steht in seinem sechsundfünfzigsten Pubertätsjahr. Er
muß schon im Mutterleib frenetisch komisch und ebenso verzweifelt gewesen sein. Die Proben mit ihm
bedeuteten Wochen höchsten Berufsglückes und verzweifelter Mordlust. Er mahnte mich freundlich zur
Ruhe, nachdem er mich feindselig zur Verzweiflung gebracht hatte. Das schauspielerisch Erlernbare
schien ihm unerreichbar, das Unerlernbare ist ihm gegeben."
H. G. Schultze-Berndt
Aufgabestempel der Berliner Postanstalten. Hrsg. W. Büttner, R. Hofmann, H. Wenzel. Berlin: Im
Selbstverlag (1980), 30 DM.
Die Freunde der frühen Berlin-Philatelie, die nicht nur Marken, sondern auch ganze Belege bzw. Stempel
sammeln, werden sicherlich aufatmen. Auf diesem bisher wenig erforschten Gebiet ist mit dem obengenannten Buch ein Stempelkatalog erschienen, dem bisher nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen ist. Auf
295 Seiten mit ca. 900 Stempelabbildungen haben die Autoren vom ersten preußischen in Berlin 1817
erschienenen Stempel bis ca. 1900 die in Gebrauch befindlichen Stempel erfaßt. Es sind für die Berliner
Postanstalten und ihre Vororte auch Eröffnung, Lage, Sitzverlegung, Umbenennung und gegebenenfalls
auch Schließung angegeben, ferner die Verwendungsdauer der Stempel, Bemaßung, unterschiedliche
Farbperioden und sogar eine DM-Bewertung. Insgesamt gesehen ein durchaus gut gelungenes Werk, das
bestimmt seine Liebhaber finden wird. Bezugsquelle bzw. Werbeprospekt bei R. Hofmann, Falkenseer
Chaussee 210 A, 1000 Berlin 20, oder direkt durch Voreinsendung von 30 DM auf Postscheckkonto
H. Wenzel, Sonderkonto Berlin-West 366 89-102.
H. G. Schultze-Berndt
Von den früheren Ausgaben unseres Jahrbuches „Der Bär von Berlin,, sind noch nachstehende Bände bei
der Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, erhältlich.
Band 3 (1953); 4,80 DM. Ernst Kaeber: Zu Mario Krammers Gedächtnis. Mario Krammer f: Große
Geschichtsschreiber im Leben Berlins, zweiter Teil. Hermann Fricke: Berlin als Lebensraum im Werke
Friedrich Hebbels. Walther G. Oschilewski: Karl Marx als Student in Berlin. Joachim Lachmann:
Ungedruckte Briefe aus dem Landesarchiv Berlin, Ernst Kaeber: Vier kritische Fragen zur mittelalterlichen Geschichte Berlins.
316
Band 7 (1957/58); 4,80 DM. Konrad Kettig: Ernst Kaeber als berlinischer Historiker. Zum 75. Geburtstag. Bibliographie Ernst Kaeber. Von der Senatsbibliothek ihrem Direktor in den Jahren 1953-1955
zum 75. Geburtstag überreicht. Walter Stephan: Johann Friedrich Dannenberger. Ein Bahnbrecher der
Berliner Großindustrie. Siegfried Nestriepke: Der Raubüberfall in der Pinnower Heide. Eine MordStory aus dem Jahre 1789. Konrad Kettig: Jacob Burckhardts Berliner Jahre. Im vormärzlichen
Preußen. Friedrich Pruskil: Die Partheys. Ein Beitrag zur Familiengeschichte. Ulli Moritz: Die
Dorfschule von Wilmersdorf 1785-1855.
Band 13 (1964); 5,80 DM. Helmut Kublick: Zur Geschichte von Marienfelde. Von der Gründung bis
zum Dreißigjährigen Krieg. Hermann Fricke: Die „Argonauten" von Berlin. Zur Geschichte eines
literarischen Unternehmens. Klaus Schwarz: Die Verluste der preußischen Armee in der Berliner
Märzrevolution 1848. Eine Bestandsaufnahme. Ulli Moritz: Die Dorfschule zu Wilmersdorf. Teil II
1855-1886. Carl Nagel: Die Eltern des Dichters Achim von Arnim. Ein Beitrag zur Biographie. Fritz
Böse: Richard Wagner und der Berliner Musikjournalist Karl Gaillard. Anmerkungen zu einem WagnerBrief. Gerhard Kutzsch: Vom „sozialen Defizit" Berlins 1875-1915. Zur Geschichte der Prostitution der
Reichshauptstadt. Günter Böhm: Über die Errichtung eines ersten Dampfbades in Berlin.
Band 14 (1965); 38 DM. (Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Vereins für die Geschichte Berlins)
Willy Brandt: Geleitwort. Bruno Harms: Vorwort. Carl Nagel. „Memorabilia Berolinensia". Die erste
Berliner Heimatzeitschrift. Manfred Stürzbecher: „Ihr noch der Welt mehr Nutzen stifften könnet".
Friedrich Wilhelm I. in Preußen und die Medizin. Hermann Fricke: Theodor Fontanes Parole d'honneur von 1870. Ein bedeutsamer Fund in Frankreich. Alfred Werner: Schopenhauer in Berlin. Auseinandersetzung mit den Lehren der großen zeitgenössischen Berliner Philosophen. Walter Jarchow:
Hundert Jahre Baukunst in Berlin. Von Schinkel bis Scharoun. Konrad Kettig: Der Professor als
Parlamentarier. Clemens August Karl Klenze als Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung in
den Jahren 1833-1838. Walter Heynen: „Wer nicht den Gendarmenmarkt gesehen ..." Betrachtungen
zu einem geflügelten Wort. Irmgard Wirth: Menzel und Berlin. Mahnung und Verpflichtung. Gerhard
Krienke: Im Zustand dumpfer Resignation. Die Auswirkung der Berliner Wirtschaftskrise von 1763 auf
das Armenschulwesen Berlins. Hans E. Pappenheim: Die Joachim-Friedrich-Gedenkstätte bei Grünau.
Zur Geschichte des Denkmalsgedankens in Brandenburg-Preußen. Helmut Börsch-Supan: Die Anfänge der Berliner akademischen Kunstausstellungen. Ein Beitrag zur Geschichte der preußischen Kunstpflege. Arne Hengsbach: Die Kirche und die Schnellbahn. Ein Kapitel Verkehrsgeschichte. Lilli
Martius: Die Villa Borsig in Berlin-Moabit. Über ihren Architekten Johann Heinrich Strack und den
Maler Paul Meyerheim. Rudolf Danke f: Unser Ehrenmitglied Theodor Fontane: Ein Kapitel Vereinsgeschichte. Joachim Lachmann: Ernst Kaeber zum Gedächtnis. RudolfDankef: 100 Jahre Verein für
die Geschichte Berlins. Versuch einer Chronik.
Band 17 (1968); 9,80 DM. Gerhard Kutzsch: Der Staat und die Stadt Berlin. Skizzierung ihres Verhältnisses zueinander im 19. Jahrhundert. Monty Jacobs: Heimstätten der Berliner Posse. Aus einem
nachgelassenen Manuskript. Joachim Kühn: Aus der preußischen Hofgesellschaft der Biedermeierzeit.
Briefe aus dem Familienkreis des Kgl. Flügeladjutanten Oberst von Below. Erich Borkenhagen: Das
Bier im alten Berlin. Von der Frühzeit bis zur Gegenwart.
Band 18 (1969); 9,80 DM. Joachim Kühn: Eine Liebesaffäre im preußischen Königshaus. Prinz August
und Delphine de Custine. Arne Hengsbach: Berliner Verkehrsplanung vor hundert Jahren. Anfänge
einer städtischen Verkehrspolitik. Helmut Kublick: Zur Geschichte von Marienfelde. Teil II: Von der
Zeit des Absolutismus bis 1914. Ilse Sarneck: Theodor Francke und die Luisenstadt. Ein Beitrag zur
Stadt- und Familiengeschichte. Gerhard Krienke: Der schulische Aspekt der Kinderarbeit in Berlin
1825-1848. Zur Sozial- und Schulgeschichte der preußischen Hauptstadt.
Band 20 (1971); 11,80 DM. Gerhard Kutzsch: Hinter den Fassaden. Das Volk Berlins im 19. Jahrhundert. Joachim Kühn: Hardenberg und die Frauen. Ein Beitrag zu seiner Charakteristik. Kurt Pierson:
Als die „S-Bahn" noch dampfte. Erinnerungen zu ihrem 100. Geburtstag. Friedrich Weichen: Die
Planung des letzten Berliner Domes. Ein Beitrag zu seiner Geschichte. Joachim Kühn: Zwei Briefe
Varnhagens an Carlyle. Aus dem Berliner Kulturleben der Biedermeierzeit.
Band 21 (1972); 11,80 DM. Wilhelm Schoof: Friedrich Karl von Savigny in Berlin. Ein Lebens- und
Zeitbild. Hans E. Pappenheim: Großbeerenstraße 40. Fritz von Holstein am Viktoriapark. Joachim
Kühn: Die schöne Frau von Crayen und die Ihren. Ein Nachwort zu Fontanes „Schach von Wuthenow".
Lionel Thomas: Willibald Alexis zum Gedächtnis. Mit unveröffentlichten Briefen. Hermann Fricke:
Fontanes Abkehr vom märkischen Volksgemüt. Über Quelle und Vorform einer Ballade.
Band 22 (1973); 12,80 DM. Ilja Mieck: Umweltschutz in Alt-Berlin. Luftverunreinigung und Lärmbelästigung zur Zeit der frühen Industrialisierung. Joachim Kühn: Bewegte Tage. Briefe der Prinzessin
317
Louise von Preußen (Fürstin Anton Radziwill) an den Grafen Fedor Golowkin (1806-1813). Kurt
Ihlenfeld: Fontanes Umgang mit Bismarck. Zur Problematik des Verhältnisses zwischen Dichter und
Politiker. Arne Hengsbach: Die Verkehrsgeschichte von Wilmersdorf. Vor hundert Jahren wurde hier
die erste Pferdeomnibus-Linie eröffnet. Hermann Fricke: Ein Willibald-Alexis-Gedenken. Mit einem
unbekannten Brief.
Band 24 (1975); 12,80 DM. Manfred Stürzbecher: Hundert Jahre Städtisches Krankenhaus Friedrichshain. Ein Beitrag zu seiner Geschichte. Hans Leichter: Historische Miniaturen zur Berliner PorzellanGeschichte. In Memoriam Ludwig Darmstaedter. Wolfgang Kloppe: Schopenhauers Berliner Aufenthalte. Resümee einer zehnjährigen Zwischenstation. Walther G. Oschilewski: Zeitungen in Berlin
1848/49. Geburt einer demokratischen Presse. Arne Hengsbach: Verkehrsprobleme vor 50 Jahren. Zur
Situation der ehemaligen Berliner Straßenbahn. Walter F. Schirmer: Die große Jette. Henriette Herz
und ihr Freundeskreis.
Band 25 (1976); 18,50 DM. Gerhard Kutzsch: Berlins Bürgermeister 1808-1933. Die „Zweiten Männer"
der Stadt. Hans Huth: Otto Friedrich von der Groebens Abenteuer in Afrika. Zur ersten deutschen
Kolonialgründung unter dem Großen Kurfürsten. Hermann Fricke: Nicht auf Kosten des Lebens.
Theodor Fontane als passionierter Kunstschriftsteller. Hans Leichter: Im Banne großer Persönlichkeiten. Begegnungen mit Berliner Nobelpreisträgern während meiner Studienzeit. Paul Schlaag: 300 Jahre
Wetterforschung in Berlin. Ihre Geschichte in Persönlichkeitsbildern. Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing: Sein Ideal war der absolute Staat. Prinz Carl von Preußen und der Berliner Hof. Rainer Pohl:
Berliner Dorfauen. Eine Bestandsaufnahme. Arne Hengsbach: Am Ostufer der Havel. Zur Siedlungsgeschichte von Haselhorst. Walther G. Oschilewski: Näher dem Herzen der Schöpfung . . . Wilhelm
Oesterle in Berlin. Manfred Stürzbecher: Aufgaben und Leistungen der öffentlichen Gesundheitspflege.
Die Behördenchefs des Reichsgesundheitsamtes in Berlin 1876-1945.
Band 26 (1977); 18,50 DM. Jürgen Wetzel: Monarchie gegen Hitler. Aus der Korrespondenz Otto
Brauns mit Albert Grzesinski 1934 bis 1936. Goerd Peschken: Ein Königsschloß für Berlin. Bisher
unerforschte Anfänge des barocken Umbaus des Stadtschlosses. Klaus Schwarz: Ein Berlin-Besuch vor
200 Jahren. Aus dem Tagebuch eines Bremer Kaufmanns von 1777. Otto Uhlitz: Aus der Baugeschichte
der Schmöckwitzer Dorfkirche. Probst Hanstein f: Suchet der Stadt Bestes... Abdruck einer Anrede an
die Bürgerversammlung vor der Wahl der Stadtverordneten im Jahre 1809. Friedrich Terveen: Filmarchivierung für Forschung und Lehre. Erste Überlegungen und Ansätze 1895 bis 1932. Manfred
Stürzbecher: Quellen zur Geschichte der Medizin und des Gesundheitswesens in und über Berlin. Reinhard Lüdicke f; Straßenkämpfe im Südwesten Berlins 1945.
Band 27 (1978); 22,80 DM. Gerhard Kutzsch: Berlin vor 50 Jahren. Walther G. Oschilewski: Erinnerung an Friedrich Georg Weitsch. Jürgen Wetzel: Julius Berends (1817-1891). Otto Uhlitz: Der
Berliner Münzfries. Geschichte und Schicksal eines bedeutenden Werkes klassizistischer Bildhauerkunst.
Klaus Schwarz: Zünftig oder nicht? Streitigkeiten zwischen Berliner und Bremer Handwerkern in der Zeit
des Ancien regime. Helmut Börsch-Supan: Johann Karl Heinrich Kretschmar. Friedrich Michael:
Verschollene der frühen Insel. Desmond Pacey • J. C. Mahanti: Felix Paul Greve / Frederick Philip
Grove: ein internationaler Romanschriftsteller. Friedrich Terveen: Filmarchivierung für Forschung
und Lehre. Zur Entwicklung in Deutschland von 1932-1970.
Band 28 (1979); 22,80 DM. Über Max Halbe. (Als Vorwort zum nachfolgenden Beitrag gedacht) Evamaria Westphal-Wolf: Max Halbe und das Berliner Theater. Christian Engeli: Max Reinhardt gegen
Berlin. Ein Steuerstreit aus den Zwanziger Jahren. / Vier Briefe von Max Reinhardt in der Angelegenheit
des Steuerstreites. Werner Bollert: Vom Berliner Musikleben 1929. Ein Situationsbericht über Musikrezeption und Musikpolitik vor fünfzig Jahren. Ernst G. Lowenthal: Von Moritz Veit bis Heinrich
Stahl. Gemeindevorsteher 1845 -1943 / Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Berlin. Adolf Paul: Zum
schwarzen Ferkel. Eberhard von Kniestädt / Christian Ferdinand Spittler: Besuch in Berlin 1776/77.
Hans J. Reichhardt: Chronikschreibung - heute. Otto Uhlitz: Der Berliner Münzfries und der Neubau
der Reichsmünze am Molkenmarkt. Ein Nachtrag.
Band 29 (1980); 24,80 DM. Eva Börsch-Supan: Wachstum und Schicksal der Berliner Museen. Manfred Stürzbecher: Aus der Geschichte des Charlottenburger Gesundheitswesens. Wolfgang Knauft:
Bistum Berlin 50 Jahre. Henry Vizetelly: Berliner Studenten vor 100 Jahren. Friedrich Terveen: Ein
Schweizer in Berlin. Martin Hürlimann - Fotograf, Journalist, Verleger.
318
Die Schatzmeisterin weist darauf hin, daß der Mindest-Jahresbeitrag ab 1980 jetzt 48 DM beträgt (It.
Beschluß der Jahresversammlung im Mai 1979). Sie bittet um Überweisung des Beitrages für 1981 und noch
ausstehende Beiträge für die Jahre 1978 und 1979 (je 36 DM) sowie 1980 (48 DM).
Im I.Vierteljahr 1981
haben sich folgende Damen, Herren und Institutionen zur Aufnahme gemeldet:
Dr. Veronika Bendt, wiss. Ang.
Hagelberger Straße 14, 1000 Berlin 61
Tel. 7 85 88 99
(Frieda Kaeber)
Reinhard Bolk, Arzt
Eichkampstraße 108, 1000 Berlin 19
Tel. 3 02 3149
(Irmgart Köhler)
Heinz Fischer, kfm. Angestellter
Reichweindamm 14, 1000 Berlin 13
Tel. 3816962
(Bibliothek)
Reinhard Hanke, wiss. Ass.
Oberhofer Weg 66, 1000 Berlin 45
Tel. 7119899
(Dr. Escher)
Juliana Jünger
Milowstraße 9, 1000 Berlin 33
Tel. 8 24 13 94
(Frau Leichter)
Gertrud Mattheus, Rentnerin
Eisenacher Straße 17, 1000 Berlin 62
Tel. 7 813617
(Frau Sylvester)
Firma M. Pech GmbH & Co. KG
Erkelenzdamm 13, 1000 Berlin 36
Tel. 614021
(A.Brauer)
Eva Rademacher, Hausfrau
Finsterwalder Straße 7,1000 Berlin 26
Tel. 4 02 49 01
(Dr. G. Kutzsch)
Peter Römhild, Dipl.-Ing.
Leinestraße 56, 1000 Berlin 44
Tel. 6211262
(Joachim Methlow)
Malve Gräfin Rothkirch, Hausfrau
Barsekowstraße 1, 1000 Berlin 41
Tel. 771 3191
(Lucie Brauer)
Jochem Sotscheck, Dipl.-Ing.
Kurfürstendamm 139, 1000 Berlin 31
Tel. 8 91 59 38
(Schriftführer)
Margot Scheinmann, Hausfrau
Elgersburger Straße 29, 1000 Berlin 33
Tel. 6 26 2108
(Frau M. Schütze)
Voranzeige der Studienfahrt nach Mölln
Vom 18. bis 20. September 1981 ist die Exkursion vorgesehen. Das bisherige Programm umfaßt am
18. September nach einem Mittagessen in Lauenburg nach der Ankunft einen Rundgang durch den
Möllner Stadtforst unter Führung von Stadtförster H. Ruppertshofen, Präsident der Deutschen Ameisenschutzwarte, und ein gemeinsames Abendessen (Eulenspiegel begrüßt).
Sonnabend, 19. September, soll dann ein Ausflug zum Ratzeburger See mit Besichtigung des Ratzeburger
Domes (Probst Steffen) und des A.-Paul-Weber-Hauses (Rektor i. R. H. Jürß) folgen. Für die Nachmittagsfahrt durch den Naturpark Lauenburgische Seen steht der Ornithologe Th. Neumann, WWL-Umweltschutzbeauftragter für die Bundesrepublik Deutschland, als Führer zur Verfügung.
Am Sonntag bildet ein Besuch des Rathauses mit Empfang und Vortrag von Bürgervorsteher A .Flöge]
über die Geschichte des Herzogtums Lauenburg und über Mölln in der lübischen Historie mit nachfolgendem Rundgang durch die Altstadt den Abschluß. Nach dem gemeinsamen Mittagessen wird die Heimreise
angetreten.
Unverbindliche Voranmeldungen können jederzeit an den Schriftführer Dr. H. G. Schultze-Berndt,
Seestrasse 13,1000 Berlin 65, gerichtet werden. Diese Interessenten werden dann durch ein Rundschreiben
unterrichtet. Im Heft 3/1981 wird dann das genaue Programm mit Zeitplan veröffentlicht.
SchB.
Tagesordnung der Ordentlichen Mitgliederversammlung
1. Entgegennahme des Tätigkeitsberichts, des Kassenberichts und des Bibliotheksberichts
2. Bericht der Kassenprüfer und der Bibliotheksprüfer
3. Aussprache
4. Entlastung des Vorstands
5. Wahl des Vorstands
6. Wahl von zwei Kassenprüfem und Bibliotheksprüfern
7. Verschiedenes
Anträge aus dem Kreis der Mitglieder sind bis zum 22. April 1981 der Geschäftsstelle einzureichen.
Um pünktliches Erscheinen wird gebeten.
319
Beilagenhinweis: Der Versandauflage liegt ein Prospekt der Haude u. Spenerschen Verlagsbuchhandlung bei.
Veranstaltungen im IL Quartal 1981
1. Dienstag, den 7. April 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Wolfgang Eckert:
„Von der Mühle an der Panke zum Stadtbezirk Wedding". Bürgersaal des Rathauses
Charlottenburg.
2. Dienstag, den 28. April 1981, 19.45 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ribbe:
„Berlin - Hauptstadt Preußens und des Reiches". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
3. Sonnabend, den 9. Mai 1981, 10.00 Uhr: „Von Rudolf Germer zu Erwin Barth - Der
Volkspark der letzten Republik". Leitung: Herr Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt:
Eckernförder Platz, See- Ecke Sylter Straße. Begehungsendpunkt U-Bhf. Afrikanische
Straße. Fahrverbindungen: Busse 16,64,65,89 und U-Bahnhof Putlitzstraße (mit kurzem
Fußweg).
4. Dienstag, den 12. Mai 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Hans-Joachim
Müller: „Drei Jahrzehnte Berlin - Rückblick auf das Leben in der Stadt zwischen den
beiden Weltkriegen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
5. Dienstag, den 19. Mai 1981, 19.45 Uhr: Ordentliche Mitgliederversammlung. Bürgersaal
des Rathauses Charlottenburg.
Die Tagesordnung ist auf Seite 319 ausgedruckt.
6. Dienstag, den 16. Juni 1981, 19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Prof. Dr. Peter
Bloch: „Berliner Denkmäler - Geschichte und Aktualität". Bürgersaal des Rathauses
Charlottenburg.
7. Dienstag, den 23. Juni 1981,19.45 Uhr: Lichtbildervortrag von Herrn Erwin Wirz: „Historische Friedhöfe in Berlin - heute". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
8. Sonnabend, den 27. Juni 1981, 17.00 Uhr: „Der Friedhof vor dem Halleschen Tor".
Leitung: Herr Erwin Wirz. Treffpunkt vor dem Haupteingang am U-Bahnhof, Ausgang
Mehringdamm.
9. Dienstag, den 30. Juni 1981,19.45 Uhr: Vortrag von Herrn Prof. Dr. Gerd Heinrich: „Stadt
und Wirtschaft im friederizianischen Preußen". Bürgersaal des Rathauses Charlottenburg.
10. Sonnabend, den 4. Juli 1981,10.00 Uhr: „Von Johann Friedrich Eosander und Peter Josef
Lenne zu Walter Hilzheimer - Die Parke am Schloß Charlottenburg". Leitung: Herr
Joachim Hans Ueberlein. Treffpunkt Luisenplatz. Fahrverbindungen: Busse 9,21,54,62,
74, 87; U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz (mit kurzem Fußweg).
Zu den Vorträgen im Rathaus Charlottenburg sind Gäste herzlich willkommen. Die Bibliothek
ist zuvor jeweils eine halbe Stunde zusätzlich geöffnet. Nach den Vorträgen Beisammensein und
Diskussion im Ratskeller.
Vorsitzender: Dr. Gerhard Kutzsch, Gatower Straße 86, 1000 Berlin 20.
Geschäftsstelle: Albert Brauer, Blissestraße 27, 1000 Berlin 31, Ruf 8 53 49 16.
Schriftführer: Dr. H. G. Schultze-Berndt, Seestraße 13, 1000 Berlin 65, Ruf 45 30 11.
Schatzmeister: Ruth Koepke, Mehringdamm 89, 1000 Berlin 61, Ruf 6 93 67 91. Postscheckkonto
des Vereins: Berlin West 433 8 0 - 1 0 2 , 1000 Berlin 21. Bankkonto: 038 180 1200 bei der Berliner
Bank. Kaiserdamm 95. 1000 Berlin 19.
Bibliothek: Otto-Suhr-Allee 96 (Rathaus), 1000 Berlin 10, Telefon 34 30 22 34. Geöffnet: mittwochs
16 bis 19.30 Uhr.
Die Mitteilungen erscheinen vierteljährlich. Herausgeber: Verein für die Geschichte Berlins,
gegr. 1865. Schriftleitung: Claus P. Mader, Bismarckstraße 12, 1000 Berlin 41; Felix Escher. Wolfgang Neugebauer.
Abonnementspreis ist durch den Mitgliedsbeitrag gedeckt. Bezugspreis für Nichtmitglieder 16 DM
jährlich.
Herstellung: Westkreuz-Druckerei Berlin/Bonn, 1000 Berlin 49.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Schriftleitung.
320
h/'i/
A1015FX
£*> U~?± f i ^ ü H i i f e * S —
MITTEILUNGEN
DES VEREINS FÜR DIE GESCHICHTE BERLINS
GEGRÜNDET 1865
77. Jahrgang
Heft 3
Juli 1981
Tft
FAHRPLAN
fcr
Electrischen Eisenbahn
zwischen dem Bahnhof der Anhaltischen Eisenbahn
und der Huupt-Kadetten-Anstalt.
£m i«. p « IHM uitttfi#fei*auf pritcw.
A b O k r t * • > «er
.•«•M«««««—ü — n l u
•.
«r w
'."
V»
•
.
8,"»
tt,» Mittat».
1
«,*> Mm»**
* , » KtrkaMaf«
i
l,i» XirlmilUf»
*!*'
V
V»
V
*.*
•»•
•
*y»
1,» AWml».
V
8,« A h a * .
M.»
Fahrseil
Ba*»k»r
L I c k t t r A H c i
• / ' Mo>(eB>.>
«,«• M««n»
»,»
V
AhlWhrt i «
i
•1?
für
«."
u.»
•
.
die ganz«s Strecke 10 Minuten.
Sieineii» & HaLskc, Berlin.
• *
Jtf
Fahrplan der ersten öffentlichen elektrischen Straßenbahn der Welt
321
/iOO Jahre elektrische Bahnen im Südwesten Berlins
Zum Zusammenhang zwischen Siedlungsentwicklung und Fortschritten
in der Nahverkehrstechnik
Von Felix Escher
I
Die Ausdehnungsmöglichkeit der Städte, auch der größten, war bis in das 19. Jahrhundert
hinein auf den Radius eines Fußgängers beschränkt. Die wenigen Transportmittel - Pferd,
Wagen und Sänfte - konnten die Reisezeit zwischen zwei Punkten innerhalb der Stadt nur
unwesentlich verkürzen und waren zudem nur gehobenen Gesellschaftsschichten zugänglich.
Kennzeichen derartiger „Fußgängerstädte" (walking cities)' war neben der engen Bebauung
auch eine im Vergleich zu heutigen Städten stärkere soziale Durchmischung. Das Stadtzentrum
war nicht nur der Mittelpunkt von Handel und Gewerbe, sondern auch bevorzugter Wohnort
der sozial führenden Schichten. Die im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in nahezu
allen Metropolen eingeführten innerstädtischen Omnibuslinien konnten an dieser Stadtgliederung ebensowenig ändern wie die frühen, auf den Fernverkehr hin konzipierten Eisenbahnen.
Die geringe Reisegeschwindigkeit des Omnibusses und technische Probleme, die ein häufiges
Bremsen und Anfahren einer Dampflok mit sich brachten, machten beide Verkehrsmittel im
Nahverkehr nur bedingt einsatzfähig. In Berlin bestanden seit 1847 (in London nach Pariser
Vorbild bereits 1838) zwar einige innerstädtische Omnibuslinien, doch blieben Ausflugsfahrten
mit besonders dafür hergerichteten Fahrzeugen („Torwagen" und „Kremser") noch lange Zeit
das wichtigere Einsatzgebiet2. Eine Ausweitung des bebauten Stadtgebietes zur Zeit der
Herrschaft des Omnibusverkehrs (1847-1865) erfolgte in Berlin nur in geringem Maße.
Mit der Überwindung der technischen Probleme in der Lokomotivkonstruktion wurde die
Eisenbahn auch für den Nahverkehr interessant. Vornehmlich in England, aber auch in den
USA entstanden ab ca. 1850 neue Haltestellen an alten Fernbahnlinien und vereinzelt für den
Vorortverkehr konzipierte Strecken, z. B. in London 3 . Die Sommerwohnung auf dem Land
wurde durch die Eisenbahnverbindung zum ständigen Wohnsitz, die Annehmlichkeiten des
Landlebens konnten mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Anwesenheit in der Stadt
verbunden werden. Villenkolonien entstanden nun in einiger Entfernung zur Stadt, der moderne Vorort war geboren.
Zugleich mit dem Eisenbahn-Vorortverkehr wurde der innerstädtische Verkehr durch die
Einführung von Schienenfahrzeugen auf eine höhere Stufe gehoben. Die Zugkraft der Pferde,
so hatte sich gezeigt, konnte wesentlich besser und gleichmäßiger ausgenutzt werden. 1865
konnte in Berlin eine erste Pferdebahnlinie vom Kupfergraben nach Charlottenburg eingerichtet werden. Die ersten Fahrzeuge kamen aus Kopenhagen, wie auch ein dänischer Kaufmann
große Bedeutung für die Konzessionierung der Straßenbahn in der preußischen Metropole
hatte. Die erste Berliner Straßenbahnlinie und noch stärker ihre Verlängerung von Charlottenburg in die junge Villenkolonie Westend (1871) dienten vornehmlich dem Vorortverkehr. Das
neue Verkehrsmittel war so in Berlin zunächst auf einem Gebiet eingesetzt, auf dem es mit der
Eisenbahn - vor allem in der Schnelligkeit - keineswegs konkurrieren konnte. Der Geschäftserfolg der „Berliner Pferde-Eisenbahngesellschaft" war deshalb eher mäßig, vor allem nach dem
Ausbau der Ring- und Stadtbahn. Auch das zweite Straßenbahnunternehmen, die „Große
Berliner Pferdeeisenbahn-Gesellschaft", mußte sich in den ersten Jahren nach seiner Gründung
(1871) mit Strecken am Stadtrand begnügen. Erst 1882 war der Weg zum Aufbau innerstädtischer Linien - und damit zu besseren Renditen - frei".
322
Erster Triebwagen von 1881
II
Ohne die im 19. Jahrhundert entwickelte Verkehrstechnik wäre der für Berlin charakteristische
Kranz der Vororte niemals entstanden. Andererseits sind von den an der Erschließung der
Vororte finanziell interessierten Personengruppen auch erhebliche Initiativen zur technischen
Verbesserung der lokalen Verkehrsmittel ausgegangen. Am Beispiel der ältesten Berliner
Villenkolonie, Lichterfelde, wird dies besonders deutlich. Das Terrain für die Villenkolonie, die
Rittergüter Lichterfelde und Giesendorf, hatte der Kaufmann Johann Anton Wilhelm
Carstenn 1865 gekauft und im folgenden Jahr parzellieren lassen5. Carstenn hatte in den Jahren
zuvor intensiv die englischen Methoden der Stadterweiterung studiert und ein Vermögen bei
der erfolgreichen Aufschließung eines größeren Gebietes in Wandsbek, damals noch bei
Hamburg gelegen, erworben. Er wußte auch um die Wichtigkeit der Verkehrsanschlüsse für
eine neue Siedlung fernab der Stadt und erreichte in zähen Verhandlungen mit der „BerlinAnhalter Eisenbahn-Gesellschaft", daß ab 1868 einige Fernzüge in dem von ihm auf eigene
Kosten - zunächst provisorisch - eingerichteten Bahnhofhielten. Der Bahnhof Groß-Lichterfelde Anhalter Bahn, später Lichterfelde-Ost, wurde damit zum ersten Vorortbahnhof im
Berliner Raum und zum Ausgangspunkt des Vorort- und späteren S-Bahnverkehrs.
Um die Anziehungskraft der sehr ausgedehnten Villenkolonie zu steigern, verfiel der gebürtige
Holsteiner Carstenn auf einen preußisch-patriotischen Gedanken: Die preußische Hauptkadettenanstalt sollte nach seinen Vorstellungen in der Villenkolonie neu errichtet werden.
Eine Verlegung des im Stadtzentrum in alten Gebäuden nur unzulänglich untergebrachten
Instituts war auch vom Kriegsministerium geplant, allerdings an eine andere Stelle, in das
Gelände des Hippodroms, unmittelbar nordwestlich des späteren Stadtbahnhofes Zoologi323
Die Straßenbahn von 1881 im offenen Gelände vor der Hauptkadettenanstalt (zeitgenössische Ansicht)
scher Garten. In zähen Verhandlungen erreichte Carstenn, daß die Kadettenanstalt doch noch
in „seiner" Villensiedlung gebaut wurde. Der Preis für das Nachgeben des Kriegsministeriums
und der in diesem Fall zuständigen Intendantur des 1. Garderegiments war außerordentlich
hoch: Carstenn verpflichtete sich in einem am 23. Oktober 1871 in juristisch bindender Form
niedergelegten Vertrag, nicht nur ein Gelände von 93 Morgen frei herzugeben, sondern auch
u. a. für die Anlage der Gas- und Wasserversorgung, für eine leistungsfähige Kanalisation,
ferner für die Pflasterung der umgebenden Straßen und den Bau eines Schwimmbades zu
sorgen. Ein weiteres Grundstück von 12 Morgen mußte neben einem namhaften Geldbetrag
für den Bau von Lehrerwohnungen hergegeben werden. Um den Schülern und Lehrern die
Möglichkeit des Besuchs kultureller Veranstaltungen in Berlin zu geben, ging Carstenn auch die
Verpflichtung zum Betrieb einer Pferdeomnibuslinie zwischen der Kadettenanstalt und dem
Anhalter Bahnhof sowie der Sorge für billige und schnelle Verbindungen nach Berlin ein.
III
Die von Carstenn im Jahr der Hochkonjunktur des Bauwesens 1871 eingegangenen Verpflichtungen begannen in der Zeit der wirtschaftlichen Depression ab 1873 zunehmend zu drücken.
Der aufgrund seiner großzügigen Spende als „Carstenn von Lichterfelde" in den Adelsstand
erhobene Terrainspekulant vermochte die eingegangenen Verpflichtungen nicht mehr in vollem Umfang zu erfüllen. Das Kriegsministerium, das auf der vollen Erfüllung der Vertragsbedingungen bestand, hielt sich deshalb am Vermögen des Schenkers schadlos und konnte noch
zahlreiche weitere Grundstücke in Lichterfelde erwerben. In seinem Unmut über das Verhalten
324
Versuchsbahn „Spandauer Berg"
des Militärfiskus ließ sich Carstenn zu beleidigenden Äußerungen über die Militärbürokratie
hinreißen, die diese durch eine Strafanzeige 1887 beantwortete. Die wirtschaftliche Tätigkeit
des später als „Napoleon unter den Terrainspekulanten" bezeichneten Mannes beschränkte
sich zu dieser Zeit ganz auf den mit den Mitteln der Publizistik geführten Kampf gegen die
preußische Bürokratie6. Von den vielen Verpflichtungen Carstenns sollte die Einrichtung eines
Nahverkehrsbetriebes zwischen der Kadettenanstalt und dem Bahnhof Groß-Lichterfelde
Anhalter Bahn sich als besonders bedeutsam erweisen: Werner von Siemens, der bereits ein
Jahr nach der Fertigstellung der Kadettenanstalt im Rahmen der Gewerbe-Ausstellung von
1879 im Moabiter Ausstellungspark die erste elektrische Eisenbahn zur Personenbeförderung
vorgestellt hatte, begann sich für Lichterfelde zu interessieren. Die seit der Fertigstellung der
Kadettenanstalt im Jahre 1878 nicht mehr benötigte, insgesamt 2,5 km lange Materialtransportstrecke zwischen Kadettenanstalt und Bahnhof wurde von ihm zu einer Versuchsstrecke
für den elektrischen Bahnbetrieb reaktiviert. Am 16. Mai 1881, mithin vor 100 Jahren, fuhr die
erste elektrische, dem öffentlichen Verkehr dienende Straßenbahn in Lichterfe