- Rudolf Steiner Schulen der Schweiz
Transcrição
- Rudolf Steiner Schulen der Schweiz
forum 2010 I Inhalt Pausen – Spielplätze für individuelle Bedürfnisse Die Mittagspause – ein Fenster zur Welt Pausen – ein Lebensphänomen Pausenplatzgestaltung – ein Thema mit Tiefgang Editorial 2 5 8 10 Chère Lectrice, cher Lecteur Cara Lettrice, caro Lettore Liebe Leserin, lieber Leser Voilà le forum dans sa 10ème édition! Vous trouverez la traduction française à partir du mois d’août sous www.steinerschule.ch. Ecco la 10ma edizione del forum! A partire dal mese di agosto troverete la traduzione italiana su www.steinerschule.ch. Als Plattform für die Beziehungspflege zu den Ehemaligen und als Resonanzorgan für die Schulen erscheint das Forum in seiner 10. Ausgabe. Neu: Anthroposophische Lehrerbildung mit schweizerisch anerkanntem Lehrerdiplom 12 Was hat Ihre Schulzeit mehr geprägt: Dozierende Lehrer/innen oder Erlebnisse auf dem Pausenplatz? So pauschal wie diese Frage wird hoffentlich die Antwort nicht ausfallen. Deutlich wird aber: Unterrichtskultur alleine reicht nicht – Pausenkultur gehört genau so zu einer lebensgemässen Pädagogik. Pausen schaffen Integration 13 Arbeitswelterfahrung dank Unterrichtspausen 15 Leistungsorientierung, Leistungswettbewerb stehen in unserem täglichen Umfeld in Beruf, Studium, Schule immer mehr im Vordergrund. Schöpferische Phantasie, Kraft zur täglichen Arbeit entspringen anderen Quellen. Alle Lebensprozesse, auch die Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen verlaufen nicht linear und lassen sich schwer festmachen und definieren. Ein rhythmischer Wechsel zwischen zielorientiertem Output und Geschehenlassen, zwischen Konzentration und Entspannung ist so elementar notwendig, wie das Ausschnaufen nach dem Einatmen, wie Traum und Schlaf nach anstrengendem Wachen. Adressauskunft für Klassenzusammenkunft Adressänderungen bitte an: Doris Blösch, Schützengasse 134 2502 Biel Impressum Herausgeber Arbeitsgemeinschaft der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz und Liechtenstein Adresse forum RSS, Wassergasse 8 4310 Rheinfelden E-Mail: [email protected] Redaktion/Inserate Roland Muff Grafische Gestaltung [email protected] Adressverwaltung Doris Blösch, Schützengasse 134 2502 Biel Druck Tanner AG, 3550 Langnau i. E. Erscheinungsweise Einmal jährlich © Mai 2010 [email protected] E-Mail: [email protected] Unwägbares geschieht gerade in Pausen – kleine Erlebnisse entfalten hier oft grosse Wirkungen – zum Beispiel im Sozialen. Dass das Thema Pause ganz schön vielfältig sein kann, versuchen wir in dieser Ausgabe des Forum aufzuzeigen. Schatzsuche im Steinhaufen, ein Rinden- oder Prügelplatz, wo gerauft und gerangelt wird, Wollschweine und Schafe zum Anfassen, dies alles und viel mehr ist Pause an den drei Standorten der Rudolf Steiner Schule Bern, Ittigen, Langnau. An der Rudolf Steiner Schule in Wetzikon darf in der Mittagspause die «Liebe durch den Magen» gehen – auch wenn nach fremdländischen Rezepten gekocht wird. Die Mittagsverpflegung ist Teil eines nachhaltigen Reintegrationsprojektes des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes für ausländische Erwerbslose und hilft der Schule zugleich ein Fenster zur Welt zu öffnen. Wenn sich eine ältere «gestandene Dame» dem Entsiegeln von zugepflasterten Pausenhöfen annimmt, gibt es viel Arbeit und manchmal auch Spannungen – auf allen Ebenen. An der Rudolf Steiner Schule in Basel wird Pausenplatzgestaltung zu einem sozialen Übfeld und beglückenden Erlebnis für die beteiligten Eltern, Lehrkräfte und Schüler/innen. Auf die Pause als Atem in der Musik und Pädagogik – als Lebensphänomen, das gleichberechtigt neben dem Produzieren steht – macht Stefan Werren in seinem tiefschürfenden Beitrag aufmerksam. Eine weitere Möglichkeit, wie Mittagspausen den traditionellen Schulalltag und zugleich die Schulgemeinschaft erweitern können, wird im Bericht der Rudolf Steiner Schule Mayenfels veranschaulicht. Peter Lüthi zeigt auf, wie Unterbrechungen des Schulunterrichts durch Erfahrungen in der Arbeitswelt eine sinn- und beziehungsreiche Pädagogik fördern. Roland Muff PS: Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz bittet Sie, den beiliegenden Einzahlungsschein nicht zum Altpapier zu legen. Jeder Beitrag für eine freiheitliche, kindgerechte Pädagogik zählt! forum 2010 I Pausen – Spielplätze für individuelle Bedürfnisse Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen Langnau – eine Schule, drei Standorte, viele Pausenplätze, die leben und weiterentwickelt werden. Die Tendenz heisst: Kinderfreundlich, jugendgerechter und zunehmend naturnah. Wer die heutige Pausenplatz-Kultur der Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen Langnau kennenlernen möchte, muss sich an (mindestens) drei Orten umsehen: bei der Steinerschul-Villa im Zentrum von Langnau, beim «Schuldorf» am Melchenbühlweg am Stadtrand von Bern und rund um das grosse Schulhaus in Ittigen. Jeder dieser drei Schulstandorte hat sein eigenes Gepräge und nicht einfach nur einen einzigen grossen Pausenplatz, sondern verschiedene Flächen, Ecken und Nischen, die von den Kindern und Jugendlichen in den Pausen ganz unterschiedlich in Beschlag genommen werden. Rollenspiele, Fossilien suchen, Kristalle finden Es ist 10 Uhr. Die 1. Klasse sitzt vereint um die grosse Tafel und isst diskutierend das Znüni. Früchte, Getreideriegel, Studentenfutter und oft riesige Sandwiches spenden Kraft für die kommende Pausenaktivität und den Rest des Schulvormittags. Gleichzeitig wird die Pause geplant. Machen wir heute droben Pause, oder drunten im Gärtli ? Droben ist der Hartplatz mit dem märchenhaften Backhaus im Stile von Hänsel und Gretel. Drunten ist der Naturgarten mit Sand, Bäumen, Büschen, Steinen und Dreck. Würde man die Kinder fragen, so wäre immer ein Teil für oben und einer für unten zu haben. In diesem Falle bleibt die Entscheidung dem Lehrer bzw. der Witterung und Bodenfeuchtigkeit überlassen. Interessanterweise spielt der Ort nicht die wesentliche Rolle, wenn die Fantasie am Überquellen ist. Denn stets und überall gibt es ein Grüppchen, das sofort mit «Stübele» und Einrichten eines geborgenen Plätzchens beginnt und in wunderschöne Rollenspiele versinkt. Ein etwas grösserer Teil der Klasse hat es mehr mit der «Action», mit Räuber und Poli, mit Löwen und Pferden. Die Räuber werden dabei mit dem alten, kaputten Pneuwägelchen abgeführt – die Pferde nicht. Oder dann gibt es Tage, wo Ausfahrten mit der Kutsche angeboten werden, mit Baumblatt-Billetten, mit Verkehrspolizisten und Billettkontrolleuren, mit Unfällen und mit Sanität. Und immer gibt es forum 2010 I konnte, gab es Raum für eine Kräuterschnecke, ein Gartenkinderhäuschen und einen Sandhaufen. „So haben die Kleinen nun eine Ecke für sich“, sagt Rosemarie Baumgartner, die Lehrerin der 8. und 9. Klasse. „Nun wollen wir auch noch etwas für die Grösseren einrichten.“ Dank Stiftungsgeldern und der letztjährigen Weihnachtsspende der Eltern konnte und kann die Schule in Langnau die Gestaltung des Aussenraums verbessern, ohne das knappe Schulbudget zu belasten. Als nächstes soll die Bretterwand zur Strasse hin durch einen Lebhag aus einheimischen Sträuchern ersetzt werden – ein weiterer Schritt zur Pflege der Natur auf dem Schulareal: Bereits wurden Eiben durch geeignetere Pflanzen ersetzt, und die uralte, geschützte Rotbuche mitten auf dem Pausenplatz kann dank fachmännisch gelichteter Krone und gelockertem Boden wieder besser gedeihen. Nun wird als nächstes Projekt der Bau einer Arena erwogen – ein grösseres Vorhaben, das aus pädagogischen und finanziellen Gründen wohl noch einige Gespräche erfordert. Derweil beschäftigt sich das Kollegium auch mit der Frage, wie es die älteren Schülerinnen und Schüler besser dazu bewegen kann, in den Pausen auch wirklich nach draussen zu gehen. einzelne Kinder, welche ihrer Natur gemäss die ganze Sache aus sicherer Warte beobachten und kommentieren. Im Gärtchen kommt die Schatzsuche hinzu. Da hat doch jemand einen halben Lastwagen Ölschiefer mit Versteinerungen abgeladen. Welch ein Eldorado für die jungen Fossiliensucher! Manchmal hat sogar noch ein Zwerglein einen kleinen Kristall verloren. Oder hat es ihn wohl absichtlich dort versteckt? Auf jeden Fall wird fieberhaft gegraben, gesucht und gefunden und ob jedem Fund gejubelt. Jeder halbwegs informierte Polizist würde, wenn er mittags Kinder auf dem Nachhauseweg kontrollieren müsste, allein aus den Jacken- und Hosensack-Inhalten schliessen können, welche Schule besucht wird. Thomas Schaerer, Klassenlehrer, Ittigen Vom sterilen Pausenplatz zum bespielbaren Naturgarten Die Schülerinnen und Schüler, das Kollegium und Eltern haben im letzten Jahr tatkräftig Hand angelegt, um den Pausenplatz neben dem Schulhaus in Langnau aufzuwerten. Weil er zur Nachbarvilla hin erweitert werden Die Gestaltung des Aussenraums ist auch an der Steinerschule in Ittigen ein Dauerbrenner. Hier haben die Jugendlichen der 12. Klasse vor fünf Jahren mit einer Spende aus ihrem Industriepraktikum einen spannenden Impuls gegeben: Der Grossteil des Schulareals soll zu einem «bespiel- forum 2010 I baren Naturgarten» werden. Als erstes wurde zwischen dem Schulgarten, der im Gartenbau-Unterricht bewirtschaftet wird, und den versiegelten Zufahrts- und Parkierflächen der eingangs beschriebene Naturgarten angelegt: mit Feuerstelle, einer Sandfläche und einem kleinen Hügel. Eine weitere Umgestaltung wurde während einer Projektwoche der Integrativen Mittelschule (IMS) durch Jugendliche der obersten Klassen realisiert. Sie haben beim Zugang zum Schulhaus exotische Sträucher durch einheimische Wildäpfel, Schleen, Heckenrosen und Weissdorn ersetzt. Dazu wurden Stein- und Kiesflächen angelegt – was neben dem ökologischen Nutzen auch den Vorteil hat, dass die Kleider der spielenden Kinder weniger dreckig werden. Dank der Initiative eines Schulvaters entstand auf dem Verbundstein-Platz vor der Schulhaus-Türe eine Steinpyramide, auf der in den Pausen nun vor allem die Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe sitzen und herumturnen. Und als nächstes wälzt das Kollegium weitere Pläne, wie die versiegelten Flächen verkleinert und der Zugang zum Schulhaus neu gestaltet werden könnte: ästhetisch schöner, pädagogisch sinnvoll und ökologisch wertvoller – eben ganz im Sinne eines «bespielbaren Naturgartens». Richard Begbie, Bruno Vanoni, Co-Vorsitzende des Schulvereins Bern Ittigen Langnau Das Schulareal zur Heimat gemacht – sogar für Tiere Das Schuldorf am Melchenbühlweg liegt am Rande der Stadt Bern, gleich neben dem Zentrum Paul Klee, mit herrlichem Blick auf die Alpenkette. Wie in einem richtigen Dorf gruppieren sich die einzelnen Holz-Pavillons um einen Dorfplatz mit einer mächtigen Eiche. Dieser grosse, freie Platz wird akzentuiert durch eine Drachenskulptur, die im Rahmen eines Oberstufenprojekts entstanden ist, und einen Quellstein in einer weiten, gepflästerten Schale. Darum herum sind im Laufe der Zeit unterschiedliche Bereiche entstanden, die ganz verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden. Entlang dem nahen Waldrand lädt ein Steinlabyrinth zu beschaulichem Verweilen ein. Ein Regenwasserreservoir mit Handpumpe ermöglicht vielfältige Wasserspiele. Im Backunterstand vor der Mensa duftet es nach frischem Brot. Unweit davon werden auf dem Bauplatz mit Steinen und Holzbrettern eigene Hausbauideen verwirklicht. Das Insektenhotel ist das Eingangstor zum Tiergarten: Hasen hoppeln durch ein weites Gehege, zwei Wollschweine suhlen sich im Schlamm, die Lammzwillinge tollen um die beiden Schafe herum. Auf dem Rinden- oder Prügelplatz darf gerauft und gerangelt werden. Vom Turm aus Platanenstämmen herab lassen sich die hitzigen Kämpfe aus sicherer Warte beobachten. Im dynamischen Betrieb auf dem Sportplatz mit Kunststoffbelag lassen sich Talente mit Zukunftspotential entdecken. Beim Kindergarten sind der Sandkasten und das Holzchalet für die Kleinen reserviert. Pause findet hier durchgängig statt, alle Plätze werden intensiv genutzt. Während die ältesten Installationen langsam vermodern, werden schon eifrig neue Pläne geschmiedet: eine grosse Schaukel, mehr Sitzgelegenheiten, ein Sonnensegel… Die bisherige Gestaltung wurde dank Einzelinitiativen realisiert. Für Koordination und Übersicht sorgt die Umgebungsgruppe, in der sich Eltern und Kollegiumsmitglieder mit Unterhalt und Planung befassen. Diese Gruppe führt auch regelmässige Elternsamstage und Klasseneinsätze durch, an denen die Pflege der weitläufigen Umgebung besorgt wird. So befindet sich unser Umschwung in stetem Wandel. Bestand hat dagegen der Satz aus dem Leitbild: „Die Schulhausumgebung soll ein Ort sein, der allen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen vielfältige Begegnungsmöglichkeiten und Tätigkeitsfelder eröffnet und ihnen als Arbeits- und Erholungsraum «Heimat» bieten kann.“ Christian Bart, Klassenlehrer, Bern-Melchenbühl forum 2010 I Die Mittagspause – ein Fenster zur Welt Durch die Zusammenarbeit mit dem Arbeiterhilfswerk öffnet die Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland täglich das Fenster zu einer etwas anderen Lebenswelt – multikulturell und sozial. Die Idee einer Mensa war ein lange gehegter Wunsch der Schule. Die vielen auswärtigen Kinder und Jugendlichen verpflegten sich aus dem Rucksack, was nicht den pädagogischen Idealen der Schule entspricht. Schliesslich konnte im Neubau des Klassentrakts im Jahr 2001 eine Mensa realisiert werden, allerdings nicht von Beginn vollständig ausgebaut. Dank der Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH Zürich fand sich schliesslich aber der Weg zum heutigen Betrieb der Mensa, welche heute von der Schule nicht mehr wegzudenken ist. Eine glückliche Zusammenarbeit Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH Zürich mit seinem Projekt SalSAH und die Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland arbeiten seit rund elf Jahren im Rahmen der Mittagsverpflegung zusammen. In dieser Kooperation haben sich zwei Organisationen zusammengetan, die über ähnliche Wertehaltungen und Menschenbilder verfügen. So heisst es in der Vision im Leitbild des SAH Zürich: „Unser Hilfswerk engagiert sich für eine sozial, politisch und ökonomisch gerechte Gesellschaft. Wir unterstützen Menschen darin, sich ein Leben in Würde und Sicherheit aufzubauen.“ Gerade die Werte wie Freiheit, Selbstverantwortung und Solidarität, die in dieser Vision mit anklingen, sind auch Leitgedanken der Rudolf Steiner Schule. Liebe geht durch den Magen In der ersten Zeit wurden die Mittagsmahlzeiten von den Mitarbeiterinnen des SalSAH im Ortsteil Kempten von Wetzikon produziert und an die Usterstrasse an die Schule geliefert. Seit April 2005 wird vor Ort produziert. Mit Inbetriebnahme der Mensa hat sich die Kooperation zwischen RSSZO und dem SAH Zürich mit den engagierten SalSAH Mitarbeiterinnen nochmals vertieft. Dabei gilt als oberstes Ziel, den Bedürfnissen der hungrigen Schüler und Lehrerschaft Rechnung zu tragen und ein schmackhaftes, gesundes und gleichzeitig preiswertes Essen auf den Tisch zu bringen. Die vielen positiven Rückmeldungen ermuntern die Köchinnen jeden Tag aufs Neue, kulinarische Höchstleistungen zu erbringen – selbstverständlich gezielt den Umstand nutzend, dass «Liebe durch den Magen geht». Das Frauenprojekt SalSAH Im SalSAH werden ausländische erwerbslose Teilnehmerinnen auf eine möglichst nachhaltige Reintegration in den Arbeitsmarkt vorbereitet. Die Frauen sind in der Re- forum 2010 I tinnen in optimaler Weise entgegenkommt. Und wer an der Schule mit den fremdsprachigen Teilnehmerinnen des SalSAH ins Gespräch kommt, kann wohl auch mal über die Redensart «Liebe geht durch den Magen» diskutieren und dabei eventuell von unerwarteten Einblicken in Redensarten anderer Kulturen profitieren. Die Mensaleitung Wer sind die tragenden Personen hinter dem Projekt SalSAH an der Schule in Wetzikon? Die Leiterinnen stellen sich selber vor: Das Team der Mensa der Rudolf Steiner Schule in Wetzikon mit den Mensaleiterinnen Tanja Riz à Porta (vorne links) und Christa Vetterli (vorne rechts). Christa Vetterli: Pizza, Pasta, Salat und Schoggicrème. Die Lieblingsgerichte der Schülerinnen und Schüler stehen heute auf der Menü-Tafel. Um 11.30 muss alles fertig sein. Ich verpflege nun seit bald elf Jahren mit grosser Freude die Schülerinnen und Schüler der Steiner-Schule. Ich bin GastroFachfrau und Agogin. Die Vielseitigkeit meiner Arbeit erfüllt mich sehr. Kräuter aus dem Schulgarten, Mozart beim Vorbeigehen. Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler, die Kontakt zu uns und unseren Teilnehmerinnen aufnehmen. Ist doch ein schöner Arbeitsplatz. Oder? gel beruflich schlecht qualifiziert und verfügen über geringe Deutschkenntnisse. Es versteht sich von selbst, dass sie eine behutsame und intensive Begleitung und Unterstützung benötigen. Das Programm SalSAH (22 Plätze) dauert maximal sechs Monate und besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil erarbeiten sich die Frauen elementare Kenntnisse in den Bereichen Gastronomie und Hauswirtschaft. Sie erhalten auch Unterstützung bei der Stellensuche. Zum Programm gehört zudem eine gezielte Deutschförderung, insbesondere am Arbeitsplatz. Bei Bedarf wird individuelles Coaching angeboten. Im zweiten Teil des Programms in der Mensa der RSSZO werden die Frauen noch näher an die Realitäten des Arbeitsmarktes herangeführt: Sie steigen in den Mensabetrieb ein und produzieren Mahlzeiten. Das SAH Zürich freut sich mit den Teilnehmerinnen, dass sie mit der Mensa der RSSZO ein arbeitsmarktnahes Setting und soziales Umfeld anbieten können, das den Bedürfnissen und der beruflichen Förderung der MigranMenüplan einer Woche: Montag Dienstag Mittwoch Suppenküche Fischröllchen Spinat durch Selleriepiccata Salzkartoffeln Schuleltern Polentaschnitten Eier Fruchtsalat Kuchen Donnerstag Freitag Brätkügeli/ Tofukügeli Reis Erbsen Pfirsichkompott Spaghetti mit verschiedenen Saucen Vanillecreme mit Früchten Im Winterhalbjahr gibt es zum täglichen Menü Salat und Suppe. Das Brot wird selber gebacken. forum 2010 I Tanja Riz à Porta: Seit gut fünf Jahren arbeite ich im Frauenprojekt SalSAH als sozio-kulturelle Animatorin und Köchin und leite gemeinsam mit Christa Vetterli die Mensa unserer Schule. Meine Arbeit zeichnet sich durch Vielseitigkeit aus. Als Gastgeberinnen verwöhnen wir unsere Gäste. Wir legen Wert auf eine abwechslungsreiche Kost und auf eine schöne farbliche Präsentation der Gerichte, beispielsweise des Salatbuffets. Die Mensa ist für Schülerinnen, Schüler, Lehrpersonen und Eltern eine Oase der Erholung und Ruhe. Es herrscht eine entspannte, rücksichtsvolle Atmosphäre. Häufig kommen Schülerinnen und Schüler schon in der Pause, um zu fragen, was es zu Mittag gibt. Andere bitten um ein Stück Brot oder einen Apfel. Die Schwerpunkte unserer Arbeit: Als Köchinnen versuchen wir, möglichst kinder- und jugendgerechte, gesunde und lustvolle Menüs zu planen und zuzubereiten. Die Teilnehmerinnen lernen bei uns die wichtigsten fachlichen Grundlagen für die Arbeit als Küchenhilfe. Jede Gruppe bringt andere Voraussetzungen mit. Bei der Planung muss ein vielseitiges Lernfeld berücksichtigt werden, was nicht immer einfach mit dem Mensabetrieb kombiniert werden kann. Unsere Teilnehmerinnen lernen bei uns viel über eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Uns ist es wichtig, dass sie ihren kulturellen Hintergrund einfliessen lassen können. Ab und zu verwöhnen sie die hungrigen Mäuler mit einer Spezialität aus ihrer Heimat. Auf diese Weise lernen unsere Kinder und Jugendlichen auch fremde Kulturen kennen. Die kurzen Gespräche zwischen Schulpersonen und Teilnehmerinnen sind ein sozio-kultureller Austausch, der uns sehr am Herzen liegt. Während des Rüstens und Kochens sprechen wir oft miteinander, tauschen uns aus – natürlich in Deutsch. So lernen die Teilnehmerinnen die schwierige deutsche Sprache besser sprechen und verstehen, was eine Voraussetzung ist, um eine Stelle zu finden. Während diesen Gesprächen erfahren wir viel über die Bedürfnisse der einzelnen Frauen, über ihr Umfeld, ihre sozialen Schwierigkeiten als Folge der Arbeitslosigkeit. Wichtig ist uns die aktive Hilfestellung bei der Stellensuche. Deutlich mehr als ein Drittel der Teilnehmerinnen finden auch dank des Projektes eine Stelle, was für uns einen grossen Erfolg darstellt. Hans Fröhlich, Geschäftsleitung SAH Zürich, Bereichsleitung PVB (Programm der vorübergehenden Beschäftigung); Martin Wiggli, Bereichsleiter berufliche Integration; Brigit Ruprecht, Projektleitung SalSAH; Tanja Riz à Porta, Christa Vetterli, Mitarbeiterinnen SalSAH; Kurt Eggenschwiler, Vorstand Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland; Susan Muffler, Vertreterin der Eltern. Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland: 2 Kindergärten und 12 Klassen (9. – 12. Klasse: integrative Mittelschule). 370 Kinder, 180 Familien, 30 Lehrpersonen und weitere Mitarbeitende. Mensabetrieb: 2 Leiterinnen mit 6 Mitarbeiterinnen (Wechsel alle drei Monate) vom Projekt SalSAH des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH Zürich. 80 – 130 Mahlzeiten täglich von Dienstag bis Freitag (jeden Montag besuchen die Frauen im Bildungszentrum des SAH Zürich einen Deutschkurs und bekommen Unterstützung bei der Stellensuche). Verpflegt werden Schülerinnen und Schüler ab 4. Klasse, Lehrkräfte, Gäste, auch Mütter, Väter oder ganze Familien sowie Schülerhort, der mit Leiterwagen das in Isolierkisten verpackte Essen abholt. 4. Klasse betreut durch Klassenlehrperson; 5. – 8. Klasse: gemeinsames Essen bei weniger enger Begleitung. Oberstufenschülerinnen und -schüler organisieren sich individuell. Organisation in zwei bis drei Essenszeiten. Mensa und gut ausgestattete Küche der RSSZO wird dem SAH von der Schule zur Verfügung gestellt. Abrechnung von 6.50 pro Mahlzeit über die Schulmaterialrechnung. Organisation am Anfang des Schuljahres, quartalsweise An- und Abmeldungen über das Schulsekretariat. Keine Ausweise oder Löchlikarten, sondern Stichproben. forum 2010 I Pausen – ein Lebensphänomen Die Musik kann lehren, dass Pausen gleichberechtigt neben dem Produzieren stehen. Sie verweist auf alles Organisch-Lebendige, auf das Atmen und den Ausgleich zwischen Innen und Aussen. Jedes Musikstück ist ein lebendiges Geflecht von Beziehungen. Eine Folge von isolierten Einzeltönen erleben wir kaum als sinnvolle Melodie. Erst die kurze, unhörbare Bewegung von Ton zu Ton, das Intervall erfüllt eine Tonfolge mit musikalischem Sinn, macht das lose Nebeneinander zum seelisch nachvollziehbaren, differenzierten, musikalischen Organismus. Beziehungen in einem Musikstück realisieren sich immer im Phänomen des Zwischenraumes. Diese kurzen Momente des Innehaltens, oft kaum wahrnehmbar, wandeln Einzelheiten in einer faszinierenden Alchemie zu einem sinnvollen Ganzen. Im Zeitstrom musikalischer Gestaltungen nimmt die «Pause» eine wesentliche Stellung ein. In der Pause mündet der hörbare Klangstrom in einen mehr oder weniger langen Raum des Unhörbaren. Die musikalische Pause ist kein akustisches Loch, kein Nichts. Im Gegenteil! Die äussere Aktivität kehrt sich um, stülpt sich in einen Bereich besonders starker innerer Aktivität (jeder Dirigent weiss, dass Pausen besonders intensiv geschlagen werden müssen). In Pausen können starke Spannungen erzeugt werden. Höhepunkte münden oft in die Stille und «dröhnen» in der Unhörbarkeit weiter. Der musikalische Strom klappt in einen Gegenraum. Es gibt eine grosse Vielfalt verschiedenster Arten musikalischer Pausen: Spannungspausen, Wandlungspausen, Atempausen etc. Es ist hier nicht der Ort, diese im Einzelnen zu erläutern. Wir wollen uns nur einige Grundphänomene bewusst machen. Ein besonders starker Augenblick der Stille bildet der Raum, bzw. Gegenraum, der entsteht, wenn ein Werk verklungen ist. Die ganze Grösse der Musik kommt einem oft gerade in diesem Moment, wenn eben nichts mehr äusserlich klingt, zum Bewusstsein (wenn ein Menschenleben «verklungen» ist, nach Eintreten des Todes, kann einem auch schlagartig die Besonderheit, Grösse eines Menschen aufgehen…). Die eben verklungene Musik «erdröhnt» in der nachfolgenden Stille. Stille häuft sich an um mich, die Erde fürs Gedicht. Reiner Kunze Musik ist immer ein wechselvolles Spiel zwischen Hörbarem und Unhörbaren; das Hörbare bekommt seinen Sinn durch das Unhörbare, das Unhörbare kann uns bewusst werden am Hörbaren. Musikalischer Zusammenhang hat seinen tiefsten Grund immer im Unhörbaren, im Zwischenraum. Das Wesentliche in der Musik geschieht im Unhörbaren. Musik, so verstanden, kann uns ein Bild des Lebens sein. Der Zwischenraum, die Pause im Leben Rastlose Tätigkeit ist eine Grundtendenz der modernen Zivilisation! Augenblicke des Innehaltens sind selten, ja, oft sogar verpönt! Dabei muss alles Leben immer wieder in den Gegenraum der Stille einmünden, will es nicht durch aushöhlende Aktivität vertrocknen. Die Pflanze verblüht – wird Same – um neu zu wachsen. Der Mensch muss schlafen, will er sich regenerieren. Und der Tod? Man nennt ihn wohl nicht zufällig den grossen Bruder des Schlafes… Auch im Alltag sind Momente des Innehaltens, des bewussten Unterbrechens des unaufhörlichen Zeitstromes, notwendig. Kein Tag sollte vergehen, in welchem wir nicht einen, wenn auch kurzen Augenblick der Selbstbesinnung einschalten. Es können sich aber auch natürliche Zäsuren ergeben. Bevor wir eine wichtige Sache anpacken, ist ein kurzes Innehalten manchmal sehr entscheidend. In solchen kurzen «Austritten» aus der Zeit, können wesentliche Kräfte zur Entfaltung kommen. Das alltägliche Leben ist von den verschiedensten Pausen und Zwischenräumen durchsetzt. Bei aller Verschiedenheit haben diese Zäsuren doch etwas Gemeinsames: Jede Pause hat die Tendenz zur Vertiefung, Verarbeitung. Besonders im Schlaf findet eine, wenn auch unbewusste Verarbeitung und vielleicht auch Verwandlung des Erlebten statt. forum 2010 I Dieser regelmässige Austritt aus dem täglichen Zeitenlauf ist lebenswichtig; schrecklich, wenn wir vom Schlaf gewaltsam abgehalten werden. Die sich überschlagenden täglichen, vielfältigsten Ereignisse bündeln sich kaum zu einem sinnvollen Ganzen, wenn wir uns nicht immer wieder in Distanz einen Überblick verschaffen; auch da, ein kurzer Austritt aus der Zeit macht Zusammenhänge bewusst. Und der Tod? Eine gewaltige Zäsur, gleichsam eine Generalpause! Dass der Tod die ewige Ruhe, ein seliges Ende bedeutet, ist ein eher neuer Gedanke. Allerdings nicht der einzig mögliche! Ursprünglich war es den Menschen eine Gewissheit, dass ein unsterblicher Keim (Entelechie) auch losgelöst vom Körper weiter lebt. Auf alle Fälle gilt: Es müssen gewaltige Metamorphosen sein! Entwicklungen in grossem Stil im umgestülpten Raum einer geistigen Welt. Eine grossartige Verwandlungspause! Das Nichtwort ausgespannt zwischen Wort und Wort. Hilde Domin Es arbeitet weiter, verschwindet eben nicht! Eine Weile vom Licht ferngehalten, kann sich eine Sache anscheinend viel besser entwickeln. Es gibt Dinge, die brauchen sehr viel Zeit zur Reifung, müssen lange im Vergessen aufgehoben werden, um die notwendigen Entwicklungskräfte bilden zu können. Beethoven hat oft jahrelang an Ideen gearbeitet, bis sie die richtige Gestalt angenommen hatten. Sinnvolles Üben, z.B. eines Musikinstrumentes, kann nur funktionieren, wenn es regelmässig geschieht und von natürlichen Unterbrüchen begleitet ist; man kann eine schwierige Stelle nicht ununterbrochen üben bis sie sitzt… immer wieder versuchen… liegen lassen, neu versuchen… plötzlich geht es… das ist das Geheimnis. Man kann die ganze Sache auch unter dem Aspekt von Spannung und Entspannung betrachten. Die Pause braucht mich Um sich zu sammeln Verstohlen hol ich aus ihrer entzündlichen Stille den Funken Rose Ausländer Die Pause in der Pädagogik Jeder Lehrer kennt das Wunder des Lernens! Gestern ging’s doch so schlecht… die Nacht liegt dazwischen, man versucht es anderntags noch mal und es geht deutlich besser! Ohne, dass konkret an einer Sache gearbeitet wird, geht die Wirkung in einer anderen Ebene weiter und es bilden sich Fähigkeiten! Kein seltenes Ereignis und doch immer wieder ein Wunder. Loslassen ist wohl bei allen Tätigkeiten in welchen etwas gelernt, gestaltet, aufgebaut wird eine unentbehrliche, wesentliche Stufe. Konzentriertem Wirken muss ein bewusstes Loslassen (in die Pause führen!) folgen. In diesem Atem kann etwas wachsen und gedeihen. Es braucht immer wieder Vertrauen, seine Aktivität in diesen geheimnisvollen Raum des Unsichtbaren gleiten zu lassen. Vertrauen in Kräfte, die unserem Zugriff unzugänglich sind. Und doch können wir ihre Wirkungen immer neue erfahren. In der Erziehung ist der bewusste Umgang mit Unterbrüchen, Pausen und Zäsuren, in kleinen und grösseren Zeiträumen, ein sehr wichtiges Mittel zum Lernen. Man muss sogar von bewusstem Umgang mit dem Vergessen sprechen. Gelerntes wird für eine bestimmte Zeit im tiefen Keller der Seele zum Reifen auf die Seite gestellt. Stefan Werren, Musiklehrer an der Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen Langnau. forum 2010 I 10 Pausenplatzgestaltung – ein Thema mit Tiefgang Es kann sein, dass auch eine grosse, altbewährte Schule dem Thema «Pause» bisher wenig Aufmerksamkeit schenkte. Umso erfreulicher, dass die Basler Rudolf Steiner Schule sich nun mit viel Engagement und Phantasie der Pausenplatz-Gestaltung annimmt und damit das Lernen jenseits des Unterrichts fokussiert. Klettern, Hangeln, Hüpfen oder Balancieren sind nötig, um die kognitiven und motorischen Fähigkeiten zu trainieren und auszudifferenzieren. Die Schule auf dem Jakobsberg beherbergt 700 Schüler und Schülerinnen in 24 Klassen. Diese verbrachten bisher ihre Pausen nach Altersgruppen getrennt auf 4 überwiegend geteerten Pausenplätzen, mit wenig Anregungen zum Spielen und Sich Bewegen. Eine soziale Durchmischung zwischen den verschiedenen Altersstufen wurde bewusst vermieden. vielfältige Sinneserfahrungen eine grosse Rolle. Nach ausgiebiger Beratung mit der Steuergruppe erstellte sie einen Gesamtplan als Grobkonzept, aus dem die verschiedenen Etappen für die Umsetzung entwickelt wurden. Den Sinn einer Sache erfährt man am besten über die Sinne. Was Kinder für die Zukunft «begreifen» sollen, müssen sie erst einmal «greifen» können. Sie lieben sensorische Sensationen und brauchen komplexe und dynamische Strukturen, die die Suche nach Lösungen provozieren und außerdem die Lust am Experimentieren und Kombinieren wecken und fördern. In unserer stark urbanisierten Welt sind die Rahmenbedingungen hierfür nicht mehr selbstverständlich gegeben und oft stark eingeschränkt. Informelle Spiel- und Bewegungsräume werden durch organisierte, verplante und angeleitete Freizeitaktivitäten verdrängt. Statisch passives Sitzen vor Computern macht Kinder zu Stubenhockern. Weniger Spielpartner und die Überbehütung durch Erwachsene schränken spontane Spiel- und Bewegungstriebe massiv ein. Aus der Ausschreibung für den Workshop «Kinderwelt ist Bewegungswelt» der Rudolf Steiner Schule Basel Schön geformt – doch wo geht’s zum Pausenplatz? Das Projekt Durch den sich immer stärker abzeichnenden Bewegungsmangel, dem viele Kinder und Jugendliche heute ausgesetzt sind, wurde das Bedürfnis nach einer umfassenden Gestaltung der Aussenräume immer dringender. Deutlich wurde auch das Bedürfnis nach einem freieren Ausgleich gegenüber dem stark formbetonten Schulhausgebäude. Unter der Leitung eines Klassenlehrers bildete sich zusammen mit Eltern, SchülerInnen, Abwart und weiteren Lehrern die «Steuergruppe Neue Pausenhöfe». Angesichts der sehr eingeschränkten Platzverhältnisse suchte sie einen kompetenten Partner und fanden ihn in der Firma KuKuK (Kunst und Kultur Konzeption, Stuttgart). Sie hat sich auf die Gestaltung von Spielplätzen und Pausenräumen nach pädagogischen Gesichtspunkten spezialisiert. Dabei spielen sowohl die Ästhetik wie das Angebot für möglichst Die Finanzierung Das Projekt wurde mit der Vorgabe gestartet, dass das Schulbudget dafür nicht beansprucht werden darf. Es waren also Ideen gefragt, wie die notwendigen Geldmittel beschafft werden konnten. Unter dem Titel «Kindern Raum schenken» wurde mit Hilfe eines Fundraisers ein erster Spendenaufruf gestartet. Dabei wurden gezielt Stiftungen und Firmen angefragt, die solche Projekte unterstützen. Die Aktion war so erfolgreich, dass die Finanzierung der ersten, kostenintensiven Etappe bald gesichert war. Eine Firma sagte zudem einen namhaften Betrag zu unter der Bedingung, dass dieselbe Summe mit Kleinspenden aus dem Umfeld der Schule gesammelt würde. Das Wissen, dass jede Spende damit verdoppelt wurde, überzeugte wiederum viele Menschen, das Projekt mit kleinen und grösseren Beträgen zu unter- forum 2010 I 11 stützen. Mit dem Verkauf von selbst gebastelten Sternen als Abzeichen am Bazar konnte der geforderte Betrag vollends erreicht werden. Da die zweite Etappe, der Unterstufen-Pausenraum, mit Hilfe von Schülern, Eltern und Lehrern sehr kostengünstig umgestaltet werden konnte, bleibt für die dritte Etappe ein kleines Startpolster. Noch hängt die Umsetzung jedoch vom Eingang weiterer Spenden ab. Die erste Etappe: der Innenhof Der Innenhof im Herzen der Schule wurde aus baupraktischen Gründen wegen seiner eingeschlossenen Lage als Erstes angegangen. Es sollte eine ruhige «Oase» entstehen mit vielen verschiedenen Sitzplätzen, einem Brunnen und einem Atrium mit Weidendach, das z. B. als grünes Klassenzimmer dienen könnte. Teer und Blumenrabatte wurden in den Sommerferien 2008 von einem fachkundigen Schulvater ausgebaggert, Erde und Humus herangefahren und modelliert, das Atrium ausgehoben und mit Granitsteinen befestigt. Ein Granitfels mit Mosaikwasserlauf wurde von Oberstufen- schülerInnen gestaltet. Ein Baumhaus und zwei grosse Holzhängematten wurden installiert. Und zu guter Letzt wurde der Rasen gesät und Stauden wurden gepflanzt. Am 24. April 2009 fand das Einweihungsfest mit der Schulgemeinschaft statt. Die zweite Etappe: die Umgestaltung und Erweiterung des Erstklass-Pausenhofs Der einzige Pausenplatz, der eine kleine Grünfläche anbieten konnte, war über die Jahre mehr und mehr zugewachsen. Ein grosses Biotop schloss sich daran an, für dessen Pflege sich niemand mehr zuständig fühlte. Das Gelände wurde weiträumig gerodet, eine neue Umzäunung in Absprache mit der Nachbarschaft angebracht, das Biotop trocken gelegt und in einen grossen Sandspielplatz verwandelt. Ein gehäckselter Ringplatz wurde angelegt. Bei dieser Etappe konnten nun vermehrt viele freiwillige grosse und kleine Helfer aus der Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft mithelfen. Im Frühjahr werden die beiden dritten Klassen anlässlich ihrer Bauepochen eine Baumplattform zum Klettern erstellen und bei der Renovation des Spielhäuschens Hand anlegen. Die Einrichtung eines Balancier- und Freispielplatzes, einer Rutschbahn, einer Wippe und eines Wasserspiels sind ebenfalls für dieses Jahr noch geplant. Diese Erweiterung bietet Pausenraum für die 1. – 3. Klassen. forum 2010 I 12 Die dritte Etappe: Gestaltung von Pausenraum für die Mittelstufe Als Auftakt zur Gestaltung vom Pausenraum für die Mittelstufe organisierte die Steuergruppe Anfang März 2010 eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel «Kinderwelt ist Bewegungswelt». Es sollten die Bedürfnisse und Notwendigkeiten dieser Altersgruppe aus dem Blickwinkel der neusten Erkenntnisse aus Pädagogik, Medizin, Sportwissenschaft, Sinnesforschung und Ästhetik zusammengetragen werden. Dazu wurden Experten aus den verschiedenen Fachrichtungen eingeladen und natürlich nahmen auch die Vertreter der Firma KuKuK daran teil. Am folgenden Tag fand ein «runder Tisch» mit allen Beteiligten statt, um die Ergebnisse zusammenzutragen und bis in die Planung der praktischen Umsetzung hinein auszuarbeiten. Im Mittelpunkt stand ein neuartiger Bewe- gungspfad, der möglichst viele der angeklungenen Bedürfnisse berücksichtigen wird. Auswirkungen Es war und ist für viele Eltern, Lehrer und Schüler ein beglückendes Erlebnis an solch einem Projekt gemeinsam mitwirken zu können. Schwierige Situationen im Schulalltag können dann auf einer anderen Grundlage gemeistert werden. Lernen mussten die Verantwortlichen der Steuergruppe, wie eine transparente Projektführung einerseits zum Lehrerkollegium und andererseits zu Eltern und Schülern gewährleistet werden kann. Dies führte anfänglich zu manchen Missverständnissen und Ärgernissen. Inzwischen gibt es eine speziell für das Projekt gestaltete Info-Tafel in der Eingangshalle der Schule und regelmässige Berichte in den Schulmitteilungen. Es handelt sich um ein mehrjähriges Projekt, das seine Gesamtwirkung erst nach der vollständigen Umsetzung erhält. So kann der Innenhof als «Ort der Ruhe» seinen Sinn für die Schulgemeinschaft erst ganz entfalten, wenn die Orte der Bewegung um das Schulgebäude herum ebenfalls alle Gestalt angenommen haben. Die Bauarbeiten brachten sogar kurzfristig zusätzliche Einschränkungen des Bewegungsspielraumes mit sich, welche unter vielen Betroffenen Enttäuschung hervorrief, da sie sich eine schnellere Verbesserung der Situation wünschten. Dafür hat sich gezeigt, dass eine breite Beteiligung vieler mit der Schule verbundenen Menschen an diesem Gestaltungsprozess sehr wertvoll ist. Das umfassende Vorhaben war von Beginn an auch ein Übfeld für die Sozialgestalt der Schulgemeinschaft. Matthias Hugenschmidt, Fundraising Rudolf Steiner Schule Basel Neu: Anthroposophische Lehrerbildung in Dornach führt zu schweizerisch anerkanntem Primarlehrerdiplom Die Akademie für anthroposophische Pädagogik (AfaP) bildet angehende Lehrerinnen und Lehrer in praxisnahen Studiengängen für eine Unterrichtstätigkeit an einer Rudolf Steiner Schule respektive Waldorfschule aus. Neu besteht ab dem Wintersemester 2010 /11 im Rahmen eines Pilotprojektes die Möglichkeit für einen Übertritt an die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, Institut Primarstufe. Nach 3 Semestern kann ein schweizerisch anerkanntes Lehrdiplom für das 1.– 6. Schuljahr erlangt werden, das zur Führung des Titels «Diplomierte Lehrerin / Diplomierter Lehrer für die Primarstufe» (EDK) sowie des Bachelors of Primary Education berechtigt. Weitere Informationen: www.paedagogik-akademie.ch forum 2010 I 13 Pausen schaffen Integration Was im Unterricht oft nur schwer gelingt, wird in der Rudolf Steiner Schule Mayenfels durch die Mittagspause ermöglicht. Menschen, die meist im Hintergrund bleiben, werden zu Hauptakteuren. An der Rudolf Steiner Schule Mayenfels werden ca. 200 Kinder von der 1. – 9. Klasse oberhalb der Gemeinde Pratteln in einem ehemaligen Herren-Schloss unterrichtet. Sie erleben jeden Tag den Weg vom Bahnhof durch die Geschäftsstrasse hinauf in die Felder und Bäume des Mayenfels. in die Prüfung gehen können, haben wir ein spezielles Ausbildungskonzept entwickelt. Neben dem Tag in der öffentlichen Berufsschule haben alle Lernenden bei Sinnenvoll noch 8 Stunden Bildungswerkstatt. Diese setzt sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Einmal aus dem täglichen Morgenkreis von einer halben Stunde. Sobald die Kinder auch am Nachmittag Unterricht haben, entsteht die Frage nach einer guten Verpflegung über Mittag. In der Vergangenheit wurde eine Gruppe von Müttern und Vätern aufgeboten, um zusammen mit einem in Teilzeit beschäftigten Koch, für die Kinder zu kochen. Im Laufe der Jahre zeichnete sich eine Abnahme des Elternengagements ab. Die tägliche Pflege der Räumlichkeiten, die Reparaturen und der Unterhalt des Gebäudes sowie die Pflege des grossen Geländes wurden durch kleinere Pensen aus dem Kollegium und durch die wertvolle Mithilfe von engagierten Eltern gewährleistet. Hier begegnen wir uns, erfahren aus der Runde wie es den Einzelnen geht und es folgt ein kurzer Input ganz unterschiedlicher Art. An einem Tag ist es das Zeitgeschehen, dem wir uns widmen, an einem anderen Tag ist es ein Gedicht oder ein Rätsel. Die täglich geforderte Motivation wird geweckt durch das Gefühl, akzeptiert und wahrgenommen zu sein. Diese oft belastende Situation wahrnehmend, kam 2008 die Anfrage des Vereins Sinnenvoll an die Schule, hier am Mayenfels eine Ausbildungsstätte für Jugendliche mit einer IV-Verfügung aufzubauen. Der Verein Sinnenvoll hatte sich aus der Initiative dreier Lehrer von Kleinklassen bzw. Sonderschulen gebildet, die für ihre Jugendlichen eine sinnvolle Möglichkeit der Berufslehre schaffen wollten. Die Situation für Jugendliche aus den Werkjahren oder aus der Sonderschule ist alles andere als rosig. Für sie ist es ein grosses Glück, einen ersten Schritt in einer Berufsausbildung machen zu können. Die IV finanziert eine erstmalige berufliche Massnahme und hilft durch ein Gespräch und durch verschiedene Tests der Berufsberater, den geeigneten Platz zu finden. Leider gibt es immer zu wenig Plätze in zu wenigen Berufen. Zudem erfolgt für Jugendliche, die oft auch eine Entwicklungsverzögerung haben, dieser Schritt manchmal zu früh. Eine grosse Eingliederungsstätte ist oftmals zu anonym und zu unübersichtlich. Wir hier bei Sinnenvoll sind so etwas wie eine grosse Familie. Das Beziehungsnetz ist zwar neu, doch nicht zu weit und überschaubar. Darüber hinaus entstehen vielfältige Begegnungen mit der lebensvollen Schulgemeinschaft. Sinnenvoll bildet in den Bereichen Hauswirtschaft, Küche und Betriebsunterhalt aus. Zur Zeit haben wir 12 Lernende in Ausbildung. Vier Jugendliche werden im Sommer 2010 ihre 2-jährige Attestausbildung bzw. Anlehre mit einer Prüfung abschliessen. Damit sie gut vorbereitet Weiter bietet Sinnenvoll eine individuelle schulische Unterstützung in den Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Rechnen an. Ein regelmässig stattfindender Kunstunterricht ist eine Besonderheit von Sinnenvoll. Zunächst ist es nicht leicht, einem Lernenden den Sinn von Kunst in der Ausbildung klar zu machen. Im Laufe der Ausbildung erleben sie aber in ihrer konkreten Aufgabe, dass es unerlässlich ist, sich mit Kreativität und neuen Lösungsansätzen einer neuen Situation zu stellen. Der Koch dekoriert seine sehr schmackhaften Gerichte, die Hauswirtschafterin ist bestrebt, den verschiedenen Jahreszeiten im Schmuck und Dekor gerecht zu werden. Auch die Betriebspraktiker können ohne eine gewisse Ästhetik ihrer Aufgabe nicht optimal gerecht werden. Die Jugendlichen verfügen nach zwei Jahren über ein Attest bzw. sie haben eine Anlehre abgeschlossen. Dieses wird in einer daran anschliessenden Lehre als erstes Lehr- forum 2010 I 14 Es gibt vier mal in der Woche vegetarische Gerichte und einmal etwas mit Fleisch. Immer stehen zwei oder drei Salate am Buffet bereit, dazu eine Schale mit Obst. Eine leckere Dessertvariante rundet das Angebot ab. Da wir versuchen, alles in biologischer Qualität anzubieten, mussten wir das Mittagessen von 5 auf 6 Franken erhöhen. Damit liegen wir aber im Vergleich mit anderen Schulen immer noch sehr niedrig. Die Lernenden von Sinnenvoll sind mit einbezogen ins kulturelle und jahreszeitliche Leben des Mayenfels, sie gehören mittlerweile einfach dazu, und ich glaube, man kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie es ohne sie sein könnte. jahr angerechnet. Können oder wollen sie nicht weiter machen, verfügen sie über ein Papier, mit dem sie sich als Hilfskraft auf dem regulären Arbeitsmarkt, bewerben können. Die Schule und Sinnenvoll arbeiten seit August 2008 zusammen. Sinnenvoll darf mit seinen Jugendlichen auf dem Mayenfels tätig werden, der Verein unterstützt das Kollegium und die Eltern, dafür erhält er die Werkstätten im Austausch zur Verfügung gestellt. Für beide Seiten war diese Situation neu, es bedurfte einer grossen Offenheit und dem Glauben an das Sinnvolle in der neuen Aufgabe. Heute sind beide Seiten glücklich und zufrieden. Die Kinder und Lehrer erhalten jeden Mittag ein schmackhaftes und biologisches Mittagessen. Die Schule wird nicht nur regelmässig gereinigt, sondern auch gepflegt und je nach Jahreszeit noch dekoriert. Die Gruppe der Betriebspraktiker, ein Lehrmeister mit vier Lernenden, sorgt im Winter bei Eis und Schnee für freie Zufahrt und gefahrlose Wege. Ihr Einsatz ist bei der Renovation und der Werterhaltung der Gebäude intensiv gefragt. Immer wieder kommt es zu kleinen Zwischenfällen, bei denen ihre kompetente Hilfe gesucht ist. Bei Schulanlässen wie z. B. bei einem Gala Diner des Pro Mayenfels, einem Sponsoring Anlass für den geplanten Neubau, konnte Sinnenvoll mit Küche und Service zeigen, was die Jugendlichen bereits gelernt haben. Das gesamte soziale Gefüge hat sich geweitet und an Farbe gewonnen. Es ist schon ein Erlebnis, in der Schlange beim Mittagessen anzustehen, und zu beobachten mit welcher Freude und mit wie viel Ernst die Lernenden von Sinnenvoll den Kindern ihr Essen auf den Teller schöpfen. Die Kinder danken es ihnen mit Respekt und auch mit etwas Ehrfurcht vor den Grossen. Für beide Seiten konnte so eine echte WinWin Situation geschaffen werden. Möglich ist dies geworden durch Initiativkraft und den Glauben an das Notwendige auf der einen Seite, und durch die Bereitschaft einer Lehrergemeinschaft, sich zu öffnen und das Neue freudig zu begrüssen. Bereits sind neue Projekte im Umfeld der Schule in die Wege geleitet: Im Sommer 2011 soll der Kindergarten aus einem Provisorium in ein neues Zuhause in Pratteln umziehen. Der Verein Kinderhaus Landhof wird dann eine Kindertagesstätte und den Kindergarten in einem Haus betreiben. Sinnenvoll beteiligt sich an diesem Haus, welches die CoOpera PUK gekauft und umgebaut hat, mit einem Cafe und mit einer Demeter Bäckerei. Hinzu kommen Plätze als Restaurationsangestellte und weitere für Hauswirtschaft. Wir können dann mit Sinnenvoll weiteren 11 Jugendlichen eine Chance zur beruflichen Eingliederung geben. Den Kindern wird es sicherlich gefallen, den frischen Brotduft zu schnuppern. Johannes Marhenke, www.sinnenvoll.ch forum 2010 I 15 Arbeitswelterfahrung dank Unterrichtspausen Der Wechsel zwischen Arbeitswelterfahrung und Schule, wie ihn die ROJ entwickelt hat, wirkt motivierend: Neue Bezüge und Beziehungen schaffen Sinn und Elan. Eine gute Schule erkennt man daran, dass sie guten, reichhaltigen Unterricht bietet und gültige Abschlüsse ausstellt. Oder nicht? Wenn man auf die Jugendlichen und die fast Erwachsenen genauer hinschaut, könnte man doch noch einen gewichtigen Mangel entdecken sogar bei einer Schule, die wirklich alles gut macht, was eine Schule gut machen kann: Die Schule ist nicht das Leben, und nach einer intensiven Lebensbegegnung wächst der Hunger mit zunehmendem Jugendalter. So tritt neben die Schule eben der Fun, das Abschalten oder Aufdrehen in der Freizeitgestaltung. Auf jeden Fall ist es eine Suchbewegung über das vielleicht sogar ideale Schulleben hinaus, im ungünstigsten Fall wird das Suchen zur Sucht. Solange es nicht dahin kommt, wird es von der Gesellschaft auch weitgehend akzeptiert, dass Jugend hin und her pendelt zwischen Schulleben und Freizeitvergnügen. nen (z. B. für die Freizeitvergnügen). Das Interesse an den Bedürfnissen anderer würde eben durch den Markt erzwungen mit Hilfe des primären Ziels, Gewinn zu machen. Solche Gerüchte wie auch die gängigen Bilder von «unserer heutigen Jugend» lassen sich in Frage stellen aufgrund über fünfzehnjähriger Erfahrung an der ROJ in Solothurn, einer Gründung der drei Steinerschulen Solothurn, Biel und Langenthal in Anknüpfung an einen gründlich vorbereiteten Impuls von Rudolf Wepfer. Die Schule muss begreifen, was der junge Mensch sucht, indem er arbeiten will ! Das gut belegte Phänomen ist folgendes: Jugendliche und junge Erwachsene wollen arbeiten – für andere, nämlich beruflich. Aber sie wollen sich noch nicht festlegen, bevor der individuell zu findende Entscheid für einen Beruf reif geworden ist. Sie wollen ihr Entwicklungspotential noch freihalten und sich nicht der modernen Arbeitswelt mit ihren zunehmenden Zwängen ausliefern. Sie müssen in der Regel auch ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen, das heisst sie dürfen arbeiten – sie machen die entscheidende Erfahrung, dass man arbeiten darf, weil man etwas für andere tun will (anstelle des üblichen Leitbilds: dass man arbeiten muss, weil man Geld will). Bei der Arbeit sein Handeln an den Bedürfnissen anderer orientieren Man widerspricht diesem gängigen Bild, wenn man geltend machen will, die sogenannte «heutige Jugend» suche ausser dem Pendeln zwischen Schule und Freizeit nach der Möglichkeit, sich in richtiger Arbeit zu bewähren, sich selber und verschiedenste Menschen arbeitend kennen zu lernen. Arbeit definiert sich nicht über Anstrengung, sonst würden Partystress, nächtelanges Gamen und Fitnesstraining damit verwechselt werden können, sondern man orientiert bei der Arbeit sein Handeln an den Bedürfnissen anderer, und das ist nicht möglich, ohne Verantwortung zu übernehmen. Diese schlichte Anforderung verbindet alle Berufe, ist aber weder für das Leben in der Schule noch für das in der Freizeit kennzeichnend. Diesbezüglich geht das Gerücht herum – und auf diesem Gerücht beruht sogar die vorherrschende Lehre an den Hochschulen – genau das würde man nur deshalb auf sich nehmen, um Geld zu verdie- Damit der junge Mensch aber arbeiten darf, braucht es eine Schule, die ihm erstens den Freiraum gibt, das heisst Unterrichtsstunden aufgibt zugunsten dieser Lebenserfahrung, und die zweitens ihn gegenüber dieser Arbeitswelt vertritt in seinen jugendlichen, menschlichen Interessen. Beides ist nicht selbstverständlich. Wie viele Ängste müssen bei Lehrern, Eltern und Schülern überwunden werden, die auf der Illusion beruhen, die bei der Abschlussprüfung nachzuweisenden Kompetenzen seien proportional zu den besuchten Unterrichtsstunden! Und wie gründlich muss vonseiten der Schule begriffen werden, was der junge Mensch eigentlich sucht, indem er arbeiten will! Denn im Gegensatz zum Freizeitjob kann es hier nicht die finanzielle Entlöhnung sein. Diese ist durchschnittlich gering, und was schlussendlich doch noch in sein Taschengeld einfliesst, entspricht nicht einmal seinem Einsatz, da die Einkünfte über die Klassenkasse gleichmässig verteilt werden, nachdem schon ein Anteil zugunsten der Schulkosten abgezogen wurde. Die Arbeit macht sicher auch nicht immer Spass, was doch nach gängiger Meinung das Kriterium der Jugendlichen ist. forum 2010 I 16 Was wollen die Schülerinnen und Schüler arbeiten, wenn ihnen die Schule den Raum dafür verschafft? Halten sie auch durch am gleichen Ort während mindestens einem halben Jahr, im Ganzen zwei bis vier Jahre, je zwei Tage die Woche nach einem Semester-Einstieg in zwei Intensivwochen? Klassenhelferin sein in einer Kleinklasse, Demenzkranke pflegen und alte Menschen auch bis zum Tod begleiten, Sportartikel verkaufen und Velos reparieren, Schmuck herstellen und Bilder rahmen, in der Hotelküche oder im Hotelservice mitarbeiten, mit heilpädagogisch betreuten oder traumatisierten Kindern malen, eine Lokalradiosendung gestalten oder im Tagblatt über Eishockey berichten, ein Jugendprojekt des Stadttheaters leiten, Aufgaben in einem Architektur- oder einem Anwaltsbüro übernehmen, Autobusse reparieren oder Pferde beschlagen, Kampagnen für ein Bundesamt oder für eine NGO koordinieren, PC-Support übernehmen oder Werbung entwerfen, Dächer zimmern und decken, Inschriften restaurieren, Kinder im Hort oder Kindergarten betreuen, Lichtanlagen für Konzerte aufbauen, Brot backen, im Geburtshaus oder in einer Grossfamilie mithelfen, was noch? Es gibt kaum Grenzen. Die Schule hat sich im Umgang damit zu bewähren, was das bedeutet für den Unterricht, wenn jede Woche die Schülerinnen und Schüler mit all diesen Erfahrungen und Bewährungen in die gleiche Klasse kommen und gemeinsam das lernen, was nun Sache des Schullebens ist, mit jedem Fach den Horizont dieses beruflichen Tuns erweiternd und dessen Einseitigkeit wieder ausgleichend. Sich selber finden, wo das Eigene ganz selbstverständlich zurücktritt Was also suchen junge Menschen in all diesen Arbeitsfeldern? Eine Schule, die nicht vom Grundgedanken Rudolf Steiners ausgeht, würde vielleicht in den Mittelpunkt stellen, dass auf diese Weise die Karriere schon angebahnt, der zukünftige Marktwert des Jugendlichen schon gesteigert wird. Die meisten Absolventen einer solchen Schul- zeit meinen wohl etwas anderes, wenn sie im Rückblick überzeugt davon berichten, dass sie Entscheidendes dadurch gewonnen haben, indem der Schulunterricht sich ein Stück weit zurückgenommen hat, um Lebensbegegnung und -bewährung zu ermöglichen. Sie haben an all diesen Arbeitsorten gerade in diesem kritischen Alter der Ichfindung erfahren, dass sie gebraucht werden – dass sie etwas können, was andern ein Bedürfnis ist, und dass sie erstaunlicherweise gerade da sich selber finden, wo das Eigene ganz selbstverständlich zurücktritt. Schnuppern und in einem Lager tüchtig anpacken, das entspricht einem 9. Klässler. Von der 11. Klasse an kann man die Verbindlichkeit suchen, auch eine Sachkompetenz, die erst wächst, wenn sich das Praktikum über Monate erstreckt. Die Schülerinnen und Schüler durften tatsächlich überwiegend hohe Anerkennung ernten. Man vergleiche diese Anerkennung in ihrer Wirkung und Bedeutung mit derjenigen einer guten Punktzahl an der Abschlussprüfung. Eine 12. Klässlerin, die sich ein Jahr lang parallel zum Unterricht zurechtfinden gelernt hat mit Kindern einer Kleinklasse, ist anders «geprüft» für die Pädagogische Hochschule als bloss mit einer Matur. Arbeit für andere darf nicht lernende Arbeit an sich selbst ersetzen Eine gute Schule öffnet ihren Schülerinnen und Schülern die Erfahrung der Welt – aber sie hat auf die andere Seite auch die grosse Aufgabe, den freien Entwicklungsraum zu gewähren, der im eigenen Lernen erfahren werden kann, sei es in Kunst, Wissenschaft oder Sprachen. Gebraucht zu werden und dafür von Mensch zu Mensch Anerkennung zu finden, sind unverzichtbare Heilmittel in der natürlichen Krisenhaftigkeit der Jugend. Sie können aber – wie jedes Heilmittel – zu stark wirken, einen Sog entfalten, der das keimhafte Selbstgefühl ablenkt von seinem Weg durch neue Abhängigkeiten. Eine solche Schule gibt also nicht einfach Verantwortung ab an die Arbeitswelt, sondern übernimmt neue in der Begleitung dieser Gratwanderung. Arbeit für andere darf nicht lernende Arbeit an sich selbst ersetzen. Hat das etwas mit Steinerschule zu tun? Ja, nicht mit der gewohnten Form, aber mit dem ursprünglichen und immer neu zu begreifenden Impuls: Individualitäten ihre persönliche Aufgabe finden zu lassen auf dieser Erde, in der Gesellschaft, die sie vorfinden – nicht davor zurückzuschrecken, weil sie nicht ideal ist und nicht den eigenen Wünschen entspricht, und auch nicht ihr zu verfallen, so wie sie geworden ist und bereitsteht, den jungen Menschen zu ihren Zwecken zu formen und zu verwerten. Sachgemässen Mut für das Erwachsenwerden entwickeln – das könnte das Motto eines solchen Schulimpulses sein. Peter Lüthi, Lehrer für Deutsch und Geschichte an der Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland