- Rudolf Steiner Schulen der Schweiz

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- Rudolf Steiner Schulen der Schweiz
forum 2010 I Inhalt
Pausen –
Spielplätze für individuelle
Bedürfnisse
Die Mittagspause –
ein Fenster zur Welt
Pausen –
ein Lebensphänomen
Pausenplatzgestaltung –
ein Thema mit Tiefgang
Editorial
2
5
8
10
Chère Lectrice, cher Lecteur
Cara Lettrice, caro Lettore
Liebe Leserin, lieber Leser
Voilà le forum dans sa 10ème édition! Vous trouverez la traduction française
à partir du mois d’août sous www.steinerschule.ch.
Ecco la 10ma edizione del forum! A partire dal mese di agosto troverete
la traduzione italiana su www.steinerschule.ch.
Als Plattform für die Beziehungspflege zu den Ehemaligen und als
Resonanzorgan für die Schulen erscheint das Forum in seiner 10. Ausgabe.
Neu: Anthroposophische
Lehrerbildung mit schweizerisch
anerkanntem Lehrerdiplom
12
Was hat Ihre Schulzeit mehr geprägt: Dozierende Lehrer/innen oder Erlebnisse
auf dem Pausenplatz? So pauschal wie diese Frage wird hoffentlich die Antwort
nicht ausfallen. Deutlich wird aber: Unterrichtskultur alleine reicht nicht – Pausenkultur gehört genau so zu einer lebensgemässen Pädagogik.
Pausen schaffen Integration
13
Arbeitswelterfahrung
dank Unterrichtspausen
15
Leistungsorientierung, Leistungswettbewerb stehen in unserem täglichen Umfeld in Beruf, Studium, Schule immer mehr im Vordergrund. Schöpferische Phantasie, Kraft zur täglichen Arbeit entspringen anderen Quellen. Alle Lebensprozesse, auch die Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen verlaufen nicht
linear und lassen sich schwer festmachen und definieren. Ein rhythmischer
Wechsel zwischen zielorientiertem Output und Geschehenlassen, zwischen Konzentration und Entspannung ist so elementar notwendig, wie das Ausschnaufen
nach dem Einatmen, wie Traum und Schlaf nach anstrengendem Wachen.
Adressauskunft
für Klassenzusammenkunft
Adressänderungen
bitte an:
Doris Blösch, Schützengasse 134
2502 Biel
Impressum
Herausgeber
Arbeitsgemeinschaft der
Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
und Liechtenstein
Adresse
forum RSS, Wassergasse 8
4310 Rheinfelden
E-Mail: [email protected]
Redaktion/Inserate
Roland Muff
Grafische Gestaltung
[email protected]
Adressverwaltung
Doris Blösch, Schützengasse 134
2502 Biel
Druck
Tanner AG, 3550 Langnau i. E.
Erscheinungsweise
Einmal jährlich
© Mai 2010
[email protected]
E-Mail: [email protected]
Unwägbares geschieht gerade in Pausen – kleine Erlebnisse entfalten hier oft
grosse Wirkungen – zum Beispiel im Sozialen. Dass das Thema Pause ganz
schön vielfältig sein kann, versuchen wir in dieser Ausgabe des Forum aufzuzeigen.
Schatzsuche im Steinhaufen, ein Rinden- oder Prügelplatz, wo gerauft und gerangelt wird, Wollschweine und Schafe zum Anfassen, dies alles und viel mehr
ist Pause an den drei Standorten der Rudolf Steiner Schule Bern, Ittigen, Langnau.
An der Rudolf Steiner Schule in Wetzikon darf in der Mittagspause die «Liebe
durch den Magen» gehen – auch wenn nach fremdländischen Rezepten gekocht
wird. Die Mittagsverpflegung ist Teil eines nachhaltigen Reintegrationsprojektes
des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes für ausländische Erwerbslose und hilft
der Schule zugleich ein Fenster zur Welt zu öffnen.
Wenn sich eine ältere «gestandene Dame» dem Entsiegeln von zugepflasterten
Pausenhöfen annimmt, gibt es viel Arbeit und manchmal auch Spannungen – auf
allen Ebenen. An der Rudolf Steiner Schule in Basel wird Pausenplatzgestaltung
zu einem sozialen Übfeld und beglückenden Erlebnis für die beteiligten Eltern,
Lehrkräfte und Schüler/innen.
Auf die Pause als Atem in der Musik und Pädagogik – als Lebensphänomen, das
gleichberechtigt neben dem Produzieren steht – macht Stefan Werren in seinem
tiefschürfenden Beitrag aufmerksam.
Eine weitere Möglichkeit, wie Mittagspausen den traditionellen Schulalltag und
zugleich die Schulgemeinschaft erweitern können, wird im Bericht der Rudolf
Steiner Schule Mayenfels veranschaulicht.
Peter Lüthi zeigt auf, wie Unterbrechungen des Schulunterrichts durch Erfahrungen in der Arbeitswelt eine sinn- und beziehungsreiche Pädagogik fördern.
Roland Muff
PS:
Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Rudolf Steiner Schulen in der Schweiz
bittet Sie, den beiliegenden Einzahlungsschein nicht zum Altpapier zu legen.
Jeder Beitrag für eine freiheitliche, kindgerechte Pädagogik zählt!
forum 2010 I Pausen –
Spielplätze für individuelle Bedürfnisse
Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen Langnau – eine Schule, drei Standorte, viele Pausenplätze, die leben
und weiterentwickelt werden. Die Tendenz heisst: Kinderfreundlich, jugendgerechter und zunehmend naturnah.
Wer die heutige Pausenplatz-Kultur der Rudolf Steiner
Schule Bern Ittigen Langnau kennenlernen möchte, muss
sich an (mindestens) drei Orten umsehen: bei der Steinerschul-Villa im Zentrum von Langnau, beim «Schuldorf»
am Melchenbühlweg am Stadtrand von Bern und rund um
das grosse Schulhaus in Ittigen.
Jeder dieser drei Schulstandorte hat sein eigenes Gepräge
und nicht einfach nur einen einzigen grossen Pausenplatz, sondern verschiedene Flächen, Ecken und Nischen,
die von den Kindern und Jugendlichen in den Pausen
ganz unterschiedlich in Beschlag genommen werden.
Rollenspiele, Fossilien suchen, Kristalle finden
Es ist 10 Uhr. Die 1. Klasse sitzt vereint um die grosse
Tafel und isst diskutierend das Znüni. Früchte, Getreideriegel, Studentenfutter und oft riesige Sandwiches spenden Kraft für die kommende Pausenaktivität und den
Rest des Schulvormittags. Gleichzeitig wird die Pause geplant. Machen wir heute droben Pause, oder drunten im
Gärtli ?
Droben ist der Hartplatz mit dem märchenhaften Backhaus im Stile von Hänsel und Gretel. Drunten ist der Naturgarten mit Sand, Bäumen, Büschen, Steinen und Dreck.
Würde man die Kinder fragen, so wäre immer ein Teil für
oben und einer für unten zu haben. In diesem Falle bleibt
die Entscheidung dem Lehrer bzw. der Witterung und Bodenfeuchtigkeit überlassen.
Interessanterweise spielt der Ort nicht die wesentliche
Rolle, wenn die Fantasie am Überquellen ist. Denn stets
und überall gibt es ein Grüppchen, das sofort mit «Stübele» und Einrichten eines geborgenen Plätzchens beginnt
und in wunderschöne Rollenspiele versinkt. Ein etwas
grösserer Teil der Klasse hat es mehr mit der «Action»,
mit Räuber und Poli, mit Löwen und Pferden. Die Räuber
werden dabei mit dem alten, kaputten Pneuwägelchen
abgeführt – die Pferde nicht. Oder dann gibt es Tage, wo
Ausfahrten mit der Kutsche angeboten werden, mit Baumblatt-Billetten, mit Verkehrspolizisten und Billettkontrolleuren, mit Unfällen und mit Sanität. Und immer gibt es
forum 2010 I konnte, gab es Raum für eine Kräuterschnecke, ein Gartenkinderhäuschen und einen
Sandhaufen. „So haben die Kleinen nun eine
Ecke für sich“, sagt Rosemarie Baumgartner,
die Lehrerin der 8. und 9. Klasse. „Nun wollen wir auch noch etwas für die Grösseren
einrichten.“
Dank Stiftungsgeldern und der letztjährigen
Weihnachtsspende der Eltern konnte und
kann die Schule in Langnau die Gestaltung
des Aussenraums verbessern, ohne das
knappe Schulbudget zu belasten. Als nächstes soll die Bretterwand zur Strasse hin
durch einen Lebhag aus einheimischen
Sträuchern ersetzt werden – ein weiterer
Schritt zur Pflege der Natur auf dem Schulareal: Bereits wurden Eiben durch geeignetere Pflanzen ersetzt, und die uralte, geschützte Rotbuche mitten auf dem Pausenplatz kann dank fachmännisch gelichteter
Krone und gelockertem Boden wieder besser
gedeihen.
Nun wird als nächstes Projekt der Bau einer
Arena erwogen – ein grösseres Vorhaben,
das aus pädagogischen und finanziellen
Gründen wohl noch einige Gespräche erfordert. Derweil beschäftigt sich das Kollegium
auch mit der Frage, wie es die älteren Schülerinnen und Schüler besser dazu bewegen
kann, in den Pausen auch wirklich nach
draussen zu gehen.
einzelne Kinder, welche ihrer Natur gemäss die ganze Sache aus sicherer Warte beobachten und kommentieren.
Im Gärtchen kommt die Schatzsuche hinzu. Da hat doch
jemand einen halben Lastwagen Ölschiefer mit Versteinerungen abgeladen. Welch ein Eldorado für die jungen
Fossiliensucher! Manchmal hat sogar noch
ein Zwerglein einen kleinen Kristall verloren.
Oder hat es ihn wohl absichtlich dort versteckt? Auf jeden Fall wird fieberhaft gegraben, gesucht und gefunden und ob jedem
Fund gejubelt. Jeder halbwegs informierte
Polizist würde, wenn er mittags Kinder auf
dem Nachhauseweg kontrollieren müsste, allein aus den Jacken- und Hosensack-Inhalten
schliessen können, welche Schule besucht
wird.
Thomas Schaerer, Klassenlehrer, Ittigen
Vom sterilen Pausenplatz
zum bespielbaren Naturgarten
Die Schülerinnen und Schüler, das Kollegium
und Eltern haben im letzten Jahr tatkräftig
Hand angelegt, um den Pausenplatz neben
dem Schulhaus in Langnau aufzuwerten. Weil
er zur Nachbarvilla hin erweitert werden
Die Gestaltung des Aussenraums ist auch an der Steinerschule in Ittigen ein Dauerbrenner. Hier haben die Jugendlichen der 12. Klasse vor fünf Jahren mit einer Spende aus
ihrem Industriepraktikum einen spannenden Impuls gegeben: Der Grossteil des Schulareals soll zu einem «bespiel-
forum 2010 I baren Naturgarten» werden. Als erstes wurde zwischen
dem Schulgarten, der im Gartenbau-Unterricht bewirtschaftet wird, und den versiegelten Zufahrts- und Parkierflächen der eingangs beschriebene Naturgarten angelegt:
mit Feuerstelle, einer Sandfläche und einem kleinen
Hügel.
Eine weitere Umgestaltung wurde während einer Projektwoche der Integrativen Mittelschule (IMS) durch Jugendliche der obersten Klassen realisiert. Sie haben beim
Zugang zum Schulhaus exotische Sträucher durch einheimische Wildäpfel, Schleen, Heckenrosen und Weissdorn
ersetzt. Dazu wurden Stein- und Kiesflächen angelegt –
was neben dem ökologischen Nutzen auch den Vorteil
hat, dass die Kleider der spielenden Kinder weniger dreckig werden.
Dank der Initiative eines Schulvaters entstand auf dem
Verbundstein-Platz vor der Schulhaus-Türe eine Steinpyramide, auf der in den Pausen nun vor allem die Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe sitzen und herumturnen. Und als nächstes wälzt das Kollegium weitere
Pläne, wie die versiegelten Flächen verkleinert und der
Zugang zum Schulhaus neu gestaltet werden könnte:
ästhetisch schöner, pädagogisch sinnvoll und ökologisch
wertvoller – eben ganz im Sinne eines «bespielbaren Naturgartens». Richard Begbie, Bruno Vanoni,
Co-Vorsitzende des Schulvereins Bern Ittigen Langnau
Das Schulareal zur Heimat gemacht –
sogar für Tiere
Das Schuldorf am Melchenbühlweg liegt am Rande der
Stadt Bern, gleich neben dem Zentrum Paul Klee, mit
herrlichem Blick auf die Alpenkette. Wie in einem richtigen Dorf gruppieren sich die einzelnen Holz-Pavillons
um einen Dorfplatz mit einer mächtigen Eiche. Dieser
grosse, freie Platz wird akzentuiert durch eine Drachenskulptur, die im Rahmen eines Oberstufenprojekts entstanden ist, und einen Quellstein in einer weiten, gepflästerten Schale. Darum herum sind im Laufe der Zeit
unterschiedliche Bereiche entstanden, die ganz verschiedenen Bedürfnissen gerecht werden.
Entlang dem nahen Waldrand lädt ein Steinlabyrinth zu
beschaulichem Verweilen ein. Ein Regenwasserreservoir
mit Handpumpe ermöglicht vielfältige Wasserspiele. Im
Backunterstand vor der Mensa duftet es nach frischem
Brot. Unweit davon werden auf dem Bauplatz mit Steinen
und Holzbrettern eigene Hausbauideen verwirklicht. Das
Insektenhotel ist das Eingangstor zum Tiergarten: Hasen
hoppeln durch ein weites Gehege, zwei Wollschweine
suhlen sich im Schlamm, die Lammzwillinge tollen um die
beiden Schafe herum.
Auf dem Rinden- oder Prügelplatz darf gerauft und gerangelt werden. Vom Turm aus Platanenstämmen herab
lassen sich die hitzigen Kämpfe aus sicherer Warte beobachten. Im dynamischen Betrieb auf dem Sportplatz mit
Kunststoffbelag lassen sich Talente mit Zukunftspotential
entdecken. Beim Kindergarten sind der Sandkasten und
das Holzchalet für die Kleinen reserviert.
Pause findet hier durchgängig statt, alle Plätze
werden intensiv genutzt. Während die ältesten
Installationen langsam vermodern, werden
schon eifrig neue Pläne geschmiedet: eine
grosse Schaukel, mehr Sitzgelegenheiten, ein
Sonnensegel… Die bisherige Gestaltung wurde
dank Einzelinitiativen realisiert. Für Koordination und Übersicht sorgt die Umgebungsgruppe, in der sich Eltern und Kollegiumsmitglieder
mit Unterhalt und Planung befassen. Diese
Gruppe führt auch regelmässige Elternsamstage und Klasseneinsätze durch, an denen die
Pflege der weitläufigen Umgebung besorgt
wird.
So befindet sich unser Umschwung in stetem
Wandel. Bestand hat dagegen der Satz aus
dem Leitbild: „Die Schulhausumgebung soll
ein Ort sein, der allen Kindern, Jugendlichen
und Erwachsenen vielfältige Begegnungsmöglichkeiten und Tätigkeitsfelder eröffnet und
ihnen als Arbeits- und Erholungsraum «Heimat» bieten kann.“
Christian Bart,
Klassenlehrer, Bern-Melchenbühl
forum 2010 I Die Mittagspause – ein Fenster zur Welt
Durch die Zusammenarbeit mit dem Arbeiterhilfswerk öffnet die Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland
täglich das Fenster zu einer etwas anderen Lebenswelt – multikulturell und sozial.
Die Idee einer Mensa war ein lange gehegter Wunsch der
Schule. Die vielen auswärtigen Kinder und Jugendlichen
verpflegten sich aus dem Rucksack, was nicht den pädagogischen Idealen der Schule entspricht. Schliesslich
konnte im Neubau des Klassentrakts im Jahr 2001 eine
Mensa realisiert werden, allerdings nicht von Beginn vollständig ausgebaut. Dank der Zusammenarbeit mit dem
Schweizerischen Arbeiterhilfswerk SAH Zürich fand sich
schliesslich aber der Weg zum heutigen Betrieb der Mensa, welche heute von der Schule nicht mehr wegzudenken ist.
Eine glückliche Zusammenarbeit
Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk SAH Zürich mit seinem Projekt SalSAH und die Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland arbeiten seit rund elf Jahren im Rahmen
der Mittagsverpflegung zusammen.
In dieser Kooperation haben sich zwei Organisationen zusammengetan, die über ähnliche Wertehaltungen und
Menschenbilder verfügen. So heisst es in der Vision im
Leitbild des SAH Zürich: „Unser Hilfswerk engagiert sich
für eine sozial, politisch und ökonomisch gerechte Gesellschaft. Wir unterstützen Menschen darin, sich ein Leben
in Würde und Sicherheit aufzubauen.“ Gerade die Werte
wie Freiheit, Selbstverantwortung und Solidarität, die in
dieser Vision mit anklingen, sind auch Leitgedanken der
Rudolf Steiner Schule.
Liebe geht durch den Magen
In der ersten Zeit wurden die Mittagsmahlzeiten von den
Mitarbeiterinnen des SalSAH im Ortsteil Kempten von
Wetzikon produziert und an die Usterstrasse an die Schule geliefert. Seit April 2005 wird vor Ort produziert. Mit
Inbetriebnahme der Mensa hat sich die Kooperation zwischen RSSZO und dem SAH Zürich mit den engagierten
SalSAH Mitarbeiterinnen nochmals vertieft. Dabei gilt als
oberstes Ziel, den Bedürfnissen der hungrigen Schüler
und Lehrerschaft Rechnung zu tragen und ein schmackhaftes, gesundes und gleichzeitig preiswertes Essen auf
den Tisch zu bringen. Die vielen positiven Rückmeldungen
ermuntern die Köchinnen jeden Tag aufs Neue, kulinarische Höchstleistungen zu erbringen – selbstverständlich
gezielt den Umstand nutzend, dass «Liebe durch den
Magen geht».
Das Frauenprojekt SalSAH
Im SalSAH werden ausländische erwerbslose Teilnehmerinnen auf eine möglichst nachhaltige Reintegration in
den Arbeitsmarkt vorbereitet. Die Frauen sind in der Re-
forum 2010 I tinnen in optimaler Weise entgegenkommt.
Und wer an der Schule mit den fremdsprachigen Teilnehmerinnen des SalSAH ins Gespräch kommt, kann wohl auch mal über die
Redensart «Liebe geht durch den Magen»
diskutieren und dabei eventuell von unerwarteten Einblicken in Redensarten anderer Kulturen profitieren.
Die Mensaleitung
Wer sind die tragenden Personen hinter dem
Projekt SalSAH an der Schule in Wetzikon?
Die Leiterinnen stellen sich selber vor:
Das Team der Mensa der Rudolf Steiner Schule in Wetzikon
mit den Mensaleiterinnen Tanja Riz à Porta (vorne links)
und Christa Vetterli (vorne rechts).
Christa Vetterli: Pizza, Pasta, Salat und
Schoggicrème. Die Lieblingsgerichte der
Schülerinnen und Schüler stehen heute auf
der Menü-Tafel. Um 11.30 muss alles fertig
sein. Ich verpflege nun seit bald elf Jahren
mit grosser Freude die Schülerinnen und
Schüler der Steiner-Schule. Ich bin GastroFachfrau und Agogin. Die Vielseitigkeit meiner Arbeit erfüllt mich sehr.
Kräuter aus dem Schulgarten, Mozart beim
Vorbeigehen. Lehrerinnen, Lehrer, Schülerinnen und Schüler, die Kontakt zu uns und
unseren Teilnehmerinnen aufnehmen.
Ist doch ein schöner Arbeitsplatz. Oder?
gel beruflich schlecht qualifiziert und verfügen über geringe Deutschkenntnisse. Es versteht sich von selbst,
dass sie eine behutsame und intensive Begleitung und
Unterstützung benötigen. Das Programm SalSAH (22 Plätze) dauert maximal sechs Monate und besteht aus zwei
Teilen. Im ersten Teil erarbeiten sich die Frauen elementare Kenntnisse in den Bereichen Gastronomie und Hauswirtschaft. Sie erhalten auch Unterstützung bei der Stellensuche. Zum Programm gehört zudem eine gezielte
Deutschförderung, insbesondere am Arbeitsplatz. Bei Bedarf wird individuelles Coaching angeboten. Im zweiten
Teil des Programms in der Mensa der RSSZO werden die
Frauen noch näher an die Realitäten des Arbeitsmarktes
herangeführt: Sie steigen in den Mensabetrieb ein und
produzieren Mahlzeiten.
Das SAH Zürich freut sich mit den Teilnehmerinnen, dass
sie mit der Mensa der RSSZO ein arbeitsmarktnahes
Setting und soziales Umfeld anbieten können, das den
Bedürfnissen und der beruflichen Förderung der MigranMenüplan einer Woche:
Montag Dienstag
Mittwoch
Suppenküche
Fischröllchen
Spinat
durch
Selleriepiccata
Salzkartoffeln
Schuleltern
Polentaschnitten
Eier
Fruchtsalat
Kuchen
Donnerstag Freitag
Brätkügeli/
Tofukügeli
Reis
Erbsen
Pfirsichkompott
Spaghetti mit
verschiedenen
Saucen
Vanillecreme
mit Früchten
Im Winterhalbjahr gibt es zum täglichen Menü Salat und Suppe. Das Brot wird selber gebacken.
forum 2010 I Tanja Riz à Porta: Seit gut fünf Jahren arbeite ich im Frauenprojekt SalSAH als sozio-kulturelle Animatorin und Köchin und leite gemeinsam mit Christa Vetterli die Mensa
unserer Schule. Meine Arbeit zeichnet sich durch Vielseitigkeit aus. Als Gastgeberinnen verwöhnen wir unsere
Gäste. Wir legen Wert auf eine abwechslungsreiche Kost
und auf eine schöne farbliche Präsentation der Gerichte,
beispielsweise des Salatbuffets. Die Mensa ist für Schülerinnen, Schüler, Lehrpersonen und Eltern eine Oase der
Erholung und Ruhe. Es herrscht eine entspannte, rücksichtsvolle Atmosphäre. Häufig kommen Schülerinnen
und Schüler schon in der Pause, um zu fragen, was es zu
Mittag gibt. Andere bitten um ein Stück Brot oder einen
Apfel. Die Schwerpunkte unserer Arbeit: Als Köchinnen
versuchen wir, möglichst kinder- und jugendgerechte, gesunde und lustvolle Menüs zu planen und zuzubereiten.
Die Teilnehmerinnen lernen bei uns die wichtigsten fachlichen Grundlagen für die Arbeit als Küchenhilfe. Jede
Gruppe bringt andere Voraussetzungen mit. Bei der Planung muss ein vielseitiges Lernfeld berücksichtigt werden,
was nicht immer einfach mit dem Mensabetrieb kombiniert werden kann. Unsere Teilnehmerinnen lernen bei uns
viel über eine gesunde und ausgewogene Ernährung.
Uns ist es wichtig, dass sie ihren kulturellen Hintergrund
einfliessen lassen können. Ab und zu verwöhnen sie die
hungrigen Mäuler mit einer Spezialität aus ihrer Heimat.
Auf diese Weise lernen unsere Kinder und Jugendlichen
auch fremde Kulturen kennen. Die kurzen Gespräche zwischen Schulpersonen und Teilnehmerinnen sind ein sozio-kultureller Austausch, der uns sehr am Herzen liegt.
Während des Rüstens und Kochens sprechen wir oft miteinander, tauschen uns aus – natürlich in Deutsch. So
lernen die Teilnehmerinnen die schwierige deutsche Sprache besser sprechen und verstehen, was eine Voraussetzung ist, um eine Stelle zu finden. Während diesen Gesprächen erfahren wir viel über die Bedürfnisse der
einzelnen Frauen, über ihr Umfeld, ihre sozialen Schwierigkeiten als Folge der Arbeitslosigkeit. Wichtig ist uns die
aktive Hilfestellung bei der Stellensuche. Deutlich mehr
als ein Drittel der Teilnehmerinnen finden auch dank des
Projektes eine Stelle, was für uns einen grossen Erfolg
darstellt.
Hans Fröhlich, Geschäftsleitung SAH Zürich,
Bereichsleitung PVB (Programm der vorübergehenden
Beschäftigung);
Martin Wiggli, Bereichsleiter berufliche Integration;
Brigit Ruprecht, Projektleitung SalSAH;
Tanja Riz à Porta, Christa Vetterli, Mitarbeiterinnen SalSAH;
Kurt Eggenschwiler,
Vorstand Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland;
Susan Muffler, Vertreterin der Eltern.
Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland:
2 Kindergärten und 12 Klassen (9. – 12. Klasse: integrative Mittelschule). 370 Kinder, 180 Familien, 30 Lehrpersonen
und weitere Mitarbeitende.
Mensabetrieb: 2 Leiterinnen mit 6 Mitarbeiterinnen (Wechsel alle drei Monate) vom Projekt SalSAH des
Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH Zürich.
80 – 130 Mahlzeiten täglich von Dienstag bis Freitag (jeden Montag besuchen die Frauen im Bildungszentrum des SAH Zürich
einen Deutschkurs und bekommen Unterstützung bei der Stellensuche).
Verpflegt werden Schülerinnen und Schüler ab 4. Klasse, Lehrkräfte, Gäste, auch Mütter, Väter oder ganze Familien sowie
Schülerhort, der mit Leiterwagen das in Isolierkisten verpackte Essen abholt.
4. Klasse betreut durch Klassenlehrperson; 5. – 8. Klasse: gemeinsames Essen bei weniger enger Begleitung.
Oberstufenschülerinnen und -schüler organisieren sich individuell. Organisation in zwei bis drei Essenszeiten.
Mensa und gut ausgestattete Küche der RSSZO wird dem SAH von der Schule zur Verfügung gestellt.
Abrechnung von 6.50 pro Mahlzeit über die Schulmaterialrechnung. Organisation am Anfang des Schuljahres,
quartalsweise An- und Abmeldungen über das Schulsekretariat. Keine Ausweise oder Löchlikarten, sondern Stichproben.
forum 2010 I Pausen – ein Lebensphänomen
Die Musik kann lehren, dass Pausen gleichberechtigt neben dem Produzieren stehen.
Sie verweist auf alles Organisch-Lebendige, auf das Atmen und den Ausgleich zwischen Innen und Aussen.
Jedes Musikstück ist ein lebendiges Geflecht
von Beziehungen.
Eine Folge von isolierten Einzeltönen erleben wir kaum
als sinnvolle Melodie.
Erst die kurze, unhörbare Bewegung von Ton zu Ton, das
Intervall erfüllt eine Tonfolge mit musikalischem Sinn,
macht das lose Nebeneinander zum seelisch nachvollziehbaren, differenzierten, musikalischen Organismus.
Beziehungen in einem Musikstück realisieren sich immer
im Phänomen des Zwischenraumes.
Diese kurzen Momente des Innehaltens, oft kaum wahrnehmbar, wandeln Einzelheiten in einer faszinierenden
Alchemie zu einem sinnvollen Ganzen.
Im Zeitstrom musikalischer Gestaltungen nimmt die
«Pause» eine wesentliche Stellung ein.
In der Pause mündet der hörbare Klangstrom in einen
mehr oder weniger langen Raum des Unhörbaren. Die
musikalische Pause ist kein akustisches Loch, kein Nichts.
Im Gegenteil!
Die äussere Aktivität kehrt sich um, stülpt sich in einen
Bereich besonders starker innerer Aktivität (jeder Dirigent
weiss, dass Pausen besonders intensiv geschlagen werden müssen).
In Pausen können starke Spannungen erzeugt werden.
Höhepunkte münden oft in die Stille und «dröhnen» in
der Unhörbarkeit weiter. Der musikalische Strom klappt
in einen Gegenraum.
Es gibt eine grosse Vielfalt verschiedenster Arten musikalischer Pausen: Spannungspausen, Wandlungspausen,
Atempausen etc. Es ist hier nicht der Ort, diese im Einzelnen zu erläutern. Wir wollen uns nur einige Grundphänomene bewusst machen.
Ein besonders starker Augenblick der Stille bildet der
Raum, bzw. Gegenraum, der entsteht, wenn ein Werk verklungen ist.
Die ganze Grösse der Musik kommt einem oft gerade in
diesem Moment, wenn eben nichts mehr äusserlich klingt,
zum Bewusstsein (wenn ein Menschenleben «verklungen»
ist, nach Eintreten des Todes, kann einem auch schlagartig die Besonderheit, Grösse eines Menschen aufgehen…).
Die eben verklungene Musik «erdröhnt» in der nachfolgenden Stille.
Stille häuft sich an um mich,
die Erde fürs Gedicht.
Reiner Kunze
Musik ist immer ein wechselvolles Spiel zwischen Hörbarem und Unhörbaren; das Hörbare bekommt seinen
Sinn durch das Unhörbare, das Unhörbare kann uns bewusst werden am Hörbaren.
Musikalischer Zusammenhang hat seinen tiefsten Grund
immer im Unhörbaren, im Zwischenraum.
Das Wesentliche in der Musik geschieht im Unhörbaren.
Musik, so verstanden, kann uns ein Bild des Lebens sein.
Der Zwischenraum, die Pause im Leben
Rastlose Tätigkeit ist eine Grundtendenz der modernen
Zivilisation!
Augenblicke des Innehaltens sind selten, ja, oft sogar verpönt!
Dabei muss alles Leben immer wieder in den Gegenraum
der Stille einmünden, will es nicht durch aushöhlende
Aktivität vertrocknen.
Die Pflanze verblüht – wird Same – um neu zu wachsen.
Der Mensch muss schlafen, will er sich regenerieren.
Und der Tod? Man nennt ihn wohl nicht zufällig den grossen Bruder des Schlafes…
Auch im Alltag sind Momente des Innehaltens, des bewussten Unterbrechens des unaufhörlichen Zeitstromes,
notwendig.
Kein Tag sollte vergehen, in welchem wir nicht einen,
wenn auch kurzen Augenblick der Selbstbesinnung einschalten.
Es können sich aber auch natürliche Zäsuren ergeben.
Bevor wir eine wichtige Sache anpacken, ist ein kurzes
Innehalten manchmal sehr entscheidend.
In solchen kurzen «Austritten» aus der Zeit, können wesentliche Kräfte zur Entfaltung kommen.
Das alltägliche Leben ist von den verschiedensten Pausen
und Zwischenräumen durchsetzt.
Bei aller Verschiedenheit haben diese Zäsuren doch etwas
Gemeinsames:
Jede Pause hat die Tendenz zur Vertiefung, Verarbeitung.
Besonders im Schlaf findet eine, wenn auch unbewusste
Verarbeitung und vielleicht auch Verwandlung des Erlebten
statt.
forum 2010 I Dieser regelmässige Austritt aus dem täglichen Zeitenlauf
ist lebenswichtig; schrecklich, wenn wir vom Schlaf gewaltsam abgehalten werden.
Die sich überschlagenden täglichen, vielfältigsten Ereignisse bündeln sich kaum zu einem sinnvollen Ganzen,
wenn wir uns nicht immer wieder in Distanz einen Überblick verschaffen; auch da, ein kurzer Austritt aus der Zeit
macht Zusammenhänge bewusst.
Und der Tod?
Eine gewaltige Zäsur, gleichsam eine Generalpause!
Dass der Tod die ewige Ruhe, ein seliges Ende bedeutet,
ist ein eher neuer Gedanke. Allerdings nicht der einzig
mögliche!
Ursprünglich war es den Menschen eine Gewissheit, dass
ein unsterblicher Keim (Entelechie) auch losgelöst vom
Körper weiter lebt.
Auf alle Fälle gilt: Es müssen gewaltige Metamorphosen
sein! Entwicklungen in grossem Stil im umgestülpten Raum
einer geistigen Welt.
Eine grossartige Verwandlungspause!
Das Nichtwort
ausgespannt
zwischen
Wort und Wort.
Hilde Domin
Es arbeitet weiter, verschwindet eben nicht! Eine Weile
vom Licht ferngehalten, kann sich eine Sache anscheinend viel besser entwickeln.
Es gibt Dinge, die brauchen sehr viel Zeit zur Reifung,
müssen lange im Vergessen aufgehoben werden, um die
notwendigen Entwicklungskräfte bilden zu können.
Beethoven hat oft jahrelang an Ideen gearbeitet, bis sie
die richtige Gestalt angenommen hatten.
Sinnvolles Üben, z.B. eines Musikinstrumentes, kann nur
funktionieren, wenn es regelmässig geschieht und von
natürlichen Unterbrüchen begleitet ist; man kann eine
schwierige Stelle nicht ununterbrochen üben bis sie sitzt…
immer wieder versuchen… liegen lassen, neu versuchen…
plötzlich geht es… das ist das Geheimnis.
Man kann die ganze Sache auch unter dem Aspekt von
Spannung und Entspannung betrachten.
Die Pause braucht mich
Um sich zu sammeln
Verstohlen
hol ich aus ihrer
entzündlichen Stille
den Funken
Rose Ausländer
Die Pause in der Pädagogik
Jeder Lehrer kennt das Wunder des Lernens!
Gestern ging’s doch so schlecht… die Nacht liegt dazwischen, man versucht es anderntags noch mal und es geht
deutlich besser!
Ohne, dass konkret an einer Sache gearbeitet wird, geht
die Wirkung in einer anderen Ebene weiter und es bilden
sich Fähigkeiten! Kein seltenes Ereignis und doch immer
wieder ein Wunder.
Loslassen ist wohl bei allen Tätigkeiten in welchen etwas
gelernt, gestaltet, aufgebaut wird eine unentbehrliche,
wesentliche Stufe.
Konzentriertem Wirken muss ein bewusstes Loslassen (in
die Pause führen!) folgen.
In diesem Atem kann etwas wachsen und gedeihen.
Es braucht immer wieder Vertrauen, seine Aktivität in diesen geheimnisvollen Raum des Unsichtbaren gleiten zu
lassen.
Vertrauen in Kräfte, die unserem Zugriff unzugänglich
sind. Und doch können wir ihre Wirkungen immer neue
erfahren.
In der Erziehung ist der bewusste Umgang mit Unterbrüchen, Pausen und Zäsuren, in kleinen und grösseren Zeiträumen, ein sehr wichtiges Mittel zum Lernen.
Man muss sogar von bewusstem Umgang mit dem Vergessen sprechen.
Gelerntes wird für eine bestimmte Zeit im tiefen Keller der
Seele zum Reifen auf die Seite gestellt.
Stefan Werren,
Musiklehrer an der Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen
Langnau.
forum 2010 I 10
Pausenplatzgestaltung – ein Thema mit Tiefgang
Es kann sein, dass auch eine grosse, altbewährte Schule dem Thema «Pause» bisher wenig Aufmerksamkeit
schenkte. Umso erfreulicher, dass die Basler Rudolf Steiner Schule sich nun mit viel Engagement und Phantasie
der Pausenplatz-Gestaltung annimmt und damit das Lernen jenseits des Unterrichts fokussiert.
Klettern, Hangeln,
Hüpfen oder Balancieren sind nötig, um die
kognitiven und motorischen Fähigkeiten
zu trainieren und auszudifferenzieren.
Die Schule auf dem Jakobsberg beherbergt
700 Schüler und Schülerinnen in 24 Klassen.
Diese verbrachten bisher ihre Pausen nach
Altersgruppen getrennt auf 4 überwiegend geteerten Pausenplätzen, mit wenig Anregungen
zum Spielen und Sich Bewegen. Eine soziale
Durchmischung zwischen den verschiedenen
Altersstufen wurde bewusst vermieden.
vielfältige Sinneserfahrungen eine grosse
Rolle. Nach ausgiebiger Beratung mit der
Steuergruppe erstellte sie einen Gesamtplan
als Grobkonzept, aus dem die verschiedenen
Etappen für die Umsetzung entwickelt wurden.
Den Sinn einer Sache
erfährt man am besten
über die Sinne. Was
Kinder für die Zukunft
«begreifen» sollen,
müssen sie erst einmal
«greifen» können.
Sie lieben sensorische
Sensationen und
brauchen komplexe und
dynamische Strukturen,
die die Suche nach
Lösungen provozieren
und außerdem die Lust
am Experimentieren und
Kombinieren wecken
und fördern.
In unserer stark urbanisierten Welt sind die
Rahmenbedingungen
hierfür nicht mehr
selbstverständlich
gegeben und oft stark
eingeschränkt.
Informelle Spiel- und
Bewegungsräume
werden durch organisierte, verplante und
angeleitete Freizeitaktivitäten verdrängt.
Statisch passives Sitzen
vor Computern macht
Kinder zu Stubenhockern. Weniger
Spielpartner und die
Überbehütung durch
Erwachsene schränken
spontane Spiel- und
Bewegungstriebe
massiv ein.
Aus der Ausschreibung
für den Workshop
«Kinderwelt ist Bewegungswelt» der Rudolf
Steiner Schule Basel
Schön geformt –
doch wo geht’s zum Pausenplatz?
Das Projekt
Durch den sich immer stärker abzeichnenden
Bewegungsmangel, dem viele Kinder und Jugendliche heute ausgesetzt sind, wurde das
Bedürfnis nach einer umfassenden Gestaltung
der Aussenräume immer dringender. Deutlich
wurde auch das Bedürfnis nach einem freieren
Ausgleich gegenüber dem stark formbetonten
Schulhausgebäude. Unter der Leitung eines
Klassenlehrers bildete sich zusammen mit
Eltern, SchülerInnen, Abwart und weiteren
Lehrern die «Steuergruppe Neue Pausenhöfe».
Angesichts der sehr eingeschränkten Platzverhältnisse suchte sie einen kompetenten Partner und fanden ihn in der Firma KuKuK (Kunst
und Kultur Konzeption, Stuttgart). Sie hat sich
auf die Gestaltung von Spielplätzen und Pausenräumen nach pädagogischen Gesichtspunkten spezialisiert. Dabei spielen sowohl
die Ästhetik wie das Angebot für möglichst
Die Finanzierung
Das Projekt wurde mit der Vorgabe gestartet,
dass das Schulbudget dafür nicht beansprucht
werden darf. Es waren also Ideen gefragt, wie
die notwendigen Geldmittel beschafft werden
konnten. Unter dem Titel «Kindern Raum
schenken» wurde mit Hilfe eines Fundraisers
ein erster Spendenaufruf gestartet. Dabei wurden gezielt Stiftungen und Firmen angefragt,
die solche Projekte unterstützen. Die Aktion
war so erfolgreich, dass die Finanzierung der
ersten, kostenintensiven Etappe bald gesichert war.
Eine Firma sagte zudem einen namhaften Betrag zu unter der Bedingung, dass dieselbe
Summe mit Kleinspenden aus dem Umfeld der
Schule gesammelt würde. Das Wissen, dass
jede Spende damit verdoppelt wurde, überzeugte wiederum viele Menschen, das Projekt
mit kleinen und grösseren Beträgen zu unter-
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stützen. Mit dem Verkauf von selbst
gebastelten Sternen als Abzeichen am
Bazar konnte der geforderte Betrag
vollends erreicht werden.
Da die zweite Etappe, der Unterstufen-Pausenraum, mit Hilfe von Schülern, Eltern und Lehrern sehr kostengünstig umgestaltet werden konnte,
bleibt für die dritte Etappe ein kleines
Startpolster. Noch hängt die Umsetzung jedoch vom Eingang weiterer
Spenden ab.
Die erste Etappe: der Innenhof
Der Innenhof im Herzen der Schule
wurde aus baupraktischen Gründen
wegen seiner eingeschlossenen Lage
als Erstes angegangen.
Es sollte eine ruhige «Oase» entstehen mit vielen verschiedenen Sitzplätzen, einem Brunnen und einem
Atrium mit Weidendach, das z. B. als
grünes Klassenzimmer dienen könnte.
Teer und Blumenrabatte wurden in den Sommerferien
2008 von einem fachkundigen Schulvater ausgebaggert,
Erde und Humus herangefahren und modelliert, das
Atrium ausgehoben und mit Granitsteinen befestigt. Ein
Granitfels mit Mosaikwasserlauf wurde von Oberstufen-
schülerInnen gestaltet. Ein Baumhaus und zwei grosse
Holzhängematten wurden installiert. Und zu guter Letzt
wurde der Rasen gesät und Stauden wurden gepflanzt.
Am 24. April 2009 fand das Einweihungsfest mit der
Schulgemeinschaft statt.
Die zweite Etappe:
die Umgestaltung und Erweiterung
des Erstklass-Pausenhofs
Der einzige Pausenplatz, der eine kleine
Grünfläche anbieten konnte, war über
die Jahre mehr und mehr zugewachsen.
Ein grosses Biotop schloss sich daran
an, für dessen Pflege sich niemand mehr
zuständig fühlte.
Das Gelände wurde weiträumig gerodet,
eine neue Umzäunung in Absprache mit
der Nachbarschaft angebracht, das Biotop trocken gelegt und in einen grossen
Sandspielplatz verwandelt. Ein gehäckselter Ringplatz wurde angelegt. Bei
dieser Etappe konnten nun vermehrt
viele freiwillige grosse und kleine Helfer
aus der Schüler-, Eltern- und Lehrerschaft
mithelfen. Im Frühjahr werden die beiden dritten Klassen anlässlich ihrer Bauepochen eine Baumplattform zum Klettern erstellen und bei der Renovation
des Spielhäuschens Hand anlegen. Die
Einrichtung eines Balancier- und Freispielplatzes, einer Rutschbahn, einer
Wippe und eines Wasserspiels sind
ebenfalls für dieses Jahr noch geplant.
Diese Erweiterung bietet Pausenraum für
die 1. – 3. Klassen.
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Die dritte Etappe:
Gestaltung von Pausenraum für die Mittelstufe
Als Auftakt zur Gestaltung vom Pausenraum für die Mittelstufe organisierte die Steuergruppe Anfang März 2010
eine öffentliche Veranstaltung mit dem Titel «Kinderwelt
ist Bewegungswelt». Es sollten die Bedürfnisse und Notwendigkeiten dieser Altersgruppe aus dem Blickwinkel
der neusten Erkenntnisse aus Pädagogik, Medizin, Sportwissenschaft, Sinnesforschung und Ästhetik zusammengetragen werden. Dazu wurden Experten aus den verschiedenen Fachrichtungen eingeladen und natürlich nahmen auch die Vertreter der Firma KuKuK daran teil. Am
folgenden Tag fand ein «runder Tisch» mit allen Beteiligten statt, um die Ergebnisse zusammenzutragen und bis
in die Planung der praktischen Umsetzung hinein auszuarbeiten. Im Mittelpunkt stand ein neuartiger Bewe-
gungspfad, der möglichst viele der angeklungenen Bedürfnisse berücksichtigen wird.
Auswirkungen
Es war und ist für viele Eltern, Lehrer und Schüler ein
beglückendes Erlebnis an solch einem Projekt gemeinsam
mitwirken zu können. Schwierige Situationen im Schulalltag können dann auf einer anderen Grundlage gemeistert werden. Lernen mussten die Verantwortlichen der
Steuergruppe, wie eine transparente Projektführung einerseits zum Lehrerkollegium und andererseits zu Eltern
und Schülern gewährleistet werden kann. Dies führte anfänglich zu manchen Missverständnissen und Ärgernissen. Inzwischen gibt es eine speziell für das Projekt gestaltete Info-Tafel in der Eingangshalle der Schule und
regelmässige Berichte in den Schulmitteilungen.
Es handelt sich um ein mehrjähriges Projekt,
das seine Gesamtwirkung erst nach der vollständigen Umsetzung erhält. So kann der
Innenhof als «Ort der Ruhe» seinen Sinn für
die Schulgemeinschaft erst ganz entfalten,
wenn die Orte der Bewegung um das Schulgebäude herum ebenfalls alle Gestalt angenommen haben. Die Bauarbeiten brachten
sogar kurzfristig zusätzliche Einschränkungen des Bewegungsspielraumes mit sich,
welche unter vielen Betroffenen Enttäuschung hervorrief, da sie sich eine schnellere
Verbesserung der Situation wünschten.
Dafür hat sich gezeigt, dass eine breite Beteiligung vieler mit der Schule verbundenen
Menschen an diesem Gestaltungsprozess
sehr wertvoll ist. Das umfassende Vorhaben
war von Beginn an auch ein Übfeld für die
Sozialgestalt der Schulgemeinschaft.
Matthias Hugenschmidt, Fundraising
Rudolf Steiner Schule Basel
Neu:
Anthroposophische Lehrerbildung in Dornach
führt zu schweizerisch anerkanntem Primarlehrerdiplom
Die Akademie für anthroposophische Pädagogik (AfaP) bildet angehende Lehrerinnen und Lehrer in praxisnahen
Studiengängen für eine Unterrichtstätigkeit an einer Rudolf Steiner Schule respektive Waldorfschule aus.
Neu besteht ab dem Wintersemester 2010 /11 im Rahmen eines Pilotprojektes die Möglichkeit für einen Übertritt an die
Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, Institut Primarstufe. Nach 3 Semestern kann ein
schweizerisch anerkanntes Lehrdiplom für das 1.– 6. Schuljahr erlangt werden, das zur Führung des Titels
«Diplomierte Lehrerin / Diplomierter Lehrer für die Primarstufe» (EDK) sowie des Bachelors of Primary Education
berechtigt.
Weitere Informationen: www.paedagogik-akademie.ch
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Pausen schaffen Integration
Was im Unterricht oft nur schwer gelingt, wird in der Rudolf Steiner Schule Mayenfels durch die Mittagspause
ermöglicht. Menschen, die meist im Hintergrund bleiben, werden zu Hauptakteuren.
An der Rudolf Steiner Schule Mayenfels werden ca. 200
Kinder von der 1. – 9. Klasse oberhalb der Gemeinde Pratteln in einem ehemaligen Herren-Schloss unterrichtet.
Sie erleben jeden Tag den Weg vom Bahnhof durch die
Geschäftsstrasse hinauf in die Felder und Bäume des
Mayenfels.
in die Prüfung gehen können, haben wir ein spezielles
Ausbildungskonzept entwickelt. Neben dem Tag in der
öffentlichen Berufsschule haben alle Lernenden bei Sinnenvoll noch 8 Stunden Bildungswerkstatt. Diese setzt
sich aus verschiedenen Elementen zusammen. Einmal aus
dem täglichen Morgenkreis von einer halben Stunde.
Sobald die Kinder auch am Nachmittag Unterricht haben,
entsteht die Frage nach einer guten Verpflegung über Mittag. In der Vergangenheit wurde eine Gruppe von Müttern
und Vätern aufgeboten, um zusammen mit einem in Teilzeit beschäftigten Koch, für die Kinder zu kochen. Im
Laufe der Jahre zeichnete sich eine Abnahme des Elternengagements ab. Die tägliche Pflege der Räumlichkeiten,
die Reparaturen und der Unterhalt des Gebäudes sowie
die Pflege des grossen Geländes wurden durch kleinere Pensen aus dem
Kollegium und durch die wertvolle Mithilfe von engagierten Eltern gewährleistet.
Hier begegnen wir uns, erfahren aus der Runde wie es
den Einzelnen geht und es folgt ein kurzer Input ganz
unterschiedlicher Art. An einem Tag ist es das Zeitgeschehen, dem wir uns widmen, an einem anderen Tag ist es
ein Gedicht oder ein Rätsel. Die täglich geforderte Motivation wird geweckt durch das Gefühl, akzeptiert und
wahrgenommen zu sein.
Diese oft belastende Situation wahrnehmend, kam 2008 die Anfrage des
Vereins Sinnenvoll an die Schule, hier
am Mayenfels eine Ausbildungsstätte
für Jugendliche mit einer IV-Verfügung
aufzubauen. Der Verein Sinnenvoll hatte sich aus der Initiative dreier Lehrer
von Kleinklassen bzw. Sonderschulen
gebildet, die für ihre Jugendlichen eine
sinnvolle Möglichkeit der Berufslehre
schaffen wollten.
Die Situation für Jugendliche aus den
Werkjahren oder aus der Sonderschule
ist alles andere als rosig. Für sie ist es
ein grosses Glück, einen ersten Schritt
in einer Berufsausbildung machen zu
können. Die IV finanziert eine erstmalige berufliche Massnahme und hilft durch ein Gespräch und durch verschiedene Tests der Berufsberater, den geeigneten Platz zu
finden. Leider gibt es immer zu wenig Plätze in zu wenigen Berufen. Zudem erfolgt für Jugendliche, die oft auch
eine Entwicklungsverzögerung haben, dieser Schritt manchmal zu früh. Eine grosse Eingliederungsstätte ist oftmals
zu anonym und zu unübersichtlich.
Wir hier bei Sinnenvoll sind so etwas wie eine grosse
Familie. Das Beziehungsnetz ist zwar neu, doch nicht zu
weit und überschaubar. Darüber hinaus entstehen vielfältige Begegnungen mit der lebensvollen Schulgemeinschaft. Sinnenvoll bildet in den Bereichen Hauswirtschaft,
Küche und Betriebsunterhalt aus. Zur Zeit haben wir 12
Lernende in Ausbildung. Vier Jugendliche werden im Sommer 2010 ihre 2-jährige Attestausbildung bzw. Anlehre
mit einer Prüfung abschliessen. Damit sie gut vorbereitet
Weiter bietet Sinnenvoll eine individuelle schulische Unterstützung in den Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben
und Rechnen an. Ein regelmässig stattfindender Kunstunterricht ist eine Besonderheit von Sinnenvoll. Zunächst ist
es nicht leicht, einem Lernenden den Sinn von Kunst in
der Ausbildung klar zu machen. Im Laufe der Ausbildung
erleben sie aber in ihrer konkreten Aufgabe, dass es
unerlässlich ist, sich mit Kreativität und neuen Lösungsansätzen einer neuen Situation zu stellen. Der Koch dekoriert seine sehr schmackhaften Gerichte, die Hauswirtschafterin ist bestrebt, den verschiedenen Jahreszeiten
im Schmuck und Dekor gerecht zu werden. Auch die Betriebspraktiker können ohne eine gewisse Ästhetik ihrer
Aufgabe nicht optimal gerecht werden.
Die Jugendlichen verfügen nach zwei Jahren über ein Attest bzw. sie haben eine Anlehre abgeschlossen. Dieses
wird in einer daran anschliessenden Lehre als erstes Lehr-
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Es gibt vier mal in der Woche vegetarische
Gerichte und einmal etwas mit Fleisch. Immer stehen zwei oder drei Salate am Buffet
bereit, dazu eine Schale mit Obst. Eine leckere Dessertvariante rundet das Angebot
ab. Da wir versuchen, alles in biologischer
Qualität anzubieten, mussten wir das
Mittagessen von 5 auf 6 Franken erhöhen.
Damit liegen wir aber im Vergleich mit anderen Schulen immer noch sehr niedrig.
Die Lernenden von Sinnenvoll sind mit einbezogen ins kulturelle und jahreszeitliche
Leben des Mayenfels, sie gehören mittlerweile einfach dazu, und ich glaube, man
kann sich gar nicht mehr vorstellen, wie es
ohne sie sein könnte.
jahr angerechnet. Können oder wollen sie nicht weiter
machen, verfügen sie über ein Papier, mit dem sie sich
als Hilfskraft auf dem regulären Arbeitsmarkt, bewerben
können.
Die Schule und Sinnenvoll arbeiten seit August 2008 zusammen. Sinnenvoll darf mit seinen Jugendlichen auf dem
Mayenfels tätig werden, der Verein unterstützt das Kollegium und die Eltern, dafür erhält er die Werkstätten im
Austausch zur Verfügung gestellt. Für beide Seiten war
diese Situation neu, es bedurfte einer grossen Offenheit
und dem Glauben an das Sinnvolle in der neuen Aufgabe.
Heute sind beide Seiten glücklich und zufrieden. Die Kinder und Lehrer erhalten jeden Mittag ein schmackhaftes
und biologisches Mittagessen. Die Schule wird nicht nur
regelmässig gereinigt, sondern auch gepflegt und je nach
Jahreszeit noch dekoriert. Die Gruppe der Betriebspraktiker, ein Lehrmeister mit vier Lernenden, sorgt im Winter
bei Eis und Schnee für freie Zufahrt und gefahrlose Wege.
Ihr Einsatz ist bei der Renovation und der Werterhaltung
der Gebäude intensiv gefragt. Immer wieder kommt es zu
kleinen Zwischenfällen, bei denen ihre kompetente Hilfe
gesucht ist. Bei Schulanlässen wie z. B.
bei einem Gala Diner des Pro Mayenfels, einem Sponsoring Anlass für den
geplanten Neubau, konnte Sinnenvoll
mit Küche und Service zeigen, was die
Jugendlichen bereits gelernt haben.
Das gesamte soziale Gefüge hat sich
geweitet und an Farbe gewonnen. Es
ist schon ein Erlebnis, in der Schlange
beim Mittagessen anzustehen, und zu
beobachten mit welcher Freude und
mit wie viel Ernst die Lernenden von
Sinnenvoll den Kindern ihr Essen auf
den Teller schöpfen. Die Kinder danken es ihnen mit Respekt und auch mit
etwas Ehrfurcht vor den Grossen.
Für beide Seiten konnte so eine echte WinWin Situation geschaffen werden. Möglich
ist dies geworden durch Initiativkraft und
den Glauben an das Notwendige auf der
einen Seite, und durch die Bereitschaft
einer Lehrergemeinschaft, sich zu öffnen und das Neue
freudig zu begrüssen.
Bereits sind neue Projekte im Umfeld der Schule in die
Wege geleitet: Im Sommer 2011 soll der Kindergarten
aus einem Provisorium in ein neues Zuhause in Pratteln
umziehen. Der Verein Kinderhaus Landhof wird dann eine
Kindertagesstätte und den Kindergarten in einem Haus
betreiben. Sinnenvoll beteiligt sich an diesem Haus, welches die CoOpera PUK gekauft und umgebaut hat, mit
einem Cafe und mit einer Demeter Bäckerei. Hinzu kommen Plätze als Restaurationsangestellte und weitere für
Hauswirtschaft. Wir können dann mit Sinnenvoll weiteren
11 Jugendlichen eine Chance zur beruflichen Eingliederung
geben. Den Kindern wird es sicherlich gefallen, den frischen Brotduft zu schnuppern.
Johannes Marhenke, www.sinnenvoll.ch
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Arbeitswelterfahrung dank Unterrichtspausen
Der Wechsel zwischen Arbeitswelterfahrung und Schule, wie ihn die ROJ entwickelt hat, wirkt motivierend:
Neue Bezüge und Beziehungen schaffen Sinn und Elan.
Eine gute Schule erkennt man daran, dass sie guten,
reichhaltigen Unterricht bietet und gültige Abschlüsse
ausstellt. Oder nicht?
Wenn man auf die Jugendlichen und die fast Erwachsenen
genauer hinschaut, könnte man doch noch einen gewichtigen Mangel entdecken sogar bei einer Schule, die wirklich alles gut macht, was eine Schule gut machen kann:
Die Schule ist nicht das Leben, und nach einer intensiven
Lebensbegegnung wächst der Hunger mit zunehmendem
Jugendalter. So tritt neben die Schule eben der Fun, das
Abschalten oder Aufdrehen in der Freizeitgestaltung. Auf
jeden Fall ist es eine Suchbewegung über das vielleicht
sogar ideale Schulleben hinaus, im ungünstigsten Fall
wird das Suchen zur Sucht. Solange es nicht dahin kommt,
wird es von der Gesellschaft auch weitgehend akzeptiert,
dass Jugend hin und her pendelt zwischen Schulleben
und Freizeitvergnügen.
nen (z. B. für die Freizeitvergnügen). Das Interesse an den
Bedürfnissen anderer würde eben durch den Markt erzwungen mit Hilfe des primären Ziels, Gewinn zu machen.
Solche Gerüchte wie auch die gängigen Bilder von «unserer heutigen Jugend» lassen sich in Frage stellen aufgrund über fünfzehnjähriger Erfahrung an der ROJ in Solothurn, einer Gründung der drei Steinerschulen Solothurn,
Biel und Langenthal in Anknüpfung an einen gründlich
vorbereiteten Impuls von Rudolf Wepfer.
Die Schule muss begreifen, was der junge Mensch sucht,
indem er arbeiten will !
Das gut belegte Phänomen ist folgendes: Jugendliche und
junge Erwachsene wollen arbeiten – für andere, nämlich
beruflich. Aber sie wollen sich noch nicht festlegen, bevor
der individuell zu findende Entscheid für einen Beruf reif
geworden ist. Sie wollen ihr Entwicklungspotential noch
freihalten und sich nicht der modernen Arbeitswelt mit ihren zunehmenden Zwängen ausliefern.
Sie müssen in der Regel auch ihren
Lebensunterhalt nicht selbst verdienen, das heisst sie dürfen arbeiten –
sie machen die entscheidende Erfahrung, dass man arbeiten darf, weil
man etwas für andere tun will (anstelle des üblichen Leitbilds: dass
man arbeiten muss, weil man Geld
will).
Bei der Arbeit sein Handeln an den Bedürfnissen
anderer orientieren
Man widerspricht diesem gängigen Bild, wenn man geltend machen will, die sogenannte «heutige Jugend» suche ausser dem Pendeln zwischen Schule und Freizeit
nach der Möglichkeit, sich in richtiger Arbeit zu bewähren,
sich selber und verschiedenste Menschen arbeitend kennen zu lernen. Arbeit definiert sich nicht über Anstrengung, sonst würden Partystress, nächtelanges Gamen und
Fitnesstraining damit verwechselt werden können, sondern man orientiert bei der Arbeit sein Handeln an den
Bedürfnissen anderer, und das ist nicht möglich, ohne
Verantwortung zu übernehmen.
Diese schlichte Anforderung verbindet alle Berufe, ist aber
weder für das Leben in der Schule noch für das in der
Freizeit kennzeichnend. Diesbezüglich geht das Gerücht
herum – und auf diesem Gerücht beruht sogar die vorherrschende Lehre an den Hochschulen – genau das würde man nur deshalb auf sich nehmen, um Geld zu verdie-
Damit der junge Mensch aber arbeiten darf, braucht es eine Schule, die
ihm erstens den Freiraum gibt, das
heisst Unterrichtsstunden aufgibt zugunsten dieser Lebenserfahrung, und
die zweitens ihn gegenüber dieser Arbeitswelt vertritt in
seinen jugendlichen, menschlichen Interessen. Beides ist
nicht selbstverständlich.
Wie viele Ängste müssen bei Lehrern, Eltern und Schülern
überwunden werden, die auf der Illusion beruhen, die bei
der Abschlussprüfung nachzuweisenden Kompetenzen
seien proportional zu den besuchten Unterrichtsstunden!
Und wie gründlich muss vonseiten der Schule begriffen
werden, was der junge Mensch eigentlich sucht, indem er
arbeiten will! Denn im Gegensatz zum Freizeitjob kann es
hier nicht die finanzielle Entlöhnung sein. Diese ist durchschnittlich gering, und was schlussendlich doch noch in
sein Taschengeld einfliesst, entspricht nicht einmal seinem Einsatz, da die Einkünfte über die Klassenkasse
gleichmässig verteilt werden, nachdem schon ein Anteil
zugunsten der Schulkosten abgezogen wurde. Die Arbeit
macht sicher auch nicht immer Spass, was doch nach
gängiger Meinung das Kriterium der Jugendlichen ist.
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Was wollen die Schülerinnen und Schüler arbeiten,
wenn ihnen die Schule den Raum dafür verschafft?
Halten sie auch durch am gleichen Ort während mindestens einem halben Jahr, im Ganzen zwei bis vier Jahre, je
zwei Tage die Woche nach einem Semester-Einstieg in
zwei Intensivwochen? Klassenhelferin sein in einer Kleinklasse, Demenzkranke pflegen und alte Menschen auch
bis zum Tod begleiten, Sportartikel verkaufen und Velos
reparieren, Schmuck herstellen und Bilder rahmen, in der
Hotelküche oder im Hotelservice mitarbeiten, mit heilpädagogisch betreuten oder traumatisierten Kindern malen,
eine Lokalradiosendung gestalten oder im Tagblatt über
Eishockey berichten, ein Jugendprojekt des Stadttheaters
leiten, Aufgaben in einem Architektur- oder einem Anwaltsbüro übernehmen, Autobusse reparieren oder Pferde
beschlagen, Kampagnen für ein Bundesamt oder für eine
NGO koordinieren, PC-Support übernehmen oder Werbung entwerfen, Dächer zimmern und decken, Inschriften
restaurieren, Kinder im Hort oder Kindergarten betreuen,
Lichtanlagen für Konzerte aufbauen, Brot backen, im Geburtshaus oder in einer Grossfamilie mithelfen, was noch?
Es gibt kaum Grenzen. Die Schule hat sich im Umgang
damit zu bewähren, was das bedeutet für den Unterricht,
wenn jede Woche die Schülerinnen und Schüler mit all
diesen Erfahrungen und Bewährungen in die gleiche Klasse kommen und gemeinsam das lernen, was nun Sache
des Schullebens ist, mit jedem Fach den Horizont dieses
beruflichen Tuns erweiternd und dessen Einseitigkeit wieder ausgleichend.
Sich selber finden,
wo das Eigene ganz selbstverständlich zurücktritt
Was also suchen junge Menschen in all diesen Arbeitsfeldern? Eine Schule, die nicht vom Grundgedanken Rudolf
Steiners ausgeht, würde vielleicht in den Mittelpunkt stellen, dass auf diese Weise die Karriere schon angebahnt,
der zukünftige Marktwert des Jugendlichen schon gesteigert wird. Die meisten Absolventen einer solchen Schul-
zeit meinen wohl etwas anderes, wenn sie im
Rückblick überzeugt davon berichten, dass sie
Entscheidendes dadurch gewonnen haben, indem der Schulunterricht sich ein Stück weit zurückgenommen hat, um Lebensbegegnung und
-bewährung zu ermöglichen. Sie haben an all
diesen Arbeitsorten gerade in diesem kritischen
Alter der Ichfindung erfahren, dass sie gebraucht werden – dass sie etwas können, was
andern ein Bedürfnis ist, und dass sie erstaunlicherweise gerade da sich selber finden, wo
das Eigene ganz selbstverständlich zurücktritt.
Schnuppern und in einem Lager tüchtig anpacken, das entspricht einem 9. Klässler. Von der
11. Klasse an kann man die Verbindlichkeit suchen, auch eine Sachkompetenz, die erst wächst,
wenn sich das Praktikum über Monate erstreckt. Die Schülerinnen und Schüler durften
tatsächlich überwiegend hohe Anerkennung
ernten. Man vergleiche diese Anerkennung in
ihrer Wirkung und Bedeutung mit derjenigen
einer guten Punktzahl an der Abschlussprüfung. Eine 12. Klässlerin, die sich ein Jahr lang parallel
zum Unterricht zurechtfinden gelernt hat mit Kindern einer Kleinklasse, ist anders «geprüft» für die Pädagogische
Hochschule als bloss mit einer Matur.
Arbeit für andere darf nicht lernende Arbeit
an sich selbst ersetzen
Eine gute Schule öffnet ihren Schülerinnen und Schülern
die Erfahrung der Welt – aber sie hat auf die andere Seite
auch die grosse Aufgabe, den freien Entwicklungsraum zu
gewähren, der im eigenen Lernen erfahren werden kann,
sei es in Kunst, Wissenschaft oder Sprachen. Gebraucht
zu werden und dafür von Mensch zu Mensch Anerkennung zu finden, sind unverzichtbare Heilmittel in der natürlichen Krisenhaftigkeit der Jugend. Sie können aber –
wie jedes Heilmittel – zu stark wirken, einen Sog entfalten,
der das keimhafte Selbstgefühl ablenkt von seinem Weg
durch neue Abhängigkeiten. Eine solche Schule gibt also
nicht einfach Verantwortung ab an die Arbeitswelt, sondern übernimmt neue in der Begleitung dieser Gratwanderung. Arbeit für andere darf nicht lernende Arbeit an
sich selbst ersetzen.
Hat das etwas mit Steinerschule zu tun? Ja, nicht mit der
gewohnten Form, aber mit dem ursprünglichen und immer neu zu begreifenden Impuls: Individualitäten ihre persönliche Aufgabe finden zu lassen auf dieser Erde, in der
Gesellschaft, die sie vorfinden – nicht davor zurückzuschrecken, weil sie nicht ideal ist und nicht den eigenen
Wünschen entspricht, und auch nicht ihr zu verfallen, so
wie sie geworden ist und bereitsteht, den jungen Menschen zu ihren Zwecken zu formen und zu verwerten.
Sachgemässen Mut für das Erwachsenwerden entwickeln
– das könnte das Motto eines solchen Schulimpulses
sein.
Peter Lüthi, Lehrer für Deutsch und Geschichte an der
Rudolf Steiner Schule Zürcher Oberland

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