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Eine konformistische Provokation
Dietrich Brüggemanns Kinofilm ?Heil?
Autor: Hans-Günther Dicks
Datum: 15. Juli 2015
Darf man über alte und neue Nazis lachen? Sehr wohl ? wenn man sie genügend
ernst nimmt; tut man letzteres wirklich, ist das Lachen sogar unausweichlich.
Darf man über Nazis eine Filmkomödie drehen? Natürlich auch ? wenn man sie
genügend... Nach anderen deutschen Jungfilmern hat sich nun auch der 1976 in
München geborene Dietrich Brüggemann daran gemacht, aus der
Lächerlichkeit dumpfbrauner Hirngespinste an den Kinokassen Honig zu
saugen. Sein fünfter Spielfilm ?Heil? kommt am 16. Juli in die Kinos, als
?kreischend komische Liebeskomödie und bitterböse Gesellschaftssatire? vom
Verleih beworben - und davon stimmt gerade mal das erste Wort.
Um was geht es? Der afrodeutsche Autor Sebastian Klein ist durch sein Buch
gegen den Rassismus zum Medienstar geworden. Auf einer Lesetournee gerät
er im ostdeutschen Dreiländereck in die Hände, pardon, Schlagstöcke von
Neonazis, verliert sein Gedächtnis und plappert fortan die Phrasen der Nazis
nach. Seine hochschwangere Freundin Nina nimmt hartnäckig seine Spur auf
und landet in einem Provinznest, wo wie in einem aufgescheuchten
Wespennest sich diverse ultrarechte Cliquen, Nachrichtendienste, Karrieristen,
Medienmacher, Politiker, Ordnungshüter und chaotische Links- und
Rechtsaktivisten gegenseitig beharken. Der ehrgeizige Naziführer Sven (Benno
Fürmann) will mit einem fingierten Überfall die Eroberung Polens einleiten, um
endlich bei seiner ultramilitanten Freundin zu punkten, dieweil diverse
BND-V-Leute restlos den Überblick verlieren und die Medien des Landes
zusätzliche Verwirrung stiften.
Fingierter polnischer Überfall? Wer sich hier an seinen Geschichtsunterricht
erinnert, den belehrt Oberlehrer Brüggemann bald eines besseren: Den Fall
Gleiwitz gibt es bei ihm nicht real, sondern nur als Hirngespinst eines verliebten
Trottels. Auch sonst lässt der Regisseur, der hier in grotesker
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Selbstüberschätzung gleichzeitig für Regie, Buch, Musik und Koproduktion
zeichnet und sich bei der finalen TV-Talkrunde auch noch eine Rolle als
Verkünder eigener Botschaften ins Drehbuch schrieb, kein einziges politisch
inkorrektes Fettnäpfchen aus. Er stolpert von Witz zu Witzchen, watscht das
komplette Politik- und Medienspektrum nach einander heftig ab. stolpert durch
sein Thema ohne Konzept oder Struktur, und wo ihm einmal ein wirklicher Gag
einfällt, nimmt er ihm im endlosen Tsunami aus Kalauern, Plattitüden und
Geschmacklosigkeiten selbst die Wirkung. Wenn?s sein muss, opfert er für
abgestandene Situationskomik auch mal jede dramaturgische Logik und
plappert ganz wie sein Filmheld Sebastian die üblichen
Rechts-gleich-Links-Phrasen nach, die schon immer der Geburtsfehler dieser
Gesellschaft waren. Dem Zuschauer schwinden bald die Sinne ? und der Story
der Sinn.
Wo solcherart jede Subtilität ausgetrieben ist, haben natürlich auch die
Darsteller wenig zu spielen. Es ist, als habe sich der Regisseur nach seinem fast
asketisch stillen Film ?Kreuzweg? nun mit einem gigantischen
Darsteller-Ensemble einmal so richtig austoben wollen. Doch was heißt schon
Ensemble bei einer Rekordzahl von nicht weniger als 114 (!) Sprechrollen, die
großen davon mit Stars wie Benno Fürmann, Liv Lisa Fries oder Jakob
Matschenz zugkräftig besetzt, wogegen seine Schwester Anna, die an all seinen
früheren Filmen als Co-Autorin und/oder Darstellerin prominent beteiligt war,
diesmal nur in der Rolle der brutalen Nazibraut Doreen zu sehen ist. Rollen
zudem, deren bevorzugte Ausdrucksmittel Herumschreien, Schüsse, Schläge,
Stöße und Tritte sind? Jeder von ihnen liefert ohne subtile Mimik und
Charakterzeichnung seinen mehr oder minder kurzen Auftritt ab, und bevor er
auf den Szenenapplaus warten kann, ist schon die nächste ?Nummer? dran. Wie
rasch sich solche ?Dramaturgie? selbst erledigt, zeigt der geradezu hilflos
einfallslose Schluss.
Überhaupt scheint Rekordjagd gegenwärtig ein prägendes Ziel im
bundesdeutschen Film zu werden, dafür gibt es Preise und Beifallarien wie
lange nicht mehr. Da gibt es einen Bundesfilmpreis für Til Schweigers
7-Millionen-Besucherrekord ? was wenig über Publikumswünsche, aber viel
über die Vermarktungsstrukturen in der deutschen Filmwirtschaft sagt. Da wird
Sebastian Schippers ?Victoria? in den Feuilletons bejubelt als quasi olympische
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Leistung, bloß weil moderne Digitaltechnik es möglich machte, die 140
Filmminuten komplett in einer einzigen Einstellung ohne Schnitt zu drehen.
Brüggemann nutzt seine Monsterteam immerhin zu einem raffinierten
Besetzungscoup: Ein Schuft, wer Böses dabei denkt, dass er nach seinem 2014
arg gefloppten Film ?Kreuzweg? etliche Rollen mit Prominenten aus der Filmund Medienbranche besetzt hat, die er zu augenzwinkernden Kurzauftritten vor
die Kamera lud. Das Wohlwollen der Branche und der Filmförderer wird ihm
diesmal sicher sein. Zwar dürfen Michael Gwisdek und Heinz Rudolf Kunze (als
Verfassungsschützer) und der prominente Filmkritiker Dietrich Kuhlbrodt
nebenbei ein paar aufmüpfige Wahrheiten ins Kinovolk streuen, aber die gehen
gewiss unter im Geschnatter der anderen. So kommt ?Heil? nicht als wirkliche
Provokation daher, sondern als eine Art Inzuchtprodukt bundesdeutscher
Filmpolitik, die in ihm bekommt, was sie verdient.
Der Film kommt am Donnerstag in die Kinos.
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