1 Domprediger Michael Kösling Johannistag

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1 Domprediger Michael Kösling Johannistag
Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Michael Kösling
Johannistag, Dienstag, 24. Juni 2014, 22 Uhr
Predigt über Jesaja 40, 1-8,
Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
Wir sitzen lang im Schatten, alte Leute, ein Buch im Schoß, geblendete Augen senkend, freundlich
gewiegt vom sommerlichen Heute. Da flog die Gans mit langem Hals, die Rotweinflasche überm
Himmel hin hob sich ab, als die Sonne wegschied. Spät. Die Tage sind lang und heiß. Ich trinke und
schneide Rosen. Ich gehe übern Friedhof hin und sehe nur Blumen sich im letzten Scheine wiegen.
Von gar nichts anderm fühl ich eine Nähe. Und zwischen Haselsträuchern, die schon düstern,
fließt Wasser hin, und wie ein Kind, so lausch ich und höre kein »Dies ist vergeblich« flüstern!
Summertime. And the livin' is easy. Fish are jumpin'. And the cotton is high. One of these mornings,
you're going to rise up singing. Then you'll spread your wings and you'll take to the sky. Noch sieben
Tage – dann glühn die Johannisfeuer! Dann werden die ledigen Dirnen Kränze winden, neunerlei Grün:
Allermannsharnisch, Hellebore, Johanniskraut. Am Abend werden die Burschen ihre Liebsten durch die
Julfeuer schwingen. Die ganze süße und flammende Sommerseele im Blut werden sie die Feier dieser
Nacht begehn .
Der Sommer: Ach könnten wir ihn doch festhalten: die Wärme und Schönheit, die Fülle, die
Leichtigkeit, das viele Licht. In einer so kleinen Pille vielleicht. Johanniskraut. Seit alters her wird es in
dieser Nacht geerntet. Seine gelben Blüten symbolisieren das Sonnenlicht. In ihm ist das Licht dieser
langen Tage gespeichert – für den Winter. Fuga daemonum – Dämonenflucht wird es genannt. Sie
werden uns wieder besetzen, die jetzt flüchtigen Geister der Dunkelheit. Sie warten geduldig auf uns,
die Täler schwerer Gedanken und trüben Sinns. Die Sorgenberge, unüberwindbar aufgetürmt im Winter
von Berlin. Überhaupt im Winter. Doch davon nichts jetzt. Kein Wort! Es ist Sommerweihnacht. In
diesen Tagen, in denen der Lebensmut wächst, wie der Weizen auf dem Feld und in denen unsere
Hoffnungen reifen, wie die Früchte an den Bäumen und unsere Seelenlandschaften aufatmen und sich
weiten. Es ist die Zeit, in der wir irgendwie das Gefühl haben, neu zu werden und verwandelt.
So wie einst bei unserer Taufe, an die wir uns heute erinnern und der wir uns vergewissern. Ganz neu.
Aus Gott geborene Töchter und Söhne, seine aus der Taufe gestiegenen geliebten Kinder. Unsere Namen
sind ihm gut bekannt. Und so wandeln wir durch unser Leben und die Zeit, die Gott uns schenkt.
Durchtränkt mit den großen Geschichten Gottes und seiner Schöpfung, die von Treue und Gerechtigkeit
erzählen. Erleuchtet von dem Feuer göttlicher Liebe, das auf dem Grund unserer Herzen lodert. Ein
wenig Licht vom Licht. Begeistert von den großen Hoffnungen auf Leben und Frieden. Ach könnten wir
das alles doch für immer festhalten: unsere trotzige Zuversicht, unseren Elan und unsere Schaffenskraft,
unseren Mut und unsere Lust aneinander, an der Welt. Unseren zaghaften Glauben. Das alles ist doch
mit uns aus der Taufe gekrochen. Einst. Das muss doch zu bewahren sein. Vielleicht durch Worte. Wie
diese.
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre
Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von
der Hand des HERRN für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den
Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge
und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben
werden; denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es
sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet. Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll
ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras
verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras
verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich. (Jesaja 40, 1-8)
Adventliche Worte aus prophetischem Mund. Jesaja ruft sie uns zu in dieser sommerlichen Nacht. Sie
erinnern uns an die Spannung, die wir spüren trotz aller lebensfrohen Euphorie. Sie erinnern uns daran,
dass wir, zwar schon längst mit Christus auferstanden, doch noch in dieser Welt leben und des Trostes
bedürftig sind. Wir sind verletzte Kinder Gottes. Wir und die ganze Schöpfung seufzen noch. Wenn das
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Licht, wie in diesen Tagen am längsten scheint, spüren wir auch, dass es selbst flieht und sich
zurückzieht. Unmerklich. Langsam. Unaufhaltsam greift sich die Dunkelheit wieder Raum. Schleicht
sich ein und sickert durch. Wie in uns manchmal, wenn noch die letzte Lebenslust verloren geht. Also
doch reden von den schwarz durchtränkten Vorhängen des Grauens, durch die kein Licht fällt? Von den
tiefen Klüften der Ungerechtigkeit und dunklen Schluchten unserer Ängste? Den Streitgebirgen und
Kriegshöhen? Im gewahr werden all dessen kann uns schon mulmig werden und uns der Mut verlassen.
Noch die schönste Blume verwelkt. Darüber kann auch die laueste Sommernacht nur kurz
hinwegtäuschen. Alles vergeht wie Gras. Was soll man sagen? klagte schon Jesaja. Da ist es gut, sich an
das zu erinnern, was wir nicht festhalten und bewahren können, was aber uns hält und bewahrt.
Trost und Treue. Zwei kleine Wörter. Nicht voneinander zu trennen. Sie sind etymologische
Geschwister. In ihnen sind wir gehalten und bewahrt. Diese zwei kleinen Wörter umgrenzen nicht nur
die 8 vertraut klingenden Verse aus dem Prophetenbuch. Sie umgrenzen unser ganzes Leben. Und sie
gelten darüber hinaus! Der Trost und die Treue unseres Gottes sind uns zugesagt. Tröstet, Tröstet! Und
ganze Landstriche ändern sich und werden verwandelt, Täler werden erhöht und Berge erniedrigt. Der
Raum wird weit. Kriegsgeschrei verstummt, Streit endet, Gerechtigkeit keimt, Ängste fliehen! Die
Schuld, die einengt, Wege verstellt, in den Abgrund führt, ist vergeben. In die dunkelste Finsternis
begibt sich ein Licht. Johannes ist nicht das Ende. Und auch sein grimmiger Ruf zur Umkehr nicht. Das
Zeugnis des Johannes ist die Kunde vom wachsenden Gott in unserer Mitte. Die Herrlichkeit unseres
Gottes wird im Trost offenbart. Im Trost, den wir uns gegenseitig schenken und zusagen können, an
den wir uns gegenseitig erinnern, weil er uns verheißen ist und damit unaufkündbar, denn das Wort
unseres Gottes bleibt ewiglich. Er ist treu, der sagt: Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.
Mag alles verwelken und vergehen – wir bleiben aufgehoben, lebendige Töchter und Söhne umfangen
von unserem Gott.
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