Dürrmann-Pflegeoase-HP

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Dürrmann-Pflegeoase-HP
Die besondere Situation der
palliativen Versorgung von
Menschen mit Demenz.
Am Beispiel der Pflegeoase des
Seniorenzentrum Holle
Peter Dürrmann
BIVA Fachtagung am 05. April 2016 in
Hannover
Peter Dürrmann
Strukturelle Ausrichtung
Seniorenzentrum Holle
• 71 Bewohner ab mittlerer bis schwerster
Demenz
• Keine Bewohner mit der Pflegestufe 0 oder 1
• Differenzierte Betreuung in homogenen
Wohngruppen/BSD/Palliative Pflege/Pflegeoase
• Differenzierte Entgeltvereinbarung/LQM
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Strukturelle Ausrichtung
• Angebote am Silberkamp
•
•
•
•
•
34 Mieter, Menschen mit Demenz
Vier ambulante Wohngemeinschaften
Mieter mit den Pflegestufen 1 bis 3
Tagespflege für 18 Tagesgäste
Ambulante Pflege in der Nachbarschaft
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Basis in Holle ist
• ein segregativer Betreuungsansatz,
• ein einheitliches Werteverständnis,
• eine einheitliche Haltung und
Philosophie,
• ein verbindliches, bedürfnisorientiertes
Konzept,
auf der die gemeinsame Arbeit aller
Mitarbeiter basiert, reflektiert und
weiterentwickelt wird.
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Qualifikation und Qualifizierung
• IVA, Demenz-Balance-Modell (alle MA)
• Krankheitsbild Demenz
• Basale Stimulation, Kinästhetik, BobathKonzept (alle Mitarbeiter in der Pflege)
• Palliative Care und Gerontopsychiatrie
• DCM, QUALID, kontinuierliche Konzeptentwicklung
• Dauer-AG von Küche und Pflege zu
Ernährungsaspekten, externe Begleitung
• Training in Gesprächsführung ab WBL-Ebene
• Einstufungsmanagement (alle Fachkräfte)
• Externe Supervision, Einzelcoaching
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Einheitliches Werteverständnis
Beispiele u.a.:
• Keine körpernahen Fixierungen
• Keine künstliche Ernährung
• Keine Katheterisierung
• Keine geschlossenen Inko-Systeme
• Keine unsachgemäße Medikation
• Keine geschlossenen Betreuungsbereiche
Ausgangslage
• Wachsende Unzufriedenheit mit dem
eigenen Versorgungsangebot (Anfang
2005)
• Erfassung der Pflegezeitbedarfe sowie
Prüfung der Arbeitsorganisation und abläufe
• Suche nach alternativen Betreuungs- u.
Raumkonzepten zusammen mit den
Familien (Ende 2005)
• Besuch Haus Sonnweid in der Schweiz
• Entscheidung für die Oase durch die
Familien und der Mitarbeitet (Mai 2006)
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Nachdenkliches
• Oase: Gemeinschaftlicher Lebens-, Wohnu. Schlafraum.
• Es gibt nicht die Oase!
• Es benötigt ein ausdifferenziertes Konzept
für die Betreuung von Menschen mit
Demenz.
• Die Oase ist eine Weiterentwicklung auf
Basis eines bestehenden spezialisierten
Konzeptes. Sie steht nicht am Beginn.
• Palliative Care und Raumkonzepte
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2016
Personenkreis
• Menschen mit einer weit fortgeschrittenen
Demenz in ihrer letzten Lebensphase – nicht
Sterbephase
• Menschen mit Mehrfacherkrankungen, die nicht
mehr mobil, ihrer verbalen
Kommunikationsmöglichkeiten weitgehend
verlustig und körperlich stark geschwächt sind.
• Menschen, die vollständig auf umfassende
Pflege und Betreuung angewiesen sind und in
ihrer Abhängigkeit darauf vertrauen müssen,
dass aus fachlicher Sicht alles Notwendige für
Sie getan wird.
• Menschen, deren Pflegebedarf mit der Stufe III.
oder als Härtefall § 43 Abs. 3 SGB XI
eingruppiert ist.
Konventionelle Versorgungsabläufe
und Raumkonzepte
• Gruppenhaft organisierte Versorgung,
• strukturiert durch Lagerungsintervalle, der
Inkontinenzversorgung sowie dem Essen und
Trinken,
• behindert durch räumlich strukturelle
Gegebenheiten,
• stark differierende Versorgungsbedarfe,
• sowie der Quantität und Qualität der Mitarbeiter.
Überforderung der Pflege!
Was ist Lebensqualität für
Menschen mit Demenz?
•
•
•
•
•
•
•
Umgebungsbedingungen
Kommunikation
Grad der Befriedigung elementarer Bedürfnisse
Körperliches Wohlbefinden
Frei sein von psychischen Belastungen
Positive Emotionen
Bedürfnisgerechte Tagesstruktur und
Beschäftigung
• Biographische Anknüpfungspunkte im Alltag
• Balance zwischen Anforderungen u. Fähigkeiten
Wingenfeld, IPW, 2010
Wohlbefinden: Bedürfnisse und
Bedarfe
• Selbstverwirklichung
Entfaltung der Persönlichkeit, Mitgestaltung, Eigenentwicklung
• Ich bezogene Bedürfnisse
Person sein, Selbstwertgefühl
• Soziale Motive
In Beziehung sein, Kontakt, Liebe
• Sicherheitsbedürfnis
Schutzbedürftig, Angstfreiheit, Kontrolle und Orientierung
Vorhersehbarkeit, Eindeutigkeit, Verbindlichkeit
• Grundbedürfnisse
Essen, Trinken, Sexualität, Bewegung
In Anlehnung an Maslow, Bedürfnispyramide
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Bindungsbedürfnis
• Verlust der Kontrolle über Geist und Körper
• Primäres Bedürfnis nach Sicherheit und Identität.
• Sich selbst erfahren gelingt nur noch über eine enge
Beziehung zu den Pflegenden, über Bindung.
• Fundament um sich selbst noch als Person zu erfahren.
„Mein Leib ist in der Welt.
• Bindungsverlust kann nicht mehr verstanden werden.
• Mögliche Reaktionen: Angst oder Phasen der Apathie
• Schutz und Entspannung bei Angst; aktive
Auseinandersetzung mit der nahen Umwelt (Blick-u.
Hautkontakt, Stimme, Geruch, Geschmack).
Bindungssicherheit
• Nicht für alle Menschen mit Demenz in der
letzten Lebensphase können die
Grundbedürfnisse über ein Einzelzimmer
abgesichert werden
• Neue Raumkonzepte sind notwendig
• Es gilt das Recht auf Privatsphäre und das
Recht auf seelische und körperliche
Unversehrtheit zum Wohle der Betroffenen
auszubalancieren
• KDA mit eigenem Oasenansatz
Konzeptionelle Zielsetzung
• Verbesserung der Wahrnehmungs- und
Beobachtungsmöglichkeiten der Mitarbeiter
• Verhalten und dessen Bedeutung erkennen
• Im Blick: Schmerztherapie, Symptomlinderung,
Gefahrenabwehr
• Fachgerechte, zeitintensive Mahlzeitengestaltung
• Intensivere Umsetzung der Basalen Stimulation,
der Kinästhetik und des Bobath-Konzeptes
• Berührung: In Kontakt sein; Mobilisation
Konzeptionelle Zielsetzungen
• Verhinderung von Einsamkeit/Isolation im
Einzelzimmer
• Minimierung von Ängsten durch
Einbindung in eine Gruppe (Es ist immer
jemand da)
• Vermittlung von Sicherheit und
Geborgenheit (Grundbedürfnisse)
• Lebenqualität sichern und/oder verbessern
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle
Peter Dürrmann, Seniorenzentrum Holle
2010
Peter Dürrmann, Seniorenzentrum Holle
2010
Versorgungsaspekte
• über 14 Stunden jeweils eine Pflegekraft für 6
Menschen in der Oase
• fachgerechte unmittelbare Zugewandtheit
• Erhöhung der Zeit für direkte „Kontakte“ (Es ist
immer jemand da!), für Begegnung
• Reizstimulation durch die Gruppe sowie die
beständige Anwesenheit einer Pflegekraft
• alle Arbeitsleistungen (Wäsche- und
Speisenversorgung usf.) sind auf die
Besonderheit der Oase abgestimmt
• Pflege hat Zeit ausschließlich für die Pflege und
Betreuung
Ergebnisse: Soziale Umwelt –
Kontakthäufigkeit
Kontakthäufigkeiten pro Tag
Bedürfnisorientierte Kontakte versus ablauforientierte Kontakte
40
35
34
Kontakte
Oase
Pflegeoase
Min. - Max. Kontakte: 7 – 37
Kontakte
Grün = 424:07 h
30
25
20
15
10
8
Kontakte
Pflegeoase
5
0
Kontakte Oase
Kontakte
WB A
Kontakte Grün
Wohnbereich A:
Min. – Max. Kontakte: 5 – 13
= 498:45 h
Schmerz: Prävalenz (Häufigkeit)
60-80% aller Pflegeheimpatienten leiden an
chronischen Schmerzen.
Ein signifikanter Teil von ihnen erhält keine
adäquate Therapie. Ihre Schmerzen werden
oft nicht erkannt, die Schmerzstärke wird
generell unterschätzt.
(Kojer, 2003)
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle
Schmerzeinschätzung bei Menschen mit
Demenz
• Bei schwerer Beeinträchtigung der Kognition
MMST (Mini Mental State) – Wert < 9,
ist eine Selbstauskunft nicht mehr möglich.
• Systematische Beobachtung von nonverbalen
Schmerzanzeichen wie z.B. Lautbildung, Mimik
oder verhaltensbezogener Merkmale
• Expertenstandard „Schmerzmanagement“ des
DNQP
• BESD-Bogen (Beurteilung von Schmerzen bei
Demenz)
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle
2016
„Wenn sogar das Essen verlernt wird“
Keine künstliche Ernährung am Lebensende
Kontextualisierung:




gemäß der Bedeutung der
Ernährung als Daseinssorge
für sich selbst und für andere,
als Zuwendung,
als soziale Interaktion,
als Aktivität des Lebens
(Heubel 2007) gemäß dem
mutmaßlichen Willen
und der
Autonomie des Augenblicks
Schwerdt, 12. HR, 2009
Langzeitevaluation Holle
Bewohnerkontakte in Verbindung mit Anreichen von Speisen + Getränken
09)
Vor- und Nachbereitung (Andicken von Getränken, Schöpfen,
Abräumen etc.) und Anreichen von Speisen und Getränken im
Tagdienst (11/2009): 54% Arbeitszeit
 Steigender Pflegebedarf der Bewohnerinnen
Demenz-Support 2011
BMI
Frau S
Frau H
Frau L
Frau G
Zeit
Eröffnung Pflegeoase
01.08.07
01.07.07
01.06.07
01.05.07
01.04.07
01.03.07
01.02.07
01.12.06
In Oase: Mittelwert = 20,05 Median = 20,41
01.11.06
01.10.06
01.09.06
01.08.06
01.07.06
01.06.06
01.05.06
01.04.06
01.03.06
01.02.06
Vor Oase: Mittelwert = 19,93 Median = 20,93
Frau O
01.01.07
24
23
22
21
20
19
18
17
16
15
14
13
12
11
01.01.06
BMI
BMI Gesamt
Raumklima in der Pflegeoase
Temperatur
21-25 Grad
Luftfeuchtigkeit
50-58%
Messungen
April-Mai 2007
Quelle: http://www.hobbythek.de/dyn/7108.phtml vom 18.04.2007
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Angehörige - Subjektives Wohlbefinden
• Direkte Wahrnehmung und Befriedigung der
Bedürfnisse
– Pflegeoase ist ein kleiner Raum, es gibt einen
besseren Überblick
– Personalkontinuität – kleines Team
– Bedürfnisse der BW sind besser im Blick
– Pflege orientiert sich an den Bedürfnissen der
Bewohnerinnen
– Sichtbarmachen der Pflege
• „… in der Oase haben sie immer alle im Blickwinkel, die können sie
alle im Auge behalten und reagieren. … Und das macht mich natürlich
auch froh. Gute Versorgung, die Zuwendung, die Promptheit.“ (PD47)
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Erkenntnisse nach 10 Jahren
• Raum stiftet Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit
• Mehr Wachphasen, hohes Maß an Vertrauen
• Bewohner sind ausgeglichener, weniger
ängstlich und verkrampft oder aphatisch
• Bessere Beobachtung der Bewohner
• Verbesserung der Nahrungsaufnahme
• Höchste Zufriedenheit bei allen Beteiligten
• Holler Oase ordnungsrechtlich nicht mehr in der
Erprobung!
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
Mit dem Sterben leben
• Es geht nicht um eine
„Sonderbehandlung“
oder „Auslagerung“ für
eine „klar definierte
Gruppe Sterbender“
• Der Tod wird nicht aus
der Heimkultur
verdrängt
• Sterblichkeit in Holle
von 2006 -2008:
- 17 Bewohner auf Gelb,
Rot und Rose
- 25 Bewohner auf Grün
- 5 Bewohner i. d. Oase
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2010
(Ethische) Fallbesprechungen
• Gemeinsame Entscheidungsfindung aller
Beteiligten: Bewohner, Familie, Bezugspflege,
Haus- u. Facharzt, ggf. Seelsorger
• Einzugs- und Umzugsmanagement
• Bezugspflege begleitet den Bewohner auf den
neuen Bereich/in die Oase im Rahmen der
pflegerischen Versorgung
• Nicht nur eine mündliche Übergabe sondern
eine gezielte Einarbeitung des neuen
Betreuungspersonals
Einfordern einer Optimierung der
ärztlichen Versorgung
• Heimvertragliche Regelung, Zustimmung
durch Angehörige/Betreuer
• Ausgewählte Fach- und Hausärzte
(Hintergrunddienst)
• Keine Einschränkung der freien Arztwahl
• Zusätzliche Vergütung (Beratungsvertrag)
• Trennung der Zuständigkeiten vom Hausu. Facharzt
• Feste Visitentage aller beteiligten Ärzte
• Es geht nicht nur um Schmerzmedikation
Optimales
Einstufungsmanagement
• Eigenverantwortung der Pflege für
zusätzliches Personal
• Pflegebedürftigkeits- und
Begutachtungsrichtlinien kennen
• Was ist zu dokumentieren???
• 17 Bewohner (3+) x 383,00 € = Monatliche
Mehreinnahme von 6.256,00 € = 3 Planstellen
• 1650 Std. x 3 MA = 4950 Std. p.a.
• 13,56 Std. täglich! Zusätzlicher Früh- u.
Spätdienst
Peter Dürrmann,
Seniorenzentrum Holle 2016
Palliative Altenpflege
21 Bewohner
Pflegestufe III.
1 : 7,3
• Pflegestufe III+.
1 : 6,3
• Immer 4 MA im Früh- und Spätdienst
• Zzgl. zusätzliche Betreuungskraft
•
•
•
•
Leitung Palliative Care Zusatzqualifikation
Personelle Anforderungen an 7 Tagen in der Woche
Keine künstliche Ernährung, Katheterisierung
Ärztlicher Hintergrunddienst
Resümee
• Es braucht eine Pluralität der Versorgungsansätze
innerhalb eines Hauses, die dem langjährigen
Krankheitsverlauf Rechnung tragen.
• Fachlichkeit und Haltung allein reichen nicht aus:
Anforderungen an Lebensumwelt und Architektur
• Die Oase in Form eines gemeinschaftlich genutzten
Wohn-, Schlaf- und Lebensraumes kann nur ein
spezielles Nischenkonzept für wenige Betroffene mit
hohen Qualitätsanforderungen darstellen.
• Weitere tagesstrukturierende Angebote („Tagesoase“)
für Kleingruppen sollten erprobt werden.
• Nutzungsoffenes Bauen; Nachnutzungsvariabilität
Überforderung der Pflege
Die Nacht in deutschen Pflegeheimen (2015)
• MA versorgen durchschnittlich 40 Bewohner
über alle Pflegestufen,
• Zeit pro Bewohner rund 15 Minuten
• 50 % MmD (???)
• Herausforderung „herumirrende“ Bewohner,
Zwischenfälle abfangen, Angst vor Stürzen
• Hoher Anteil körperbezogener Verrichtungen
(Lagerungen, 72,83 %)
• 65 % der MA beklagen keine ausreichende Zeit
für sterbende Bewohner
Überforderung der Pflege
Hospiz- und Palliativversorgungs-Gesetz (HPG)
• Struktureller Nachteil der stationären
Pflegeeinrichtungen gegenüber stationären Hospizen,
die ein Mehrfaches an Kosten/Tag einsetzen können
• § 28 Abs 5 SGB XI: Sterbebegleitung gehört zur
vollstationären Pflege??
• Gesundheitliche Versorgungsplanung letzte
Lebensphase. U.a. : Fallbesprechung medizinische
Abläufe, Notfallplanung, besondere pflegerische
Angebote
• Regelungen ändern wohl nichts Grundlegendes.
Beratung soll sich verbessern. Möglichkeiten für
verbesserte Leistungsangebote nicht erkennbar.
Herzlichen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit
Kontakt:
Seniorenzentrum Holle
info@sz-holle
www.sz-holle.de/
seniorenzentrum/
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