. - Deutsche Tinnitus

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. - Deutsche Tinnitus
Mai 2016
Zusammenfassung Vortrag
„Ausgegrenzt durch Tinnitus: Gesellschaftliche Benachteiligung Betroffener.“
In ihrem zweiten Vortrag am 25. April 2016 referierte Dr. Petra Brüggemann passend zum Motto
der Stiftungswoche „Von der Würde des Menschen“ ebenfalls in der Charité, diesmal über soziale
Ausgrenzung betroffener Tinnitus-PatientInnen.
Das auditorische System, also das Hörsystem des Menschen, ist direkt mit dem lymbischen System,
dem integrativen Zentrum für Empfindungen, autonome Organreaktionen und Emotionen
verbunden. Dadurch können Gefühle stressinduzierte Effekte auf unser Hören haben – und
andersherum. So kann negativer Stress, der sogenannte Distress, zu neuronalen Veränderungen im
Gehirn führen, die als Folge Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen, Angst und Depression
mit sich bringen. In Studien wurde bereits nachgewiesen, dass Tinnitus-PatientInnen häufiger zu
negativen Stimmungslagen bis hin zu Depressionen neigen. Umso wichtiger ist es, dass die
Betroffenen und ihre Umwelt die gesellschaftliche Ausgrenzung und einen daraus resultierenden
gesteigerten negativen Stress gemeinsam verhindern.
Frau Dr. Brüggemann stellte vor allem diese Punkte in den Vordergrund ihres Vortrages:

Da Betroffene in den meisten Fällen unter einem subjektiven Tinnitus leiden, d.h. unter
einem Ohrgeräusch, das nur sie selbst wahrnehmen, ist es für viele von ihnen schwierig,
ihrem Umfeld die Auswirkungen auf die eigene Psyche zu erklären. Sie werden dadurch aus
ihrem bisherigen Kommunikationszusammenhang ausgegrenzt. Zu dieser „passiven“ kann
auch noch die eigene „aktive“ Ausgrenzung hinzukommen: Dies ist dann der Fall, wenn
Betroffene dem ihnen entgegengebrachten Unverständnis nicht selbst aktiv entgegenwirken
– ein Teufelskreis wachsender gesellschaftlicher Benachteiligung! So kann ein Tinnitus,
abhängig von der Stärke der Ausprägung, den Alltag Betroffener stark negativ beeinflussen.
Man unterscheidet verschiedene Grade des Ohrgeräuschs. Insbesondere bei einem
dekompensierten Tinnitus ist der innere Leidensdruck häufig hoch.
Grade eines Tinnitus – kompensiert oder dekompensiert?
Tinnitus - Grad 1
Bringt keinen Leidensdruck mit sich
Kompensierter Tinnitus
Tinnitus - Grad 2
Nur bei Stress und Belastungen störend
Tinnitus - Grad 3
Dauernde Beeinträchtigung im Privaten und Beruflichen
Dekompensierter
Tinnitus
Tinnitus - Grad 4
Völlige Dekompensation (bis hin zur Berufsunfähigkeit)
Mai 2016

Um die Umwelt für die von ihr nicht unmittelbar wahrgenommenen Belastungen der
Betroffenen zu sensibilisieren, wies Dr. Brüggemann besonders darauf hin, dass viele
Tinnitus-PatientInnen keine absolute Stille mehr kennen. Das führt dazu, dass sie weniger
entspannen können und oft dauerhaft gereizt sind. Zudem verstärkt sich der Tinnitus durch
diese negativen Empfindungen oftmals noch.
Doch auch Ruhepausen können für PatientInnen sehr belastend sein. Nämlich dann, wenn sich
Betroffene aufgrund von zu wenig Auslastung sehr auf das Ohrgeräusch konzentrieren und dadurch
dauerhaft in eine negative Gedankenwelt manövrieren. Daher ist es durchaus ratsam, sich
kontinuierlich aktiv zu beschäftigen und abzulenken – und auch hier kann die Umwelt unterstützend
tätig werden, indem sie diese Bedürfnisse erkennt und akzeptiert. Für viele Betroffene ist dieser
mittlere Stresslevel, der sogenannte „Eustress“, wichtig, um die emotionale Balance zu halten.
Sollten die als für sich selbst positiv bewerteten Aktivitäten direkt mit dem Gehör verbunden sein,
wie z.B. beim aktiven Musikmachen, sollte dies natürlich nur in eingeschränktem Maße fortgeführt
werden, je nachdem ob es dem/der Betroffenen damit gut geht.
Was ist zu tun? Für den Betroffenen ist die intensive Selbstreflexion der persönlichen Lebenssituation
empfehlenswert – z.B. im Rahmen einer multimodalen Therapie. Ein wesentlicher Bestandteil bei der
vorausgehenden Tinnitus-Anamnese ist die Bestimmung der spezifischen Ausprägung des Tinnitus.
Charakter, Dauer und Lautheit, sowie der Zusammenhang mit einer anderen Hörschädigung und die
Einschätzung des Belästigungsgrades werden dazu individuell erfasst. So sollen auch der Einfluss auf
die Lebensführung, mögliche oder wahrscheinlich Ursachen und Verstärkungsfaktoren erkannt
werden. Daran anschließend kann eine individuell zusammengestellte multimodale Therapie,
gegebenenfalls inklusive medikamentöser Behandlung, helfen.1 Informationen zum Tinnituszentrum
der Charité Berlin finden Sie hier http://tinnituszentrum.charite.de/.
1
Siehe dazu z.B. Studie C. Seydel et al /. (2015): Tinnitusverbesserung bei einer multimodalen Intensivtherapie 40-50 %,
komplette Ausschaltung 30 %

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