AirVenture 2004

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AirVenture 2004
“Oshkosh”
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AirVenture 2004
Zum Auftanken der Fliegerseele nach Oshkosh
Fliegen total. Flieger und Flugzeuge wohin man auch sieht.
Und dazu ein Airshow-Programm vom Feinsten. Das EAA
AirVenture – oder genauer gesagt: das Jahrestreffen der
amerikanischen EAA (Experimental Aircraft Association)
– ist mit mehr als 10 000 Flugzeugen, 800 Ausstellern,
700000 Besuchern und über 500 Foren die größte
Luftfahrtveranstaltung der Welt. Aber es sind nicht die Zahlen
und Superlative, nicht die spektakulären Flugvorführungen,
nicht die seltenen Warbirds oder ausgefallenen Homebuilts,
die Oshkosh zur Legende machen: Es sind die Menschen, die
einzigartige Atmosphäre und die Liebe zum Fliegen, die dieses
Treffen prägen. – Oshkosh, das ist einfach ein Gefühl.
A
ngesichts der verschärften Sicherheitsbestimmungen
in den USA, der wirtschaftlichen Situation der General
Aviation und einer teils wenig fliegerfreundlichen Wetterlage
erreichte das AirVenture 2004 (27. Juli bis 2. August) nicht
ganz die Rekordzahlen früherer Jahre. Dennoch war es
einmal mehr eine kraftvolle Demonstration für die General
Aviation und – vor dem Hintergrund tiefgreifender SecurityBestimmungen – auch für die Freiheit des Fliegens.
Als Experimental Aircraft Association und Heimat der
amerikanischen Amateurflugzeugbauer gegründet versteht
sich die EAA heute als „Leader in Recreational Aviation“ und
damit als Promotor des „Fliegens aus Freude am Fliegen“.
Zusammen mit den amerikanischen Schwesterorganisationen
AOPA, NBAA und HAI ist es der EAA in der Vergangenheit
immer wieder gelungen, richtungsweisende Regelwerke und
Verbesserungen für die General Aviation zu erreichen.
Nachdem das AirVenture 2003 ganz im Zeichen des
100jährigen Jubiläums des Erstflugs der Gebrüder Wright
stand, rückte die EAA diesmal mit zahlreichen Aktionen
und Veranstaltungen „The Next Century of Flight“ in den
Mittelpunkt des Interesses. Dabei geht es auch darum, den
Zugang zur General Aviation für breitere InteressentenGruppen zu erleichtern. FAA Administrator Marion Blakey
nutzte dann auch ihren zweitägigen Besuch in Oshkosh für die
Vorstellung der neuen „Sport Pilot“- und „Light Sport Aircraft“Bestimmungen für die „Recreational
and Sport Aviation“. Mit der stark
praxisorientierten Ausbildung und
vereinfachten
Bauvorschriften
erhielten, so Blakey, die Worte
„safe“, „fun“ und „affordable“ (sicher,
erfreulich und erschwinglich) in der
General Aviation wieder eine neue
Bedeutung. Die EAA verspricht
sich von der neuen „Landmark
Rule“ sowohl eine Erhöhung der
Flugsicherheit wie auch nachhaltige
Senkung der Zugangsschwellen für
Oben: Fliegerischer Hochgenuss: Das P-51-Mustang-Duo Lee Lauderback
und Ed Shipley begeisterte mit präzisen Formationen
Mitte: Ein Kraftpaket auf Schwimmern, die Boss Beaver von Wipaire mit
Propellerturbinen-Antrieb
Unten: Homebuilts und Experimentals wie dieser Xenos Motorsegler von
Sonex haben in den USA ihre eigene Kultur und gehören nach wie vor zu den
Attraktionen in Oshkosh
Fotos: R. Dörpinghaus
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Piloten und Flugzeughalter.
Die EAA wählte 1970 den Wittman Regional Airport in
Oshkosh, Wisconsin, weil man
glaubte, dass der rund 285 km
nördlich von Chicago am Lake
Winnebago gelegene Flughafen
mit seinen Runways und den
riesigen
Abstellflächen
die
chronischen Platzprobleme bei
den Jahrestreffen ein für alle Mal
lösen würde. Weit gefehlt: Auch
Wittman ist inzwischen zu klein, um
alle Besucherflugzeuge aufnehmen
zu können. Wer zu spät kommt,
muss damit rechnen, auf einen der
umliegenden Flugplätze dirigiert zu
werden.
Wenn Oshkosh zum AirVenture etwas fehlt, dann
sind es Hotelzimmer. Flugzeug Camping, sprich
unter dem Flügel der eigenen Maschine schlafen,
wird wohl an keinem anderen Ort der Erde in
solcher Zahl und mit solcher Selbstverständlichkeit
praktiziert. Insgesamt 30 000 Camper schlugen in
diesem Jahr ihr Domizil direkt am Wittman Regional
Airport auf.
Das Gelände des Wittman Airports ist so weitläufig,
dass man ein eigenes Tram-System
braucht, um Piloten und Besucher
über den Flughafen zu bewegen.
Mehrere
Traktor-bespannte
„Straßenbahn-Linien“ und ein Netz
von Bus-Diensten ermöglichen
es, sich zügig zwischen den
zahllosen ‚Points of Interest’ zu
bewegen. Möglich wird dies alles
nur durch den Einsatz von 4 000
Freiwilligen, deren ehrenamtliche
Leistung sich auf mehr als 250000
Arbeitsstunden aufsummiert. Und
auch der Ordnungsdienst wird von
Volunteers durchgeführt. Zäune und Absperrungen sucht
man zumeist vergebens. Lediglich eine weiße Linie trennt
Publikums- und Flugbereiche – und niemand übertritt sie.
Fighter-Town heißt die weltweit größte Versammlung
historischer Warbirds – viele von ihnen in einem Zustand, den
man nur mit ‚besser als neu’ bezeichnen kann. Zu den „neuen“
Stars in Oshkosh zählen die Jets der ersten Generation. Einige
sind so liebevoll restauriert, dass man sie fast für Neuflugzeuge
halten könnte. Andere – wie etwa eine Lockheed T-33 für
70.000 $ – warten noch darauf, einen Liebhaber zu finden,
der Zeit und Mittel für eine Grundüberholung aufbringen kann.
„Keep ’em flying“ lautet denn auch das Motto der „Warbirds
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of America“ (www.warbird-eaa.org). Auch der sonore Sound
einer DC-3, Ju-52, Ford Tri-Motor oder Lockheed Super
Constellation lebt in Oshkosh noch einmal auf.
Und dazu kommt die fast unüberschaubare
Zahl der unterschiedlichsten Privatflugzeuge,
Homebuilts und ULs. In Oshkosh hat fast jede
Flugzeugkategorie ihre eigene „Stadt“.
Fast scheint es, als ob alles, was Flügel hat,
in der letzten Juli-Woche eines jeden Jahres
Kurs auf Oshkosh setzt. Die Kunst, einen
Himmel voller Flugzeuge so zu dirigieren,
dass in einer endlos scheinenden Folge
ein Flieger nach dem anderen zur Landung
einschwebt, während andere in dichter Folge
starten und zwischendurch noch Platz und
Zeit für die Airshow, Überflüge in Formation
und Kunstflugeinlagen gefunden
wird, macht den FAA-Tower in
Oshkosh alljährlich mit rund 25 000
Flugbewegungen in nur sieben Tagen
zum „world’s busiest tower“. Und das
Tollste: Es funktioniert!
Zahlreiche FAA-Controller bewerben
sich alljährlich für den ehrenamtlichen
Mega-Stress. Nur wenige werden
ausgewählt. Pinke T-Shirt sind der
ganze Stolz der Tower-Crew...und natürlich die
bis zu 100 Flugbewegungen, die sie in der Spitze
pro Stunde auf einer Runway koordinieren.
Wer glaubt, dass das alles nur dank guten
Wetters so reibungslos läuft, kennt den Sommer
im Mittleren Westen nicht. Die sommerliche
Wetterküche im Herzen der USA ist für jede
Überraschung gut: Sintflutartige Regenfälle
und massive Gewitter sind ebenso typisch
für den Wisconsin-Sommer wie brütende
Hitze oder lokale Tornados. Obgleich eine
Schlechtwetterfront Oshkosh für mehrere Tage
Mitte oben: Power-WACO: Jimmy Franklins WACO UPF-7 (Baujahr 1940)
mit PW R-985 und zusätzlichem GE J-85 Jet-Triebwerk bringt eine Leistung
von umgerechnet 2000 hp und geradezu unglaubliche Flugleistungen. Auf
dem Flügel stehend Franklins Sohn Kyle als Wingwalker
Mitte unten: 25 000 Flugbewegungen in nur sieben Tagen machen den FAA
Tower alljährlich für eine Woche zum meistbeschäftigten Tower der Welt.
64 Lotsen, 10 Supervisor und zwei Operation Manager kontrollierten den
Verkehr zum vorletzten Mal aus dem traditionellen Backsteinbau. Ab 2006
gibt es einen neuen, hochmodernen Tower
Unten: Sean D. Tucker begeisterte mit seiner Oracle Challenger II, einer
modifizierten Pitts S-2 Special
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Fotos: R. Dörpinghaus
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von Westen her abriegelte und anfliegende
Besucherflugzeuge zu großen Umwegen zwang,
zeigte sich der Sommer 2004 im Gebiet der
großen Seen von seiner besseren Seite. Vor
einem Jahr wurden dagegen ganze Landstriche
überflutet und auf benachbarten Plätzen sogar
mehrere Flugzeuge vom Sturm am Boden
zerstört.
Wer in der amerikanischen Luftfahrt Rang und
Namen hat, stattet dem AirVenture zumindest
einen Kurzbesuch ab. Zwischen Propellern und
Leitwerken, Cockpits und offenen Motorhauben
gibt es gute Chancen, die eine oder andere
Fliegerlegende zu treffen. Bob Hoover etwa
und Chuck Yeager, der als erster Mensch die
Schallmauer durchbrach, kommen ebenso gerne
nach Oshkosh wie Neil Armstrong, der als erster
Mensch den Mond betrat.
Burt Rutan, begnadeter Querdenker und
Konstrukteur
der
außergewöhnlichsten
Fluggeräte, nutzte das AirVenture 2004, um
zusammen mit Mike Melvill sein bislang aufregendstes Projekt
persönlich zu präsentieren: SpaceShipOne – das
erste private Raumfahrzeug. Mit der Kombination von
zweistrahligem Trägerflugzeug – genannt White Knight
– und dem dreisitzigem Mini-Shuttle konkurriert Rutan
um den mit 10 Millionen Dollar dotierten Ansari X Preis
und schickt sich zugleich an, künftig auch Privatleuten
den Flug in den erdnahen Weltraum zu ermöglichen.
Doch Rutan ist längst selbst Geschichte: Mit dem von
ihm entwickelten Voyager umrundeten 1986 Bruder
Dick Rutan und Jeana Yeager die Welt nonstop und
ohne Nachtanken. Mit VaryViggen, VariEze und LongEZ inspirierte Rutan zum Bau von Flugzeugen wie
SpeedCanard und Starship.
Die General Aviation ist heute jedoch mehr denn je ein fester
Bestandteil des „American Way of Life“. Das gibt Hoffnung,
dass Security-bedingte Beschränkungen im Land der ehemals
nahezu unbegrenzten Fliegerfreiheiten auch in Zukunft ein
gewisses Augenmaß nicht vermissen lassen; denn „ohne
Flieger“, so der unvergessene Reinhard Furrer, D1-Astronaut,
AOPA-Präsident und bekennender Oshkosh-Fan „ist der
Himmel nur Luft“.
Übrigens: Das nächste AirVenture, zugleich das 53.
Jahrestreffen der EAA, findet vom 25. bis zum 31. Juli 2005
statt.
n von Rolf Dörpinghaus
Oben: Das wohl eleganteste Verkehrsflugzeug der
Propeller-Ära, die Lockheed Super Constellation. Die vom
Airline History Museum in Kansas City, Missouri, betriebene
L-1049G “Star of America” war eines der vielbewunderten
Paradestücke auf dem AeroShell Square
Mitte oben: Burt Rutan, Querdenker und visionärer
Flugzeugkonstrukteur, kam mit seinem Beech Starship
nach Oshkosh, um dort über sein jüngstes Projekt
SpaceShipOne zu berichten
Mitte unten: Unermüdlich im Einsatz für Rundflüge: die
historische Ford TriMotor
Unten: DC-3 und Ju-52 sind auch in Oshkosh nach wie vor
wahre Publikumsmagneten
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Fotos: R. Dörpinghaus
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