Artikel lesen - WIN-FUTURE

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48 Psychologie
www.kleinundgross.de
07–08 /2009
„Hörst du noch etwas?“
Übung zur Stille
Birgit Widmann-Rebay von Ehrenwiesen
Maria Montessori beschrieb die Entdeckung der Stille wie eine große Überraschung. Sie betrat eines Tages das
Klassenzimmer mit einem vier Monate
alten Säugling auf dem Arm. „Er macht
gar keinen Lärm“, sagte sie zu den Kindern und fügte scherzend hinzu:
„Niemand von euch könnte ebenso still
sein.“ Ihr fiel auf, dass die Kinder um sie
herum eine intensive Spannung hatten.
Sie hingen an ihren Lippen und fühlten
tief, was sie sagte: „Sein Atem geht
ganz leise“, fuhr sie fort. „niemand von
euch könnte so leise atmen.“ Maria
Montessori schien es, als hätte der Säugling eine Atmosphäre von Stille in das
Zimmer gebracht. Das war der Beginn
der Stille-Übungen für Maria Montessori.
Die „Übungen zur Stille“ oder anders
formuliert, die Konzentration auf eine
Sache, um den Geist zu bündeln, das Alltagsgeschehen loszulassen, um sich wieder nach innen zu besinnen, sind sehr
intensive und wirkungsvolle Übungen,
um wieder neue Kräfte zu tanken und
sich selbst wieder besser zu spüren.
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Foto: Regina Kaute/Pixelio
Je mehr Menschen zusammen sind,
umso intensiver und lauter können
Geräusche sein. Vielleicht kennen Sie
den Geräuschpegel, der in verschiedenen Einrichtungen vorhanden ist?
Die Kinder toben, lachen, reden, spielen, lernen, malen, ... Den Kindern und
den pädagogischen Fachkräften ist es
häufig zu laut und zu viel. Sie fühlen
sich angestrengt, überfordert, unkonzentriert, unruhig. Dieser Text soll Sie
ermutigen, hin und wieder Momente
der Stille in Ihre Enrichtung zu bringen.
Dadurch kann der Alltag für alle Beteiligten leichter gemeistert werden.
In diesem Artikel möchte ich Ihnen
Übungen mit einer Klangschale hierzu
vorstellen.
Benötigtes Material:
Klangschale
Kleine Styroporkügelchen
Ein langes Seil
Bild einer großen Schnecke (Kopien)
Buntstifte
1) Wie lange kannst du den Ton
der Klangschale hören?
Alle Kinder legen sich auf den Rücken,
schließen die Augen und legen ihre
Arme mit der Handfläche nach oben
neben sich. Bitten Sie die Kinder, auf
den Ton der Klangschale zu hören.
Wenn die Kinder den Klang nicht mehr
hören, sollen sie leise ihre Handflächen
umdrehen. Es wird sicherlich interessant
sein, zu beobachten, welche Kinder
sich auf den Ton konzentrieren können,
und welche Kinder Probleme mit dieser
Übung haben.
2) Kannst du den Ton der
Klangschale sehen und hören?
Stellen Sie sich mit den Kindern im Kreis
auf. Die Kinder dürfen so dicht zueinander stehen, dass alle gut in die Klangschale blicken können. Bitten Sie die
Kinder, genau auf die Schale zu achten
und zu beobachten, ob man den Ton
sehen kann.
Schlagen sie die Schale an. Erst wenn
der Ton verklungen ist, dürfen die Kinder
sprechen. Vielleicht konnten die einen
oder anderen die Vibration des Tons am
Schalenrand sehen, vielleicht konnte
keines der Kinder irgendetwas sehen.
Legen Sie nun kleine Styroporkügelchen
in die Schale. Bitten Sie die Kinder
erneut, genau die Schale zu beobachten.
Die Kügelchen beginnen nun zu tanzen.
Wann hören die Kügelchen auf zu tanzen? Bevor der Ton verklingt oder hören
die Kügelchen gemeinsam mit dem Ton
auf zu tanzen? Besprechen Sie dies
gemeinsam mit den Kindern. Können
Sie am Verhalten der Kinder schon eine
Veränderung feststellen? Meist werden
die Kinder konzentrierter und ruhiger.
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3) Kannst du den Ton der
Klangschale fühlen und hören?
Stellen Sie sich mit den Kindern wieder
im Kreis auf. Die Kinder sollten so viel
Abstand zueinander haben, dass sie sich
mittels einer leichten Drehung des
Oberkörpers zum Nachbarn wenden
können, um diesen zu erreichen. Schlagen Sie die Klangschale an. Nun erklären
Sie den Kindern, dass Sie die Klangschale
vorsichtig an ihren nächsten Nachbarn
weitergeben werden. Wichtig ist, dass
alle darauf achten, dass der Ton der
Schale nicht verklingt. Regen Sie die
Kinder an, auch den Ton zu fühlen und
zu hören, so lange das möglich ist. Nun
schlagen Sie erneut den Ton an und
geben die Schale vorsichtig weiter. Verklingt der Ton der Schale ohne dass
diese einmal im Kreis herum ist, schlagen Sie die Schale erneut an.
Konnten Sie spüren, sehen, merken wie
die Kinder auf die Schwingung der
Schale und den Ton reagiert haben –
wie andächtig und vorsichtig die Schale
an den Nächsten weitergegeben wurde?
Wie konzentriert und gefasst sich die
Kinder verhalten haben? Gab es Kinder,
die Schwierigkeiten mit dieser Übung
hatten und sich nicht darauf einlassen
konnten? Was können Sie nach der
Übung am Verhalten der Kinder feststellen?
net ist. Die Kinder dürfen nun ihren
„Augenweg“ einzeichnen.
Intensivieren können Sie diese Übung
auch, indem Sie die Kinder bitten, in die
Schnecke Kraftsymbole einzuzeichnen:
Dinge, die die Kinder schon gut können:
Trampolin springen, hören, lachen,
freundlich sein, ...
Vielleicht merken Sie auch, welche regenerativen Ressourcen diese Übungen
bei Ihnen und bei den Kindern freisetzen? Viel Freude beim Ausprobieren!
Birgit Widmann-Rebay von Ehrenwiesen,
NLP-Lehrtrainerin (dvnlp), LernCoach (nlpead),
Lerntherapeutin IFLW®, Themenschwerpunkte
im Bereich der Pädagogik/Psychologie, Familie,
Probieren Sie diese Übungen aus! Sie
werden spüren und sehen, wie die
Kinder auf die Ruhe in der Gruppe, den
Klang der Schale und deren Schwingung
reagieren (Sie natürlich auch!). Durch
das Fokussieren auf die „Klangschale“
werden Regenerationsprozesse in Gang
gesetzt, so dass die Kinder nach dieser
Übung wieder fit und frisch sind für
neue Anforderungen und Herausforderungen.
Kinder & Lernen
Kontakt
www.ressources.de
Literatur:
Bucher, A. Anton;
Psychologie des Glücks.
Beltz Verlag, Weinheim 2009
Krowatschek, Dieter / Hengst, Ute:
Mit dem Zauberteppich unterwegs.
Wunderbar und extrem hilfreich für den
Alltag in einer Einrichtung ist die Ritualisierung solcher Übungen, z. B. vor dem
morgendlichen Stuhlkreis oder nach
dem Mittagessen. Die beschriebenen
meditativen Übungen zur Stille zeigen
bei einer regelmäßigen Anwendung
auch physiologische Auswirkungen.
Buchner zählt hierzu beispielsweise
einen besseren Sauerstoffverbauch im
Blut, das Absinken des Blutdrucks, ein
gestärktes Immunsystem und eine ver-
Entspannung in der Schule, Gruppe und
Therapie für Kinder und Jugendliche.
Verlag Modernes Lernen, Dortmund 2006
Montessori, Maria:
Kinder sind anders. Kinder fordern uns heraus.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2009
„Mit diesen Übungen können die Kinder und Erwachsenen
wieder neue Kräfte tanken und sich selbst besser spüren.“
4) Kannst du zum Klang der
Tonschale die Form einer Schnecke
mit den Augen verfolgen?
Legen Sie mit einem Seil eine Schnecke
am Boden aus. Bitten Sie die Kinder, sich
um diese Schnecke herumzusetzen
(Stuhlkreis). Aufgabe soll sein, dass die
Kinder mit den Augen die Schnecke
abtasten. Von außen nach innen oder
von innen nach außen. So, wie es ihnen
guttut. Wenn der Ton verklungen ist,
dürfen Sie mit den Kindern besprechen,
was ihnen gut getan hat – welche Richtung war leichter – von innen nach
außen oder von außen nach innen?
Händigen Sie den Kindern ein Blatt aus,
auf dem eine ähnliche Schnecke gezeich-
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stärkte Ausschüttung der Glückshormone Dopamin und Serotonin. „Aufgrund dieser physiologischen Effekte ist
verständlich, dass Meditation ausdrücklich als „Werkzeug des Glücks“ gewürdigt wurde und sich günstige Auswirkungen auf psychologische Variablen
nachweisen ließen, speziell mehr Wohlbefinden“( Buchner 2009).
Auch bei Dieter Krowatschek, der mit
verhaltensauffälligen Kindern arbeitet,
lassen sich viele Praxisbeispiele finden,
in denen mittels solcher Übungen wieder Ressourcen gebündelt werden können (vgl. Krowatschek 2006).
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