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neue verpackung> 10.2004 Design <marketing Zwischen Retro und Recycle Wiedergänger aus dem Reich der Marken von Dr. Burkhard Schäfer* Sie war mehr als zehn Jahre lang tot. Aber in unserer Erinnerung ist sie nie gestorben. Dann kehrte sie wieder – und scheint lebendiger denn je. Die Rede ist von Tri Top, einer Kultmarke der 70er Jahre. Mit Afri Cola, Bluna, Sinalco, Creme 21 oder Brauner Bär teilt Tri Top das Schicksal, zu den derzeit angesagten Retro-Marken gerechnet zu werden. „Retro-Schleckereien treffen den Geschmacksnerv unserer Zeit“, titelte das Handelsblatt am 25. Juni 2004. Aber was genau ist eigentlich eine „Retro-Marke“? Was sind die Ursachen für den Retro-Hype? Und gibt es einen Unterschied zwischen einer Retro- und einer Traditionsmarke? Angesagter Retro-Trend: Längst verschollen geglaubte Marken feiern ihre Wiederauferstehung. > Totgesagte leben länger. Im Reich der Marken hat sich dieses Sprichwort längst bestätigt. Die „Wiederbelebung dahingegangener Marken“ (Handels- Dr. Burkhard Schäfer ist Redakteur bei der Schott Relations GmbH, Stuttgart. E-Mail: burkhard.schaefer @schott-relations.com. blatt) läuft auf Hochtouren, und ein Ende des Retro-Hypes ist längst nicht abzusehen. Je mehr es mit der wirtschaftlichen Entwicklung bergab geht, desto mehr „halten“ sich die Leute an die gute alte Zeit. Dabei ist die Retro-Manie hüben und drüben gleichermaßen angesagt: Vita Cola ist die Sinalco des Ostens, und was dem Wessi sein Nutella, ist dem Ossi sein Nudossi. Retro macht an den Kaufhausregalen nicht halt. Die Rolle Rückwärts hat unser ganzes Leben erfasst: Retro sind Filme („Das Wunder von Bern“), Autos (PT Cruiser, Beetle) und Retro ist die Mode (Cord, Flip-Flops). Von den „goldenen 50er Jahren“ und den Verpackungsdialog Verpackungsmuseum: Retrotrend – Der neue Wert der Tradition Deutschland im Retro-Fieber: Längst verschollen geglaubte Marken wie Tri Top, Ahoj-Brause und Creme 21 feiern ihre Wiederauferstehung. Vinyl-Schallplatten, Sitzei und Flokati erobern die Kaufhäuser zurück. Was sind die Gründe für diesen „Retro“-Trend? Und welche Auswirkungen hat er auf Marke und Verpackung? Um diese Fragen geht es beim 7. Verpackungsdialog im Deutschen Verpackungsmuseum, Heidelberg, am 14. Oktober 2004. Auch in diesem Jahr konnten wieder hochkarätige Referenten gewonnen werden: > Peter Jochen Schott, Vorstandsvorsitzender Deutsches Verpackungs-Museum, CEO Schott Relations GmbH / Markenwerke AG, Einführung: „Retro: Kult und Kommerz“. > Hans-Georg Böcher, Direktor Deutsches Verpackungs-Museum: „Konjunktur der ‚Revivals‘: Farben, Formen, Feelings. Aufbruch zu alten Werten?“ > Dr. Hasso Kaempfe, Vorstandschef Mast-Jägermeister AG: „Jäger- meister: Markenführung zwischen Tradition und Trend“. > Tobias Bachmüller, Geschäftsführender Gesellschafter Katjes Fassin GmbH: „Ahoj-Brause: Es prickelt wieder“. > Antje Stickel, Geschäftsführende Gesellschafterin Creme 21 GmbH: „Creme 21: Alte Markenwerte neu interpretiert“. > Lothar Böhm, Lothar Böhm Design GmbH: „Retro-Design: Formen zwischen Erinnerung und Trend“. Für Mitglieder des Fördervereins Deutsches Verpackungsmuseum e. V. kostenlos, für die zweite Mitglieds-Person 300 Euro, Nichtmitglieder 600 Euro (wird auf Neumitgliedschaft angerechnet). Die Teilnehmerzahl ist beschränkt, Anmeldungen nach Eingangsdatum. Anmeldung / Kontakt: Hans-Georg Böcher, Deutsches Verpackungs-Museum, Hauptstraße 22 (Innenhof), 69117 Heidelberg, Tel.: +49 (0)611 / 866 13, Fax: +49 (0)611 / 841 07 66 oder unter [email protected], www.verpackungsmuseum.de 59 60 neue verpackung> 10.2004 marketing> Design „swinging Sixties“ über die „wilden 70er“ bis hin zur saturierten „Generation Golf“ der 80er und 90er Jahre wartet ein halbes Jahrhundert darauf, geplündert zu werden. Die „Retro-Spektive“ ist nicht kritisch, sie nimmt die Jahrzehnte als Projektionsfläche ihrer eigenen Befindlichkeiten. Alles Negative wird ausgeblendet, das Positive wird verklärt. Wer aber nur zurückschaut, ist alt geworden. Ist Deutschland in die Jahre gekommen? Mit Retro werden Erinnerungen käuflich „Das verstärkte Erinnern tritt immer dann in den Vordergrund, wenn die Zukunftsperspektiven verloren zu gehen drohen oder es zu einer ernsthaften Veränderung der Lebenssituation kommt“, schreibt Prof. Dr. Volker Faust (Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit). Die Parallelen zur wirtschaftlichen Situation und zur „überalterten“ deut- schen Gesellschaft liegen auf der Hand: Wer Retro kauft, holt sich ein Stück Vergangenheit zurück. Wer also Dolomiti schleckt und einen Beetle lenkt, der lutscht kein Eis und fährt kein Auto, sondern er „konsumiert“ Reminiszenzen. Retro-Marken stiften Gemeinschaft, sie vermitteln ein Wir-Gefühl. Dass die Bundesdeutsche Kulturgeschichte auch eine gemeinsam erlebte Konsumgeschichte ist, wird nirgends deutlicher als im Deutschen Verpackungsmuseum, Heidelberg. Hier sind sie ausgestellt, die Markenklassiker von Ariel bis Zentis, hier schlummert das Kapital, das von RetroStrategen mit neuem Leben erfüllt wird. Zwischen Trash und Tradition Für Retro-Marken gelten die folgenden Spielregeln: > Zu ihrer eigentlichen „Lebenszeit“ muss die Marke stark gewesen sein, > sie muss zwischenzeitlich in Verges- senheit geraten und vom Markt verschwunden sein, > sie muss bei Ihrer „Wiederbelebung“ an eine Geschichte anknüpfen und dennoch „auf eigenen Füßen stehen“ können. Wird ein Markenname zehn Jahre lang nicht geschützt, ist er frei und darf von jedem genutzt werden. Creme 21 und Tri Top können in diesem Sinne als echte Retro-Marken bezeichnet werden, sie waren in den 80er Jahren „klinisch tot“. Etwas anders verhält es sich mit der (mittlerweile zu Katjes gehörenden) Marke Ahoj. Sie war zwischenzeitlich akut vom Aussterben bedroht. Als „Bückware“ fristete sie jahrelang ein zweifelhaftes Dasein. Erst im Zuge von Retro ist die kultige Brause „mit Waldmeistergeschmack“ wiederentdeckt worden. Noch anders verhält es sich mit alten Traditionsmarken wie Maggi und Persil, die nur am Rande mit Retro in Verbindung zu bringen sind, obwohl auch sie – neue verpackung> 10.2004 man denke nur an die Edition historischer Persil-Verpackungen und die neue aufgelegten Pril-Blumen – auf diesen Zug aufspringen können. Echte Traditionsmarken sind aber retro-resistent, weil sie es durch alle Jahrzehnte hindurch geschafft haben, sich zu wandeln und dadurch zeitlos-aktuell geblieben sind. Retro schmeckt nach Waldmeister Retro ist ein Spiel mit Obsoletem. Und Retro ist ironisch. Wer Creme 21 kauft, tut dies in der Regel mit dem Bewusstsein, etwas Urvertraut-Verschollenes zu erwerben. „Dies ist des Jägers Ehrenschild, dass er beschützt und hegt sein Wild, waidmännisch jagt, wie sich‘s gehört, den Schöpfer im Geschöpfe ehrt“. Was soll man von einer Marke halten, die ihre Flasche mit einem derart bieder-rustikalen Spruch – dazu noch in Fraktur – schmückt? Entweder hat sie den Anschluss an den Lifestyle völlig verpasst, oder genau aufs richtige Pferd bzw. den richtigen (röhrenden) Hirsch gesetzt. Sie wissen längst: „Jägermeister“ ist Kult, vor allen in den USA. Die Renaissance der Marken steht bevor Die Traditionsmarke hat es geschafft, ihr Image ins Ironische zu wenden. Jägermeister hatte sich schon derart überlebt, war unzeitgemäß, „trashig“ und „altbacken“, dass es von findigen Kunden zum Kult erhoben werden konnte. Die Nähe zum Retro-Phänomen liegt auf der Hand: Hat sich eine Marke durch die Jahrzehnte hartnäckig geweigert, mit der Zeit zu gehen und ist trotzdem nicht ganz von der Bildfläche ver- Design schwunden, kann sie unter Umständen – unter völlig veränderten Vorzeichen – groß rauskommen. Dass sich vor allem Verpackungen verkaufen, wird nirgends deutlicher als beim Retro-Kult. Denn wo Retro draufsteht, ist nur in den seltensten Fällen Retro drin. Tri Top hat die Sirup-Rezeptur gründlich geändert und Creme 21 hat neue Inhaltsstoffe. Der „Inhalt“ ist up to <marketing date. Retro ist relaunchte Vergangenheit. Kein Kunde möchte auf den Komfort der „schlechten neuen Zeit“ verzichten. Auch die Marken leben von der doppelten Retro-Optik: Sie wollen zwar am Retro-Boom verdienen, aber nicht (unbedingt) als reines Retro-Produkt wahrgenommen werden. Denn der Boom ist irgendwann vorüber, und dann will die Marke auf eigenen Beinen stehen. >| 61