Über das Flechten

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Über das Flechten
Über das Flechten
Geschichte
Die Flechterei ist tatsächlich so alt wie die
Menschheit. Es ist seit Jahrtausenden eine
Kunst, die vor allem zur Herstellung
funktionaler Gegenstände diente. Man könnte
sogar sagen, dass die Natur selbst die
Flechterei entstehen liess, man denke nur an
Spinnennetze, verflochtene Vogelnester oder
an Efeu, das einen Baumstamm einflechtet.
Zur Zeit der Sammler und Jäger wurden
einfache, nützliche Behälter geflochten. Körbe
für den langfristigen Einsatz entstanden etwa
vor 12'000 Jahren, als langsam die ersten Gemeinschaften sesshaft wurden. Da Körbe aus
vergänglichen Materialien sind, gibt es keine Fundstücke aus diesen frühen Zeiten. Die Zeugnisse
stammen meistens aus Abdrücken, Bildern, Texten und anderen Rückständen.
Bis heute ist die Flechterei erhalten geblieben, entwickelt von den Völkern dieser Erde, von
Aegyptern, Römern, Indianern und von asiatischen Kulturen. Es entstand eine unermessliche
Vielfalt an Flechtkunst, die nicht nur zu bewahren ist, sondern auch weitergeführt werden soll.
Bildlegende: Korbsessel aus Weiden geflochten aus der Zeit der Römer. (Quelle: Will, Christoph;
Die Korbflechterei; München: Callwey, 1978)
Flechtmaterialien
Zum Flechten eignet sich praktisch alles, was sich irgendwie biegen lässt. Dem Experimentieren
mit Materialien sind keine Grenzen gesetzt. Meine meist verwendeten Materialien sind Weiden,
Rattan, Binsen, Seegrasschnur und Papierschnur.
Für alle anderen Materialien ist hier leider zu wenig Platz. Trotzdem möchte ich einige wichtige
und spezielle Flechtstoffe aufzählen:
Stroh, Bambus, Haselnuss, Kastanie, Birke, Esche, Eiche, Rinden, Wurzeln, Gräser, Riedgräser,
Schilfe, Palmen, Papyrus, Pandanus, Sisal, Yucca, Raffia, Geissblatt, Brombeere, Hartriegel,
Reben, Hülsen, Schoten, Leder, Wolle/Haare, Metall/Draht, Kabel, Schläuche, Papier, Textilien,
Kunstfasern...
Die Weide (salix) ist eine unserer ältesten
Kulturpflanzen. Es sind über 300
verschiedene
Weidenarten
bekannt,
wovon 29 in der Schweiz heimisch sind.
Für gute Flechtarbeiten sind jedoch nur ein
paar wenige Arten geeignet. Diese werden
vorwiegend in Deutschland, Belgien und
Frankreich
in
grossen
Kulturen
angepflanzt. Die geraden, schlanken Ruten
werden im Frühling geschnitten, weiter
bearbeitet oder getrocknet. So gelangen
rohe Weiden (mit Rinde), weisse Weiden
(geschält) oder braune Weiden (mit Rinde gekocht, geschält) in diversen Längen und Stärken in
den Handel. Zudem werden je nach Bedarf Weidenschienen hergestellt mit speziellen Hobeln
und Schmäleisen. Um die Weiden verarbeiten zu können weicht sie der Flechter eine Stunde bis
vierzehn Tage lang in Wasser ein.
Rattan oder Rotangrohr ist eine Kletterpalme, die vorwiegend in den Tropenwäldern von Indien,
Indochina, Borneo, Sumatra und in Westafrika gedeiht. Es ist also keine einheimschische Pflanze.
Die Triebe können eine Länge von bis zu 150 Metern erreichen. Geerntet wird die Pflanze direkt
im Urwald. Die Rohre (Rattan ist nicht hohl!) werden von den umliegenden Bäumen herunter
gerissen. Dann erfolgt das Abstreifen der stacheligen Rinde, der Seitentriebe und der Blätter.
Über dem offenen Feuer entharzt man die Stangen und biegt diese gerade. Zudem werden sie
gewaschen, sortiert, zugeschnitten und getrocknet. Dies muss alles innert sieben Tagen
geschehen, da sonst das Rohr zu faulen beginnt, erstickt und brüchig wird.
Rattan ist ein sehr vielseitig einsetzbares Material, da es
hervorragende Eigenschaften für die Flechterei besitzt. Die Rohre
sind sehr lang, biegsam (z.B. für Möbelgestelle) und zäh. Aus den
natürlichen Stangen lassen sich diverse Nebenprodukte maschinell
herausschneiden. Aus der Oberhautschicht werden so
Stuhlflechtrohre und flache Flechtschienen hergestellt. Aus dem
porösen Mark wird das bekannte Peddigrohr in vielen Stärken und
Variationen herausgeschnitten.
Rattan ist wirklich sehr vielseitig, populär und praktisch für den
Flechter. Ohne Rattan zu arbeiten ist fast undenkbar und doch ist
dabei grosse Vorsicht geboten. Denn es gibt so gut wie keine
umweltschützenden Bestimmungen beim Abbau der Pflanze. So
trägt man mehr oder weniger direkt dazu bei, dass die Regenwälder
abgeholzt werden. Die Palme wächst zwar nach, doch nicht von
heute auf morgen und zu welchen Bedingungen die Menschen
ernten und verarbeiten müssen weiss man auch nicht so genau. Letztendlich stört es auch, dass
die Rattanpalme keine einheimische Pflanze ist und das Flechtmaterial nach Europa verschifft
werden muss. Als Flechter muss ich mir dieser Problematik bewusst sein und versuchen Rattan
nur wenn nötig, sparsam und möglichst nur für Reparaturen zu verwenden.
Binsen sind bis heute ein nützliches Material für Matten und
Körbe, vor allem aber auch für das Tessiner - Stuhlgeflecht, bei
dem die Binsen zu einer Schnur verdreht werden. Binsen
wachsen wie Schilf in Marschgebieten und stillen Gewässern.
Die Stängel sind aber nicht hohl, sondern mit einer Art
Schwamm gefüllt, welcher den fertigen Produkten eine weiche,
elastische Qualität verleiht. Um die geschnittenen und
trockenen Binsen verarbeiten zu können macht sie der Flechter
wieder feucht und lässt sie ein paar Stunden ziehen. Werden
die Binsen zu Schnüren verdreht, so ist dies relativ
zeitaufwändig. Die schöne Struktur, die grünliche Farbe und die
weiche Beschaffenheit macht dies jedoch lohnenswert.
Seegras-Schnur - auch Elha-Schnur genannt, wird in Ostasien aus dem gemeinen Seegras zu
Schnüren in verschiedenen Stärken verarbeitet. Es dient besonders der Beflechtung von Möbeln
und hat den Vorteil, dass die Schnur endlos ist. Seegras-Schnur weist eine interessante
Oberfläche auf, etwas gerippt und Farbtöne von hellgrün bis grau.
Papierschnur - ist eine interessante Alternative zu anderen Schnüren. Sie ist ebenfalls endlos
gedreht und in verschiedenen Varianten erhältlich. Für die typischen dänischen Stuhlgeflechte
wird dieses Material häufig verwendet.
Ein persönlicher Blick zurück und nach vorne
Die Flechterei erlebte im Verlauf der Zeit immer wieder Hochblüten und Höhenflüge, wie auch
Tiefgänge und Krisen. Geflechte haben eine ganz eigene Schönheit und obwohl uns die moderne
Welt viele Alternativen bietet, ist in fast jedem Haushalt ein Korb anzutreffen. Auch wenn es
heute Flechtkunst und Korbdesign gibt, so stellen Geflechte eine wunderbare Verbindung her zur
Natur und zu einem natürlicheren Lebensstil.
Vielleicht stirbt die traditionelle Flechterei vielerorts langsam aus und der Flechter verkommt
zum lebendigen Museumsstück, aber dies wird deswegen noch lange nicht der Untergang sein.
Es gibt so etwas wie eine neue, moderne Flechterei, die Traditionen und Bewährtes mit Neuem
und Künstlerischem verbindet. Dies wird auch im 21. Jahrhundert gefragt sein. Zudem werden
Geflechte ökologisch und nachhaltig hergestellt und entsorgt. Man nimmt der Natur nur das,
was man effektiv für den Korb benötigt. Wenn der Korb kaputt geht, lässt man diesen reparieren
oder man "kompostiert" ihn und gibt die Überresten so der Natur zurück. Noch vor fünfzig
Jahren waren viele Dinge in Körben verpackt, von der Hefe bis hin zu Gewehrpatronen, um nur
zwei Beispiele zu nennen. In der heutigen "Wegwerf - Zeit" türmen sich die Abfallberge...
Mit meinen Augen gesehen wird sich die Flechterei positiv weiterentwickeln, trotz Plastik, trotz
billigen Importen aus dem Osten und trotz des geringen wirtschaftlichen Ertrags. Denn das
Erlernen und Ausüben der Flechtarbeit erfordert viel Zeit und Geduld - Diese Zeit werde ich mir
auch in Zukunft nehmen für die "schönste" Tätigkeit der Welt, dem Flechten!
© flechtart.ch, Simon Mathys