festivalzeitung nr. 01 / 19.06.2009
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festivalzeitung nr. 01 / 19.06.2009
FESTIVALZEITUNG NR. 01 / 19.06.2009 Informationen zu Programm, Aktionen und Vorverkauf unter www.schillertage.de Mit freundlicher Unterstützung von ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. ➽ Inhaltsverzeichnis IMPRESSUM Festivalzeitung der 15. Internationalen Schillertage Ein Projekt des Nationaltheater Mannheim zur Förderung des kulturjournalistischen Nachwuchses Herausgeber Nationaltheater Mannheim Generalintendantin Regula Gerber REDAKTIONSLEITUNG Eva Behrendt, Jürgen Berger REDAKTIONSASSISTENZ Jan Dammel Redaktion Ulrike Barwanietz, Barbara Behrendt, Jan Fischer, Nantke Garrelts, Anna Hahn, Judith Kärn, Jule D. Körber, Ida Luise Krenzlin, Constanze Probst ORGANISATION Michaela Nothelfer SPONSORING Morticia Zschiesche GESTALTUNG fathalischoen, Frankfurt LAYOUT Imke Krüger, Gerhard Fontagnier Druck & ANZEIGEN Mannheimer Morgen Großdruckerei GmbH FOTONACHWEIS TITEL Das Helmi, Berlin / Foto: Barbara Behrendt Die Zeitung erscheint als Beilage im Mannheimer Morgen und wird unterstützt von John Deere und der Dr. Haas GmbH Die Suche nach dem Flow Editorial Machtspiel und Spieltriebe Interview mit Burkhard C. Kosminski Suchtstoff vom Helmholtzplatz Das Helmi aus Berlin Mein erstes Mal / Strippenzieher / Traumstoff-Puppen Herrscherinnen, Jägerinnen, Dämonen der Macht Schillers Frauen Kraftwerk der Gefühle Donizettis „Maria Stuarda“ Ich liebe Schildkröten Calixto Bieito im Gespräch Sei kreativ! Erfinde dich selbst! Ulf Aminde über „Softskill“ Gedächtnis gut – Scharfsinn mittel Ausstellung in Marbach Spielplan / Spieltrieb 2 3 4/5 5 6/7 8 9 10 11 12 SERVICE ➽ Die Suche nach dem Flow ➽ Kartenvorverkauf Theaterkasse am Goetheplatz Mo & Sa 11.00 –13.00 Uhr Di bis Fr 11.00 –18.00 Uhr an allen Vorstellungstagen außerdem von 18.00 – 20.00 Uhr Kartentelefon Tel 0621 / 1680 150 Fax 0621 / 1680 258 Mo & Sa 9.00 –15.00 Uhr Di bis Fr 9.00 –20:00 Uhr Per E-Mail [email protected] HERZLICHEN DANK Die 15. Internationalen Schillertage wurden gefördert durch: Wir bedanken uns für die großzügige Unterstützung bei unseren Hauptsponsoren: Co-Sponsoren: Medienpartner: Partner: Festivalhotels: „Das ganze Leben ist ein Quiz“, sang schon Hape Kerkeling, als er noch nicht bis zur Erleuchtung entschleunigt auf den Spuren der Jakobsjünger gen Santiago gewandert war. Tatsächlich hat sich Schillers Utopie der spielenden Gesellschaft verwirklicht, allerdings auf banalere Weise, als er es sich wohl erträumt hat. Während der schwäbische Dichter unter dem Eindruck der Französischen Revolution noch fand, seine autoritär geprägten Zeitgenossen müssten die Freiheit erst im Experiment erproben – und wo ginge das besser als im (Theater-)Spiel? –, scheint heute Unernst inflationär alle Lebensbereiche zu prägen: Von zockenden Fondsmanagern über kalkulierende Kanzlerkandidaten bis hin zu Fernsehformaten, die Kochen und Kindererziehung in doof-lustige Games mit Werbepausen verwandeln. Ist Schillers Idee deshalb aus dem Ruder gelaufen? Oder zahlen wir einen mitunter bedenklichen Preis, weil auch liberale Gesellschaften ihre Kosten haben? Das Motto der Schillertage – «Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt» – eröffnet ein herrlich ambivalentes Feld zwischen Kulturpessimismus und Freiheitserkundung. Ob in der Aufführung und Deutung von Schillers Dramen oder in der freien künstlerischen Reflexion der kulturanthropologischen Spieltheorie, die er 1794 in seinen «Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen» entwarf – theoretisch liefert das Festival jede Menge Stoff, um Chancen und Grenzen von Spiel auszuloten. Auch die Festivalzeitung, die die Schillertage journalistisch beglei- tet, wird sich zwischen Ernst und Spiel erproben. Klassischerweise gelten Theaterkritiker, die die Mühen mehrerer Wochen auf 140 polemischen Zeilen zerhäkseln, ja als Spielverderber. Schließlich zeigen sie mehr oder weniger überzeugend, warum die Regeln, die andere aufgestellt haben, nicht oder schlecht funktionieren. Übertragen auf die Gesellschaft sind solche kritischen Spielverderber, wenn sie begründet argumentieren, jedoch unerlässlich. Und dass auch Theatermacher nach öffentlichem Nachdenken über ihre Arbeit dürsten, zeigen Gespräche mit Künstlern in Ländern ohne funktionierenden Journalismus. Doch Kritiker sind nicht nur chronische Besserwisser, die Schwachstellen aufspüren und Finger in Wunden legen. Sie suchen genauso nach dem Flow, der sich beim Schreiben, Denken und Recherchieren einstellen kann, der sie ganz sie selbst und doch selbstvergessen sein lässt. Die neun Stipendiatinnen und Stipendiaten, die in den kommenden Tagen diese Zeitung produzieren, wissen das längst. Sie haben bereits in den vergangenen Wochen diese Zeitung mit Ideen und Texten gefüttert und sich als überaus spielerische Geister erwiesen, die Schiller mit Popkultur kombinieren, aus dem Internet Material schaufeln, Formate wie Reportage und Kritik, Porträt und Essay umspielen – wenn sie nicht gerade ihrem Interviewpartner bohrend ernste Fragen stellen oder die Redaktionsleiter von noch einer neuen Idee zu überzeugen versuchen. ✒ Eva Behrendt 15. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM HERZLICHEN DANK! ästhetische Erziehung FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 ➽ Machtspiele und Spieltriebe Schauspieldirektor Burkhard C. Kosminski über das Programm der Schillertage Wer wählt aus, was bei den Schillertagen gezeigt wird? ➽ Burkhard C. Kosminski: Die Dramaturgie in Zusammenarbeit mit mir. Um die Organisation kümmert sich ein Team von mehr als zwanzig Personen, darunter Holger Schulz und Thomas Busse. Wichtig ist: Als wir die künstlerische Leitung der Schillertage 2007 übernahmen, haben wir sie in ein produzierendes Festival verwandelt und damit grundsätzlich verändert. Wir wollten weniger bestehende Inszenierungen einladen, als eigene Aufträge vergeben, Projekte initiieren, wie die Eröffnung der diesjährigen Schillertage mit „Don Karlos“ in derRegie von Calixto Bieito. Diese Aufführung wird nach der Mannheimer Premiere in Madrid, Barcelona und Frankreich zu sehen sein. Wie muss man sich das vorstellen – Sie ziehen durch Europa, schauen so viele Schiller-Inszenierungen wie möglich an und laden die Besten ein? ➽ Nein, die Schillertage begreifen sich nicht als Leistungsschau der momentanen Schillerrezeption. Anders als beim Berliner Theatertreffen wollen wir nicht die bemerkenswertesten Inszenierungen einladen, sondern ein Festival mit eigenem Fokus schaffen. Wir wollen auch nicht nur Schiller nachspielen, sondern ihn als Zeitgenossen wahrnehmen und seine Theorien umsetzen. In diesem Jahr geht es mit dem Motto „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ um Facetten des Spiels. Über das Goethe-Institut machten wir eine Ausschreibung, in der wir nach Inszenierungen im europäischen Raum suchten. Wir schauten uns währenddessen um, was wir spannend finden und wen wir mit bestimmten Themen beauftragen könnten. Wissen und Nicht-Wissen. Games People Play“ von Hannah Hurtzig, für den über hundert Expertinnen und Experten koordiniert werden müssen. Eine halbe Stunde lang kann man für einen Euro unter vier Augen mit einem von ihnen sprechen. Alle haben mit dem Thema Spiel zu tun: Ein Kommissar wird über Heiratsschwindler reden, die Gründerin eines der ersten SM-Lokale in Mannheim über Spielarten der Sexualität, daneben geht es um Machtspiele und Spielsucht. Warum sind es nun die geworden, die im Programmheft stehen? Warum drei Mal „Die Räuber“, drei Mal „Maria Stuart“ – und kein „Fiesko“, „Tell“ oder „Wallenstein“? ➽ Es geht ja nicht um die Vollständigkeit des Schillerrepertoires, sondern um einen Wechsel zwischen Regiehandschriften und neuen, spielerischen Zugängen. Die Räuber von Nicolas Stemann stehen ja schon für sich, während uns bei Lars Eidingers Räubern interessiert hat, was junge Schauspielschüler aus dem Stoff machen. Die Produktion „Am Arsch, die Räuber“ in einer Bearbeitung von Marcus Braun für das Helmi-Puppentheater haben wir in Auftrag gegeben, weil das ein ganz anderer Ansatz ist. Hier kommt wieder das FestivalMotto zum Tragen: Wir wollen verschiedene Spiel-Varianten zeigen. Foto: Hans Jörg Michel Stephan Kimmigs „Maria Stuart“ ist jetzt schon ein Klassiker. Daneben haben wir gehört, dass Katrine Wiedemann, die junge Regisseurin des Jahres in Skandinavien, über eine Stuart-Inszenierung nachdenkt und sind als Co-Produzenten eingestiegen. Anders als bei Kimmigs Psychologieansatz bekommt man hier ein märchenhaftes Bilder-Theater zu sehen. Und natürlich wollten wir wie mit „Johanna von Orleans“ auch hauseigene Produktionen zeigen. Aber die Einladung der Gastspiele ist der kleinere Teil der Arbeit. Und der größte Teil? ➽ In diesem Jahr: Die Organisation des „Schwarzmarkts für nützliches FAHREN SIE VORAUS. DER NEUE VOLLHYBRID LEXUS RX 450h. 220 kW/299 PS 148 g/km CO 6,3 l/100 km* Auch sonst steht Theater mit Experten gerade hoch im Kurs. ➽ Wir wollen die Region und ihre Menschen ins Festival miteinbeziehen. Doris Uhlich stellt zum Beispiel in ihrem Johannen-Projekt 18 Frauen aus Mannheim vor und nähert sich dem Stoff mit biografischen, chorischen und choreografischen Elementen. Sie zeigt, was diese Mannheimerinnen heute noch mit Johanna von Orleans zu tun haben. Und Erik Pold veranstaltet eine Performance rund um Schillers Thesen im öffentlichen Raum, während die Zuschauer im Schaufenster von Engelhorn sitzen. Die Lebendigkeit soll ins Theater und von dort zurück in die Stadt strahlen. ✒ Barbara Behrendt Im neuen RX 450h führt Lexus fort, was 2005 im weltweit ersten Vollhybrid-SUV begann: die zukunftsweisende Verbindung von beeindruckender Leistung und minimaler Umweltbelastung. Kombiniert mit seinem atemberaubenden Design, dem innovativen Remote Touch Bediensystem und modernsten Sicherheitstechnologien, wird jede Fahrt zum begeisternden Erlebnis. Überzeugen Sie sich selbst bei einer Probefahrt. 2 LEXUS FORUM MANNHEIM AHZ Automobil Handels Zentrum GmbH Graudenzer Linie 99 68307 Mannheim www.lexusforum-mannheim.de Sandra Keppeler Tel. 06 21/3 91 52-8 00 *Kraftstoffverbrauch kombiniert 6,3 l/100 km (innerorts 6,6 l/ außerorts 6,0 l) bei CO2-Emissionen von 148 g/km im kombinierten Testzyklus nach RL 80/1268/EWG. 71195_RX450h_weiss_228x100.indd 1 10.06.2009 3:25:51 CL ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. Emir Tebatebai (Karl) und Florian Loycke (Vater Moor), „Am Arsch, die Räuber“, Das Helmi Berlin / Foto: Das Helmi ➽ Suchtstoff vom Helmholtzplatz Puppenspiele laufen normalerweise im Kinderprogramm. Aber nicht, wenn sie so gesetzlos, komisch und intelligent inszeniert sind wie vom Berliner Trio „Das Helmi“. D rei Männer Ende 30, die mit Puppen spielen. Klingt ungewöhnlich. Dass es noch dazu peinlich wirken könnte, davor hatten die „Helmis“ lange Angst. Schließlich waren die Studenten-Freunde Florian Loycke und Emir Tebatebai zusammen mit Brian Morrow aus Liverpool bis 2002 mit „coolem Trash-Punk-Theater“ durch Berlin gezogen. Ausflüge gab es schon in die Figurentheater-Welt, doch nur für junges Publikum. Geschichten für Erwachsene mit Puppen auf die Bühne zu bringen, fand die HelmiTruppe äußerst riskant. „Es war ein langer Weg bis dahin“, sagt HelmiGründer Florian Loycke. „Emir hat sich, glaube ich, nach drei oder vier Jahren immer noch geschämt.“ Trotz Unsicherheiten versuchte die Gruppe sich allerdings nie hinter ihren grotesken Figuren aus Schaumstoff und Stoffabfällen zu verstecken. Die Schauspieler treten gemeinsam mit ihnen auf, haben die Charaktere über ihre Hände gestülpt, oder wie Masken lebensgroß vor sich um die Hüften geschnallt, bleiben selbst aber immer sichtbar. Wie Mensch und Puppe einen Pakt eingehen, verschmelzen und sich wieder voneinander lösen, ist ein spannungsgeladener Prozess. Verschiedene Schichten der Figur werden voneinander getrennt, mit unterschiedlichen Gesichtern versehen, doppelt besetzt. Am Helmholtzplatz im Berliner Prenzlauer Berg startete das Helmi 2002 in einem ehemaligen Klohäuschen, aber doch mit Stücken für Kinder. „Wir dachten, die machen wir zu Abhängigen.“ Tatsächlich: „Hänsel und Gretel“ mit Puppen aus SperrmüllFunden wurde zum Suchtstoff – dabei hatten die drei von Fördergeldern und Pressearbeit keine Ahnung. Sie hängten Zettel auf, warben in Kin- dergärten und verlangten kaum Eintritt. „Wir wollten nur kucken, ob es funktioniert.“ Nach und nach setzten die Drei sich mit Produktionen wie „Arsen und Spitzenhäubchen“ dem Urteil Gleichaltriger aus. Ihre Protagonisten holt die Gruppe, deren Mitglieder gleichzeitig Schauspieler, Puppenspieler, Musiker und Regisseure sind, aus der literarischen und filmischen Welt ins Helmi-Universum. Und das ist ebenso anarchisch, trashig und fantastisch wie psychologisch verständlich und menschlich – mit gelegentlich politischen Statements. In „Faust auf Faust“ ist der Doktor ein lüsterner Opa, der durch die Favela streift und Margarida schwängert, dann aber lieber in die Hölle geht, als sich um sie und den kleinen Horst zu kümmern. Recht unsanft wird mit den Originaltexten umgesprungen. Es geht weniger um Werktreue, mehr um die lustvolle Adaption bekannter Geschichten. Mit ihrer Inszenierung von Luc Bessons Thriller „Leon der Profi“ erzählen sie 2005 herzerwärmend komisch die Geschichte des eiskalten Serienkillers und seiner Freundschaft mit dem verwaisten Mädchen Mathilde, ganz ohne filmische Spezialeffekte. Mit riesiger Plattnase, hängenden Augenlidern und halb verdeckt von einer Sonnenbrille ist selbst in der lapidar zusammengeschnürten Puppe noch Leon-Darsteller Jean Reno wieder erkennbar. Die Zuschauer des Berliner „100°“-Festivals bedankten sich mit dem Publikumspreis, zwei Jahre später lud die „Impulse“-Jury die Inszenierung ins Ruhrgebiet, wo die Gruppe den Dietmar N. SchmidtPreis mit nach Hause nahm. Diesmal in die Räume des Ballhaus-Osts, wohin es die Helmis umgezogen waren. Ihre neue Produktion „Am Arsch, ➽ 15. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM HERZLICHEN DANK! ➽ die Räuber!“ entstand zusammen mit den Schauspielerinnen Stephanie Stremler und Okka Hungerbühler als Auftragswerk für die Schillertage. „Das Stück hat Schiller so holzhammermäßig zusammengeschraubt. Die übertriebenen Figuren, das ist doch unfreiwillig komisch. Das passt zu unserer grotesken Art“, erklärt Florian Loycke die Wahl des Räuber-Stoffs. „Franz ist der Zeremonienmeister der Hirngespinste im Psychoschloss. Die anderen sind auch nicht ganz dicht.“ Autor Marcus Braun adaptierte den Originaltext, ansonsten verließ man sich wie gewohnt darauf, dass während der Proben genug Fantasie im Spiel ist. Der versponnene Überbau wird bei den Helmis immer von emotional geleiteten Figuren geerdet. Einen so abgrundtief traurigen, gebrochenen Karl sieht man auch aus Fleisch und Blut selten. Er ist „am Arsch“. Da kann er auch gleich eine Räuberbande gründen. Und wie sollte aus Franz etwas anderes werden als ein machthungriger Kokser, wenn der Papa zu ihm sagt: „Seit deiner Geburt hab ich ein Trauma“? Mitreißende Komik ist beim wahrhaft kindlich, ungekünstelten Spiel eben nie ohne Traurigkeit zu haben. Und peinlich findet das höchstens, wer das Spielen verlernt hat. Mein erstes Mal ➽ Frau Kiefer-Bierbaum ✒ Barbara Behrendt ➽ Hinterbühne: Strippenzieher Wie sieht ihre Arbeit aus? Organisation der Schill-Outs mit Bands und DJ’s. Bandauswahl. Vertragsgestaltung und -verhandlung. Bandbetreuung. Disposition des Catering und der Parkplätze. Einrichtung des Backstageraums. Flyern und Plakatieren. Der Band und dem Management als Ansprechpartner dienen. Hotelzimmerkalkulation. Kommunikation mit manchmal schwer erreichbaren Künstlern. Fotoshooting am Schillerplatz und im heißen Schillerbüro ... das ganze mindestens zwei Tage ästhetische Erziehung FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 die Woche seit Ende letzten Jahres als unbezahltes Praktikum. Was kommt dabei heraus? Hoffentlich fröhliche Partys und berauschende Konzerte mit glücklichen Musikern, einer zufriedenen Chefin und einem geschillten Chef, einem mitgerissenen Publikum und anschließend einem gutem Praktikumszeugnis für mich. Was kann Theater bewirken? Zusammentreffen von Menschen. Monika Junkers ist für die SchillerSchill-Outs verantwortlich Foto: Christian Kleiner Constanze Probst / Foto: privat Ich habe im Werkunterricht den traditionellen Mimesis-Konzepten gefrönt und Robben aus Ton geformt. Im Kunstunterricht habe ich gelernt, nicht über den Rand zu malen und mich anschließend im Pointillismus geübt. Ich habe im Takt geklatscht, Theater gespielt und Noten für Schönschrift kassiert. Ich habe dreieckige gelbe Turnbeutel mit mir herumgeschleppt und weiße unlackierte Styroporfahrradhelme getragen. Ich bin ungeheuer dankbar – und sehr erleichtert. Erleichtert, dass diese spezifische Phase der ästhetischen Erziehungsmaßnahmen mit ihren direkten Zugriffen vorbei ist. Man wollte Wendy und bekam Christine Nöstlinger. Irgendwann wollte man Christine Nöstlinger. In der Rückschau tritt keine einzelne ästhetische Erziehungsmaßnahme in den Vordergrund. Nur das „Ziehen“ in der erzieherischen Maßnahme ist mir nicht geheuer. Natürlich: Was mich heute zu Pollesch treibt, das sind auch all die Theaterbesuche der Schulzeit (dabei hatten doch alle fürs „Fantasialand“ gestimmt). Wieso gehe ich heute ins Theater oder in die Philharmonie? Vielleicht verdaue ich so die Erlebnisse im Blockflötenunterricht bei Frau Kiefer-Bierbaum und lasse die quälende Frage nach der Ästhetik der Performanz im Krippen spiel hinter mir. Gerne denke ich an Erlebnisse fernab von klassischen Erziehungsinstanzen, die ich als prägend erlebt habe. Vor einiger Zeit habe ich beispielsweise die 80-jährige Judith Malina in einer Adaption von Doris Lessings „The Diaries of Jane Somers“ gesehen. Vordergründig betrachtet vielleicht kein Abend, der mir Wegweisendes beigebracht hat über das Theater, die Welt oder mich selbst. Aber es sind solche Momente, die ich nur andeutungsweise beschreiben kann und will, in denen ich mich in der Nähe von Kunst am richtigen Platz fühle. ✒ Constanze Probst lebt in Berlin und ist Redakteurin dieser Zeitung ➽ Vom Traum- zum Schaumstoff Waren früher eine Matratze: die Helmi-Puppen / Foto: Barbara Behrendt Wenn Florian Loycke beginnt, mit Schaumstoff und Stoffresten zu hantieren, dann hat er den langwierigsten Teil des Figurenbauens schon hinter sich. Bis sich ein charakteristisches Gesicht in seinem Kopf formt, vergehen oft Wochen – geboren wird es in ein paar Stunden. Beim Material lässt sich der Autodidakt aber gern von Zufallsfunden inspirieren. Seit allerdings auch in Berlin nicht mehr jeder Zweite seine alte Matratze auf der Straße entsorgt, hat der ehemalige Philosophiestudent ein echtes Beschaffungsproblem. Material zu kaufen ist nicht nur teuer, es setzt auch voraus, genau zu wissen, was man haben will. Bühnenbildner wie Torsten Passfeld, die einfach farbigen Schaumstoff mitbringen, sind da die Rettung. „Deshalb sind die Arme von Vater Moor jetzt blau.“ Dabei sind die Alter-Egos den Schauspielern gar nicht so fremd: Räuber Spiegelbergs Nickelbrille, seine schmalen Schultern, der lässig-belustigte Blick erinnern doch stark an Puppenspieler Brian Morrow. Augenzwinkernd entwirft Florian Loycke komische Karikaturen der Schauspieler, denn „die Puppen müssen nicht nur zum Spiel, sondern vor allem zur Gruppe passen.“ ✒ BB ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. ➽ Herrscherinnen, Jägerinnen, Dämonen der Macht Schiller hat zeitlose Masterplots geschaffen. Aber was um alles in der Welt hat Josh Whedons Vampirjägerin Buffy mit den Frauenfiguren Friedrich Schillers und Kants kategorischem Imperativ zu tun? Cast ➽ In jeder Generation wird eine Auserwählte geboren. Sie allein muss sich gegen Vampire, Dämonen und die Mächte des Bösen stellen. Sie ist Buffy, die Jägerin. ➽ Als Schäferin geboren, wurde sie von der Jungfrau Maria in den Krieg entsendet. Sie muss sich für Frankreich gegen die Engländer stellen. Sie ist Jeanne D’Arc, die Jungfrau von Orleans. ➽ Der englische Thron ist besetzt von einer Königin mit anfechtbarer Legitimation. Sie muss ihren Machtanspruch gegen und für ihr Volk durchsetzten. Sie ist Elisabeth, die Königin von England. ➽ Schottland ist nach dem Königsmord führungslos. Die Königin flüchtet nach England, wo man sie einsperrt, statt ihr zu helfen. Sie ist Maria Stuart, die Königin von Schottland. Wie alles begann „Buffy – im Bann der Dämonen“(„Buffy – The Vampire Slayer“) ist eine Fernsehserie, die Ende der 90er Jahre in Deutschland und den USA mit beeindruckendem Erfolg lief. Die Basishandlung ist schnell erzählt: Buffy Anne Summers ist ein ganz normaler Teenager, bis sie erfährt, dass sie von höheren Mächten auserwählt und mit übernatürlichen Kräften ausgestattet wurde, um die Welt vor Vampiren und Dämonen zu retten. Gemeinsam mit ihren Freunden kämpft sie nicht nur gegen das Böse, sondern auch mit den Problemen des Erwachsenwerdens. Daraus entwickelte Erfinder und Regisseur Josh Whedon 144 Episoden in 7 Staffeln, die Millionen von Zuschauern fanden, diverse Dissertationen und eine eigene Comicreihe nach sich zogen. Der Popkulturexperte Dietmar Dath verfiel Buffy derart, dass er 2003 das Grundlagen-Werk „Sie ist wach. Über ein Mädchen das hilft, schützt und rettet“ schrieb. Was die Serie für Kultur- und Medienwissenschaftler so faszinierend macht, ist Buffys Verpflichtung gegenüber der Mediengeschichte. Die Serie steckt randvoll mit Zitaten und Referenzen zu anderen Erzeugnissen der Popkultur und spielt diese Bezüge offen aus: Da regt Buffy sich schon Gute Maria (Susanne Wolff), böse Elisabeth (Paula Dombrowski) / Foto: Arno Declair mal darüber auf, dass sich plötzlich alles so anfühlt wie bei Dawsons Creek oder Beverly Hills, 90210. Oder sie sagt zu ihrem Freund, er solle nicht so tun, als sei er Fox Mulder, sie sei ja auch nicht Dana Scully. Und Buffy überschreitet Genre-Grenzen derart systematisch, dass verzweifelte Fernsehzeitschriften in den späten 90ern zu Wortungetümen wie „Teenie-Action-Horror-Scienefiction-RomanticComedy-Krimi-Serie“ griffen. Aber was um alles in der Welt hat eine Vampirjägerin mit Schillers Frauenfiguren zu tun? Was BuffyExegeten bislang entging: Das Teenagergirl ist eine Meta-Schiller-Figur, in deren Charakter alles zusammenläuft, was Schiller von einer „schönen Seele“ erwartet, und die noch darüber hinausreicht. Denn hätten Johanna, Elisabeth und Maria sich bereits an Buffy orientieren können, wäre manche Katastrophe verhindert worden. Wenn Buffy sich aber als Meta-Schiller-Figur verstehen lässt, hat Schiller ganz offensichtlich zeitlose Charaktere und Erzählungen, sogenannte Masterplots, geschaffen. Im 18. Jahrhundert konnte so eine Geschichte wie die von Buffy noch nicht erzählt werden. Aber: Hätte Schiller in den 90ern gelebt, hätte er vermutlich wie Joss Whedon Serien entworfen. Gesetz der Serie & zwischen den Stühlen „Der tragische Dichter gibt also mit Recht den gemischten Charakteren den Vorzug, und das Ideal seines Helden liegt in gleicher Entfernung zwischen dem ganz verwerflichen und dem vollkommenen“ schreibt Schiller in seinem Aufsatz „Über die tragische Kunst“ und führt an Maria Stuart exemplarisch vor, was er meint. Sie ist im umfassenden Sinne des Wortes Mensch und in Schillers Augen vor allem: eine Frau. Maria beginnt als schwere Sünderin und endet durch Sühne in königlicher Anmut. An ihr demonstriert Schiller die drei Entwicklungsstufen, die er im 24. der Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ anspricht. „Es lassen sich also drei verschiedene Momente oder Stufen der Entwicklung unterscheiden, die sowohl der einzelne Mensch als die ganze Gattung notwendig und in einer bestimmten Ordnung durchlaufen müssen, wenn sie den ganzen Kreis ihrer Bestimmungen erfüllen sollen. [...] Der Mensch in seinem psychischen Zustand erleidet bloß die Macht der Natur; er entledigt sich dieser Macht in dem ästhetischen Zustand, und er beherrscht sie in dem moralischen Zustand.“ Bei dieser Entwicklung soll Maria Stuart, ganz im Sinne der Aristotelischen Dramentheorie, das größtmögliche Maß an Mitleid und Katharsis erzeugen: Ginge sie völlig unschuldig in den Tod, würde die Empörung über ihr ungerechtfertigtes Schicksal womöglich überwiegen. Hätte sie dagegen eindeutig das Zeitliche gesegnet, wäre die Anteilnahme des Publikums zu schwach. Was für den „gemischten Charakter“ der Maria Stuart gilt, trifft auch auf „gelungene“ Seriencharaktere zu. Hanns-Otto Hügel, Professor für Popkultur, sagt, dass jede gute Serie von der Dialektik der Hauptfigur lebt. Entsprechend zerrissen ist Buffy: Lass ich die Menschheit im Stich und führe das Leben eines normalen Teenagers, oder folge ich meiner Bestimmung und jage das Böse? Nach diesem Prinzip ließ schon Schiller seine Johanna auftreten: Folgt sie ihrer Sendung oder entscheidet sie sich für das Leben einer normalen Frau? Auch sie durchläuft mehrere Stufen bis zur Erlösung, wenn es auch andere sind als die der Maria Stuart. Johannas charakterlicher Werdegang entspricht der ästhetischen Theorie, die Schiller in seiner Schrift „Über Anmut und Würde“ formuliert und die an Immanuel Kants kategorischen Imperativ angelehnt ist: Demnach soll der Mensch seine Neigung zugunsten seiner Pflichten zurückstellen, um Würde zu erlangen. Doch Schiller geht, vor allem was seine weiblichen Figuren betrifft, noch einen Schritt weiter: Höchstes Ziel ist Anmut als „der Ausdruck der schönen Seele“ und diese ist dort, „wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonisieren“. Heute würde man das wahrscheinlich als „mit sich im Reinen sein“ übersetzen. Und wenn man davon absieht, 15. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM HERZLICHEN DANK! wie absurd Johannas Auffassung vom richtigen und vernünftigen Handeln ist, so ist sie am Ende durch ihren Kniefall vor Gott und dem Opfertod im Gefecht verklärt und vor Gott mit sich im Reinen. Völlig anders erzählt Schiller da die Figur der Elisabeth. Sie folgt in allen Entscheidungen dem Willen des Volkes und des Parlaments, nie ihren eigenen Wünschen. Am Ende steht sie alleine da, weil sie reine Vernunftentscheidungen gefällt hat. Mit Elisabeth wollte Schiller zeigen, dass eine Frau in einer Männerrolle nicht glücklich werden kann. Und Buffy? Sie steht natürlich über dem Ganzen, da Whedon von Anfang an die Geschichte einer Jägerin erzählt, die, auch wenn es sie viel Kraft kostet, einen Mittelweg zwischen Vernunft und Sinnlichkeit findet. Geschlechtskrankheit & Kant Reine Vernunftsentscheidungen sind bei Schiller den männlichen Figuren vorbehalten. In seiner Abhandlung „Über Anmut und Würde“ unterscheidet er klar zwischen den möglichen Entwicklungen von Frauen und Männern. Dabei geht er von der gleichen Ausgangslage aus, die in groben Zügen Kant entspricht: Menschen sind Vernunft- und Sinneswesen. Ein Individuum kann nach Schiller nur dann sittlich-moralisch, das heißt autonom und kraft der Vernunft handeln, wenn er seine Sinnlichkeit, also seine Neigungen, Triebe, Leidenschaften und Affekte kontrolliert. Damit entspricht er Kant, der sagt, dass die Umsetzung des kategorischen Imperativs beim Menschen am sinnlich-affizierten Willen scheitert. Auch Kant behandelt Frauen anders als Männer und schreibt in „Was ist Aufklärung?“, sie sei der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, dieser Schritt sei für das „schöne Geschlecht“ aber ohne Vormünder schwer und gefährlich. Schillers Absicht ist bei Frauen und Männern unterschiedlich: Frauen wie Maria Stuart widerstehen der Sinnlichkeit „oft mit heroischer Stärke“, handeln intuitiv und nehmen „das heldenmütigste Opfer“ auf sich. Dadurch erlangen sie Anmut. Schillers Männer hingegen beherrschen die Sinnlichkeit, indem sie sich an „Vernunftideen“ orientieren, nach der „höchsten Idee sittlicher Reinheit“ handeln und sich in unlösbaren Gewissenskonflikten verstricken. Als Lohn winkt die Würde, für Schiller „der Ausdruck einer erhabenen Ge- sinnung“. Auch Buffy findet, und das nahezu von Anfang an, zur Anmut und zum Ausgleich zwischen Sinnlichkeit und Verstand. Als schlägkräftige Gegenbeispiele fungieren ihre Kolleginnen: Jägerin Kendra, die am Anfang der zweiten Staffel auftaucht, ordnet ihr ganzes Leben der Vampirjagd unter und kritisiert die laxere Buffy hart. Doch dann wird Kendra von der im Freudschen Sinn hysterischen Vampirin Drusilla hypnotisiert und ermordet. So was wäre Buffy nie passiert! Umgekehrt zeigt Joss Whedon, was Schiller wohl gern gesehen hätte, dass ausschließlich sinnlich motiviertes Handeln zum Tod führt: Faith, die Jägerin, die nach Kendras Tod in die Serie eingeführt wird, hält nichts von Regeln, handelt intuitiv und gewalttätig und wechselt aus Hass und Machtgier auf die Seite des Bösen. Das muss schief gehen. Am Ende steht Faith doch der moralisch überlegenen und schillernd anmutigen Buffy beim Kampf gegen das Böse bei. Macht & Ohnmacht „Aus großer Macht folgt große Verantwortung“ stellt Superheld Spiderman fest. Auch das wusste Schiller schon. Die Geschichte wiederholt sich, die Ohnmacht angesichts der eigenen Macht scheint einer der großen Schillerschen Masterplots zu sein. Am offensichtlichsten ist das Problem bei Elisabeth. Zwar sagt Talbot, Graf von Shrewsbury und Berater von Elisabeth,zu ihr: „Sag nicht, du müsstest der Notwendigkeit gehorchen und dem Dringen deines Volkes. Sobald du willst, in jedem Augenblick kannst du erproben, dass dein Wille frei ist“. Elisabeth allerdings zieht aus dem Rat nicht die „richtigen“ Schlüsse und lässt Maria aus Angst vor Machtverlust trotzdem töten. Auch Johanna gesteht sich kurz vor Buffy bei der Arbeit / Panini Comics ästhetische Erziehung FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 Ende des Dramas ein: „Frommer Stab! O hätt ich nimmer mit dem Schwerte dich vertauscht! ... Wärst du nimmer mir erschienen, hohe Himmelskönigin! ... Musstest du ihn auf mich laden diesen furchtbaren Beruf, ... Ach! Es war nicht meine Wahl!“ Am Anfang ist ihr Widerstand gegen die Entsendung noch stark. Die heilige Mutter Gottes muss sie drei Mal auffordern, bis Johanna wirklich ihrer göttlichen Pflicht folgt, und sie muss die Schäferin mit ihren eigenen Argumenten schlagen. Beim ersten Erscheinen der Jungfrau Maria antwortet Johanna: „Wie kann ich solcher Tat mich unterwinden, eine zarte Magd, unkundig des verderblichen Gefechts!“ Doch beim dritten Mal verwendet die Mutter Gottes genau dieses Argument der Weiblichkeit gegen sie: „Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden, das harte Dulden ist ihr schwerstes Los, durch strengen Dienst muss sie geläutert werden, die hier gedienet, ist dort oben groß.“ Konnte die strenggläubige Johanna sich da noch gegen die Pflicht entscheiden? Wohl kaum. Ähnlich ergeht es Buffy. Als Buffys Mutter Joyce Ende der zweiten Staffel von der Berufung ihrer Tochter erfährt, will sie, wie Vater Thibaut der Johanna, ihr das Wahrnehmen dieser Aufgabe verbieten. Buffy allerdings nimmt den Streit mit ihrer Mutter in Kauf und sagt immer wieder: „Ich bin die Auserwählte, ich muss das tun.“ Antwortet Joyce Summers, „Du solltest bei mir bleiben“, weiß die Tochter es besser. Allerdings kann Whedon sich nicht allein auf die Kraft religiöser Vorstellungen stützen und muss zu einer „Was wäre wenn...“-Folge greifen, die in düsteren Farben ausmalt, wie die Welt ohne Buffys Eingreifen aussähe. Mit dem absolut Bösen hat Whedon für Buffy natürlich den perfekten Antagonisten gewählt. Nie würde man anzweifeln, dass Buffys Auftrag zu vernachlässigen wäre oder sie auf der falschen Seite kämpfen könnte. Manche zeitgenössische Theatermacher halten die „Jungfrau von Orleans“ durchaus für nationalistisch und ressentimentgeladen, zumal sie auch schon in diesem Sinn inszeniert wurde. Schillers Johanna, eine religiöse Fanatikerin, vergleichbar etwa mit islamischen Terroristen? Im Buffy-Mythos wird erzählt, die historische Johanna sei auch eine Jägerin gewesen und genau wie Buffy von einer höheren Macht mit dämonischen Kräften und hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet worden, um die Welt vom Bösen zu befreien. Allerdings habe Jeanne d‘Arc ihren Auftrag falsch verstanden und sei deswegen auf die Engländer losgegangen. Hier schließt sich der Kreis zu Kendra: Während Jeanne d’Arc rein vernunftorientiert handelt und Schöne Seele Buffy / Panini Comics nicht auf ihr Herz hört, fällt Buffy Entscheidungen mit Herz und Kopf, gewinnt am Ende ihre Freiheit und den Kampf gegen das Böse. Erlösung & Verdammnis Jedem, was er verdient. Bei Schiller wird Charakterschwäche bestraft, ideal-weibliches Handeln belohnt. Elisabeth ist die große Verliererin, obwohl sie politisch gesehen gewinnt und am Leben bleibt. Sie hat ihre Konkurrentin Maria Stuart durch einen Justizmord aus dem Weg geräumt und den Mord einem anderen in die Schuhe geschoben. In einem Brief an Goethe bezeichnet Schiller sie als „königliche Heuchlerin“. Ihr Mangel an menschlicher Größe lasse sie auch ihr Amt als Herrscherin nicht sinnvoll ausführen. Eine Frau wie sie kann bei Schiller am Ende nur alleine dastehen. Maria Stuart und Johanna dagegen sterben in Anmut. Und Buffy? Sie zieht das große Los und wird am Ende der Serie von ihrer Berufung befreit. Die letzte Einstellung der Serie, ähnlich der Regenbogenverklärung der Johanna, ist ein seltenes und ehrliches Lächeln von Buffy. Nun darf sie ein normales Mädchen sein und ein Frauenleben führen. Auch bei Joss Whedon zählt Anmut, egal wie unemanzipiert er seine Heldin enden lässt. Aber: Buffy lebt. Das hat Schiller sich noch nicht getraut. 2 Jule D. Körber ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. ➽ Kraftwerk der Gefühle Donizettis „Maria Stuarda“ steht mit am Anfang einer Reihe von Schiller-Vertonungen im italienischen Musiktheater. Tito Ceccherini und Orchester, Gaetano Donizetti „Maria Stuarda“, Nationaltheater Mannheim / Foto: Hans Jörg Michel A usgerechnet Schiller. Und ausgerechnet Italien. Wie kommt das denn nur zusammen? Die italienische Oper ist ja gemeinhin für vieles bekannt, nicht aber für besonders anspruchsvolle, womöglich noch philosophisch hochfrisierte Libretti. Im Grunde lässt sie sich auf die Grundformel reduzieren: Tenor liebt Sopran, und Bariton hat was dagegen. Und ausgerechnet in Italien, weit mehr als in Schillers deutscher Heimat, haben dessen Dramen, denen doch immer nachgesagt wird, sie seien Ideendramen, seien zu verkopft, zu thesenlastig und, vielleicht abgesehen von den „Räubern“, mit zu wenig pulsierendem, saftigem Theaterblut verfasst, ausgerechnet dort haben Komponisten wie Donizetti, Rossini und vor allem Verdi seine Dramen immer wieder vertont. Zunächst den „Tell“ durch Rossini, dann die „Maria Stuart“ durch Donizetti, schließlich finden sich gleich vier Schillervorlagen für VerdiOpern: „Die Räuber“ für „I Masnadieri“, „Die Jungfrau von Orleans“ für „Giovanna d’Arco“, „Kabale und Liebe“ für „Luisa Miller“ und, sicherlich die großartigste Schiller- Vertonung überhaupt, „Don Carlo“. Seit 1819 gab es eine italienische Übersetzung des Weimarer Klassikers von Pompeo Ferrario. Giuseppe Verdi allerdings griff für seine vier Schiller-Opern auf eine Übertragung von Andrea Maffei zurück, die in den Jahren 1842 bis 1852 erschien. Diese Textsammlung kam für Donizetti, der zugleich Vorgänger und Wegbereiter Verdis war, zu spät. Seine „lyrische Tragödie“, so der Untertitel der „Maria Stuarda“, wurde unter diesem Titel 1835 an der Mailänder Scala uraufgeführt – und fiel durch, weil Maria Malibran, Sängerin der Titelpartie und eine Art Anna Netrebko des 19. Jahrhunderts, indisponiert war. Eine Aufführung der Originalversion der Oper in Neapel im Jahr zuvor hatte die Zensur untersagt. Donizetti strickte mit heißer Nadel Musik und Handlung um, konnte aber auch nicht verhindern, dass die unter dem Titel „Buondelmonte“ herausgekommene Oper ein Misserfolg wurde. Der Siegeszug, wenn man denn überhaupt von einem solchen sprechen darf, dieser zweiten von drei so genannten „Tudor“-Opern (neben „Ma- ria Stuarda“ sind das noch „Roberto Devereux“ und „Anna Bolena“), setzte eigentlich erst im 20. Jahrhundert ein – und blieb zudem außerhalb Italiens ein eher laues Lüftchen. An Schillers Vorlage kann dies sicherlich nicht gelegen haben. Als Dramatiker genoss Schiller einen exzellenten Ruf, weshalb die Rezeptionsgeschichte in Deutschland ihn auch recht schnell zum Nationaldichter kürte – nationalistisch-chauvinistische Vereinnahmung inklusive. Vor so etwas schreckten deutsche Komponisten zurück. Beethoven war für lange, lange Zeit der letzte Musiker, der es mit Schiller aufnehmen konnte, weil seine neunte Sinfonie als „Volksrede an die Menschheit“ (Adorno) aus demselben idealistischen Geiste heraus entstanden ist und zudem mit der gleichen Emphase komponiert wurde, die auch die Schillersche Sprache prägt – was zumindest eine Erklärung dafür ist, warum der deutsche Klassiker gerade für die italienische Oper so interessant war. Die Italiener hatten da keine Berührungsängste. Und so wird also aus dem idealistischen Klassiker eine der wichtigsten Vorlagen für das romantische Musiktheater in Italien. Wie man sich das im Einzelfall vorzustellen hat, zeigt auch Donizettis „Maria Stuarda“, für die Giuseppe Bardari das Libretto verfasste. Es ist faszinierend, wie viel Herz und Schmerz dieser aus der Schillerschen Vorlage destillieren konnte. Für geschichtsphilosophische Exkurse bleibt da kein Platz mehr. Aus dem Aufeinanderprallen zweier Herrscherinnen, die eine Rolle einnehmen in einem gesamteuropäischen Spiel der Mächte, wird bei Bardari/Donizetti eine erotische Dreiecksgeschichte: Zwei Frauen lieben denselben Mann, womit unsere Definition der italienischen Oper leicht abgewandelt gilt: Tenor (Leicester) liebt Sopran (Maria) und Mezzosopran (Elisabetta) hat etwas dagegen. Die Oper als Kraftwerk der Gefühle wird befeuert von Liebe, Hass, Eifersucht, von leidenschaftlichem Begehren und melodramatischem Abschiednehmen. Immerhin braucht Maria fast einen ganz Akt, ehe sie endlich den letzten Gang zum Schafott antritt. Zuvor aber macht sie Talbot, der in der Oper auch die Rolle des Priesters und Beichtvaters übernehmen muss, ein blutiges Geständnis: Leichen, darunter auch ihr Ehemann, pflasterten ihren Weg. Musikalisch ist Donizetti nun in seinem Element, seine Musik macht aus dem erzählten blutrünstigen Geschehen ein Stück Schauerromantik, und man versteht einmal mehr, warum Donizettis im selben Jahr wie die letzte Fassung der „Maria Stuarda“ uraufgeführte „Lucia di Lammermoor“ als Archetypus der italienischen Romantik-Oper gilt. Ansonsten ist selbstredend auch „Maria Stuarda“ eine Belcanto-Oper. Die beiden weiblichen Hauptpartien sind ebenso wie die des Leicester mit herrlichen Melodien gezeichnet. Zugleich kann man aber gerade auch an „Maria Stuarda“ den musikhistorischen Ort Donizettis ablesen: Er steht, wie sein Konkurrent Bellini, an der Schnittstelle zwischen Rossini und Verdi, zwischen reinem Belcanto und Musikdrama. 2 Frank Pommer 15. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM HERZLICHEN DANK! ästhetische Erziehung FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 ➽ Ich liebe Schildkröten Der Regisseur Calixto Bieito über Gewalt auf der Bühne, Goyas Licht und seinen Traum vom Alter Heute Abend ist ihre „Don Karlos“-Premiere. Möchten Sie den Lesern etwas mitteilen, bevor sie das Stück sehen? ➽ Calixto Bieito: Sie müssen sehr offen und frei zu dieser Premiere kommen. Es ist die spanische Interpretation eines deutschen Stücks, und es kann alles passieren. Wie in einem Traum, deshalb sollten sie entspannt sein. Sollten die Leute das Stück gelesen haben? ➽ Das ist nicht notwendig. Sie müssen ein paar deutsche Untertitel lesen oder einfach die spanische Sprache zusammen mit den Bildern genießen. Es ist eine visuelle Show, wie eine Art freies Gedicht. Manchmal sind die Worte sehr nah an der Geschichte, an anderen Stellen haben wir eigene Texte geschrieben. Normalerweise wachsen meine Stücke weiter. Manche sehe ich nach drei Monaten wieder und füge neue Ideen hinzu. Sie haben Händels „Armida“ mit nackten Männern und Mozarts „Entführung aus dem Serail“ als Bordell inszeniert. In vielen Kritiken werden Sie deshalb als Skandal-Regisseur bezeichnet. Stört Sie das? ➽ Nicht besonders. Es ist etwas langweilig, wie eine Art Label, um Sachen gut zu verkaufen. Aber es entspricht nicht dem Eindruck, den ich von mir selbst habe. Hätten Sie lieber eine andere Rolle? ➽ Natürlich würde ich gerne jedem gefallen, aber das ist unmöglich und auch nicht besonders clever. Spricht man über Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die Gewalt und Sex zum Thema haben, gilt das längst nicht als so skandalös. Warum ist das in der Oper anders? ➽ Oper war für eine Gesellschaftsschicht mit gutem Geschmack gedacht, für die reichen Leute. Guter Geschmack bedeutete für sie, alles zu verbergen. Das kann auch für weniger reiche Leute gelten, die in die Oper gehen, um eine Art Traum zu sehen. Bedient man das nicht mehr, schockiert sie das. Sie arbeiten über Gewaltpotentiale in der Gesellschaft und zeigen das, indem Sie schockieren. Aber ist es nicht eine längst unmoderne Idee, über diese Art des Schocks etwas Verdrängtes zu Tage zu befördern? ➽ Ja, wir leben in einer sehr gewalttätigen Gesellschaft und wachsen in einer technologisierten Schnelligkeit auf. Auf der emotionalen Ebene geschieht das allerdings nicht im selben Tempo. Was ich verwende, ist vom Stück abhängig. Zeichnet Shakespeare ein Porträt der Gewalt, gehe ich auch in meinen Inszenierungen damit um – was nicht heißt, dass ich besessen bin vom Umgang mit Gewalt. Ich hasse es, Nachrichten zu sehen. Ich meine zum Beispiel, wenn ein Vater seine Kinder tötet oder eine Mutter ihr Baby in die Gefriertruhe legt. Aber niemand kümmert sich darum, oder ist von diesen Medienbildern wirklich berührt. ➽ Mich bewegt und beschäftigt das sehr. Einige Leute in England halten mich deshalb für einen Moralisten. Warum? ➽ Weil ich die Gesellschaft porträtiere. Aber ich bin kein Moralist, ich versuche nur, meine Gedanken mitzuteilen. Meine Arbeit ist in den letzten Jahren viel surrealer geworden. Manchmal bin ich sehr realistisch, schon hyper-realistisch, dann wieder surrealistisch. Es ist auch von dem Moment abhängig, indem ich mich gerade befinde. Wenn wir so viele Gewaltbilder in den Medien haben und niemand wirklich davon berührt ist, warum schockieren gewalttätige Szenen auf der Bühne? ➽ Ich weiß es nicht, vielleicht weil die Zuschauer das nicht erwarten, wenn sie ins Theater oder in die Oper gehen. In den Medien hat man immer das Gefühl, es könnte auch ein Hollywoodfilm sein. Wie bei 9/11. Aber ich denke in meiner Arbeit nicht wirklich über ihre Wirkung nach, ich tue sie einfach, denke über das Stück nach, lese Bücher, gehe zu Ausstellungen, aber ich schaue nicht die ganze Zeit auf meinen Bauchnabel. Calixto Bieito, geb. 1963, Leiter des Teatre Romea, Barcelona / Foto: Christian Kleiner Wenn Sie eine langweilige Produktion machen würden, wie würde die aussehen? ➽ Ich weiß es nicht. Ich würde sterben. Bitte fragen Sie mich das nicht. Nein, ich würde nicht sterben. Aber fragen Sie mich das nicht zwei Tage vor der Premiere, ich gehe sonst ins Hotel, schließe die Tür hinter mir und bekomme einen Hamlet-Moment. Okay, ich frage sie schnell was anderes. Sie sagen, Sie wollen das Licht von Goya auf die Bühne bringen. Welches Licht, also die Porträts oder die „Los Desastres de las Guerras“? ➽ Die mag ich sehr gerne, die Verzerrung der Gesichter. Das ist vom Stück abhängig, manchmal denke ich an die „Pinturas Negras“, manchmal an die „Desastros“. Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater war Arbeiter, aber er liebte Bücher und hat mir und meinem Bruder viele gekauft. Viele Kunstbücher. Mein erstes erotisches Magazin war Rubens. Der Raub der Sabinerinnen. Es ist total erotisch. Das war mein erster Porno. Wie wichtig ist Rhythmus und Tempo für Sie? ➽ Sehr wichtig, vor allem die Tempowechsel. Im „Don Karlos“ benutzen wir auch Accelerando, ich bin sehr musikalisch in diesem Sinne. Ich mag Schauspieler, die denken können, aber wenn sie auf der Bühne sind, dann sollen sie spielen. Ich habe lange Zeit Tennis gespielt, da ging es auch nicht ums Denken, sondern um Konzentration. Ich habe auch begonnen, Klavier zu spielen. Das ist sehr wichtig für mich: Tempo, Spannung, Energie, Intensität, Mut. Was wäre Ihnen lieber als Reaktion, eine stark negative oder keine? ➽ Darüber denke ich lieber nicht nach. Sicher ist die negative besser. Wir haben diesen Satz im Spanischen: Don Quichote sagt zu Sancho Pancha: Sie reden, aber das Pferd läuft weiter. Fünf Minuten bis zum Applaus möchte ich einfach eine gute Arbeit machen, dann beginne ich, nervös zu werden. Wenn sie buhen, ist das schlecht für mich. Bunuel hätte am liebsten seinen Tag so gestaltet: zwei Stunden dem Alltag nachgehen, den Rest der Zeit träumen. Und Sie? ➽ Ich habe zwei. Der erste ist, nach Thailand zu reisen, nach Thailand oder Butan. Der zweite: Wenn ich die achtzig erreiche, will ich viele Schildkröten besitzen und mich um sie kümmern. Ich liebe Schildkröten. 2 Fragen: Ulrike Barwanietz ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. ➽ Sei kreativ! Erfinde dich selbst! Ein Gespräch mit dem bildenden Künstler Ulf Aminde, der für die Schillertage mit Mannheimer Erwerbslosen und Mitarbeitern des Jobcenters das Projekt „Softskill“ erarbeitet hat. führen Sie Obdachlose durch die Ausstellung „Das MoMA in Berlin“ und lassen deren Gespräche zu einer audiovisuellen Führung werden. Sie arbeiten gerne mit so genannten „Randgruppen“... ➽ Ich arbeite vielleicht öfter mit Menschen, die in existentielleren Situationen sind als andere, aber als „Randgruppe“ würde ich das nicht bezeichnen. Auch der Manager trägt eine Obdachlosigkeit in sich. Ich beschäftige mich vielleicht manchmal mit etwas zu sensationellen Themen, versuche die aber auch zugänglich zu machen, so dass sie zu einer allgemeinen Frage werden und zu einem Modell, das man auf vieles anwenden kann. Ich möchte keinen authentischen Rapper aus’m Ghetto oder den super subjektiven Seelenerguss eines Arbeitslosen auf der Bühne haben, sondern die grundsätzliche Frage nach partizipativem Arbeiten stellen. Also: Du: Laie, Du: Arbeitsloser, Du: Nicht-Künstler, machst jetzt hier in ’nem künstlerischen Projekt mit, und das zerren wir gleich an die Öffentlichkeit, von diesem Vorgang möchte ich mich lieber abgrenzen. Wie schaffen Sie das? ➽ Es gibt da zum Beispiel dieses «Rhythm is it!»-Projekt, wo alle heulen, weil das so schön ist am Ende. Wobei vergessen wird, welchen Druck Royston Maldoom ausgeübt hat auf die Laiendarsteller, und welche Disziplinierung. Das kann total gesund sein und auch angebracht, aber das ist überhaupt nicht, was ich suche. Ich diszipliniere gar niemanden. Es ist auch nicht so, dass wir darauf hoffen, in einer tollen Premiere dann endlich unser Spiel aufzuführen, sondern dass die gesamte Aufführung oder die ganze Installation selbst ein Spielfeld werden wird. Ulf Aminde, 1969 geboren in Stuttgart, lebt in Berlin / Foto: Nina Hoffmannn Ihr Projekt „Softskill – Das Jobcenter als eine moralische Anstalt betrachtet“ gehört zu den Produktionen, die auf keiner Bühne, sondern an theaterfernen Orten in der Stadt Mannheim stattfinden … ➽ Ulf Aminde: ... und ich kann gleich schon mal sagen: das wird kein Theaterstück mit Licht an, Licht aus, Applaus. Ich komme aus der bildenden Kunst und denke den Raum eher wie eine Ausstellung, eine Installation, in der sich die Zuschauer frei bewegen. Wir bereiten Settings vor, die über Gesten, Klänge und Ansprachen funktionieren. Ich versuche, eine Art Ausnahmezustand zu erzeugen, allerdings nicht explosiv, sondern eher als Unterbrechung des regulären Betriebs, in der jedem ein Platz zugewiesen wird und die dadurch bereits eine Art Präsenz erzeugt, um die der Besucher im wahrsten Sinne des Wortes nicht herumkommt. Wo treffen sich Theater und Jobcenter in diesem Spiel? ➽ Letztlich versuche ich mit einem ähnlichen Zugriff an meine Teilnehmer ranzukommen wie das Jobcenter, indem ich nämlich sage: Mach was, sei kreativ, hier ist eine Bühne, schöpf aus dir selbst, denk dir was aus, erfinde dich selbst, wir machen jetzt hier was Besonderes. Glaub an Dich, Du hast die Fähigkeiten, jetzt musst Du Dich verändern, jetzt komm und mach das. Da habe ich als Regisseur eigentlich eine ähnliche Sprache wie das Jobcenter, und das interessiert mich. Die Imperative des Jobcenters und der Leistungsgesellschaft sind oft genug zynisch. Kann es sein, dass Ihr Projekt auch ein Stück Kunst-Kritik ist? ➽ Allerdings ist das Kunst-Kritik! Die Kunst kann sich nicht mehr verstecken hinter einem Genialitätsanspruch. Allerdings ist der klassische Kunstbegriff für mich auch kein billiges Feindbild; ich habe da selber auch meine persönlichen Helden. Ich möchte erfahrbar machen, dass der Künstlerbegriff kein Außenseiterbegriff mehr ist, sondern durch die Anforderungen unserer Gesellschaftsordnung an jeden Einzelnen zu einem Mainstreambegriff geworden ist. Die Künstler, die sich an Kunsthochschulen wie exaltierte Theoriejünger ohne Bodenhaftung benehmen und mir erzählen, bei ihnen würde eben die zeitgenössische Kunstgeschichte geschrieben, verkennen, dass sie exakt die Rolle einnehmen, die eben überall gilt: Mach was aus deinem Leben, sonst kommt die (Finanz-)Krise. Sei schlau und schaffe dir selber Chancen, lerne sie zu nutzen. Und das ganze anhand eines imaginären Fetisch-Verhaltens, das man sich von der abstrakten Symbolhaftigkeit des Geldes abgeschaut hat. Kunst ist für mich immer noch die Frage nach der Frage nach der Frage nach der Frage nach der Frage nach der Frage nach den Menschenbildern. Dann haben Sie mit den 60 Mannheimer Erwerbslosen und Mitarbeitern des Jobcenters, die an dem Projekt beteiligt sind, vermutlich auch nicht geprobt? ➽ Genau, wir sind schließlich kein Schauspielensemble. Ensemble impliziert ja so eine eingeschworene Gemeinschaft. Das sind wir überhaupt nicht, was auch Teil des Spiels sein wird. Wir haben mit Leuten zu tun, die man „kunstfern“ nennen könnte, was die ganze Situation schwierig, aber auch würzig und spannend macht. Für mich ist es total entscheidend, auf diese Menschen zuzugehen und an ihnen die Arbeit zu entwickeln. Ich habe eine Vorstellung, konfrontiere die Leute damit, und dann brechen sich meine Ideen an der Begegnung mit ihnen – was immer extrem schmerzhaft ist, aber total wesentlich. 2 Fragen: Constanze Probst In ihrem Video „weiter“ aus dem Jahr 2002 lassen Sie Punks die „Reise nach Jerusalem“ spielen. Im Rahmen der Soundinstallation „ohne festen Wohnsitz“ „Softskill – Das Jobcenter als eine moralische Anstalt betrachtet“, am 20. und 21. Juni, 17-20 Uhr, im Jobcenter Mannheim, Ifflandstraße 2-6. 15. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM HERZLICHEN DANK! ästhetische Erziehung FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 ➽ Gedächtnis gut – Scharfsinn mittel Das Marbacher Literaturmuseum der Moderne ehrt Schiller zu dessen 250. Geburtstag von Kopf bis Fuß mit der Ausstellung „Autopsie Schiller“, die den Dichter und seine Objekte fetischisiert. A m seidenen Faden hängt das Nachleben der Dichter. Das Schicksal des Vergessens bedroht auch diejenigen, die noch zu Lebzeiten populär waren. Wohl dem also, dessen Hinterlassenschaft es wenigstens in ein Archiv schafft, wo sie aufbewahrt wird und von Forschern wiederentdeckt werden kann. Doch mehr noch als Manuskripte oder Briefe regen die Fantasie der Normalsterblichen all jene Gegenstände aus dem Besitz großer Dichter an, die die Alltäglichkeit einer Künstlerexistenz repräsentieren: vom Nachttopf bis zum Morgenmantel. Jedes Schriftstellermuseum lebt von diesem Effekt; der Dichterkult braucht die Aura der Objekte. Ein Faden symbolisiert auch den Anfang des Nachlebens von Friedrich Schiller. In der Ausstellung, die sich momentan im Literaturmuseum der Moderne in Marbach dem bedeutendsten Spross des Ortes, Friedrich Schiller, widmet, hängt er erleuchtet in einem Plexiglaskasten von der Decke des dunklen Raumes: Schillers Mutter hat diesen kleinen, kaum erkennbaren Faden angeblich gesponnen. So überliefert es zumindest der beiliegende, auf das Jahr 1866 datierte, Zettel. Gleich zu Beginn also stößt der Besucher auf jenen seltsamen Mix aus liebevoller Kuriosität, absurdem Wahn und ehrlicher Begeisterung, der die meisten Künstlerkulte kennzeichnet und dabei zugleich verzerrt und beflügelt. Im Falle Schillers, des deutschen Nationalheiligen im 19. Jahrhundert, war das besonders heftig der Fall. Die Sammelwut kreierte dabei solche Dichterfetische wie Mutter Schillers Faden. Die Ausstellung „Autopsie Schiller“ weiß dabei um ihre Doppelrolle. Sie klärt auf über einige ausgewählte Facetten aus Leben, Werk und Rezeption Friedrich Schillers – und sie ist zugleich Teil jenes Nachlebens, zu dem Inszenierungen wie diese Ausstellung unweigerlich gehören. Sein Leichnam wird gleichsam seziert und wieder einbalsamiert. Das mysteriöse Ineinandergreifen von Erkenntnis und Verzauberung setzt Kuratorin Heike Handwärmer aus Schillers Besitz. / Schillers „Bauerbacher Plan“ zum „Don Karlos“, 1783. / Ledernes Schachbrett aus Schillers Besitz. / Schillers Hut, eines der ersten Exponate in Schillers 1859 als Museum eröffnetem Geburtshaus. / „Faden, welchen die Mutter Schillers gesponnen hat. Geholt zu Marbach 1866.“ / Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach Gfrereis kräftig in Szene, wobei wohl nicht jeder Besucher mit den überreichlich dargebotenen Assoziationsmöglichkeiten etwas anfangen kann. Immerhin werden dem Schiller-Laien an den Wänden des ersten Raums seine wichtigsten Werke kurz vorgestellt, als ein Zugeständnis an ein womöglich überfordertes Publikum. Ansonsten stört nichts Profanes dieses Schiller-Hochamt. Die Autopsie Schillers folgt dem Leib des toten Dichters und bietet in neun großen runden Vitrinen die dazu passenden Objekte und Manuskripte. Schillers schwarzer Lederhut, der sich schon früh im Jahr 1859 zum 100. Geburtstag des Dichters im als Museum eröffneten Geburtshaus befand, passt demnach zu jenen Lorbeerkränzen in der Vitrine „Haupt und Himmel“, die in den Schiller-Abbildungen um 1800 auf seinem Kopf erscheinen – und zu den echten Lorbeerblättern, die ein Hugo von Dönop 1872 in Weimar zur Erinnerung von den Särgen Goethes und Schillers aufsammelte und die ihren Weg irgendwie in die Bestände des Schiller-Nationalmuseums fanden. Unter „Haupt und Haar“ findet man verschiedene Schiller zugeschriebene Locken, sein rotes Tuch, das gegen seine Kopfschmerzen helfen sollte; unter „Augen und Mund“ einen Handspiegel aus dem Besitz des Dichters ebenso wie seinen ziemlich malträtierten Löffel, den ersten erhaltenen Brief des Knaben von 1772, oder jene Manuskriptseite aus den „Piccolomini“, auf denen die Entstehung des berühmten „Spät kommt Ihr – doch Ihr kommt“ zu erkennen ist. „Nase und Seele“ offeriert Kaffeetassen und Riechfläschchen, „Brust und Kreuz“ Schillers Anstreichungen in Kants „Kritik der Urteilskraft“ und Zeichnungen als Material für das „Lied von der Glocke“. „Hand und Hitze“ vereint Spazierstöcke, Federkiele und in höchster Eile geschriebene Dichterzeilen. Der Betrachter beugt sich bei „Schenkel und Bahn“ über die seidene Hose und den im Sitzen erfüllten Arbeitsplan, Schillers Dramenverzeichnis von 1797 bis 1804; wir stoßen unter „Sehne und Fessel“ auf Schillers blaugestreifte Strümpfe und unter „Sohle und Hölle“ auf sein Schulzeugnis von 1775: Gedächtnis gut, Scharfsinn mittelmäßig. Das Nebeneinander von skurrilen und bedeutenden Objekten sowie von Dokumenten Schillers in dieser Ausstellung offenbart noch einmal den Willen zur totalen Erfassung von Dichterleib und -seele, mit dem sich die Kunstreligiosität des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf ihn und andere Heroen gestürzt hat. Dieses Erbe wird hier produktiv und zugleich ironisch kommentiert. Doch wer genau hinschaut, entdeckt in den Schiller-Fans von einst sich selbst. Denn heutige Annäherungen an die Helden unserer Zeit ähneln denen der Altvorderen: Ohne Fetisch kommen wir nicht aus; obsessiv feiern wir den Kult von Original und Objekt. Der ferne Schiller ist da plötzlich überraschend nah. ✒ Alexander Cammann Autopsie Schiller. Eine literarische Untersuchung, noch bis 4. Oktober im Literaturmuseum der Moderne, Di-So 10-18 Uhr. / Zur Ausstellung ist die gleichnamige Ausgabe des „marbacher magazins“ 125/26 erschienen, mit einem Essay von Wilhelm Genazino, hg. von Helge Gfrereis, 152 Seiten, 15 E ästhetische Erziehung HERZLICHEN DANK!FESTIVALZEITUNG 19.06.2009 DER MENSCH IST NUR DA GANZ MENSCH, WO ER SPIELT. SPIELPLAN FREITAG 19.06.09 AB 17.00 AB 18.00 AB 19.00 AB 22.00 18:45 GOETHEPLATZ 19:30 SCHAUSPIELHAUS Eröffnung der 15. Internationalen Schillertage Don Karlos (Premiere) AB 22.30 22:45 UNTERES FOYER / THEATERCAFé Schill-Out Teatre Romea (Barcelona) Abo PSch, Preise F mit Äl Jawala und DJ Timo Schaal Eintritt frei! Eintritt frei! 20:00 OPERNHAUS Maria Stuarda Gaetano Donizetti, Nationaltheater MA Abo F grün, Preise B 20:00 STUDIO Am Arsch, DIE RÄUBER! (UA) Foto: Hans Jörg Michel Das Helmi (Berlin) e 13,-/8,- Foto: Das Helmi SPIELstätten OPERNHAUS/SCHAUSPIELHAUS/OBERES & UNTERES FOYER/ THEATERCAFE Am Goetheplatz, Mannheim STUDIO WERKHAUS Mozartstr. 9, Mannheim PROBENZENTRUM NECKARAU Eisenbahnstr. 2, Mannheim PENSION SCHILLER wechselnde Orte JOBCENTER Ifflandstr. 2-6, Mannheim CINEMA QUADRAT Collini-Center, Collinistr. 5, Mannheim ALTE FEUERWACHE Am Alten Messplatz, Brückenstr. 2, Mannheim ENGELHORN Haupteingang O5, Ma SCHILLERPLATZ B3 Mannheim ZEITRAUMEXIT Hafenstr. 68-72, Mannheim/Jungbusch THEATERHAUS TIG7 G7, 4b, Mannheim THEATER OLIV Alter Messplatz 7, Mannheim THEATER FELINA-AREAL Holzbauerstr. 6-8, Mannheim/Neckarstadt Ost HERZ-JESU-KIRCHE Pestalozzistr. 19, Mannheim/Neckarstadt West ➽ Spieltrieb Ferdinand Mack ist Autor und Trainer, Träger des 7. Dan, fünffacher Weltmeister und Bundestrainer im Vollkontakt-Kickboxen Wie steht es um Ihren Spieltrieb, Herr Mack? Ich spiele seit vielen Jahren Westerngitarre. Das habe ich mir selbst beigebracht. Für das Lagerfeuer reicht’s, vor allem weil ich auch gerne singe, Songs von Peter Maffay oder Jule Neigel zum Beispiel. Musik ist ein guter Ausgleich zum Training, obwohl der Kampfsport für mich auch eine Form von Spiel ist. Wenn ich kämpfe, dann nicht gegen meinen Gegner als Person, sondern gegen seine Taktik und Technik. Viele Übungen im Kampfsport lassen sich spielerisch verpacken. Alleine gegen den Sandsack zu boxen ist ja eine stupide Angelegenheit, im Spiel mit dem Partner macht das schon viel mehr Spaß. Auf diese Art motiviere ich als Lehrer vor allem Kinder, die sonst nicht bereit wären, eine bestimmte Bewegung viele Male zu wiederholen. Der Spieltrieb im Kampfsport äußert sich darin, dass man im Training zum Beispiel eine Rolle übernimmt. Es geht um Gedankenspiele: Wenn ich kämpfe, will ich die Idee meines Gegners erraten. Ich täusche ihn und versuche, seine Schwächen herauszufinden, um sie mit meinen Stärken zu bekämpfen. Das wird leider oft zu wenig trainiert. Es ist leichter, das direkte Schlagen zu erlernen. Aber ich sage immer: „Nicht der körperlich Stärkere, sondern der Vielseitigere gewinnt!“ Und dazu gehört eben die mentale Vorbereitung im Spiel. Was sind Sie für ein Mensch, wenn Sie spielen, wenn Sie kämpfen? Vor allem ein zufriedener Mensch, weil ich das mache, was ich immer wollte. Sport ist mein Lebensinhalt. Hier bin ich Kind geblieben, das, wenn es spielt, einfach nur in sich ruht. Ich würde mich als positiv verrückt beschreiben, wie alle Menschen, die eine Sache wirklich leben, egal, ob in der Musik, im Sport oder in der Politik. Als Sportler bin ich auch ein bisschen Schauspieler, und der Ring ist für mich auch eine Bühne: Das Publikum will durch mich unterhalten werden. Es ist ihm egal, ob ich letzten Endes gewinne oder verliere, aber es erwartet eine gute Show für sein Geld. ✒ Anna Hahn