UVS Vorarlberg 1.) 1-0739/97 und 2.) 1-0300/98
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UVS Vorarlberg 1.) 1-0739/97 und 2.) 1-0300/98
UVS Vorarlberg 1.) 1-0739/97 und 2.) 1-0300/98 NL 1999, S. 37 (NL 99/1/16) UVS Vorarlberg 1.) 1-0739/97 und 2.) 1-0300/98 Erkenntnisse vom 1.) 25. Juni 1998 und 2.) 14. Dezember 1998 Zweimalige Bestrafung wegen Trunkenheit am Steuer in zwei Staaten § 5 (1) StVO Art.4 7.ZP EMRK Art. 54 ff. Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) Art. 35 Europ.Übereink. über die Übertragung der Strafverfolgung Art. XIII (6) Vertrag Österreich-Liechtenstein über die Ergänzung des Europ.Übereink. über die Rechtshilfe in Strafsachen Sachverhalt: Fall 1.): Der Berufungswerber hatte in alkoholbeeinträchtigtem Zustand einen Pkw von Riezlern (Kleines Walsertal) über die Staatsgrenze bis nach Oberstdorf (Bundesrepublik Deutschland) gelenkt. Er wurde sowohl mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichtes Kempten (Bundesrepublik Deutschland) als auch mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz bestraft. Gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz brachte er Berufung beim UVS Vorarlberg ein. Fall 2.): Die Berufungswerberin hatte in alkoholbeeinträchtigtem Zustand einen Pkw von Feldkirch zum Zollamt Ruggell (Fürstentum Liechtenstein) gelenkt. Sie wurde sowohl mit rechtskräftiger Strafverfügung des Landgerichtes Vaduz als auch mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch bestraft. Gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch brachte sie Berufung an den UVS Vorarlberg ein. Rechtsausführungen: Dem Art.4 7.ZP EMRK ist ein Gebot der Berücksichtigung ausländischer Bestrafungen nicht zu entnehmen, da dieser lediglich Doppelbestrafungen innerhalb desselben Staates verbietet. Ein solches Gebot der Berücksichtigung ausländischer Bestrafungen ergibt sich aber nach Auffassung des UVS Vorarlberg aus anderen völkerrechtlichen Verträgen auch für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes. Zum Fall 1.): Das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ), BGBl III Nr. 90/1997, regelt im Kapitel 3, Art. 54 bis 58, das Verbot der Doppelbestrafung. In Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem wird vorgesehen, daß eine Person, die durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei nicht wegen derselben Tat verfolgt werden darf, sofern im Falle einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Zum Fall 2.): Als völkerrechtliche Bestimmungen über ein Gebot der Berücksichtigung ausländischer Bestrafungen kommen insb. auch der Art. 35 des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung, BGBl. 250/1980, sowie bilaterale Verträge Österreichs mit verschiedenen Staaten über Ergänzungen des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen und die Erleichterung seiner Anwendung in Betracht. Ein solcher bilateraler Vertrag wurde auch zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein abgeschlossen (BGBl. 352/1983). Nach Art. I (1) erstreckt sich der Anwendungsbereich dieses Vertrages auch auf strafbare Handlungen, deren Bestrafung zumindest in einer der beiden Staaten in die Zuständigkeit eines Gerichtes fällt. Nach Art. XIII (6) lit. a dieses Vertrages sehen die Behörden des ersuchenden Staates von weiteren Verfolgungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen wegen der angezeigten Tat gegen den Beschuldigten ab, wenn die verhängte Strafe oder vorbeugende Maßnahme vollstreckt oder erlassen oder ihre file:///D|/web/Institut%20für%20Menschrechte/Alte%20Seite/docs/99_1/99_1_16.htm[03.03.2010 17:31:19] UVS Vorarlberg 1.) 1-0739/97 und 2.) 1-0300/98 Vollstreckung ganz oder teilweise ausgesetzt oder verjährt ist. Nach Auffassung des UVS Vorarlberg ist bei der Interpretation der Begriffe "strafbare Handlung", "Gericht" und "Aburteilung" in den vorerwähnten Übereinkommen grundsätzlich auf deren Bedeutung im internationalen bzw. europäischen Kontext abzustellen und nicht eine Beurteilung nach innerstaatlichem Recht vorzunehmen. Weiters sind nicht formale Verfahrensgesichtspunkte in den Vordergrund zu stellen, sondern eine materielle Betrachtungsweise. Nach std. Rspr. des EGMR ist auch das Verfahren nach dem österr. Verwaltungsstrafgesetz als Strafverfahren iSd. EMRK anzusehen. Dies legt eine ausdehnende Interpretation des Begriffes "strafbare Handlung" auch im Zusammenhang mit den erwähnten Abkommen nahe. Auch hinsichtlich des Begriffes "Gericht" ist nicht das Vorliegen der nach innerstaatlichem Verfassungsrecht maßgeblichen Kriterien erforderlich, sondern auf die im internationalen, insbesondere europäischen Bereich gestellten Anforderungen abzustellen. Die unabhängigen Verwaltungssenate, die gemäß Art 129a (1) Z. 1 B-VG für Verwaltungsstrafsachen zuständig sind, erfüllen diesen Gerichtsbegriff und stellen Tribunale iSv. Art 6 EMRK dar. Der UVS Vorarlberg kam daher in beiden Fällen zum Ergebnis, dass der Berufung Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war. Dr. Bernhard Röser UVS des Landes Vorarlberg Römerstr. 22, A-6900 Bregenz tel: 05574-48442-0 file:///D|/web/Institut%20für%20Menschrechte/Alte%20Seite/docs/99_1/99_1_16.htm[03.03.2010 17:31:19]