Peter Molyneux

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Peter Molyneux
Quelle: Galore 17, Dialog Verlag, April 2006
Peter Molyneux
Interview: Oliver Uschmann
Fotos: Sandra Waibl
15.12.2005, Guildford. Mit seinem wachen, konzentrierten und leicht verschmitzten Blick wirkt
Spiele-Designer Peter Molyneux wie ein Junge, der groß geworden ist und genau weiß, was er tut.
Bei Kaffee und Keksen präsentiert und erklärt er: mit Mappen, Bildschirm und ruhigem
Enthusiasmus.
Mr. Molyneux, Sie gelten als Erfinder der Göttersimulationen und komplexen
Aufbauspiele. Starten wir daher mit einer Frage, die Ihre Spielgestaltung prägt: Was
ist Macht?
Peter Molyneux: Macht ist die Möglichkeit, etwas zu kontrollieren. Einen Themenpark, einen
Dungeon, eine Person, eine Welt. Das Gefühl von Macht, das jeder Mensch erfahren will, ist etwas,
das ein Spiel Ihnen geben kann und das reale Leben nicht.
Sollten Sie das als einer der wichtigsten Spiele-Designer dieses Planeten nicht besser
wissen?
Hier greift der bekannte Spruch, dass große Macht große Verantwortung mit sich bringt.
Auf recht bizarre Weise fühlt es sich so an, dass ich heute weniger Macht habe als früher. Als
vollkommen unbekannter Einzelgänger war da niemand, der mich beobachtete und ständig
nachhakte, was Peter Molyneux und die Firma Lionhead denn gerade so treiben. Die Schritte, die
ich heute gehe, sind sicherer und weniger verwegen. Dennoch kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie
unglaublich es sich anfühlt, dass jemand wie ich in dieser Position gelandet ist.
Genießen Sie es, ein Prominenter der Szene zu sein?
Als ich das erste Mal um ein Autogramm gebeten wurde, dachte ich, der Mann muss scherzen.
Inzwischen werde ich am Flughafen von den Zollbeamten aufgehalten – jedoch nicht, um mein
Gepäck zu durchsuchen, sondern um mich nach meinem nächsten Spiel zu befragen. Das ist ein
komisches, tolles Gefühl, aber auch eines von massiver Verantwortung. Die Leute stellen mich auf
ein Podest, und diesem Anspruch gerecht zu werden, ist schwer. Zumal wir an der Schwelle zu
technischen Möglichkeiten stehen, die keinerlei Entschuldigungen der Marke „die Maschine ist halt
nicht stark genug“ mehr zulassen. Jedes Mal, wenn ich zu einer dieser Messen gehe, frage ich
mich, ob die Menschen bei meinem nächsten Spiel abwinken und sagen werden: Das ist nichts,
diesmal hat Peter sich vollkommen verrannt.
Wurden Sie bewusst Programmierer, um sich im Virtuellen einen Freiraum voller Macht
zu verschaffen?
Ich wurde Programmierer, weil ich nichts anderes konnte. In der Schulzeit litt ich unter Dyslexie
und konnte nicht mal vernünftig schreiben. Ich konnte nicht zeichnen, kein Instrument spielen.
Dann kamen die Computer auf und kaum, dass ich die ersten Knöpfe gedrückt hatte, wusste ich,
dass ich Programmierer werden musste. Das war meine Erweckung. Ich startete aber nicht als
Spiele-Programmierer, sondern erstellte zunächst Datenbanken und Abrechnungen. Es war reiner
Zufall, dass ich in eine Position kam, in der ich Spiele entwerfen konnte. Im Ernst: Wäre eine
gewisse Verkettung glücklicher Zufälle nicht genau so eingetreten, säße ich heute als kleiner
Programmierer in einer großen Firma.
Was genau tut eigentlich ein Spiele-Designer?
Zur Zeit meines ersten Spiels „Populous“ hatte ich noch einen Grafiker an meiner Seite und habe
sonst alles selbst gemacht. Heute hingegen ist die Spielewelt derart aufwändig, dass man diese
epischen Spiele niemals alleine programmieren könnte. Die Produktion eines großen Spieles kostet
im Schnitt um die 18 Millionen Euro, hier bei Lionhead sind wir 250 Personen. In der ersten Phase
entwerfe ich als Designer ein Konzept. Hier geht es darum, auf möglichst einfache Weise zu
kommunizieren, wovon das Spiel handelt; um die reine Idee. Die ersten Spezifika, die wir dann
gestalten, sind mechanischer, nicht visueller Art: Was passiert, wenn ich welche Knöpfe drücke?
Was sehe ich auf dem Schirm und woran erkenne ich Freund und Feind? Selbst, wenn es dann
konkreter wird, sagen wir nicht „da und da will ich einen Baum“, sondern umschreiben den
Grafikern, wie sich die Welt, die wir erdenken, anfühlen soll. In der Produktion selbst wird das
Konzept mit konkreten Landschaften und Inhalten gefüllt. Und am Ende kommt der Final Cut:
reduzieren, kürzen, straffen, überarbeiten.
Klingt, als habe das Team große Freiheiten.
Spieldesign ist Teamarbeit, ja. Ein Spiel hat allein vier sogenannte ‚Vision-Holder’, von denen ich
einer bin. Mein Beruf ist am ehesten mit dem des Filmregisseurs zu vergleichen. Das Wichtigste,
was ein Designer beherrschen muss, sind Kommunikation und Inspiration.
Im Videospielgeschäft bestimmen harte Deadlines das Bild. Am schlimmsten soll die
sogenannte ‚Crunch Time’ sein, sprich: die drei Monate vor einer neuen
Veröffentlichung. Haben Sie trotz größerer Aufgabenteilung nach wie vor so hohe
Arbeitsanforderungen?
Vor zehn Wochen hätten Sie mich in solch einer Crunch Time vorgefunden. Da arbeitete ich jeden
Tag von zehn Uhr morgens bis ein Uhr nachts.
Gibt es in derlei Hochphasen der Produktion Momente, in denen selbst einem ruhigen,
besonnenen Menschen wie Ihnen der Kragen platzt?
Oft kralle ich mich an den Tisch und will nur noch aufstehen und schreien. Ich habe nicht bloß
einmal abgewogen, ob ich aus diesem Fenster dort springen sollte. (lacht) Aber ich habe gelernt,
dass Ausrasten nirgendwo hinführt. Es bringt nichts, wenn ausgerechnet ich als Ideen-Geber
meine Fassung verliere.
Sie selbst balancieren zwischen Familienleben und Lionhead. Ihre Crew dagegen
scheint größtenteils aus sehr jungen, männlichen Freaks zu bestehen.
Sagen wir so: Der archetypisch beste Programmierer, Animator oder Designer ist nicht unbedingt
ein soziales Wesen und hat definitiv keine Freundin. Das sind Menschen mit einem gigantischen
Arbeitsethos, wahnsinnig fokussiert. Dieser Fokus verrutscht zwangsläufig, sobald Sie zum ersten
Mal eine Frau anspricht. Später kommt er dann zum Glück wieder.
Verraten Sie uns Ihr persönliches Lieblingsspiel?
Das künstlerischste und schönste Spiel, das jemals gemacht wurde, ist eine japanische Produktion
namens „Ico“. Leider hatte es keinen großen Erfolg. Man muss als kleiner Junge einem Mädchen
bei der Flucht aus einem Schloss helfen und kann selbst alles, während sie nur hilflos hinterher
tapst. Zu Anfang will man sie erschlagen, aber dann wächst sie einem ans Herz, weil man sich
eben um sie kümmern muss. Das Spiel ist in Sachen Artwork, Musik und Dramatik ein
Gesamtkunstwerk, hat den tollsten Schlussakt, den ich je gesehen habe, und ist hochemotional.
Ich habe am Ende geweint.
Ihre eigenen Kreationen lassen dem Spieler in der Regel die Freiheit, ein guter oder ein
böser Gott zu sein; ein skrupellos kommerzieller Studiochef oder ein Künstler; ein
hilfreicher oder ein egoistischer Charakter. Darf man sie als
Selbsterfahrungsprogramme bezeichnen?
Allein ihr Entwurf ist schon eine sehr persönliche Sache. Ich frage mich, was ich selber so gerne
spielen würde, dass ich bereit wäre, zwei bis vier Jahre daran zu arbeiten, um es zu erschaffen.
„The Movies“ (1) etwa entstand dadurch, dass ich um fünf Uhr morgens aufschreckte und mich
fragte: Wäre es nicht cool, selber ein Filmstudio zu gründen? In solchen Momenten erwächst
Design. Und richtig: Mich faszinieren Größen wie Moral, Macht und Verantwortung. Es geht darum,
dass Macht Konsequenzen hat. Das Spiel wird nicht abstürzen oder stoppen, wenn du etwas
Schlimmes tust – aber es wird sich aufgrund deiner Handlungen verändern.
Wie spielen Sie selbst ein Spiel wie „Black & White“?
Im Optimalfall spiegelt so ein Spiel beide Seiten einer Person. Den wahren, guten Kern und den
Stinkstiefel, der man im Alltag sein kann. Erwischen Sie mich mal vor meinem ersten Kaffee!
(lacht) Als wir „Black & White“ und „Fable“ entwarfen, glaubten wir, die allermeisten Menschen
würden diese Chance nutzen, um im Spiel endlich mal gemeiner zu sein als sie es in ihrem Alltag
sein dürfen. Das Gegenteil ist der Fall: 80 Prozent der Leute empfinden die unbedingte
Notwendigkeit, einwandfrei moralisch zu handeln. Was mich zu dem Schluss bringt, dass das Gros
der Menschen auf diesem Planeten an sich sehr liebenswürdig sein muss und es nur der moderne
Alltag ist, der uns unangenehm macht.
Gibt es Erkenntnisse darüber, ob Ihre Spiele je nach Geschlecht oder Kultur anders
gespielt werden? Spielen Frauen anders als Männer? Japaner anders als Deutsche?
Eine wirklich interessante Frage. (überlegt) Bei den Testvorführungen zu „Black & White“ geschah
etwas, das mich in der Tat geschockt hat. Wir fragten die Zuseher: „Wie sollen wir Ihnen das
vorspielen? Sollen wir gut oder böse sein?“ Die Amerikaner sagten einheitlich: Sei gut. In Europa
hieß es: Zeig uns die dunkle Seite. Ich hätte geschworen, es sei andersrum, da Amerikaner von
Waffen und Filmen übers Töten besessen sind. Ein Psychologe erklärte mir dann, dass es in der
US-Gesellschaft ein Frevel wäre, wenn jemand öffentlich sein Interesse an der dunklen Seite
bekundet hätte. Da sind die Europäer in Bezug auf ihre Moral ehrlicher und experimentieren gerne
mit dem Bösen herum. Amerikaner fühlen sich dabei schuldig.
Das erinnert an die Kompensationsthese: Diejenigen, die ihre gewalttätigen Triebe
virtuell ausleben, handeln real eher friedlich – und umgekehrt.
Nehmen Sie nur die japanische Kultur: Einige Mangas haben einen Grad von Brutalität, den man
nicht mehr fassen kann. Aber die Kriminalitätsrate ist niedrig, es scheint, als lebten sie alles in der
Phantasie aus. In den USA dagegen wird alles, was mit Nacktheit und Sex zu tun hat, absolut
unterdrückt. Wer das zeigt, ist schon mit dem Teufel im Bunde – und zwar auf eine Weise, die kein
realer Gewaltakt jemals toppen könnte.
In „Black & White 2“ haben Sie zwei innere Stimmen konstruiert: gutes und schlechtes
Gewissen, Teufel und Engel. Während man sich später oft und gerne gegen den Teufel
entscheidet, folgt man im Tutorial-Modus noch dessen Anweisungen, weil man denkt,
man müsse das Aufbauen von Armeen wenigstens einmal lernen. Dabei gibt es selbst
zu diesem Zeitpunkt schon die Möglichkeit, den friedlichen Weg zu gehen.
Richtig, diese beiden Figuren sind niemals Autoritäten, sondern Repräsentationen eines
Bewusstseins. Sie lehren, eine Balance zu halten.
Dann sind Ihre Spiele auch Trainingsprogramme in selbständigem Denken?
Einige Universitäten in den USA benutzen „Black & White“ sogar als moralische Schulung.
Reißt man im Spiel einen Baum aus, bewertet das Programm dies als böse. Nutzt man
ihn allerdings, um Häuser zu bauen, so ist das wieder gut. Steckt in Ihnen am Ende ein
alter Hippie, der über dieses Paradoxon nicht hinweg kommt?
Wir haben jeden einzelnen moralischen Aspekt lange diskutiert, und der Akt der Entwaldung ist
nun mal böse. Machst du es für den Häuserbau, ist es nur ein wenig böse. Da ist sicher ein Grad
von Hippietum vorhanden. Interessant ist doch: Bis heute hält sich als klassisches Bild die
idyllische Landschaftsszene mit Bauernhof und ruhig daliegendem See. Aber genau diese Natur
haben wir ausgebeutet.
Um sie in Filmen und Spielen wieder auferstehen zu lassen?
Genau. Und an dieser Stelle kommt man beim Spielemachen auf nahezu bizarre Gedanken.
Plötzlich fragt man sich, ob es nicht schlimmer ist, einen Baum zu fällen als einen Menschen zu
ermorden. Der Baum hat bis zum Vollwuchs mindestens 50 Jahre gebraucht, ein Mensch ist
schneller fertig. Obskurer Gedanke, aber er kommt einem.
Wäre die echte Welt, so wie sie sich uns jetzt präsentiert, ein Spiel: Was würden Sie
dem Spieler mit auf den Weg geben?
Ich würde sagen, dass sie sicherer und zugleich matter wird. Moralisch sanfter, aber auch
gleichförmiger. Alles bekommt dieselbe Farbe. Jeder will das Ende von Kriminalität und Kriegen.
Jeder will glücklich sein. Wir errichten gerade eine sehr sichere Welt, die es jedem Recht machen
will. Aber dadurch gehen Einzigartigkeiten verloren; Extreme, die das menschliche Potenzial
aufzeigen können.
Sie spielen auf den sogenannten Kulturimperialismus an?
Nennen wir es kulturelle Globalisierung. Die Amerikanisierung der Welt. Sie geschieht
offensichtlich, wenn weltweit McDonalds-Filialen eröffnen und weniger offensichtlich, wenn man
sich klar macht, dass wir unsere moralischen Richtlinien größtenteils aus Film und Fernsehen
beziehen. Und deren Produktionen sind zum Großteil amerikanisch. Ich denke, dass die Welt alles
in allem netter ist als je zuvor. Ich verbrachte die 60er noch in dem Bewusstsein, jeden Moment
könne ein Irrer den roten Knopf drücken und uns alle auslöschen. Das gibt es nicht mehr. Da wir
die dunkle Seite allerdings lieben, suchen wir uns neue Dinge, vor denen wir Angst haben können:
den Einschlag eines Meteors, die globale Erwärmung, den Terror. Wir brauchen diese dunkle Seite.
Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann hat die Kunst als ein System definiert, dessen
Funktion darin besteht, uns die Zufälligkeit der Welt bewusst zu machen; uns vor
Augen zu führen, dass jedem Weg unendlich viele Alternativen gegenüber stehen.
Nach dieser Definition wären Videospiele die höchste aller Künste.
Sie sind sogar speziell dafür designt, das zu liefern. Natürlich sind manche Spiele wie
Hollywoodfilme und verlaufen nach linearen Parametern, die keine Experimente zulassen. Es gibt
aber auch Filme, nach denen man sich noch lange Gedanken macht. Wir als Industrie realisieren
gerade erst, was wir alles erschaffen können.
Sie haben einmal erwähnt, Sie würden sich sofort einer Gehirnoperation unterziehen,
wenn es möglich wäre, die virtuelle Realität eines Spieles dadurch direkt ins Hirn zu
zaubern.
Das muss ich korrigieren: Ich würde es nämlich bereits bei einer Chance von 1:100 tun. Stellen Sie
sich vor, was das bedeuten würde! Ich wäre mein eigener Game-Designer und könnte mir die Welt
selbst erschaffen. Das wäre, als hätte man Picasso oder Rembrandt die Möglichkeit eröffnet,
mittels einer Pille die Betrachter ihrer Bilder mitten in deren Welt zu schicken; sie exakt so zu
erleben, wie sie es sich gedacht haben. So viel heute auch möglich ist: Die Barriere, die durch
Maus, Bildschirm und Tastatur zwischen mir und dem Spiel steht, löst noch immer eine Diskrepanz
aus zwischen der ursprünglichen Vision eines Spieles und der Form, in die es notwendigerweise
gebracht werden muss.
Wäre es nicht auch umgekehrt sinnvoll? Die Inspiration aus einem Spiel ins Leben zu
transferieren und in der Realität endlich mal Dinge zu wagen, die man sonst niemals
macht?
Sinnvoll vielleicht. Aber im Unterschied zum Spiel erfordern im echten Leben selbst einfache
Entscheidungen größte Courage. Einen Berg zu besteigen, einen Spaziergang an Orte zu machen,
die man noch nicht kennt: So etwas fällt leichter, wenn man 20 ist. Danach wird es kontinuierlich
härter.
Wo wir eben bei Manipulationen am Gehirn waren: Die Künstliche Intelligenz ist nicht
zuletzt in der Spiele-Entwicklung ein großes Thema. Gibt es für Sie ethische Grenzen,
was diesen Forschungszweig betrifft?
Es existieren sicher moralische Fragen, doch die Geschichte hat uns bewiesen, dass die
Unterdrückung von Fortschritt nicht funktioniert. Wir können ihn höchstens verzögern, nicht
verhindern. Die Genforschung mag in zahlreichen Ländern verboten oder eingeschränkt sein, doch
selbst die werden später die Ergebnisse der anderen Länder mitnutzen. Als Darwin seine
Evolutionstheorie vorbrachte, versuchte die britische Gesellschaft alles, um sie zu unterdrücken.
Ohne Erfolg. Ich selbst habe einige Ideen zur Künstlichen Intelligenz. Was wäre, wenn wir
innerhalb des PCs eine Intelligenz erschaffen, die alle unsere Bedürfnisse befriedigt und auf
sämtliche Umweltbedingungen genauso reagiert wie wir? Wäre das ethisch vertretbar?
Die alte Frage aus „Star Trek“: Ist ein künstliches Wesen eine Person? Hat es oder sie
Rechte?
Was uns wiederum zur ebenso fundamentalen Frage bringt, ob es ein Mysterium um unsere
Person gibt. Gibt es eine ätherische Kraft, die unsere Seele ausmacht und die eine Maschine nie
haben kann? Wir müssen einfach glauben, dass wir speziell sind. Aber in Wirklichkeit sind wir
längst auf dem Weg, den Charakteren in unseren Spielen bewusst zu machen, dass sie ebenfalls
etwas Besonderes repräsentieren – und zwar auf gleiche Weise, wie wir das von uns glauben.
Käme uns etwas in dieser Art gleich, hätte es zwangsläufig dieselben Rechte wie wir. Damit
werden wir uns abfinden müssen.
Haben Sie persönlich einen Glauben?
Ich glaube, dass Religion selbst die Welt verändert hat; nicht unbedingt, dass die von ihr
angesprochene Macht existiert. Es ist Teil unserer evolutionären Ausstattung, an irgendwas zu
glauben. Moral und Religion haben dazu geführt, dass wir Menschen heute keine Barbaren sind
und einigermaßen miteinander auskommen.
Wobei gerade im Namen der Religion die größte Barbarei stattfand.
Hinter allen im Namen der Religion geführten Kriegen standen konkrete Personen mit konkreten
Interessen. Als im Mittelalter die Kreuzzügler auszogen und Tausende von Menschen töteten,
stand dahinter ein König, der seinen Wohlstand ausweiten wollte. Religion wird als Vorwand
benutzt. Es gibt keinen Gott, der Morde befiehlt.
Derzeit arbeiten Sie an „Dimitri“, einer Lebenssimulation, in der man ein komplettes
Leben leben und einen Charakter dementsprechend bilden kann. Wenn Sie Ihr Leben
noch einmal spielen könnten: Es wäre nicht viel anders verlaufen, oder?
Ich kann mich in keiner Weise beschweren. Mein Leben war die unglaublichste Reise, und es wird
von Tag zu Tag erstaunlicher. Obwohl: Es gab da auch die ersten 30 Jahre. Sie müssen sich
vorstellen: Bis ich 18 wurde, hatte ich nicht mal mit einer Frau gesprochen. Ich dachte, das
weibliche Geschlecht lacht mich ohnehin nur aus. Die Schule empfand ich als reinen Kampf. Jetzt
erlebe ich bei Probanden, denen wir die Möglichkeit geben, in einem Spiel ihr Leben noch mal
leben zu können, dass sie sofort ins andere Extrem kippen: Die zartesten Personen werden die
unfassbarsten Rohlinge, da sie ihren Missmut in der Realität nie ausleben durften. Hätten wir im
echten Leben diese Möglichkeit, die Welt wäre ein verdammt chaotischer Ort.
Zitate:
„Der archetypisch beste Programmierer, Animator oder Designer ist nicht unbedingt ein soziales
Wesen und hat definitiv keine Freundin.“
„Es geht darum, dass Macht Konsequenzen hat: Das Spiel wird nicht abstürzen, wenn du etwas
Schlimmes tust – aber es wird sich aufgrund deiner Handlungen verändern.“
„Europäer sind in Bezug auf ihre Moral ehrlicher und experimentieren gerne mit dem Bösen herum.
Amerikaner fühlen sich dabei schuldig.“
Zur Person
Der 1960 geborene Peter Molyneux programmierte in den 80ern Management-Software, bevor ihn
der Amiga zum Spieldesign und schließlich zur Gründung der Firma Bullfrog bewog. 1987
revolutionierte der Brite mit der Göttersimulation „Populous“ das Genre; mit „Syndicate“ oder
„Dungeon Keeper“ folgten weitere Spiele, die sich explizit den Fragen von Macht und Moral
widmeten. 1997 gründete Molyneux die Lionhead Studios und erhielt 2005 den Orden des British
Empire für seine Verdienste in der Videospiel-Industrie. Kürzlich wurde bekannt, dass Lionhead nur
noch die Fortsetzung von „Fable“ sowie ein weiteres Next-Generation-Projekt fertig stellen wird. 50
der 250 Mitarbeiter sollen entlassen werden.
(1) „The Movies“
In dieser Mischung aus Wirtschaftssimulation und Kreativprogramm für Hobby-Regisseure muss
der Spieler aus dem Nichts ein Filmstudio aufbauen, Bedienstete und Stars verpflichten und sich in
Hollywood einen Namen machen. Abgesehen von den typischen Managementaufgaben besteht der
Witz des Spieles vor allem in den Launen der Stars und Sternchen sowie im Kreativmodus, der es
einem ermöglicht, eigene Filme zu drehen. Wenn Stars plötzlich höhere Gagen verlangen, sich zur
Schönheits-OP unters Messer legen oder sich vom Neid auf Kollegen von der Arbeit ablenken
lassen, ist nicht nur einmal mehr das Element der selbstständigen Spielbevölkerung, sondern auch
eine gehörige Portion Satire geboten.
The Room
Rein für den firmeninternen Gebrauch hat Peter Molyneux ein Programm namens „The Room“
entwickelt, das in der Branche für Aufsehen gesorgt hat. Darin kann jeder seine Welt so gestalten,
wie er will. „’The Room’ eröffnet nicht bloß Programmierern, sondern jedem im Haus die
Möglichkeit, endlos mit Ideen herumzuspielen.“ Im Ausgangszimmer finden sich ein Kamin, eine
Lampe sowie zwei Spiegel. Per Klick spuckt der Kamin einen Klumpen Knete aus, den man formen
kann. Nimmt die Form Ähnlichkeiten von denkbaren Objekten wie Stuhl, Tisch, Couch, etc. an,
wird das Knetmodell vom Programm durch ein Polygonmodell ersetzt. Die Möglichkeiten sind
gigantisch, die grafische Qualität beeindruckend.
Spielografie (Auszug)
Populous (1987)
Powermonger (1993)
Syndicate (1993)
Theme Park (1994)
Magic Carpet (1994)
Dungeon Keeper (1997)
Black & White (2001)
Fable (2005)
Black & White 2 (2005)
The Movies (2005)