abstract - Gesundheit - Berner Fachhochschule
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ABSTRACT Die gesellschaftliche Debatte zum jugendlichen Pornografiekonsum wird sowohl in der Berichterstattung der Medien dokumentiert, als auch von dieser beeinflusst. Dabei wird gerne auf den plakativen Begriff „Generation Porno“ zurückgegriffen. Die neuen Medien ermöglichen die Vervielfältigung, Verbreitung und einen beinahe ungehinderten Zugang zu sexuellen Darstellungen von grosser Bandbreite. Insbesondere Jugendliche als fleissige MediennutzerInnen werden daher gewollt oder ungewollt mit allen möglichen pornografischen Inhalten konfrontiert. Inwiefern Inhalte als pornografisch definiert werden, hängt vom Zugang, respektive der jeweiligen sexuellen Sozialisation ab. Thematisiert wird der jugendliche Pornografiekonsum vor allem im Zusammenhang mit möglichen negativen Auswirkungen und Konsequenzen auf die sexuelle Entwicklung. Aktuelle Forschungen zeigen, dass der Fähigkeit zur Differenzierung zwischen pornografischer Fiktion und real gelebter Sexualität – also der Einschätzung des Realitätsgehalts pornografischer Darstellungen – eine Schlüsselfunktion zukommt. Ziel unserer Arbeit sind sowohl ein differenzierter Blick auf das Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums, als auch die Dokumentation und Diskussion der Suchbewegung nach professionellem Umgang in der Praxis Sozialer Arbeit. Es wird aufgezeigt, dass Jugendschutz nicht lediglich über strafrechtliche Bestimmungen und durch Einsatz von Technik gelöst werden kann. Weiter wird diskutiert, welche Art der Begleitung Jugendliche durch erwachsene Bezugspersonen allenfalls benötigen, respektive unter welchen Bedingungen Unterstützung angezeigt ist. In der Folge wird der Rollenklärung der Sozialen Arbeit im Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum nachgegangen. Ebenso wird nach Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme gefragt sowie denkbare Formen der Ausgestaltung dargelegt. SozialarbeiterInnen, SexualpädagogInnen, politische AkteurInnen sowie weitere erwachsene Bezugspersonen Jugendlicher diskutieren neue alters- und entwicklungsgerechte Ansätze. Die Umsetzung wirft Fragen auf verschiedenen Ebenen auf: Während Fachkreise die Ausarbeitung geeigneter Settings, Methoden und Techniken angehen, wird auf breiterer gesellschaftlicher Ebene vor allem aus moralisch-ethischer Perspektive die Praxistauglichkeit diskutiert. Insbesondere das Zeigen sexueller Praxis polarisiert. Die Idee eines Sexuallehrfilms für SchülerInnen sowie weitere neue Ansätze, die in unserer Arbeit genannt werden, zielen auf die Erlangung und/oder Förderung einer spezifischen Medienkompetenz im Umgang mit pornografischem Material ab. Handlungsleitende Zielsetzung ist dabei – gemäss aktuellem Fachdiskurs – die Befähigung Jugendlicher zu einem selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Sexualität. Generation Porno?! Rollenklärung und Konsequenzen für die Praxis der Sozialen Arbeit Bachelor-Thesis zum Erwerb des Bachelor-Diploms in Sozialer Arbeit Berner Fachhochschule Fachbereich Soziale Arbeit Vorgelegt von Isabelle Beetschen Julia Rogger Bern, Dezember 2010 Die BA-Thesis wurde für die Publikation formal überarbeitet aber im Inhalt nicht geändert. Gutachter: Prof. Salvatore Cruceli INHALTSVERZEICHNIS Abstract .................................................................................................. 1 Inhaltsverzeichnis ..................................................................................... 5 Vorwort ................................................................................................... 8 1. Einleitung ...................................................................................... 10 1.1 Themenwahl................................................................................ 10 1.2 Fragestellung und Aufbau der Arbeit ............................................... 10 1.2.1 Von den Hypothesen zur Fragestellung ...................................... 10 1.2.2 Gliederung............................................................................. 11 1.3 Einbettung in einen theoretischen Bezugsrahmen ............................. 11 1.4 Einbettung in die Forschung .......................................................... 12 1.4.1 2. Methodenwahl ........................................................................ 12 Sexualität ...................................................................................... 13 2.1 3. Verständnis / Sinnkomponenten ..................................................... 13 Jugend und Adoleszenz.................................................................... 14 3.1 Körperliche Entwicklung / Pubertät ................................................. 15 3.2 Kognitive Entwicklung ................................................................... 15 3.3 Zwischenmenschliche Beziehungen ................................................. 16 4. Sexuelle Entwicklung und sexuelle Identität........................................ 16 4.1 Sexuelle Skripte........................................................................... 17 4.2 Identität / sexuelle Identität .......................................................... 19 5. Pornografie .................................................................................... 22 5.1 Definition / Differenzierung............................................................ 22 5.2 Pornografien – Diversifikation des Materials ..................................... 27 5.3 Porno Chic - Bilder in und aus der Pornografie .................................. 28 5.3.1 Begriffsklärung ....................................................................... 28 5.3.2 Die besondere Betonung der Frau ............................................. 29 5.3.3 Heilige oder Hure – Konflikt für beide Geschlechter ..................... 32 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 5 5.4 Gesellschaftliche Dimension ........................................................... 33 5.4.1 Diskussion – Emotionen vs. Sachlichkeit .................................... 33 5.4.2 Meinungsbildung: Die Rolle der Medien ...................................... 35 5.4.3 Der Umgang mit Pornografie – eine Generationenfrage?............... 36 5.4.4 Gesellschaftliche Veränderungsprozesse .................................... 37 5.4.5 Die wirtschaftliche Bedeutung der Pornografie ............................ 38 5.5 Recht ......................................................................................... 40 5.5.1 Tatbestand, Tatobjekte und TäterInnen ..................................... 40 5.5.2 Zum Strafgesetzbuchartikel und der Absicht der Gesetzgebung ..... 41 5.5.3 Anzeigepflicht im Strafverfahren ............................................... 43 5.5.4 Jugendschutz im Internet ........................................................ 43 6. Umgang Jugendlicher mit Pornografie ................................................ 46 6.1 Nutzung ..................................................................................... 47 6.2 Auswirkungen des Pornografie-Konsums ......................................... 49 6.2.1 Habitualisierungsthese ............................................................ 50 6.2.2 Sozial-kognitive Lerntheorie ..................................................... 51 6.2.3 Theorie der Exemplifikation ...................................................... 51 6.2.4 Theorie des sozialen Vergleichs ................................................ 51 6.2.5 Kultivierungsthese .................................................................. 52 6.2.6 Pornografiekonsum und Aggressivität / sexuelle Gewalt ............... 52 6.3 7. Auswirkungen auf Jugendliche ....................................................... 52 Professioneller Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum ............... 60 7.1 Auftrag / Rolle der Sozialen Arbeit .................................................. 60 7.1.1 Bedarf .................................................................................. 62 7.1.2 Auftragsklärung, Vernetzung und Abgrenzung ............................ 63 7.2 Anschlusskommunikation .............................................................. 65 7.2.1 Haltung ................................................................................. 66 7.2.2 Gestaltung der Kommunikation................................................. 68 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 6 7.3 8. Medien- und Pornokompetenz – Erweiterte Aufklärung ...................... 73 Diskussion und Schlussfolgerungen ................................................... 78 8.1 Gesellschaftlicher Kontext ............................................................. 78 8.2 Ausgewählte Erkenntnisse zu den Fragestellungen ............................ 79 8.2.1 8.3 Fragen zur Praxistauglichkeit der vorgestellten Ansätze................ 84 Abschliessende Gedanken ............................................................. 85 Quellennachweis ..................................................................................... 87 Abbildungen ........................................................................................ 94 Anhang ................................................................................................. 95 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 7 VORWORT Mit besonderem Fokus auf die Jugend ist das Thema „Sexualisierung der Gesellschaft“ durch Pornografiekonsum aktuell in den Medien vertreten. Dabei wird mehrheitlich sehr plakativ und wenig differenziert berichtet. Ein besorgniserregendes Bild der Jugend wird gezeichnet. Oft scheint gänzlich vergessen zu gehen, dass eben dieselbe Erwachsenengesellschaft, die sich um Jugendliche sorgt und von der „Generation Porno“ spricht, Produzent und Konsument des pornografischen Materials ist. Jugendliche nutzen also ein Angebot, dass vorhanden ist, ja bereitgestellt wurde, um genutzt werden zu können – wann, wie, wo und von wem auch immer! Fachleute verschiedener Disziplinen wie (Sexual-)Pädagogik, Psychologie und Soziologie sind sich einig darüber, dass in der Gesellschaft ein vermehrter Pornografie-Konsum erfolgt. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, welche Konsequenzen daraus folgen und wie weitreichend diese individuell und gesellschaftlich sind. Die neuen Medien, allen voran das Internet, spielen bei der massenhaften Verbreitung pornografischen Materials und dessen vermehrten Konsums durch einfachen Zugang eine entscheidende Rolle. Sie stellen die massgeblichen Vermittlungskanäle dar. Im world wide web kann auf die gesamte Bandbreite legaler und illegaler Pornografie zugegriffen werden; schnell gerät man mit einem Mausklick auf Inhalte, die interessieren, ebenso rasch aber auch auf solche, die schockieren. Insbesondere Jugendliche als fleissige MediennutzerInnen werden daher gewollt oder ungewollt mit allen möglichen pornografischen Inhalten konfrontiert. Ziel unserer Arbeit ist einerseits, Lesenden einen differenzierten Blick auf das Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums zu ermöglichen, andererseits das Dokumentieren und Diskutieren der Suchbewegung nach professionellem Umgang in der Praxis Sozialer Arbeit. Wir danken Herrn Prof. Salvatore Cruceli für die anregende fachliche Begleitung, den vier beherzten Mädchen, die unseren Interviewfragen so offen begegnet sind, Herrn Marco Hort, für Ermutigung und Vernetzungshilfe sowie allen anderen Personen, die uns in der Zeit des Verfassen der vorliegenden Arbeit motivierend begleitet haben und uns mit Geduld begegnet sind. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 8 Wann immer möglich, haben wir uns für geschlechterneutrale und/oder geschlechtergerechte Formulierungen entschieden; wo nötig, wurden spezifische Ausdrücke verwendet. Der Begriff „Pornografie“ wird (ausser in Zitaten), in dieser Schreibweise verwendet. Der Kurzbegriff „Porno“ als solcher oder in Wortkombinationen wird dann benutzt, wenn dies der jeweiligen Ausdrucksweise entspricht 1 . 1 Jugendliche benutzen beispielsweise die Wendung „voll porno“, nicht aber „voll pornografie“ oder dergleichen; es wird vom „Pornobusiness“, der „Pornoindustrie“, „Pornoproduzenten“ oder auch von „Pornostars“, „Pornodarstellern“ gesprochen. Weitere solche Begriffe sind: „Pornofilm“, „Softpornos“, „Porno-Rapper“, „Pornokompetenz“, „Porno Chic“, „Pornokultur“, „Pornosex“, „pornotypisch“, etc. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 9 1. EINLEITUNG 1.1 THEMENWAHL Im Rahmen von Ausbildungspraktika in der Jugendarbeit ist uns die Bedeutung des Themas jugendlichen Pornografiekonsums, dessen möglichen Folgen und der Suchbewegung nach professionellem Handeln in der Sozialen Arbeit, bewusst geworden. Dabei stellten sich uns die folgenden Fragen: Wie gehen SozialarbeiterInnen im professionellen Umfeld mit dem Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums um? Welche Kriterien sollten dabei beachtet werden? Welche Umstände sind förderlich, beziehungsweise hinderlich? Gibt es überhaupt verlässliche Antworten zu diesen Fragen? 1.2 FRAGESTELLUNG UND AUFBAU DER ARBEIT 1.2.1 VON DEN HYPOTHESEN ZUR FRAGESTELLUNG Aus unseren eigenen Praxiserfahrungen schliessen wir, dass der Sozialen Arbeit eine Rolle bezüglich gelingender (sexueller) Entwicklung Jugendlicher zukommt. Weiter gehen wir davon aus, dass Soziale Arbeit Jugendlichen im Umgang mit Pornografie Unterstützung bieten sollte. Eine Verhinderung der Konfrontation mit Pornografie ist weder faktisch durchsetzbar, noch erstrebenswert. Eine abschirmend-behütende, wertend-ablehnende, ja gar sanktionierende Haltung scheint uns kein geeigneter Zugang zu sein. Hingegen verspricht nach unserer Einschätzung ein akzeptierender, verständnisorientierter und fachlich kompetenter – wenn auch nicht gänzlich wertfreier – Ansatz Nachhaltigkeit. Diese Arbeit geht der Frage nach der geeigneten Form des Begleitens und allenfalls Schützens nach. Wir beziehen uns auf den Berufskodex der Sozialen Arbeit Schweiz, wonach Selbstbestimmung, Emanzipation und Empowerment an verschiedenen Stellen (Grundsätze, Grundwerte, beziehungsweise Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit) beschrieben werden (AvenirSocial, 2010, S. 4-9). Auch in der Begleitung Jugendlicher in ihrer (sexuellen) Entwicklung erachten wir die genannten drei Handlungsmaximen als unentbehrlich. Aus diesen Hypothesen ergeben sich die folgenden Teilfragen: • Welches Verständnis von Sexualität können wir sinnvollerweise unserer Arbeit zugrunde legen? Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 10 • Wie definieren wir Pornografie als wissenschaftlich zu untersuchenden Gegenstand? • Wie und weshalb nutzen Jugendliche pornografisches Material? Welche Auswirkungen lassen sich unter besonderer Berücksichtigung der sexuellen Entwicklung gemäss aktuellem Forschungsstand konstatieren? • Welche Rolle kommt der Sozialen Arbeit im Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum zu? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme? 1.2.2 GLIEDERUNG Wir klären zuerst das für unsere Arbeit geeignete Verständnis von Sexualität und leiten dann zur sexuellen Entwicklung (Jugendlicher) über. In der Folge beleuchten wir den Gegenstand der Pornografie aus verschiedenen Blickwinkeln, um anschliessend auf die Nutzung pornografischen Materials und mögliche Auswirkungen auf Jugendliche zu sprechen zu kommen. Es folgen Möglichkeiten des professionellen Pornografiekonsums. Umgangs Abschliessend mit dem erfolgen Phänomen eine jugendlichen Diskussion und Schlussfolgerungen zu den jeweiligen Ergebnissen. 1.3 EINBETTUNG IN EINEN THEORETISCHEN BEZUGSRAHMEN Die Soziale Arbeit stützt sich traditionellerweise auf verschiedene Bezugswissenschaften wie Pädagogik, Psychologie, Recht, Soziologie und weitere mehr. Die verschiedenen Bezüge, unter anderem zur sexuellen Entwicklung Jugendlicher, Mediennutzung und handlungstheoretischen Ansätzen der Sozialen Arbeit verlangen nach einem interdisziplinären Zugang. Auf diesem Hintergrund haben wir die Recherche für die vorliegende Arbeit durchgeführt. Einzelne Studien und/oder Werke gründen auf interdisziplinären Ansätzen, wo dies nicht der Fall war, haben wir diverse Blickwinkel und Zugänge zu berücksichtigen versucht. Uns entsprechen der lebensweltorientierte Zugang nach Thiersch sowie die traditionellen Handlungsmaximen nach Addams und Salomon (Humanistisches Menschenbild, Hilfe zur Selbsthilfe, Anfangen wo der/die KlientIn steht, etc.). An Müllers Ansatz schätzen wir die Multiperspektive. Dabei inspiriert uns die dahinterliegende Idee des Einnehmens verschiedener Blickwinkel, was unserer Ansicht nach einer differenzierten Meinungsbildung dient. Des Weiteren orientieren wir uns an Freires Prinzip der Bewusstseinsbildung. Dieser Zugang Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 11 scheint uns im Zusammenhang mit der Thematik jugendlichen Pornografiekonsums besonders geeignet. Zudem liefert sie eine Art „Gegenstück“ auf Klientenseite zur obenerwähnten differenzierten Meinungsbildung auf SozialarbeiterInnenseite. 1.4 EINBETTUNG IN DIE FORSCHUNG Die Ursprünge der Pornografieforschung sind in den USA zu verorten. Im deutschsprachigen Raum hat die Thematik bisher weniger Aufmerksamkeit erfahren, wobei sich interessierte WissenschaftlerInnen immer wieder auf dieselben, zeitlich etwas länger zurückliegenden, aber nach wie vor aktuellen Untersuchungen stützen. Resultate liegen zur Nutzung (Gründe, Häufigkeit, etc.) sowie zu den Auswirkungen von Pornografie vor. Die in dieser Arbeit berücksichtigten psychologischen Forschungen beziehen sich auf die Wirkung von Medien. Dies wurde mit den Methoden der qualitativen und quantitativen Befragung sowie mittels psychophysiologischen 2 Messungen erforscht. 1.4.1 METHODENWAHL Entgegen unserem wissenschaftlich ursprünglichen verwertbaren Wunsch, empirischen Teil mussten wir auf dieser Arbeit einen verzichten. Einerseits waren uns klare zeitliche Grenzen gesetzt. Andererseits hätten Setting und allfällige Ergebnisse einer von uns durchgeführten Untersuchung wissenschaftlichen Standards nicht genügt. Es liegt in der Natur der Thematik, dass bei Befragungen die Gefahr von Verzerrung durch sozial erwünschtes Beantworten besonders gross ist. Deshalb entschlossen wir uns zur Konzentration auf bereits vorhandenes Forschungsmaterial sowie auf das Studium von Fachliteratur. Nichts desto trotz haben wir ein Gruppeninterview mit vier Mädchen geführt und transkribiert. Dieses verwenden wir nun im Anhang zur Illustration unserer Arbeit. 2 Anhand Körperfunktionen werden psychische Abläufe abgebildet. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 12 2. SEXUALITÄT 2.1 VERSTÄNDNIS / SINNKOMPONENTEN Wir werden in diesem Abschnitt nicht den Versuch wagen, Sexualität zu definieren. Es soll nicht darum gehen aufzuzeigen, was Sexualität alles sein kann, respektive was alles sie beinhaltet. Ziel ist es vielmehr, ein ausgewähltes Verständnis von Sexualität zu vermitteln, von dem aus wir unsere weitere Herangehensweise an das gewählte Thema „Generation Porno?“ als passend erachten. Sexualität soll im Rahmen unserer Arbeit keinesfalls als rein physisches Phänomen verstanden werden. Sielert bezeichnet Sexualität als „allgemeine auf Lust bezogene Lebensenergie“ (Sielert, 2005, S. 41), die • sich des Körpers bedient • aus vielfältigen Quellen gespeist wird (körperlichen, gesellschaftlichen, sexuellen und nicht-sexuellen) • ganz unterschiedliche Ausdrucksformen kennt (von der Genitalität über die Zärtlichkeit, Leidenschaft, Erotik, Geborgenheit bis zur Geilheit und allen aggressiven oder gewaltsamen Beimischungen) • in verschiedenster Hinsicht sinnvoll sein kann (…) (Sielert, 1993, S. 32) Weiter erläutert er die verschiedenen Sinnaspekte, respektive Funktionen der Sexualität: • Identität • Beziehung • Lust • Fortpflanzung (Sielert, 1993, S. 32, 45) sowie in (Sielert, 2005, S. 49-52) Sielert verwendet die Begriffe „Funktion“ und „Sinn“ synonym (Sielert, 2005, S. 49). Auch Gloël, der von „Sinnkomponenten“ der Sexualität spricht, übernimmt diese Aufteilung nach Wertigkeitshierarchie. Sielert. Einzelne Die können vier zu Aspekte unterstehen verschiedenen keiner Zeitpunkten unterschiedlich im Zentrum und/oder in unterschiedlichen Verbindungen stehen. Gloël weist in Anlehnung an Sielert darauf hin, dass die oben aufgeführte Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 13 Reihenfolge in vielen, jedoch nicht allen Fällen so durchlaufen wird (Gloël, 2010, S. 4). So individuell und dynamisch die Kombinationen und Gewichtungen der Sinnkomponenten von Sexualität sein können, so vielfältig wird jeder Mensch von gesellschaftlichen Bedingungen in seinem sexuellen Erleben beeinflusst (Gloël, 2010, S. 5). Der Mensch ist bereits vorgeburtlich ein sexuelles Wesen. Sexuelle Sozialisation setzt im Kleinkindsalter ein, erlangt aber vor allem im Jugendalter eine ganz neue Bedeutung. 3. JUGEND UND ADOLESZENZ Nach einer relativ umfassenden Definition der Jugend durch Wilfried Ferchhoff, „fängt [diese] mit der (…) Pubertät (…) an und endet, wenn man nicht nur juristische, nicht nur anthropologische und biologische und nicht nur psychologische, sondern auch soziologische Massstäbe anlegt, mit dem Eintritt in das Berufsleben und/oder mit der Heirat“ (Ferchhoff, 2007, S. 87). Schröder definiert die Pubertät als „(…) die körperlichen Veränderungen bei der Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale“ (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 91). Unter Adoleszenz wird vor allem die kulturelle Dimension des Reifungsprozesses verstanden. Sie stellt in westlichen Ländern eine Art Moratorium im Übergang vom Kindes- ins Erwachsenenalter dar, in welchen die Heranwachsenden lernen sollen, mit sich selber, den Mitmenschen, sowie gesamtgesellschaftlichen Anforderungen zu Recht zu kommen. Dies geschieht durch die aktive Auseinandersetzung mit körperlichen und kognitiven Veränderungen, Bezugspersonen, der eigenen (Geschlechter-)Rolle sowie eigenen und gesellschaftlichen Wertmassstäben. Es geht um die Ausbildung einer relativ stabilen Identität und den damit zusammenhängenden Fragen der Lebensorientierung. Schliesslich führt der Prozess zur Ablösung vom Elternhaus (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 91; Bibliographisches Institut (Mannheim). Redaktion Schule und Lernen, 2002, S. 193). „Körperliche, psychische Reifungsprozesse“ (Ferchhoff, und sozialkulturelle 2007, S. 87) der EntwicklungsAdoleszenz und können interindividuell etwas früher oder später eintreten, weshalb in der Regel Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 14 bestimmte Altersspannen bezeichnet werden, in denen typische Entwicklungsschritte stattfinden (Mietzel, 2002, S. 322). Die Adoleszenz ist nach Schröder in drei Phasen unterteilbar: • frühe Adoleszenz: Beginnt mit dem Einsetzen der Pubertät (zwischen 9 und 13) und dauert bis ins Alter von 14/16 Jahren. • späte Adoleszenz: Zeitraum zwischen 14/16 und 18/19 Jahren. • Postadoleszenz: Junges Erwachsenenalter bis 25/30 Jahre. (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 91-92) Die Jugendphase hat sich gegenüber früher verlängert. Biologische Gründe führen zu einem früheren Einsetzen der Pubertät, gleichzeitig verlängerte sich die Ausbildungszeit. Der Übergang ins Berufs- und Familienleben erfolgt somit später (Ferchhoff, 2007, S. 87-89; Mietzel, 2002, S. 354-355). 3.1 KÖRPERLICHE ENTWICKLUNG / PUBERTÄT Durch eine vermehrte Ausschüttung der Hormone Östrogen und Androgen beziehungsweise Testosteron wird die Pubertät eingeleitet. Erste Auswirkung ist ein deutlich sichtbarer Wachstumsschub. Darauf folgt die Entwicklung der primären (♀: Wachstum der Eierstöcke, der Gebärmutter, der Scheide und der Schamlippen / ♂: Wachstum der Hoden, des Hodensacks und des Penis) und sekundären Geschlechtsmerkmale (♀: Rundung der Hüften, Wachsen der Brüste und Brustwarzen und der Körperbehaarung / ♂: Männlicher Muskelaufbau, Wachstum der Körperbehaarung und Stimmbruch), sowie die Geschlechtsreifung (ersten Regelblutung (Menstruation) / Auftreten des ersten Samenerguss (Ejakulation)). Jugendliche erlangen somit die sexuelle Reife (Mietzel, 2002, S. 321; 351-356). Diese starken körperlichen Veränderungen setzen auch innerpsychische Prozesse in Gang. Das eigene Aussehen wird zum wichtigen Thema. Besonders in der frühen Adoleszenz fühlen sich nicht wenige Jugendliche in ihrem „neuen“ Körpergefühl verunsichert (Mietzel, 2002, S. 357). Die Jugendlichen lernen langsam, mit diesen körperlichen Veränderungen umzugehen und sich in ihrem Körper wieder zu Recht zu finden (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 449). 3.2 KOGNITIVE ENTWICKLUNG Etwa zeitgleich mit dem Einsetzen der Pubertät bildet sich laut Jean Piaget die Fähigkeit zur formalen Operation aus (Mietzel, 2002, S. 321). Dies umfasst unter Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 15 anderem logisches, auf Fakten bezogenes Schlussfolgern und hypothetisches oder abstraktes Denken, strategisches Vorgehen, Nachdenken über komplexe Zusammenhänge und die Fähigkeit zur Reflexion über sich und andere. Sie legen den Fokus primär auf ihr eigenes Denken und die Individualität der eigenen Person. Jugendliche überschätzen dabei auch gerne die eigene Wichtigkeit (jugendlicher Egozentrismus) sowie die eigene Unverwundbarkeit, was zum typischen jugendlichen Risikoverhalten führt. Diese kognitiven Veränderungen wirken sich auch entscheidend auf weitere Entwicklungsprozesse im Jugendalter aus (Mietzel, 2002, S. 326-329; Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 456; Resch, 1995). 3.3 ZWISCHENMENSCHLICHE BEZIEHUNGEN Mit steigendem Alter orientieren sich die Heranwachsenden vermehrt an sozial gleichgestellten Gleichaltrigen, so genannten Peer-Groups. Die Familie bleibt dabei ein zentraler Bezugspunkt für die Jugendlichen; mit ihr werden finanzielle, schulische Angelegenheiten, oder Fragen der Ausbildung, der Berufswahl besprochen. Mit Freunden wird dagegen über Beziehungen zu Gleichaltrigen oder Sexualität gesprochen und vorwiegend die Freizeit verbracht. Ein Gefühl des Vertrauens und der Solidarität entsteht (Baacke, 2007, S. 15-17). Bourne und Ekstrand zitieren Sullivan, der davon ausgeht, dass Peer-Groups dem Jugendlichen als „Zuflucht vor dem Druck, den Eltern und Schule auf ihn ausüben“, dienen (Bourne & Ekstrand, 2005, S. 341). Das soziale Netzwerk der Jugendlichen weitet sich durch die gleichaltrige Bezugsgruppen (Cliquen) deutlich aus. Diese werden langsam zum Experimentier- und Lernraum für spätere stabile sexuelle Partnerschaften (Bourne & Ekstrand, 2005, S. 341). 4. SEXUELLE ENTWICKLUNG UND SEXUELLE IDENTITÄT Die persönliche Sexualität bildet sich auf der Grundlage der erfahrenen Möglichkeiten zur Lustempfindung, enthält jedoch weitere Aspekte, die während der sexuellen Entwicklung des Menschen nach und nach an Bedeutung erfahren. Dazu zählen sozial geteilte Normen und Symbole der Sexualität, persönliche Wahrnehmungen, Gefühle, Emotionen, Fantasien und Vorstellungen, die „in enger Verbindung mit der persönlichen Sexualität stehen“ (Gehrig, 2006). Ein hilfreicher Ansatz zur Verbindung dieser innerpsychischen und gesellschaftlichen Dimension ist das „sexuelle Skript“ von Simon und Gagnon. Sexualität ist dabei nicht durch biologische Triebe Isabelle Beetschen und Julia Rogger determiniert, sondern HS 2010/11 in weiten Teilen Seite | 16 gesellschaftlich konstruiert 3 (Simon & Gagnon, 2005, S. 8). Ihr Ansatz verbindet eine kulturelle, interpersonelle und innerpsychische Dimension der Sexualität (Lautmann, 2002, S. 182). 4.1 SEXUELLE SKRIPTE Durch soziale Interaktionen erfahren Kinder unbewusst soziale Normen der Sexualität. Die auf Nachahmung von Beobachtetem Verhalten folgenden Reaktionen des sozialen Umfeldes weisen das Kind auf „erwünschtes“ oder „unerwünschtes“ Verhalten hin. Innerhalb dieser Interaktionen wird auch die zum biologischen Geschlecht passende Geschlechterrolle 4 erlernt (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527). Kinder entdecken und konstruieren dabei die sexuelle Welt in kleinen Teilen, wohlbewusst, dass ihnen von der Erwachsenenwelt noch Dinge vorenthalten werden. Nach und nach wachsen die einzelnen Puzzleteile zu einem vorläufigen 5 Gesamtbild heran (Escoffier & Jackson, 2007, S. 10). Dieses Bild enthält kulturelle Konventionen sexueller Aktivitäten, „wie man sich verhalten soll; wann, wo und wie es getan werden soll; mit wem oder womit; warum und aus welchem Anlass“ (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527). Welches Verhalten als natürlich oder unnatürlich beziehungsweise als pervers gilt (Simon & Gagnon, 2005, S. 3). In sexuellen Normen spiegeln sich gesellschaftlich geteiltes Wissen und geteilte Vorstellungen zur Sexualität wieder (Krahé, Bieneck, SteinbergerOlwig, 2004, S. 5). Diese gesellschaftlichen Szenarios der Sexualität werden vom Individuum jedoch nicht einfach übernommen (Lautmann, 2002, S. 182). In der Verbindung mit individuellen Aspekten, bilden sich kognitive Schemata des Sexualverhaltens, sogenannte entstehen individuelle durch „sexuelle Skripte“ Bedeutungs- und heraus. Sexuelle Sinnzuschreibungen Skripte 6 und beinhalten Vorstellungen und Einstellungen zur Sexualität. Sie sind Drehbücher dessen, wie Sexualität abzulaufen hat und was wir in der Sexualität als 3 Interessante Ausführungen zu dieser einzigartigen menschlichen Fähigkeit sind bei Berger & Luckmann zu finden: Im Gegensatz zu anderen Lebewesen ist der Mensch in der Lage, sich aus zwei Perspektiven heraus wahrzunehmen: 1. Ein Körper sein, 2. Einen Körper haben. Die beiden Formen der Selbsterfahrung gilt es in Balance zu bringen (Berger & Luckmann, 2009, S. 53). 4 „Erfahrungen (…) was es bedeutet, ein Mädchen oder ein Junge zu sein“ (Mietzel, 2002, S. 233), wie man sich passend zu seiner Geschlechterrolle (rollentypisch) verhält, werden zu kognitiven Schema (sog. sozialen Skripts) geordnet (Mietzel, 2002, S. 233-235). 5 Die persönlichen Vorstellungen von Sexualität entwickeln über das ganze Leben hinweg immer weiter. 6 Wie Berger & Luckmann erläutern, geht es um den Prozess vom „einfachen Verständnis“ zum „Selbstverständnis“ gesellschaftlicher Präskripte; d.h. die Internalisierung wird mit „Eigen-Sinn“ verbunden (Berger & Luckmann, 2009, S. XV). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 17 angenehm empfinden (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527; Simon & Gagnon, 2005, S. 4; 14). Unsere spezifischen sexuellen Wünsche, Phantasien und Vorlieben in Bezug auf spezifische erotische Situationen, sexuelle Praktiken oder Erwartungen und Präferenzen in Bezug auf einen Sexualpartner werden durch diese Skripte gelenkt (Schmidt, 2005, S. 99-101). Zudem werden aktuelle sexuelle Situationen, in der Regel unbewusst, anhand von schon bestehenden persönlichen Skripts subjektiv beurteilt. Dies gilt auch für die grundlegende Beurteilung einer Situation als „sexuell“ oder „nicht sexuell“ (Ertel, 1990, S. 57). Sexuelle Skripte dienen uns also als Orientierung und Wegweiser persönlicher „sexueller Empfindungen und Aktivitäten“ (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527). Auf der interpersonellen Ebene strukturieren Skripte die sexuelle Interaktion und „ermöglichen ein Handeln in wechselseitiger Bezogenheit“ (Lautmann, 2002, S. 182). Trotz gesellschaftlich vorgegebenen Rahmenbedingungen können Skripte der Sexualität interindividuell unterschiedlich ausgeprägt sein. Durch verschiedene sexuelle Biografien bringen die Sexualpartner andere Fertigkeiten, Wünsche und Fantasien in die gemeinsam gelebte Sexualität mit (Clement, 2009, S. 66). Dies führt notwendigerweise dazu, dass Sexualpartner ihre sexuellen Skripte aufeinander abstimmen müssen, um Irritationen und Differenzen zu überwinden (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527). Ein gemeinsames Szenario für den Ablauf sexueller Interaktionen wird ausgehandelt (Lautmann, 2002, S. 182). Die menschliche sexuelle Entwicklung beginnt nicht erst in der Pubertät, sondern weit früher, durch den vorgeburtlich angelegten Erregungsreflex 7 (Gehrig, 2006). Bereits kurz nach der Geburt können die Kleinkinder dabei beobachtet werden, wie sie ihren eigenen Körper erkunden und dabei sehr früh das reizvolle Spiel mit ihren Genitalien entdecken. Im Alter von etwa zwei Jahren beginnen Kinder, sich den Geschlechtsorganen und der Geschlechtszugehörigkeit von sich und Gleichaltrigen auseinanderzusetzen (Mietzel, 2002, S. 372-373). Diese genitalen Spiele von Kindern werden von Erwachsenen oft als sexuelle Aktivitäten gedeutet. Die Kinder lernen dabei erst durch die sexuellen (und teilweise moralischen) Zuschreibungen und Benennungen ihrer Aktivitäten durch Erwachsene, dass sich diese Tätigkeit von andern (angenehmen) Aktivitäten irgendwie unterscheiden muss (Simon & Gagnon, 2005, S. 10). Sie erfahren in 7 Es existieren Ultraschallbilder, auf welchen der erigierte Penis vom männlichen Ungeborenen deutlich sichtbar ist. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 18 der Interaktion mit beziehungsweise der Reaktion aus ihrem Umfeld, die Unterschiede zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, und damit zusammenhängend der Bedeutung von Intimität in der eigenen Sexualität (Gehrig, 2006). Die in der frühen Kindheit zunächst einfachen Skripte entwickeln sich durch die Interaktion mit erwachsenen Bezugspersonen und Gleichaltrigen als auch durch Beobachtung medial vermittelter Rollenbilder immer weiter aus (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527; Simon & Gagnon, 2005, S. 75). Während der Adoleszenz wird sich der Jugendliche durch die körperlichen Veränderungen und den damit zusammenhängenden sozialen Zuschreibungsprozessen seiner selbst als sexuelles Wesen bewusst (Simon & Gagnon, 2005, S. 33). Durch erste praktische sexuelle Erfahrungen mit sich und andern erweitern und differenzieren sich die sexuellen Skripte weiter aus. Sie werden vom Individuum aktualisiert, modifiziert, oder auch verworfen (Simon & Gagnon, 2005, S. 75; Lautmann, 2002, S. 182). Skripte stehen in unmittelbarer Verbindung mit der Bildung der Identität, respektive der sexuellen Identität. 4.2 IDENTITÄT / SEXUELLE IDENTITÄT In der Adoleszenz geschieht, unter anderem auch durch die ausgeprägte körperliche Veränderung, eine verstärkte Auseinandersetzung mit der persönlichen Sexualität sowie der damit zusammenhängenden Erwartungen, die an sie als Frau oder Mann gestellt werden. Dies ist eine von verschiedenen Facetten der Identitätsbildung (Schäfers & Scherr, 2005, S. 83). Zimbardo und Gerrig beschreiben nach Erikson die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, die Bewältigung einer Identitätskrise, als die zentralste Aufgabe des Jugendalters (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 343). Sie wird definiert, als „(…) Erfahrung eines Individuums, eine einzigartige, kohärente und von inneren (psychischen) oder äusseren (Umgebungs-)Veränderungen relativ unabhängige Einheit zu sein“ (Bibliographisches Institut Mannheim, 2002, S. 173). Die Erlangung der eigenen Ich-Identität entsteht durch die Interaktion mit den verschiedenen Bezugspersonen. Nach Erikson stellen sich dabei die Jugendlichen selbst in Frage. Sie sind durch Rollenerprobung auf der Suche, wer sie sind und wer sie zukünftig sein wollen (Selbstbild). Gelingt dieser Prozess nicht, versinkt der Jugendliche in Orientierungslosigkeit (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 471). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 19 Abels bezieht sich auf George Herbert Mead, nach welchem Identitätsbildung auf der Auseinandersetzung mit Rollenerwartungen des Umfelds basiert. Voraussetzung dafür, ist die Fähigkeit zur Rollenübernahme. Dies bedeutet, seine eigenen Absichten zu kennen und sich dabei auch in die Rolle, Absichten, Erwartungen und möglichen Reaktionen des Gegenübers hineinversetzen zu können. Man lernt sich durch die Augen anderer zu sehen. Die Person wird sich ihrer selbst in der Interaktion bewusst. Das Individuum kann sich dadurch aktiv mit den Rollenerwartungen auseinandersetzen und diese bewusst einhalten, oder auch ablehnen. Es ist sich selbst und seiner eigenen Identität bewusst (Abels, 2007, S. 333-340). Nach Bourne und Ekstrand betrachtet Kohlberg die Fähigkeit, eigene moralische Urteile zu treffen, als Voraussetzung zur Bildung einer Ich-Identität. Gemäss diesem Modell leisten Menschen im Jugendalter einen Entwicklungsschritt von einer so genannten „konventionellen Konformität“ zu „selbstakzeptierten moralischen Grundsätzen“. Das bedeutet, dass sie sich nicht mehr aus Angst vor Sanktionen oder Ablehnung anpassen, sondern weil sie ihr Handeln an Kriterien des Wohles der Gesellschaft und/oder an eigenen moralischen Prinzipien orientieren. Dieser Schritt zeichnet sich deutlich durch das in Frage stellen, geltender Werte und Normen durch die Jugendlichen aus. Eigene bisherige Massstäbe werden mit andern verglichen, verteidigt oder verworfen. Damit können eigene Standpunkte gebildet werden, welches als Bestandteil der Identität zu sehen ist (Bourne & Ekstrand, 2005, S. 341-343). Diese drei Ansätze der Identitätsbildung zeigen deutlich, dass die Ausbildung der Identität der Interaktion mit anderen Personen bedarf. Geprägt wird der Jugendliche dabei besonders durch die Sozialisationsinstanzen Familie, Schule, Freundeskreis und (Massen)Medien und deren Vorbildrolle. Diese ermöglichen Orientierung und Identifikation. Jugendliche imitieren, vergleichen und identifizieren sich mit anderen, lehnen sich gegen die Erwartungen der Erwachsenenwelt auf und finden sich durch wiederholte Selbsterprobung dabei selbst (Baacke, 2007, S. 254-255). Heranwachsende spezifische bilden persönliche im Rahmen sexuelle der Identität Identitätsentwicklung und Sexualmoral auch ihre heraus. Die individuelle sexuelle Identität setzt sich nach Weinand (Weinand, 2010, S. 3-7) aus folgenden vier Aspekten zusammen: Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 20 • Biologisches Geschlecht • Geschlechtsidentität 8 • Geschlechterrolle • Sexuelle Orientierung 9 Die Normen der Sexualität sind stark von der herrschenden Kultur geprägt (Weinand, 2010, S. 3). Das Individuum setzt sich im Prozess der Moralentwicklung in der Adoleszenz mit diesen ungeschriebenen sozialen Vorgaben auseinander und entwickelt seine persönliche Sexualmoral (vgl. Kohlbergs Moralentwicklung). Im Verlaufe der Adoleszenz gewinnt die jugendliche Sexualität zunehmend an Reife. Durch die Fähigkeit zur Rollenübernahme rückt auch das Wohl des Partners zunehmend ins Zentrum. Jugendliche Sexualpartner lernen, sich über ihre sexuellen Bedürfnisse, Wünsche, Vorstellungen, Grenzen und Ängste auszutauschen beziehungsweise ihre sexuellen Skripte aufeinander abzustimmen, die gemeinsame sexuelle Praxis auszuhandeln. Intimität zu zweit wird mehr und mehr bewusst gelebt und der Wunsch sich längerfristig zu binden wächst (Gehrig, 2006; Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 527). Die Fähigkeit zur Intimität, das heisst sich emotional, moralisch und sexuell an einen Partner, eine Partnerin zu binden, in der Beziehung Verzicht zu üben und Verantwortung zu übernehmen, gehört nach Erikson zur zentralen Entwicklungsaufgabe im jungen Erwachsenenalter (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 471). Die Adoleszenz ist sowohl für Jugendliche, als auch für ihre erwachsenen Bezugspersonen eine herausfordernde Zeit. Vielfältige biopsychosoziale Faktoren beeinflussen die Entwicklung und können diese fördern oder erschweren. Pornografie ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass für unsere Arbeit ganz im Sinne von Gloël als „sozialisationsbedingten Einfluss“ (Gloël, 2010, S. 5) zu verstehen ist. 8 Es geht um die Empfindung, „ob man sich als Mann oder als Frau fühlt“ (Weinand, 2010, S. 6). 9 Nach Weinand charakterisiert als „die Hauptzielrichtung der romantischen, emotionalen und sexuellen Interessen einer Person in Hinblick auf die gewünschten Geschlechtspartner“, also nicht nur die Frage nach der Wahl des Geschlechts des Sexualpartners (Weinand, 2010, S. 7). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 21 5. PORNOGRAFIE 5.1 DEFINITION / DIFFERENZIERUNG Um den Begriff „Pornografie“ herleiten zu können, gehen wir an dieser Stelle von der ursprünglichen Schreibweise „Pornographie“ aus. Etymologisch lässt sich der Begriff aus dem Griechischen „porneia“ (Unzucht) oder auch „porne“ (Hure) sowie „graphein“ (schreiben) zurückführen und kann folglich wörtlich mit „über Huren schreiben“ 10 übersetzt werden (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 447). Das Unterfangen, Erotik und Pornografie möglichst trennscharf voneinander abzugrenzen, erweist sich als schwierig: Entweder fliessen Wertungen, implizite Annahmen über Funktionen oder Einschränkungen in die Differenzierung ein. Beispiele dafür sind die Auffassung von Erotik als kunstvolle Darstellung des Sexuellen, Pornografie als gezieltes Mittel zur sexuellen Erregung oder Definitionen von Pornografie als sexuelle Darstellung mit Fokus auf menschliche Genitalien (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 447-448). Solche Differenzierungen erweisen sich als problematisch, weil a) Werte nicht universelle Gültigkeit besitzen, b) Pornografiekonsum verschiedene Funktionen erfüllt (insbesondere bei Jugendlichen, vgl. Unterkapitel „Nutzung“) und c) Einengung in beschreibenden Definitionen gewisses Pornografiematerial ausschliesst. Aus eigenen Praxiserfahrungen in Gesprächen mit Jugendlichen wissen wir, dass der Begriff „Porno“ oftmals für verschiedenstes Material verwendet wird. Dieses Phänomen ist nicht lediglich mit Undifferenziertheit zu erklären, sondern massgeblich beeinflusst. durch subjektive Individuelle moralische Werthaltungen und ästhetische ihrerseits werden Werthaltungen wiederum von gesellschaftlich gültigen Normen und Werten geprägt. Will man Pornografie als wissenschaftlichen Gegenstand untersuchen, so kommt man um eine Definition nicht herum. Allerdings sollte diese den oben beschriebenen Schwierigkeiten Rechnung tragen. Wir fragen: 1. Macht die Unterscheidung zwischen Erotik und Pornografie Sinn 11 ? 10 Vogel verwendet diese wörtliche Übersetzung, ebenso Gernert (Gernert, 2010, S. 98); bei Zillmann lautet die Übersetzung „Schriften über Huren“ (Charlton, Hesse, Schwan, & Zillmann, 2004, S. 566). 11 Ein weiterer Versuch der Abstufung durch sprachliche Regelung unternimmt Herbert Selg unter dem Begriff „Erotografie“. Ziel ist die Unterscheidung verschiedener Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 22 2. Wie kann der Gegenstand ohne Bewertung, spezifische Verknüpfung, implizit unterstellte Wirkung und / oder Ausschluss gewissen Materials definiert werden? 3. Wie lässt sich eine solche Definition begründen? Frage 1: Nach Zillmanns Ansicht macht die Unterscheidung zwischen Erotik und Pornografie keinen Sinn, da die Differenzierung wiederum auf Werthaltungen und / oder impliziten Vorannahmen über die Funktion basieren würde. Er betrachtet die Begriffe „Erotik“ und „Pornografie“ als synonym verwendbar. Als Antwort auf Frage 2 schlägt er folgende Definition vor: Definition Pornografie wird definiert als Darstellungen sexuellen Verhaltens jeglicher Art, das von jeder denkbaren Zusammensetzung handelnder Akteure ausgeführt wird. Subkategorie: Zwangshaltige Pornografie Darstellungen aller Formen körperlicher Gewalt oder Drohungen mit dem Ziel, Personen gegen ihren Willen zur Teilnahme an sexuellen Handlungen zu bewegen, werden als zwangshaltige Pornografie definiert. Subkategorie: Gewalthaltige Pornografie Sexuelle Darstellungen, welche das vorsätzliche Zufügen von Schmerzen durch körperliche Gewalt gegen Personen, die diesen Handlungen nicht zustimmen, beinhalten, werden als gewalthaltige Pornografie definiert. (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 568-569) Zillmann beantwortet Frage 3 mit den „enormen interindividuellen Unterschieden“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 567) in den Wahrnehmungen vermeidbare und Umstand, Wertungen den sexueller Zillmann als Darstellungen. „definitorisches Dieser Problem nicht der Mehrdeutigkeit“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 568) bezeichnet, lässt seines Erachtens jede Definition von Pornografie, die den unter Frage 2 beschriebenen Kriterien nicht Rechnung trägt, unbrauchbar werden. Er plädiert Darstellungen durch eine klarere begriffliche Bestimmung. Da sich der Begriff allerdings bisher nicht durchgesetzt zu haben scheint (anhand der konsultierten aktuellen Fachliteratur), gehen wir nicht näher darauf ein. Mehr Informationen sind zu finden in folgender elektronischer Quelle: http://www.fsf.de/php_lit_down/pdf/selg_tvd01.pdf Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 23 daher für beschreibende Kategorien, für „darstellungsorientierte Definitionen“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 568); die Bedingung des Nichtausschliessens steht allerdings einer griffigen, übersichtlichen und klar strukturierenden Definition diametral gegenüber. Vogel bezieht sich in erster Linie auf Zillmanns Definition. Weiter erwähnt sie eine beschreibende, somit einschränkendere Form in Anlehnung an Faulstich, 1994: „Charakteristisch für Pornographie ist eine offene und detaillierte Darstellung sexueller Aktivitäten, d.h. die Geschlechtsorgane – insbesondere der erigierte männliche Penis bzw. die geöffnete weibliche Vagina – werden unverhüllt während des Geschlechtsverkehrs gezeigt“ (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 448). Selbst wenn eine Definition bezüglich Form der sexuellen Darstellung und Darstellenden (Anzahl, Geschlecht), visuell oder audio-visuell, beschrieben wird: Sobald die Einschränkung auf die besondere Betonung primärer Geschlechtsmerkmale erfolgt, ergibt sich das Problem des Ausschlusses von (illegalem) Nischenmaterial der Pornografie 12 . Der Definitionsversuch der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Dienstanbieter Deutschland zeigt das von Zillmann beschriebene Problem der Mehrdeutigkeit beispielhaft auf: Was ist Pornografie? Diese Frage ist bisher nur unbefriedigend gelöst. Eine gesetzliche Definition existiert nicht. Grundsätzlich ist zwischen sog. harter und einfacher Pornografie zu unterscheiden. Von der Rechtsprechung wird die sog. einfache Pornografie definiert als grobe Darstellung des Sexuellen in drastischer Direktheit, die in einer den Sexualtrieb aufstachelnden oder die Geschlechtlichkeit in den Schmutz ziehenden oder lächerlich machenden Weise den Menschen zum bloßen (auswechselbaren) Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung jedweder Art degradiert. Zu berücksichtigen sind dabei auch die vom Bundesgerichtshof (BGH) entwickelten Kriterien der aufdringlich vergröbernden, anreißerischen, verzerrenden, unrealistischen Darstellung, die ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen bleibt oder gedankliche Inhalte zum bloßen Vorwand für provozierende Sexualität nimmt (BGHSt 23, 40, 44). Der Begriff der sog. harten Pornografie ist in §§ 184 a und b Strafgesetzbuch (StGB) bestimmt: zur harten Pornografie werden pornografische Schriften gezählt, die Gewalttätigkeiten, sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren oder den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben. Wissenschaftliche Werke gelten von vorneherein als nicht pornografisch. Dagegen ist eine Trennung von Pornografie und Kunst nicht möglich, so dass nach den Umständen des Einzelfalls auch ein Kunstwerk als pornografisch eingestuft werden kann. Für die Bewertung, ob es sich um eine pornografische Darstellung handelt, sind nicht die subjektiven Zielvorstellungen und Tendenzen des Verfassers maßgeblich. Vielmehr kommt es allein auf den objektiven Gehalt und die Art der Darstellung an. Eventuell sind beigefügte Erläuterungen und Andeutungen zu berücksichtigen, keinesfalls jedoch die 12 Ein Beispiel dafür ist der Verzehr von Fäkalien oder auch sado-masochistische Darstellungen bekleideter AkteurInnen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 24 Ziele und Vorstellungen des Herstellers. Auch bei Kinderpornografie (= pornografische Darstellung einer Person unter 14 Jahren, § 184 b Absatz 1 StGB) wird ein objektiver Maßstab angesetzt, d.h. maßgeblich ist grundsätzlich das tatsächliche Alter des Darstellers. Unerheblich ist sowohl eine unwahre Behauptung über das Alter des Kindes als auch die Tatsache, dass das Kind aus der Sicht des Betrachters älter wirkt. Auf die Sicht des Betrachters ist nur dann abzustellen, wenn die Person, die Gegenstand der Darstellung ist, wie ein Kind wirkt, auch wenn sie tatsächlich älter ist. In diesem Fall wird auch von Kinderpornografie ausgegangen. (fsm, 2010) In diesen Ausführungen finden wir die von Zillmann beschriebenen Probleme: Auf Werthaltungen und / oder impliziten Vorannahmen über die Funktion beruhende Definitionen. Es wird von einem „objektiven Gehalt“ und der „Art der Darstellung“ gesprochen; diese Beurteilung erfolgt jedoch wiederum durch eine oder mehrere Person/en und erhält somit subjektiven Charakter. Eine Möglichkeit besteht darin, die subjektive Definition als solche zu benennen ebenso wie die Haltung gegenüber der Thematik Pornografie. Dies tut beispielsweise Alice Schwarzer, die sich wie folgt äussert: „Reden wir also darüber, was eine Feministin wie ich unter Pornografie versteht. Mit Erotik oder Nacktheit hat das wenig zu tun (auch wenn es oft schwer zu trennen ist). Pornografie ist zu erkenne an der Verknüpfung von Lust auf Sex mit Lust auf Erniedrigung und Gewalt“ (Schwarzer, 2000, S. 126). So sieht das auch Dines, wenn sie davon spricht, dass es in pornografischem Sex nicht darum gehe Liebe zu machen, sondern darum dass der Mann der Frau Hass entgegenbringe (Dines, 2010, S. xxiv). Ihr Verständnis von Pornografie bezieht sich nach eigenen Aussagen hauptsächlich auf „gonzo“ 13 ; dieses Genre beinhaltet nach Dines Ansicht Hardcore- und Gewaltszenen, in denen Frauen degradiert und gedemütigt werden (Dines, 2010, S. xi). Zur Schwierigkeit im Umgang mit der Sprache und dem Begriff der Pornografie äussert sich auch Nussbaum dahingehend, dass beschreibend kommuniziert werden sollte, wenn sie wie folgt ausführt: „Schon per Definition ist Pornografie durch die häufige Verknüpfung mit dem Aspekt des Obszönen ein stark wertgeleiteter Begriff, was in Diskussionen um Pornografie zu ungenauen, missverständlichen Begriffsverwendungen führt. 13 Pornografischer Film ohne jegliche Rahmenhandlung, der ausschliesslich und unmittelbar sexuellen Verkehr in jeglicher Form zeigt (vgl. Dines, 2010; Gernert, 2010), durch Gespräche mit Jugendlichen während den Praktika sowie durch eigene Recherche über die Pornoclipplattformen (youporn.com u.ä.) überprüft. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 25 (…) Nicht alles, was Jugendliche (und auch Erwachsene) als pornografisch bezeichnen, entspricht denn auch tatsächlich etwas Pornografischem. Vorteilhafter wäre deshalb ein sorgfältiger Umgang mit dem Begriff der Pornografie, wobei besser über konkrete (pornografische) Inhalte anstatt unklarer Ausdrücke gesprochen würde. Nur so wird es möglich sein, dass sich sowohl Erwachsene wie auch Jugendliche differenziert und klar ausdrücken, um eine inhaltliche, sachliche Diskussion zu führen“ (Nussbaum, 2009, S. 12). Diese Aussagen Nussbaums weisen auf die bereits betonte Schwierigkeit der Gegenstandsklärung hin. Gleichzeitig stellt und dieser Zugang vor neue Probleme: Es bleibt offen, wer schliesslich die Definitionsmacht inne hat, Inhalte als pornografisch, beziehungsweise nicht-pornografisch zu bezeichnen. Es stellt sich auch die Frage der Tauglichkeit dieses Zuganges in der Gesprächs- und Beratungssituation. Der mit diesem Zugang verbundene hohe Anspruch bezüglich differenzierter Artikulation stellt eine zusätzliche Hürde dar. Die Voraussetzung, dass Jugendliche und beispielsweise deren Eltern (wenn von Erwachsenen die Rede ist) sich „differenziert und klar ausdrücken, um eine inhaltliche, sachliche Diskussion zu führen“, scheint wenig realitäts-, respektive lebensweltorientiert und damit im alltäglichen Zugang kaum praktikabel; ein solcher Umgang könnte bestenfalls als Fernziel angestrebt werden. Die Konzentration auf konkrete Inhalte führt uns wiederum zu einem beschreibenden Zugang, der letztlich im Gespräch, jedoch kaum über eine vorgängige, eng gefasste Definition erfolgen kann. Für den Rahmen dieser Arbeit stellen sich uns folgende Probleme: • Die verschiedenen zitierten AutorInnen und/oder Studienergebnisse vertreten subjektive Definitionen von Pornografie. • Einige zitierte AutorInnen und/oder Studienergebnisse äussern sich nicht zu konkreten Definitionen von Pornografie. • Im schweizerischen (straf)rechtlichen Verständnis ist eine spezifische Definition zu berücksichtigen 14 . 14 Auf die rechtliche Definition von Pornografie in der Schweiz wird in einem separaten Abschnitt dieser Arbeit eingegangen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 26 5.2 PORNOGRAFIEN – DIVERSIFIKATION DES MATERIALS Gernert betont die vielfältigen und äusserst unterschiedlichen Angebote und spricht daher vom Plural, also „Pornografien“ (Gernert, 2010, S. 79). Da Internetinhalte aber immer nur einen oder wenige Klicks entfernt sind, ist der Zugriff auf diese Vielfalt jederzeit ohne weiteres möglich. Viele Plattformen wie beispielsweise „youporn“, „redtube“, kategorisierte Übersichtsgalerien 15 „tube8“, „xnxx“, „89“ präsentieren (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 39), von welchen aus dann auf Links zu Bilder und Filmszenen zugegriffen werden kann. Auch besteht die Gefahr mit Inhalten in Kontakt zu geraten, die nicht explizit gesucht wurden. Was mit anfänglicher Neugier und Interesse an detaillierter Darstellung sexueller Praxis zwischen gleichwertigen Beteiligten begonnen haben könnte, kann im schlimmsten Fall zur ungewollten Konfrontation mit erschreckendem und illegalem pornografischem Material im Internet führen. Dabei sind der Abgründigkeit tatsächlich keine Grenzen gesetzt: Pornografie mit Exkrementen, inzestuöse Handlungen, Tierschändung (Sodomie, Zoophilie), Kindern (Pädophilie), Erniedrigung und Gewalt (ohne oder ohne sichtbare Zustimmung aller Beteiligter, Viktimisierung), Mord („Snuff“), postmortale Schändung/Störung des Totenfriedens (Nekrophilie). Im legalen Bereich Pornoindustrie ist gilt der mächtig. Grundsatz der Dementsprechend Wirtschaftsfreiheit werden auch und die aggressiv „Neukunden geworben“, unter anderem mit „kostenlosen Muster“, die über Seiten wie youtube, youporn, freesix 16 und dergleichen angeboten werden. Auch die legalen Inhalte zeigen längst nicht mehr „nur“ diverse Vorspiele, Oral-, Vaginal- und Analverkehr zwischen zwei Akteuren; gefragt sind „Gonzos“, in denen jegliche Rahmenhandlung fehlt und ausschliesslich und unmittelbar sexueller Verkehr in jeglicher Form gezeigt wird. Es bilden sich immer wieder neue Trends wie beispielsweise „gang bang“-Szenen, in denen unterschiedlich viele männliche Akteure gleichzeitig oder in kurzer Abfolge mit derselben Frau auf verschiedenste Art und Weise sexuell verkehren. Ein anderer Trend ist das „gagging“, bei dem männliche Akteure den Penis beim Oralverkehr so tief und fest in den Rachen und Hals der weiblichen Darstellerinnen stecken, dass diese würgen, husten und/oder sich übergeben. Die Darstellungen wirken auch dann gewaltsam, wenn eine Akteurin einwilligt und mit der Technik vertraut ist, weil 15 Kurzworte wie „anal“, „bizarr“, „teen“, etc. werden zur Kennzeichnung verwendet. Diese Plattform wurde mittlerweile aufgehoben. Sie bot unter vielem anderem auch Tierpornografie an. 16 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 27 der Würgreflex nur bis zu einem gewissen Mass unterdrückt werden kann und soll (!); Darstellerinnen beginnen zu speicheln und nach Atem zu ringen, das Make-Up läuft ihnen durch den angeregten Tränenfluss über das Gesicht 17 . Wir belassen es an dieser Stelle bei den genannten Beispielen, obschon es den Pornoproduzenten diesbezüglich nicht an „Kreativität“ fehlt (vgl. Dines, 2010; Gernert, 2010, durch Gespräche mit Jugendlichen während den Praktika sowie durch eigene Recherche über die Pornoclipplattformen (youporn.com u.ä.) überprüft.). Angesichts solcher Trends scheinen die Haltungen einiger Feministinnen wie Schwarzer und Dworkin, so Gernert, dass es in Pornografie explizit um Macht und Erniedrigung gehe, nachvollziehbar. Gernert zählt zur Anschauung die wiederholt benutzten Begriffe 18 zur Anpreisung vieler Clips auf Pornografieplattformen auf: Frauen würden „gedemütigt“, „geschändet“ oder „vernichtet“ werden (Gernert, 2010, S. 121). Schwarzer selbst formuliert ihr Pornografieverständnis so: „Pornografie ist zu erkennen an der Verknüpfung von Lust auf Sex mit Lust auf Erniedrigung und Gewalt.“ (Schwarzer, 2000, S. 126). Schwarzer kritisiert aber in diesem Zusammenhang nicht die Szenen eines Films, sondern Fotos, die als kunstvolles Gut in Museen gastiert oder aber von Modefotografen geschossen wurden. 5.3 PORNO CHIC - BILDER IN UND AUS DER PORNOGRAFIE 5.3.1 BEGRIFFSKLÄRUNG Das führt uns zu einem weiteren Phänomen im Zusammenhang mit Pornografie: Die Welle des sogenannten „Porno Chics“ 19 . Gernert verortet den Begriff beim britischen Medienwissenschaftler Brian McNair, dessen Ausführungen den Einzug der Pornokultur in die Popkultur seit Anfang der Neunzigerjahre aufzeigen (vgl. Gernert, 2010, S. 150-151). Mittlerweile kann von einer partiellen pornografischen Kolonialisierung der Lebenswelten Jugendlicher gesprochen werden. Der Begriff „porno“ in der Verwendung als Wertadjektiv ist für viele Jugendliche gleichbedeutend geworden mit „anziehend, attraktiv“, aber auch „eklig“ und spiegelt damit die Ambivalenz der Empfindungen in Bezug auf Pornografie wider (vgl. Gernert, 2010, S. 171, 199). Der Porno Chic wird von 17 An diversen Stellen auch beschrieben von Dines und Gernert, z.B. (Dines, 2010, S. xviii) und (Gernert, 2010, S. 79-80). 18 Vor allem werden englische Begriffe wie „humiliate“, „disgrace“ sowie „destroy“ verwendet. 19 In Dines „Pornland“ ist diesem Phänomen unter dem Titel „Pop Goes the Porn Culture – Mainstreaming Porn“ ein ganzes Kapitel gewidmet (Dines, 2010, S. 25-46). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 28 etlichen Prominenten, wie DesignerInnen, FotografInnen und KünstlerInnen, Models, MusikerInnen, SchauspielerInnen und anderen mehr zelebriert. In ihrer Rolle als bewunderte Vorbilder prägen auch sie jugendliche Lebenswelten mit Körperkult, Styling, Songtexten, Performances oder dem Bekanntwerden pikanter Details aus ihrem Privatleben. Körper werden komplett rasiert oder epiliert und manipuliert. Total „en vogue“ sind Plateau-Stilettos 20 , wie sie sehr häufig in pornografischen Darstellungen zu sehen sind. Frauenarzt, Lady Bitch Ray 21 , Lady GaGa, Orgi, Rammstein und Sido sind einige Beispiele aktuell sehr beliebter MusikerInnen, die ohne Umschweife dem Porno Chic huldigen 22 . Für SchauspielerInnen war es früher peinlich, wenn im Laufe ihrer Karriere bekannt wurde, dass sie mal in einem Pornofilm mitgespielt haben; heute kurbelt ein bisschen „porno“ 23 die Karriere zusätzlich an. Für Dines personifiziert Radiomoderator Howard Stern 24 „(…) the porn culture wie live in, and for this he is well rewarded; in 2006 he was the second-highest paid celebrity in the world, with an income of $ 302 million.“ (Dines, 2010, S. 45-46). 5.3.2 DIE BESONDERE BETONUNG DER FRAU Wir gehen auf das Frauenbild in pornografischem Material speziell ein, weil Frauen, respektive Darstellungen von Frauen oft anders verwendet werden als die von Männern. Gemeint sind die spezifische Betonung des gesamten äusseren Erscheinungsbildes, sowie die Verobjektivierung der weiblichen Person in gewissen pornografischen Materialien. Von männlichen Darstellern ist oftmals lediglich der erigierte Penis in irgendeiner Form sexueller Handlungen zu sehen; der restliche Körper, insbesondere aber das Gesicht wird nicht selten gar nicht gezeigt. Dadurch wirken männliche Pornodarsteller anonymer, distanzierter und gewisser Weise auch weniger „zur Schau gestellt“. Die Austauschbarkeit ist 20 Damenschuh mit extrem hohem Absatz hinten und Erhöhung im vorderen Fussbereich. Lady Bitch Ray versteht sich selbst als Emanze; zusammen mit anderen weiblichen Prominenten wie beispielsweise Charlotte Roche, aber auch vielen anderen mehr, will sie als moderne, sexy Feministin verstanden werden (vgl. Gernert, 2010, S. 187). 22 Neu an diesem Phänomen ist eher die Verbreitung und das Ausmass, denn auch ein Frank Zappa oder eine Madonna verbanden/verbinden ihre Musik mit pornografischen Elementen. Rapper wie Ice-T und Snoop „Doggy“ Dogg sind längst selbst im Pornobusiness tätig. Der von Snoop erschaffene „Pimp-Style“ beeinflusst auch heute noch viele Rapper, die sich wie Nobelzuhälter zurechtmachen (vgl. Gernert, 2010, S. 115). 23 Einerseits durch „zufällig“ publik gewordene Heimvideos oder auch die Übernahme einer entsprechenden Rolle in der Verfilmung des Lebens eines Pornostars. 24 Howard Stern ist bekannt für höchst provokative Radiomoderation, Intermezzi mit Pornostars während laufender Sendungen, etc. Sein Werdegang wurde sogar verfilmt: http://www.imdb.com/title/tt0119951/ 21 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 29 sowohl bei männlichen, als auch bei weiblichen Pornodarstellenden gegeben (vgl. Dines, 2010, S. xxiv). Die „Gesichtslosigkeit“ der Männer kann aber noch spezifischer erklärt werden: Ein möglicher Grund dafür kann der grosse Anteil des pornografischen Materials von Männern für Männer sein: „Er (der männliche Konsument) kann sich als Subjekt in dem dargestellten Szenario selbst verorten, kann auch über die Objekte, die als aktiv Handelnde dargestellt werden, verfügen. Da die Objekte meist Frauen sind, wird das Muster der Beherrschung von Frauen sichtbar. Der männliche Konsument gewinnt Macht über die weiblichen Darsteller.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 313). Während die Gesichter der Frauen oft vom Stöhnen und Schreien zeugen, so zeigen die Gesichter der Männer ebenso oft kaum (Er-)Regung (vgl. Dines, 2010, S. xxiv); auch das könnte als Darstellung der Überlegenheit und Bewahrung der Kontrolle des Geschehens durch den männlichen Darsteller gedeutet werden. Ähnlich muss der von Gernert interviewte jugendliche Ric das sehen, wenn er sagt: „Das Geile an Gangbang (ist), dass die Frau einfach nur Mittel zum Zweck ist“. Auf die Frage, ob das denn in Ordnung gehe, meint Ric: „Joa“ und doppelt auf die nächste Frage, wie das mit Mädchen, die er selbst treffe sei, wie folgt nach: „Die sind ja sowieso alles nur Schlampen, die meisten“ (Gernert, 2010, S. 96). Angesichts solcher Äusserungen eines Jugendlichen könnte man versucht sein, die oft spürbare Aufgeregtheit und Besorgnis in der Diskussion über mögliche Auswirkungen jugendlichen Pornografiekonsums, zu teilen. Aber dabei ginge vergessen, dass nicht eine Mehrheit Jugendlicher so spricht und/oder auch denkt. Auch würde ein ebenso einfacher wie falscher Weg der monokausalen Erklärung beschritten. Klärung trotz Komplexität und Multikausalität des Phänomens scheint uns Böhnischs Zugang zu schaffen: „So filtern sich Jugendliche aus Filmen oder anderen medialen Darstellungen das heraus, was ihren Schlüsselproblemen der Pubertät und des Erwachsenwerdens entgegenkommt. Dazu gehört bei Jungen die Suche nach männlicher Geschlechteridentität. Diese Suche ist gespalten. Sie schwankt – gerade im Verhältnis zu Mädchen und Frauen – zwischen Überlegenheits- und Unterlegenheitsgefühlen, zwischen Abwertung und Anziehung (…). Diese Spaltung setzt sich auch in den Lebensbereichen fort: Während die Jungen und junge Männer in den Cliquen sexistisch protzen – vor allem auch mit Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 30 pornographischem Hintergrund – zeigen die meisten von ihnen gleichzeitig grossen Respekt ‚ihren‘ Mädchen und Frauen gegenüber. (…) Alles, was in der sozialen Wirklichkeit für Männer so schwer geworden ist, weil nicht mehr selbstverständlich, scheint im Pornographiekonsum erreichbar: Die ständige Verfügung über männliche Potenz, der mühelose Zugang zu Frauen, die Realisierung kursieren, all jener aber sexuellen durchaus auch Männerstereotype, von Frauen die unter signalisiert Männern werden. Das skandalisierte Bild der Abwertung und Benutzung der Frau, welche die Pornos vermitteln, ist dagegen äusserlich, bildet sich nicht so in den Tiefenstrukturen der Männer ab. Die Männerseele hat hier ihre eigenen Botschaften, die von der inneren Gespaltenheit des Mannes der Frau gegenüber bestimmt sind und den Pornographiekonsum zu einem Ereignis der Bedürftigkeit machen.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 303-304) Auch scheint sich der Porno Chic insbesondere in der Freizeitgestaltung junger Frauen abzubilden: „pole dancing“ 25 wird als sexy Workout angepriesen und bringt auch gleich noch einen Tick Verruchtheit mit. Auch Gogo Dance, laut Migros Klubschule-Beschreibung eine „energiegeladene, körperbetonte und sehr sexy Tanzform“ scheint aktuell den Geschmacksnerv zu treffen (Klubschule Migros, 2010). Wollen Mädchen und Frauen durch das Erlernen solcher Fähigkeiten gefallen und werden damit im weitesten Sinne zu Opfern der Folgen des vermehrten und verbreiteten Pornografiekonsums? Oder haben sie um ihrer selbst willen Lust dazu? Die Meinungen gehen auseinander: Laut Gernert reicht die Bandbreite von einer Rosalind Gill, Geschlechtertheoretikerin, die eine „neue Weiblichkeit“ zu erkennen glaubt, bis zu einer Ariel Levy, Journalistin, die pornochicbefürwortende Frauen als „Female Chauvinist Pigs“ bezeichnet (Gernert, 2010, S. 156-157). Weiter erwähnt Gernert in diesem Zusammenhang einen Bericht Sexualisierung der von American Psychological Mädchen: „Der Association männliche von Blick, 2007 stellt zur die Psychologievereinigung fest, bestimme die Sicht auf Frauen in Musikvideos, in Filmen, in der Sportberichterstattung, in der Werbung und in Magazinen“ (Gernert, 2010, S. 169). Böhnisch sieht das etwas anders. Er spricht Frauen eine aktive Rolle zu und erwähnt in diesem Zusammenhang den wachsenden 25 Tanztechnik an der Stange, wie sie in Stripclubs praktiziert wird. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 31 Frauenpornografie-Markt 26 an, der sich vom gängigen Pornografiemarkt abhebe, indem beispielsweise „auf wiederkehrende Choreographien sexueller Stellungen“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 302) verzichtet werde. Allerdings muss an dieser Stelle nochmals konstatiert werden, dass es sich beim Löwenanteil der verbreiteten und frei zugänglichen Pornografie eben gerade nicht um solches Material handelt. Und auch die transportierten Bilder, also der Porno Chic im Alltag, spiegelt nicht ein emanzipiertes Frauenbild wider. 5.3.3 HEILIGE ODER HURE – KONFLIKT FÜR BEIDE GESCHLECHTER Ein Konflikt, der beiderlei Geschlechtern zu schaffen macht, beschreibt Gernert als den „uralten Gegensatz: Heilige versus Hure“ als „Drahtseilakt“, als „extrem schmalen Grat“, auf dem Mädchen wandeln müssen. Man könnte meinen, dass die oft erwähnte gesteigerte Gelassenheit im Umgang mit Sexualität mithelfen würde, diesen Gegensatz zu nivellieren. Paradoxerweise scheint gerade durch das vorherrschend transportierte Bild der Frau in der Pornografie dies nicht der Fall zu sein (Gernert, 2010, S. 185). Sexuell begehrt werden verachtete Frauen, geliebt hingegen Mutterbilder. Engelfried zitiert dazu Gambaroff, 1990: „Die „inzestuöse Bindung des Mannes an seine Mutter“ führt „zu einer Desexualisierung seiner Beziehungen zu geliebten Frauen, die ähnlich wie die Mutter, idealisiert, aber nicht begehrt werden dürfen.“ (…) Es ist dem Mann nicht gelungen, den zuvor benannten Konflikt positiv zu bewältigen. (…) Vernachlässigt und somit tabuisiert wird folglich der dringend notwendige Blick auf die Bedeutung des Vaters 27 bzw. anderer männlicher Bezugspersonen, für die Aneignung von Männlichkeiten und den Umgang mit Mädchen und Frauen. (…) Pornografie birgt die Möglichkeit in sich (…) Unterlegenheitsgefühle, die z.B. in der Auseinandersetzung mit der Mutter und dem Vater entstanden sind, durch die Projektion auf zu Objekten gemachten Frauen zu verdrängen.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 314-317) Pornografie wird in Bezug auf dieses Doppelbild der Frau also nicht als ursächlich für die Entstehung, sondern eher als eine Art Ventil, Bewältigungsform 26 Frauen produzieren Pornografie für Frauen. In Anlehnung an Schwarzers „PorNo“Kampagne werden unter dem Motto „PorYes“ feministische Sexfilme befürwortet (vgl. Gernert, 2010, S. 187). 27 In diesem Zusammenhang ist das interessante Fallbeispiel von einem Jungen namens „Ric“ in Gernert zu finden (Gernert, 2010, S. 95ff). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 32 beschrieben. Dass dabei von „Projektion“ und „verdrängen“ gesprochen wird, zeugt allerdings nicht von einer möglichen Lösung des Konflikts. Wird Pornografie als eine Art parasoziales Medium (vgl. Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 304) verstanden, wie Engelfried dies tut, werden Zusammenhänge Engelfried zu Menzel, direkten 1993 sozialen und Interaktionen stellt die sichtbar: „Offensivkraft So zitiert weiblicher Selbstbestimmung“ der „Pazifizierung männlicher Sexualität“ gegenüber. Sie erläutert Menzels Sicht wie folgt: „Nach Menzel birgt folglich das Herausfiltern des aggressiven Moments aus der Partnerschaft die Gefahr, dass Jungen und Männer diese Seiten z.B. in der Pornografie oder durch sexuelle Gewalt ausleben.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 324). Selbst in der Produktionsszene der Pornografie scheint es kritische Stimmen zu aktuellen Entwicklungen zu geben. So leide der Wert der Frau nach Produzent, Darsteller und Regisseur Lars Rutschmann bei und durch die Karrieren der Pornodarstellerinnen. Er hält insbesondere das Genre „Gangbang“ für problematisch: Diverse Internetseiten würden Männer zu Drehs mit „AONutten“ („Alles ohne“ – kein Kondom) einladen, wodurch Freier zu Darstellern würden. Laut Psychologie Dolf Zillmann könne auch die Wertschätzung der Ehefrau unter dem Pornografiekonsum des Ehemannes leiden; nämlich dann, „wenn der Mann vor lauter sexgeilen Pornoflittchen die eigene Partnerin übersehe“ (Gernert, 2010, S. 98-99). 5.4 GESELLSCHAFTLICHE DIMENSION 5.4.1 DISKUSSION – EMOTIONEN VS. SACHLICHKEIT Die gesellschaftliche Debatte zur „Generation Porno“ verläuft sehr emotional: Rasch ist von Verboten die Rede, vom Staat werden Massnahmen zum Jugendschutz gefordert. Gernert erklärt Reporter Walter Wüllenweber („Stern“Artikel „Voll Porno“) sowie Bernd Siggelkow (Buchautor 28 und Betreiber der freikirchlichen Institution „Arche“ 29 ) als wesentlich mitverantwortlich für das Schüren der hitzigen Diskussion. Kritik äussert Gernert 30 insbesondere gegenüber Siggelkow, der unter anderen auch Spendengelder vom Porno-Rapper „Frauenarzt“ annimmt. Siggelkow und sein Umfeld seien stark von christlichen 28 Unter anderen „Deutschlands sexuelle Tragödie“ vom Herbst 2008 Eine Art Kinder- und Jugendhilfswerk 30 U.a. Gunter Schmidt kritisiert Siggelkows Sichtweise und bezeichnet diese als undifferenziert. 29 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 33 Werten geprägt und streben denn auch nach entsprechenden Idealen. Trotz oder gerade wegen ihrer grossen Empörung, weigern sich viele Erwachsene, eine detailliertere Auseinandersetzung mit der Materie anzustreben. Gernert beruft sich auf Aussagen von Faulstich und Schmidt, wenn er ausführt, dass oftmals lieber Vorurteile weitergepflegt werden, weil Gefühle wie Scham, Ärger und Angst das Denken und Handeln leiten (Gernert, 2010, S. 14, 17-22). Das Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums mag ein neueres sein, nicht aber der gesellschaftliche Umgang mit Veränderungen und Entwicklungen des Sexuellen: Bereits in der 1920er Jahren war die Gefahr der „sittlichen Verwahrlosung“ der modernen Jugend das pädagogische Thema der Zeit, das zwischen den sich gegenüberstehenden Entwicklungen einer sexuellen Liberalisierung, beziehungsweise einer Verstärkung der Moralkontrolle diskutiert wurde (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 56-57). Anhand dieses Rückblicks wird offensichtlich, dass „sexuelle Verwahrlosung“ historisch betrachtet ein relativer und wertender Begriff ist, der sich stets an den Normen orientiert, die 1. gesellschaftlich gültig und 2. durch die sich äussernde Person vertreten werden. Gernert hält es ohnehin für passender von „sexueller Verunsicherung“ zu sprechen und meint damit eine denkbare Auswirkung jugendlichen Pornografiekonsums auf das sexuelle Empfinden Heranwachsender (Gernert, 2010, S. 86-87). Auf diesen und weitere Aspekte wird an anderer Stelle in dieser Arbeit näher eingegangen. Zurück zu den gesellschaftlichen Ängsten: Die Redewendung „monkey see, monkey do“ benutzt Gernert, um vereinfacht auszudrücken, welche Befürchtungen mit jugendlichem Pornografiekonsum verknüpft sind; es handle sich dabei um die „Pornopanik“ des 21. Jahrhunderts. Dass diese aufgeregte und pessimistische Haltung wenig hilfreich ist, leuchtet ein. Gernert bezieht sich auf Schmidt, der „Disziplin und Gelassenheit“ als notwendig erachte, (…) um die Dinge wissenschaftlich genau zu untersuchen“. irgendwelchen Fehlen diese Voraussetzungen, Spekulationen über so besteht die Gefahr, Ursache-Wirkungszusammenhängen aufzusitzen (Gernert, 2010, S. 71-72). Die frühere Masturbationspanik kehrt im Pornografie-Gewand zurück: Sexualaufklärer Oswalt Kolle fürchtet eine „Masturbationsgesellschaft“, in der hauptsächlich virtuelle Sexualität gelebt würde. Eine andere Befürchtung ist die fehlende Verknüpfung von Sexualität und Liebe (Gernert, 2010, S. 11-12, 140). Die für wissenschaftliche Untersuchungen nötige Haltung kann kaum von einer Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 34 eingefordert werden; im Gegenzug kann aber die Wissenschaft mittels Erkenntnissen Aufklärungsarbeit leisten. 5.4.2 MEINUNGSBILDUNG: DIE ROLLE DER MEDIEN Die Frage nach der gesellschaftlichen Meinungsbildung kennt keine einfache Antwort. Zweifellos spielen aber die Medien eine Rolle in diesem Prozess. Ein Phänomen wie das des jugendlichen Pornografiekonsums wird unter anderem durch Bekanntmachung der Medien breiten Teilen der Gesellschaft überhaupt bekannt und in dieser Form wahrnehmbar. Verschiedenste Akteure der Medien berichten in unterschiedlicher Weise und erreichen differente Gesellschaftsmitglieder, deren Meinungsbildung wiederum von vielen weiteren Faktoren abhängt. Wie steht es nun aber um die Rolle der Medien im konkreten Bezug auf jugendlichen Pornografiekonsum? Lautmann führt wie folgt aus: „Auf gesellschaftlicher Ebene werden allerlei Veränderungen – am häufigsten: die Medien – benannt und angeklagt. Das Stichwort ‚Medien‘ liefert den Einstieg zu überzeugenden Antworten, nicht weil sie die Pluralisierung ‚verschuldet‘ hätten, sondern weil sie sie sichtbar machen.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 79). Dass bei dieser Sichtbarmachung aber teilweise bewusst auf Überzeichnung und plakative Darstellung gesetzt wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Hipeli und Süss weisen darauf hin, dass aus strategischer Intention in den „Boulevardmedien“ ein überzogenes Bild Jugendlicher „gezeichnet wird". Dieses „folgt klassischen publizistischen Auswahlkriterien, wonach negative Schlagzeilen eine höhere Aufmerksamkeit der Rezipienten in Aussicht stellen“ (Hipeli & Süss, 2009, S. 53). Pfiffner nennt Medienstrategien nach Bosshard, 2005: • Skandalisierung • Personen • negative Ereignisse (…) • Bedeutsamkeit • Provokation / Überzeichnung (Pfiffner, 2008) Die Medien sind nicht lediglich Aufzeigende des Phänomens jugendlichen Pornografiekonsums, sondern gleichzeitig Beteiligte. Indem sie pornografisches Material verbreiten und allgemein Isabelle Beetschen und Julia Rogger zugänglich machen, HS 2010/11 werden sie zu Seite | 35 Mitgestaltenden gesellschaftlicher Entwicklungen. Dazu Lenz: „Als Reaktion auf die mediale Sexualisierung wurde Mitte der 1970er Jahre die Pornographie für Erwachsene freigegeben 31 .“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 134). Insbesondere das Internet ist das Medium der Medien in Bezug auf Pornografie. Ein pointierter Exkurs zur Internet-Pornografie mit Böhnisch: „Mit dem digitalen, das heisst sozial entbetteten Medium des Netzes und der Möglichkeit, in ihm aktiv pornographisch zu agieren – im Kontrast zum Passivkonsum der Pornovideos – sind die Grenzen zwischen Verantwortung und Verantwortungslosigkeit nicht nur einfach weiter hinausgeschoben worden, sondern haben eine qualitative Verschiebung erfahren. Nun existieren zwei Welten nebeneinander und sind gleichzeitig in der Virtualität vereinbar. (…) Das virtuelle Netz und seine Abstraktionen entziehen sich der herkömmlichen Pornographiekritik. Denn in der Internet-Pornographie wirken ja dieselben Muster digitaler - sozial abstrakter – Vergesellschaftung und sozial entbetteter Legitimation, wie wir sie im neuen globalisierten Kapitalismus – der ja das Netz generiert und gleichzeitig von ihm lebt – antreffen. (…) Es (das Internet) zwingt geradezu zur Externalisierung. Es kennt keine Grenzen, nur ‚links‘; der Einzelne wähnt sich in der Mitte des Universums. Es ist eine unendliche Szene von Millionen Egozentrierten, die untereinander ohne sozialemotional riskante Empathie und antisoziales Abspaltungsrisiko in Kontakt kommen und sich lösen können, die andere nach ihren Wünschen nutzen, manipulieren und gebrauchen können, mit dem grundlegenden Unterschied, dass die Begriffe ‚nutzen‘, ‚gebrauchen‘, ‚manipulieren‘ ihre soziale Bindung verloren und damit ihren sozialethischen Sinn eingebüsst haben. (…) Hier gelte es alles auszuprobieren, was machbar sei, und da sei doch das Thema zweitrangig: Ob nun Pornographie, Kriegs- oder Börsenspiel, die Inhalte treten hinter diesem Prinzip zurück.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 306-308) 5.4.3 DER UMGANG MIT PORNOGRAFIE – EINE GENERATIONENFRAGE? Die Differenzen zwischen den Generationen widerspiegeln sich sowohl in der unterschiedlichen Medien-, insbesondere der Internetnutzung, als auch hinsichtlich der Sexualität, insbesondere des Umgangs mit Pornografie. Gernert formuliert wie folgt: „Die ‚Generation Porno‘, die vor allem eine ‚Generation Internet‘ ist, könnte den Vertretern der ‚Generation Schnurtelefon‘ den Weg auf die andere Seite der digitalen Kluft weisen. Aber wieso sollte sie?“ (Gernert, 2010, S. 248). Es ist nicht im Interesse Jugendlicher, alles mit den Erwachsenen zu teilen; sie suchen nach Gegensätzen, Freiräumen und Gelegenheiten, sich abzugrenzen. Andererseits interessieren sich Jugendliche zunehmend für die Erwachsenenwelt. Im Gegenzug wollen Erwachsene zwar Bescheid wissen über das Tun und Lassen Jugendlicher, nicht aber alle eigenen Räume ihrer Lebenswelt zugänglich machen, beziehungsweise thematisieren. Existiert überhaupt eine „Generation Porno“? Laut Gernert könnte ebenso gut von einer 31 Diese Angabe bezieht sich im entsprechenden Text auf Deutschland. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 36 „Generation iPod“, „Generation Internet“, „Generation Casting“ oder „Generation Alcopop“ gesprochen werden; es handle sich um eine Generation mit äusserst vielseitigem Medienumfeld und Konsumgewohnheiten, der Pauschalbegriffe nicht gerecht würden. Die Generation davor wurde von Journalisten als „Generation Fernsehen“ bezeichnet (Gernert, 2010, S. 11). Auch Hipeli und Süss äussern sich zur Generationen-Namengebung und beziehen sich auf Palfrey und Gasser, 2008, wenn sie von „digital natives“, eine weitere Bezeichnung, die im Trend liegt, sprechen (Hipeli & Süss, 2009, S. 49). Laut Hardinghaus und Krahe ist Pro Familia-Sozialpädagoge Michael Niggel der Meinung, dass es womöglich „das Zeitalter Porno“ gebe, nicht aber lediglich die „Generation Porno“ (Hardinghaus & Krahe, 2010, S. 7). 5.4.4 GESELLSCHAFTLICHE VERÄNDERUNGSPROZESSE Die Jugend, deren Verhalten sowie Charakteristika von Jugendbewegungen können als Indikatoren für gesellschaftliche Entwicklung gesehen werden. Trifft dies auch auf den Umgang mit Pornografie zu? Und handelt es sich in diesem Falle hauptsächlich um ein jugendbezogenes Phänomen? Zillmann beschreibt Pornografie als „ein Element der so genannten sexuellen Revolution“, welches durch einen „Grossteil der westlichen Welt, insbesondere europäische Kulturen (…) stillschweigend hingenommen oder sogar offen begrüsst“ wurde (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 566). Dass sich verschiedene Themen aktueller gesellschaftlicher Veränderungen in den Bereichen Sexualität, Medien, Emanzipierung der Frau sowie Erfolgskultur miteinander verbinden und so zu neuen Zugängen führen, erläutert Böhnisch wie folgt: „Vor allem bei der Jugend, die in einer Gesellschaft mit öffentlicher Sexualität und Pornographie aufwächst, scheint sich diese Entwicklung abzuzeichnen. Pornographische Medien sind für Jungen und Mädchen längst kein Tabu mehr, vor allem haben sie ihre männliche Exklusivität verloren. Die Überlegenheits/Unterlegenheitsthematik vermischt sich mit der neuen erfolgskulturellen Thematik des Gelingens oder Versagens.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 305) Was bedeutet das in Bezug auf die Möglichkeiten der Beeinflussung von Entwicklungsprozessen Jugendlicher im gesellschaftlichen Kontext? Schröder betont die Grenzen der Sexualaufklärung auf gesellschaftlicher Ebene; es gelte, die „begrenzte Reichweite (zu) akzeptieren und die interaktiven Prozesse nur von Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 37 den Rahmenbedingungen her (zu) begünstigen“. Wie Böhnisch weist Schröder aber auch darauf hin, dass sich die Verantwortlichkeiten verschoben haben und meint damit die auffällige „individuelle Verantwortung für ein Gelingen 32 von sexuellen Beziehungen.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 353-354). Berger und Luckmann gehen so weit, dass sie missglückte Sozialisation (im Allgemeinen) in unmittelbare Verbindung mit dem „Phänomen des ‚Individualismus‘“ setzen (Berger & Luckmann, 2009, S. 182). Da Sexualität zweifelsohne ein Teil der Sozialisation darstellt, scheint sich diese Aussage mit den vorangehenden zu decken. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie die erwähnte Erfolgskultur sowie der Individualismus beeinflussen die Sozialisation. Es mag verschiedene Gründe für das Entstehen solcher Rahmenbedingungen geben. Welche Rolle dabei der Wirtschaft zukommt, wird im nächsten Abschnitt diskutiert. 5.4.5 DIE WIRTSCHAFTLICHE BEDEUTUNG DER PORNOGRAFIE Lautmann spricht von Mikroprozessen, respektive neuen Sexualformen. Allerdings scheinen seine Aussagen in Bezug auf Pornografie nicht ohne Bedenken geäussert: „Worin nun könnten die gesellschaftlichen Mikroprozesse bestehen, in denen sich die neuen Sexualformen etabliert haben? Sind es etwa die Initiativen von kommerziellen Unternehmen? (Im Bereich Pornografie und Prostitution Schröder, gewiss 2005, S. (…).)“ 82). (Böhnisch, Welchen Engelfried, Ursprungs Funk, ist Lautmann, die grosse Lust Lenz, auf pornografisches Material? Und welche Regeln bestimmt die Beziehung zwischen Pornografie und Wirtschaft? Dass Angebot und Nachfrage in reziprokem Verhältnis stehen, steht ausser Frage. Trifft im Falle von pornografischem Material der wirtschaftliche Grundsatz zu, wonach die Nachfrage das Angebot bestimmt? Verschiedene Fachleute sehen den Ursprung des wirtschaftlichen Erfolgskurses der Pornografie in der sexuellen Revolution. So auch Funk und Lenz: „Vor allem als Begleiterscheinung zur sexuellen Revolution der 1960er Jahre entwickelte sich die Erstellung und der Vertrieb der Pornographie zu einem umsatzstarken Wirtschaftszweig (…) und dies führte nachhaltig zu einer Kommerzialisierung des Sex.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 38). Von da an schien nichts und niemand den wirtschaftlichen Erfolgskurs der Pornografie mehr zu stoppen, stoppen zu wollen 32 Diese Aussage impliziert aber auch ein potentielles individuelles Misslingen! Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 38 oder auch stoppen zu können. Indes scheinen sich moralische Zweifel an diesem üppigen Angebot zu halten, ja zunehmend zu verhärten. Wie kommt es zu solch sich entgegenstehenden Entwicklungen? Mit Doppelmoral alleine wäre weder eine wissenschaftlich redliche noch befriedigende Antwort gefunden. Vielmehr zeigt der Siegeszug der Pornografie auf, wie wirtschaftlich bedeutend gewordene Zweige Eigendynamik entwickeln. Böhnisch findet dafür klare Worte: „Der Sprung vom tabuisierten Hintertürartikel zum offenen und marktgängigen Markenprodukt vollzog sich innerhalb von fünfzehn Jahren in den 1980er und 1990er Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit der industriellen Vermarktung der Pornographie ist der moralische Konsens gegen ihre Verbreitung ausgehöhlt. Was marktöffentlich ist, liegt jenseits der Grenzen von gut und böse.“ (Böhnisch, Engelfried, Funk, Lautmann, Lenz, Schröder, 2005, S. 305) Dines bezeichnet Pornografieproduzenten als Architekten eines gigantischen und unkontrollierten gesellschaftlichen Experiments, deren Folgen zwar nach wie vor unklar, von der Autorin selbst aber vermutet, genannt und gefürchtet werden (Dines, 2010, S. x) Sie bringt es wie folgt auf den Punkt: „What turns these people on is making money“. (Dines, 2010, S. xvi). Dines betont, dass Pornografieproduzenten knallharte Geschäftsleute durch und durch sind und keineswegs eine Art sexuelle Revolutionäre, die für sexuelle Freiheit der Gesellschaft kämpfen. Ähnlich wie Böhnisch führt sie aus: „It needs to be understood as a business whose product evolves with a specifically capitalist logic“ (Dines, 2010, S. 46). Dines erläutert weiter die Macht des Pornobusiness, vergleicht dieses mit der Tabakindustrie und ist überzeugt davon, dass eben nicht die Nachfrage das Angebot bestimmt. Vielmehr schaffe die Pornoindustrie durch gezielte Marketingstrategien nicht nur ein Image, sondern eine Umgebung, in der sich die Produkte verkaufen lassen: As a major industry, the porn business does not just construct and sell a product; it constructs a world in which the product can be sold: the technologies, the business models, the enthusiastic consumers, the complaint performers, the tolerant laws, even the ideologies that proclaim porn to be the apogee of empowerment and liberation.“ (Dines, 2010, S. 46). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 39 Einzelne Pornografieproduzenten leiden am Erfolg der Pornoindustrie: Die Massenverbreitung mit ungehindertem und kostenlosen Zugang über Internet schadet dem Business mittlerweile sogar (Dines, 2010, S. xvii). Dines hält verlässliche Zahlenangaben für schwierig zu finden, nennt aber dennoch eindrückliche Schätzungen, um eine Vorstellung des Businessumfanges zu vermitteln: „(…) the global industry has been estimated to be worth around $96 billion in 2006 (…) pornography revenues rival those of all the major Hollywood studios combined. There are 420 million Internet porn pages, 4.2 million porn Web sites, and 68 million search engine requests for porn daily“ (Dines, 2010, S. 47). Um insbesondere die Grösse der Pornoindustrie im Internet aufzuzeigen, nennt auch Vogel nennt Zahlen nach Renner, 2004: „Die Anzahl erotischer und pornographischer Internetseiten ist in den letzten sechs Jahren um 1800% auf 260 Millionen Einzelseiten bzw. auf 1,3 Millionen Websites gestiegen.“ (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 449). Auch für das Pornobusiness gilt die rechtlich festgehaltene Wirtschaftsfreiheit. Dieser sind allerdings auch gewisse Grenzen gesetzt. 5.5 RECHT 5.5.1 TATBESTAND, TATOBJEKTE UND TÄTERINNEN Im Basler Kommentar wird Justice Potter Stewart, US Supreme Court Jacobellis vs. Ohio, 1964 zitiert: „I may not be able to define pornography; but I know it when I see it.“ (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1192). Schweizer Recht definiert den Begriff der Pornografie nicht im eigentlichen Sinne. Zwar wird eine Unterscheidung zwischen „weicher“ und „harter“ Pornographie gemacht, nicht aber klar bestimmt, was „der Begriff des Pornographischen selbst“ ist (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1198). Laut Meng und Schwaibold werden „Darstellungen oder Darbietungen sexuellen Inhalts, „die sexuelles Verhalten aus seinen menschlichen Bezügen heraustrennen und dadurch vergröbern und aufdringlich wirken lassen“ (Botschaft, 1985, 1089) als pornografisch bezeichnet (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1198). Weitere Indikatoren seien das Zeigen von „(…) Sexualität in fortschreitender Steigerung (…)“ sowie „die krasse und primitive Darstellung sexueller Akte (…) die jede andere Bedeutung vermissen lassen.“ (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1199). „Weiche Pornographie“ bewege sich zwischen Kunst und Erotika einerseits, „harter Pornographie“ andererseits; „tatbeständlich ist nur die krud vulgäre (…) Darstellung von auf sich selbst Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 40 reduzierter Sexualität, die den Menschen zum blossen Sexualobjekt erniedrigt (…) wie etwa das Aneinanderreihen sexueller Akte (…).“ (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1199). „Harte Pornografie“ sei daran zu erkennen, dass nebst dem beschriebenen „pornographischen Charakter einer Darstellung (…) der Einbezug von Kindern, Tieren, menschlichen Ausscheidungen (…) oder Gewalttätigkeiten“ erfolge (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1200). Chen-Christen, Kunz und Levin beziehen sich auf die Angaben der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen St. Gallen, 2003, wenn sie die folgenden Kriterien für die Definition von Pornografie im juristischen Sinne nennen: • Stimulierungsabsicht • Anstandsverletzung • Isolierung der Sexualität • Unrealistische Darstellung • Aufdringlichkeit • Degradierung des Menschen zum Objekt (Chen-Christen, Kunz, Levin, 2007, S. 7) Das Gesetz nennt folgende Tatobjekte: • Schriften • Ton- oder Bildaufnahmen • Abbildungen • andere Gegenstände solcher Art • pornographische Vorführungen (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1202) Laut Gesetz komme „jedermann (…) als Täter in Frage“. Meng und Schwaibold weisen daraufhin, dass sich aufgrund dieser Abfassung bereits „(…) Kinder ab 10 Jahren (…) strafbar machen“ können (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1198). 5.5.2 ZUM STRAFGESETZBUCHARTIKEL UND DER ABSICHT DER GESETZGEBUNG Der einschlägige Artikel des schweizerischen Strafgesetzbuchs zu Pornografie lautet wie folgt: Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 41 Art. 197 33 1. Wer pornografische Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen, Abbildungen, andere Gegenstände solcher Art oder pornografische Vorführungen einer Person unter 16 Jahren anbietet, zeigt, überlässt, zugänglich macht oder durch Radio oder Fernsehen verbreitet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. 2. Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer 1 öffentlich ausstellt oder zeigt oder sie sonst jemandem unaufgefordert anbietet, wird mit Busse bestraft. Wer die Besucher von Ausstellungen oder Vorführungen in geschlossenen Räumen im Voraus auf deren pornografischen Charakter hinweist, bleibt straflos. 3. Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer 1, die sexuelle Handlungen mit Kindern oder mit Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. Die Gegenstände werden eingezogen. 3bis Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft,2 wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer 1, die sexuelle Handlungen mit Kindern oder Tieren oder sexuelle Handlungen mit Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, erwirbt, sich über elektronische Mittel oder sonst wie beschafft oder besitzt. Die Gegenstände werden eingezogen. 4. Handelt der Täter aus Gewinnsucht, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. Mit Freiheitsstrafe ist eine Geldstrafe zu verbinden. 5. Gegenstände oder Vorführungen im Sinne der Ziffern 1–3 sind nicht pornografisch, wenn sie einen schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Wert haben. (Die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2010) Meng und Schwaibold kommentieren die Absicht der Gesetzgebung dahingehend, dass es „in einem liberalen, aufgeklärten und säkularisierten Staat“ nicht 33 Letztmalige Änderung im Jahre 2001 (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1196) Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 42 „Aufgabe des Strafrechts“ sein könne, „eine öffentliche Sittenmoral durchzusetzen“. Das „Bestimmtheitsgebot und die Besinnung auf die Funktion des Strafrechts als ultima ratio verlangen die klare Erkennbarkeit der durch eine Strafnorm geschützten Rechtsgüter und eine möglichst eindeutige Umschreibung der verbotenen Handlungen“. So sei es das Ziel der Revision des Sexualstrafrechts gewesen, „die zu schützenden Rechtsgüter – namentlich die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“ herauszuarbeiten. Ein Hauptziel sei „der (vorbeugende) Jugendschutz“, also „die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen (…)“ (Meng & Schwaibold, 2007, S. 1197). 5.5.3 ANZEIGEPFLICHT IM STRAFVERFAHREN Kommen SozialarbeiterInnen mit Jugendlichen in Kontakt, die sich im Sinne des StGB-Artikels 197 strafbar machen, so stellt sich die Frage nach der Anzeigepflicht oder einer allfälligen Entbindung davon. Laut Angaben des okaj zürich sind „grundsätzlich (…) nur die Angestellten der Strafbehörden verpflichtet, Straftaten, die sie bei ihrer amtlichen Tätigkeit festgestellt haben, anzuzeigen (Art. 302 StPO)“. Kantone sind aber befugt, Behörden und Angestellte des Kantons sowie der Gemeinden zur Anzeige ihnen bekannt gewordener strafbarer Handlungen zu verpflichten. Eine Beschränkung dieser Pflicht könnte allenfalls durch Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 168ff. StPO) erfolgen. Ebenso ist der Kanton in der Lage Einschränkungen für Anzeigeverpflichtete vorzusehen, deren berufliche Aufgabe das persönliche Vertrauensverhältnis zu Beteiligten, respektive deren Angehörigen voraussetzt. Hingegen müssen beispielsweise JugendarbeiterInnen im Dienste einer Gemeinde Straftaten anzeigen, die ihnen während ihrer Arbeitszeit bekannt werden, es sei denn, sie seien ausdrücklich von der kantonalen Anzeigepflicht befreit (okaj zürich. Dachverband der Jugendarbeit, 2010, S. 123). 5.5.4 JUGENDSCHUTZ IM INTERNET „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Gesetze finden auch auf Sachverhalte im Internet Anwendung.“ (KOBIK, 2007) Hipeli und Süss sind der Ansicht, es sei „klar die Aufgabe des Jugendmedienschutzes, Kinder und Jugendliche vor illegalen medialen Inhalten und nichtaltersgerechten Medieninhalten zu schützen“. Als Mittel nennen sie „gesetzliche Massnahmen Selbstkontrollen der und Verbote, Anbieter Isabelle Beetschen und Julia Rogger sowie Alterslimiten und Filter-Software“. HS 2010/11 –verifikationen, Dass diese Seite | 43 Schutzmassnahmen nicht richtig greifen sehen sie hauptsächlich in den „digitalen interaktiven Medien (…)“ begründet, da deren Kontrolle schwierig sei. Während also die „Erfolgsaussichten des Jugendmedienschutzes“ bezüglich Filmen im Kino und auf Video oder DVD und Fernsehen „noch am höchsten“ seien, so sehe dies bei Videospielen schon anders aus und finde seine Grenzen schliesslich in Bezug auf Internet und Mobiltelefone (Hipeli & Süss, 2009, S. 57-59). Gernert berichtet von seinem Austausch mit den Jugendschutzbeauftragten der Netzwerkplattform „SchülerVZ“. Diese seien mit „überwältigenden Datenmengen“ von Fotos, Mails und Links konfrontiert und damit „vor eine fast unlösbare Aufgabe“ gestellt (Gernert, 2010, S. 221). Auch Andreas Hauenstein, einem Mitgründer der „Lokalisten“ 34 , berichtet von riesigen Datenvolumen (3 Millionen Nachrichten, bis zu 250‘000 Fotos) sowie von weiteren Problemen wie datenschutzrechtliche Gründe und technische Machbarkeit. Da eine ganzheitliche Überprüfung „wirtschaftlich sinnvoll nicht zu leisten“ (Gernert, 2010, S. 221) sei, wird, wie bei vielen anderen Netzwerken auch, auf eine Art Selbstkontrolle über einen Button mit Meldefunktion gesetzt. Die Dringlichkeit einer genaueren Überprüfung eines Profils hängt beispielsweise mit der Häufigkeit der Meldungen zusammen; der nächste Schritt ist dann die detaillierte Überprüfung durch MitarbeiterInnen. Ohne weitere Ausführungen wird an dieser Stelle sichtbar, welchen Aufwand die Kontrolle solcher Netzwerkplattformen bedeutet. Im gleichen Moment muss bedacht werden, dass die Weitergabe, respektive das Versenden eines Links oder Fotos als solche gar nicht nötig sind: Im „wild wide web“ reicht die Eingabe eines Begriffs in eine Suchmaschine (und Ausschalten eines allfälligen Jugendschutzfilters), um binnen Sekunden über einen unwesentlichen Umweg an dasselbe Material zu gelangen. Die wesentliche Unterscheidung liegt in diesem Fall laut Gernert aber im Umstand begründet, ob Jugendliche eine aktive Suche starten oder aber zufällig in einem Netzwerkportal auf einschlägige Links, Fotos oder dergleichen stossen. Weil Jugendliche auf Zurechtweisungen nicht selten mit Trotz reagieren und sich beispielsweise nach einer Profillöschung mit anderen Angaben wieder neu anmelden, suchen die Jugendschutzbeauftragten von „SchülerVZ“ die Zusammenarbeit mit ihnen, ihren Eltern und Schulen (Gernert, 2010, S. 221-224). 34 Von Jugendlichen rege genutzte Internetplattform Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 44 Im nationalen Kampf gegen „cybercrime“, also gegen strafrechtlich relevante Internetinhalte, ist das KOBIK, die schweizerische Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, tätig. Das KOBIK ist Anlaufstelle und Kompetenzzentrum für Privatpersonen, die Öffentlichkeit, Behörden und Internetservice-Provider und ist in die Teilbereiche „Monitoring“, „Analyse“ und „Clearing“ gegliedert. Strafrelevante Internetinhalte werden also gemeldet oder von KOBIK-MitarbeiterInnen selbst bei Recherchen entdeckt, detailliert geprüft und analysiert und allenfalls an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden im Inund Ausland weitergeleitet. KOBIK entstand aufgrund der interkantonalen Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Missbrauchs der Informations- und Kommunikationstechnik (BEMIK) im Jahr 2001; die rechtliche Grundlage bildet eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Kantonen, ebenfalls aus dem Jahr 2001. Das KOBIK hat ein Meldeformular eingerichtet: http://www.cybercrime.ch/cgi-bin/trystart_d.pl. Dazu ist dem Jahresbericht 2009 folgendes zu entnehmen: „Die Meldungen aus der Bevölkerung konzentrierten sich in erster Linie auf die harte Pornografie (17.8%) sowie auf Pornografie infolge fehlender Alterskontrolle (14.9%).“ Eine mögliche Zugangsbeschränkung zu Websites mit pornografischen Angeboten wäre der „Adult-Checker“ 35 . Das KOBIK gibt an, dass mit dem Bundesgerichtsurteil 6P.122/2004 vom 08.03.2005 festgehalten wurde, „dass (…) einfaches Anklicken eines Warnhinweises nicht genügt, um den Jugendschutz des Art. 197 Ziff. 1 StGB zu gewährleisten“. Schweizerische Betreiber von Websites mit pornografischen Inhalten ohne jegliche Alterskontrolle würden sich folglich strafbar machen. Gleichzeitig weist das KOBIK aber auch darauf hin, dass „mit den zur Zeit auf dem Markt erhältlichen „Adult-Checker“ Programmen keine hundertprozentige Sicherheit erlangt werden“ könne, „dass es sich bei den Benutzern tatsächlich um erwachsene Personen handelt.“ Nicht nur an technische, sondern auch räumlichrechtliche Grenzen ist zu denken: „Da sich Sachverhalte im Internet jedoch häufig über verschiedene Staaten erstrecken, ist nicht immer einfach erkennbar, welches staatliche Recht anwendbar und welche Justizbehörde für dessen Durchsetzung zuständig ist“ (KOBIK, 2007). Es wird klar, dass auch auf anderen Ebenen etwas für den Jugendschutz im Bereich der Medien getan werden muss. Ab 2011 bis 2015 werden laut 35 Altersnachweissystem, das zwecks Jugendschutzes Minderjährigen den Zugang zu bestimmten Websites verwehren soll. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 45 Bundesratsbeschluss vom 11.06.2010, SR 311.039.1 zwei Programme, einerseits „Jugend und Gewalt“, andererseits „Jugendmedienschutz und Medienkompetenzen“ auf gesamtschweizerischer Ebene umgesetzt und vom Bund mit 8,65 Millionen Franken unterstützt (Vollmer, 2009, S. 17). Um Jugendliche zu begleiten, anstatt „überzubehüten“ oder aber gänzlich der Eigenverantwortung zu überlassen, ist es wichtig, sich mit deren Zugängen zu und Nutzung von Pornografie und deren möglichen Konsequenzen auseinanderzusetzen. 6. UMGANG JUGENDLICHER MIT PORNOGRAFIE Die Studien zur Nutzung von Pornografie durch Jugendliche und der damit verbundenen Wirkungen beziehen sich vorwiegend auf die Phase der frühen und späten Adoleszenz, also etwa das Alter zwischen 9/13 und 18 beziehungsweise 19 Jahren. Dieser Lebensabschnitt junger Menschen ist wie bereits erwähnt, durch rasante körperliche, psychische und soziale Veränderungen geprägt, zu welchen auch wichtige Schritte der sexuellen Entwicklung zählen. Sexualität wird während der Adoleszenz ein relevantes Thema. Im nächsten Kapitel soll deshalb der Frage nachgegangen werden, inwiefern in dieser Zeit auch pornografische Inhalte an Interesse gewinnen, wie und wozu pornografische Medien von Jugendlichen genutzt werden und welche möglichen negativen Auswirkungen aus dem Konsum von Pornografie für Jugendliche folgen. Die Schwierigkeiten verschiedener Interpretationen des Begriffs der Pornografie und dessen Abgrenzung zur Erotik schlagen sich auch in den folgenden Untersuchungen zur Nutzung von Pornografie und deren Wirkungen auf Jugendliche nieder. Auch hier stellen sich die Fragen, welches Verständnis von Pornografie den Forschungen zu Grunde liegt und welche sexuellen Darstellungen von den Jugendlichen als pornografisch bezeichnet werden. In den folgenden Erläuterungen Jugendliche, verschiedener vermutlich Studienergebnissen, vorwiegend die Mädchen, wird ersichtlich, Erotische dass Darstellungen (Anblick nackter Personen oder Softerotik-Angebote im Fernsehen) bereits als pornografisch einstufen. Viele Untersuchungen stützen sich denn auch auf Zillmanns Definition, die auf eine Abgrenzung zwischen Erotik und Pornografie verzichtet und somit den Jugendlichen die Definition überlässt (z.B. AltstötterGleich, Ertel). Andere AutorInnen (z.B. Peter & Valkenburg) beziehen sich auf Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 46 klar ab- und auch begrenzende Definitionen, wie sie beispielsweise von Vogel vertreten wird, wobei die Fokussierung auf die Genitalien in den Vordergrund gestellt wird. So soll die Nennung soft-erotischer Inhalte im Vornherein ausgeschlossen werden. 6.1 NUTZUNG Laut einer US-amerikanischen Studie von Braun und Rojas sind 55.4% der befragten Jugendlichen zwischen 11 und 22 Jahren (n = 433) bereits mit pornografischen Inhalten im Internet konfrontiert worden. Auf die Frage, warum sie mit solchen Materialien in Kontakt kamen, antwortete über die Hälfte (50.2 %), aus sexueller Neugier (sexual curiosity) die Seiteninhalte aufgerufen zu haben. Beinahe ebenso viele sind durch Zufall (accidental exposure) auf pornografische Inhalte gestossen (46.3 %). An dritter Stelle wurde die Informationssuche (information seeking) (17.4 %) genannt (Braun-Courville & Rojas, 2009, S. 3-4). In einer qualitativen Studie von Grimm et al. aus dem Jahre 2010 differenziert sich der gewollte Konsum von pornografischen Internetinhalten nach folgenden Motiven: Lernen / Wissensgewinn, sexuelle Erregung und soziale Motive 36 (Grimm, Rhein, Müller, 2010, S. 255). Zur sexuellen Erregung werden die Pornofilme dabei vorwiegend alleine zur Masturbation, selten gemeinsam mit dem Freund/der Freundin zur Vorbereitung gemeinsamer sexueller Aktivitäten geschaut. In der Peer-Group dagegen wird Pornorafie zur gemeinsamen Belustigung über Darstellungen, oder als Mutprobe geschaut (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 4-5). Die Peer-Group fungiert oft als „Lieferant und Partner“ für die Nutzung von pornografischem Material (Weber, 2009, S. 17). Jungen nutzen gemäss Schmidt und Matthiesen die Pornografie weitaus am häufigsten zur Erregung bei der Masturbation. Solitärer Pornografiekonsum ohne Selbstbefriedigung existiert dabei kaum. „Über den Pornokonsum von Jungen zu sprechen, heisst (deshalb für Schmidt auch) über Masturbation zu sprechen.“ (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 4-5). Auf das Motiv des Wissensgewinn hin, äusserten in einer Interviewreihe des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie der Universität 36 „Kenntnisse über Pornos gilt v.a. bei Jungen als symbolisches Kapital in der Peergroup“ (Grimm, Rhein, & Müller, 2010, S. 255). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 47 Hamburg einige Jungs, dass „man sich skills abgucken“ und „Ideen bekommen kann, (…) vor allem im Hinblick auf Stellungen, wie man eine Frau erregen und befriedigen kann, wie man Oralsex macht“. Es fielen Aussagen wie: „Da sieht man was, was man gut brauchen kann“, Oder „Beim ersten Mal wird es (die Erfahrung mit Pornographie) mir eine Stütze sein“. Das Gesehene wird laut Schmidt und Matthiesen „durchaus mit der Freundin erprobt“ (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 8). Jugendliche machen sich im Internet vorwiegend auf die Suche nach sexueller Praxis. „Es fehlt vor allem jenes spezifische Wissen, das wichtig ist, sich selbst und andern Lust zu bereiten“ (Sielert, 1993, S. 25). Altstötter-Gleich haben in ihrer quantitativ angelegten Untersuchung 11 - 18 Jährige Jugendliche (n = 1352) unter anderem nach der Art der gesehenen pornografischen Internetinhalte befragt. Die Jugendlichen gaben dabei an, auf folgende Kategorien von Pornografie gestossen zu sein: • 33 % Erotik, Softpornos (Darstellung nackter Personen, Striptease, Petting, „normaler“ Geschlechtsverkehr) • 6 % mittlere Pornografie (sado-masochistische, Fisting 37 - und Dehnungspraktiken, Gruppensex und Gang-Bang, Bukakke 38 , Praktiken mit Fäkalien und Urin) • 15 % Gruppen (Geschlechtsverkehr von Personen fortgeschrittenem Alters oder Korpulenten, Bisexualität, Homosexualität, Teenagersex) • 9 % Sexpraktiken (Masturbation, Oralverkehr, Analverkehr, Umgang mit Sexspielzeugen) • 16 % harte Pornografie (Sodomie inkl. Sexuelle Gewalt an Tieren, Nekrophilie, sexuelle Gewalt, sexueller Missbrauch von Kindern, sexuelle Verstümmelung) (Altstötter-Gleich, 2006, S. 21;25) Die Inhalte der Sparte „harte Pornografie“ wurden von den Jugendlichen beinahe durchwegs negativ bewertet. Es seinen Gefühle des Ekels, der Wut und Angst ausgelöst worden (Altstötter-Gleich, 2006, S. 29). Und wie oft wird das genannte Material genutzt? Eine nichtrepräsentative Befragung des Instituts für Publizistik in Mainz, die immerhin über 350 37 Einführen der Faust in Vagina oder Anus Sammeln des Spermas von verschiedenen Männern in einem Gefäss, welches anschliessend – freiwillig oder unfreiwillig – durch weitere AkteurInnen ausgetrunken, respektive diesen eingeflösst wird. 38 Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 48 Jugendliche (darunter viele Gymnasiasten) befragte, kam zum Schluss, dass beinahe die Hälfte der männlichen Jugendlichen fast täglich pornografische beziehungsweise erotische Filme vor allem aus dem Internet konsumieren. Bei den Mädchen sind es lediglich 3%, wobei sich deren Angaben vorwiegend auf frei zugängliche Softerotik-Angebote im Fernsehen beziehen. Soziodemographische Unterschiede in der Nutzungshäufigkeit, mit Ausnahme des „Geschlechts“, konnten in dieser Studie keine festgestellt werden (Weber, 2009, S. 16). Eine laufende Studie des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie der Universität Hamburg bestätigt, dass die Hälfte der 16-19 Jährigen Jungen zumindest wöchentlich Pornografie aus dem Internet konsumiert (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 3). Dieser deutliche Unterschied bezüglich Geschlechterverteilung der regelmässigen Konsumenten, könnte unter anderem auch auf die bereits erwähnten sozialen Motive des jugendlichen Pornografiekonsums (Weber, 2009, S. 17) und genderspezifische sexuelle Skripte 39 zurückzuführen sein. Jeder zweite Jugendliche ist schon mit pornografischen Inhalten im Internet konfrontiert worden. Besonders männliche Jugendliche rufen dabei das pornografische Material absichtlich auf, nicht wenige tun dies regelmässig. Eine Analyse möglicher negativer Auswirkungen des Pornografiekonsums drängt sich daher auf. 6.2 AUSWIRKUNGEN DES PORNOGRAFIE-KONSUMS Die Diskussion über mögliche Auswirkungen der Pornografie wird sehr kontrovers geführt. Auf der einen Seite die Befürchtung, Pornografie führe zu moralischer und sozialer Dekadenz, auf der andern Seite, die Überzeugung, Pornografie sei ein Ausdruck sexueller Revolution und diene als Ventil. Die Forschung indes beschränkte sich in ihren Untersuchen fast ausschliesslich auf mögliche negative Folgen des Pornografiekonsums. Studien der Psychologie und Medienwirkungsforschung dazu gibt es zahlreiche, besonders aus den USA (Ertel, 1990, S. 12-13;43; Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 566). Die Aussagekraft vieler Untersuchungen zur Wirkung von Pornografie ist allerdings kritisch einzuschätzen. Viele Untersuchungen fanden unter Laborbedingungen statt. Oft wurde von einfachen Korrelationen auf Kausalitäten geschlossen. Der 39 Während Pornografiekonsum den männlichen Status unterstreicht, scheinen pornografiekonsumierende Frauen eher durch eine inakkurate Sexualmoral zu befremden (Ertel, 1990, S. 57-58). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 49 Einfluss nicht bewusster oder nicht deklarierter Werthaltungen der AutorInnen, respektive der ForscherInnen lässt sich zudem niemals gänzlich ausschliessen. Solche Mechanismen können zu Verzerrungen führen, werden sie bei der Settingplanung nicht berücksichtigt (Ertel, 1990, S. 12-13;43; Grimm, Rhein, Müller, 2010, S. 15-16). Aussagekräftige Forschungsergebnisse über die Auswirkungen von Pornografie auf jugendliche Konsumenten liegen nur wenige vor. Der vermehrte Pornografiekonsum unter Jugendlichen ist erst durch die Möglichkeit des leistungsfähigen Internetzugangs aufgekommen und das „Phänomen“ dadurch noch relativ neu. Zudem bleiben der Forschung aus rechtlichen verwehrt. und ethischen Deshalb Bedenken stützen sich psychophysiologische sämtliche Untersuchungen Untersuchungen jugendlicher Pornografiekonsumenten auf qualitative oder quantitative Befragungssettings (Grimm, Rhein, Müller, 2010, S. 32). Im Folgenden stützen Veröffentlichungen wir des uns vorwiegend Psychologen Medienwirkungsforschers Dolf auf Henner Zillmann international Ertel (2004) (1990) zur anerkannte und Wirkung des des Pornografiekonsums auf Erwachsene. Ihre Untersuchungen erstreckten sich jeweils über einen längeren Zeitraum und fanden nicht ausschliesslich unter Laborbedingungen statt. Selbst wenn diese Untersuchungen noch Fragen offen lassen, ist ihre Aussagekraft für diese Arbeit bedeutsam und nützlich. Soweit vorhanden, stützen wir uns ergänzend auf aktuelle europäische Studienergebnisse zu möglichen Auswirkungen des Pornografiekonsums auf Jugendliche (Peter & Valkenburg, 2006; 2009 a&b; 2010 a&b sowie Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009). Folgende Thesen zur Wirkung von Pornografiekonsum sind mehrfach untersucht worden (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 572-579 sowie Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 454-456): 6.2.1 HABITUALISIERUNGSTHESE Die Habitualisierungsthese legt nahe, dass durch einen wiederholten Konsum von Pornografie ein Gewöhnungseffekt (Habitualisierung) auftritt, durch welche der Rezipient eine immer grössere Stimulation benötigt, um dieselben Reaktionen und Gefühle wie zu Beginn zu erzielen. Ertel und Zillmann konnten durch ihre Untersuchungen bestätigen, dass besonders bei einem sehr regelmässigen Konsum von Pornografie (sieben Filme pro Woche und mehr) eine gewisse Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 50 Gewöhnung einsetzt. Dieser Habitualisierungseffekt ist bei Gewaltpornografie jedoch deutlich geringer. Zillmanns Vermutung, es setze eine qualitative „PornoSpirale“ ein (der Rezipient sucht nach immer ausgefallerenen und härteren Stimuli), konnte von Ertel nicht nachgewiesen werden. Dagegen verweist dieser auf die Möglichkeit einer quantitativen „Pornospirale“ (Anstieg der Konsummenge) (Ertel, 1990, S. 475; 479 sowie Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 576). Dabei spielt auch das Alter des Erstkontaktes mit pornografischem Material eine entscheidende Rolle (Ertel, 1990, S. 479). 6.2.2 SOZIAL-KOGNITIVE LERNTHEORIE Vertreter der sozial-kognitiven Lerntheorie (Bandura u.a.) gehen davon aus, dass beobachtetes Verhalten bei erwarteter Belohnung nachgeahmt wird. In der Pornografie mündet jegliches sexuelle Verhalten in euphorischen Gefühlen. Diese signalisieren dem Rezipienten eine Belohnung, falls er das beobachtete sexuelle Verhalten nachahmt (stellvertretende Konditionierung) (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 576). Ertel konnte diesbezüglich keine bedeutenden Effekte feststellen (Ertel, 1990, S. 475). 6.2.3 THEORIE DER EXEMPLIFIKATION Die Theorie der Exemplifikation ist verwandt mit dem Ansatz der sozialkognitiven Lerntheorie. Die Neurobiologie geht davon aus, dass häufig beobachtetes Verhalten im Gehirn als „normal“ gespeichert wird (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 576). Menschen, die oft pornografische Filme gesehen haben, überschätzen die Häufigkeit der in Partnerschaften gelebter, auch abweichender, sexueller Praktiken (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 454 sowie Charlton, pornografischen Medien Hesse, Schwan, werden mit Zillmann, steigendem 2004, Konsum S. 576). zunehmend Die als realistisch empfunden (Ertel, 1990, S. 478). 6.2.4 THEORIE DES SOZIALEN VERGLEICHS Das Betrachten von scheinbar makellosen und nahezu perfekt proportionierten (nicht selten chirurgisch manipulierten) DarstellerInnen in Pornofilmen führt zu Minderwertigkeitskomplexen der eigenen Person und zu Unzufriedenheit mit dem persönlichen Sexualleben. Wird Pornografie mehrfach konsumiert, wird die Attraktivität des eigenen Partners / der eigenen Partnerin geringer eingeschätzt. Der Effekt konnte besonders bei der Untersuchungsgruppe der Frauen bestätigt Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 51 werden (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 456 sowie Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 571). 6.2.5 KULTIVIERUNGSTHESE Der Kultivierungsthese zu Grunde liegt die Annahme, dass das durch die Pornografie vermittelte Bild von Frauen und Geschlechterrollen sowie der Sexualität und Partnerschaft von den Konsumenten übernommen werden. Die Darstellung der Frauen „als jederzeit willige und verfügbare Sexualobjekte“ wird durch die Pornofilme kultiviert. Bei langzeitigem und intensivem Konsum von Pornografie sind laut Vogel vermehrt sexistische Äusserungen und feindselige Einstellung gegenüber Frauen (Misogynie) zu beobachten (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 454). Nach intensivem Pornografiekonsum schätzten Männer wie Frauen darüber hinaus eine Vergewaltigung als weniger schwere Straftat ein. Zillmann bezieht sich auf Malamuth, wenn er ausführt, dass die Vergewaltigungsbereitschaft dagegen nur bei psychotischen, nicht einfühlsamen und sozial inkompetenten Personen steige (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 577-578). 6.2.6 PORNOGRAFIEKONSUM UND AGGRESSIVITÄT / SEXUELLE GEWALT • Ein bestehender Zusammenhang zwischen dem Konsum von Pornografie und aggressivem Verhalten ist sehr umstritten. Kriminalstatistisch ist jedenfalls kein Nachweis möglich (Grimm, Rhein, Müller, 2010, S. 19). • Eine Metaanalyse von 30 empirischen Untersuchungen ergab hingegen, dass gewalthaltige Pornografie Aggression fördert, Nacktheit sie dagegen reduziert (Allen/D’Alessio/Brezgel et al. in Grimm, Rhein, Müller, 2010, S. 20). • Die Bereitschaft zu sexuelle Gewalt wird durch Pornografiekonsum nur bei bestehender persönlicher Prädisposition verstärkt. Auch bei massivem Konsum ist keine praktische Umsetzung sexueller Gewalt in der Partnerschaft erkennbar (Ertel, 1990, S. 212;218ff). 6.3 AUSWIRKUNGEN AUF JUGENDLICHE Können diese Erkenntnisse aus der Forschung mit Erwachsenen auf die Jugendliche übertragen werden? Wahrscheinlich nicht ohne weiteres beziehungsweise nur mit Vorbehalt. Denn Jugendliche stehen in ihrer (sexuellen, kognitiven und moralischen) Entwicklung an einem andern Punkt als Erwachsene. Dies lässt Zillmann befürchten, dass Pornografie „als faktische Sexualerziehung Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 52 für Jugendliche, einen stärkeren Einfluss auf die Bildung sexueller Einstellungen“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 581) haben könnte. Lautstarke Warnungen vor sexueller Verrohung und Verwahrlosung von Jugendlichen durch Pornografiekonsum im Internet bahnen sich denn auch ihren Weg in die Tagespresse. Gernert spricht in diesem Zusammenhang von einer regelrechten medialen „Pornopanik“ (Gernert, 2010, S. 71). Peter und Valkenburg (2010 a) 40 gehen davon aus, dass der von den Jugendlichen eingeschätzte Realitätsgehalt 41 der pornografischen Darstellungen im Internet eine wichtige Erklärung dafür liefern könnte, inwieweit dieses Material auf die Jugendlichen einwirken kann. Die pornografischen Inhalte werden dabei durch häufigen Konsum auch von Jugendlichen zunehmend als realistisch empfunden (Peter & Valkenburg, 2010 a, S. 21-22). Dies stützt die Aussagen von Ertel, welcher zudem anführt, dass besonders ein niedriges Einstiegsalter einen Einfluss auf die Konsummenge haben kann (Ertel, 1990, S. 479). Konsumieren Jugendliche viel Pornografie und schätzen dabei das gesehene Material als relativ realistisch ein, korreliert dies in Studien von Peter und Valkenburg mit folgenden Variablen: • Recreational and instrumental attitudes toward sex 42 : “Sex is primarily physical;” “The main goal of sex is that you yourself have a good time;” “Sex is a game between males and females;” “It is okay to seduce somebody, although you know that you do not want a relationship with him/her;” “Sex is a physical need, like eating;” “It is okay to have sexual relationships with more than one partner.” (Peter & Valkenburg, 2006, S. 15) • Notice of woman as sex objects 43 : “Unconsciously, girls always want to be persuaded to have sex,” “Sexually active girls are more attractive partners,” “There is nothing wrong with boys being interested in a women 40 Online-Wiederholungsbefragung in drei Etappen niederländischer Jugendlicher im Alter von 13 bis 20 Jahren (n= 2,341) 41 „Glaubhaftigkeit“ und „Wahrscheinlichkeit“, dass dies in der sozialen Realität so stattfindet / angenommene Nützlichkeit der erhaltenen „Information“ (Peter & Valkenburg, 2010 a, S. 23) 42 Es besteht eine instrumentelle Einstellung gegenüber Sex. Sex dient in erster Linie der eigenen Entspannung. 43 Frauen werden als Sex-Objekte wahrgenommen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 53 only if she is pretty”; “An attractive woman asks for sexual advance,” and “There is nothing wrong with boys being primarily interested in a woman’s body.” (Peter & Valkenburg, 2009 a, S. 16) Peter und Valkenburg weisen jedoch deutlich darauf hin, dass die Ursachen dieser Zusammenhänge noch nicht gänzlich geklärt sind und es weiterführender Forschung bedarf. Ist der Pornografiekonsum wirklich der Auslöser solcher Bilder, oder ist es nicht auch möglich, dass Jugendliche mit solchen Einstellungen sich stärker von Pornografie angezogen fühlen und sie deshalb auch öfter nutzen? (Peter & Valkenburg, 2006, S. 21; 2009 a, S. 26). Weiter sind Peter und Valkenburg der Frage nachgegangen, ob der häufige Konsum von pornografischen Internetinhalten bei den Jugendlichen ebenso zu einer reduzierten Zufriedenheit mit dem eigenem Sexualleben führt (Theorie des sozialen Vergleichs). Ihre Untersuchung ergibt Hinweise darauf, dass dies besonders bei Jugendlichen mit wenig sexueller Erfahrung zutreffen könnte (Peter & Valkenburg, 2009 b, S. 24). Häufiger Pornografiekonsum führt dagegen laut Peter und Valkenburg nicht, wie vermutet und oft befürchtet, zu vermehrtem sexuellem Risikoverhalten 44 bei Jugendlichen. Hier Probandengruppe. besteht Diese ein nahmen deutlicher durch Unterschied vielfachen zur erwachsenen Pornografiekonsum ein kleineres Risiko für ungeschützten Geschlechtsverkehr wahr. Diese Diskrepanz könnte darauf zurückzuführen sein, dass Jugendliche heute, im Gegensatz zur Stichprobe der Erwachsenen, vermehrt für die Themen „sexuell übertragbare Krankheiten“ und „unerwünschte Schwangerschaften“ sensibilisiert sind (Peter & Valkenburg, 2010 b, S. 16). Peter und Valkenburg empfehlen im Zusammenhang mit der bedeutsamen Variable „des eingeschätzten Realitätsgehalts“, Jugendliche in erster Linie über die fiktiven Anteile pornografischer Inhalte aufzuklären (Peter & Valkenburg, 2010 a, S. 26-27). Eine gewisse Wirkung pornografischer Darstellungen auf die Einstellungen und Vorstellungen zu Sexualität von Jugendlichen lässt sich unter bestimmten Bedingungen 44 (Alter des Erstkontaktes, Konsumhäufigkeit, Grad des Dazu zählen Peter & Valkenburg beispielsweise den ungeschützten Geschlechtsverkehr. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 54 zugeschriebenen Realitätsgehalts) nicht ausschliessen. Sind diese Einflüsse jedoch so stark, dass gar eine pornotypische Umschreibung der sexuellen Skripte Jugendlicher durch Pornografiekonsum hervor geführt wird? Wie in Unterkapitel „Sexuelle Skripte“ bereits ausgeführt, beeinflussen unsere intrapsychischen Skripte, was wir als sexuell erregend empfinden. Sie beeinflussen somit auch den individuellen Umgang mit Pornografie (Ertel, 1990, S. 57). Eine rückblickende Befragung kroatischer Studenten hatte zum Ziel herauszufinden, ob sich durch Pornografiekonsum das sexuelle Skript von Jugendlichen insofern „pornotypisch zuspitzt“ (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 21), als dass sich ihre individuellen Vorstellungen „vom besten Sex“ mit den Skripten der Pornografie decken (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 16). Exkurs: Sexuelle Skripte der Pornografie vs. real gelebte Sexualität Pornografie ist nach Ertel als „fiktive Scheinwelt, die primär kollektive männliche Sexualfantasien widerspiegelt“, zu verstehen. Szenarien pornografischer Filme „weisen erstaunlich viele Gemeinsamkeiten mit spontan produzierten sexuellen Fantasien auf“ (Ertel, 1990, S. 474). Ihre Drehbücher sind von den sexuellen Skripten und sexuellen Fantasien des Produzenten (meist männlichen Geschlechts) geprägt (Escoffier & Jackson, 2007, S. 62). Pornofilme sind jedoch nicht als Realitätsausschnitt, sondern „als sexuelle Gegenrealität“, als Symbolwelt „zu verstehen“ (Ertel, 1990, S. 474), in welcher „alle Schwierigkeiten und problematischen Aspekte von Sexualkontakten“ ausgeblendet werden. Es existieren keinerlei Hindernisse, Widerstände und Unstimmigkeiten zwischen den Sexualpartnern (Ertel, 1990, S. 105). Dabei „ist das dominante Motiv pornografischer Medienangebote die zufällige Begegnung eines Mannes und einer Frau, die sofort von nicht zu bändigender Lust überwältigt werden und ohne grosse Umschweife sexuelle Handlungen in all ihren (mehr oder weniger 45 ) gebräuchlichen Formen aufnehmen – typischerweise Fellatio 46 , gefolgt von Cunnilingus 47 und dann von Verkehr in unterschiedlichen Stellungen.“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 570). Die Inhalte pornografischer Filme „vermitteln (den männlichen Betrachtern) sexuelle Grandiositätsfantasien“. Sie haben somit eine „kompensatorische und rückversichernde“ Funktion (Ertel, 1990, S. 105). Ertel hat in seiner Studie folgende Kategorien von Fantasien, Fiktionen und Mythen hervorgebracht (Ertel, 1990, S. 94-104), die „Vorstellungen von Sexualität (und Gender)“ (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 16) wiederspiegeln: ● Instant-Verführungsfiktionen, sexuelle Veni-Vidi-Vici-Mythen und FastfoodSexualitäts-Fiktionen ● Extreme Simplifizierung der Darstellung von Sexualkontakten ● Unverbindliche Sexualkontakte ● Pseudokonsensuelles Verhalten ● Garantie sexueller Gratifikation ● Mythos der Hypersexualität / Nymphomania-Mythos ● Mythen sexueller Dominanz, Macht und Kontrolle 45 46 47 Anmerkung der Autorinnen Oralbefriedigung des männlichen Penis Orale Stimulation der weiblichen Genitalien Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 55 ● Sexuelle Kontrollverlust-Fiktionen ● Mythen sexueller Konventionsverletzung und Grenzüberschreitung ● Sexuelle Überwältigungs- und Vergewaltigungsmythen (Ertel, 1990, S. 94-104) Diese Fiktionen beinhalten auch sämtliche Geschlechtsstereotype sexuellen Verhaltens. „Ein Grossteil pornografischer Medienangebote stellt Frauen als breitwillige, vielleicht sogar übermotivierte Sex-Partnerinnen dar, die offensichtlich gewilligt sind, die Wünsche jedes Mannes im Umkreis zu befriedigen“. Dabei wird der Anschein erweckt, Frauen hätten sich dabei vom männlichen Sexualpartner dominieren zu lassen (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 570). Jedoch wird auch der Mann in der Pornografie meist unvorteilhaft als triebgesteuert dargestellt und auf seine genitale Potenz reduziert (Sielert, 1993, S. 67). Nach Lukesch bezeichnet Heer Pornografie als „präzise Karikatur der (ehelichen) Sexualität“. Sie „schneidet alles weg, was vor oder nach der Kopulation passiert oder passieren könnte“ (Lukesch, 2009, S. 77). Zudem fehlen in der pornografischen Sexualität sämtliche Formen von Blickkontakt, Zärtlichkeit (Berührungen, Schmusen, Kuscheln), Genuss, Humor, Fantasie und Scham. Kommunikation findet höchstens als „Dirty Talk“ statt (Lukesch, 2009, S. 80-81). Pornografie zeichnet sich nach Weidinger besonders durch eine „leistungsorientierte und mechanistische Sexualität“ (Weidinger, 2008) aus, die auf den reinen Lustaspekt der Sexualität fokussiert ist und soziale oder emotionale Aspekte ausklammert (Sielert, 1993, S. 67). Heer geht gar noch weiter in der Aussage, dass es nicht einmal um echte Lust, sondern vielmehr darum gehe, „dass er (der Mann) am Schluss kommt“ und zwar gut sichtbar 48 (Lukesch, 2009, S. 78). Diese „cum shots“ dienen dabei in erster Rolle als „Echtheits-Beweis“ für den männlichen Orgasmus, welcher in der Pornografie mit Befriedigung gleichgesetzt wird (Lukesch, 2009, S. 79 sowie Ertel, 1990, S. 97). Heer ist überzeugt, dass der weibliche Orgasmus dagegen durch die Darstellerinnen (beinahe) ausnahmslos gespielt wird (Lukesch, 2009, S. 78). Die Befürchtung des Pornografiekonsums Jugendlicher geht meist darauf hin, dass ihre „Bilder vom Sex im Sinne der Sexual- und Geschlechterstereotype der Pornografie verzerrt, entstellt oder korrumpiert“ werden (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 21). Die Skripte der Pornografie sind der romantischen Liebe diametral entgegengesetzt, die sich unter anderem durch eine beständige Verbindung von Liebe und Sexualität auszeichnet und von vielen Leuten immer noch als Ideal hochgehalten wird (Clement, 2009, S. 22). Die durch Pornografie implizierten Bilder widersprechen nicht nur dem gesellschaftlichen Idealbild der Sexualität, sondern auch der gelebten sexuellen Realität (Lukesch, 2009, S. 77-88 sowie Ertel, 1990, S. 104). Zumindest physisch betrachtet beinhaltet das durchschnittliche amerikanische sexuelle Skript eine Steigerung von der Umarmung zum Küssen, gefolgt vom Petting (zuerst stimulierende Berührungen des Oberkörpers, später der Geschlechtsteile, teilweise auch mit Formen der Oralbefriedigung verbunden) bis es letztlich zum Geschlechtsverkehr kommt (Simon & Gagnon, 2005, S. 15). Eine Aktuelle Untersuchung der Universität Potsdam zu sexuellen Skripten im Jugendalter ergab, dass sich die individuellen sexuellen Skripte unter anderem dadurch auszeichnen, dass jugendlicher Geschlechtsverkehr erst nach längerer Bekanntschaft und dann vor allem im häuslichen Rahmen stattfindet. Der Wunsch nach einer Weiterführung der Beziehung nach dem ersten Geschlechtsverkehr mit dem Partner wird von Jugendlichen beiderlei Geschlechts geäussert (Krahé, Bieneck, Steinberger-Olwig, 2004, S. 22-23). 48 Dazu Heer:„Merkwürdigerweise kommt er immer und ausnahmslos ante portas, an der frischen Luft, und niemals in“ der Frau, oftmals nicht durch den Geschlechtsverkehr, sondern durch abschliessende Onanie (Lukesch, 2009, S. 78). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 56 In der Studie von Stuhlhofer et al. konnten keine generellen Hinweise auf die negative Beeinflussung des sexuellen Skripts durch Pornografiekonsum nachgewiesen werden (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 21). Auch hier stützen sie die Erkenntnisse vorangegangener Forschungen von Ertel (Ertel, 1990, S. 475). Stuhlhofer et al. führen dieses Ergebnis darauf zurück, dass die sexuellen Skripte bereits im Verlaufe der kindlichen Entwicklung gebildet werden und daher die gesehenen pornografischen Inhalte auf eine bereits „vorhandene Struktur des Begehrens“ treffen (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 21). Schmidt führt dazu aus, dass bereits Vorpubertierende, vor ihrem ersten Kontakt mit pornografischem Material, unter anderem durch diverse Medien (Magazine, TV-Soaps, etc.) erfahren haben, „was es zwischen Mann und Frau gibt: Flirt; Anmache und Reaktionen darauf; Verliebtsein, Trennung; wann und wie mann oder frau die Augen schliesst, wenn der Mund des oder der Geliebten sich nähert; wie die Hand sich unters T-Shirt schiebt; wie man Körper, Outfit und Auftreten ästhetisiert, erotisiert, sexuiert usw.“ (Schmidt, 2005, S. 116). Zu diesem Flirt- und Vorlustscripting liefert Pornografie lediglich weitere „Bilder über den Ablauf intimen oder sexuellen Geschehens“ (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 8). Die vorangegangenen Generationen Heranwachsender hatten kaum Zugang zu Anschauungsmaterial des sexuellen Geschehens. Sie waren mit den Worten von Schmidt „underscripted“, wogegen heute bereits Kinder durch Medieneinflüsse „overscripted“ sind (Schmidt, 2005, S. 117). Andererseits vermuten Stuhlhofer et al., dass Jugendliche sich besonders diejenigen Pornofilme ansehen, welche ihrem persönlichen sexuellen Skript am besten entsprechen (Stulhofer, Schmidt, Landripet, 2009, S. 21). Die Medienwirkungsforschung liefert Hinweise, dass die Jugendlichen den pornografischen Bildern nicht einfach ausgeliefert sind. Jugendliche sind in ihrer Medienkompetenz deutlich versierter als ihre Eltern. Gernert verweist dabei auf die Aussage Tapscotts 49 , der die „Generation Internet“ als „fitter, kritischer, kreativer und engagierter“, als je eine Generation zuvor, beschreibt (Gernert, 2010, S. 45). Medien sind für Jugendliche Mittel zur Kommunikation, haben Einfluss auf ihre Verhaltensweisen, „bieten Orientierung“ und Informations- sowie „Identifikationsangebote“ (Wenger, 2008, S. 36). Dabei werden Medienpersonen 49 Autor und Auftraggeber umfassender Studien zur „Generation Internet“. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 57 auch als Vorbilder wahrgenommen, ihr Verhalten wird dabei jedoch von den Jugendlichen nicht einfach übernommen (Wenger, 2008, S. 38). Dies bestätigt auch die qualitative Studie des Instituts für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie der Universität Hamburg, in der 17- bis 19-jährige Jugendliche über ihre Beziehungs- und sexuellen Erfahrungen sowie über die Nutzung des Internets für Beziehungen und Sexualität befragt wurden (Schmidt & Matthiesen, 2010). Ein Grossteil der Jugendlichen scheint den gezeigten Sex der Pornografie denn auch von ihrer eigenen Sexualität unterscheiden zu können. Einige Jugendliche äusserten sich dahingehend, dass die eigene Erfahrung „eine ganz andere Schiene“ sei, „weil es (in der Pornografie) immer nur um das Eine geht“, „keine Liebe im Spiel ist“, oder es „keine Gefühle oder keine Zärtlichkeit“ gebe und „alles nur gespielt ist“, „dass es in der Realität schöner ist, weil man nicht darauf bedacht sein muss, besonders lange durchzuhalten und alle möglichen akrobatischen Stellungen durchzuführen und das Publikum zu begeistern, sondern dass es einfach spontan ist“ (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 10). Ein Mädchen stellte zudem sarkastisch fest, dass „man (von der Pornografie wenigstens) lernen (könne), wie man einen Orgasmus vorspielt“ (Schmidt & Matthiesen, 2010, S. 9). Welche Erfahrungsquellen haben diesen Jugendlichen ermöglicht, den fiktiven Anteil der Pornografie als solchen zu erkennen? Detaillierte Angaben zum sexuellen Geschehen erhalten die wenigsten von ihren Eltern oder aus dem Aufklärungsunterricht der Schule. Hoffman hat in ihrer quantitativen Studie nachgewiesen, dass sich 66% der Jugendlichen über Sexualität bei ihren Freunden informieren, 31% das Fernsehen und 27% das Internet als Informationsquelle nutzen. Hoffman weist jedoch darauf hin, dass dieses „Wissen, das im Freundeskreis ausgetauscht wird oder welches über Medien vermittelt wird, nur bedingt brauchbar“ ist (Hoffmann, 2009, S. 12). Manche, besonders jüngere Jugendliche, lassen sich denn auch von den gesehenen pornografischen Darstellungen verunsichern. Gernert stellt dar, wie sich Jungs viele Fragen zu ihrer Penisgrösse stellen und Mädchen beruhigt sind zu erfahren, dass sie bestimmte Dinge, die sie aus der Pornografie kennen, in ihrer Beziehung nicht nachmachen müssen (Gernert, 2010, S. 65). Andere, besonders ältere Jugendliche, äussern sich im Gespräch mit Sexualpädagogen der deutschen Fachstelle pro familia Isabelle Beetschen und Julia Rogger erstaunt, dass manche HS 2010/11 gesehenen Seite | 58 Techniken in ihren eigenen Praxisversuchen innerhalb der Beziehung so gar nicht umsetzbar gewesen seien und wundern sich, weshalb. Manche in pornografischen Filmen gezeigten Techniken bergen ohne gezielte Vorbereitung gar ein ernsthaftes Verletzungsrisiko (Gernert, 2010, S. 67). Diese Feststellungen schliessen wieder an der von Peter und Valkenburg geforderten Aufklärung zum Realitätsgehalt pornografischen Materials an. Offensichtlich zeigen sich individuelle Unterschiede in der Einordnung medialer Inhalte durch Jugendliche. Diese dürften besonders auf das im Laufe ihrer Entwicklung erworbene Wissen und ihre Medienkompetenz zurückzuführen sein. Kognitive Fähigkeiten und das durch Sozialisation und Allgemeinbildung erworbene Rahmungswissen, ermöglichen den Jugendlichen, mediale Inhalte richtig einzuordnen, das heisst auch zwischen Realität und Medialität beziehungsweise Fiktionalität unterscheiden zu können (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 34-38). Medien-„Rezipient/innen/en gründen ihr Urteil hierbei vorwiegend auf Werkkategorie drei des Aspekte, nämlich Medienangebotes dem (…), Genre dem beziehungsweise Realismus der der formalen Darstellung (Wie lebensecht wirkt das Dargestellte?) und der Plausibilität des Inhalts (Könnte so etwas wirklich passieren?).“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 82). Zur Beurteilung dieser Aspekte greifen Rezipienten auf ihre kognitiven Konzepte, Begriffe, Wissensbestände oder Schemata zurück, die ihnen „als Deutungsmuster zur Verfügung stehen“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 139). Konsumiert ein Jugendlicher ohne eigene sexuelle Erfahrung pornografische Filme, sind diese Einschätzungen über den Realitätsgehalt des Dargestellten für ihn erheblich schwerer zu treffen, da die sexuellen Inhalte für ihn „nicht aus eigener Anschauung vertraut sind, so dass er keine entsprechenden Vergleichsprozesse durchführen kann.“ (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 82). Wissensbestände des Allgemein- und des Medienwissens erlangen deshalb an Bedeutung, um Jugendliche zu befähigen, solche Filmdarstellungen korrekt interpretieren und das Gezeigte verstehen zu können (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 139). Zu diesem für die Interpretation notwendigen Allgemeinwissen zählt: • Faktenwissen, „das Kenntnisse über Eigenschaften bestimmter Objekte, über Situationen und Ereignisse umfasst“ (deklaratives Wissen) Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 59 • Wissen darüber, „wie man eine Information verarbeitet, wie man mit einer Beobachtung umgeht“ (prozedurales Wissen) (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 138). Weiter benötigen Kinder und Jugendliche spezifische Medienkompetenzen, wie beispielsweise: • Medien-Wissen über Rahmenbedingungen einzelner Medien, ihrer Arbeitsweisen, Absichten und Wirkungsweisen • Reflexions- und Bewertungskompetenzen, also die Fähigkeit Medieninhalte und die eigene Mediennutzung kritisch zu analysieren • Nutzungs- und Verarbeitungskompetenzen, wie beispielsweise die „Fähigkeit zu funktional angemessener und persönlich verträglichen Rezeption und Verarbeitung medialer Inhalte“ (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 283). (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 34-38) Charlton gibt zu bedenken, dass bei der Filminterpretation oft „auf ein so grosses Erfahrungswissen zurückgegriffen werden muss, wie es Kindern grundsätzlich noch nicht zur Verfügung steht“. Sogar Erwachsenen falle es je nach Filmgenre und Rezeptionssituation schwer, den Realitätsgehalt des Medium richtig einzuschätzen (Charlton, Hesse, Schwan, Zillmann, 2004, S. 142). Gerade deshalb ist die Anschlusskommunikation über Medieninhalte und Darstellungen unerlässlich und ein wichtiger Faktor zur Entwicklung eines kompetenten Medienumgangs (Groeben, Gimmler, Six, Vogel, 2007, S. 39-40). 7. PROFESSIONELLER UMGANG MIT JUGENDLICHEM PORNOGRAFIEKONSUM 7.1 AUFTRAG / ROLLE DER SOZIALEN ARBEIT Wie bereits im Abschnitt „Von den Hypothesen zur Fragestellung“ dargelegt, kommt aus unserer Sicht der Sozialen Arbeit zweifelsohne eine Rolle hinsichtlich der Gestaltung von Rahmenbedingungen einerseits und direkter Interventionen andererseits zur Unterstützung der sexuellen Entwicklung Jugendlicher zu. In Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 60 diesem Teil unserer Arbeit stützen wir diese Hypothese mit fachlichen Erläuterungen und gehen der Auftrags- und Rollenklärung nach. Laut IFSW-Definition Probleme 50 werden „alltägliche persönliche und gesellschaftliche “ zum „Gegenstandsbereich“ Sozialer Arbeit (IFSW - International Federation of Social Workers, 2006, S. 2). Gesellschaftliche, respektive soziale Probleme werden durch verschiedene VertreterInnen der Sozialwissenschaften wie Merton, Fuller und Myers, Blumer, Spector und Kitsuse definiert (vgl. Schetsche, 1996). Auf diese Definitionen gehen wir nicht ein, da diesen eine beobachtende Rolle zugrunde liegt. Soziale Arbeit als handlungsorientierte Wissenschaft fasst dagegen andere Definitionen. Staub-Bernasconi zitiert dazu Obrecht, der soziale Probleme beschreibt als „jenes Bündel von praktischen Problemen, die sich für ein Individuum im Zusammenhang mit der Befriedigung seiner Bedürfnisse nach einer befriedigenden Form der Einbidung in die sozialen Systeme seiner Umwelt ergeben“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 182). An anderer Stelle bezeichnet Staub-Bernasconi die „geführte Gegenstandsdiskussion“ Sozialer Arbeit als „uferlos“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 180); sie spricht damit einerseits die nicht festzulegende Zielgruppe, andererseits die unzähligen Themen, die probelamtisch werden können an 51 . Galuske spricht von der „Allzuständigkeit der Sozialpädagogen“. Gemeint ist damit, dass „innerhalb eines Feldes (…) das Themen- und Aufgabenspektrum sozialpädagogischer Beratung prinzipiell nicht begrenzt“ ist. Sobald Alltägliches problematisch wird, kann es Gegenstand sozialpädagogischer Beratung werden (Galuske, 2007, S. 169). Galuske zitiert Sickendiek, Engel und Nestman, 1999, für die „(…) sozialpädagogische Beratung weitaus näher an der konkreten Lebensrealität“ sei; sie „hält sich nicht selten in eben dieser auf, wird deshalb mit dem alltagsweltlich komplexen Geflecht aus materiellen, sozialen, psychischen und alltagspraktischen Belastungen weitaus direkter konfrontiert als psychologische Beratung, die sich auf den ‚dritten Ort‘ (Thiersch) innerhalb der Beratungsstelle zurückzieht“ (Galuske, 2007, S. 170). Dass sich aus aktuellen Phänomenen ein 50 In der englischen Originalfassung ist von „social problems“ die Rede (http://www.ifsw.org/f38000138.html). 51 Hier wird wiederum die Differenz im Zugang zwischen Soziologie und Sozialer Arbeit sichtbar: Während aus soziologischer Sicht je nach Zugang gewisse Kriterien erfüllt sein müssen, um von einem „sozialen Problem“ sprechen zu können (oder von einer „konstruierten Problematisierung“ die Rede wäre), geht Soziale Arbeit davon aus, dass alltägliche Probleme für ein Individuum und/oder dessen Umfeld als solche empfunden werden können und keiner weiteren Kriterienprüfung unterzogen werden müssen, um Gegenstand Sozialer Arbeit zu werden. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 61 Auftrag für die Soziale Arbeit ergibt, belegt Galuske nochmals explizit mit einer Äusserung von Thiersch, 1977: „Die in den Widersprüchen der modernen Gesellschaft angelegten Konflikte, Sinnverlust, Apathie, Insuffizienz usw. zeigen sich unmittelbar im Alltag der Betroffenen, in der Komplexität der politischen, psychologischen, rechtlichen, sozialen Schwierigkeiten; diese Konflikte waren immer Gegenstand sozialpädagogischer Beratung.“ (Galuske, 2007, S. 171). Müller schliesst sich dieser Ansicht an, wenn er sagt, dass von SozialarbeiterInnen geführte Jugendtreffs nicht lediglich der Freizeitgestaltung dienen, sondern auch „qua Einrichtung“ spezifische Rahmenangebote sowie freiwillige Beratung. Ziel der Sozialen Arbeit mit Jugendlichen soll die Herstellung von passenden Settings sein, „in denen Angebote der ‚Beratung‘ etc. ‚abgeholt‘ werden können, ohne dass sich die Jugendlichen dadurch „klientifiziert“ oder „pädagogisiert“ fühlen.“ (Müller, 2009, S. 152). Der Weg von der Allzuständigkeit zum spezifischen Bedarf wird im folgenden Abschnitt dargelegt. 7.1.1 BEDARF Informelle Bildung zur Stärkung bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben ist laut voja (Vernetzte offene Kinder- und Jugendarbeit Kanton Bern) Teil des fachlichen Auftrags der (offenen) Kinder- und Jugendarbeit (voja). Eine dieser bedeutsamen Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter ist die sexuelle Entwicklung. Laut Ergebnissen der BZgA-Studie zur Jugendsexualität gewinnen professionelle Ansprechpartner für Jugendliche an Bedeutung 52 , während mit steigendem Alter der Kinder die Bedeutung der Eltern als Vertrauenspersonen und Instanz der Wissensvermittlung abnimmt. Ähnlich nimmt auch die Wichtigkeit der Schule als Ansprechpartner für sexuelle Themen im steigenden Jugendalter ab (BZgA, 2010). Andererseits führt Winter aus, dass sexuelle Bildung in der Familie teilweise wenig oder keine Aufmerksamkeit erfährt und „sexualpädagogische Themen im Schulunterricht randständig“ sind beziehungsweise dafür im Lehrplan nur wenige Lektionen eingeplant werden können, sollte Sexualpädagogik in Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe „durchgängig“ anzutreffen sein (Winter, 2008, S. 586). Ob es nun beschränkte Ressourcen 52 der Eltern sind oder die Favorisierung familienexterner Offenbar ist diese Tendenz deutlicher bei Mädchen, als bei Jungen festzustellen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 62 Ansprechpartner durch Jugendliche, der Bedarf nach professionellen sexualpädagogischen Angeboten nimmt zu. Eine besondere Herausforderung ist die Ausgestaltung unter Berücksichtigung der rechtlich geschützten elterlichen Vorrangstellung in der Erziehung: Es handelt sich dabei um einen eigentlichen Balanceakt, da aus verschiedenen Gründen (faktische Abwesenheit, Unvermögen, Ängste, Hemmungen, Kultur / Tradition, Unwillen, etc.) ergänzend oder gar ersetzend Sexualerziehung geleistet werden soll. Gleichzeitig muss dabei und soll auf eine Vielfalt an Willensbekundungen der Eltern Rücksicht genommen werden (Sielert, 1993, S. 153). 7.1.2 AUFTRAGSKLÄRUNG, VERNETZUNG UND ABGRENZUNG Unter Artikel 15 „Handlungsmaxime bezüglich interprofessioneller Kooperation“ unter Absatz 1: „Professionelle Sozialer Arbeit kooperieren im Hinblick auf die Lösung komplexer Probleme interdisziplinär und setzen sich dafür ein, dass Situationen möglichst umfassend und transdisziplinär in ihren Wechselwirkungen analysiert, bewertet und bearbeitet werden können“ (AvenirSocial). Gleichzeitig gilt aber auch, dass spezifische sexualpädagogische Institutionen die Zusammenarbeit mit der Sozialen Arbeit, die mit Jugendlichen in Kontakt steht, suchen sollte. Galuske argumentiert mit einer Aussage Thierschs, dass Beratungsangebote idealerweise dort zu lokalisieren sind, „wo die Adressaten ohnehin vorbeikommen, in Ladenlokalen, Jugendhäusern (…)“ (Galuske, 2007, S. 172). So können möglichst viele Jugendliche erreicht werden. Sielert ist der Ansicht, dass JugendarbeiterInnen aufgrund des institutionellen Rahmens „(…) anders, oft direkter, emotionaler, in dichten, ganzheitlich ansprechenden Situationen arbeiten“ können, „als das in der Schule möglich ist. (…) In der Schule muss ich ein aufgetauchtes Pornoheft verschwinden lassen, Personsorgeberechtigte können damit aufklärend arbeiten.“ (Sielert, 2005, S. 171). Auch Gloël ist der Meinung, dass sich „freie Träger“ besser eigenen „als die Institution Schule“, da dieser oftmals der passende Rahmen fehle, um „intime Themen, wie die eigene Sexualität, zu besprechen. (…) Pädagoginnen und Pädagogen (der freien Träger) stehen zumeist unter Schweigepflicht und bieten eine Anonymität, die der auf Leistung und Bewertung ausgelegte „Lernraum Schule“ in der Regel nicht bietet.“ (Gloël, 2010, S. 59). Trotz optimalen Bedingungen zeigen sich bisher Schwierigkeiten in der praktischen Ausgestaltung. Das äussert sich beispielsweise darin, dass viele Institutionen der Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 63 Jugendhilfe in ihrer Arbeit vorwiegend auf zwei passive sexualpädagogische Strategien zurückgreifen: 1. Zugänglichmachen von Informationen (durch Auslegen von Materialien und Broschüren etc.) 2. Erst durch Fragen, Äusserungen oder grenzwertiges Verhalten Jugendlicher wird Sexualität zum Thema, wird darauf reagiert (antworten, aufgreifen, einschreiten usw.) (Winter, 2008, S. 590) Eine aktive, agierende Sexualpädagogik ist dagegen selten anzutreffen. Diese wird immer noch vorwiegend an externe Fachstellen für Sexualpädagogik (z.B. Berner Gesundheit – kurz „BeGes“) delegiert (Winter, 2008, S. 587). Solche Fachstellen können laut Winter den aktuellen Bedarf an sexualpädagogischen Angeboten und/oder Beratung kaum bewältigen. Während der Bedarf an professionellen Ansprechpersonen steigt, existieren zu wenige Institutionen. Auch an ausgebildeten Fachpersonen fehlt es. Somit bleibt es bei „kurzen Einheiten ausserhalb des gewöhnlichen Alltags. Damit einher geht (...) der Preis massiver zeitlicher Beschränkung und der Zwang zur inhaltlichen Punktlandung“, die allerdings oft nicht gelingt, weil externe Fachleute die Kinder und Jugendlichen nicht genügend kennen (Winter, 2008, S. 590). Auf Nachfrage bestätige die BeGes die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage (besonders für sexualpädagogische Einheiten für Schulklassen). Die momentane Wartezeit beträgt mindestens ½ - ¾ Jahr. Somit ist die frühzeitige Planung externer fachlicher Unterstützung durch SexualpädagogInnen unerlässlich (Lenz, 2010). Dass diese Voraussetzung jedoch die einzige Chance auf professionellen Umgang mit Jugendsexualität darstellt, scheint prekär. Winter meint dazu: „Natürlich kann es sinnvoll und auch professionell sein, sich Unterstützung von aussen zu holen – aber wieso gerade beim „Allerweltsthema“ Sexualität?“. Es folgt die provokative Frage, ob denn gleich eine externe Spielpädagogin oder ein Pizzapädagoge beigezogen werde, wenn in Jugendeinrichtungen gemeinsam gespielt oder gekocht werden soll; warum gerade die Sexualität nicht als „ein allgemeines, durchgängiges, gewissermassen auch „normales“ Querschnittsthema“ (Winter, 2008, S. 591) beibehalten werden könne. Diese Delegation nach aussen ist nach Isabelle Beetschen und Julia Rogger Ansicht von Winter HS 2010/11 fragwürdig und Seite | 64 wiederspiegelt personelle Unsicherheiten und konzeptionelle Unzulänglichkeiten (Winter, 2008, S. 591). Ein Bedürfnis der SozialarbeitenrInnen nach Weiterbildungen im Bereich der Sexualpädagogik lässt sich beispielsweise am Angebot der Fachhochschule für Soziale Arbeit Luzern ablesen. Diese bietet umfassende weiterbildende Lehrgänge zur professionellen Handlungskompetenz im Bereich der Sexualität an, welche sich an Professionelle der Sozialen Arbeit richtet, „die in ihrer pädagogischen oder beraterischen Arbeit mit Fragen der Sexualität konfrontiert sind“ (HSLU, 2008, S. 5). Externe Institutionen mit „ausgesprochener sexualpädagogischer Kompetenz“ bleiben auch nach einer Stärkung der internen Sexualpädagogik bedeutende Kooperationspartner. Sie werden bei Veranstaltungen und Projekten zugezogen, „(…) bieten Fortbildungen (…) und fachspezifische Supervision“ für JugendarbeiterInnen an und dienen Jugendlichen durch ein themenspezifische Informations- und Beratungsangebot als kompetente Anlaufstelle für Fragen der Sexualität (Winter, 2008, S. 592). So könnte interprofessionelle werden. Gleichzeitig sowie kann interinstitutionelle auf diesem Weg Kooperation das umgesetzt Handlungswissen der SozialarbeiterInnen erweitert werden. Diesen Anspruch erachten wir als logische Konsequenz einer Haltung von Selbstbestimmtheit, Emanzipation und Empowerment – nicht lediglich den KlientInnen Sozialer Arbeit gegenüber, sondern auch in Bezug auf die eigene professionelle Identität. Den Vorteil der Unabhängigkeit betont auch Winter, wenn er darlegt, dass in diversen „(…) Einrichtungen der Jugendhilfe bisweilen Gelingendes zu finden ist.“ Er nennt dazu konkrete Bedingungen für eine gelingende sexualpädagogische Praxis in Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe: Aktive Ansätze, die konzeptionell und institutionell verankert werden, anstatt als reines Dienstleistungsangebot, beispielsweise für die Schule zu „fungieren“ (Winter, 2008, S. 592). 7.2 ANSCHLUSSKOMMUNIKATION Jugendlichen stehen verschiedene Quellen für Informationen zur Sexualität zur Verfügung. Nebst Familie, Schule und Jugendarbeit, bestehen auch vielfältige mediale Zugänge zu sexueller Bildung. Nicht alle davon sind aber verlässlich; ohne professionelle Anregungen und Ergänzungen, kann dies zu einer latenten Verunsicherung und Orientierungslosigkeit Jugendlicher führen (Winter, 2008, S. 586-587). Nussbaum bezeichnet Erziehungsverantwortliche und „(…) wichtigste Eltern und Lehrpersonen Sozialisationsinstanzen als (…).“ (Nussbaum, 2009, S. 11). Die Thematisierung gewisser Aspekte der Sexualität Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 65 stellt sowohl Eltern, wie auch Lehrpersonen vor besondere Herausforderungen. Ganz konkrete Informationen zur sexuellen Praxis, Selbstbefriedigung, Geilheit, Pornografie etc. lösen offenbar Hemmungen aus, oder aber Eltern und/oder Lehrpersonen fühlen sich in diesen Themenbereichen zu unsicher, um sich auf ein Gespräch einzulassen. So bleibt Jugendlichen vor allem der Austausch mit der Peergroup. Dieses Gefäss wird denn auch rege genutzt und geschätzt, bietet aber wie die bereits erwähnten medialen Quellen nicht immer reliable Angaben (Nussbaum, 2009, S. 11). Wermuth bringt die Notwendigkeit dessen, was in sozial- und sexualpädagogischen Fachkreisen als „Anschlusskommunikation“ bezeichnet wird, in klaren Worten auf den Punkt: „Die Begegnung mit der pornografischen Fi(c)ktion lässt bei Jugendlichen Fragen entstehen, auf die sie weder alleine noch zusammen mit anderen Jugendlichen Antworten finden.“ (Wermuth, 2010, S. 20). Auch Gloël ist der Meinung, dass „insbesondere vor dem ersten Geschlechtsverkehr“ Jugendliche auf den beschränkten Realitätsgehalt pornografischer Darstellungen hingewiesen werden sollten. Bei kritikloser Übernahme der vermittelten Bilder der Pornografie besteht die Gefahr der Enttäuschung 53 beim ersten Geschlechtsverkehr 54 . Es geht darum, dass Pornografie als einziges „Modell für gelingende Sexualität“ schlicht nicht taugt (Gloël, 2010, S. 45-46). Das Entwickeln von „Entscheidungskompetenzen“ stärkt den eigenen Orientierungssinn und damit den selbstbestimmten Umgang mit der eigenen Sexualität, so Nussbaum nach Aussagen der Schweizerischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit, 2008 (Nussbaum, 2009, S. 9). 7.2.1 HALTUNG Aus der BZgA-Studie geht ein besonders wichtiges Kriterium für den Zugang zu Jugendlichen bezüglich deren Fragen zu sexueller Aufklärung hervor: Es geht um die Notwendigkeit des Gefühls Jugendlicher, völlig ernstgenommen zu werden. (BZgA, 2010). Angesichts kontroverser Zugänge und unterschiedlicher Auswirkungen, die der Pornografiekonsum auf Jugendliche haben kann, könnte man versucht sein, sich diese mehrdeutige, unkontrollierbare und oft problematische Informationsquelle aus der Welt der Jugendlichen zu verbannen 53 Enttäuschung kann in diesem Sinne auch als Befreiung von Trugbildern verstanden werden. Es kann und sollte aber nicht Ziel der JugendarbeiterInnen sein, Heranwachsende im Sinne einer „Kind-fasst-die-heisse-Herdplatte-an-Pädagogik“ auflaufen zu lassen. 54 Die ersten Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr sind ohnehin fragil und werden oft als eine Art Schlüsselerlebnis, das sowohl positiv, als auch negativ konnotiert werden kann, empfunden. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 66 und damit scheinbar Sicherheit zu erreichen. Abgesehen davon, dass dies nicht möglich ist, wäre es nach Gloël auch nicht im Sinne der Sozial- und Sexualpädagogik: „Eine auf sexuelle Selbstbestimmung ausgerichtete Sexualpädagogik kann (…) weder zum Ziel haben, Pornographie aus den Leben der Jugendlichen zu entfernen noch kann sie das Ziel verfolgen, Pornographie gänzlich zu verbieten.“ (Gloël, 2010, S. 58). Das entspricht auch einer wünschens- und erstrebenswerten Grundhaltung der SozialarbeiterInnen. So kommt denn auch den Menschenrechten und der Menschenwürde – und damit der Selbstbestimmung – im neuen Berufskodex Professioneller Sozialer Arbeit Schweiz (Fassung für die Vernehmlassung) eine tragende Rolle zu: • Art. 8, Abs. 3 Lit. a) Selbstbestimmung: Das Anrecht der Menschen, im Hinblick auf ihr Wohlbefinden ihre eigene Wahl und Entscheidung zu treffen, geniesst höchste Achtung, vorausgesetzt, dies gefährdet nicht die Rechte und legitimen Interessen Anderer. Lit. d) Ermächtigung: die eigenständige und autonome Mitwirkung an der umgebenen Sozialstruktur setzt voraus, dass Individuen, Gruppen und Gemeinschaften ihre Stärken entwickeln und sich zur Wahrung ihrer Rechte ermächtigen. • Art. 10, Abs. 2 Lit. a) Anforderungen bewältigen: Die Professionellen der Sozialen Arbeit motivieren ihre Klientinnen und Klienten, von ihren Rechten, Ressourcen und Fähigkeiten Gebrauch zu machen, damit diese selbst auf ihre Lebensbedingungen Einfluss nehmen können. (AvenirSocial) Nach Galuske beinhaltet sozialpädagogisches Beratungshandeln „drei zentrale Dimensionen“: Akzeptanz des Klienten, Sachkompetenz und Partizipation (Galuske, 2007, S. 171). Werden diese Dimensionen auf die Beratung und Unterstützung Jugendlicher mit Isabelle Beetschen und Julia Rogger Pornografiekonsum-Erfahrung HS 2010/11 bezogen, so Seite | 67 könnte das wie gesellschaftlich folgt aussehen: geprägten SozialarbeiterInnen sowie individuell akzeptieren wahrgenommenen die und ausgestalteten Lebenswelten Jugendlicher; dies zeigt sich vor allem in einer respektvollen und ernstnehmenden Haltung der SozialarbeiterInnen. Wie sich diese Haltung in zwischenmenschlicher Kommunikation, sei dies im Gespräch zu zweit oder auch in Gruppendiskussionen, äussern kann, zeigen wir im nächsten Abschnitt auf. 7.2.2 GESTALTUNG DER KOMMUNIKATION Wermuth erachtet es als notwendig, dass kompetente Erwachsene „gelassen und sachlich mit Kindern und Jugendlichen über Erfahrungen und Fragen im Zusammenhang mit Pornografie sprechen.“ (Wermuth, 2010, S. 22). Auch Geers betont „Humor und Gelassenheit anstelle von Aufgeregtheit und Kulturpessimismus“ (Geers, 2009, S. 24). Die Grundvoraussetzung für eine konstruktive Auseinandersetzung mit Pornografie ist die Gestaltung einer vertrauensvollen und angenehmen Gesprächsatmosphäre, die zum Austausch einlädt (Geers, 2009, S. 22). Dazu braucht es Authentizität, Sachlichkeit, Ehrlichkeit und insbesondere Bereitschaft seitens Sozial- und SexualpädagogInnen (Gloël, 2010, S. 58). Wie gelingt dies angesichts einer Thematik, die eng an Norm- und Wertvorstellungen genknüpft ist, die nur allzu leicht dazu verleitet, Verbindungen herzustellen, die zwar naheliegend erscheinen, einer fundiert wissenschaftlichen Prüfung aber nicht standhalten? Einige Bemühungen scheinen von vornherein schwierige Voraussetzungen zu schaffen: In einem Hinweisdokument des NWSB (Netzwerk Schulische Bubenarbeit) für Schulen, ist zu lesen: „Übergriffige Jungen konsumieren in der Regel häufig Pornografie - individuell oder als Gruppe. Gemeinsamer Pornografiekonsum baut die Hemmung vor Sexualität in der Gruppe ab, stellt also eine Vorstufe zu Übergriffen als Gruppe dar. Es gibt verschiedene Arten von Pornografie. Der Konsum härterer oder gewalttätiger Pornografie sollte als Warnzeichen interpretiert werden.“ (Halbright, Decurtins, Geu, 2007, S. 3). Auch wenn sich diese Äusserung spezifisch auf Jungen bezieht, die bereits übergriffig geworden sind, so finden sich darin doch heikle Verknüpfungen, die eben einer aufgeregten, pessimistischen und zu wenig differenzierten Haltung Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 68 Vorschub leisten. Gerade in Hinweisdokumenten, die sich zwar an Fachleute richten, jedoch nicht an solche mit explizitem sexualpädagogischem Hintergrund, kann nicht per se vorausgesetzt werden, dass solche Aussagen richtig eingeordnet werden. Der Sachverhalt des Pornografiekonsums der Täter mag richtig sein. Um aber treffende Schlussfolgerungen zu ziehen, müsste man wissen, unter welchen Bedingungen der Pornografiekonsum zum beobachteten problematischen Verhalten führt, respektive unter welchen nicht. Zum Gestaltungsrahmen betont Nussbaum die Wichtigkeit geschlechterspezifischer Angebote. Sie begründet dies damit, dass „generell (…) im Pornografiekonsum von Jugendlichen eindeutige Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellbar“ (Nussbaum, 2009, S. 10) seien. Gleichzeitig hebt sie aber den Aspekt der Sozialen Erwünschtheit hervor: „Zweifellos hat Offenheit Sexualität/Pornografie (…) in Zusammenhang Grenzen. (…) mit dem Möglicherweise Thema beantworten Mädchen die entsprechende Frage nach ihrem Pornografiekonsum im Sinne der Sozialen Erwünschtheit eher mit Nein (Tendenz zum Nein-Sagen). Umgekehrt kann die Überlegung angestellt werden, dass Jungen ihren Pornografiekonsum eher bestätigen (Tendenz zum Ja-Sagen), möglicherweise auch aus der Überlegung, dass dies von ihnen erwartet wird (Gruppenzugehörigkeit, Männlichkeit).“ (Nussbaum, 2009, S. 8). Nichts desto trotz geht Nussbaum davon aus, dass der Zugang zu Pornografie und deren Konsum bei Mädchen ein anderer sei als bei Jungen. Differenzen werden beispielsweise in der Sprache und im Interesse an Sexualität und Pornografie deutlich, wenn sich Jungen eher „auf einer mehr funktionellen, technischen Ebene bewegen“, Mädchen dagegen „einen emotionaleren Zugang“ haben (Nussbaum, 2009, S. 10). Aus diesen Ausführungen sind mindestens zwei mögliche Schlüsse zu ziehen: Einerseits scheinen gendergerechte Umgangsformen in Angeboten und Gesprächen mit Jugendlichen angebracht. Andererseits könnte diese differente Ausgestaltung der Angebote aber auch dazu beitragen, sozialisationsbedingte Unterschiede und den Grad der Berücksichtigung sozialer Erwünschtheit zusätzlich zu verstärken. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist aber die Wahrung der Privat- und Intimsphäre Jugendlicher, die mittels Geschlechtertrennung besser geschützt werden kann. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 69 Im Kontakt mit den Jugendlichen gelte es, „die Grenze zur Intimität“ (Geers, 2009, S. 22) zu respektieren; so sollten Fragen durch Fachpersonen in der Arbeit mit einer Gruppe Jugendlicher nicht direkt die individuelle, persönliche Ebene Jugendlicher ansprechen. Ein Beispiel: Auch wenn Rückmeldungen zu allgemein angenommenen Gründen des Pornografiekonsums genannt werden, so kann davon ausgegangen werden, dass diese (oder zumindest einige davon) für viele Jugendliche zutreffen. Ein zentrales Element der Anschlusskommunikation ist der „Realitätsabgleich“ (Geers, 2009, S. 23), wie Geers es bezeichnet: Wie in dieser Arbeit bereits mehrfach dargelegt wurde, liefert Pornografie verschiedenste Bilder mit unterschiedlichstem Realitätsbezug von Sexualität. Hier gilt es die Jugendlichen beim Ein- und Zuordnen zu unterstützen, Verunsicherungen aufzuklären und auf Verzerrungen in pornografischem Material hinzuweisen (Geers, 2009, S. 23). Sexualpädagogik müsse es sich „zur Aufgabe machen, Unterschiede gelebter Sexualität zu akzentuieren, um den Eindruck zu vermeiden, die in Pornos dargestellte Sexualität stelle die einzige Möglichkeit dar, wie Sexualität real gelebt werden kann“ (Gloël, 2010, S. 58). In Anlehnung an Müller eignen sich die sozialpädagogischen Interventionen in Form von „Angeboten“ oder auch „Gemeinsamem Handeln“. Beiden eigen ist der „Verzicht auf Machtausübung“, die mittels „informierter Zustimmung“ gewährleistet sein muss: Beide Formen werden nicht aufgezwungen; sie dürfen auch abgelehnt werden, ohne dass dies negative Konsequenzen für AdressatInnen hat (Müller, 2009, S. 142). Freiwilligkeit der AdressatInnen setzt in der Regel voraus, dass diese einen Nutzen erkennen können in sozialpädagogischen Angeboten, sodass diese dann zu gemeinsamem Handeln führen. Müller zitiert in diesem Zusammenhang Meinhold, 1987: „(…) Damit es überhaupt zu einer Begegnung zwischen Anbietern und potentiellen Nutzern kommt, müssen die Klienten in dem Rahmenangebot von Anfang an brauchbare und wertvolle Hilfen erkennen können. Darüber hinaus soll die Nutzung des Angebots den Mitarbeitern und Klienten genügend Anlässe bieten, um gemeinsame Bedarfssituationen auszuhandeln.“ (Müller, 2009, S. 151). Eine weitere Ausdifferenzierung nimmt Müller bezüglich sozialpädagogischen Angeboten vor: Sie beabsichtigen entweder die Änderung von Fähigkeiten einer Person oder aber die Veränderung einer Situation. Müller zitiert dazu Alice Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 70 Salomon: „Alle Fürsorge besteht darin, dass man entweder einem Menschen hilft, sich in der gegebenen Umwelt einzuordnen, zu behaupten, zurechtzufinden – oder dass man seine Umwelt so umgestaltet, verändert, beeinflusst, dass er sich darin bewähren, seine Kräfte entfalten kann“ (Müller, 2009, S. 153). Dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dennoch nicht unbeachtet bleiben sollen, betont Galuske in Anlehnung an Thiersch, 1977 unter „Spezifische Handlungsintention“ wie folgt: „Sozialpädagogische Beratung ist Beratungshandeln in der Komplexität alltäglicher Problemlagen und Problemlösungsstrategien und „weit stärker als andere Beratungsansätze (…) eine Intervention, die auf die Belebung von Alltagstechniken der Konflikt- und Krisenbewältigung gerichtet ist und dabei notwendigerweise den gesellschaftlichen Kontext nicht ausklammert.““ (Galuske, 2007, S. 170). In dieser Arbeit wurde bereits dargelegt, dass es kaum möglich ist, die aktuelle Situation, also den leichten und ungehinderten Zugang Jugendlicher zu pornografischem Material und den damit gesteigerten Konsum dessen, zu verändern. Folglich Veränderung, müssen Stärkung sich der sozialpädagogische Fähigkeiten und Angebote Bewältigung auf die Jugendlicher konzentrieren. Wir unterstreichen hier nochmals den Wert jener Ansätze, die im Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum auf Selbststärkung abzielen. Da wir davon ausgehen, dass insbesondere die Bewusstseinsbildung ein zentrales Moment im weiteren Gestalten des eigenen Umganges mit Sexualität und/oder Pornografiekonsum ist, weisen wir an dieser Stelle auf die bewusstseinsbildende Gesprächsführung in Anlehnung an Freire und Rogers hin. Mittels Erweiterung, Differenzierung und Integration kann „(…) Problemen der Bildung von Begriffen, Bildern, Codes und Werten (…)“, die das Erleben und Erkennen beeinträchtigen können, begegnet werden. Ziel ist die Weiterentwicklung/Veränderung von InterpretationsGefühlen, und Normen Artikulationskompetenzen. und Gesetzmässigkeiten Durch (…)“ „Verbalisierung sollen „kognitive von und wertbezogene Aha-Erlebnisse und Einsichten“ erfolgen, um eine „(…) dialogische rekonstruktive Lebensphasen, Entschlüsselung kritischen oder Deutung Lebensereignissen von (…)“ Alltagssituationen, zu ermöglichen. SozialarbeiterInnen können mit non-direktiven Gesprächstechniken sowie mit Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 71 Bildmaterial arbeiten (Staub-Bernasconi, 2007, S. 275-276). In der konkreten Umsetzung sind vor allem eine wertschätzende, anerkennende und anteilnehmende Haltung sowie die non-direktive Gesprächsführung wichtig. Als Teiltechniken werden von Staub-Bernasconi die folgenden genannt: • Ansprechen – Vorstellen – Einstieg in eine Gesprächssituation – u.a. auch im Rahmen aufsuchender Arbeit; • sorgfältig formulierte Einstiegsfragen, die den Gesprächspartner abholen; • Nachfragen nach weiteren Sachverhalten, nach Wahrnehmungen, Gefühlen, Beurteilungen, Zusammenhängen (Erklärungen). • Aufgreifen sich widersprechender Aussagen; • gemeinsame Rückschau auf das Gespräch – wie geht es weiter? (Staub-Bernasconi, 2007, S. 326-327) Welche weiteren Techniken können zur Anwendung kommen? Galuske zitiert Nestmann, 1982: „Nicht festgelegt auf ein gelerntes oder trainiertes therapeutisch- beraterisches Konzept ist sie (die Beratung, d.V.) auf offen für die themengerichtete Auswahl und Praktizierung von Beratungsmethoden oder Vorgehensweisen, die die klassischen Therapieformen und Beratungskonzepte auf Erziehung, Lernen, alltäglicher Interaktion etc. übernommen und verabsolutiert haben.“ Genannt werden: • Aufmerksames aktives Zuhören (…) • Reflexion von Vergangenem • Planung von Zukünftigen (…) • Konfrontation mit Überlegungen zum Überdenken (…) • Alternativen aufzeigen • Zusammenfassen • Anbieten von eigenen Interpretationen (…) • Provozieren etc. (…) (Galuske, 2007, S. 172) Ein einfaches Rezept mit Geling-Garantie kann an dieser Stelle nicht geboten werden. Das situativ adäquate Anwenden des sozialarbeiterischen Instrumentariums stellt eine der herausfordernden Grundbedingungen der Praxis Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 72 der Sozialen Arbeit dar – so auch im Umgang mit dem Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums. Ein auswendiggelerntes Set an Methoden und Techniken greift ohnehin zu kurz, in einem Themenbereich der Privats- und Intimsphäre zweifellos tangiert werden. Es braucht Willen, Mut und Feingefühl, eine offene Haltung einzunehmen, ohne die eigenen Grenzen zu missachten. An SozialarbeiterInnen wird im Allgemeinen die Forderung gestellt, Jugendliche einerseits mit dem eigenen Hintergrund an Lebenserfahrung zu begleiten, andererseits durch gezielte Aneignung immer wieder neuer, aktueller Kompetenzen zu unterstützen und anzuleiten; ein eigener kritischer Umgang mit Medien und Medienmaterial wie Pornografie wären also Kompetenzen, über die SozialarbeiterInnen zumindest in einem gewissen Masse (vgl. Aussagen von Geers, 2009 im nächsten Abschnitt) selbst verfügen müssen, um Jugendlichen diese vermitteln zu können. Die Einbindung Jugendlicher in den Kompetenzenerwerb anderer Jugendlichen, also ein peer-to-peer-Ansatz, würde einen echten partizipativen Zugang ermöglichen. Darauf wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen. 7.3 MEDIEN- UND PORNOKOMPETENZ – ERWEITERTE AUFKLÄRUNG Exner und Schmidt-Apel zitieren Zacharias, 2001: „Kindheiten sind heute Medienkindheiten. Jugendzeit ist Medienzeit“ (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 203). Deshalb hat Jugendarbeit den Auftrag, Bildungsdefizite in der Mediennutzung Jugendlicher abzubauen und sich gemeinsam mit ihnen mit Inhalten auseinanderzusetzen (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 197-204). Ein gelingender Umgang mit Pornografie bedingt den kritischen Umgang mit Medien. Nussbaum fordert daher, dass Jugendliche nicht lediglich durch Zugangsbeschränkungen geschützt werden, sondern insbesondere durch Vermittlung von Medienkompetenz im Umgang mit Pornografie gestützt werden (Nussbaum, 2009, S. 9). Da viele Jugendliche bereits versiert mit den neuen Medien umgehen, gilt es, diese Ressource zu nutzen und darauf aufzubauen: Dabei können beispielsweise die beinahe grenzenlosen Möglichkeiten der Bildmanipulation thematisiert und „entlarvt“ werden (Geers, 2009, S. 24). Das Erkennen, Nutzen und Ausbauen jugendlicher Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien allein führt noch nicht zum Ziel. Die Verbindung mit dem eigentlichen Thema Pornografie(konsum) erfordert von professioneller Seite „Selbstreflexion und Auseinandersetzung“ (Wermuth, 2010, S. 22). Geers steht in diesem Zusammenhang vor offenen Fragen und bezieht eine wesentliche Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 73 davon auf sich selbst, wenn er fragt, „(…) mit wie viel und mit welcher Pornografie“ er sich „als Sexualpädagoge auseinandersetzen“ müsse, „um mitreden zu können.“ (Geers, 2009, S. 24). Ähnliche Fragen stellt sich auch Sielert: „Weil Erziehung sich im pädagogischen Bezug ereignet, sind Persönlichkeit und sexuelle Identität der Erziehenden ganz besonders wichtig. Daraus folgt, dass sich Sexualerziehende sich selbst kennen lernen sollten. (…) Ich sollte wissen, wovon ich rede, wissen, wie Pornografie heute aussieht (…). Aber wo ist für mich die Grenze der Professionalität, was muss ich mir nicht ansehen? Für die meisten besteht die Grenze bei der Tötungs- und Kinderpornografie. (…) Ziel ist Professionalität in dem Sinn, dass ich im Wissen um meine eigenen Grenzen und Trübungen handeln kann, dass ich meine Grenzen kenne und mich doch auskenne, um fundiert urteilen zu können und Möglichkeiten von Lernangeboten zu geben.“ (Sielert, 2005, S. 167). Medien- und Pornokompetenz 55 gehen Hand in Hand. Die Verbindung von „Bewährtem“ mit neuen Ansätzen und Erweiterungen in der sexualpädagogischen Arbeit, sind als notwendige Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen des Sexuellen zu verstehen. Ideen zur Ausgestaltung neuer Wege einer gelingenden und aktuellen sexualpädagogischen Praxis werden lanciert. So fordert Wermuth bedürfnis- und entwicklungsstandentsprechende Angebote: • Sexualerziehung von Anfang an • Altersentsprechendes Thematisieren von sexueller Praxis und Lust • Ein Sexfilm für Jugendliche! (Wermuth, 2010, S. 21) Was Wermuth mit „von Anfang an“ meinen könnte, spricht auch Nussbaum an. Ihre Untersuchung belegt, „(…) dass Pornografie bereits in der sechsten Klasse zur (Medien-)Realität von Kindern und Jugendlichen gehört – ein Drittel der 12Jährigen ist schon mit Pornografie in Kontakt gekommen.“ Daraus folgert sie, dass sexualpädagogische Angebote bereits vor dem Eintritt in die Pubertät einsetzen müssten (Nussbaum, 2009, S. 9). 55 „Pornokompetenz“ wird sowohl als Trendbegriff an akademischen Lehrstätten wie auch in der breiten Öffentlichkeit verwendet. Der Begriff kann als Spezifizierung der Medienkompetenz verstanden werden. Die ursprüngliche Herkunft konnte im Rahmen unserer Recherchen für die vorliegende Arbeit nicht geklärt werden. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 74 Zur Diskussion steht die Gewichtung des Themas Pornografie in sexualpädagogischen Angeboten. Geers ist der Ansicht, dass vor allem ein kompetenter Hintergrund geschaffen werden muss. Pornografie sollte nicht andere Inhalte verdrängen oder überlagern, da es „eine Menge Falsch- und Halbwissen (…)“ gebe (Geers, 2009, S. 22). Die gesteigerte Konfrontation mit sexuellen oder eben auch pornografischen Darstellungen und Inhalten bedeutet nicht per se bessere Aufklärung. Daher hält er es für wichtig, den sexualpädagogischen Fokus nicht auf Pornografie zu legen, sondern „zu Beginn einer sexualpädagogischen Einheit Aufklärung im klassischen Sinne zu betreiben (…)“ (Geers, 2009, S. 23). Was aber meint „im klassischen Sinne“? Sielert erläutert seine Einschätzung der klassischen Sexualerziehung, wobei er deren Fokussierung auf die „Schattenseiten“ betont. Sie laufe daher Gefahr, „(…) ihre Sexualfreundlichkeit einzubüssen“ oder versuche „(…) sich schadlos zu halten“ und spreche „(…) nur die Sprache der Liebe“, betone „(…) allenfalls noch die lustvollen, Kraft spendenden und Beziehung stiftenden Seiten.“ Er hofft auf „(…) einen dritten Weg (…), der den Schatten der Sexualität nicht umgeht, aber auch dort nicht endet, sondern möglichst viele Auswege eröffnet.“ (Sielert, 2005, S. 155). Er spricht von einer „Sexualitätsprävention“ bis zu den 70er-Jahren, später sei Sexualpädagogik dann zu einer „Präventionspädagogik“ geworden, die sich vor allem auf „Gefahrenabwehr“ konzentriert habe. Die Tendenz zur „Gefahrenabwehr“ – oder anders formuliert „Präventionsarbeit“ – wird mit der Thematik jugendlichen Pornografiekonsums, respektive dessen möglichen Konsequenzen, erneut deutlich: Die Ängste um negative Auswirkungen des jugendlichen Pornografiekonsums lassen wie bei anderem, irgendwie auffälligem oder abweichendem Verhalten Jugendlicher, Rufe nach Prävention im Rahmen der Jugendarbeit laut werden (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 255). Was aber wissenschaftlich soll noch Erwachsenengeneration durch nicht Prävention gesicherte, moralisch verhindert Gefahren abwegiges werden? oder Verhalten ein (Exner, Mögliche, für die Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 259)? Sielert bezieht sich auf Angaben von Glück, 1990, wenn er sagt, dass im Jahre 1990 noch 45% der Eltern nicht wollten, dass Pornografie und Prostitution in der Schule thematisiert würden. So wurde dem Jugendschutz eine bewahrende und abschirmende Aufgabe anstelle „(…) einer aktiven, stark machenden Auseinandersetzung“ (Sielert, 2005, S. 155) zugesprochen. So verkommt Isabelle Beetschen und Julia Rogger der Präventionsbegriff HS 2010/11 aufgrund Seite | 75 gesellschaftlicher Verlegenheit zur Heilsbotschaft und zum Allzweck-Joker (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 256), der nach Lindner dann zum Einsatz kommt, „wenn es zu spät ist, d.h. wenn der Fall, den man eigentlich verhindern wollte, bereits eingetreten ist.“ (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 259). Da Kinder- und JugendarbeiterInnen in der Regel einen kontinuierlichen Zugang zu denselben Jugendlichen pflegen, eröffnet dies die Chance auf einen längerfristigen Ansatz im Sinne von „Bildung statt Prävention“. Das heisst: Weg von der Normalitätserwartungen“ hin offensiven, Auseinandersetzung positiven zu Durchsetzung einer „unreflektiert längerfristigen, um bestimmten “bildungsorientierten soziale Werte und Verhaltensorientierungen“ (Exner, Lindner, Schmidt-Apel, Schröder, 2005, S. 260-261). Ein aktiver Zugang bedeutet unter anderem neue Wege einzuschlagen. Gerade an der Thematik Jugendlichen Pornografiekonsums lässt sich das nach Nussbaum festmachen. Wie Wermuth ist sie der Ansicht, dass dem Bedürfnis Jugendlicher nach gezeigtem Sex nachgekommen werden sollte. Sie führt wie folgt aus: „Es müsste eine Form gezeigter Sexualität – etwa in Form eines informativen Sexfilms für Jugendliche – gefunden werden, wobei darin unterschiedliche Dimensionen menschlicher Sexualität beachtet und betont werden müssten. (…) Es liegt in der Verantwortung der Erwachsenen Kindern und Jugendlichen geeignete Angebote gezeigter Sexualität zu machen anstatt aus moralischen (Hinderungs-)Gründen, Scham und Unfähigkeit hinzunehmen, dass sich Heranwachsende zu Aufklärungszwecken mit pornografischen Bildern der Sexualität begnügen müssen.“ (Nussbaum, 2009, S. 11). Auf politischer Ebene wird mit Forderungen auf die Diskrepanz zwischen dem jugendlichen Bedürfnis und vorhandenem Angebot reagiert. Insbesondere die JUSO Schweiz fordert neue Ansätze zur Erlangung sexueller Selbstbestimmung. Sie sehen eine Möglichkeit im Zeigen konkreter sexueller Praxis (eine Art Lehrfilm zur Sexualität). Im Anhang dieser Arbeit ist das entsprechende Positionspapier zu finden. Welche Kriterien müsste ein solcher Sexfilm erfüllen, um den Jugendlichen Interessen zu entsprechen und gleichzeitig eine gelingende sexuelle Entwicklung der Jugendlichen zu unterstützen? Chen-Christen, Kunz und Levin haben durch eine Bedürfnisabklärung bei Jugendlichen und Fachpersonen, Kriterien für Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 76 jugendgerechte erotische Literatur beziehungsweise jugendgerechtes erotisches Bildmaterial definiert: (Abb. 2) (Chen-Christen, Kunz, Levin, 2007, S. 16) Werden diese Kriterien auf das Medium des Filmes übertragen, stellen sich folgende Probleme: Einerseits müssten die zwingenden Kriterien des Bildmaterials eingehalten werden, andererseits bedingt der dargestellte zeitliche Ablauf in einem Film auch die Beachtung der Muss-Kriterien des Textes. Inwiefern also eine Übertragbarkeit dieser Kriterien auf einen Film erfolgen kann, bleibt fraglich. Sicher müssten weitere Überlegungen zur Bestimmung von Kriterien angestellt werden. Bezüglich der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu StGB-Artikel 197, Abs. 5 im Abschnitt „Recht“, kann davon ausgegangen werden, dass ein Sexual-Lehrfilm sui generis einen wissenschaftlichen Wert aufweist, da er zu Bildungszwecken eingesetzt würde. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 77 Auch Gloël denkt, dass im sexualpädagogischen Feld neue Angebote geschaffen werden müssen, „die nicht nur leicht zu erreichen sind, sondern die Jugendlichen in ihrer Entwicklung begleiten.“ Seine Vorstellung beinhaltet die Einbindung, Stärkung und Befähigung erwachsener Bezugspersonen. Gloël bezieht sich auf die von ihm befragten jungen Erwachsenen, wenn er deren reflektierten Umgang mit der eigenen Biographie als „Porno-Konsument“ betont. Diese Erkenntnis hält er für motivierend, auch Angebote der Peer-Edukation zum Thema „Pornographie“ zu erwägen (Gloël, 2010, S. 59). Auch Wermuth hält letzteren Ansatz für denkbar. Im Gruppengespräch am Runden Tisch der vbgbern, Quartierarbeit Gäbelbach/Holenacker, äussert er sich entsprechend. In Anlehnung an das Projekt „Peacemaker“ 56 gegen Jugendgewalt könnte er sich ein Projekt „Sexmaker“ ähnlichen Aufbaucharakters vorstellen (Beetschen & Rogger, 2010). 8. DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN Zum Aufbau des letzten Teils der Arbeit gehen wir wie folgt vor: Einleitend stellen wir in möglichst kurzer Form die gesellschaftliche Ausgangslage nochmals dar. Zur Gliederung greifen wir auf die Teilfragestellungen zurück, wie sie bereits in der Einleitung festgehalten wurden. Ausgewählte Erkenntnisse aus den einzelnen Kapiteln werden nochmals dargelegt. Im Recherche- und Schreibprozess haben sich viele Fragen ergeben, die im Rahmen dieser Arbeit nicht (mehr) beantwortet werden konnten. Es handelt sich dabei um Fragen zur Praxistauglichkeit der aktuell zur Diskussion stehenden neuen sexualpädagogischen Ansätze; diese haben noch keine Erprobung in der Praxis erfahren. Antworten könnten daher nicht auf der Basis von Evaluationsdaten erfolgen, sondern wären lediglich Mutmassungen. Die abschliessenden Gedanken bilden den Schlusspunkt. 8.1 GESELLSCHAFTLICHER KONTEXT Die gesellschaftliche Debatte zum jugendlichen Pornografiekonsum, die sowohl in der Berichterstattung der Medien dokumentiert, als auch von dieser beeinflusst wird, stellt die Initialzündung zur Entscheidung für die Themenwahl der 56 Artikel zum Projekt „Peacemaker“ auf „Beobachter“-Online: „Jugendgewalt: Friedensstifter auf dem Pausenplatz“: http://www.beobachter.ch/familie/artikel/jugendgewalt-friedensstifter-auf-dempausenplatz/ Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 78 vorliegende Arbeit dar. Die neuen Medien ermöglichen die Vervielfältigung, Verbreitung und einen beinahe ungehinderten Zugang zu sexuellen Darstellungen von grosser Bandbreite. Medialisierung und Sexualisierung der Gesellschaft stehen in Zusammenhang. Den plakativen Begriff „Generation Porno“, den die Medien als Aufhänger nutzen, haben wir bewusst als Haupttitel gewählt und mit „?!“ versehen, um anzudeuten, dass der Begriff nicht unkritisch übernommen wurde. Uns scheint ein unvoreingenommener und differenzierter Zugang der SozialarbeiterInnen zu Jugendlichen unerlässlich, um überhaupt das nötige Vertrauen für eine Arbeitsbeziehung schaffen zu können. Es hat sich gezeigt, dass, wenn schon in dieser bildhaften Art gesprochen werden soll, eher von einem „Zeitalter Porno“ die Rede sein müsste. Erwachsene müssen vor allem selbst Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen und Produkte (welcher Art auch immer) übernehmen: Sie stellen Pornografie her, konsumieren diese und machen sie leicht zugänglich. Während unter dem Credo der Wirtschaftsfreiheit profitiert wird, greifen strafrechtliche Bestimmungen und Jugendschutz zu kurz. Wir erachten es als elementar, dass sich mehr Bewusstsein dieser Doppelmoral auf gesellschaftlicher Ebene entwickelt. Ansonsten werden die von Fachleuten geforderten neuen Ansätze nicht ernsthaft diskutiert. Vielmehr verharrt man dann in einer ablehnenden Haltung, aus der heraus lediglich kritisiert und dramatisiert werden kann. Eine reaktionäre Haltung und die Forderung nach offensichtlich obsolet gewordenen Idealbildern 57 der Jugend ist kaum zielführend. Es muss um eine ehrliche Standortbestimmung gehen, aus der heraus aktiv und konstruktiv agiert werden kann. 8.2 AUSGEWÄHLTE ERKENNTNISSE ZU DEN FRAGESTELLUNGEN Wie definieren wir Pornografie als wissenschaftlich zu untersuchenden Gegenstand? Es konnte keine vollumfänglich befriedigende wissenschaftliche Definition vorgenommen werden. Inwiefern Inhalte als pornografisch definiert werden, hängt vom Zugang, respektive der jeweiligen sexuellen Sozialisation ab. Im Rahmen der 57 Wie es die Formulierung nahelegt, kann es sich dabei immer nur um Vorstellungen und niemals die Abbildung der Realität handeln. Dieses Phänomen wird unter anderem anhand des immer wieder verwendeten Begriffs der „sexuellen Verwahrlosung“ deutlich. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 79 vorliegenden Pornografie Arbeit eine wurde grosse klar, dass die Herausforderung Gegenstandsbestimmung darstellt. Zwar existieren der im juristischen Sinne Bestimmungskriterien, nicht aber eine eigentliche Definition. In nichtjuristischen Definitionsansätzen mit beispielsweise beschreibendem Zugang, fliessen Wertungen, implizite Annahmen über Funktionen oder, je nach Detailliertheit, Einschränkungen mit ein. Einerseits ist bei der wissenschaftlichen Gegenstandsbestimmung Sachlichkeit und Klarheit gefragt, andererseits lassen sich moralisch-ethische Konnotationen im Zusammenhang mit Sexualität und/oder Pornografie nicht gänzlich ausschliessen. Wie und weshalb nutzen Jugendliche pornografisches Material? Unsere Hypothese, dass Pornografie in jugendliche Lebenswelten Einzug gehalten hat, bestätigt sich. Jugendliche kommen mit Pornografie in Berührung. Die Konfrontation kann beabsichtigt oder ungewollt stattfinden. Ungewolltes in Kontakt kommen mit pornografischem Material kann damit erklärt werden, dass strafrechtliche Bestimmungen und Jugendschutz mit den aktuellen technischen Möglichkeiten nur unzureichend eingehalten werden. Die Gründe bewusster Nutzung sind vor allem Informationsbeschaffung zur sexuellen Praxis und sexuelle Neugierde, beziehungsweise Lustgewinn (vorwiegend als Unterstützung bei der Selbstbefriedigung). Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Jugendund Adoleszenzphase geht mit einem gesteigerten Interesse an Sexualität einher. Die Bildung einer (sexuellen) Identität ist nur eine der Entwicklungsaufgaben dieser Zeit. Die biopsychosozialen Wechselwirkungen führen zu einer erhöhten Vulnerabilität. Heranwachsende benötigen in dieser herausfordernden Lebensphase Raum zur Entfaltung, gleichzeitig aber auch Begleitung und die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit erwachsenen Bezugspersonen. Zunehmende Autonomiebestrebungen äussern sich auch in der wachsenden Bedeutung der Peergroup. So lassen sich wohl auch soziale Motive wie Unterhaltung, Mutproben und Statusgewinn als weiteren gängigen Nutzungsgrund für Pornografie erklären. In aktuellen Untersuchungen zeigen sich auffällige geschlechterspezifische Differenzen, wobei sozialisationsbedingte Faktoren sicherlich eine Rolle spielen. Es ist unklar, in welchem Masse Verhaltensanpassungen aufgrund Sozialer Erwünschtheit insbesondere bei Mädchen mitschwingen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 80 Welche Auswirkungen lassen sich unter besonderer Berücksichtigung der sexuellen Entwicklung gemäss aktuellem Forschungsstand konstatieren? Thematisiert wird der jugendliche Pornografiekonsum vor allem im Zusammenhang mit möglichen negativen Auswirkungen und Konsequenzen auf die sexuelle Entwicklung. Gefürchtet werden Verzerrungen wie beispielsweise ein problematisches einseitiges Bild der Sexualität und damit zusammenhängend der Geschlechterrollen, fehlende Verknüpfung von Sexualität und Liebe sowie sexuelles Risikoverhalten. Aktuelle Forschungen zeigen, dass die Fähigkeit zur Differenzierung zwischen pornografischer Fiktion und real gelebter Sexualität – also dem eingeschätzten Realitätsgehalt pornografischer Darstellungen eine Schlüsselfunktion zukommt. Inwiefern verfügen, einerseits mit hängt ihren Jugendliche kognitiven über diese Kompetenz Fähigkeiten zusammen, andererseits mit dem Stand eigener sexuellen Erfahrung. Die beschriebenen sexuellen Skripte sind dynamisch und vielfältig gespeist. Sie lassen sich in der Regel nicht monokausal erklären oder prägen. Insofern relativieren Untersuchungsergebnisse aus der Skripttheorie die befürchteten einschneidenden Auswirkungen jugendlichen Pornografiekonsums; vielmehr ist dieser als einer von vielen sozialisationsbedingten Faktoren auf dem Weg zur sexuellen Identitätsbildung zu verstehen. Welche Rolle kommt der Sozialen Arbeit im Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum zu? Wo liegen die Möglichkeiten und Grenzen der Einflussnahme? Da Jugendschutz, wie bereits angetönt, nicht lediglich über strafrechtliche Bestimmungen und Technik gelöst werden kann, benötigen Jugendliche Begleitung. Hierbei kommen verschiedene erwachsene Bezugspersonen in Frage, wie Eltern, Lehrpersonen, SexualpädagogInnen, etc. Wie bereits aufgezeigt wurde, bestehen Hinderungsgründe. bei den Daraus verschiedenen wurde Bezugspersonen gefolgert, dass sich unterschiedliche unsere Hypothese bestätigt, wonach Sozialer Arbeit eine Rolle im Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum zukommt, im Sinne der Gestaltung von Rahmenbedingungen und Interventionen für gelingende sexuelle Entwicklung. Die Ausgestaltung dieser Rolle untersteht einerseits den zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen, andererseits stellt sich auch die Fragen nach den Möglichkeiten und Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 81 Grenzen der Umsetzung durch die jeweilige Fachperson. Wir halten die folgenden Kriterien für fundamental: • Vernetzung (interpersonelle, interdisziplinäre und interinstitutionelle Zusammenarbeit) • Aktiver eigenständiger (fachlich und institutionell verankerter) Zugang • Bedarfsorientierung (in Bezug auf Jugendliche, erwachsene Bezugspersonen und bereits etablierte Angebote) Es scheint uns wichtig, nochmals auf die sozialarbeitsspezifischen Handlungsmaximen zu sprechen kommen. Die Schwierigkeit im Umgang mit Werthaltungen der verschiedenen Beteiligten kommt gerade bei persönlichen, ja intimen Themen besonders zum Tragen. Wir sind überzeugt, dass ein toleranter und verstehender Zugang notwendig ist, um überhaupt Kommunikation aufbauen zu können. Toleranz und Verständnis sollen aber nicht gleichbedeutend sein mit Ignoranz und kritikloser Akzeptanz. Wenn Jugendlichen einen selbstbestimmten, emanzipierten und selbstsicheren Umgang mit der eigenen Sexualität entwickeln sollen, müssen professionelle AnsprechpartnerInnen „Reibungsfläche“ bieten. Gleichzeitig kommt ihnen auch eine Rolle als relativierende, entlastende, aber auch stützende Instanz zu. So kann Jugendlichen beispielsweise vermittelt werden, dass es völlig in Ordnung ist, nicht alles zu wissen. Auch der Umgang mit verschiedenen Wissensinhalten kann relativiert werden; einerseits bezüglich deren Bedeutung für die Realität, andererseits in Bezug auf deren Wichtigkeit für die eigenen sexuellen Erfahrungen. Nebst klärenden Gesprächen, die zur Relativierung und Entlastung beitragen können, braucht es auch die Bestärkung in den Bestrebungen zu einem selbstbestimmten Umgang mit Sexualität. So sollen beispielsweise Mädchen darin bestärkt werden, nur sexuellen Praktiken nachzugehen und/oder zuzustimmen, die von ihnen selbst gewünscht und als lustvoll 58 empfunden werden. Damit dies gelingen kann, muss die Achtsamkeit sich selbst gegenüber gefördert werden: Die Fähigkeit zur Einschätzung, was physisch und psychisch gut tut und was nicht, soll helfen, jeglicher Form von Druck bewusst begegnen zu können. Anhand dieser Beispiele wird klar, dass es SozialarbeiterInnen nicht darum gehen kann, völlig neutral und wertfrei zu sein, denn so wäre es nicht möglich, die oftmals notwendige Stellung zu beziehen. 58 Es geht nicht um die Orientierung am schieren Lustprinzip ohne Beachtung der vernunftgemäss zu erwartenden Konsequenzen; vielmehr ist die subjektive Empfindung von Stimmigkeit gemeint. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 82 Vielmehr sollte verständnisorientiert die eigene Position transparent und authentisch vertreten werden. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass aus einer solchen Haltung heraus gehandelt werden kann, wenn sowohl fachliche Kompetenz angeeignet wurde, als auch eine persönliche Auseinandersetzung stattgefunden hat. Oftmals scheint der Weg zur fachlichen Wissensvermehrung einfacher und klarer zu gehen; hier stellt sich vor allem die Frage nach dem „Wo“. In Bezug auf die Entwicklung der eigenen Haltung steht das „Wie“ im Zentrum. Während ein Teil dieses Prozesses im direkten Austausch (zum Beispiel über Vernetzung mit Fachpersonen) und über entsprechende Rückmeldungen erfolgen kann, ist Achtsamkeit gegenüber den eigenen Empfindungen wichtig. Diese können innerlich ablaufen, aber auch über Handlungen externalisiert werden. Unabhängig von der Art und Weise der Konfrontation mit Sexuellem, kann Achtsamkeit über Selbstreflexion erfolgen: Wie reagiere ich auf die jeweilige Konfrontation? Wie kommt es zu meiner Reaktion? Welche Empfindung(en) war(en) massgeblich? Welche Werthaltungen stehen bewusst oder unbewusst im Zusammenhang mit meiner Reaktion / Empfindung? Steht eine Absicht hinter meiner Reaktion? Wie ist meine Handlung und/oder Absicht zu legitimieren? Etc. Durch fachspezifische Supervision können solche Prozesse angeregt, begleitet und evaluiert werden. Im vorangehenden Kapitel wurde auf aus unserer Sicht geeignete Methoden und Techniken hingewiesen bewusstseinsbildenden (unter anderem Gesprächsführung auf sowie den einzelne Ansatz der Techniken der sozialpädagogischen Beratung). Es fehlen wie bereits erwähnt umfassende und zusammenhängende Konzeptionen und Anleitungen; ein mässiger Eklektizismus erscheint uns hilfreich. Unsere Folgerungen sollen als Anregung für weiterführende Erarbeitung von passenden Konzepten verstanden werden. In Bezug auf den Umgang mit jugendlichem Pornografiekonsum sind ohnehin noch zu viele grundsätzliche Fragen offen, als dass es zu diesem Zeitpunkt sinnvoll wäre, auf einer untergeordneten Ebene handlungsanleitende und abschliessende Antworten geben zu wollen. Die Ausarbeitung und Umsetzung neuer alters- und entwicklungsgerechter Ansätze ist angezeigt. Die Isabelle Beetschen und Julia Rogger aktuell diskutierten HS 2010/11 Ideen wie Seite | 83 Anschlusskommunikation, das Zeigen konkreter sexueller Praxis sowie ein peerto-peer-Ansatz, spezifische sexualpädagogische Weiterbildung für erwachsene Bezugspersonen sollen alle gleichsam zur nötigen Medien- und Pornokompetenz bei Jugendlichen und Erwachsenen verhelfen. Im Kontakt zur Praxis Sozialer Arbeit, sei dies in unseren Praktika, wie auch im Austausch mit Fachleuten (beispielsweise mit dem „Runden Tisch“ der vbgbern) wurde eine Suchbewegung spürbar. Die Frage Zusammenhang nach mit dem richtigen jugendlichem Handeln, dem Umgang Pornografiekonsum im beschäftigt SozialarbeiterInnen verschiedener Institutionen in unterschiedlichem Masse; während einige bereits seit längerer Zeit mit Jugendlichen über deren Pornografieerfahrungen sprechen, ist das Thema für andere relativ neu. Am bereits erwähnten „Runden Tisch“ der vbgbern wurde jedoch deutlich, dass sowohl „erfahrenere“, wie auch „neu konfrontierte“ SozialarbeiterInnen auf der Suche nach Austausch, handlungsleitenden Prinzipien oder gar nach einer Art „Rezept“ sind. Im Laufe der Diskussionsrunde konnte durch den Sexualpädagogen Bruno Wermuth aufgezeigt werden, dass zwar Ideen zu neuen Ansätzen in Fachkreisen aktuell rege diskutiert werden, jedoch noch kaum oder keiner eigentlichen Feuerprobe in der Praxis ausgesetzt waren. Die dadurch offenbleibenden Fragen werden im folgenden Abschnitt festgehalten. 8.2.1 FRAGEN ZUR PRAXISTAUGLICHKEIT DER VORGESTELLTEN ANSÄTZE Die konkrete Umsetzung der beschriebenen neuen Ansätze wirft noch etliche Fragen auf, die wir an dieser Stelle festhalten und unbeantwortet lassen. • Welche Gestaltung der Anschlusskommunikation, respektive allfälliger sexualpädagogischer Angebote ist wünschenswert? Welche zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcen können zur Verfügung gestellt werden (nicht lediglich für die eigentliche Umsetzung im Arbeitsalltag, sondern auch für die Konzepterarbeitung sowie die möglicherweise notwendige Weiterbildung)? Und wie personenabhängig ist dann ein gelingender professioneller Umgang mit dem Phänomen jugendlichen Pornografiekonsums andererseits in (Einerseits Bezug auf aufgrund fachlicher persönliche Kompetenzen, Werthaltungen und Entscheidungen)? • Wer legt wie ein alters- und entwicklungsgerechtes Thematisieren von sexueller Praxis und Lust fest? Wer definiert beispielsweise den Inhalt Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 84 eines Lehrfilms sexueller Praxis (Gefahr der personenabhängigen Idealisierung eines bestimmten Zuganges, beispielsweise Ausklammerung gewisser sexuellen Praktiken, etc.)? Wer bestimmt den rechtlich notwendigen wissenschaftlichen Nutzen? In welchem Rahmen (Zeitpunkt, Raum / Ort, (erwachsene) Anwesende, etc.) könnte eine solche Filmvorführung stattfinden, wenn Jugendliche sich dabei nicht peinlich berührt und in ihrer Privats- und Intimsphäre verletzt fühlen sollen? • Was halten die betroffenen Jugendlichen (und auch deren Eltern) von einem peer-to-peer-Ansatz? Inwiefern besteht hierbei die Gefahr der Überforderung, respektive der Abgabe der Verantwortung an die Jugendlichen? Wie kann die Qualität des weiterzugebenden Wissens sichergestellt werden? • Können wir davon ausgehen, dass sexualpädagogische Angebote für erwachsene Bezugspersonen, beziehungsweise Eltern, von denen in Anspruch genommen werden, die diese wirklich benötigen? Von Fachleuten wird zwar die Unumgänglichkeit und Wichtigkeit des Einbezugs der Eltern betont, nicht aber über eine mögliche Ausgestaltung diskutiert. Das mag daran liegen, dass hierbei die eigentliche Schwierigkeit liegt: Zwar scheint der Weg erfolgsversprechend und die Bereitschaft von Fachleuten zur Wissensvermittlung ausser Frage zu stehen, jedoch konnten wir keine Äusserungen zum eigentlichen Moment der Zusammenarbeit finden. Unter welchen Bedingungen gelingen solche (Weiter-)Bildungsangebote? Der Begriff „Angebot“ impliziert Freiwilligkeit. Es ist anzunehmen, dass Eltern, denen die Thematisierung des Sexuellen ohnehin unangenehm, unangebracht oder unmoralisch erscheint, vermutlich auch Mühe damit bekunden, ein solches Angebot selbst in Anspruch zu nehmen. Wie könnten Zweifelnde und KritikerInnen motiviert und überzeugt werden? • Wie vermeidet man einen belehrenden und überstülpenden Zugang? Es gilt zu beachten, dass die Hinderungsgründe sehr individuell sein könnten und daher nicht angebots-, sondern bedarfsorientiert gearbeitet werden müsste. 8.3 ABSCHLIESSENDE GEDANKEN Zum Schluss möchten wir nochmals auf den bewusst gewählten plakativen Begriff „Generation Porno“ zurückkommen. Sowohl in der konsultierten Literatur, Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 85 als auch in unserem Gruppeninterview hat sich gezeigt, dass etliche Jugendliche einen differenzierten Zugang zu Pornografie und dessen Konsum zeigen. Dies mag bestätigen, dass Pornografie zu einem mehr oder weniger alltäglichen Thema jugendlicher Lebenswelten geworden ist, gleichzeitig aber auch, wie kompetent und gelassen die erwähnten Jugendlichen damit umzugehen wissen. Wir haben uns insbesondere mit der bewussten Nutzung pornografischer Inhalte auseinandergesetzt und aufgezeigt, dass Jugendliche durch bereits vorhandene Medienkompetenz durchaus in der Lage sind, allfällige technische Barrieren zu umgehen. Andererseits wollen wir an dieser Stelle auch darauf hinweisen, dass ein gelassener Umgang nicht lediglich die Gewöhnung an pornografische Darstellungen meint, sondern eben auch die bewusste Meidung sein kann. Einige Jugendliche zeigen durch humorvolle Äusserungen sowohl die Fähigkeit zur Unterscheidung von pornografischer Fiktion gegenüber der Realität, als auch eine Präferenz der realen sexuellen Begegnung (vgl. Aussagen Jugendlicher unter „Auswirkungen auf Jugendliche“). Uns ist im Rahmen unserer Recherchen und persönlichen Begegnungen aufgefallen, dass Jugendliche sich selbst kaum als Opfer der Konfrontation mit pornografischen Darstellungen fühlen, sich jedoch durchaus kritisch über den Pornografiekonsum anderer Jugendlichen äussern. Wir interpretieren solche Äusserungen dahingehend, dass zwar kein Grund zur (Porno-)Panik (vgl. Gernert, 2010, S. 71) besteht, jedoch die von Jugendlichen geäusserte Sorge ein Appell an ihre erwachsenen Bezugspersonen darstellt. Die Verantwortung für Pornografie und deren Nutzung durch Jugendliche bleibt in Erwachsenenhänden, nicht zuletzt in den Händen von SozialarbeiterInnen. Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 86 QUELLENNACHWEIS Abels, H. (2007). Einführung in die Soziologie (3. Auflage). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Altstötter-Gleich, C. (2006). Pornographie und neue Medien. Eine Studie zum Umgang Jugendlicher mit sexuellen Inhalten im Internet. Abgerufen am 15.06.2010 von pro familia: http://www.profamilia.de/getpic/5648.pdf AvenirSocial Professionelle Soziale Arbeit Schweiz. (kein Datum). AvenirSocial Professionelle Soziale Arbeit Schweiz. 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Abgerufen am 01.12.2010 von GESCHENKidee.ch: http://www.geschenkidee.ch/poster/CU1437660--hotlipsposter.html Abbildung 2 / Kriterientabelle „Jugendgerechte Erotika“: Chen-Christen, N., Kunz, C. & Levin, A. R. (2007). Jugendgerechte Erotika. Uster: Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapie (ISP). Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 94 ANHANG Isabelle Beetschen und Julia Rogger HS 2010/11 Seite | 95 EINLEITENDE WORTE ZUM INTERVIEW Rückblickend auf frühe Phasen des Entstehungsprozesses hatten wir im Sinn, einen bedeutenden Teil unserer Arbeit auf eigenen empirischen Erkenntnissen aufzubauen. Nach und nach, einerseits beim Einarbeiten in die Literatur, andererseits durch Hinweise der Fachbegleitung, ist uns bewusst geworden, dass dieses Vorhaben aufgrund der gewählten Thematik und des zeitlich begrenzten Rahmens viele Stolpersteine mit sich gebracht hätte. So mussten wir uns – wohl oder übel – aus Vernunftgründen von dieser Grundidee lösen und neue Vorstellungen zur Struktur und zum Inhalt der Arbeit gewinnen. Den bereits erstellten Interviewleitfaden haben wir mit einiger Enttäuschung beiseitelegen müssen. Als sich dann im Laufe des Arbeitsprozesses ganz spontan die Möglichkeit eines Gruppeninterviews mit vier Mädchen zwischen 13 und 14 Jahren ergeben hat, liessen wir uns die Gelegenheit nicht nehmen. Die Durchführung erfolgte im Jugendraum des Gemeinschaftszentrums Gäbelbach. Erfreulicherweise gelang es uns in kürzester Zeit (innerhalb weniger Stunden), ein Setting zu gestalten, welches eine angenehme, offene und vertrauensvolle Atmosphäre ermöglichte. Die Mädchen konnten sich so zu sagen „im eigenen Revier“ auf unsere Fragen einlassen, sodass ein angeregter Austausch entstand. Nachdem unser Interviewleitfaden doch noch Verwendung gefunden hatte, erzählten die Mädchen „frei Schnauze“ aus ihrer Lebenswelt – rund um die Themen Sexualität und Pornografie. Transkribiert haben wir nur die Teile, die in direktem Zusammenhang mit den gestellten Fragen, respektive unserem Erkenntnisinteresse der Arbeit standen. Die Transkription ist im Anhang zu finden. Einerseits kann die ad hoc zusammengestellte Gruppe nicht als repräsentativ bezeichnet werden, andererseits haben wir bezüglich den Rahmenbedingungen des Interviews nur bedingt auf wissenschaftliche Kriterien achten können. Nichts desto trotz wollen wir den interessierten LeserInnen die unserer Ansicht nach äusserst illustrativen Aussagen nicht vorenthalten. Wir erlebten die Mädchen in der Interviewsituation als offen, direkt und authentisch. Einige ihrer kecken und pointierten Aussagen erlauben einen kleinen Einblick in ihre Lebenswelt. GESPRÄCHSLEITFADEN GRUPPENINTERVIEW Gegenstand der Pornografie 1. Was versteht ihr / verstehst du unter Pornografie? Erfahrung mit Pornografie 2. Seid ihr / bist du schon auf pornografische Internetinhalte gestossen? 3. Was denkt ihr / denkst du: Wozu schauen sich Jugendliche pornografisches Material an? Empfindungen in Bezug auf Pornografiekonsum 4. Was lösen diese Inhalte bei Jugendlichen aus? 5. Was denkt ihr / denkst du: Lässt sich Porno-Sex in der Wirklichkeit leben? 6. Welche Fragen haben euch / dich beschäftigt im Zusammenhang mit gesehenem Porno-Material? Umgang mit den Pornografie-Erfahrungen 7. Wo seid ihr / bist du mit allfälligen Fragen hingegangen? 8. Was empfehlt ihr / empfiehlst du Leuten, die mit Jugendlichen arbeiten? Was ist hilfreich / erwünscht? Was ist total daneben? GRUPPENINTERVIEW MIT AZIZA*, JESSICA*, KATINKA*, SINJA* *Namen wurden aus Datenschutzgründen geändert (13- BIS 14-JÄHRIGE MÄDCHEN) Gegenstand der Pornografie Aus erschts würds üs interessiere, was dir unterem Begriff „Pornografie“ überhoupt verstöht? Was bedütet das, was heisst das? Was isch das? Du muesch nid Hang ufha! Lut! Auso: Das si (Pause 1s). Das si zwöi Lüt, ja, nei nid zwöi L(...) (Lache). Das si eifach Lüt, wo figgä und das ufnähme und när das verchoufe. Und ja oder einfach „in das Netz stellen“. (…) Ja. Veröffentlechä (Getuschel, grosses Gelächter). Ja das si eifach Lüt, wo figge u das fiumä. Ja (Zustimmung). Aha. Irgendwie scho. Oder Froue, wo sech säuber eine ineschiebe (jaa). (Lachen). Oder „Selbstbefriedigung“. Witer! Nächschti Frag! Erfahrung mit Pornografie Sit dr scho irgendwie uf pornografischs Züg gstosse, z.B. im Internet oder süscht nöime? Fernseh. Ja das chunnt de huerä bös. (Ja, Zustimmung, Lachen). Ja wenn dä i „kino.to“ wosch gah, weisch z.B. ä Fium (Ähä, Zustimmung) ga luege oder so, chunnt grad so aus erschts so ne huere grusigi Site so zum alüte oder. So Wärbige? (Getuschel, Lachen). „Ich möchte jemandem ‚einen blasen‘“. Isch de huere krass (Lachen). Wüsst dr, was mr mau Vanessa hed gseit? Zwöi Frouä tüe sech derte mit Haarspray… (Getuschel) …dass si spitz wärde. Was? Das isch aber nid di ärnscht? (Lachen). Was heit dr ds Gfühl, warum luege Jugendlechi so Sache? Es macht se a. Es macht se spitz. Auso si wie öppis… Nö, das macht Haarspray. (Lachen). Ja äbe. (Pause 2s). Ja, Männer stöh uf so öppis… Ja, nid aui Männer. Wöu si erregt wärde. Ja, aber Männer luege am meischte Porno. Chöi si sech einä wixe. I gloub scho (Pause 1s). Gäu? Gloub i o. Dass Männer meh luege. Si chöi sech ja nid einä wixe eifach so (kurzes Lachen). Si bruche ja es Bild oder so. Ja. (Zustimmung aller). Oder eifach e geili Frou. Villicht (Getuschel) Fantasie. (…) Nei, i gloub das geit o so ohni öppis. Auso. Nää. I muess mau wider ga (Getuschel, Gelächter). Heit dr scho mau mit Gielä drüber gredt? Ja. Grad geschter (Lachen). Si si huerä offe. Auso. Si si aui irgendwie offe. Wenns um so Sache geit, meinä si sech. Ja. D‘Giele, si meine sech? Gäu, si meine huerä nächer, si wäre cool. I weis nid, warum das so isch. Ja, eifach, sie verzeues, so u när. Wie nüt wär. Empfindungen in Bezug auf Pornografiekonsum Wenn dr so Sache gseht, was löst das bi öich us? Heit dr irgendwelchi Gfühl, Gedanke? (Lachen) Das isch ds nöch! (…) Auso, meinet dr so wie das im Internet? I findes eifach grusig. Es macht mi auso nid a oder so. Auso weisch, die Lüt wo das mache, chöi ja mache was si wei, aber… Die wo itze das aluege u geil finde, chöi si ja, aber ig auso es isch (Pause 1s). Ig würd‘s itz nid luege. So persönlech. Aber süsch, wenn i itz am Abe am Fernsehluege bi und när chunnt das dört… Eifach wägschaute. So chli easy füf Minute, lache mr drüber oder so. Wenn du weisch, was i meinä, denn mit (…) (Lachen). (…) U d‘Jungs, we si verzeuä? Säge si, warum? Wie‘s für si isch? „S‘macht geil“ oder so, säge si das? Ja. Eigentlech scho. Ja. Ja. I ha so eine gseh, wie ner am Pornosite (Getuschel) gäu? Ja. Was dänket dr, wenn dr so Fiumä gseht, wie sie zum Bispiu im Internet abote wärde? Git‘s Fiumä? Pornofiumä? (Grosses Lachen) Es git sogar in „Manga“. So richtig Fiumä? Weisch so richtig Fiumä? Jaa. So e Stund oder so? Ja. Ja? Das hani itze ömu o nid gwüsst. Witer! Wenn dr so Sache gseht, heit dr ds Gfüeh,l dr Sex louft so ir Würklechkeit? Nää. Nö. Das isch huere brutal! Die übertribes. Das isch äbe dr Unterschid zwüsche „Pornografie“ und „Sex“, so normal. Auso ja. Dört stöhne si huere übertribe. S‘isch nid ds gliche, würdet dr säge? Si mache eifach brutali Sache. Auso zum Bispiu, es isch ja nid so normau, dass me itze öpperem „eine blast“. Auso weisch. Ja. Wenn du seisch „brutali Sache“. Was meinsch mit däm? Auso i ha mau gseh, äh, per Zuefall (grosses Lachen der anderen). Nei, i schwöre, i bi unschuldig (Lachen)! U när hani eifach gseh, wie dr Ander si i Arsch figgt u dr Ander isch när o cho u när si si beidi mit ihrem Schwanz i eim Arschloch inne gsteckt. Das hani när huere hert gfunde. (Lachen). U di anderi het när zuegluegt. Ja. Das isch itze nid öppis, wo me eifach so würd mache, oder? Auso so zum würkleche Sex ghört? Nei. Auso nei. Das isch eifach ganz normau, äh (Pause). Nid so huere übertribe wie… Zwe u so. Ja gäu, isch chli schräg? Auso i weiss nid, öb‘s weh tuet, aber (Lachen). Muesch nid mi frage (Lachen). Ja, zwöi hed si gseit. Aha. (Pause). Oder mängisch tüe si doch o so, no so, wärde si doch so uspeitscht, oder nid? (Durcheinandergerede und Gelächter). Oder so Handschäuene. (…) I meine, die bechöme wäg däm Gäud. Schlah. Äbe, so Nuttene… Aber es paar mache das doch o so, im normale Sex, oder? Ja es paar… Ja, aber wenn du itze zum Bispiu miteme Maa 30 Jahr verhüratet bisch, wird’s ja ou mau, auso für nes paar wird’s ja ou mau längwilig. Dänk ig itze. Meinsch bruch‘ts chli Abwächslig nächer? Ja, irgendwie scho. Auso, mou. (Gelächter). Ja, isch scho so, oder? Hed‘s irgendwelchi Frage gäh, wo dr nech gestellt heit, oder wo nech beschäftiget hei, wenn dr so Sache gseh heit im Internet etc. (…)? Öb die Frou dört oder so keni Elterä het?! Isch das überhoupt legal? Nid aues… (…) U wenn du seisch „ke Elterä“ – wo luege? Meinsch, dass niemer… Oder Brüetschä. …öppis seit, dass si das aues mache? Ja, ke strängi Eltere oder strängi Brüetsche. (Getuschel). (…) I gloube niemer vo üs chönnt‘s. I wott o nid. Ja weisch, mini Mère würd eifach nid säge „Du bisch nid mini Tochter!“, wenn i so öppis mache, aber es…(Pause 1s) i gloube s‘hed anderi Gründ. I finde das huerä pinlech! När gseht dr Père, wo ono geit ga luege, vo däne… när gseht är so sini eigeti Tochter, wie si figget! Gäu? Das findi huere brutau! (…) U när weis si no, dass das jede gseht… Wenn dr d‘Jungs ghöret drüber redä: Hei diä Frage? Beschäftiget diä irgendöppis? Oder chöme si voll drus? Nei, si finde das normau. Si finde, dass das aues, wo dört passiert, dass das o zum normale Sex ghört. Scho? Auso, si wei das. U si säge säuber, si finde das o normau. Ja. Auso, jaa. (Getuschel). Was het itze dr (…) gfragt? Ah jaaa! (Getuschel). Chasch‘s ruhig verzelle. Öb, öb, auso, öb dr Futz wachst (…). Er isch huerä diräkt gsi! Das ghört nid zu däm. Auso eifach so zum Wachstum. (…) Weisch är het gfragt: „Wachst öiä Futz? So, weisch, so aus Baby bis itze? (…) Heit dr ihm de o gseit, wie‘s isch? Ja, mir hei gseit, ja, das wachst scho. Wenn dr ds Gfühl heit, äbe d‘Giele die wei, dass das drzue ghört, aues was ir Pornografie so vorchunnt: Wie reagieret dr druf, wenn dr das ghöret? Chläpfe! Vodämhär wüsse si‘s scho. Nö. Mir säge ne när: „Meinsch, das macht jedi Frou?!“ „Ja sicher, i wott so ne Frou!“ So. Aber i gloube, das wei si nume itze, bis si… Auso itze, wo si no nid hei gschnallt, dass das nid jedi Frou mit sech laht la mache? Weisch, i däm Alter si aui Jungs Perverslinge. Und drum wöi si immer so Sache. Es isch eso. (Getuschel:...das geit eifach um di und (...). Är het mr ä Fründschaftsatrag gschribe (…). Wie heisst är? (…). Isch ja egal.) Umgang mit den Pornografie-Erfahrungen Dir heit itze gseit, dass dr gar nid so Frage gha heit, irgendwie im Zämehang mit Pornografie. Wenn dr hättet, zu wäm würdet dr ga, wenn dr öppis wettet wüsse oder mit öpperem öppis bespräche? Frou Nobs. (Lachen) D‘Schuelsozialarbeiterä? Ja. Cha me mit ihre über so Sache redä? Ja. Nei! D‘Rahel het üs mau gfragt, öb mr sone „Verhütungskoffer“ wei u mau mit ihre drüber redä. Und d‘Rahel wär d‘Jugendarbeiterä? Ja. Und was heit dr geseit, wo si mit däre Frag isch cho? Mir bruches nid. Auso, ja, nei. Sit dr gnue informiert? Oder isch‘s eifach no nid sones Thema? Ja genau. Genau. (Zustimmung von allen). Isch nid es Thema. Was isch ir Schuel? Süsch, Lehrer? Auso üse Lehrer isch pädophil, dr Herr (…). (…) Was heit dr wider gfragt gha? Ir Schuel? Ja, wie ir Schuel? Auso gäb‘s dört usser dr Frou Nobs ä Asprächsperson? Äbe, Lehrer chöme weniger i Frag? Kolleginnä. Ja, aber nid grad so, auzu schlimmi Frage. Ja, i chönnt eigentlech mini Mère frage. Aber i ha ja itze keni Frage. Wie isch‘s bi de andere? Hättet dr o ir Familie öpper? Nö! Geit gar nüt? Nää! Du würdsch säge, ds Mami? Ja. I würd mini Schwöschter frage. Dini Schwo? Die, wo mitem Chopftuech umelouft?! Ja. Was wott diä scho… Ja, s‘chunnt drufa, was für e Frage. (…) D‘Frou Nobs, darf nid eifach ga säge, wär ihre was gseit het. Si steit unter Schwigepflicht. Isch das einä vo de Gründ, warum me mit ihre guet über aues cha redä? Nei, äbe nid! Die Chue geit aues immer em Herr (…) ga säge, was i säge. Du hesch nid so gueti Erfahrige gmacht, i däm Fau? (Getuschel). Ja, du hesch müesse, wöu du dini Ufgabe nie hesch gmacht. Oder immer z‘spät bisch cho. (…) Ja i ha ihre gseit, es bringt nüt, aber si wott mi nid la si. Aber itze im Zämehang mit Sexualität und Pornografie heit dr vorhär scho ds Gfühl gha, mit ihre chönnt me no über so Zügs schnure? Nei! Du nid, ok, du hesch‘s nid guet mit ihre, aber? (…) Heisst das de eifach, dr bruchet öpper, wo dr guet möget, dass dr überhoupt chöit drüber rede? Ja. (Zustimmung). Ja und öpper, wo när nid drüber würd lache. I meine, d‘Frou Nobs würd när o nid eifach… Aber über Porno…? Auso niemer, wo di uslachet? Oder nid so Komischs würd dänke. Öpper, wo eim versteit. Wo di ärnscht nimmt? Auso, si würd‘s scho ärnscht nä, aber si würd när so dänke: „Hönne komisch!“. Äbe, so Erwachseni äbe. Ja. Dänke aui Erwachsene, dass es komisch isch, wenn me se so Sache fragt? Auso dir nid itze, aber (…) dir sit ja o no nid so alt 1 . Dr Azad isch itze o nümme dr jüngscht. Würde d‘Giele itze mit ihm ga redä? Neeei! D‘Giele nid. Es muess ä Frou si, dänke ig mau. Mann, är (dr Azad) isch Moslem! Huerä Blämu! (…) Mit dr Rahel cha me o no drüber redä. Ja, mit dr Rahel. Si dänkt ömu o nid komischs Züg über eim, oder? Nää. Nei. Nei. Wenn d‘itze d‘Frou Nobs chönntisch ändere (…), was würdsch mit ihre mache, dass‘d mit ihre über so Züg chönntisch redä? I würd se jünger mache! Ja, gäu? Ja, jünger. Was müesst dämfau öpper ha, dass mitem würdsch redä? Ä Kollegin si. Oder mini Cousine. (Pause 2s). Eifach öpper, auso. Aber müesst chli drus cho oder, süsch? Ja, bö. Fründschaftlech. Aber i weiss nid. Öich drü chönntis itz verzeuä, aber andere Kolleginne nid. Nid aune. Nei. Auso i ha süsch so angeri Kolleginne, aber däne… Mit däne cha me gar nid über so Sache redä. Si luege di när so a „Iih!“. Di si huerä unriif! Nid unriif. Si si no chlii. Mir si itze dört, wo‘s üs scheissegal isch und si si no chli witer unde, wo „Öh! Wäh! Huere grusig!“. 1 Im Anschluss an das Interview haben wir erfahren, dass die Mädchen beide Interviewerinnen auf etwa 25 Jahre geschätzt haben. Unriiif! Dene isch’s villicht no so chli pindlech. Auso s‘müesst öpper si, wo no chli offe cha drüber redä u so chli Läbenserfahrig het? Ja, so öpper wie üs! (Lachen). U d‘Gielä? Die redä nume unterenand über so Züg, oder… Nei, sogar vor de Lehrer! Auso ärnschthaft. Weisch, wenn si irgendwo nid druschöme? Oder irgend öppis möchte wüsse? Mit wäm würde si schnure? Die würde ömu zu üs cho. (…) D‘Giele us üsere Klass, die rede gloub unter sich oder ömu unter es paarne. Ömu vor üs zwöi o. Aber vor de andere Modis gloub‘s nid. Wenn si wei wüsse, was bire Frou isch (Pause 1s), de chöme si äuä scho zu üs. (Getuschel). (…) Öb me dr Schwanz cha stüre? (Lachen). Du hesch o mau ä Frag gha, u när hei mr ä Giel gfragt. Aber irgendwie ä erwachsene Maa, wär‘s itzä äuä bi de Giele? Würde si z.B. mitem Marco drüber redä? I gloube nid emau, si würde mit emene Erwachsnige drüber redä. Mitem Azad villicht, chönnti‘s mr no vorstelle. Unter sich. I gloube, si würde‘s de Elterä nid säge. Marco oder so, i gloube, si würde sech schäme z‘frage. Wöu si ja immer so tüe, so offe und wüsse aues u när (Pause 2s) s‘chunnt mr aume so vor. Auso du hesch ds Gühl, dass wöu si blöffe, aus wüsste si aues, sech nid getrouä, ga z‘frage, wöu si nid wei zuegäh, dass si doch öppis nid wüsse? Ja. Ja. Si tüe ömu so. Git‘s no süsch öppis, wo nech i Sinn isch cho, wo dr weit loswärde, wo mr vergässe hei z‘frage? Ä Frou isch fasch gstorbe, wo si mitemenä so ä Pferd het gfigget. Ä Frou isch gstorbe! Ja, irgend so öppis. Wo ghöret dr so Sache? I weiss nid. Vo de Giele, gäu? Ja. Hei si das de gseh und hei‘s öich verzellt? I gloubes, ja. Die tüe jedes… (Getuschel) …die hei aues gluegt… (längere Pause) Git‘s Chinderporno? Ja. Ja. Das git‘s. In Vie... eifach in China. Dört für drü Franke verchoufe si‘s. Oahh! Oder si verchoufe o Chind dört. (…) AUSWAHL FACHSTELLEN FÜR INFORMATIONEN ZU JUGENDSEXUALITÄT Berner Gesundheit Eigerstrasse 80, Postfach 3000 Bern 23 Telefon 031 370 70 70, Fax 031 370 70 71 [email protected]; www.bernergesundheit.ch fit4Love.info Corinne Achermann Telefon 079 673 73 35 Didi Liebold Telefon 079 670 74 22 (keine weiteren Adressangaben) [email protected]; www.fit4love.info Lust und Frust Fachstelle für Sexualpädagogik Langstrasse 21 8004 Zürich Telefon 044 299 30 44, Fax 044 299 30 59 [email protected]; www.lustundfrust.ch Wermuth Bruno Dipl. Sozialpädagoge FH, Fachmann für sexuelle und reproduktive Gesundheit PLANeS, Sexualpädagoge, Sexualberater Schauplatzgasse 23, Postfach 8809 3001 Bern Telefon 079 746 55 08 www.brunowermuth.ch (mit Formular für E-Mail) ONLINE-BERATUNG www.20min.ch/life/dossier/herzsex (Trägerschaft: 20 Minuten AG, Werdstrasse 21, 8021 Zürich) www.bravo.de/dr-sommer (Trägerschaft: Bauer Digital KG, Burchardstrasse 11, 20077 Hamburg) www.elternplanet.ch (Trägerschaft: Elternplanet GmbH, Waaghausgasse 18, CH-3011 Bern) www.feelok.ch (Trägerschaft: Schweizerische Gesundheitsstiftung RADIX, Stampfenbachstrasse 161, 8006 Zürich) www.lilli.ch (Trägerschaft: Lilli – Verein für Prävention und Online-Beratung junger Frauen und Männer zu Sexualität und sexueller Gewalt, c/o Ingrid Hülsmann, Schifflände 6, 8001 Zürich) www.tschau.ch (Trägerschaft: INFOKLICK.CH, Kinder- und Jugendförderung Schweiz, Sandstrasse 5, 3302 Moosseedorf) INFORMATIONS- UND/ODER MATERIALBEZUG jugendschutz.net Wallstraße 11 55122 Mainz Telefon (06131) 32 85-20, Fax (06131) 32 85-22 [email protected]; www.jugendschutz.net Pädagogische Hochschule PH Bern Institut für Bildungsmedien www.schulwarte.ch Stiftung PLANeS Av. de Beaulieu 9, Case postale 1229 1001 Lausanne Telefon 021 661 22 33, Fax 021 661 22 34 & Marktgasse 36 3011 Bern Telefon 031 311 44 08, Fax 031 311 42 57 [email protected]; www.plan-s.ch SF-Dossier zu Jugend & Sexualität www.sf.tv/sfwissen/dossier.php?docid=17311 (Trägerschaft: Schweizer Fernsehen, Multimediazentrum, Fernsehstrasse 1-4, 8052 Zürich) SEXUALPÄDAGOGISCHE AUS- UND WEITERBILDUNG amorix Kompetenzzentrum Sexualpädagogik und Schule Pädagogische Hochschule Zentralschweiz, Luzern Weiterbildungen und Zusatzausbildungen Sentimatt 1 6003 Luzern Telefon 041 228 54 93, Fax 041 228 69 40 (Hauptnummern) [email protected]; www.amorix.ch Hochschule Luzern – Soziale Arbeit Werftestrasse 1, Postfach 2945 CH-6002 Luzern Telefon 041 367 48 48, Fax 041 367 48 49 [email protected]; www.hslu.ch/sozialearbeit