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■ 2 Deutschland „Alle b eide, fort“ im August starb der bayerische Grünen-Chef SEPP DAXEnbERGER an Krebs – drei Tage nach dem Krebstod seiner Frau GERTRAUD. Seitdem leben die drei Söhne Felix, Kilian und benedikt auf dem elterlichen Hof im Chiemgau, umsorgt von ihren Großeltern, die nun plötzlich wieder Eltern sein müssen im Herrgottswinkel ein bild der Verstorbenen: Felix (l.), 20, Kilian, 17, und der 71-jährige Großvater Sepp Daxenberger in der Stube des Hofes in Waging. Das kleine bild zeigt Felix (r.) und Kilian 1996 mit ihren Eltern 1 /2 0 1 1 stern 125 FOTO: AXEL SCHULZ-EPPERS/ACTiOn PRESS Text FELiX HUTT Fotos REGinA RECHT ■ 2 Deutschland D ie Großmutter, die nun wieder Mutter sein muss, sitzt in der Küche und weint. Es ist noch früh an diesem grauen Samstag Anfang Dezember, der Großvater arbeitet mit den Enkeln im Silo, sie bereiten Futter für die Kühe vor. Theresa Daxenberger, genannt Resi, hat Kaffee gekocht und Holz in den Kachelofen gesteckt. Schön gemütlich könnte es sein, wären da nicht die Gesichter der Toten, die einen von den Wänden ansehen. Im Herrgottswinkel steht ein Bild von Gertraud und Sepp Daxenberger, davor liegen Tannenzweige, darüber hängt ein Kruzifix. Am 15. August erlag Gertraud Daxenberger ihrem Krebsleiden. Drei Tage später, am Tag ihrer Beerdigung, starb ihr Mann Sepp, der bayerische Grünen-Chef, ebenfalls an Krebs. Sie hinterließen einen Bauernhof und drei Söhne: Felix, 20, Kilian, 17, und Benedikt, 13. Zwischen einem Sonntag und einem Mittwoch im August wurden aus drei Söhnen Vollwaisen, und es ist der kurz aufeinanderfolgende Tod einer 49-jährigen Mutter und eines 48jährigen Vaters, der die Geschichte der Familie zu einer der traurigsten des Jahres macht. Die Daxenbergers, drei Enkel, Großvater, Großmutter, leben weiter, sie machen weiter, weil es weitergehen muss. Wenn Theresa Daxenberger von jener Woche im August spricht, versagt ihr die Stimme, dann ballt sich ihre rechte Faust um das zerknüllte Taschentuch. Sie geht an den Herd, formt aus Teig Semmelknödel, die Beilage zum Gulasch, dem Mittagessen für die Männer, die ihr geblieben sind. Sepp sen., 71, ihr Mann, der seit dem Tod seines Sohnes viel arbeitet und wenig spricht, und ihre drei Enkel. Nächstes Jahr wird Theresa Da126 stern 1/ 2 0 1 1 xenberger 70 Jahre alt, ihren Händen sieht man an, dass sie ihr ganzes Leben lang mit ihnen gearbeitet hat. Sie wollte längst ein wenig kürzertreten, nicht mehr jeden Morgen um halb sechs in den Stall, nicht mehr jeden Tag in die Küche, sondern ein bisschen was unternehmen, ab und zu einen Kuchen backen, was man eben so macht als Oma. Aber dass es so gekommen ist, dass die Jungen ohne ihre Eltern aufwachsen, das hat ja keiner ahnen können. Nach dem Tod ihres Sohnes und seiner Frau ging für Theresa Daxenberger das Leben fast wieder von vorn los, sie schmiert Pausenbrote, füttert die Kühe, kocht, tröstet, muntert auf, hört zu, organisiert. Was wäre, wenn sie nicht mehr könnte, darüber will sie gar nicht nachdenken. Die Eltern von Gertraud können nicht helfen, sie sind zu alt. Momente wie diesen, Momente der Schwäche, gönnt sie sich nur, wenn die anderen nicht dabei sind. „Alle beide, fort“, sagt sie langsam, schüttelt den Kopf und starrt aus dem Fenster. D raußen bedeckt Schnee den Chiemgau, die nahen Berge, den Wald, die Weiden. Der Hof der Daxenbergers liegt im Ortsteil Nirnharting von Waging am See, 120 Kilometer südöstlich von München. Es ist der Hof von Sepp Daxenberger, der hier aufgewachsen ist und nie wegwollte, der mit Leib und Seele Bauer war, und noch viel mehr. Erster grüner Bürgermeister in Bayern, Landesvorsitzender der Grünen, ein Politiker, wie es ihn eigentlich gar nicht gibt, ungeschliffen, glaubwürdig, authentisch. Blutspuren im Schnee führen zum Kühlraum neben dem Stall, wo die Rehe hängen, die der Jäger eben vorbeigebracht hat. Hier auf dem Land gehen sie anders um mit dem Tod, er gehört dazu wie der Glaube an Gott. Aber vielleicht gibt es doch eine Grenze. „Ich verstehe nicht“, sagt Theresa Daxenberger, „warum gleich alle beide gehen mussten.“ * Nur wenn „ihre Männer“ nicht in der Nähe sind, erlaubt sich Theresa Daxenberger, 69, etwas Fassungslosigkeit Ich verstehe nicht, warum gleich alle beide gehen mussten Theresa Daxenberger, die Großmutter Anfang der 80er Jahre taucht ein Typ im Regionalbüro der Grünen in Traunstein auf, wie man ihn hier sonst nicht so oft trifft: Sepp Daxenberger trägt Latzhose und wilden Vollbart, er ist groß und spricht breites Bayerisch, ein Mannsbild, ein Ur-Bajuware mit klaren Vorstellungen: Er sei Schmied und Bauer, gegen Atomkraft, für eine nachhaltige Landwirtschaft und vor allem gegen die Alleinherrschaft der Schwarzen, der CSU. Deren Borniertheit, deren „Wir machen das so, weil wir die absolute Mehrheit haben“, die wolle er durchbrechen. Daxenberger gilt als Exot, weil er einer der ersten Bauern ist, die ihren Hof auf Bio umstellen. Seine Kühe würden nur Brennnesseln fressen, werfen ihm die Traditionalisten vor. Der gläubige Kirchgänger ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und im Trachtenverein. Damit fremdelt er zu Beginn bei den Grünen, deren Mitglieder sich eher aus dem N urbanen Milieu der Linksintellek tuellen rekrutieren. Daxenberger macht dennoch Karriere, wird 1990 in den bayerischen Landtag gewählt, da ist er 28 Jahre alt. Auch privat läuft es gut, er heira tet im September desselben Jah res seine Freundin Gertraud, die zu ihm und seinen Eltern auf den Hof zieht und ihm den Rücken freihält. Der erste Sohn Felix ist einige Monate zuvor auf die Welt gekommen. In München macht der Bauer aus Waging bald von sich reden. Als er vom Landtagspräsidenten einmal gerügt wird, er sehe im mer so aus, als käme er gerade aus dem Kuhstall, erwidert Daxen berger: „Mir san die Leut’ lieber, die ausschauen, als kämen sie frisch aus dem Stall als frisch vom Versicherungsbetrug.“ Das ehemalige Jugendmagazin „jetzt“ der „Süddeutschen Zei tung“ lädt vier Politiker nachein ander in einen Biergarten zum Interview. Am Nebentisch stellen Es muss weitergehen: Sepp senior füttert die Kühe. Auch Sepp junior war von ganzem Herzen Landwirt ach sechs Jahren in Mün chen hat Daxenberger ge nug von den Krawatten trägern und Theoretikern in der Landeshauptstadt. Er will zurück nach Hause, lieber im Kleinen et was verändern als im Landtag fruchtlose Opposition betreiben. Mittlerweile ist sein zweiter Sohn Kilian geboren, 1998 kommt der dritte, Benedikt. Der Grüne kandidiert im tief schwarzen Waging für das Bürger meisteramt. Und gewinnt. Fragt man die, die mit ihm zusammen gearbeitet haben, nach seinem Er folgsrezept, antworten alle, dass er keins gehabt habe. „Der Sepp hat einfach gesagt, was ihm am Her zen lag. Er hat sich nie verstellt, das konnte er gar nicht“, sagt Heinrich Thaler, ein enger Freund. „Was ist der Unterschied zwischen einer Krawatte und einem Kuh schwanz? Der Kuhschwanz ver deckt das ganze Arschloch.“ Thaler muss lachen. Das sei so einer die ser derben Witze, die der Sepp gern erzählt habe. Allerdings nur, fügt er hinzu, wenn keine Frauen in der Nähe gewesen sind. Daxenberger wird 2002 als Bür germeister wiedergewählt, die Grünen machen ihn zu ihrem Landesvorsitzenden. Sie haben längst erkannt, dass sie mit dem volksnahen Sepp bei den Wählern punkten können. Nach sechs Jah ren Kommunalpolitik reizt es Daxenberger nun, beide Bühnen bespielen zu können. Die kleine in Waging, die große in München. Sein Leben lässt sich gut an, bis er im Sommer 2003 zum Arzt muss. Immer diese Erschöpfung. Er glaubt, er habe eine verschleppte Grippe. Der Arzt stellt „besorgnis erregende Blutwerte“ fest, wenig später kommt die Diagnose: ein Plasmozytom, eine bisher unheil bare Form von Knochenmark krebs. Für die Ärzte wäre es ein Erfolg, würde er noch vier Jahre leben. Der Krebs frisst Löcher in seine Knochen, einmal bricht Daxen berger sich eine Rippe, als er sich im Badezimmer streckt und einen Duschvorhang aufhängen will. Er unterzieht sich einer Therapie mit eigenen Stammzellen, der Hei lungsverlauf scheint zuerst gut, dann bricht die Krankheit wieder aus. Nach einer zweiten Therapie mit fremden Stammzellen ist er monatelang außer Gefecht. Sein Körper wehrt sich gegen die frem den Zellen. Daxenberger magert ab, muss erneut zur Chemo und sich bestrahlen lassen. Er verheimlicht die Krankheit weder seiner Partei noch der Öf fentlichkeit, zeigt sich mit Glatze, sein unerschrockener Umgang mit dem Krebs steigert seine Popularität. E r sucht Ablenkung und fin det sie in seiner Arbeit, zer reißt sich zwischen dem Leben in der Politik und dem auf dem Hof. Jede Woche pendelt er zwischen der Parteizentrale in München und dem Rathaus in Waging. Daxenberger will nicht auswärts übernachten, abends wird es oft spät. Gertraud hat im mer weniger Verständnis für sei ne Rastlosigkeit. Eine andere Frau ist bereits in sein Leben getreten. „Der Sepp hat einen Sprachfeh ler: Er kann einfach nicht Nein sagen“, sagt Gertraud damals zu Bekannten. Sie zieht mit den Söh nen in ein Nebenhaus auf dem Hof, den ihr Mann für einige Zeit verlässt. Er kommt nur noch zum Arbeiten her. ➔ 1 /2 0 1 1 stern 127 FOTO: SebaSTian Widmann/ddp Schauspieler eine fremdenfeindli che Szene nach: Ein blonder Hüne bepöbelt eine dunkelhäutige Frau, so laut, so widerlich, dass man es nicht überhören kann. Die Jour nalisten wollen wissen, wie sich die Politiker bei rassistischen Über griffen verhalten. Die Herren von CSU, SPD und FDP tun so, als würden sie die Szene nicht be merken, oder reagieren kaum. Daxenberger steht sofort auf, ruft: „Hey! Hallo, Sie! Lassen Sie die Frau in Ruh’!“ und bittet die Frau zu sich an den Tisch. Die Schau spielerin muss den aufgebrachten Sepp erst mal beruhigen. Daxenberger wird bekannt in München, in Bayern, die Medien finden Gefallen an dem Unortho doxen, der immer für eine Schlag zeile gut ist, der sich trotz aller Schmeicheleien aber treu bleibt. ■ 2 Deutschland Sepp Daxenberger stirbt in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, eine halbe Stunde nach Mitternacht. Bei ihm sind seine Mutter und seine Schwester, sein Vater ist zuvor nach Hause gefahren. Er hielt es nicht aus. Im März 2008 gibt Daxenberger sein Amt als Bürgermeister auf, konzentriert sich ganz auf seinen großen Traum: der CSU die absolute Mehrheit in Bayern zu entreißen. Und der Traum geht in Erfüllung. Bei der Landtagswahl 2008 verliert die CSU ihre Mehrheit, seine Grünen kommen auf fast zehn Prozent. Sehr lange ist ihm jedoch nicht zum Feiern zumute. Bei Gertraud finden die Ärzte Anfang 2009 einen Tumor, Brustkrebs. Daxenberger trennt sich von seiner Freundin, kehrt zurück auf den Hof. Mit seinem eigenen Krebs kommt er klar, aber die Vorstellung, dass seine Söhne ohne ihre Mutter aufwachsen könnten, lässt ihm keine Ruhe. Durch die Krankheit kommen sich die beiden wieder näher, sie gehen spazieren, reden viel. Vor den Söhnen versuchen sie, optimistisch zu wirken. „Die sollen nicht das Gefühl haben, hier ist eine halbe Leichenhalle. Sie sollen ganz normal aufwachsen“, sagt Daxenberger in einem Interview. Am 6. Juli 2010 wandert die Belegschaft des Waginger Rathauses auf die Haar-Alm bei Ruhpolding. Daxenberger, der begeisterte Wanderer, ist natürlich dabei und wird in einem Jeep nach oben gebracht, zum Gehen fehlt ihm längst die Kraft. Er trinkt kein Bier mehr, die Sennerin bringt 128 stern 1/ 2 0 1 1 ihm Tee. Er hat Schüttelfrost, mitten im Sommer, ihm ist übel. „Heini, ich bin so schlecht beieinander, wann wird das endlich besser?“, fragt er seinen Freund Heinrich Thaler. Es ist sein letzter Ausflug in die Berge. Gertraud und Sepp Daxenberger geht es danach immer schlechter. Er liegt im Klinikum rechts der Isar in München, sie auf der Palliativstation des Krankenhauses in Traunstein. Als es das erste Mal heißt, seine Frau könnte sterben, lässt sich Daxenberger von München im Taxi nach Traunstein fahren, bleibt die Nacht über an ihrem Bett. Die Ärzte eröffnen der Familie ein paar Tage später, dass man bei ihr nichts mehr machen könne, dass sie austherapiert sei. Sie wird nach Hause gebracht, möchte auf dem Hof sterben. Anpacken: Kilian und Felix (vorn) bereiten das Futter für die Kühe vor N ach dem Tod seiner Frau am Sonntagvormittag des 15. August resigniert Sepp Daxenberger. Er habe einfach keine Kraft mehr, sagt er. Aber er wolle unbedingt noch auf ihre Beerdigung, und wenn sie ihn im Krankenbett hinführen! Am Dienstag lässt er den Notar und seine Söhne ins Krankenhaus nach Traunstein bringen und regelt das Testament. Doch zur Beerdigung seiner Frau schafft er es nicht mehr. Er machte kein Geheimnis aus seiner Krankheit: Sepp Daxenberger 2003 und ein Jahr später während der Chemotherapie roßvater Sepp, Felix und Kilian sind fertig im Stall und kommen ins Haus. Sie waschen sich die Hände, setzen sich an den Tisch, an dem Resi Daxenberger gleich das Mittagessen serviert. Der Opa und seine zwei Enkel reden nicht über die, die fehlen. Was passiert ist, schwebt im Raum wie trauriger Nebel. Sie sprechen über das, was als Nächstes ansteht, heute, nicht morgen. Über die Zukunft nachzudenken, haben sie aufgegeben. Wer weiß schon, was da wieder alles kommt? Der Opa möchte nach Waging fahren, die Couch braucht einen neuen Bezug. Kilian will am Computer spielen, und Felix wird ins Holz gehen, einen Baum fällen, für den Ofen. Die Frage „Wie macht man weiter, wenn auf einmal beide Eltern fehlen?“ beantwortet Felix später sehr pragmatisch: Man habe nicht lange Zeit, darüber nachzudenken, vom Grübeln würden die Kühe im Stall nicht satt. Einen Tag nach der Beerdigung seines Vaters sei er wieder in den Stall. Es müsse weitergehen, so einfach sei das. Heinrich Thaler, der alte Freund, und Theresa Schopper, die Vorsitzende der bayerischen Grünen, sowie ein paar andere Freunde und Bekannte fragen regelmäßig nach auf dem Hof, wie es geht, und packen an, wenn sie helfen können. Theresa Schopper sagt: „Die Jungen haben seit August eine Turboreifung durchgemacht.“ Felix gehört jetzt der Hof, er trägt die Verantwortung, mit 20 Jahren, einem Alter, in dem man sonst die Nächte auf Partys durchmacht. Seit dem Tod seiner Eltern läuft vieles bei ihm zusammen. Der Papierkram, die finanziellen Angelegenheiten. Gerade wurden die Lebensversicherungen ausgezahlt, von denen muss er Hypo- ➔ FOTOS: KlauS Brenninger/SZ PhOTO; FranK leOnhardT/dPa G * Stütze im Alltag: Sepp Daxenbergers Schwester Theresa hilft, wo sie kann. Sie ist der Vormund ihrer nicht volljährigen Neffen und kümmert sich vor allem um Benedikt, 13 theken abbezahlen, seine Großeltern, die Brüder und sich selbst durchbringen. Niemals und niemanden will er um finanzielle Hilfe bitten, das sei nicht seine Art, sagt er. Unter der Woche müssen sich die Großeltern und Kilian allein um den Hof kümmern, dann studiert Felix Wald- und Forstwirtschaft in Weihenstephan bei Freising. Er ist im ersten Semester, das Studium lenkt ihn ab und bringt Spaß. Felix kann sich gut vorstellen, den Hof eines Tages zu übernehmen. „Wenn er bloß eine Frau findet, die dieses Leben mitmacht“, sorgt sich Oma Resi. Von denen gebe es nicht mehr viele. Die Brüder gehen sehr unterschiedlich mit der Situation um. Während Felix stark und erwachsen auftreten muss, kann Kilian noch ein wenig Teenager sein. Er hat einen Grungebart und einen roten Discostempel auf der Hand, letzte Nacht war er feiern. Er lacht viel, ihm merkt man den Schicksalsschlag nicht an, aber seine Großmutter sagt, er mache alles mit sich selbst aus, wie sein Opa. Im Februar wird er 18, eigentlich dürfte er schon jetzt Auto fahren, weil er den Führerschein mit 17 gemacht hat. Aber als Fahrbegleiterin hat Kilian seine Mutter eintragen lassen. R esi Daxenberger stellt das Gulasch auf den Tisch, geht ins Wohnzimmer und lässt ihre Männer allein essen. Sie hat das Gefühl, die seien ohne sie unbefangener. Großvater Sepp möchte ein Bier. Sie bringt es ihm. Nach dem Mittagessen fährt Felix Daxenberger mit dem Traktor in den Wald. Mit einer Motorsäge fällt er eine sehr hohe Fichte, die mit einem dumpfen Rums auf den Boden fällt. Schnee stäubt auf, Zufriedenheit legt sich in sein Gesicht. Er sagt es nicht direkt, aber man merkt ihm an, 2 Deutschland ■ dass er stolz ist, Bauer zu sein. Stolz auf den Wald, auf das Land, das Erbe seines Vaters. Wie der fühlt er sich wohl hier draußen, erzählt gern, wie sein Vater immer als Erstes in den Stall oder ins Moos gegangen ist, wenn er nach Hause kam, egal, wie krank er war. Felix Daxen berger lebt das Leben seines Vaters weiter, nicht weil man es von ihm erwartet, sondern weil er es will. Über dessen Affären hätten sich die Brüder geärgert, klar, aber der Vater sei trotzdem im mer für sie da gewesen, habe sie mit auf Wanderungen genom men, ihnen so viel gezeigt. Als er aus dem Wald zurückkehrt, kommt sein kleiner Bruder Bene dikt gerade an. Seine Tante setzt ihn ab, er durfte letzte Nacht bei einem Freund übernachten. Die Tante ist Benedikts Vormund, sie wohnt auf einem Hof in der Nähe, hilft, wo sie kann. Ich glaube, ich habe das alles noch gar nicht richtig realisiert Felix Daxenberger Benedikt kommt am schlech testen klar ohne die Eltern, vor allem ohne die Mutter. Er hat sich zurückgezogen, ganz tief in sich selbst, und bekommt psycholo gische Hilfe. Antidepressiva oder andere Medikamente muss er nicht nehmen, die Familie ver sucht es auf andere Art. Mit Käs spätzle zum Beispiel, seinem Leibgericht. Und mit sehr viel Zu wendung. Wenn er abends nicht einschlafen kann und nach seiner Mutter ruft, dann legt sich seine Großmutter Resi zu ihm ins Bett, liest ihm etwas vor. Theresa Daxenberger gibt zu, dass sie an ihre Grenzen stößt. Sie ist nun mal nicht die Mama. Bei den Hausaufgaben kann sie ihm nicht helfen, wer kann denn schon Latein? Die Arbeit ist getan für heute, Felix Daxenberger sitzt im Wohn zimmer, vielleicht geht er später auf ein Bier, allmählich wird es dunkel und sehr kalt draußen. Ne benan spielen seine Brüder am Computer. Sie tragen Kopfhörer, manchmal lachen sie. Felix und Kilian waren Minist ranten, doch jetzt gehen sie nicht mehr in die Kirche. Sie erklären nicht, warum, sie sagen nur, dass es so ist. Aber ihre Oma leidet schon darunter, dass ihre Enkel „vom lieben Gott gar nix mehr wissen wollen“. An so vieles könne er sich nicht mehr erinnern, sagt Felix, die Beerdigungen, die Tage da nach, wie in Trance sei die Zeit an ihm vorbeigezogen. Er habe keine Zeit zum Trauern gehabt, ständig sei etwas zu organisieren gewesen, so gehe das bis heute. Er sagt: „Ich glaube, ich habe das alles noch gar nicht richtig reali siert.“ Vielleicht liegt es daran, dass das, was den Daxenbergers an Sterben zugemutet worden ist, einfach mehr ist, als eine gute 2 Seele ertragen kann.