Redaktionsauszug aus der TRÄUME WAGEN Ausgabe 05/2013

Transcrição

Redaktionsauszug aus der TRÄUME WAGEN Ausgabe 05/2013
Texas
Selbstimport von Klassikern aus
den USA? Die Szene kennt
unzählige Horrorstories. Dass es
auch anders geht, beweist unser
Leser Ralf Kasper. Mit seinem
Fachwissen hat er sich einen
1969er Dodge Coronet 500 aus
Houston nach Hause geholt.
Okay, es ist auch ein bisschen
Glück dabei gewesen
Homerun
Text und Fotos: Jens Tanz
Redaktionsauszug aus der TRÄUME WAGEN Ausgabe 05/2013
Bridge
over
troubled
water
Unaufdringlicher
Charme der 60er.
Holz, Chrom, grüner
Kunststoff. Und alles
funktioniert tadellos
D
er Charger muss
weg. Das ist hart,
aber unvermeidlich. Ralf Kasper
hält es eben selten lange an
der Seite eines Autos aus. Das
1966er Sahnehäubchen auf
seiner persönlichen Welle des
Ami-Enthusiasmus mit Klappscheinwerfern und anfälliger
Hochspannungs-Elektrolumineszenz in den Instrumenten
ließ den Möbelrestaurator allerdings auch mehr schrauben
als fahren. Aber irgendwann
ist jedes Auto mal durchrepariert, und dann?
Dann steht da, der 69er Coronet 440 eines Kumpels auf
der Kieler Woche. Kasper ist
von der Form begeistert, sein
Herz beginnt den Verrat am
Charger. Kurz danach auch
die Hand: Er inseriert das Auto
online, die Augen durchsuchen parallel den Anzeigenteil
der TRÄUME WAGEN sowie
private Händleranzeigen und
die Hände tackern Suchbegriffe wie Preis, Verfügbarkeit
von Teilen und Zustand in die
Computertastatur.
Und es gibt ihn: In Texas wird
ein 69er Dodge Coronet 500
angeboten. Der Chrysler-Konzern hat mit diesem Modell
eine solide Midsize-Limousine
im beginnenden Zeitalter der
Muscle Cars auf die Pneus
gestellt, ohne aber direkt ein
Muskelauto zu bauen. Der
500er gleicht in seiner Ausstattung fast dem Topmodell
Coronet RT. Niemand bietet
genug für den Wagen, auch
Holzkünstler Kasper wartet
vernünftig, bis sein Charger
verkauft ist.
Das dauert nicht lange. Und
sofort hängt er am Telefon –
am anderen Ende, in Houston,
Texas, sitzt Andy, der Vorbesitzer. Von ihm bekommt Ralf
aktuelle Fotos und Details
vom Coronet: echte 18.000
Meilen gelaufen, geile grüne
Farbe, gutes Blech, wenige
sanfte Modifikationen. Das
war‘s mit der Vernunft – Kasper kauft. Unbesehen. Eben
so, wie man es eigentlich
nicht macht.... Aber er will ihn
immerhin selber verschiffen.
Also: Ab nach Texas.
Tatsächlich entspricht vor Ort
nahezu alles den Beschreibungen von Andy. Gekauft am 4.
Juli 1968 in Kanada (an die-
sem Tag wäre das in den USA
auch schwierig gewesen).
Werkstattrechnungen
aus
den 80ern belegen den geringen Meilenstand, der 318cuiV8 schnurrt und blubbert
durch die dezente Doppelauspuffanlage wie eine zufriedene, satte Raubkatze, und der
Innenraum präsentiert sich
für einen mehr als 40 Jahre
alten Amerikaner nahezu im
Neuzustand: Matching Numbers, so weit das Auge reicht.
Kasper strahlt wie die texanische Sonne, und dass ein
paar kleine Bleche im Unter-
Das konnten die Amis
vor 40 Jahren schon:
Wenn man zupackt
und drauftritt, bricht
die Hölle los
Selbst ist der
Mann: Die
Verschiffung
verläuft ohne
Probleme
318 cui, ungeöffnet,
trocken, mit Drang
nach vorn. An der
Optik wird Kasper
noch arbeiten
boden eingeschweißt werden
müssen, schreckt den Selbstmacher nicht im Geringsten.
Der Vorbesitzer legt noch eine
Schippe drauf und präsentiert
einen Kofferraum voll mit Originalteilen. Als die beiden das
Geschäft endgültig besiegeln,
krönt der Texaner den Tag
mit dem Angebot, Ralf könne
zwei Urlaubswochen bei ihm
im Haus seines Schwiegervaters verbringen. Unglaublich
– wollte Kasper doch sowieso noch länger bleiben. Keine Kinke? Kein Haken? No,
Sir. Die folgenden Tage verbringt Kasper mit dem noch
zugelassenen Coronet unter
einem stahlblauen Himmel,
am Strand und in den endlosen Straßenfluchten zwischen
herrschaftlichen Holzhäusern,
die auch noch sein berufliches
Herz höher schlagen lassen.
Schließlich verschifft das
Logistik-Unternehmen
„Interfracht“
das
wertvolle
Stück – Kasper muss rund
sechs Wochen warten. Aber
Grün ist ja die Hoffnung. Zu
Recht: kein Wassereinbruch,
keine Beschädigungen, kein
Diebstahl – der Dodge steht
schließlich genau so vor Ralf,
wie er ihn auf der anderen
Seite des großen Teiches verlassen hat. Doch vor dem Losfahren ist noch der TÜV – und
somit ein paar kleine Arbeiten
für die deutsche Vollabnahme
und das H-Kennzeichen. Doch
danach ist die Homestory
perfekt.
Jetzt gullert der Coronet unter
der Levensauer Hochbrücke am
Unendliche Weiten
Nord-Ostsee-Kanal bei Kiel
sein unkatalysiertes Abgas in
den Abendhimmel. „Coronet“
(heißt ungefähr „Diadem“
oder „Krönchen“) war zunächst Chryslers erstes Spitzenmodell der Nachkriegspalette, in den späten 50ern
wurde er das preisgünstigste
Flossenschiff der Konzernmarke Dodge. Ab 1965 wurde
das Modell erneut belebt und
ließ in der ersten Serie mit einem großzügigen Platzangebot und einfacher Technik viel
Spielraum für damalige und
heutige
Hubraumfetischisten (siehe TRÄUME WAGEN
07/2013: „Vergib mir, ich
habe gesündigt“). Gemeinsam mit seinen Schwesterschiffen Plymouth Roadrunner und Belvedere kleidete
sich das Noch-Nicht-MuscleCar ab 1968 mit größeren,
zeitgenössischen Karosserien
im „Coke-Bottle-Design“ und
machte dank der kleineren
Motorisierungen dem hauseigenen Charger keine direkte
Konkurrenz. Im Jahr 1976 war
Schluss für das Erfolgsmodell
Dodge Coronet, aus seinen
Erbanlagen wurde der Dodge
Monaco.
Kaspers Coronet 500 der
zweiten Serie hat diesen wundervollen Hüftschwung über
der Hinterachse, der nicht nur
nach oben, sondern auch in
die Breite geht. Dass „nur“
ein Doppelvergaser die 5,2
Liter Hubraum mit Gemisch
anreichert, stört ihn dieser
Tage herzlich wenig, denn
Sound, Handling und Fahrgefühl stimmen. Die ansonsten
in jedem Ami für Belustigung
sorgenden verchromten Plastikschalter klacken straff und
präzise, nichts quietscht oder
klappert, die TorqueFliteAutomatik schaltet ihre drei
Gänge butterweich. Egal,
welche Belege nun echt sind
oder nicht, viel kann der Wagen noch nicht gelaufen sein.
Vielleicht stimmen die 18.000
Meilen sogar.
Die komplett grüne Hölle
(außen wie innen) legitimiert
auf Treffen und Veranstaltungen einen komfortablen Platz
Vorbesitzer Andy und seine
Familie sorgen mit Gastfreundschaft und Ehrlichkeit in Texas
für ein Happy End!
Happy-End @ Home
zwischen den Charger- oder
Challenger-Fahrern aus diesen
Baureihen, aber das ist nicht
Kaspers Ziel. Der ruhige Kieler sucht sein Glück in überschaubaren Schraubereien an
Autos, die seinem Schönheitsideal entsprechen. Da passt
der Dodge perfekt. Wenn der
Wagen weiter so sauber läuft,
bleibt vermutlich trotzdem
noch ein bisschen Zeit, ne-
benbei heimlich, still und leise
einen Big Block aufzubauen –
passt ja problemlos rein. Und
ein bisschen mehr Hubraum
hat noch nie geschadet.
Bleibt nun wenigstens dieser Ami mit seinem schönen
Hintern bei ihm? Wer Kasper
kennt, weiß: Es wird nicht
sein letzter gewesen sein.
Schon jetzt sieht man das
wieder in seinem Blick. k
TRÄUME WAGEN - das Drivestyle Magazin
Im Zeitschriftenhandel oder bestellen unter www.träume-wagen.de
TECHNISCHE DATEN
Dodge Coronet 500
Baujahr: 1969
Motor: V8
Hubraum: 5.210 ccm (318 cui)
Leistung: 132 kW (180 PS)
Max. Drehmoment: 460 Nm
bei 2.400/min
Getriebe: Dreigang-Automatik
Antrieb: Hinterräder
Länge/Breite/Höhe:
5.250/1.950/1.330 mm
Gewicht: 1.440 kg
Beschleunigung 0-100 km/h:
8,3 s
Top-Speed: 189 km/h
Preis 1969:
ca. 2.900 US-Dollar