Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener
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Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener
Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 103 Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor Ines-Ulrike Rudolph Summend überspringe ich ein ansonsten allzu langes Einführungskapitel, möchte aber mit einigen Fragen, die uns zu Beginn des „Wriezener Freiraum Labors“ beschäftigt haben, das thematische Feld abstecken: Wie findet Urbanität in der postindustriellen Gesellschaft zu neuer, gebauter und ungebauter Form? Wenn ununterbrochene und lebenslange Arbeitsbeschäftigungsverhältnisse für die meisten Menschen zur Ausnahme werden, wie und wo kann man eigentlich lernen, Lebens- und Arbeitsverhältnisse individuell und selbstständig zu gestalten? Welche Folgen und zeitpolitischen Veränderungen hat diese Neuorientierung der Arbeits- und Lebenswelt für eine ganz verschiedene Lebensphasen integrierende Gestaltung des räumlichen Zusammenlebens? Was für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse braucht es, damit jeder in jedem Alter und mit seinen spezifischen Fähigkeiten sowie seinen sozialen und kulturellen Wurzeln einen sinnstiftenden und würdigen Platz in der Gemeinschaft findet? Verlieren Nachbarschaften in einer zunehmend mobilen und flexibilisierten Gesellschaft ihre Bedeutung? Oder gerade nicht? Und welche Aufgabe kommt dem öffentlichen Raum dabei zu? Areal des ehemaligen Wriezener Bahnhofs, 2004 Foto: tx-büro tellationen und inhaltliche Schwerpunktsetzungen mit den Legislaturperioden wechseln. Zuguterletzt soll er ein Plädoyer sein für das „Zeit geben“, damit bürgerschaftliche Netzwerke sich formieren und Zusammenarbeit üben können. Ein Plädoyer dafür, brachgefallene und leerstehende Räume in der Stadt frühzeitig zu öffnen und Nutzungen zuzulassen – nicht nur als Zwischennutzung, sondern um, neben der mittel- und langfristig geplanten baulichen Neuordnung, dem Wachsen kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Initiativen Raum zu eröffnen. Das aufgespannte Feld ist groß, aber mit der Zusammenarbeit im „Wriezener Freiraum Labor“ wurde und wird versucht, konkrete und übertragbare Antworten zu geben. 1 Das Quartier: spezifisch und typisch für Berlin Im Folgenden wird in einem kurzem Rückblick der Entwicklungsprozess dieses Projekts seit 2002 aufgezeigt, obwohl es unter seinem Namen erst seit 2006 durch die ExWoSt-Förderung im Programm „Innova tionen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“ öffentlich geworden ist. Der Blick zurück hat keine nostalgischen Gründe, sondern soll aufzeigen, welch starken Bewegungen das Gestalten neuer Freiräume ausgesetzt ist. Und er soll deutlich machen, dass die Bürgerschaft eine wichtige Konstante in der Stadtentwicklung darstellt, während politische und personelle Kons- Nicht in direkter 1-A-Flusslage mit entsprechender Nachfrage, eher in der dritten Reihe, noch hinter dem Bahndamm für den SBahn und Fernverkehr, liegt das Wriezener Freiraum Labor auf dem Areal des ehemaligen Verladebahnhofs Wriezener Bahnhof. Dieser heißt so, weil aus dem Berliner Umland, u.a. aus Wriezen, Obst, Gemüse und Blumen für die Hauptstadt der DDR angeliefert und von hier aus verteilt wurden. Lang ansässige Bewohner beschreiben heute noch mit einem gewissen Stolz, dass sie als erste wussten, was es in der Hauptstadt Ines-Ulrike Rudolph tx-büro für temporäre architektur Holtzendorffstraße 20 14057 Berlin [email protected] 104 Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor demnächst zu kaufen geben würde und wie sie ihre Verwandtschaft und Arbeitskollegen entsprechend informierten. Das Areal des Wriezener Bahnhofs mit dem Freiraum Labor befindet sich im Ortsteil Friedrichshain des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, nahe dem ehemaligen innerstädtischen Grenzraum. Die beiden Ortsteile sind heute noch durch die Spree getrennt, werden aber nun wieder von der Oberbaumbrücke verbunden. Die Warschauer Straße führt über diese Brücke von Friedrichshain nach Kreuzberg. Sie ist Teil des Innenstadtrings, der am Hauptbahnhof beginnt und endet, dabei um die historische Mitte Berlins führt und auf diesem Weg durch die Bezirke Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg verläuft. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde am 1. Januar 2001 im Rahmen der Verwaltungsreform aus dem ehemaligen Ostberliner Bezirk Friedrichshain und dem ehemaligen Westberliner Bezirk Kreuzberg gebildet. Erwähnenswert ist dieser Sachzusammenhang, weil die spezielle innerstädtische Lage und der projektspezifische Entwicklungsprozess exemplarisch betrachtet werden können – trotz der lokalen Spezifik. Berlin ist, neben den innerdeutschen Grenzgebieten und deren Städten, die einzige deutsche Metropole, die die Wiedervereinigung „hautnah“ erfahren und gestaltet hat. Friedrichshain-Kreuzberg ist neben Berlin-Mitte der einzige Bezirk, der ehemalige Ost- und Westbezirke verbindet und damit auch in besonderer Weise spezifisches Erfahrungswissen der Bevölkerung und der entsprechenden Verwaltungen direkt zusammenführt. (1) Workstation e. V. ist Ergebnis der Wiener Künstlergruppe „Wochenklausur“, die 1998 mit dem Kunstamt Kreuzberg, NGBK ein entsprechendes zwölfwöchiges Impulsprojekt organisierte. Ohne an dieser Stelle detailliert auf die Nachwendezeit in Berlin eingehen zu können, soll sie trotzdem erwähnt sein. Denn die kreative Dynamik, die die wiedervereinigte Stadt – auch mit ihren seitdem hinzugezogenen Mitbewohnern – entfaltet hat, besitzt genau hier und in dieser Unmittelbarkeit und Nähe ihre Quelle und ihren Pilotcharakter. Seit dieser Zeit wird eingeübt, probiert, modifiziert und somit ein Wissen generiert, das mittlerweile bei verschiedensten Akteuren der formellen und informellen Stadtentwicklung vorhanden und projektbezogen differenziert abrufbar ist. Es haben sich selbstbewusste bürgerschaftliche Netzwerke entwickelt, die sich in gemeinsamen Kooperations- und Aushandlungsprozessen über die eigenen Projekte hinaus für den gesamten Bezirk und zunehmend auch für die Entwicklung der gesamten Stadt engagieren. Sie politisieren sich, wissen demokratische und politische Beteiligungsinstrumente besser zu nutzen, stellen wachsende Anforderungen an partizipative Planungs- und Stadtentwicklungsprozesse und tragen somit auch zur Entwicklung neuer Planungsinstrumentarien bei. 2 Projektursprung und -chronologie Im Oktober 2001 wurde die Autorin vom „Ideenaufruf“, einer unabhängigen, bürgerschaftlichen Initiative, die sich für eine Stadtentwicklung von unten engagiert, zu den „Stadtbauwochen auf dem RAW Gelände“, dem Reichsbahnausbesserungswerk in Berlin-Friedrichshain eingeladen. Zuvor hatte sie Frauke Hehl kennengelernt, die Gründerin des Ideenaufrufs und Geschäftsführerin von workstation e. V.1, einem Verein, der sich auf künstlerische Weise mit neuen Formen der Arbeit auseinandersetzt. Die Autorin arbeitete zu dieser Zeit an einem Artikel über neue Arbeitsformate von jungen Architekten. Ausgehend von den Beobachtungen im eigenen Arbeitsumfeld und im Austausch mit Kollegen wurde die These aufgestellt, dass sich die Tätigkeit der planenden Berufe ändert, man über das reine „Entwerfen am Schreibtisch“ hinausgeht und auch Impulsgeber für die gewünschten Entwicklungen wird, dabei stärker aufnehmend, beratend und mitwirkend tätig ist. Frauke Hehl engagierte sich für eine akteurs- und bürgernahe Entwicklung auf dem RAW-Gelände. So waren die Schnittstellen gefunden, die die gemeinsame Arbeit noch heute und anhaltend bereichern. Workstation e. V. ist Projektpartner des RAW-Tempel e. V. (RAW-Tempel e. V. o.J.). Planungs- und Beteiligungsprozess RAW-Gelände Der RAW-Tempel e. V. wurde 1998 auf Initiative mehrerer Anwohner gegründet und diente der Öffnung des jahrelang brachgefallenen ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerks. 1999 schloss das Kulturamt des Bezirks Friedrichshain mit der Eisenbahn immobilien Management GmbH (EIM), einer Tochtergesellschaft der damaligen Eigentümerin Deutsche Bahn, einen dreijährigen Zwischennutzungsvertrag und ver- Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 105 Areal des zukünftigen Wriezener Freiraum Labors, 2004 mietete an den RAW-Tempel e. V. unter. Die Verwaltung begab sich in eine Vermittlerrolle und wirkte vertrauensbildend zwischen Eigentümer und den Nutzungsinteres senten. Mit der Bezirksfusion und den Wahlen im Jahr 2001 gingen zunächst alle kommunalpolitischen Ansprechpartner verloren. Im Frühjahr 2001 rief Frauke Hehl gemeinsam mit einer engagierten Gruppe den Ideenaufruf ins Leben. Die Initiative stand in engem Kontakt mit dem damaligen Baustadtrat und wurde kommunalpolitisch breit getragen. Gezielt wurden die zukünftig anstehenden Sachthemen bei den Beratungsrunden aller Fraktionen und dem Stadtplanungsausschuss vorgetragen und entsprechende Tischvorlagen formuliert. Die EIM hatte mittlerweile auch einen Umstrukturierungsprozess hinter sich; neue Eigentümervertreterin war die Vivico Real Estate GmbH geworden. Bereits die EIM hatte an einer Machbarkeitsstudie gearbeitet, um darauf aufbauend das formelle Bebauungsplanverfahren einleiten zu können. Diese Machbarkeitsstudie wurde vom Bezirk abgelehnt. Im September 2001 wurde ein diskursives Gutachterverfahren eingeleitet, in das neben drei Architektur- und Stadtentwicklungsbüros auch der RAW-Tempel e. V. und der Ideenaufruf jeweils mit einem Sachverständigen eingebunden wurden. Der Beitrag des Preisträgers wurde Grundlage für den Bebauungsplanentwurf. An drei Wochenenden von Oktober bis Dezember 2001 wurde die „KIEZ WERK STADT“ durchgeführt, um das Gelände auch für interessierte Anwohner zu öffnen, den eingeleiteten Stadtentwicklungsprozess transparent zu machen und deren Anregungen und Bedarfe in die Planung und Entwicklung einzuspeisen. Teil der KIEZ WERK STADT waren auch die „Stadtbauwochen 18.11– 29.11.2001“. Dort zu Vorträgen und Gesprächen eingeladen waren externe Referenten, um sich über alternative und innovative Projekte und Stadtentwicklungsstrategien und deren Einbindung in soziale und ökonomische Kontexte zu verständigen. Die Autorin war ebenfalls eingeladen. Sie stellte Arbeiten ihres Büros vor und arbeitete in der Folge in der interdisziplinären Kerngruppe des Ideenaufrufes mit, die sich im Anschluss an die KIEZ WERK STADT konstituiert hatte. Bis 2004 wurde kontinuierlich zusammengearbeitet und der Beteiligungsprozess für das RAW Gelände koordiniert. Neben verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen und Planungsworkshops wurde beispielsweise eine „Urban Safari“ (Bustour für Anwohner) ins Bezirksamt organisiert, um die ausgestellten Wettbewerbsergebnisse anschauen und besprechen zu können. Zudem wurde ein „Fliegendes Büro“ temporär auf der Warschauer Brücke installiert, um sich den Fragen der Anwohner bezüglich der Entwicklung des Geländes zu stellen und deren Anregungen aufzuzeichnen. Ein regelmäßiger Jour fixe diente der Information und dem Laden von externen Referenten, um sich zu informieren und den Prozess mit externem Wissen anzureichern. Um die Ergebnisse des Bürgerbeteiligungsprozesses und die Anliegen der Projekte vor Ort in den formalen Stadtentwicklungsprozess einzubringen, wurde 2002 in Abstimmung mit dem Bezirk das „Kommunika tionsforum“ ins Leben gerufen. Organisiert vom Ideenaufruf, kamen hier themenspezifisch Vertreter der Eigentümerin, der Bezirksverwaltung, des Ideenaufrufs, der Projektpartner vor Ort und externe Experten zusammen. Die Arbeit des Ideenaufrufs erfolgte im Wesentlichen ehrenamtlich und wurde privat finanziert. Seitens des Bezirks wurden die Leistungen aus einem Bürgerbeteiligungs- Fotos: tx-büro 106 Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor topf durch Übernahme der Sachkosten und in wenigen Ausnahmen mit Aufwandsentschädigungen unterstützt. Der Ideenaufruf erarbeitete im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange eine Stellungnahme für den Stadtplanungsausschuss und stellte im November 2002 den Antrag, offiziell als ein Träger öffentlicher Belange in dem Verfahren zugelassen zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt. Nach einem Projektleiterwechsel bei der Vivico fand im Februar 2003 das zunächst letzte Kommunikationsforum statt. Die vom RAW-Tempel e. V. genutzten Flächen waren bis dahin mit einem beweglichen Zaun begrenzt. Aus Gründen der Verkehrssicherung wurde dieser nun durch eine einbetonierte Variante ersetzt. Damit gingen bisher (informell) öffentlich genutzte Freiflächen mit ihrem alten Baumbestand für Spontan-Nutzungen verloren. Unter dem hohem Zeitdruck gelang es nicht, eine alternative Lösung zu entwickeln. Die Autorin erarbeitete mit ihrem Büro in Rücksprache mit dem Bezirksamt sowie in Kooperation mit Ideenaufruf und RAWTempel e. V. ein temporäres Nutzungskonzept für die im Bebauungsplanentwurf ausgewiesene Fläche „Öffentlicher Park/ Öffentlicher Spielplatz“ (siehe BMVBS/BBR 2004: 74 f.). Sie knüpfte damit direkt an die im Rahmen des Ideenaufrufs erarbeiteten Ergebnisse der Bürgerbeteiligungen an und versuchte den im Kommunikationsforum erarbeiteten entwicklungsstrategischen Ansatz weiterzuführen. Die Vivico prüfte den Börsengang und setzte das Bebauungsplanverfahren nicht fort. An einer (Wieder-)Öffnung weiterer Teilflächen bestand zunächst kein Interesse. Planungs- und Beteiligungsprozess Wriezener Bahnhof (2) Betroffenenvertretungen sind die formellen Bürgerbeteiligungsinitiativen in Sanierungsgebieten. Parallel dazu hatten auf dem Nachbargelände des RAW, dem ehemaligen Wriezener Bahnhof, die planungsvorbereitenden Maßnahmen begonnen; der Metro Cash & Carry-Markt hatte dort Investitionsinteresse bekundet. 2004 wurde begonnen, einen Rahmenplan zu erstellen. Die Durchführung der Bürgerbeteiligung wurde vom Bezirk ausgeschrieben; auch der Ideenaufruf wurde zur Abgabe eines Angebots aufgefordert. Bereits 2003 hatte sich die Zwischennutzungsagentur Berlin aus dem Ideenaufruf ausgegründet und begonnen, im Reuterquartier Neukölln in Kooperation mit dem Quartiersmanagement Konzepte für leerstehende Läden und neue Nutzungen zu erarbeiten. Um die Kräfte besser zu fokussieren, entschied die Kerngruppe des Ideen aufrufs, den nun beginnenden Prozess auf dem Wriezener Bahnhof der Autorin zu übertragen. Die anderen Mitglieder sollten sich auf die Fortführung der Entwicklung auf dem RAW-Gelände fokussieren. Die Betroffenenvertretung Warschauer Straße2 wollte sich ebenfalls an der Ausschreibung zur Durchführung der Bürgerbeteiligung bewerben. Schnell wurde klar, dass es keinen Sinn machte, sich in Konkurrenz zu bewerben. Es war vielmehr konstruktiv, die Kräfte zu bündeln und die unterschiedlichen Interessen der Akteure zusammenzuführen. Die Autorin suchte das Gespräch, stellte den Arbeitsstand des Konzepts vor und erstellte im Anschluss eine überarbeitete Variante. Die beiden Initiativen gründeten die Arbeitsgemeinschaft (AG) Wriezener Bahnhof +. Das Plus steht für den Link hin zu den anderen bürgerschaftlichen Initiativen in Friedrichshain-Kreuzberg. Das Konzept enthielt folgende Module: • öffentliche Veranstaltungen zur Präsentation der Rahmenplanstände und der Auslegungen im Kontext der formalen Beteiligungsphasen im Bebauungsplanverfahren • Planungswerkstatt zum Erstellen eines Konzepts für den zukünftigen öffentlichen Park – das spätere Wriezener Freiraum Labor. Der Bezirk erteilte der AG vermutlich nicht nur aus finanziellen Aspekten den Auftrag zur Durchführung der Bürgerbeteiligung. Durch diesen klugen Schachzug mussten alle organisatorisch beteiligten Initiativen eine kontrakritische Position verlassen und eine objektivierte Haltung einnehmen, um die avisierten Planungsziele in der Bevölkerung und Nachbarschaft darzustellen und kommunizieren zu können. Es wurden intensive Beratungs- und Vorbereitungsgespräche für die Veranstaltungen durchgeführt. Ein Großteil der in die AG eingebrachten Bedenken konnte auf diese Weise mit den Anwohnern, aber auch mit Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 107 Lokschuppen und Fußballhimmel Foto: Bernd Schaub der Verwaltung und dem Planungsbüro vorgeklärt werden. Die Veranstaltungen in Kooperation mit der benachbarten DatheSchule fanden reges Interesse. Die Atmosphäre war oft kritisch, aber weniger emotional aufgeladen. Auch wenn nicht alle Bedenken aus dem Weg geräumt und alle Fragen beantwortet werden konnten, trugen die erhöhte Transparenz und die aktive Einbindung der AG auf Augenhöhe mit Verwaltung und Planungsbüro sicher zur Vertrauensbildung bei. Auch die Seniorenvertretung beteiligte sich umfassend und unterstützte die Dathe-Schule in ihrer Forderung nach mehr Spiel- und Sportflächen.3 Die Schule hatte keinen eigenen Sportplatz und nur im geringen Maße Spiel- und Freiflächen im direkten Umfeld zur Verfügung. Während der frühzeitigen Bürgerbeteiligung entstand die Idee, auf dem Dach des Metromarktes Sportflächen einzurichten. Die Forderung lautete, dass sich ein Gewerbemarkt innerstädtisch anders verhalten müsse als am Stadtrand. Die Anfrage wurde regelmäßig in allen Veranstaltungen wiederholt, unterstützt durch Zeichnungen und Collagen, die auch immer mal wieder zur Erinnerung an die Marktleitung geschickt wurden. Obwohl alle Partner diese Idee grundsätzlich begeistert aufgenommen hatten, wurde sie zunächst nicht wirklich ernst genommen und nicht von der Geschäftsleitung der Metro GmbH weiterverfolgt. Denn das hätte die komplette Statik des Marktes verändert und damit zu einem erheblichen Kostenmehraufwand für das Unternehmen geführt. Die Planungen verzögerten sich aber und die avisierte Fertigstellung des Marktes verschob sich in Richtung Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Die Senioren, die Schule und auch der Baustadtrat blieben in der Planskizze für die Planungswerkstatt, 2005 Quelle: tx-büro Sache engagiert. Sicher war es auch des geschickten Verhandlungen im Verborgenen zu verdanken, dass der „Metro Fußballhimmel“ ein Kooperationsprodukt wurde. Man munkelte, dem neuen PR-Manager des Metromarktes sei eine der Collagen in die Hände gefallen und die Idee hätte ihn begeistert. Jedenfalls wurde 2006 ein FIFA-tauglicher Kunstrasenplatz eröffnet, auf dem Vereine und die Schulen aus der Nachbarschaft spielen und trainieren. Der Fußballhimmel ist mittlerweile auch Preisträger im „Land der Ideen“ (Bundesregierung et al. o.J.; Metro GmbH o.J.). Planungswerkstatt Wriezener Bahnhof Die Idee für das „Wriezener Freiraum Labor“ entstand auf Grundlage der Ergebnisse der Planungswerkstatt, die ebenfalls im Rahmen der formellen Beteiligung durchgeführt wurde. Ihr Ziel war es, auch Anregungen aufzunehmen, die im Bebauungsplanverfahren nicht unmittelbar planungsrelevant waren. Ergänzend zu dem im Entwurf zum Bebauungsplan vorgesehenen öffentlichen Park wurden hier weitere Bereiche auf dem ehemaligen Verladebahnhof bearbeitet, um ggf. noch Zwischennutzungsflächen öffnen zu können und einzuschreiben. Junge Architekturbüros aus der Nachbarschaft wurden angefragt, ob sie bereit wären, pro bono, aber öffentlichkeitswirksam die Planungswerkstatt zu unterstützen, um Ideen und Anregungen sofort und simultan aufzuzeichnen und sichtbar zu machen. Alle Büros waren in Friedrichshain-Kreuzberg (3) Beide Partner sind später auch im Wriezener Freiraum Labor aktiv, die Schule dabei mit einem eigenen Modul (Schulgarten und Grünes Klassenzimmer). 108 Umgebaute Fertigteilmauer Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor Neuer Zugang in Höhe der Pillauer Straße ansässig und hatten somit auch ein Eigeninteresse an der Gestaltung des Freiraums dort. In drei Gruppen wurde vom 22. bis 24. April 2005 gemeinsam gearbeitet. Die Werkstatt war offen, jeder konnte jederzeit hinzukommen – immer unter der Voraussetzung, dass die bereits geleistete Arbeit nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Es wurden vier verschiedene Bereiche in zwei Maßnahmegruppen bearbeitet: • zum einen der zukünftige Park zzgl. des Geländeteils mit dem ehemaligen Lokschuppen, der noch nicht Teil der offiziellen Parkplanung war • zum anderen als temporäre Nutzungsflächen: das ehemalige Postgelände mit Bahnsteig und Bestandsgebäuden in Nachbarschaft zum Ostbahnhof; ein exponierter Bereich unterhalb der Warschauer Brücke, der erst nach Stilllegung des noch bis 2017 aktiven letzten Rangiergleises dem Park hinzugefügt werden kann, und der zukünftige Stadtplatz im Vernetzungsbereich des Areals. Ziel war es, den Zusammenhang und die Begehbarkeit des Gesamtgeländes durch die Vernetzung der verschiedenen öffentlichen und halböffentlichen Teilräume zu erhalten, obwohl nun einzelne Teilflächen nach und nach bebaut werden. Die Ergebnisse der Werkstatt wurden auf einer öffentlichen Veranstaltung mit der Nachbarschaft sowie Vertretern der Verwaltung, der Politik und der Metro vorgestellt und diskutiert. (4) Mit Modul werden die einzelnen, in der Werkstatt entstandenen bürgerschaftlichen Projekte bezeichnet. Aus den verschiedenen Arbeitsgruppen entstanden Ideen für fünf sehr konkrete Projektmodule4: Sportparcours, Grünes Klassenzimmer, Feldmoderation, FreifunkHain und LokSchuppen. Darüber hinaus gab es aber auch Anregungen und Forderungen Wegeführung und Topographie Fotos: Röntz Landschaftsarchitekten aus der Werkstatt, die sich an die grundsätzliche Parkgestaltung richteten. So sollten möglichst viele der vorhandenen baulichen Ressourcen erhalten und genutzt werden. Dies zum einen, um eine historische Spur als identitätsstiftenden „Erzählstrang“ zu erhalten und zum anderen, um mit den vorhandenen finanziellen Mitteln effizient umzugehen – entsprechend dem immer wieder durch die Teilnehmer der Planungswerkstatt aufgerufenen Slogan „Der Park ist schon da! Man muss ihn nur aufschließen!“ Aus der zwischen Parkareal und Straße vorhandenen Mauer aus Fertigteilen sollten nur einzelne der Teile herausgenommen werden, um eine Art Vorhangwirkung zu erzeugen und Ein- und Ausblicke zu erlauben, aber den spielenden Kindern dennoch Schutz zu geben. Der existierende Bahnsteig sollte als Veranstaltungsfläche dienen und auch als Kontrapunkt zu den unversiegelten, mittlerweile durch üppigen Aufwuchs begrünten Flächen. Es sollte kein planierter „Tabula-rasaPark“ entstehen, sondern der wilde Aufwuchs bei der Grünplanung berücksichtigt werden. Entworfen wurde eine Zonierung von wilden (am Hang), halbwilden (mit integrierten Modulen) und kultivierten (neu gestalteten und möblierten) Teilflächen. Die Topographie, die sich aufgrund der bereits zurückgebauten Gleise darstellte, wurde als eine weitere Besonderheit geschätzt und die gestreckte Form des Areals, das ca. 600 m lang und im Durchschnitt 30 m breit ist, entsprechend betont. Der ehemalige kleine Lokschuppen, mit Kranbahn zum Umladen der Kohlelieferungen, sollte zum Gemeinschaftshaus und Quartierszentrum werden sowie von den zahlreichen dezentralen und projektbezogenen Initiativen in Friedrichshain als Treffpunkt genutzt werden können. Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 Lichtung Foto: Röntz Landschaftsarchitekten 109 Wäldchen An der Umsetzung und Entwicklung all dieser Module wollten die verschiedenen Initiativen und Akteure der „AG Wriezener Bahnhof +“ gern beteiligt bleiben. Der Wunsch war, den begonnenen partizipativen Planungsprozess fortzusetzen, Wege zu eröffnen und die interessierten Gruppen weiterhin einzubinden. Es wurde eine Dokumentation erstellt und an das Bezirksamt übergeben. Relativ schnell wurde aber deutlich, dass dort keine Ressourcen für einen solch umfassenden Planungs- und Kommunikationsprozess vorhanden waren. Die dort vorgesehenen Maßnahmen orientierten sich am zukünftigen Pflegeaufwand, und die über die Ausgleichsmaßnahmen vorhandenen Mittel waren für die bauliche Neuordnung des zukünftigen Parkareals vorgesehen. So sah das Amt für Grün vor, alle baulichen Bestände komplett zurückzubauen, die Oberfläche einzuebnen und großflächig mit Rasen zu versehen, der zweimal im Jahr mit einer Maschine gemäht werden kann. Entlang des Zauns am noch aktiven Rangiergleis zwischen Park und zukünftigem Gewerbegebiet sollte eine Hecke angepflanzt werden. Ein Weg, dessen Breite sich an den Foto: Lola landscape architects – Peter Veenstra Wegwechsel Foto: Röntz Landschaftsarchitekten Bewirtschaftungsfahrzeugen ausrichtet, sollte von dem Bereich an dem einen Ende an der Warschauer Brücke, der mit zwei Sportfeldern und einer Boulefläche ausgestattet werden sollte, über eine Länge von 600 m hin zum Platz an der Dathe-Schule führen. In diesem Bereich sollte die Mauer komplett rückgebaut werden, um den Bereich vor der Schule zum informellen Schulhof zu erweitern. Für das Lokschuppenareal und weitere Flächen waren keine Mittel vorgesehen. Demzufolge waren diese Bereiche auch nicht in der Planung für die Umgestaltung erfasst und es war nicht vorgesehen, diese zu öffnen. 3 ExWoSt und das Wriezener Freiraum Labor Die AG Wriezener Bahnhof+ ist im lokalpolitischen Raum breit verankert und erhielt von Beginn an breite Unterstützung. Gemeinsam mit Mitgliedern des Stadtplanungsausschusses, dem Baustadtrat und dem Stadtplanungsamt suchte sie nach Möglichkeiten, das in der Planungswerkstatt erarbeitete Konzept zumindest teilweise umzusetzen. Planung des Bezirks bis Februar 2007 Quelle: BA Friedrichshain-Kreuzberg (erstellt von tx-Büro, entsprechend Baubeschreibung des BA) 110 Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor Areal des ehemaligen Wriezener Bahnhofs, 2008 Tuned City Klanginstallationen, 2008 Naturerfahrungsraum Fotos: Lola landscape architects – Peter Veenstra Der Autorin war mit der Erfahrung der vergangenen Jahre, insbesondere durch die Mitarbeit auf dem RAW-Gelände klar, dass ein solcher Projektentwicklungs- und Beteiligungsprozess nicht ausschließlich auf ehrenamtlicher Basis leistbar ist. Entsprechend wurde nach Optionen gesucht, diese Leistungen sowie Teilleistungen der einzelnen Module über Stiftungen, Sponsoren und Fördermittel zu finanzieren. Die Förderung für das Wriezener Freiraum Labor umfasste die Projektsteuerung und das Schnittstellenmanagement zwischen den zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Verwaltung sowie Leistungen für den Aufbau einer bürgerschaftlichen Trägerstruktur sowohl für den Park als auch für den Betrieb des Lokschuppens als Quartierszentrum. Außerdem umfasste sie: Leistungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und externen Vernetzung; Planungsleistungen für die Parkplanung, um die bauliche Parkgestaltung zu qualifizieren; Planungsleistungen und bauliche Mittel für den Lokschuppen; Mittel für die technische und gestalterische Entwicklung des FreifunkHains sowie dessen prototypische Umsetzung sowie Mittel für die „wachsenden Nachbarschaften“ und die drei weiteren Module Grünes Klassenzimmer, Feldmoderation (Urban Gardening) und Sportparcours (siehe BBSR o.J.). und Trägern entwickelt und umgesetzt. Die Projektentwicklungs- und -steuerungsleistungen, das Schnittstellenmanagement, die Entwicklung der Trägerstrukturen sowie Teile der Öffentlichkeitsarbeit oblagen der Autorin und tx-büro. Die baulichen Leistungen wurden durch das Bezirksamt beauftragt und betreut. Einige der Akteursgruppen waren zu Beginn des Projekts und im weiteren Verlauf noch in der Konstituierung. So wurden verschiedene Organisationsstrukturen für die Beteiligung an der Parkentwicklung abgewogen und besprochen. Gezielt wurde entschieden, zunächst keinen Verein zu gründen. Damit wurde den einzelnen Modulen ausreichend Entfaltungsraum und die Möglichkeit eröffnet, eine eigene projektbezogene und passende strukturelle Form zu finden. Ziel war es, zunächst die einzelnen Module zu tragfähigen und selbständigen Einheiten reifen zu lassen, um dann später gegen Ende der Laufzeit des Modellvorhabens zu entscheiden, welche die richtige Organisationsform für das Gesamtprojekt und eine langfristige und kooperative Parkbewirtschaftung ist. Für einige Projektpartner war und ist ein offener Prozess zudem eine wichtige Voraussetzung für eine Beteiligung. Die Haltung, dass der Park als öffentlicher Raum genutzt und bespielt wird, Besuchern Angebote zur Verfügung gestellt werden sowie im Rahmen der Möglichkeiten auch Verantwortung für die auf den bürgerschaftlichen Beiträgen beruhenden Parkausstattungen zu übernehmen, war grundsätzlich selbstverständlich. Aber in welcher Form das passieren kann, möglicherweise sogar in formaler, vertraglicher Vereinbarung mit dem Bezirksamt, das war einigen Akteuren zunächst nicht klar und sogar fremd. Die Module wurden von ganz unterschiedlichen Akteuren aus der Planungswerkstatt Der Fokus lag also zunächst auf der Entwicklung der Module und deren Einbin- So ist es ein großes Glück, dass im Frühjahr 2006 durch das ExWoSt-Modellvorhaben „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“ ausgeschrieben wurde und es gelang, für das gesamte Projekt eine Förderung zu erhalten. Die Baumaßnahmen wurden im Herbst 2011 abgeschlossen. Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 BMX-Vereinsheim und Gärten Foto: tx-büro 111 Anwohnergarten 2009 dung in die Planung des Parks und auf der Gestaltung des kooperativen Verfahrens mit dem Bezirksamt. Ziel war es, einen Entwicklungsprozess auf gleicher Augenhöhe zu etablieren. Alle an der Parkproduktion Beteiligten sollten als möglichst gleichberechtigte Prozessteilnehmer begriffen werden und ihr jeweiliges Planungswissen, Spezialistenwissen, Erfahrungswissen, Verwaltungswissen und ihre Berufung in den gemeinsamen Gestaltungsprozess einbringen können. Herausforderungen und Chancen des Partizipationsprozesses Eine Herausforderung bei einem solchen gemeinsamen Gestaltungsprozess ist, dass die bürgerschaftlichen Akteure akzeptieren müssen, dass absolute Transparenz und eine 100 %-ige Beteiligung an allem nicht möglich und durch die strukturellen Rahmenbedingungen von hauptamtlichen und nebenberuflichen, ehrenamtlichen Akteuren immer unterschiedliche Handlungsspielräume und notwendige Verpflichtungen gegeben sind. Innerhalb dessen finden Verständigung, das Ausloten konstruktiver Schnittstellen sowie Entscheidungen über nächste Schritte statt. Die Mitarbeiter der Verwaltung stehen vor der Herausforderung anzunehmen, dass etablierte Rahmenbedingen bei einer lebendigen Stadtentwicklung angepasst und modifiziert werden müssen. Instrumente, die beispielsweise im Umgang mit Großinvestitionen richtig sind und dem notwendigen Controlling dienen, hemmen in kleinen Entwicklungsbereichen den Gesamtprozess und machen ihn teilweise sogar unmöglich. Der Wunsch, durch gleiche Anwendung von Verfahren und Instrumenten Gleichberechtigung herzustellen, schlägt dann ins Foto: tx-büro Grünes Klassenzimmer Gegenteil um und schafft Ungerechtigkeiten und Ungleichheit. Aufgabenbereiche in den Verwaltungen müssen umgestaltet und Verantwortung muss in die Zivilgesellschaft (zurück)gegegeben werden, mit dem Vertrauen, dass auch hier verantwortungsbewusste Akteure im Sinne der Gemeinwesenentwicklung tätig sind. Controlling erfolgt durch Partizipation. Diese Kooperationen erfordern eine offene und adaptionsfähige Steuerung, weil klare Auftragnehmer-Auftraggeber-Verhältnisse verschwimmen. Der Mehrwert, der für den Einzelnen entsteht, der sich beteiligt, liegt in der Verwirklichung eigener Vorstellungen und Visionen. Der Mehrwert, der für die Gemeinschaft entsteht, liegt im Innovationsgehalt und dem gemeinsamen Aushandeln von nächsten Entwicklungsschritten. Reibung entsteht, wo Transformation notwendig ist. Ein unschätzbarer Gewinn von partizipativen Planungsprozessen ist deshalb, dass durch die Teilhabe an Planungs- und Meinungsbildungsprozessen die Komplexität der Entscheidungsfindung transparent wird, politische Handlungsoptionen vermittelt und Willensbildungsprozesse qualifiziert werden. Die bereits vorhandenen demokratischen Rechte und Strukturen werden geübt und besser genutzt und Planungsinstrumente werden justiert und neu entwickelt. Das projektorientierte Zusammentreffen und die Kooperation unterschiedlicher Akteure mit dem jeweiligen Erfahrungs- und Fachwissen dient der Vertrauensbildung und eröffnet die Möglichkeit, einen Grundkonsens darüber herzustellen, dass die gesellschaftliche bzw. die Entwicklung des gemeinsamen Projekts konstruktiv erfolgen soll, dabei aber die verschiedenen Interessen in den jeweiligen Foto: Stefan Noth 112 Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor Sportkäfig Fotos: Lola landscape architects – Peter Veenstra Sportort Foto: tx-büro Gesamtzusammenhängen unterschiedli cher Gewichtungen bedürfen. Störungen im Kooperationsnetz durch neue Verwaltungsstrukturen 2006, im Jahr des Projektstarts des Wriezener Freiraum Labors fanden Bezirkswahlen statt, mit der Folge einer kompletten Umstrukturierung des Bezirksamtes. Der ehemalige Baustadtrat wurde Bezirksbürgermeister und „behielt“ das Stadtplanungsamt. Die neue Baustadträtin übernahm das Hochbauamt und das Amt für Umwelt und Naturschutz. Das Wriezener Freiraum Labor wurde als zukünftiger Park in den Fachbereich Naturschutz und Grünflächen übergeben. Damit gingen zunächst alle aufgebauten Kooperationsbeziehungen in das Bezirksamt verloren und damit alle Rahmenbedingungen und Kooperationspartner, die aufgrund der zurückliegenden Arbeit als gegeben vorausgesetzt worden waren. Im Ergebnis vollzogen nun alle Projektbeteiligten ein solch umfangreiches, partizipatives Planungs- und Entwicklungsverfahren zum ersten Mal und konnten dabei nicht auf bereits gemeinsam gemachte Erfahrung zurückgreifen. Das erschwerte den Projektstart, weil Ansprechpartner und Verantwortungsbereiche neu geklärt werden mussten. Zielsetzungen, die Grundlage für die Antragstellung waren, wurden nicht automatisch als Konsens akzeptiert und mussten neu ausgehandelt werden. Dieser Aushandlungs- und Vertrauensbildungsprozess begleitete das Modellvorhaben während seiner gesamten Laufzeit. Sportparcours Foto: tx-büro Planung und bauliche Umsetzung schreitet voran Das Gelände konnte zum Frühjahr 2007 geöffnet werden und stand seitdem, parallel zur weiteren Planung und Entwicklung, zur Nutzung zur Verfügung – Planung und bauliche Umsetzung fanden und finden quasi bei laufendem Betrieb statt. Von Anfang an war in dem Projekt klar, dass die Rolle der beauftragten Projektsteuerung abnehmen und die „Selbstorganisation“ der Akteure zunehmen muss, wenn eine langfristige Kooperation zwischen Bürgern und Verwaltung tragen soll. Auch wenn nicht alle Module in der ursprünglich angestrebten Form zur Umsetzung gekommen sind, haben sich dennoch tragfähige Akteursgruppen herausgebildet, die auch nach offiziellem Abschluss des Modellvorhabens weiter zusammenarbeiten. Sie organisieren sich im „Freundeskreis Wriezener Freiraum Labor“, gehen Vertragsverhältnisse mit dem Bezirksamt ein und sichern die Trägerschaft des Lokschuppens als Gemeinschaftszentrum. Sowohl der Bezirk als auch die Nachbarschaft und die Teilnehmer des Planungsworkshops 2005 waren sich darüber einig, dass es der infrastrukturellen Ausstattung und zukünftigen Benutzbarkeit des Parks dienen würde, wenn der ehemalige Lokschuppen zukünftig zur Gemeinschaftseinrichtung für das Quartier werden und als öffentlicher Raum für multifunktionale und generationenübergreifende Nutzungen zur Verfügung stehen könnte. Für den Lokschuppen gab es zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Initiativgruppe und so war es Teil des Modellvorhabens, eine Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 Weg zum Lokschuppen Foto: Röntz Landschaftsarchitekten 113 Lokschuppen 2011 Foto: AFF architekten – Sven Fröhlich geeignete Trägerstruktur für das Gemeinschaftszentrum zu entwickeln. Nach einem Ideenaufruf und mehreren öffentlichen Präsentations- und Abstimmungsrunden kristallisierte sich heraus, dass entweder eine Kooperation aus mehreren Initiativen und privaten Akteuren Sinn machen könnte oder eine Kooperation aus privaten Trägern und einer öffentlichen Institution. Ziel war es, den Lokschuppen als selbsttragendes Gemeinschaftszentrum zu betreiben. Es brauchte also einen wirtschaftlichen Betrieb und gleichzeitig die Selbstverpflichtung, den Raum für Anfragen aus dem Quartier kostengünstig und niederschwellig offenzuhalten. Das ExWoSt-Programm stellte Mittel zur Verfügung, um den Lokschuppen baulich herzurichten. Das Gebäude wurde behutsam saniert. Die Grundfläche beträgt nur ca. 100 qm. Über das Erdgeschoss gelangt man in den offenen Raum des Obergeschosses, der durch ein zweigeschossiges imposantes Galeriensystem gebildet wird. Die nördliche Obergeschossfassade ist über Schiebetore komplett zu öffnen. Nur das Erdgeschoss des Lokschuppens wurde gedämmt. Die Obergeschosse ergänzen in den warmen und Übergangsjahreszeiten den Veranstaltungsort. Für alle anderen Nutzungen (Büro, Lager, kleiner Cafébetrieb, WCs) stehen ausgebaute Container zur Verfügung, die sich um das Gebäude gruppieren. Die daraus resultierenden verschiedenen kleinräumlichen Situationen machen das Ensemble vielfältig nutzbar. Über das Areal des Lokschuppens konnte nun auch eine Verbindung zum zukünftigen Stadtplatz und darüber zur Strasse der Pariser Kommune und dem nächsten Areal des ehemaligen Wriezener Bahnhofs, 2010 Foto: tx-büro benachbarten Wohnquartier geöffnet werden. Eine autofreie Querung vom S-und U-Bahnhof Warschauer Strasse wurde ermöglicht, auch eine Verbindung hin zum Ostbahnhof und zum Spreeraum als Erholungsort und zugleich Standort einer Vielzahl von bürgerschaftlichen Projekten und Zwischennutzungen. Für den Lokschuppen wurde ein Trägerverbund aus einem wirtschaftenden Kultur unternehmen und der Landesebene eines Umwelt- und Naturschutzverbandes entwickelt. Letzterer garantiert die „Offenhaltung“ des Hauses und wird eine zu stark fokussierte und einen nur auf ein bestimmtes Zielgruppenspektrum ausgerichteten Betrieb ausgleichen. Der Vertrag war bei Abschluss des Forschungsprojekts noch nicht unterschrieben. Aber der Freundeskreis Wriezener Freiraum Labor, den die Modul akteure, Anwohner und Initiativen, Interessierte aus ganz Berlin sowie die Unternehmen aus der Nachbarschaft gegründet haben, hat sich in eine tragende Rolle begeben und mit dem Bezirksamt einen Vorvertrag für den Lokschuppen abgeschlossen. Dies ermöglicht eine sofortige Nutzung nach Abschluss der Baumaßnahmen und hilft eine zeitliche Lücke zu überspringen, bis der Vertrag zwischen Trägerverbund und Bezirksamt abschließend verhandelt und unterschrieben ist. Die Umsetzung nach partizipativer Planung Ein sogenannter Basisplan hat die Planung und Entwicklung des Areals von Beginn an begleitet. Zunächst wurden die vorhandenen baulichen Ressourcen und die wesentliche raumbildende Vegetation no- 114 Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor Basisplan Wriezener Freiraum Labor Quelle: tx-büro, entsprechend der Inputs aus dem Beteiligungsprozess tiert. Mit den Modulakteuren wurden die Teilbereiche festgelegt, wo sich die Projekte einrichten und entfalten können. Vertiefend wurden zu einzelnen Teilbereichen des Parks öffentliche Planungsworkshops durchgeführt. Hinweise und Anregungen aus Gesprächen während der regelmäßigen Jour fixe flossen ebenfalls ein. Die Ergebnisse wurden im Basisplan notiert. Dieser verdichtete sich und wurde nach anderthalb Jahren als Grundlagenplanung dem Landschaftsarchitekturbüro übergeben. Dieses entwickelte darauf aufbauend das Gestaltungs- und Erschließungskonzept. Im Ergebnis wurden die Geländesprünge erhalten und neu befestigt. Die benutzten Fertigteile finden darüber hinaus auch Verwendung für die Sitzbereiche und die Möblierung des Grünen Klassenzimmers. Gedreht, öffnen sich die Fertigteilprofile und werden zu Regalen zur Ablage von Werkzeug und sonstigen Utensilien für die Gärtner. Durch die nicht rein orthogonal verlaufenden ehemaligen Gleisbetten und die vorhandene Vegetation entstehen Verschnitte und trotz der dominanten Länge des Parks viele spezifische Teilbereiche und Aufenthaltsorte. Die straßenbegleitende Mauer wurde in Teilbereichen geöffnet und es entstanden Ein- und Ausblicke. Der vorhandene wilde Vegetationsaufwuchs wird behutsam durch neue Pflanzungen ergänzt. Das kleine Wäldchen blieb erhalten und steht als „Naturerfahrungsraum“ für die Kinder zur Verfügung. Ausgehend vom umzäunten Sportplatz auf dem Metrodach, gegenüber dem Lokschuppen am westlichen Ende und einem bereits vorgezogen realisierten „Sportkäfig“ für Fußball und Basketball am östlichen Ende des Parks unterhalb der Warschauer Brücke, werden die Parkzimmer entwickelt. Dies sind bauliche Module aus Zaunfeldern, die in gestalterischen und nutzbezogenen Variationen die einzelnen Module wie Schulgarten (kleiner Park im Park), Grünes Klassenzimmer (Seminar- und Veranstaltungsort im Freien) und Kindertheater (Anwohner-Treffpunkt) räumlich fassen und in den Park einschreiben. Unabhängig von der Nutzung durch die verantwortlichen Modulakteure stehen sie auch den Anwohnern und spontanen Parkbesuchern zur Verfügung. Zwischen Metro-Fußballdach und Sportkäfig verläuft der Sportparcours und „überlagert“ den Park. Die benachbarte DatheSchule hat keine eigenen Sportflächen im Freien zur Verfügung. So entstand die Idee, ein Teilstück des Weges zur HundertmeterLaufstrecke zu machen. Der Weg wurde etwas verbreitert und so kann temporär eine Sportfläche für die Schüler entstehen. Tischtennisplatten, eine Boulefläche, verschiedene Teilflächen für „Barfußsportarten“ wie Qigong, Tai Chi und Yoga sowie die Möglichkeit, die Parkzimmer flexibel zu nutzen, ergänzen den Sportparcours. Schon sehr früh im Prozess kam ein BMXVerein ins Wriezener Freiraum Labor. Zunächst temporär auf einer kleinen Teilfläche verortet, wurde ein Pumptrack, d.h. eine Huckelpiste angelegt, die sowohl professionellen Fahrern als auch Kindern und Jugendlichen zum Üben dient. Die zunächst auf die Modellvorhaben-Laufzeit befristet angelegte Zusammenarbeit war sehr wesentlich für die Vertrauensbildung Informationen zur Raumentwicklung Heft 3/4.2012 Weg zum Schulgarten 115 Weg entlang des Schulgartens gegenüber dem Bezirksamt. Vor den einsetzenden Baumaßmahmen gelang es, den Verein auf eine benachbarte Teilfläche umzusiedeln, die eigentlich erst ab 2017 dem Park hinzugefügt werden soll. Der ehemalige Bahnsteig bleibt als Veranstaltungsfläche und Aufenthaltsort erhalten und zu beiden Seiten richten sich die Gärten ein. Der eine mit Nähe zum Wäldchen und der andere im Schutz der teilweise geöffneten Mauer. Der Bezirk verfügt über eine rege Szene von Nachbarschaftsgärtnern und es bestand schon lange der Wunsch, eine Koordinierungsstelle für die Aktivitäten im Bezirk einzurichten. Die Akteure sind auch berlinweit vernetzt. Auf diese Weise kann gesammeltes Wissen, auch im Umgang mit den Behörden, weitervermittelt werden und nachfolgenden Projekten die Realisierung vereinfachen. Nun, nach Abschluss der Bauarbeiten, die die letzten beiden Jahre dominiert haben, stehen Park und Lokschuppen der Nachbarschaft, den Gärtnern und der DatheSchule sowie dem Freundeskreis des Wriezener Freiraum Labors zur Nutzung zur Verfügung. Darüber hinaus gilt es, lose Fäden wieder aufzunehmen und Kontakt zu Stadtentwicklungsinitiativen, aber auch Institutionen und benachbarten Unternehmen herzustellen, um auf die Möglichkeit der Nutzung des Parks und des Lokschuppens für Veranstaltungen aufmerksam zu machen. Wünschenswerterweise bleibt der Ort auch weiterhin ein lebendiger Diskursraum, in dem sich alle interessierten Personen zusammenfinden können, um sich weiterhin an der Gestaltung ihres Lebensumfeldes und ihrer Stadt beteiligen können. 100 m Laufstrecke Fotos: Röntz Landschaftsarchitekten 4Fazit Möchte man ein Fazit ziehen, so ist das im Grunde schnell gemacht: Ohne die ExWoStFörderung gäbe es den Park in der heutigen Gestaltung und das Projekt als solches mit seiner regen Akteursszene nicht. Allein auf ehrenamtlichem Engagement basierend, ohne die Finanzierung des Schnittstellenmanagements, Netzwerkarbeit, Projektsteuerung und Architektenleistungen, wäre es nicht möglich gewesen, das Projekt zu realisieren. Es wäre der „Tabula-rasa-Park“ realisiert worden; man hätte keinen anderen gekannt. Aber nun im Vergleich wird deutlich, um welche Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten und zahlreiche Möglichkeiten der Begegnungen der Park angereichert ist. Sowohl durch die lebendige Akteurskultur als auch durch die aus dem Ort entwickelte und auf den Ort zugeschnittene architektonische Umsetzung hat der Park eine ganz individuelle Strahlkraft und Schönheit entwickelt. Projekte dieser Art sind von außerordentlicher Bedeutung für den Aufbau langfristiger Partizipationsstrukturen und die Übernahme von Verantwortung für gemeinschaftliche Güter sind. Es besteht so die Chance, verbindliche Plattformen für Beteiligung und Teilhabe an der Stadtentwicklung in der Bürgerschaft zu etablieren und verbindliche Formen der Zusammenarbeit mit der Verwaltung zu kultivieren. Das erfordert das Sprechen ganz verschiedener Sprachen und die Vermittlung der Interessen verschiedenster beteiligter Akteursgruppen. Die Verknüpfung der differenzierten Entwicklungs- und Hand- Ines-Ulrike Rudolph: Upside down, inside out, and round and round: das Wriezener Freiraum Labor 116 tig empfunden wurde. Im günstigsten Fall kann durch gemeinsam gemachte Erfahrung und das Abwägen der heterogenen Interessenslagen Vertrauen gebildet und konstruktive Lösungsansätze abgeleitet werden. Nur eine konsequent konsensorientierte und integrierende Haltung und der Mut scheinbar unvereinbare Dinge zu Lösungsansätzen zusammenzuführen, generiert Innovationskraft und Weiterentwicklung und führt zur Identifikation aller Beteiligten mit dem Prozess und seinen Ergebnissen. I said upside down you‘re turning me You‘re giving love instinctively Round and round you‘re turning me Die Gärtner können wieder einziehen Foto: Elisabeth Meyer-Renschhausen lungsstränge ist eine Herausforderung und erfordert Aufmerksamkeit, Geduld sowie Respekt auf allen Seiten. Überzeugungen werden in solchen Prozessen auf den Kopf gestellt und manchmal gilt nichts mehr von dem, was vorher als rich- Upside down Baby, you turn me Inside out And round and round Upside down Baby, you turn me Inside out And round and round Diana Ross (Text: Jack H. Johnson) Literatur BMVBS/BBR (Hrsg.) (2004): Zwischennutzung und neue Freiflächen – städtische Lebensräume der Zukunft. Bonn, Berlin. Bundesregierung et al. (o.J.): Deutschland – Land der Ideen. www.land-der-ideen.de/365-orte/preistraeger/metro-fussballhimmel BBSR (o.J.): Innovationen für familien- und altengerechte Quartiere. Modellvorhaben Berlin, Wriezener Bahnhof. www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/FP/ExWoSt/ Forschungsfelder/InnovationenFamilieStadtquartiere/Modellvorhaben/10__MV-B__BerlinWriezenerBahnhof.html RAW-Tempel e. V. (o.J.): www.raw-tempel.de Metro Cash & Carry Deutschland GmbH (o.J.): www. metro24.de/pages/DE/UeberUns/Unternehmen/Engagement