Wege in die Kinderseele

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Wege in die Kinderseele
Wege in die Kinderseele
Leere Schulkassen, engagierte Unternehmen und
­gesetzliche Freiheiten ermöglichen, dass Kinder
immer früher mit Werbung konfrontiert und
von ihr beeinflusst werden. Wo sind die Grenzen?
Text von Birgit Schaller | Illustration von Vinzenz Schüller
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Bestseller 1|2 2012
Gratwanderung. „Jetzt ist das Zewa schon wieder aus“ – Tante Petra*
greift nach einer neuen Haushaltsrolle. Da tönt es altklug
aus dem Hintergrund: „Das heißt Plenty!“ Lara* weiß,
wovon sie spricht, schließlich geht sie in den Cottage-,
jetzt „Plenty-Kindergarten“, der Ende letzten Jahres bei
einem Wettbewerb mit seinen kreativen Umsetzungen
zur Verwendung von Haushaltstüchern die Plenty-Jury
überzeugte. Ein recht frühkindlicher Markenbindungsversuch, meinen Kritiker. Barbara Gehl, PR-Beraterin der
Hamburger Agentur achtung!, deren Feder das Konzept
für den österreichischen Marktführer entsprang, sieht
das anders: „Wir richten uns nicht an die Kinder direkt.
Wir wollen ein Testlabor etablieren – schließlich ist ein
­Kindergarten der härteste Haushalt der Welt.“
Kinder sind Zielgruppe Nummer eins für Marketer.
Warum? Sie beeinflussen die Kaufentscheidungen der
­Eltern, sie sind die Konsumenten von morgen, und im
besten Fall verfügen sie auch noch über eigenes Taschengeld. „Mit Plenty müssen wir keinen fremden Hut
aufsetzen: Haushaltspapier ist im Kindergarten ohnehin
ständig in Verwendung. Waren es bisher die billigsten
Rollen aus dem Metromarkt, benützen die Kinder nun
eben Plenty“, argumentiert Leiterin Claudia Gruy. Der
­angenehme Nebeneffekt für den Kindergarten: ein finanzieller Beitrag von 1.000 Euro im Monat für ein Jahr. Das
ist viel wert, auch wenn dafür ein wenig Überzeugungsarbeit bei den Eltern nötig war, wie Gruy zugibt. Doch
dass von diesem Geld für den Indoor-Kindergarten ein
kleiner Pfarrgarten hergerichtet werden kann, überzeugte die letzten Skeptiker.
Kindershopping
„Kids-Konsum wird künftig auch für die typischen Erwachsenen-Branchen relevant, in denen die Kids mehr
und mehr die Konsumhoheit übernehmen“, befindet die
Studie „Future Kids“ des deutschen Zukunftsinstituts,
die dann im Detail ausführt, was Unternehmen tun
­können, um die Käufer von Morgen zu erreichen. Und
laut einer ­Studie der Universität Wien legen Erwachsene
rund zehn Artikel pro Woche spontan in ihren Einkaufswagen, nur weil das die Kinder so wollen. Genau hier
sieht Arnd F
­ lorack, Professor für Angewandte Sozial­
psychologie an der Uni Wien, eine der größten Gefahren:
„Je näher die Werbung am Konsum der Kinder dran ist,
desto kritischer ist sie zu bewerten.“ Auch Erwachsene
greifen zur D
­ arbo-Marmelade, weil sie vielleicht, ohne
es bewusst wahrgenommen zu haben, kürzlich einen
TV-Spot ­gesehen h
­ aben. „Doch im Unterschied zum
Kind kann sich der Erwachsene selbst kontrollieren“,
so Florack, Kindern fehle diese Fähigkeit. Die sagen dann
einfach „Ich will!“, und stellen sich Mama oder Oma
dem Konflikt nicht, landet der Fruchtzwerg eben im Einkaufswagerl. Wer legt sich im Supermarkt schon gern bis
zur letzten Konsequenz mit seinem konsumwütigen
Kind an – unter den Argusaugen der anderen Kunden?
­Unternehmen wissen das.
Stickermania – nein danke!
An dieser Stelle setzen nun auch gesetzliche Regulierungen an, um der Werbeindustrie Einhalt zu gebieten.
Seit 2007 gilt EU-weit die Novelle gegen „Unlautere
­Geschäftspraktiken“ (UWG). Sie enthält eine Liste von
absolut verbotenen Werbemethoden. So ist gemäß Ziffer
28 des Anhangs eine direkte Aufforderung an Kinder, beworbene Produkte zu kaufen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene zu überreden, die beworbenen Produkte
für sie zu kaufen, unter allen Umständen verboten. Einer
der ersten Präzedenzfälle: die Reklame für das Spar-Stickeralbum. „Die Entdeckungsreise zu den Wüsten und
Steppen beginnt! Hol Dir das Buch dazu!“, lautete die
Überschrift, daneben lehnte Garfield an einer mit Stickern gefüllten Schatztruhe. Eine Werbung, die sich aus
Sicht des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) direkt und aggressiv an Kinder wendet und zur Verbandsklage führte. „Leider ist das neue Gesetz kaum ausjudiziert. Es gibt ungeklärte Fragen, beispielsweise, was als
aggressive Werbung angesehen wird. Die Sache könnte
bis zum EuGH gehen“, informiert VKI-Juristin ­Ulrike
­Docekal. Bis dahin werden noch viele Eltern notgedrungen bei Billa, Spar oder Zielpunkt einkaufen ­müssen,
­damit das Buch der Sprösslinge auch wirklich voll wird.
Haarscharfe Grenzen
Zurück zu Plenty: „Hier ist die Grenze haarscharf“,
­findet Florack, denn das Kind stellt auf einer sehr frühen
Stufe eine Beziehung zu einem Produkt her, das in vertrauter Umgebung von vertrauten Menschen benutzt
wird und so positiv besetzt ist. Allerdings gibt es die Tücher im Kindergarten ohnehin, und kaum ein Kind kauft
Haushaltstücher ein, es erinnert sich vielleicht 20 Jahre
später an die Marke, „aber immerhin kann es dann
­bewusster entscheiden“, räumt Florack ein. Apropos
Marke: „Je früher die Bindung, desto effektiver ist sie“,
bestätigt der Psychologe. Laut der deutschen KidsVerbraucherAnalyse achtet mehr als die Hälfte der Sechsbis 13-Jährigen bei der Auswahl von Sportschuhen,
­Taschen und Bekleidung auf die Marke, bei Cornflakes
oder Frucht­säften ist es rund ein Drittel.
* Namen von der Redaktion geändert.
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Für Elfjährige haben Marken schon iden­
titätsstiftende Wirkung – so ist das DC-­
Kapperl ein echtes Statement und ein Red
Bull eben ein Highlight – Koffein und
­Zuckergehalt hin oder her.
Wenn Direktoren schnorren gehen
Auch vor Bildungseinrichtungen macht Werbung nicht halt. Der Staat wollte sparen, somit dürfen sich seit einer Gesetzesänderung
1997 auch Schulen nach Sponsoren und
Geldgebern umsehen, ausgenommen sind
sexistische, parteipolitische, Zigaretten- und
Alkoholwerbung. „Ich bin nicht persönlich
glücklich darüber, dass ‚schnorren‘ eine meiner Aufgaben ist, aber wir erhalten wenig
­öffentliche Gelder und nehmen daher vieles,
was uns Unternehmen bieten“, erklärt Hubert Kopeszki, Direktor des Goethe-Gymnasiums in Wien 14. Ob es die alljährlichen baren Zuwendungen einer Bawag sind, mit
deren Mitarbeitern Kopeszki „einen engen
Kontakt“ pflegt, Werbeflächen, die man
selbst vermietet, Materialspenden wie die
Computer der WU Wien, die den Schülern
in den Computerecken zur Verfügung stehen,
oder coffee2watch-Automaten. Bei letzteren
können Schüler, während der K
­ affee in den
Werbesujet der Fastfoodkette mit einem
Als Agentur sollte man sich immer fragen,
Gymnasium mit sportlichem Schwerpunkt
­wohin die Reise geht, ob Produkt oder
verträgt? „Wir erhalten Geld, Preise, GutDienstleistung in das Schulumfeld passen.
scheine von McDonald’s, solange eine Natio- „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass
nalmannschaft mit diesem Sponsor zurechtdie Wirtschaft im Bereich Schule unreflekkommt, passt das auch für uns“, gibt sich
tiert agiert, die Sensibilität ist sehr hoch“,
Kopeszki pragmatisch. Genau dieses Plakat,
gibt Siegl Einblick. In den letzten Jahren
an dem sie täglich vorbeifährt, erwähnt Kon- kommen außerdem 40 Prozent der Werbunsumentenschützerin Docekal im Gespräch
gen aus dem öffentlichen Bereich und vom
(sie nannte den Bezirk, nicht den SchulnaBildungssektor – Fachhochschulen, Unis
men): „Das ist einfach völlig unpassend.“
oder technische Schulen sind selbst aktiv.
Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und
Unaufgeforderte Werbesendungen
Schulen in Projekten fördere den RealitätsGabriela Malin, Direktorin der Neulandbezug. So startete die RechtsanwaltskamVolksschule, klagt ihr Leid: „Erst kürzlich
mer Steiermark kürzlich ein Projekt für
schickte eine Wiener Versicherung unaufge- Oberstufen, in dem das Thema Jugend und
fordert kleine Papierkoffer voll mit WerbeRecht im Mittelpunkt stand, unter dem Motmaterialien, Gutscheinen, CDs mit Spielen
to „Recht ist nicht trocken, sondern begegund dergleichen. Das ist für uns nicht zu
net mir überall“. Für die Jüngeren, die auch
gebrauchen. Dann muss man sich auch
weniger ­bewusst mit Werbung umgehen
noch um die Entsorgung kümmern, eine
können, fänden weniger Aktionen statt: „Da
Frechheit. Einzig die Bleistifte haben wir be- gibt es einen ­Whiskas-Malwettbewerb, bei
halten.“ Die Lehrerin einer anderen dem Materialien für Themenunterricht zur
Schule fand die Köfferchen wieder- Verfügung gestellt werden“, erzählt Siegl.
um lieb, aber das Problem war,
YEM engagiert sich darüber hinaus in der
dass zu wenige Koffer gesendet
Bildung. Mittels einer Software, die an einiwurden, um die ersten Klassen zu
ge Schulen im Testlauf vermietet wurde,
bestücken, also musste man mühsollen Schülerzeitungen wiederbelebt wersam nachtelefonieren. „Die Kinder freuen
den: „Das ist eines der ersten unternehmeriBecher läuft, auf einem kleinen Bildschirm
sich über diese Dinge, aber dann flattern
schen Projekte junger Menschen, das ist
Werbefilme mitverfolgen. Vom Ministerium
die Zettel doch wieder durch die Schule“,
uns ein Anliegen“, völlig werbefrei, versteht
genehmigte, wie Kopeszki betont, aber auch
so Malin. Sinn mache im Grunde nur bares
sich, außer, die Kids finden selbst SponsoEigeninformation wie jene für den Schulball
Geld oder wenn nachgefragt wird, was fehlt. ren für ihr Heft.
kann hier abgespielt werden. Mit Werbung
„Das ist leider zurückgegangen in den letzEinen weiteren Punkt merkt Psychologe
seien die Schüler ohnehin überall konfrontiert, das sei die Realität. Einen gut fünfstelli- ten Jahren.“ Als pädagogisch wertvoll emp- Arnd Florack an: „Kinder sollten viel früher
findet Malin hingegen zum Beispiel den
im Umgang mit Werbung geschult werden
gen Betrag erwirtschaftet die Schule jährlich
Bosch-Kalender, der Berufe „großartig aufund Medienkompetenz erwerben. Eine kritimittels Werbung und Sponsoring. Alles ist
bereitet“: „So was findet dann bisweilen
sche Auseinandersetzung mit dem Thema
aber nicht gestattet: „Einen großflächigen
auch Eingang in den Unterricht.“ Die Mittei- muss gefördert werden.“ Das Dilemma wird
TV-Werbescreen, genehmigt vom Ministerilungshefte von Young Enterprises Media
dennoch deutlich: Im Spannungsfeld zwium, lehnte ich ab. Die Kinder sollen so
schen fehlenden Geldern an Schulen und
­wenig wie möglich belästigt werden“, so Ko- (YEM) dagegen lehnt Malin inzwischen ab,
„zuviel Werbung, zu unübersichtlich“.
Unternehmen, die Produkte in der jungen
peszki. Maturareiseanbieter und NachhilfeZielgruppe platzieren wollen, gibt es immer
institute kämen ebenfalls nicht ins Haus:
„Wirtschaft ist nicht nur böse“
mehr Manövriermasse. Hier sollte deshalb
„Da haben wir schlechte Erfahrungen: Das
Grundsätzlich arbeiten Schulen aber gerne
mit Bedacht vorgegangen werden, meinen
sind oft beinharte Keiler, die schmuggeln
mit dem Kinder- und JugendmarketingspePsychologen. Oft wird die Forderung nach
sich teilweise gezielt an Elternsprechtagen
zialisten, denn es gibt eine Vertrauensbasis.
zumindest ethisch-sozial nachhaltig vertretins Haus“, erzählt der Schulleiter. Wirklich
„Wir fragen bei allen Aktionen nach, auch
baren Produkten laut, sprich: umweltschounter Kritik steht nur eine Sache: das
unsere Plakatsujets schicken wir immer
nend und ohne Kinderarbeit produziert,
McDonald’s-­Plakat im Turnsaal. Ob sich das
­vorab. Die Schule entscheidet“, so YEM-­
oder Werbung für Biomärkte statt internatiGeschäftsführer Stefan Siegl. Wenig werde
onale Konzerne. Doch bei allem Engageabgelehnt, Schulen, die keine Werbung
ment scheitern diese Dinge meist an einer
wünschen, stehen auf einer „Blacklist“.
Frage: „Wer zahlt mehr?“
„Kinder im Werbes(r)egen –
wo ist die Grenze erreicht?“
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