Kochen Infos

Transcrição

Kochen Infos
In aller Munde
Walter Leimgruber
Banal und alltäglich: Ein kulturwissenschaftlicher Blick auf das Essen.
Vielfalt der Nahrungsmittel:
Wurstangebot im Baltikum
(Bild: Sebastian Olloz).
Alle reden vom Essen. Die einen liefern bedenkliche Zahlen
zur Fehlernährung, die andern zu ökologischen Risiken der
Nahrungsproduktion, die dritten weisen besorgt darauf hin,
dass in immer weniger Familien regelmässig, in manchen
überhaupt nicht mehr gekocht wird und die Hälfte aller
Familien nur noch eine Mahlzeit pro Woche gemeinsam
einnimmt. Jedes Medium, das etwas auf sich hält, berichtet
ausführlich über kulinarische Trends. Gastrokritiker und
Köche werden zu Stars aufgebaut, in den Buchhandlungen
stapeln sich reich bebilderte und edel ausgestattete
Kochbücher (wo stellt man die beim Kochen hin?).
Auswahl, Zubereitung und Aufnahme von Nahrungsmitteln werden von der Kultur einer
Gesellschaft, ihren Normen und Konventionen definiert. Die Unterscheidung zwischen EndoKüche und Exo-Küche gehört zu den kulturwissenschaftlichen Strukturierungsversuchen. Mit
ihr bezeichnete der Ethnologe Claude Lévi-Strauss zwei zentrale Formen des Kochens: Unter
Endo-Küche verstand er jene Ernährungsweise, die für den intimen Gebrauch einer kleinen
Gruppe, z.B. der Familie, bestimmt ist, während die Exo-Küche den öffentlichen Bereich,
Gäste und Feste abdeckt. „Endo“ und „exo“ lassen sich heute in einem erweiterten Sinn für
die sich anscheinend widersprechenden Tendenzen der Esskultur verwenden, die an fünf
Begriffspaaren kurz dargestellt werden sollen.
Arbeit – Freizeit
Gastrokritiker beklagen nicht nur den Zerfall der Esskultur, sondern deuten diesen als
Anzeichen eines gesellschaftlichen Niedergangs. Diesen kulturpessimistischen
Kassandrarufen zum Trotz erleben wir primär eine Umlagerung. Mit dem Wandel der
traditionellen Geschlechterrollen und Arbeitsteilung und der steigenden beruflichen Belastung
ist das Kochen für viele Familien zu einer zusätzlichen Arbeit geworden. Neben allen anderen
Pflichten auch noch ausgiebig, möglichst mit vollwertigen, marktfrischen Produkten zu
kochen, dafür fehlen häufig Zeit und Kraft.
Ganz anders bei Singles, am Wochenende oder in den Ferien. Wer nicht von
Reproduktionsaufgaben geplagt wird, für den kann Kochen ein Mittel der Entspannung, der
Selbstverwirklichung und der Kreativität werden. Die Essensproduktion verlagert sich von
einer notwendigen Aufgabe in die Nice-to-have-Abteilung der Freizeit. Zu beobachten ist
damit eine Verschiebung vom Selbstverständlichen zum ästhetischen Erlebnis im Alltag; eine
Verschiebung, die für unsere Gesellschaft nicht untypisch ist.
Global – regional
Braucht es ein abschreckendes Beispiel, um die Folgen der globalen Unkultur anzuprangern,
steht McDonald’s bereit: Ökologisch katastrophal, ausbeuterisch gegenüber den Ländern der
Dritten Welt, miserable Arbeitsbedingungen und gesundheitspolitisch verheerend, lautet das
Verdikt. Beim Schimpfen vergisst man gerne, dass das Phänomen der weltweit verbreiteten
Ernährungstrends keineswegs neu ist. Gewürze werden seit dem Altertum in den jeweils
bekannten Regionen gehandelt. Im Zeitalter der Entdeckungen kommen Tomaten, Kartoffeln,
Bohnen, Mais, Reis, Kakao und Tee nach Europa und lösen enorme Umwälzungen bei den
Speisegewohnheiten aus. Man denke an die vielen Kartoffelgerichte in deutschen Landen, die
Rolle der Tomate in Italien und des Tees in England. All das wird heute als Teil einer
traditionell und regional verankerten Kultur verstanden.
Mit dem Kolonialismus erfolgt der Transfer zum Teil in die andere Richtung. Aborigines in
Australien löffeln Corned beef, die Einwohner Papua Neuguineas lieben Dosensardinen.
Männer verfallen dem Feuerwasser, und der Zucker ruiniert die Zähne aller. Überall werden
als Gegengewicht zu globalen Tendenzen regionale, „authentische“ Spezialitäten „entdeckt“.
Der heutigen Eintönigkeit wird die frühere Vielfalt entgegengesetzt. Dabei übersieht man,
dass die Mahlzeiten bis ins 20. Jahrhundert hinein in der Regel aus sehr einfachen Speisen,
häufig Brei- oder Eintopfgerichten, bestanden.
Das, was wir heute als Tradition sehen, ist ohne Industrialisierung und Modernisierung in
dieser Form nicht denkbar. Erst der rasche Wandel führt zu Vertrautheitsschwund,
Entfremdung und damit zur Sehnsucht nach Überschaubarkeit, Einfachheit und Stabilität.
Verlustgefühle werden kompensiert mit Flucht- und Sehnsuchtsbildern heiler Welten.
„Invention of tradition“ heisst dieser Vorgang, der sich gerade beim Essen häufig beobachten
lässt. Die als „regional typisch“ angebotenen Produkte werden dann – den Gesetzen der
Wirtschaft gehorchend – als globale Marken geschützt.
Vertraut – fremd
Das Berufen auf regionale Traditionen geht in seiner Bedeutung weit über das Essen hinaus:
„Man ist, was man isst.“ Es geht also um das Sein, um die Identität. Im Essen und Trinken
erkennen sich die Menschen als Gruppe. „Geschmack“ fängt im Gaumen an und weitet sich
aus auf den „guten Geschmack“, auf Normen und Werte einer Gesellschaft insgesamt. Nur die
eigene Kost hält gesund und schmeckt, davon sind die Menschen in vielen Kulturen
überzeugt. Das Ernährungsverhalten gehört daher zu den konservativen Eigenschaften der
Menschen. Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. Und man spottet über die
Ernährungsgewohnheiten der anderen. Deutsche werden als „Krauts“, Franzosen als „Frogs“,
Italiener als „Makkaronis“ und „Spaghettifresser“ bezeichnet. Wenn sich nun die
Gewohnheiten in wenigen Jahren massiv ändern, die Küchen anderer Länder und Kontinente
trendig werden, droht dann die Auflösung der eigenen Identität? Zumindest die Vertreter
multikultureller Theorien postulieren nicht das Ende des alten, sondern den Beginn eines
neuen, multikulturellen Selbstverständnisses. Beschreiben sie entsprechende Gesellschaften,
schwelgen sie in den von exotischen Restaurants und Ethnic Food Shops gebotenen
kulinarischen Genüssen. Das fröhlich-farbige Nebeneinander der Nahrungsmittel dient als
Beweis für das friedliche Miteinander der Kulturen. Hintergrund dieser Form von
multikulinarischer Ideologie ist oft eine Mischung aus modischem Lifestyle und zelebrierter
Toleranz. Kulturkontakt beschränkt sich dabei auf Angenehmes und Distinktionables und
wird primär von denen gepflegt, die sich alles Unangenehme vom Leib halten können. Die
Vorliebe für Exotisches wächst deshalb mit steigendem sozialem Status. Migrantinnen und
Migranten bedienen mit ihrem Angebot diese Sehnsüchte geschickt, suchen selbst aber das
Gegenteil von Exotik, nämlich eine funktionierende Versorgung mit Vertrautem.
Fast – slow
Schnell muss das Essen heute gehen, immer und überall, ob beim Business Lunch oder an der
Stehbude. Gastrojournalisten und Gesundheitsberaterinnen rufen deshalb besorgt zum
gemächlichen Genuss auf. Genuss ist offenbar das, wonach wir streben, und zugleich das
Problem. Manchmal scheint es, dass wir den Hamburger-Essern und Cola-Trinkern vor allem
ihre offensichtlich unbekümmerte Genussfähigkeit neiden:
„Ungesund.“
„Egal.“
„Ökologisch problematisch.“
„Du redest wie meine Eltern.“
„Miese Arbeitsbedingungen.“
„Haben wir die nicht alle?“
„Schmeckt grässlich.“
„Mhhmm??“
Einfach reinbeissen, sich um keine Konsequenzen scheren. Können wir das noch, würden wir
das nicht gerne können? Fast Food ist die konsequente Weiterentwicklung von
Ernährungsformen, die im Laufe der Industrialisierung begannen, als die Arbeitsrhythmen
schneller und die Essenszeiten knapper wurden. Maggi und ähnliche Zeit sparende Fabrikate
entstanden, die Urahnen des Fast Food.
Als Gegenbewegung versteht sich heute die Slow-Food-Bewegung, die sich auf regionale und
saisonale Produkte abstützt und alte Rezepte pflegt. Die Bewegung trägt aber dennoch die
Merkmale moderner Esskultur. Sie wird – obwohl stark in dem Land verankert, in dem die
Mamma und die Nonna Inbegriff des guten Essens sind – von Männern geprägt und zeigt
damit die Verlagerung in die Freizeit an, sie bedient sich – obwohl ihr Symbol eine Schnecke
ist – modernster Kommunikationsmittel, vor allem des Internets, und sie verlangt ein
persönliches Bekenntnis, ein Lifestyle-Credo.
Mann – Frau
Frau und Kochen gehören in vielen Kulturen eng zusammen. Bei den Cherokee-Indianern
bedeutet das Wort Frau: Eine, die kocht. Frauen sind beim Kochen für den profanen,
alltäglichen, den Endo-Bedarf zuständig. Die Männer hingegen kochen als Sakralakt, wenn
sie sich die Schürze als geweihten Ornat umbinden und als Hohepriester der Kennerschaft das
Grillopfer darbringen.
„Exo“ kann heute so weit gehen, dass man sich intensiv mit Kochen beschäftigt, ohne je zu
kochen: im Gespräch, am TV oder im Internet. Noch nie wurden Essen und Trinken so
ausgiebig debattiert. Ein Zeichen der Krise oder der Wichtigkeit? Unpopulär ist auf jeden Fall
die Endo-Essenszubereitung im Alltag. Die nach aussen gerichtete Exo-Küche, das
genussvolle Zelebrieren von Konsum, Freizeit und Lebensstil, erfreut sich hingegen grösserer
Beliebtheit denn je.
Prof. Walter Leimgruber ist Ordinarius am Seminar für Volkskunde/Europäische
Ethnologie der Universität Basel.
http://www.unibas.ch/index.cfm?uuid=CF558751C09F28B634C6491317DD7989&&IRACER_AUTOLIN
K&&
Österreich
Helden am Herd
Von Herbert Hacker | © DIE ZEIT, 01.11.2007 Nr. 45
Schlagworte:
Herd
Küche
Männer
Gesellschaft und soziales Leben
Wenn Männer in der Küche kulinarische Rituale zelebrieren, wollen sie vor allem eines:
Eindruck schinden und ihre Überlegenheit beweisen
Die sechs Herren mittleren Alters schleppen eine schwere Last: zehn Flaschen Riesling und
acht Flaschen alten Bordeaux, Körbe mit Steinpilzen, Schalotten und Kirschtomaten,
Einkaufstaschen voll mit französischen Wachteln und Barbarie-Entenbrüsten, Gläser, gefüllt
mit selbst geköcheltem Fischfond und confierten Gänseteilen. In einer blauen Kühltasche
dämmern sechs lebende Hummer, in einer weißen Styroporbox lagert auf gestoßenem Eis ein
Steinbutt (Wildfang natürlich), groß wie ein Flugsaurier und kostspielig wie ein kleiner
Diamant.
In der Küche werden die delikaten Trophäen herumgereicht und bewundert. Eine Flasche
Riesling wird entkorkt. Die Akteure, eine Runde von Wirtschaftskonsulenten,
Geschäftsmännern und Medienmenschen, binden sich jetzt Schürzen um, prosten einander zu
und suchen fieberhaft nach Messern, Kochlöffeln, Töpfen und Pfannen. In einer Stunde
müssen die ersten Gerichte der opulenten Speisefolge fertig sein. Um diese Zeit werden die
Gäste erwartet. Es sind Damen, die von den selbst ernannten Herdkünstlern zu einem
kulinarischen Happening geladen wurden.
Solche Treffen finden nicht nur in einer der Wohnungen dieser sechs Hobbyköche regelmäßig
statt. Das zum Ritual stilisierte Schaukochen ist ein neues Phänomen maskuliner
Selbstdarstellung. Im Herstellen von Fischterrinen und Schokoladesoufflés sehen dilettierende
Amateure eine willkommene Gelegenheit, sich vor Frauen in Szene zu setzen.
Wenn Männer in einen Kochrausch verfallen, dann wollen sie just in einem Metier
auftrumpfen, das sie noch vor Kurzem als urweibliche Knochenarbeit abgetan haben. Wo
moderne Frauen ihre Bestätigung in Karrieren möglichst weit entfernt von Küche und Herd
suchen, stoßen jetzt Männer nach. In ihrer Freizeit wollen sie mit artistischen
Kochkunststücken imponieren, sie buchen Kurse bei prominenten Spitzenköchen und stopfen
ihre Wandregale mit Kochbüchern voll. Vom Burnout zerrüttete Manager geben vor, beim
Zwiebelschneiden und Kartoffelschälen eine neue, innere Mitte gefunden zu haben. Einmal
vom Herdtrieb gepackt, schwadronieren Männer nicht mehr über Autos, Börsenkurse oder
Golfturniere, sondern schwärmen lieber von Küchenmessern aus Damast-Stahl, fachsimpeln
über seltene Perlhuhn-Züchtungen oder exotische Chili-Sorten.
Ein kultisches Mahl muss immer von Männern zubereitet werden
Meistgelesen
US-Wahl: Die Erde rutscht ... »
US-Wahlkampf: Was, wenn doch McCain gewinnt? »
international
US-Wahl: Die Erde rutscht ... »
US-Wahlkampf: Was, wenn doch McCain gewinnt? »
Bildergalerien
Finanzkrise: Wo ist das ganze Geld geblieben? »
Warum tun Männer das? Aus purer Genusssucht? Aus Langeweile? Ist die kulinarische
Männerbündelei nur eine kurzfristige Modeerscheinung? Und warum sammeln sich Männer
zu Selbsterfahrungsgruppen, in denen sie mit Hingabe eine nicht einmal sonderlich originelle
Tätigkeit zelebrieren?
Kochende Männer gieren nach Applaus. Sie wollen Eindruck schinden, einander mit
ausgefallenen Rezepturen übertrumpfen, wollen Kennerschaft und Geschmackssicherheit
beweisen.
Jahrzehntelang forderten emanzipierte Frauen von ihren Männern, dass sie zumindest die
Hälfte der Hausarbeit übernehmen sollten. Doch der Erfolg blieb weitgehend aus. Kochen
bloß als zweckorientierte Schufterei war Männern stets ein Gräuel und ist es bis heute
geblieben.
Wenn Männer eine Küchen in Beschlag nehmen, so tun sie dies mit heroischer Attitüde. Sie
haben das Kochen von den Niederungen des Selbstverständlichen in die Sphäre des
Ästhetischen erhoben. Ein perfider Schachzug. Denn Kochen als Notwendigkeit des Alltags
überlassen sie weiterhin der weiblichen Verantwortung.
Dieses Rollenspiel folgt allerdings archaischen Vorbilden. So entdeckte der Ethnologe Claude
Lévi-Strauss bei der Erforschung indogener Stämme am Amazonas, dass in vielen
Kulturkreisen schon sehr früh zwei Grundformen der Bewirtung entstanden sind: Die eine
nannte Lévi-Strauss die »Endo-Küche«, jene Ernährungsweise, die für den intimen Gebrauch
einer kleinen Gruppe, etwa der Familie, bestimmt ist. Diese Küche wurde stets von Frauen
verwaltet. Die sogenannte »Exo-Küche« hingegen deckte den öffentlichen Bereich ab – mit
Gästen, rauschenden Festen und kultischen Mahlzeiten. Sie diente der Demonstration des
gesellschaftlichen Status, richtete sich nach außen und war immer eine Männerdomäne.
So nimmt es nicht wunder, dass Männer auch jetzt, im Sog eines neuen
Feinschmeckerbewusstseins, die Küche als Bühne einer obsessiv ausgelebten
Selbstdarstellung benutzen. Es genügt ihnen nicht mehr, kenntnisreich auserlesene
Köstlichkeiten zu verschlingen, sie wollen selbst die Meisterwerke erschaffen. »Der
Esskünstler verhält sich zum Kochkünstler«, lehrte bereits vor 150 Jahren der Gastrosoph
Antonius Anthus (eigentlich ein oberfränkischer Stadtphysikus namens Gustav Blumröder),
»wie der Schauspieler zum dramatischen Dichter.« Daher beanspruchen Männer nun die
Szene. Ihre Menüs sollen großes Heldenschauspiel sein – und enden mitunter als
tragikomische Farce.
Kochende Männer erliegen dabei gerne einer Selbsttäuschung. Sie glauben, wenn sie so
braten und rühren, von Frauen als erotisch empfunden zu werden. Sie meinen, fast
zwangsläufig als feinfühlige und sensible Vertreter ihres Geschlechts zu erscheinen. Egal, ob
sie kurz zuvor noch mit kraftmeierndem Imponiergehabe zu beeindrucken versuchten.
Deshalb kochen Männer mit Vorliebe in Formation und vor Publikum. Kaum einer brutzelt
und schmort zu Hause einsam vor sich hin. Wer mit japanischen Küchenmessern und
elektrischem Stabmixer mehr oder weniger virtuos hantieren kann oder wie ein Tontechniker
die leuchtenden Knöpfe seines ultramodernen Induktionsherdes zu bedienen versteht, wer
schwungvoll einen mit Trüffel gespickten Kapaun in ein Niedergarrohr befördert kann, der
will dabei gesehen werden und im Mittelpunkt stehen.
Darauf hat sich bereits eine ganze Industrie eingestellt. Die Zeiten kümmerlicher Kochnischen
mit Mikrowelle sind längst vorbei. Wer es sich leisten kann, lässt sich eine Küche mit zentral
positioniertem Designerblock und integriertem Hightechherd zimmern. Gleich daneben der
Esstisch für mindestens zwölf Personen, wo die Gäste offenen Mundes die zirkusreifen
Darbietungen des Hausherrn und seiner Gefolgsmänner aus nächster Nähe bestaunen können.
Die Küche, vorwiegend in Single-Haushalten, ist zum wichtigsten Raum des trauten Heims
geworden. In der Mitte thront der Herd, einem Altar gleich, wo Männer das Kochen wie einen
sakralen Akt zelebrieren und als Hohepriester der Feinschmeckersekte das Opferlamm in das
Backrohr schieben – mit umgebundener Schürze als geweihtem Ornat.
Dass Männer bei allem, was sie tun, nicht selten einen Bierernst am Rande der Lächerlichkeit
entwickeln, ist so alt wie die Menschheit selbst. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu
bezeichnete dieses Phänomen als typisch »männlichen Habitus«: ein von Männern
konstruiertes und über Generationen weitergegebenes Rivalitätsverhalten, um in den »ernsten
Spielen des Wettbewerbs« bestehen zu können. Solche Wettkämpfe werden immer nur unter
Männern ausgetragen. Weiblichkeit ist lediglich der »Spieleinsatz«, Frauen sind lediglich
Zuschauerinnen oder »schmeichelnde Spiegel«, wie die viktorianische Feministin Virginia
Woolf die Nebenrolle ihres Geschlechts nannte.
Nach Autorennen, Extrembergsteigen und Bungee-Jumping ist nun das Kochen die neue
Disziplin im Männerspiel um Dominanz. Männer des 21. Jahrhunderts müssen nicht mehr die
Welt umsegeln, heroische Taten vollbringen oder kluge Bücher schreiben. Um einigermaßen
zu beeindrucken, genügt es inzwischen, zwei geschälte Bratäpfel zu flambieren.
Dass Männer neuerdings auch anhand von Kochrezepten ihre Männlichkeit trainieren können,
ist auch die Folge eines in den letzten Jahren stetig gewachsenen Hedonismusgefühls, das von
TV-Anstalten und Verlagskonzernen unermüdlich am Köcheln gehalten wird. Kochshows im
Fernsehen boomen – etwa die kulinarischen Gladiatorenkämpfe von Kochen bei Kerner im
deutschen ZDF, wo ein Männerquartett auch eine Alibiköchin mitspielen lässt. Laufend
erscheinen neue Kochbücher, einige, wie etwa jene des Briten Jamie Oliver, einer Art Robin
Hood im weltweiten Kochzirkus, rangieren in den internationalen Bestsellerlisten ganz oben.
Wie kaum ein anderer stellt der geschwätzige Küchenstar auch in seinen Kochsendungen
immer wieder eindrucksvoll unter Beweis, wie leicht es ist, seine Gäste selbst mit relativ
simplen Tätigkeiten wie etwa dem Hacken von Petersilie, in Staunen zu versetzen – bloß weil
das einer tut, den man eher in einer Jugendbande vermutet hätte. So müssen nun Frauen
zähneknirschend mit ansehen, wie eine zuvor von Männern als niedrige Dienstbotenarbeit
verschmähte Aufgabe zu einer kunstvollen Selbstdarstellung hochstilisiert wurde.
Heroische Küchentaten sollen die maskuline Hegemonie sichern
Ist die Rückeroberung der Herdplatten gar eine neue, bislang unbekannte Ausdrucksform des
Geschlechterkampfes? »Die Macht der männlichen Ordnung zeigt sich in dem Umstand, dass
sie der Rechtfertigung nicht bedarf«, schrieb Bourdieu über die »maskuline Hegemonie«.
Durch diesen Mechanismus der Selbstverständlichkeit, so der französische Soziologe, habe
sich die Vorherrschaft des Patriarchats im größten Teil der Welt so lange halten können.
Männer tun also, was die Gesellschaft als weitgehend »natürlich« empfindet, jede neue
Generation wird in diesem Geiste von klein auf sozialisiert. Wenn sie sich nun als Helden am
Herd inszenieren, also ihr Überlegenheitsschauspiel in der Domäne weiblicher Häuslichkeit
abziehen, könnte dies vor allem dem Zweck dienen, ihre dominante Rolle abzusichern, die in
vielen anderen Bereichen immer mehr infrage gestellt wird.
Doch was kommt als Nächstes? Schlagen die Frauen zurück? Ringen sie den Männern das
mühsam erkämpfte Monopol des kulinarischen Expertentums wieder ab? Die ersten
Anzeichen lassen diesen Schluss durchaus zu. Weinseminare für Frauen liegen plötzlich stark
im Trend. Inzwischen werden Kochkurse für Fortgeschrittene auch vermehrt von
karrierebewussten Frauen aufgesucht, die auf wundersame Weise dabei das Kochen als
lustvollen Freizeitspaß neu entdecken. Dort stoßen sie dann auf Männer, die nur aus einem
einzigen Grund gekommen sind: um Frauen zu beeindrucken.
Der Autor hat gemeinsan mit Walter Osztovics das Männerkochbuch »Helden am Herd« (mit
Fotos von David Ruehm; Österreichischer Agrarverlag, Wien 2007; 128 S., 39,90 €) verfasst
Dieser Artikel wurde für die wöchentliche Österreich-Ausgabe der ZEIT geschrieben
http://www.zeit.de/2007/45/Helden-am-Herd?page=all
Konsum und regionale Identität in Sachsen 1880-2000: Die ... - Google BuchsucheErgebnisseite
von Manuel Schramm - 2002 - Regionalism - 329 Seiten
In allen drei Fällen sollen sowohl die Exo-Küche als auch die Endo-Küche, also sowohl der private als auch der
öffentliche Konsum betrachtet werden. ...
books.google.de/books?isbn=3515081690...
Ernährung- Körper- Geschlecht - Google Buchsuche-Ergebnisseite
von Monika Setzwein - 2004 - 411 Seiten
Aus der Einteilung in Endo- und Exo-Küche schließt Levi-Strauss weiter auf eine Parallele zu den sozialen Orten
des weiblichen („innen") und des männlichen ...
books.google.de/books?isbn=381004122X...