Otto denkt an Elvira

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Otto denkt an Elvira
Otto denkt an Elvira
Ich habe unseren alten Briefkasten durch einen Container ersetzt und fahre die tägliche Post mit der Schubkarre ab. Dabei
kam mir neulich ein höchst sonderbarer Brief in die Finger. Die
linke Seite des Umschlags zierten zwei hübsche Miezen, und
daneben stand in auffälliger Schrift: Aufgepasst, Otto sucht 'ne
neue Partnerin ... und denkt dabei an Sie! Dann folgte die Adresse: Frau Elvira Schmidtke, Holunderweg sieben.
Ich dachte, mich beißt ein Floh.
„Elvira!", rief ich lauernd und nicht ohne Schärfe. „Elvira!"
Meine Frau stellte den lärmenden Staubsauger ab.
„Sieh dir das an - da platzt mir aber doch die Hutschnur! Wie
kommt dieser Mensch gerade auf dich?"
„Weiß nicht", beteuerte sie unschuldigen Blickes.
„Da muss doch mal was gewesen sein, wie kann er sonst
plötzlich an dich denken?"
Elvira schickte sich an, den Brief zu öffnen. Sie las und sagte:
„Ich weiß gar nicht, was du hast - das ist doch nichts Schlimmes!“
„Nichts Schlimmes?", erregte ich mich. „Hast du nicht gesehen, wo der Brief herkommt?"
Elvira sah auf den Poststempel. „Aus Hamburg!", sagte sie.
„Und das soll nicht schlimm sein?", entsetzte ich mich. „Hamburg ist ein Sündenbabel! So hat es doch schon oft angefangen - und am Ende stand immer die Herbertstraße.“
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„Aber Kurt, das hier ist harmlos", flötete sie. „Ich soll für den
Otto-Versand Bestellungen sammeln. Wir sehen uns gemeinsam den Katalog an, und was unsere Freunde oder Bekannten haben wollen, schreibe ich auf ...“
„Ach - und wo?"
„Na hier, wir haben doch genug Platz!"
„Du machst unser trautes Heim zu einem Öffentlichen Haus?
Können wir wenigstens die Miete von der Steuer absetzen?"
„Ich werde mit fünf Prozent am Umsatz beteiligt!", sagte Elvira
stolz.
„Fünf Prozent? Ich lach mich kaputt! Wer sind wir denn? Fiftyfifty, oder hier läuft überhaupt nichts!"
Mit diesem Machtwort hätte die Angelegenheit eigentlich erledigt sein können, wenn nicht, ich sage es ungern, unser Oberpostzusteller Schnellmüller solch eine Tratsche wäre. Zum
Durchlesen kleingeschriebener Texte kommt er ja nicht mehr
bei der Flut dieser Tage, doch das öffentliche Ärgernis auf
dem Umschlag würde ihm wohl nicht entgangen sein. Kein
Wunder, dass mich die Geschichte noch bis tief in den Schlaf
verfolgte.
Gesprächsfetzen flogen durch mein Hirn wie Wolken vor dem
Frühlingsgewitter ... Warum sucht er eine neue Partnerin?,
fragte die Nachbarin. Hat er sich von der alten scheiden lassen? Und wieso ausgerechnet die Schmidtke? In der Kaufhalle ging es weiter: Der Otto hat sich scheiden lassen und macht
sich an die Schmidtke ran ... sie soll seine Partnerin werden!
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Später bei der Frisöse hieß es: Haben Sie schon von der Frau
Schmidtke gehört? Sie setzt ihrem Mann Hörner auf ... ja!!! Mit
dem Otto!!! Welcher Otto? Na, der Otto Waalkes bestimmt oder denken Sie vielleicht an Graf Lambsdorf?
Anderntags barg ich aus dem Container einen blütenweißen
Briefumschlag, an mich adressiert, aber ohne jegliche anzügliche Bemerkung. Nicht mal ein Absender war angegeben.
Neugierig öffnete ich und fand einen Katalog von Beate Uhse.
Die Fülle nackter Tatsachen war überwältigend. Frau Uhse
legte ein sehr vielseitige Angebot vor. Sie bietet Textilien an,
die, das muss man einschränkend sagen, für kalte Tage völlig
untauglich sind. Sie empfiehlt Mittel für die ´Letzte Hilfe´ - in
dem Bemühen, auch den Schwachen aufzurichten -, und sie
gibt interessante Anregungen für Stellungsuchende. Spezialität des Hauses aber ist das breite Sortiment von Geräten, mit
denen die emanzipierte Frau auch ohne männliche Hilfe jederzeit zu befriedigenden Ergebnissen gelangen kann.
Ich wurde nicht, wie Elvira, gebeten, in unserem Bekanntenkreis Bestellungen zu sammeln, obwohl die Aufgabe durchaus
reizvoll hätte sein können. Theoretisch spielte ich einige Varianten durch und stellte sehr bald fest, dass mir Detailkenntnisse fehlten. Ich würde Hausbesuche machen und maßnehmen
müssen ...
„Kurt, wo bleibst du, der Kaffee wird kalt!", rief meine Frau. Ich
verschloss den Katalog im Sicherheitsfach. Otto denkt an Elvira? Lass ihn doch. An mich denkt Beate!
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Moulin Rouge für eine Mark
„Endlich könnten wir reisen, wohin wir wollen", sagte Elvira
einen Tages, „doch was ist: wir klucken immer noch in unserem Nest, wie eh und je! Onkel Eduard und Tante Liesbeth
sind schon wieder nach Machorka geflogen ...“
„Mallorca heißt das“, belehrte ich sie nachsichtig, „aber mit
solchem Kleinkram wollen wir mal lieber gar nicht erst anfangen. Dann kannst du auch gleich nach Klein Ziescht bei Zossen fahren und Urlaub auf dem Bauernhof machen. Für uns
kommt nur eine Weltreise in Frage!"
„Weltreise, ja, so siehst du gerade aus!", spöttelte Elvira. Aber
dann staunte sie nicht schlecht. Eine führende Versicherungsgesellschaft hatte tatsächlich als ersten Preis eine dreißigtägige Weltreise springen lassen. Ich brauchte nur anzukreuzen,
wie vorteilhaft diese Versicherung ist. Die Reise war so gut wie
gebongt.
„Ach ja, eine Weltreise!“, seufzte meine Frau selig.
Am Abend kramten wir unseren Atlas hervor. Mein Gott wie
groß war doch die Welt - und nun lag sie uns gewissermaßen
zu Füßen. Am Tag darauf begann Elvira, die Koffer zu packen.
Während wir noch voller Ungeduld auf die Auslosung warteten, erhielten wir die Werbeschrift eines bekannten Musikverlages, der uns als Hauptpreis eine 14-tägige USA-Traumreise
offerierte. Ich sollte lediglich angeben, was mir an den Rockmusikplatten des Verlagen so gut gefiel. Das war wirklich ein
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Kinderspiel, obwohl ... nun ja, um die Wahrheit zu sagen, ich
halte mir immer die Ohren zu bei Rock, doch das wollte ich
den Leuten natürlich nicht auf die Nase binden. Elvira hatte
zunächst Bedenken, dass sich die USA-Reise mit der Weltreise überschneiden könnte, doch wir waren bereit, dieses Risiko
auf uns zu nehmen.
Als uns dann aber einen schönen Tages eine bekannte Zigarettenfirma 14 Tage Marokko anbot, wurde die Sache kriminell. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, mich auch
an diesem Quiz zu beteiligen, obwohl hier eine persönliche
Entscheidung gefordert war, die mich große Überwindung kostete. Ich musste freimütig bekennen, dass ich, falls ich in der
marokkanischen Wüste plötzlich einen Zigarettenladen sähe,
spornstreichs hineinginge, um mir eine Schachtel Zigaretten
eben dieser Firma zu kaufen.
Elvira war verständlicherweise entsetzt.
„Du hast nie geraucht in deinem Leben, wieso willst du jetzt
unbedingt Zigaretten kaufen?“, fragte sie fassungslos. Mit Hilfe
verlockender Bilder aus diesem schönen Land erreichte ich
schließlich, dass sie mein Vorhaben guthieß, ja mehr noch: sie
war schon bald von dem heißen Wunsch beseelt, mal nach
Herzenslust auf dem Markt von Marrakesch shoppen zu gehen. Da Marokko für uns unverzichtbar war, arbeitete ich zielstrebig an der Vergrößerung unserer Chancen, indem ich weitere 47 Illustrierten aufkaufte, die in ihnen enthaltenen Coupons ausfüllte und einschickte. Von nichts kommt nichts!
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