Als Josephine Baker kam er durchs Dritte Reich

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Als Josephine Baker kam er durchs Dritte Reich
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27.04.12 12:12
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Die Welt
14.01.12
Auf den Punkt
Als Josephine Baker kam er durchs Dritte Reich
Von Dirk Naguschewski
Am 3. August 2011 starb im Alter von 98 Jahren Rudolf Brazda, der letzte homosexuelle
Überlebende eines NS-Konzentrationslagers. Zum Glück gibt es ein Buch, das seine
Lebensgeschichte bewahrt, die zwar von vielerlei Unrecht geprägt wurde, aber doch auch
vom gesellschaftlichen Fortschritt in Europa zu mehr Liberalität und Toleranz zeugt.
Dem Soziologen Alexander Zinn gelingt es, das Leben dieses Mannes wie einen Roman zu
erzählen. Die darin enthaltenen Fotografien zeigen noch im Alter einen kleinen,
schmächtigen Mann, der stets offen und gutgelaunt in die Kamera blickte. Weitab vom
weltoffenen Berlin der 1920er Jahre, im Altenburger Land, hatte der junge Rudolf schon früh
sein erotisches Interesse für Männer entdeckt, zog er im Kreis seiner Freunde ein JosephineBaker-Kostüm an und schwang die Hüften. Seine Geschichte widerlegt an dieser Stelle die
Klischees von der homophoben Provinz: Seine Mutter unterstützt ihren Sohn ebenso wie
eine Zeugin Jehovas, bei der Rudolf und sein erster Freund schließlich wohnen können.
1937 aber gerät Brazda zum ersten Mal ins Fadenkreuz der Behörden und kommt ins
Gefängnis.
Wieder auf freiem Fuß, wird Brazda des Landes verwiesen. In Karlsbad beginnt er ein neues
Leben. Doch das Dritte Reich schlägt nach der Annexion der Tschechoslowakei auch hier zu.
Brazda wird in das Konzentrationslager Buchenwald verbracht. Dass er dieses als RosaWinkel-Häftling überlebt, dürfte vor allem mit seiner Anpassungsfähigkeit zu tun haben. Er ist
einerseits handwerklich begabt, hat aber auch das Talent, in verschiedene soziale Rollen zu
schlüpfen. War ihm in jungen Jahren das Tragen von Frauenkleidern ein Spiel, profitiert er im
Lager von dem sexuellen Interesse der in der Lagerhierarchie höher stehenden
Funktionshäftlinge. Die sorgen unter anderem dafür, dass Brazda nicht in den Steinbruch
geschickt wird, den kaum einer überlebt hat. So erlebt er schließlich die Befreiung des
Lagers durch die Amerikaner. Er ist frei und gemeinsam mit seinem Freund zieht er in
dessen Heimat Elsass-Lothringen.
Erschreckenderweise bedeutet aber auch das noch kein Happy End. Denn die prüde
Bundesrepublik hält an dem anti-schwulen, von den Nazis verschärften Paragrafen 175 fest.
Ein Skandal erster Güte: Entschädigung wurde Brazda verweigert, da er mittlerweile
französischer Staatsbürger war. Mehr als 50 Jahre hat er schließlich in Frankreich mit
seinem Freund zusammengelebt. Noch im vergangenen Jahr erhielt er aus der Hand des
französischen Staatspräsidenten den Orden der Ehrenlegion.
Alexander Zinn - ein Novum in der Biografik von homosexuellen KZ-Überlebenden - nutzt für
seine Darstellung zweierlei Zeugnisse. Zum einen hat er über 40 Stunden Interview-Material
mit Brazda gesammelt und die Zitate daraus vermitteln dank der anrührend altmodischen
Sprache ein lebendiges Bild des hochbetagten Mannes. Zum anderen haben die
Gerichtsakten die Zeit überstanden. So ließen sich unscharfe Erinnerungen mit Hilfe der
Archivfunde korrigieren, umgekehrt halfen die Hinweise aus den Dokumenten dem
Gedächtnis des alten Mannes auf die Sprünge. Zinn wiederum vermittelt zwischen den
emotional aufgeladenen Erinnerungen und der Sprache der Akten klar und nüchtern. So stellt
er fest: bis heute "werden Rosa-Winkel-Häftlinge nicht als NS-Verfolgte im Sinne des
Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung
anerkannt". Wie schön, dass Brazda wenigstens die Veröffentlichung dieses Buches noch als
symbolische Wiedergutmachung erlebte.
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Alexander Zinn: "Das Glück kam immer zu mir". Rudolf Brazda - Das Überleben eines
Homosexuellen im Dritten Reich. Campus, Frankfurt/M. 322 S., 24,90 Euro.
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