Abgefackelt. Aufgehängt. Ausgelttscht.

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Abgefackelt. Aufgehängt. Ausgelttscht.
Abgefackelt. Aufgehängt. Ausgelttscht.
Das große NSU-Zeugensterben: Schon jetzt gibt es sechs angebliche
Selbstmorde - die zwei Hauptverdächtigen Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt, der aussagewillige Florian Heilig und drei hohe Polizeibe­
amte aus Thüringen.
_________________________
””
Polizeichef Menzel
spricht von einer
unbekannten Frau,
die vor dem 5elbstmDrd von Böhn­
hardt und Mundlos
gesehen wurde.
Seit über zwei Jahren beschäftigt die grausige
Mordserie, die m it dem Nationalsozialistischen
Untergrund verknüpft ist, die Öffentlichkeit. Im W e­
sentlichen gibt es dazu zwei Theorien: Die vorherr­
schende sieht die Schuld bei den drei Mitgliedern
des NSU - Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe
Mundlos, mit weiteren Unterstützern aus der rechten
Szene. Die kritische Lesart w eist über das Trio und die
rechtsradikale Szene hinaus und nimmt ein Staats­
oder Geheimdienstkomplott an. In dieser Perspektive
sind die drei eher Werkzeuge, Bauernopfer oder sogar
Sündenböcke für andere Kreise.
Ein genaueres Bild würde man erst bekommen,
wenn auch Zeugen zu W ort kämen, die andere Ge­
schichten als die offizielle erzählen könnten. Doch
vermutlich werden w ir diese andere Version der
Ereignisse niemals hören, w eil diejenigen, die sie
aus eigenem Erfahren berichten könnten, nicht mehr
sprechen können: nicht die angeblichen NSU-Gründer Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos; nicht Florian
Heilig, der statt m it dem NSU mit einer anderen Un­
tergrundstruktur böse Bekanntschaft machen musste;
nicht Achim Koch und seine M itstreiter beim LKA Thü­
ringen, die dem Terror auf der Spur waren, noch bevor
der erste Mord passiert ist. Sie alle können nicht
mehr aussagen, w eil sie to t sind. Selbstmord - oder
erselbstmordet? Eine Häufung von Zufällen - oder
geplante Zeugenbeseitigung?
Eisenach, 4, November 2011
An diesem Tag wurden die beiden angeblichen
Haupttäter des NSU, Uwe Böhnhardt und Uwe Mund­
los, erschossen in einem Wohnmobil in Stregda,
einem Ortsteil von Eisenach, aufgefunden. Michael
Menzel, Chef der Polizeidirektion Gotha, leitete den
Einsatz am Tatort. W ie konnte es sein, dass er sich
nach eigenen Angaben schon am gleichen Abend
die Vermisstenakte von Uwe Mundlos kommen ließ
- obwohl zu diesem Zeitpunkt die Leichen noch nicht
identifiziert waren? W oher wusste er, w er da mit zer­
fetztem Schädel aufgefunden worden war? Gehörte
er zu den Leuten, die seit dem Abtauchen der beiden
Uwes und ihrer Freundin Beate Zschäpe im Jahr 1998
immer über deren Aufenthaltsort Bescheid wussten
- und erklärt sich so die schnelle Identifizierung der
Leichen?
Die Widersprüche in der Selbstmordthese sind
jedenfalls gravierend. Die verwendete W affe, eine
Pumpgun vom Typ Winchester, sowie die aufgefunde­
nen Patronenhülsen sprechen gegen Suizid—siehe das
In diesem A uto verbrannte Florian H eilig am 16. Septem ber 2013.
Die Polizei spricht von Selbstmord, le g t aber die krim inaltechni­
sche Untersuchung nicht offen. Foto: 7aktuell.de, Oskar Eyb
Interview mit dem Waffenexperten Siegmund M ittag
auf den folgenden Seiten dieser COMPACT-Ausgabe.
Die meisten Widersprüche würden sich auflösen,
wenn man nicht von zweifachem Selbstmord aus­
ginge, sondern von zweifachem Mord, begangen von
einer dritten Person im Caravan. Menzel bestritt dies
bei seinem A u ftritt im Münchner NSU-Prozess im No­
vember 2013 vehement. Dagegen steht seine eigene
Angabe, wonach Zeugen am Vormittag des 4. Novem-
Nach dem 5turz von Verfassungs­
schutz-Chef Rüewer wurden alle
Quellen im rechten Milieu abge­
schaltet, Stattdessen wurde die
linke Szene observiert.
ber 2011 eine Frau am Wohnmobil gesehen hatten.
Tatsächlich gab es Berichte über eine Nummer 3 am
Tatort bereits wenige Tage nach dem Tod der beiden
Uwes. Die Bild-Zeitung schrieb am 7. November 2011 :
«Zeugen wollen einen dritten Mann gesehen haben,
der aus dem Fahrzeug flüchtete.» Wenige Tage später
hieß es selbst aus Polizeikreisen: «Einem Ermittler
zufolge deutet die Spurenlage in dem Wohnmobil, in
dem die Leichen der beiden gefunden wurden, nicht
unbedingt auf einen gemeinsamen Suizid hin.» (spiegel.de, 12.11.2011) Auch im Bundestag wurde diese
Spur debattiert (siehe Infokasten Seite 27).
Thüringen, ab Frühsommer 2000
Während die genannten Todesfälle zumindest der
interessierten Öffentlichkeit schon bekannt waren,
ist das mysteriöse Ableben einiger w ichtiger mit dem
NSU befasster Polizeioffiziere bisher nicht öffentlich
diskutiert worden. Der Focus schrieb diesbezüglich
über eine «erschreckende Häufung von Polizisten-Selbstmorden» in Thüringen - freilich ohne einen
politischen Zusammenhang herzustellen. So sollen
im August 2001 innerhalb von vier Tagen gleich zwei
Spitzenbeamte Suizid begangen haben:
■ Kriminalkommissar Erwin Friese leitete die Abhörtechnik des LKA und w ar in dieser Funktion mit
der Telefonüberwachung auch der rechtsradikalen
Szene betraut. Er wurde erschossen in der Toilette
seiner Behörde aufgefunden.
■ Achim Koch w ar Leiter der Einsatzgruppe ZEX ge­
wesen, die gegen Rechts ermittelte. Er hängte sich
im Keller seines Hauses auf, an einer Hundeleine.
«Für mein Dafürhalten ist das aufgrund der Tatsa­
che, dass er in dieser besonderen Position war,
Leiter dieser EG ZEX, (...) irgendwie ein Zeichen,
was dieser Mensch setzt», sagte sein LKA-Kollege
Mario Melzer vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss. Kochs Abschiedsbrief wurde
unter Verschluss genommen. Auch der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages bekam ihn
nicht zu sehen.
Uwe Mundlos. Foto: BKA
Zeugen weiter
gefährdet
Der Leiter der Zielfahndung des
Thüringer LKA, Jürgen ihling, sei
zu dem Vater von Uwe M und­
los gegangen und habe gesagt:
«W ir wissen sowieso, dass Ihr
Sohn fü r den Verfassungsschutz
arbeitet.» (Ihlings M itarbeiter
M ario M elzer vor dem thüringi­
schen NSU-Untersuchungsausschuss, 12.11.2012)
Melzer erklärte mehrfach, dass
er nach dem Auffliegen des
NSU-Trios im November 2011
innerhalb der Polizei verbal be­
droht wurde.
Auch der Nazi-Aussteiger Nick
Greger, der über Terroraktivitä­
ten des NSU-V-Mannes Piatto
aussagte, wurde m it Drohungen
eingeschüchtert, und zwar zu­
letzt Ende Oktober 2013 durch
LKA-Beamte aus Berlin, (siehe
COMPACT 12/2013)
N ick Greger in seiner Z e it als a kti­
ver Neonazi. Foto: nick-greger.de
Stuttgart, IB. September 2D13
An diesem Tag verbrannte der 21-jährige Florian
Heilig in seinem Auto in Stuttgart. Am gleichen Tag
hätte der junge Mann beim LKA über Hintergründe
des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter am
25. April 2007 in Heilbronn aussagen sollen. Er hatte
bereits vor über zwei Jahren, als noch niemand vom
Nationalsozialistischen Untergrund sprach, über eine
terroristische Untergrundstruktur berichtet - nicht
den NSU, sondern die NSS, die Neoschutzstaffel. Im
Interview m it COMPACT äußern die Eltern von Florian:
«Wir glauben nicht an Selbstmord», und sie tragen
zahlreiche Indizien dafür zusammen, dass ihr Sohn
umgebracht wurde, (siehe Seite 21 bis 23). Besonders
wichtig sind ihre Hinweise auf frühere Mordversuche
an Florian und dessen Einblicke in eine aus unklarer
Quelle finanzierte Extremistentruppe.
I
«Wir glauben nicht an Selbstmord»
Jnten/iew: Jürgen Elsässer
Florian Heilig w ar ein wichtiger Zeuge im Mordfall der Polizistin M ichèle Kiesewetter.
Mitte September soll sich der 21-Jährige umgebracht haben, am Tag seiner Vernehmung
durch das LKA. Für seine Eltern spricht alles gegen einen Suizid.
Am 16. Septem ber 2013 verbrannte Ihr Sohn in
Stuttgart in seinem Auto. Die Polizei sagt, es
w a r Selbstmord. Und Sie?
M utter Heilig: W ir glauben nicht an Selbstmord.
Mein Mann und ich nicht, unsere Kinder nicht, nie­
mand von seinen Freunden.
Vater Heilig: Die Polizei sagt, Florian habe sich aus
Liebeskummer umgebracht. Aber das ist totaler Blöd­
sinn. Er w ar glücklich mit seiner Freundin. Am Samstag
nach dem Tag, an dem er gestorben ist, w ollten sie es
eigentlich ihrem Vater sagen, dass sie ein Paar sind.
Mutter: Florian w ar rundum zufrieden. Er hatte eine
Lehrstelle bei uns im Ort gefunden, bei der Firma, in
der auch sein Bruder arbeitet. Stahlbetonbauer w ar
sein Traumberuf, schon immer gewesen. Entspre­
chend w ar er hoch motiviert und brachte nur gute No­
ten nach Hause. Er bekam stets gute Rückmeldungen
von seinen Kollegen. Und für ein Auto hatte er sich
auch schon entschieden.
Hat die Polizei B ew eise für die Selbstm ordthe­
se vorgelegt?
■
Mutter: Uns nicht. W ir laaben keinen Autopsiebericht
bekommen, kein Ergebnis der kriminaltechnischen
Untersuchung, keine angeblich existierenden Fotos
und Videoaufnahmen. Nicht einmal die Sterbeurkun­
de war - w ie ansonsten üblich, um Verwechslungen
auszuschließen - bei der Leiche, sondern musste von
unserem beauftragten Bestatter in Tübingen abgeholt
werden. Dafür sind Fotos des verbrannten Körpers von
Florian in der Presse aufgetaucht.
Vater: Und das Autowrack. Als w ir es abgeholt ha­
ben, sagten uns die Beamten, es sei nichts darin si­
chergestellt worden. W ir haben nur wenige Momente
gebraucht, um sein Handy und den Laptop zu finden.
Wieso wurden diese wichtigen Beweismittel nicht
untersucht? Oder w ar der Polizei über Telekommu­
nikationsüberwachung ohnedies alles bekannt, was
sich auf den Geräten befand?
M ir kommt es seltsam vor, dass ein M ensch sich
auf die denkbar kom plizierteste und schm erz­
hafteste W eis e umgebracht haben soll: Indem
er sich in seinem Auto verbrennt.
Mutter: Das ist völlig unglaubwürdig. Florian hatte
zunächst eine Lehre als Krankenpfleger begonnen.
In dieser Zeit hat er Wissen angehäuft, m it dem man
sich sicher weitaus weniger schmerzhaft das Leben
hätte nehmen können.
Florian H eilig: Er w ar erst 21 Jahre
alt, als er sterben musste.
Foto: Familie H eilig
5puren am Autowrack
Vater: Da jetzt das Autowrack in unserem Besitz ist,
konnten w ir es persönlich in Augenschein nehmen,
und dabei sind uns einige Punkte aufgefallen. Florian
soll den Innenraum mit Benzin aus einem Kanister ge­
tränkt, sich dann reingesetzt und mit einem Feuerzeug
in Brand gesteckt haben. Aber wo ist der Kanister?
«\A/ir haben keinen
Autopsiebericht
bekommen,»
«Ein Toter repetiert nicht»
JnterviE W
mit Siegmund Mittag
Die mysteriöse zweite Patronenhülse im Wohnmobil von Uwe Mund­
los und Uwe Böhnhardt w eckt Zw eifel an der These vom gemeinsa­
men Selbstmord. Ein Gespräch mit dem Waffenexperten und Büchsen­
macher-Meister Siegmund Mittag.
V ielleich t konnte er es doch. Die Erm ittler spre­
chen von einem kram pfartigen Anfall im Todes­
kampf.
Das geht nicht. Diese Brenneke-Munition vom Kaliber
12/70 macht ein Riesenloch. Da geht nichts mehr, da
ist das Licht aus. Bei der Jagd ist es so: Ein Schwein
läuft nach einem Kammer- oder Herzschuss noch w ei­
ter, teilweise bis zum Waldrand. Das Gehirn reagiert,
wenn es den Knall hört, in Bruchteilen einer Sekunde
und sagt, ich muss in die Deckung laufen. Bei einem
Kopfschuss ist es platt. Selbst wenn Mundlos sich vor
dem Selbstmord noch vorgeopmmen hat, zu repetie­
ren - der wäre platt. Das Gewehr kann auch nicht von
selbst repetieren, etwa wenn es auf den Boden fällt.
Das gehtauf gar keinen Fall.
Selbst wenn Mundlos sich vor dem
Selbstmord noch vorgenommen
hat, zu repetieren - der wäre platt.
Die Hülse des Todesschusses hätte also noch im
G ew ehr sein müssen?
Ganz genau.
So sollen Uwe Böhnhardt (oben)
und Uwe M undlos nach den Schüs­
sen von Elsennach to t in ihrem
W ohnm obil gelegen haben. Die Tat­
w affe is t das Gewehr unm ittelbar
links neben M un d lo s' Leichnam. A u f
dieser Rekonstruktion fü r eine Fern­
sehdokum entation sind die beiden
Patronenhülsen n ich t zu erkennen.
Genau sie wecken jedoch w eitere
Z w e ife l an der offiziellen Version
der Umstände. Foto: N24
Einer wurde er­
schossen. Danach
ist viel Raum für
Spekulationen.
U w e M undlos erschoss am 4. Novem ber 2011
in Eisenach erst seinen Kompagnon U w e Böhn­
hardt, dann sich selbst. So lautet zumindest die
offizielle Version zum Ende des sogenannten
N ationalsozialistischen Untergrunds. W arum
zw eifeln Sie diesen Verlauf an?
W eil dieser Verlauf keinen Sinn macht. Der Ausgangs­
punkt der Überlegungen waren die beiden Toten. Ei­
ner soll den anderen und dann sich selbst erschossen
haben. Zwischendurch hat er noch einen Brand gelegt,
was auch schon skurril ist. Aber vor allem lagen dort
zwei Patronenhülsen. Für die Schüsse wurde ein
Vorderschaftrepetiergewehr der Marke Winchester
verwendet. Bei einem solchen Modell muss man nach
jedem Schuss repetieren, um nachladen und erneut
feuern zu können. Beim Repetieren fliegt die Hülse der
alten Patrone dann raus. Mundlos hat also Böhnhardt
erschossen und repetiert. Das ist die erste Hülse.
Dann hätte er sich erschießen und erneut repetieren
müssen. Das wäre die zweite Hülse. Aber ein Toter
kann nicht mehr repetieren.
Im Grunde müsste doch an dem am Tatort
gefundenen G ew ehr klar zu erkennen sein, ob
nach dem letzten Schuss repetiert wurde?
Das ist etwas, was ich nicht weiß. Auf den Bildern
vom Tatort lag das Gewehr auf dem Verschlussfens­
ter. Man konnte nichts erkennen. Aber bei einer pro­
fessionellen kriminalistischen Untersuchung wäre es
doch das erste, zu schauen, ob das Verschlussfenster
offen und ob eine Hülse in der W affe ist. W ie viele
Patronen hatte er reingeladen? In die Winchester
gehen drei oder vier Patronen, aber sie haben ja nur
zwei gebraucht.
Muss die zw eite Hülse denn von den Todes­
schüssen stammen?
Es gibt die Möglichkeit, dass bereits zu Beginn eine
Hülse im Gewehr war. Dann hat Mundlos repetiert,
geschossen, wieder repetiert und erneut geschossen.
Vielleicht haben die beiden vorher ja irgendwelche
Schießübungen gemacht.
zu setzen gewesen. Das Opfer hätte ja auch irgendwie
Widerstand geleistet. Warum erschießt man ihn dann
nicht einfach von vorne? Und w ie hat er die W affe in
Herrgottsnamen unter den Hals von Mundlos bekom­
men. Insofern sieht es im ersten Moment schon nach
Selbstmord aus. Das Rätsel bleibt die zweite Hülse.
Aber ich behandle das aus waffentechnischer Sicht.
Ich w ar nicht am Tatort.
Zur Lage der Hülse
Beim Repetieren fliegt die Hülse regelrecht aus
dem Gewehr. Auf den Tatort-Zeichnungen liegt
die W in chester direkt neben der Leiche von
U w e Mundlos. Die Hülse des ersten Schusses
befindet sich mitten im W ohnm obil. Die Hülse
des zw eiten Schusses sieht man zw ischen den
Beinen von Mundlos. Ist das schlüssig?
Bei der ersten Hülse ist es schlüssig. Dass die W affe
direkt neben ihm liegt, kann man vielleicht noch erklä­
ren. Aber w ie kommt die Hülse zwischen die Beine?
Das ist eine entscheidende Frage, denn dort kann sie
eigentlich nicht liegen.
Büchsenmacher Siegmund M itta g in seiner Luckenwalder Werk­
statt, die e r se it etw a 10 Jahren als Selbständiger betreibt. Auch
Repetiergewehre, sogenannte Pumpguns, und ihre Funktionsweise
sind ihm bestens bekannt. Foto: M artin M iiller-M ertens
Der dritte Mann
Lässt ein Schütze nach Schießübungen denn
seine Hülse im Gewehr?
Der Werdegang ist normalerweise so, dass ich sofort
danach die Hülse daraus entferne. Bei der Jagd ist es
etwas anders. Schon*eus Umweltschutzgründen lässt
man die Hülse aus Plastik zumindest nicht rumliegen.
Aber wer auf den Schießplatz geht, wird in jedem Fall
die Hülse rausrepetieren. Man macht das einfach.
Schon aus Selbstschutz. Man w eiß ja nicht, w er die
W affe in die Hände bekommt.
Mundlos hätte sich erschießen und
anschließend repetieren müssen.
A ber das G ew ehr direkt neben der L e ic h e ...
Hätte der Körper durch den Schuss nicht einen
Satz nach hinten machen müssen?
Es ist nicht w ie bei Rambo, wo die Leute sonst wohin
fliegen. Wenn jemand eine Schutzweste trägt, dann
kann das passieren, w eil der Gasdruck nicht abgelei­
tet wird. Aber in diesem Fall ist das Geschoss ja durch
den Körper gegangen.
J
Bei einer Vorderschaftrepe­
tie rflin te (Englisch: Pumpgun)
erfolgt die M unitionszufuhr nor­
malerweise aus einem Röhren­
magazin unter dem Lauf. Der
Schütze zieht den Vorderschaft
zurück. Dadurch ö ffnet sich der
Verschluss, der Schlaghahn w ird
gespannt und die leere Hülse
des vorhergehenden Schusses
ausgeworfen. Anschließend
schiebt der Schütze den Vorder­
schaft nach vorne und lädt da­
m it eine neue Patrone ins Lager.
Eingesetzt w erden Pumpguns
beim Sportschießen, bei Polizei­
behörden und fü r die Jagd. Eine
derartige W affe kam unter an­
derem beim A m oklauf von Erfurt
im Jahre 2002 zum Einsatz.
M it M un itio n des Kalibers 1 2 /7 0
wurden Böhnhardt und M undlos
erschossen. Die A bbildung zeigt
zw e i baugleiche Patronen.
Foto: M artin M üller-M ertens
Die Schüsse fielen innerhalb w en ig er M inuten
und das W ohnm obil stand auf offener Straße.
Ein dritter M ann hätte also w en ig Zeit gehabt.
Hätte er die Pumpgun ohne w e ite re s sofort be­
dienen können?
Wenn ich lade, ist die W affe gleich scharf. Entschei­
dend ist der Sicherheitshebel. Der funktioniert nur
manuell. Wenn die Sicherung gedrückt ist und ich
reiße durch, muss ich erst wissen, wo die Sicherung
liegt. Wenn sie nicht aktiviert ist, ist es kinderleicht.
Auch der Abzugswiderstand bei solch einem Gewehr
ist butterweich.
_Der Waffenexperte Siegmund
Die zw eite Hülse lässt also vermuten, dass ein
dritter M ann geschossen und dann, vielleich t
aus G ew ohnheit und in Eile, repetiert und damit
aus Versehen für die zw eite Hülse gesorgt hat?
Auf jeden Fall wurde einer erschossen. Danach ist viel
Raum für Spekulationen. Allerdings gibt es auch Ar­
gumente, die gegen einen dritten Mann sprechen. Der
Schuss unter den Kopf wäre für einen Mörder schwer
W eshalb interessiert Sie die Frage, w e r in Eise­
nach abgedrückt hat, eigentlich so sehr?
Mittag Ist Büchsenmacher-Meister
Im brandenburgischen Luckenwal­
de und Dozent für die Ausbildung
Es geht hier um die Frage Selbstmord oder Mord. Es
geht nicht um die Personen, die abgemurkst wurden.
Man könnte ja sagen, ist doch egal, das waren Verbre­
cher. Aber auch diese Verbrecher verdienen, dass man
weiß, w ie sie ums Leben gekommen sind. Vielleicht
gibt es ja eine Wahrheit, die irgendwo in den Akten
liegt.«
von Jungjagern. Sein Handwerk
erlernte der 54-jährige gebürtige
Magdeburger in den 1970er Jahren
beim Jagdwaffenwerk im thürin­
gischen Suhl, 2001 erhielt Mittag
seinen Meisterbrief. - Interview:
Martin Müller-Mertens