Dust in the Wind

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Dust in the Wind
Dust in the Wind
»Klammere dich nicht an dieses flüchtige -Leben. Nichts ist von ewiger Dauer außer Himmel und Erde.«
Von: Peter Haigis, erschienen im Deutschen Pfarrerblatt, Ausgabe: 11 / 2012
Der Monat November ist im kirchlichen Kalender dem Gedenken und Erinnern, aber auch dem Blick auf Sterben und Tod
gewidmet. In vielen Kirchengemeinden wird am Ewigkeitssonntag der Verstorbenen des zurückliegenden Jahres gedacht:
Die Angehörigen werden zu den Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag eingeladen. Für die Verstorbenen werden Kerzen
entzündet. Mancherorts ist es Brauch, nach dem Gottesdienst den Friedhof zu besuchen und die Kerzen aus dem
Gottesdienst an die Gräber zu bringen. Teils wird auch ein Teil des Gottesdienstes oder eine Andacht auf den Friedhöfen
gefeiert.
So wird uns der Monat November zu dem Zeitabschnitt im Kirchenjahr, an dem wir uns dessen bewusst werden, wie kurz
und flüchtig menschliches Leben ist, und nach dem fragen, was uns im Blick auf die Flüchtigkeit und Nichtigkeit
menschlichen Lebens zu trösten vermag.
Man muss kein Schwarzseher oder Lebensspielverderber sein, um zu erkennen, dass unser Leben nur eine Episode von
mehr oder weniger langer Dauer ist. Das ist schlichtweg realistisch. Unser Leben eilt vorüber. Tage um Tage vergehen und
niemand kann sie aufhalten. Was gewesen ist, ist nicht mehr zurückzuholen. Es ist in der Erinnerung auch nicht ohne
weiteres auslöschbar - was angesichts schöner und wertvoller Erfahrungen schon an sich tröstlich wirken kann. Aber es ist
eben auch flüchtig. Zwischen Geburt und Tod liegt eine vergleichsweise kurze Spanne der Blüte und des inneren
Hochgefühls, mitten im Leben zu stehen. Die Jugend ist todesvergessen, doch mit zunehmender Zahl an Lebensjahren
wachsen auch die Sorgen um das Alter und die Gedanken ans Ende.
Solche Gedanken passen zum Spätherbst. Wir Menschen nehmen teil am natürlichen Leben auf dieser Erde. Wir teilen die
Bedingungen aller anderen Lebewesen. Warum sollte es uns anders ergehen als Tieren und Pflanzen? Wir leben und
sterben.
Auch die Bibel ist zunächst schlichtweg realistisch, wenn es um Sterben und Tod geht. In vielen Texten, insbesondere in den
Psalmen finden sich Bilder aus der vergänglichen Natur, um das menschliche Leben und seinen Werdegang zu
veranschaulichen: Der Mensch ist wie Gras, das am Morgen blüht und sprosst und am Abend welk wird und verdorrt. Er ist
wie eine Blume auf dem Feld, über die der Wind hinweggeht. Am Ende, wenn er seinen Lebensatem aushaucht, zerfällt er
wieder zu Staub, woraus er gemacht ist. Die Autoren der Bibel weichen vor der nüchternen Einsicht in natürliche
Zerfallsprozesse nicht zurück.
Der alte Song-Klassiker "Dust in the wind" der Rockband "Kansas" wirkt auf mich wie eine moderne Version dieser uralten
Einsicht - ein moderner Psalm, der den Ton der Bibel aufnimmt: "Klammere dich nicht an dieses flüchtige Leben. Nichts ist
von ewiger Dauer außer Himmel und Erde. Das Leben gleitet davon und dein ganzes Geld wird dir nicht eine Lebensminute
mehr einbringen." Das erinnert auch zugleich an das Wort Jesu, dass wir mit unseren Sorgen unserer Lebenslänge keinen
Zentimeter hinzufügen können. Und doch bleibt die Frage, was dann einem kurzen und flüchtigen Leben Erfüllung gibt.
Wahrscheinlich ist es einzig die Gewissheit, dass wir im Leben wie im Sterben auf den bezogen bleiben, der jenseits von
Leben und Tod, von Zeit und Vergänglichkeit steht - und daher zu Recht der "Ewige" heißt. Nur in der Verbindung mit ihm
haben wir Anteil an dieser Ewigkeit.
Alle Rechte vorbehalten, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Deutschen Pfarrerblatts.
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Doch was meint Gottes "Ewigkeit" im Verhältnis zur Kürze des Lebens und zur Unumkehrbarkeit des Todes? Ewigkeit meint
nicht so etwas wie Gottes lebensverlängernde Maßnahme im Jenseits, nicht die dortige Anstückelung an das Fragment
Leben im Hier und Jetzt. Gott hat uns nicht ein ewig fortdauerndes Leben geschenkt, sondern ein Leben, das wir hier und
jetzt leben dürfen. Ewiges Leben ist nicht im Sinne unendlicher Zeitdauer gemeint, denn Ewigkeit ist ja gerade "Unzeit".
"Ewiges Leben" - das ist ein Leben, in dem mir meine unauflösliche Verbundenheit mit dem ewigen Gott und Schöpfer
bewusst wird, aus dessen Hand alles kommt und wohin es zurückkehrt. Und wenn auch diese Einsicht nur einen Augenblick
währt, so berührt sie doch die Ewigkeit Gottes. Wir sollen es darum nicht versäumen, dankbar zu sein für die Tage, die uns
geschenkt sind. Wir sollen gelten lassen, dass wir etwas wert sind mit unserem flüchtigen Leben: verschwindend klein im
Kosmos, aber geliebt von Gott. Und so können wir es auch getrost Gott anheim stellen, was einmal mit unserem Leben sein
wird, wenn wir nicht mehr sind.
Herzlich grüßt Sie Ihr
Peter Haigis.
Deutsches Pfarrerblatt, ISSN 0939 - 9771
Herausgeber:
Geschäftsstelle des Verbandes der ev. Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V
Langgasse 54
67105 Schifferstadt
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