Ein Arbeitsplatz ist immer auch ein

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Ein Arbeitsplatz ist immer auch ein
Suizid in Unternehmen - "Ein Arbeitsplatz ist immer auch ein Beziehungsplatz" -- sueddeutsche.de
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Wirtschaft
Suizid in Unternehmen
"Ein Arbeitsplatz ist immer auch
ein Beziehungsplatz"
22.02.2007, 18:11
Von Paul Trummer
Bei Renault in Frankreich herrscht nach dem Selbstmord dreier
Mitarbeiter Betroffenheit. Im Interview erklärt der Sprecher der
Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention die Rolle von
Sanierungsprogrammen bei Risikogruppen.
Nach dem Selbstmord dreier Renault-Mitarbeiter in einem kurzen Zeitraum
sind die Arbeitsbedingungen im Technik-Zentrum des Autobauers ins Visier
der Behörde von Versailles geraten.
Wie die Gewerkschaft erklärte, hätten die Männer unter erhöhtem Druck am
Arbeitsplatz gelitten, seit das Sanierungsprogramm umgesetzt wird, welches
Renault aus einer schweren Krise führen soll.
In einem Abschiedsbrief eines Arbeiters begründete dieser seine
Entscheidung mit Schwierigkeiten im Beruf, ein zweites Suizid-Opfer sprang
aus dem fünften Stock eines Renault-Werkes, der dritte ertränkte sich in
einem See nahe der Anlage.
In Deutschland begehen jährlich mehr als 10.000 Menschen Selbstmord.
sueddeutsche.de befragte Georg Fiedler, den Sprecher und stellvertretenden
Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention über mögliche
Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Suizid:
sueddeutsche.de: Herr Fiedler, nach der Selbstmordserie bei Renault
drängt sich die Frage auf, welche Rolle die Arbeitsbedingungen beim Suizid
spielen.
Fiedler: Grundsätzlich denken wir, dass sehr viel vom Betriebsklima im
Unternehmen abhängt. Allerdings ist ein Suizid immer der Endpunkt eines
Bündels an Ereignissen. Man kann daher nicht den Schluss ziehen, dass
bestimmte Arbeitsbedingungen zum Suizid führen.
sueddeutsche.de: Aber der Umstand von drei Suiziden in einem Werk lässt
schon Fragen über die Arbeitsbedingungen zu...
Fiedler: Ein Suizid im näheren Umfeld kann bei Risikopersonen einen Suizid
auslösen. Wir haben das in Kliniken beobachtet, aber wir müssen auch
feststellen, dass der Suizid von Stars beispielsweise Folgesuizide auslösen
kann.
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21.05.2012
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sueddeutsche.de: Welche Auswirkungen können große
Sanierungsprogramme bei Konzernen haben?
Fiedler: Ein Arbeitsplatz ist immer auch ein Beziehungsplatz. Wird dieser
durch ein Sanierungsprogramm gefährdet, kann das eine Kränkung sein, mit
der man nicht fertig wird. Arbeitslosigkeit wird von vielen Menschen als
Gefahr aufgefasst - sie erachten diese als kaum zu tragende Schande
gegenüber ihnen nahe stehende Personen.
Wir haben festgestellt, dass in bestimmten Risikogruppen eine Häufung von
Suizid gegeben ist. Zu diesen Risikogruppen zählen Süchtige, Menschen mit
gewissen biographische Problemen oder depressiven Erkrankungen.
Leider ist es so, dass diese Risikogruppen bei Sanierungsprogrammen oft
als erstes auf der Liste stehen, so dass bei Arbeitslosen insgesamt eine
höhere Suizidrate besteht.
sueddeutsche.de: Gibt es Untersuchungen, ob die Beschäftigten von
Großkonzernen öfter Suizid verüben als jene in kleinen Unternehmen?
Fiedler: Also mir sind keine derartigen Statistiken bekannt. Allerdings kann
man sagen, dass bestimmte Berufsgruppen höhere Suizid-Raten aufweisen.
sueddeutsche.de: Welche sind das?
Fiedler: Grundsätzlich alle waffentragenden Berufe, also Polizei, Militär etc.,
da sie einen unmittelbaren Zugang zur Suizid-Methode haben. Aber auch
bestimmte Arztgruppen weisen ein erhöhtes Risiko auf.
Gefährdet sind auch solche Menschen, die vor allem auf äußere Bestätigung
aus sind. Sie sind oft in der Werbung zu finden. Meist stehen sie permanent
unter Stress und kämpfen mit erheblichen Problemen, wenn der Strom
abgestellt wird, beispielsweise weil die Firma zusperrt.
sueddeutsche.de: Sind Ihnen in Deutschland ähnliche Ereignisse wie bei
Renault bekannt?
Fiedler: Nein, da ist mir nichts bekannt. Firmen und Gewerkschaften sind ja
zumindest um ein gewisses Maß an sozialer Integration bemüht - auch
wegen der negativen PR, die solche Suizidserien mit sich bringen.
sueddeutsche.de: Herr Fiedler, wir danken für das Interview.
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