Arbeitsamt online: Eine virtuelle W

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Arbeitsamt online: Eine virtuelle W
INTERNET
Aktuelle Themen
Arbeitsamt online: Eine
virtuelle Wut-Schlange
Der desaströse Start des teuren Jobportals verlängert nur die Serie von
Skandalen um die Bundesanstalt für Arbeit. Der Verdacht: Die Behörde will
ihre Statistik aufpolieren - auf Kosten der privaten Jobvermittler im Netz
122
Februar 2004
tigen Ausschreibungen und
ständigen Kostenüberschreitungen die Wut seiner „Kunden“ auf sich. Dabei warten
mehr als vier Millionen Arbeitslose nicht auf Imagekampagnen, sondern auf Taten.
Unter dem Schlagwort
„E-Government“ will die Bundesanstalt die Wende erzwingen. Eine Schlüsselrolle im
Arbeitsamt der Zukunft spielt
der virtuelle Arbeitsmarkt,
behördenintern VAM genannt,
der seit dem 1. Dezember 2003
unter www.arbeitsagentur.de zu
besichtigen ist. Die BA geht davon aus, dass bereits in zwei
Jahren die Hälfte der Arbeitsvermittlungen übers Internet
stattfinden wird. Und VAM
soll ein Big Player werden: der
größte Stellenmarkt Europas,
wenn nicht der Welt.
Die kommerziellen Jobbörsen halten die neue Konkurrenz
schlicht für überflüssig. „Es
gibt mehr als 400 funktionierende Online-Stellenmärkte in
Deutschland und keinen Be-
So soll es im Netz
weitergehen
www.arbeitsagentur.de
Die neue Website des
Arbeitsamts ist seit dem
1. Dezember 2003 im Netz.
Gegenwärtig enthält die Jobvermittlung rund 350 000
Stellenangebote und 200 000
Ausbildungsplätze, zudem
sind ca. 2,2 Millionen
Bewerberprofile gespeichert
(Stand: Dezember 2003). In der
nächsten Ausbaustufe im Mai
2004 soll es die Möglichkeit
geben, eingescannte Bewerbungsfotos und Zeugnisse an
Arbeitgeber weiterzuleiten. Ab
August kann man im OnlineServicecenter mit virtuellen
Beratern per Chat oder E-Mail
kommunizieren. Außerdem ist
ein „Call-back-Button“
geplant: Der Arbeitsvermittler
ruft - möglichst noch am selben
Tag - zurück. Ende 2004 soll der
virtuelle Arbeitsmarkt fertig
sein: Arbeitgeber können dann
Firmenvideos einstellen und
jeder Stellensuchende hat einen
virtuellen Agenten, der ihn
automatisch über neue Angebote informiert.
darf, mit Steuergeldern noch
einen weiteren zu schaffen“,
meint Kai Deininger, Leiter der
Initiative Arbeitsmarkt im Verband der deutschen Internetwirtschaft und Geschäftsführer
der Jobbörse Monster.de. Während eine Stellenanzeige bei
den Privaten bis zu 800 Euro
kostet, gibt’s den Service beim
Arbeitsamt gratis. Deininger:
„Das ist ungefähr so, als ob
der Staat auf einmal einen kostenlosen Internetzugang anböte und damit als Konkurrent
der Internet Service Provider
aufträte.“
Jürgen Koch, Leiter des Projekts virtueller Arbeitsmarkt
bei der BA, kann die Aufregung
um seine Website nicht verstehen: „Das ist lediglich ein Relaunch.“ Schließlich vermittle
man unter www.arbeitsamt.de
bereits seit 1997 Jobs übers
Internet. Der Stelleninformations-Service (SIS) hatte allerdings den Charme einer
Arbeitsamtswartezone und
sorgte vor allem durch zweifel-
FOTO: GÖTZ SOMMER / TOMORROW; HP
G
eld spielt keine Rolle.
435 Millionen Euro
für Informationstechnik, 62,5 Millionen
für Unternehmensberatung, elf
Millionen für eine Imagestudie.
Den Fuhrpark mit ein paar Hundert BMWs aufgestockt. Und
die Website muss natürlich State of the Art sein. Kostenpunkt:
77 Millionen Euro plus 20 Millionen für eine Werbekampagne
zur Kundenbindung.
Das klingt nach einem besonders größenwahnsinnigen
Internet-Start-up, ist aber der
Inbegriff bürokratischen Irrsinns – die Bundesanstalt für
Arbeit, kurz BA.
Als Florian Gerster im April
2002 auf den Chefposten der BA
rückte, sollte er aus der Nürnberger Mammutbehörde und
ihren 180 Filialen, auch als Arbeitsämter bekannt, ein modernes Dienstleistungsunternehmen machen. Allerdings zog
„Skandal-Gerster“ („Bild“) vornehmlich mit hoch dotierten
Beraterverträgen, undurchsich-
Behörde im Netz:
Auch der virtuelle
Arbeitsmarkt
kennt das
Schlangestehen
hafte Angebote („aufgeschlossene Frau mit Tagesfreizeit für
Durchblutungsmassage gesucht“) für Aufsehen. Beim
Wechsel von SIS zu VAM wird
daher nicht gekleckert, sondern
geklotzt. 77 Millionen Euro lässt
sich die Bundesanstalt den
„Relaunch“ kosten, davon sind
29 Mio. für das eigentliche Online-Angebot und 48 Mio. für
das behördeninterne Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem (VerBIS).
Mit dem virtuellen Stellenmarkt steigt die Bundesanstalt
zudem in ein Geschäft ein, das
bislang die Domäne der kommerziellen Anbieter war: die
Vermittlung von wechselwilligen Fach- und Führungskräften. Bei VAM kann sich jeder
Jobsuchende eintragen, egal
ob arbeitslos oder nicht. „Mit
dem VAM vernichtet die Bundesanstalt für Arbeit mittelfristig mindestens 50 000 Arbeitsplätze in der Verlags- und
Internetwirtschaft“, befürchtet
daher Kai Deininger. In der Tat
drängt sich der Verdacht auf,
dass die Bundesanstalt mit der
neuen – vergleichsweise leicht
vermittelbaren – Klientel ihre
Statistik aufpolieren will.
Nicht nur politisch, auch
technisch hatte der virtuelle
Arbeitsmarkt zum Start mit
realen Problemen zu kämpfen.
Bei mehr als einer Million Zugriffen pro Tag hieß es oft:
„Server nicht gefunden“ – die
Arbeitsamtsschlange traf sich
als virtuelle Variante wieder.
Und wenn man es endlich geschafft hatte, zeigte das angeblich „innovative Matching-System“ zwischen Arbeitgeber und
-nehmer auch noch Schwächen.
Auf die Eingabe „Redakteur,
Hamburg“ wurde dem Autor –
„Trefferquote: 80 Prozent“ – eine Stelle als Kosmetiker/-in in
Burgdorf bei Hannover angeboten. Flexibilität ist eben alles in
diesen Zeiten.
Den Autor Gerke Dunkhase erreichen
Sie unter
[email protected]
Februar 2004
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INTERNET
Aktuelle Themen
Arbeitsamt online: Eine
virtuelle Wut-Schlange
Der desaströse Start des teuren Jobportals verlängert nur die Serie von
Skandalen um die Bundesanstalt für Arbeit. Der Verdacht: Die Behörde will
ihre Statistik aufpolieren - auf Kosten der privaten Jobvermittler im Netz
122
Februar 2004
tigen Ausschreibungen und
ständigen Kostenüberschreitungen die Wut seiner „Kunden“ auf sich. Dabei warten
mehr als vier Millionen Arbeitslose nicht auf Imagekampagnen, sondern auf Taten.
Unter dem Schlagwort
„E-Government“ will die Bundesanstalt die Wende erzwingen. Eine Schlüsselrolle im
Arbeitsamt der Zukunft spielt
der virtuelle Arbeitsmarkt,
behördenintern VAM genannt,
der seit dem 1. Dezember 2003
unter www.arbeitsagentur.de zu
besichtigen ist. Die BA geht davon aus, dass bereits in zwei
Jahren die Hälfte der Arbeitsvermittlungen übers Internet
stattfinden wird. Und VAM
soll ein Big Player werden: der
größte Stellenmarkt Europas,
wenn nicht der Welt.
Die kommerziellen Jobbörsen halten die neue Konkurrenz
schlicht für überflüssig. „Es
gibt mehr als 400 funktionierende Online-Stellenmärkte in
Deutschland und keinen Be-
So soll es im Netz
weitergehen
www.arbeitsagentur.de
Die neue Website des
Arbeitsamts ist seit dem
1. Dezember 2003 im Netz.
Gegenwärtig enthält die Jobvermittlung rund 350 000
Stellenangebote und 200 000
Ausbildungsplätze, zudem
sind ca. 2,2 Millionen
Bewerberprofile gespeichert
(Stand: Dezember 2003). In der
nächsten Ausbaustufe im Mai
2004 soll es die Möglichkeit
geben, eingescannte Bewerbungsfotos und Zeugnisse an
Arbeitgeber weiterzuleiten. Ab
August kann man im OnlineServicecenter mit virtuellen
Beratern per Chat oder E-Mail
kommunizieren. Außerdem ist
ein „Call-back-Button“
geplant: Der Arbeitsvermittler
ruft - möglichst noch am selben
Tag - zurück. Ende 2004 soll der
virtuelle Arbeitsmarkt fertig
sein: Arbeitgeber können dann
Firmenvideos einstellen und
jeder Stellensuchende hat einen
virtuellen Agenten, der ihn
automatisch über neue Angebote informiert.
darf, mit Steuergeldern noch
einen weiteren zu schaffen“,
meint Kai Deininger, Leiter der
Initiative Arbeitsmarkt im Verband der deutschen Internetwirtschaft und Geschäftsführer
der Jobbörse Monster.de. Während eine Stellenanzeige bei
den Privaten bis zu 800 Euro
kostet, gibt’s den Service beim
Arbeitsamt gratis. Deininger:
„Das ist ungefähr so, als ob
der Staat auf einmal einen kostenlosen Internetzugang anböte und damit als Konkurrent
der Internet Service Provider
aufträte.“
Jürgen Koch, Leiter des Projekts virtueller Arbeitsmarkt
bei der BA, kann die Aufregung
um seine Website nicht verstehen: „Das ist lediglich ein Relaunch.“ Schließlich vermittle
man unter www.arbeitsamt.de
bereits seit 1997 Jobs übers
Internet. Der Stelleninformations-Service (SIS) hatte allerdings den Charme einer
Arbeitsamtswartezone und
sorgte vor allem durch zweifel-
FOTO: GÖTZ SOMMER / TOMORROW; HP
G
eld spielt keine Rolle.
435 Millionen Euro
für Informationstechnik, 62,5 Millionen
für Unternehmensberatung, elf
Millionen für eine Imagestudie.
Den Fuhrpark mit ein paar Hundert BMWs aufgestockt. Und
die Website muss natürlich State of the Art sein. Kostenpunkt:
77 Millionen Euro plus 20 Millionen für eine Werbekampagne
zur Kundenbindung.
Das klingt nach einem besonders größenwahnsinnigen
Internet-Start-up, ist aber der
Inbegriff bürokratischen Irrsinns – die Bundesanstalt für
Arbeit, kurz BA.
Als Florian Gerster im April
2002 auf den Chefposten der BA
rückte, sollte er aus der Nürnberger Mammutbehörde und
ihren 180 Filialen, auch als Arbeitsämter bekannt, ein modernes Dienstleistungsunternehmen machen. Allerdings zog
„Skandal-Gerster“ („Bild“) vornehmlich mit hoch dotierten
Beraterverträgen, undurchsich-
Behörde im Netz:
Auch der virtuelle
Arbeitsmarkt
kennt das
Schlangestehen
hafte Angebote („aufgeschlossene Frau mit Tagesfreizeit für
Durchblutungsmassage gesucht“) für Aufsehen. Beim
Wechsel von SIS zu VAM wird
daher nicht gekleckert, sondern
geklotzt. 77 Millionen Euro lässt
sich die Bundesanstalt den
„Relaunch“ kosten, davon sind
29 Mio. für das eigentliche Online-Angebot und 48 Mio. für
das behördeninterne Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem (VerBIS).
Mit dem virtuellen Stellenmarkt steigt die Bundesanstalt
zudem in ein Geschäft ein, das
bislang die Domäne der kommerziellen Anbieter war: die
Vermittlung von wechselwilligen Fach- und Führungskräften. Bei VAM kann sich jeder
Jobsuchende eintragen, egal
ob arbeitslos oder nicht. „Mit
dem VAM vernichtet die Bundesanstalt für Arbeit mittelfristig mindestens 50 000 Arbeitsplätze in der Verlags- und
Internetwirtschaft“, befürchtet
daher Kai Deininger. In der Tat
drängt sich der Verdacht auf,
dass die Bundesanstalt mit der
neuen – vergleichsweise leicht
vermittelbaren – Klientel ihre
Statistik aufpolieren will.
Nicht nur politisch, auch
technisch hatte der virtuelle
Arbeitsmarkt zum Start mit
realen Problemen zu kämpfen.
Bei mehr als einer Million Zugriffen pro Tag hieß es oft:
„Server nicht gefunden“ – die
Arbeitsamtsschlange traf sich
als virtuelle Variante wieder.
Und wenn man es endlich geschafft hatte, zeigte das angeblich „innovative Matching-System“ zwischen Arbeitgeber und
-nehmer auch noch Schwächen.
Auf die Eingabe „Redakteur,
Hamburg“ wurde dem Autor –
„Trefferquote: 80 Prozent“ – eine Stelle als Kosmetiker/-in in
Burgdorf bei Hannover angeboten. Flexibilität ist eben alles in
diesen Zeiten.
Den Autor Gerke Dunkhase erreichen
Sie unter
[email protected]
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