Ein Hoch auf - Silke Bender

Transcrição

Ein Hoch auf - Silke Bender
Leben
Ein Hoch auf
SHaNGhAi
1. SKYSCRAPING Nur aus der Ferne
schön: Pudong, der neue Stadtbezirk östlich des Huangpu-Flusses 2. FRENCH
CONNECTION Blick in das angesagte
Viertel French Concession. Wenn man die
Hauptstraße verlässt, entdeckt man
mit Glück noch Gebäude im Art-déco-Stil
1
Wolkenkratzer und Woks,
Luxus und Lifestyle.
Nirgends ist China so
chic und modern wie in
Shanghai. PETRA-Autorin
Silke Bender will
nur eins: wieder zurück!
2
FOTOS: Blinder Name
z
ugegeben, die Zahl 26 Millionen macht erst
einmal Angst. So viele Einwohner hat
Shanghai nämlich. Ich denke an Smog,
Gedränge, Staus und Dreck. Nicht gerade
ein Ort, an dem man Urlaub machen möchte. Und dann noch alles auf Chinesisch. Der
Taxifahrer versteht den Hotelnamen nicht,
ich muss erst in der Rezeption anrufen und
das Telefon an das Fahrerohr halten, damit
ich mein Ziel erreiche. Die ersten Versuche,
Geld zu ziehen, scheitern, weil manche
Automaten nur Chinesisch sprechen. Nach
endlosem Herumtippen auf rätselhaften
Kanji-Zeichen habe ich das Gefühl, dass die
Computerstimme, die die Kabine beschallt,
böse mit mir wird. Lost in Translation.
„Ganz normal“, lacht Suzi Gao, die ich später
in einem Café im Viertel French Concession
treffe. „Die meisten Ausländer hier sprechen nach Jahren nur Taxi-Chinesisch – den
Rest bekommt man prima mit Englisch hin.
Lerne einfach: ,ni hao (hallo) und xiè xiè
(danke). Das kommt immer gut an.“ Sie gibt
mir den wertvollen Tipp, in Zukunft jede
Adresse auf Google Maps mit dem iPhone
abzufotografieren und dem Taxifahrer zu
zeigen. Oder gleich die App „Hi Shanghai“
zu installieren. Trotzdem gut, dass ich sie
hier als Begleitung habe. Suzi Gao ist gebürtige Shanghainesin, lebte die letzten Jahre
in San Francisco und ist seit 2012 wieder zurück. Die 23-Jährige, die schon als AmericanApparel-Model posierte, arbeitet als Producerin bei einer US-Werbeagentur und ist
nebenbei Bloggerin in der angesagtesten
Party-Community „S.T.D“, Sonically Transmitted Disease. Genau die Richtige, um zu
erfahren, wo in Shanghai die Post abgeht.
Als wir bestellen wollen, bringt uns der Kellner ein iPad mit dem Menü auf Chinesisch,
Englisch und mit Fotos. „Willkommen in
der Zukunft!“, grinst Suzi. Wir tippen auf
Latte macchiato und Thunfisch-Bruschetta,
Minuten später bringt der Kellner alles an
den Tisch. Als ich zur Orientierung einen
altmodischen Stadtplan aufschlage, sagt
Suzi: „Es ist ganz einfach. In Shanghai passiert alles entweder an der Uferpromenade
Bund oder im Stadtteil French Concession.“
Und Pudong, das neue Wolkenkratzerviertel mit dem Fernsehturm und seinen 4
1
2
3
4
1. HIMMLISCH Blick auf eines der Dachrestaurants
am Bund 2. CHINA-KRACHER Bloggerin Suzi Gao
arbeitete als Model, lebte lange in Amerika und nun
wieder in ihrer Geburtsstadt 3. ASIA-IMBISS Der
Stadtteil French Concession mit Straßenküchen,
Cafés und Shops 4. OASE DER RUHE Sieht aus wie
ein Möbelshop, ist aber das japanische Restaurant
Utsuwa im sehenswerten Jiashan Market
11. 2013 | petra | 159
Leben
2
3
4
1. CHARMANT Cafés, Shops und Galerien: das Viertel Tianzifang mit traditionellen Shikumen-Gebäuden und Häusern
im Kolonialstil 2. WOHNLICH Leben wie im 5-Sterne-Hotel:
die Apartment-Anlage Chai Living 3. MODERN Der Conceptstore Dong Liang lockt mit Mode von heimischen Designstars und Newcomern 4. GLÜCKSKEKS Auf jedes chinesische Mädchen kommen statistisch sieben Männer 5.
WESTLICH Tapas-Café 2nd Floor in der French Concession
5
Hugo Boss und Prada bauen gerade wieder
einen neuen Store, so groß wie Kathedralen.
Nicht mal in Paris findet man eine höhere
Dichte an Hermès, Louis Vuitton oder Dior.
„Die meisten Shanghainesinnen sind verrückt danach“, sagt Suzi. „Wir haben einen
berüchtigten Ruf in ganz China: als unabhängige Frauen, die in Beziehungen und
Geldfragen das Sagen haben.“ Sie können
es sich leisten. Da auf sieben Männer in
Shanghai statistisch eine Frau kommt – eine
Folge der Ein-Kind-Politik, die meist zur Abtreibung weiblicher Babys führte –, hat die
Frau heute die komfortable Wahl. Wer als
Mann die fünf „C“ (Cash, Condo, Car, Cook,
Cleaner) nicht bieten kann, sieht alt aus.
Der Abend naht, Suzi drängt zur Eile. Zur
blauen Stunde müssen wir unbedingt an
den Bund, um den Lichterzauber der
Skyline von Pudong bei einem Drink zu genießen. Taxi oder U-Bahn? Obwohl die hochmoderne und nie überfüllte U-Bahn eine gute
Frauen haben
in SHaNGhAi
das Sagen
1. ÜBERSCHAUBAR Das Restaurant
Kathleen’s Waitan mit Panoramaterrasse.
Geboten wird eurasische Fusion-Küche
2. UNBEZAHLBAR Ziemlich glückliche
Autorin Silke Bender mit Rotwein
in der Hand und Füßen im Whirlpool
1
FOTOS: Katja Hentschel (12)
1
nachts bunt leuchtenden Kugeln? Dort
steht auch das World Financial Center, das
Park Hyatt Hotel, in dessen spektakulärem
Pool James Bond in „Skyfall“ schwimmen
ging, und der noch im Bau befindliche
Shanghai Tower, mit 632 Metern das höchste Gebäude Chinas. Das alles sei nur schön
zum Anschauen, erfahre ich. Von der Flaniermeile Bund aus, die am gegenüberliegenden Ufer liegt.
Der Bund mit seinen renovierten, kolonialen Prachtbauten entlang des HuangpuFlusses war einst eine Kolonie-Enklave,
Konzession genannt, die die siegreichen
Briten den Chinesen nach den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts abtrotzten.
Kurz darauf kamen die Franzosen und siedelten etwas weiter landeinwärts. Bis
dahin war Shanghai eine kleine, wenn auch
wichtige Hafenstadt, von der aus Waren in
das bedeutendere Peking verschifft wurden.
Mit den Konzessionen, die den Handel mit
Tee, Porzellan, Opium und Seide förderten,
wuchs die Bedeutung der Stadt. 1990 begann in Shanghai die Öffnung Chinas zum
Kapitalismus. In nur 20 Jahren verdreifachte sich die Bevölkerung, heute ist Shanghai
das wichtigste Wirtschaftszentrum des
Reichs – und das glamouröseste.
Suzi führt uns durch die blitzsauberen Straßen der alten French Concession. Die Alleen
aus Platanen formen ein grünes Dach, das
gegen Regen und Sonne schützt. Die Luft
riecht sauber, ganz anders als in anderen
asiatischen Molochen wie Bangkok oder Kuala Lumpur. Man hat eher das Gefühl, durch
eine kuschelige europäische Stadt zu
schlendern. Gusseiserne Balkone an den
frisch verputzten Hauswänden, neoklassizistische Villen mit stylishen Cafés, Bars,
Boulangerien und Designboutiquen. Und
dazwischen immer Gassen, in denen Straßenküchen dampfen, wo in schrammeligen
Garagen Fahrräder oder Scooter repariert
werden, Opis im Pyjama spazieren gehen
und China noch dem Klischee entspricht.
Entlang der Changle, Fumin und Xinle
Road stolpert man wiederum von einer
schicken chinesischen Modeboutique zur
anderen. Einen Steinwurf entfernt davon
befindet sich die Huaihai Road, an der im
Monatsrhythmus futuristische Malls und
Flagship-Stores aus dem Boden sprießen.
und günstige Alternative bietet, winken
wir ein Taxi heran. Kaum eine Fahrt in der
Innenstadt kostet mehr als 20 Yuan, etwa
2,50 Euro. Noch ein Grund, um Shanghai zu
lieben. Auf dem Weg kommen wir an dem
Viertel vorbei, in dem Suzi aufgewachsen ist.
Das Lilong ihrer Großeltern – die typischen
dreistöckigen Wohnhäuser in Gassenbebauung –, in dem sie Radfahren lernte, musste
einer Shoppingmall weichen. Ihre Großeltern wurden in die Shanghaier Außenbezirke
zwangsversetzt. In den letzten 20 Jahren
wurden 80 Prozent der Altstadt abgerissen.
„Wenn ich mit Opa und Oma alte Fotos anschaue, kann ich die rasante Veränderung
der Stadt kaum fassen“, gibt sie zu. Und sagt
nachdenklich: „Wir müssen aufpassen, dass
wir nicht unsere Seele verlieren.“
In schwindelerregendem Tempo geht es im
gläsernen Aufzug an der Fassade des Hyatt
on the Bund entlang. Auf der 33. Etage
befindet sich die Vue Bar – mit dem wohl
exklusivsten Rundumblick auf Shanghai.
Die müden Füße lasse ich im Whirlpool
massieren, einen französischen Rotwein
und eine Zigarette (ja, man darf noch rauchen) in der Hand. Unter mir funkelt diese
Stadt wie Tausende von Versprechen, von
denen sie in der ganzen Woche, in der ich
sie genießen durfte, jedes einzelne hielt.
Zum Abschied zeige ich dem Taxifahrer
lässig das iPhone-Foto der Magnetschwebebahn, sause ohne Stau mit 430 Sachen in
nur 7 Minuten dank deutscher TransrapidTechnik zum Flughafen und blicke selig
zurück auf die Lichter der Stadt. Sicher nicht
zum letzten Mal. Xiè xiè, Shanghai.
2
REISE
INFOS
Schlafen Chai Living: Die Apartments
befinden sich in einem Vorzeige-Mietshaus der 30er-Jahre. Super Blick auf
die Skyline, 5 Fußminuten vom Bund entfernt. DZ/F ab 130 € î chailiving.com
@Gallery Suites: Das einstige Domizil
einer russischen Prinzessin im In-Viertel
French Concession bietet große Zimmer
und einen Designmix aus Art déco und
60s. DZ/F ab 70 € î artgalleryhotels.com
Shopping Dong Liang: Der Conceptstore
führt die Stars der jungen chinesischen
Mode wie Uma Wang oder Xander Zhou
wie auch Newcomer. 184 Fumin Road.
Anxi Market: Der Flohmarkt ist der
Geheimtipp von Suzi Gao. Hier gibt’s die
günstigste Vintage-Mode – und in den
Hinterzimmern die Fakes. Tipp: handeln,
bis der Arzt kommt. Immer ein Drittel
des Preises bieten! 1335 Anshun Road.
Tianzifang: In den Gassen des Altbauviertels befinden sich Shops, Galerien und
Cafés. Ein wunderbarer, autofreier Ort
zum Shoppen und Brunchen. 210 Taikang
Road î tianzifang.cn
Essen Utsuwa: Das japanische Restaurant sieht aus wie ein Vintage-Möbelshop, der Papagei am Eingang krächzt
„Ni hao“ (hallo). Eine Oase der Ruhe mit
Dachgemüsegärten. 37 Shaanxi Road
î jiashanmarket.com
Kathleen’s Waitan: Die Panoramaterrasse
und die Birne-Rosmarin-Mojitos sind ganz
großes Kino, das Essen in dem ehemaligen Opium-Lagerhaus auch. 200 Huangpu Road î kwaitan.com
Nightlife Vue Bar: der schönste Ausblick
auf die Stadt vom Park Hyatt on the
Bund. Ist den Eintritt von 12 € (inkl. Drink)
mehr als wert. 199 Huangpu Road.
Unico: Im historischen Three On the Bund
befinden sich diverse stylishe Gourmetrestaurants. Das Unico ist die beste Bar.
2F, Three on the Bund î unico.cn.com
El Cóctel: eine Bar wie aus einem
Almodóvar-Set mit dem intimen Flair
eines privaten Lofts. Der Japaner
Munenori Harada gilt als bester
Bartender der Stadt. 47 Yongfu Road
î el-coctel.com
Noch mehr Tipps
î smartshanghai.com
Suzis spezielle Party- und Musiktipps:
î wearestd.com
11. 2013 | petra | 161

Documentos relacionados