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Jahrbuch 2009/2010 | Kuss, Pia | Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? Give me five! Or six? Or seven? Kuss, Pia Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Gib mir fünf, schlag ein, Guten Tag, Auf W iedersehen - alles mit der Hand. Und dass die Hand fünf Finger hat, w eiß jedes Kind. Aber nicht jedes Kind w ird mit fünf Fingern geboren. Erblich bedingt, entstehen bisw eilen Skelettfehlbildungen der Extremitäten. Eine davon, die Synpolydaktylie, beinhaltet, dass Patienten mit zusätzlichen Fingern geboren w erden, w obei diese Finger zudem fusioniert sind. Das Krankheitsbild entsteht aufgrund einer Mutation im Hoxd13-Gen, die einen Retinsäuremangel nach sich zieht und somit zu unkontrollierter Produktion von Knorpelzellen an den falschen Stellen führt. Summary Give me five, high five, hello and good bye - all show n to others w ith one hand. Certainly everyone know s that this hand comprises five digits. But not everyone is born w ith exactly five digits. In humans, occasionally hereditary skeletal limb malformations do occur. One malformation, the so-called synpolydactyly, implies that patients are born w ith additional digits, and those are fused above all. This phenotype develops due to a mutation w ithin the Hoxd13 gene, leading to a lack of retinoic acid and thereby causing uncontrolled cartilage production at w rong sites in the extremity. Hox-Gene während der embryonalen Entwicklung © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2009/2010 | Kuss, Pia | Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? Die Hox -C luste r: Sche m a tische Da rste llung de r Hox -Ge ne in ihre n C luste rn in Drosophila melanogaster und in Sä uge tie re n. Im Zuge de r Evolution sind die se ve rm utlich a ufgrund von Duplik a tionse re ignisse n, a usge he nd von e ine m ge m e insa m e n hypothe tische n Vorfa hre n, e ntsta nde n. Die Hox -Ge ne de finie re n im Em bryo ve rschie de ne Körpe ra chse n. Da be i folge n sie in de r rä um liche n und ze itliche n Abfolge e ine m stre nge n P rinzip, wa s hie r fa rblich da rge ste llt ist. © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Ge ne tik /Kuss; m odifizie rt na ch [2] Im Verlauf der embryonalen Entw icklung müssen verschiedene Achsen im sich entw ickelnden Embryo angelegt w erden, so zum Beispiel die primäre Körperachse vom Kopf zum Schw anz oder körpernah bis körperfern in den Extremitäten. Die Familie der Hox-Gene, eine hoch konservierte Familie von Transkriptionsfaktoren, spielt dabei eine w ichtige Rolle [1]. Charakteristisch für diese Genfamilie, die w iederum andere Faktoren steuert, ist das Vorhandensein der namensgebenden Homöobox, einer konservierten Sequenz, die ein spezifisches DNABindungsmotiv kodiert und so die Regulation anderer Gene ermöglicht. Hox-Gene sind in Clustern organisiert und haben sich vermutlich, ausgehend von einem gemeinsamen Vorfahren, im Zuge der Evolution durch Verdopplungsereignisse entw ickelt. Die Fruchtfliege besitzt einen Cluster, der aus dem Antennapedia und Bithorax Komplex besteht. W irbeltiere dagegen w eisen vier Cluster HoxA, HoxB, HoxC und HoxD - auf, die insgesamt 39 Gene umfassen. W ährend der embryonalen Entw icklung folgen die Hox-Gene dem Prinzip der räumlichen und zeitlichen Kolinearität. Dies bedeutet, dass Hox-Gene, die exakt kontrolliert w erden, in genau festgelegter Weise nacheinander angeschaltet w erden. Dabei sind nicht nur der Zeitpunkt, sondern auch die Position auf der Körperachse, an der das jew eilige Gen aktiviert w ird, genauestens definiert (Abb. 1). Hox-Gene und Synpolydaktylie © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2009/2010 | Kuss, Pia | Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? Synpolyda k tylie be i Me nsche n: Hä nde von P a tie nte n m it zusä tzliche n und fusionie rte n Finge rn. Alle Be troffe ne n we ise n e ine Muta tion unte rschie dliche r Lä nge im Hox d13-Ge n a uf: Je m e hr zusä tzliche Ala nine da s Ge n a ufwe ist, de sto schwe re r fä llt de r P hä notyp de r vorlie ge nde n Synpolyda k tylie a us. © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Ge ne tik /Kuss In der Medizin sind eine Reihe humaner Fehlbildungen bekannt, die auf Mutationen in den Hox-Genen zurückzuführen sind. Eine dieser Fehlbildungen ist die Synpolydaktylie (SPD), eine erblich bedingte Skelettfehlbildung der distalen Extremitäten. Der Begriff Synpolydaktylie stammt aus dem Griechischen und beinhaltet eine Vielfingrigkeit (poly – viel; dactylos – der Finger), bei der zusätzlich einzelne Elemente fusioniert sind (syn – zusammen). Die Fehlbildung an Händen und Füßen w ird von einer dominanten Mutation im Hoxd13-Gen ausgelöst. Bei dieser Mutation handelt es sich um die Verlängerung einer Alanin-Expansion innerhalb der kodierenden Gensequenz: Normalerw eise beinhaltet diese Expansion, das heißt, mehrfache W iederholung der gleichen Aminosäure, 15 Alanine. Im Krankheitsfall jedoch ist die Reihe um mindestens sieben Alanine verlängert (Abb. 2). Besonders interessant dabei ist, dass der Phänotyp der Krankheit umso schw erw iegender ausfällt, je mehr Alanine hinzugefügt sind. Die Erkrankung w ird dominant vererbt, es genügt also bereits eine Kopie des mutierten Gens (von Mutter oder Vater), um das Krankheitsbild zu entw ickeln. Sind beide Kopien des Hoxd13-Gens verändert (homozygot), w irkt sich die Mutation noch schw erw iegender aus. Denn sie wissen nicht, was sie tun Wenn Mäusen das Hoxd13-Gen fehlt, entw ickeln sie keine Synpolydaktylie. Das bei der Erkrankung entstehende veränderte, verlängerte Genprodukt (Protein) muss also einen negativen Effekt auf andere Faktoren ausüben. Um die dem Krankheitsbild zugrunde liegenden Mechanismen im Verlauf der Embryogenese aufzuklären, w urde das Mausmodell spdh untersucht (Abb. 3) . Spdh-Mäuse besitzen eine Mutation, die homolog zu der menschlichen Mutation bei Synpolydaktylie ist und in Mäusen den gleichen Phänotyp auslöst. Zw ei verschiedene Mechanismen w urden gefunden, die dafür verantw ortlich sind, dass zu viele Finger entstehen, die miteinander fusionieren. Zum einen aktiviert Hoxd13 das Enzym Raldh2, das in der Extremitätenknospe Retinsäure aus Vitamin A produziert. Retinsäure ist ein w ichtiger Signalgeber w ährend der Musterbildung und verhindert, dass sich die Zellen in den Fingerzw ischenräumen zu Knorpelzellen spezialisieren. Diese Spezialisierung ist der erste Schritt in der Entw icklung von embryonalen Vorläuferzellen hin zum späteren Fingerknochen. Die mutierte Proteinvariante des Hoxd13-Gens jedoch ist nicht in der Lage, Raldh2 ausreichend zu aktivieren. In Folge entsteht w eniger Retinsäure und die Zellen in den Fingerzw ischenräumen erhalten falsche Signale. Sie entw ickeln sich ebenfalls zu Knorpelzellen, aus denen im Laufe der Embryonalentw icklung überzählige Finger entstehen. Zusätzlich fusionieren © 2010 Max-Planck-Gesellschaft Finger miteinander, w w w .mpg.de w eil die Grenzen zw ischen Finger und 3/5 Jahrbuch 2009/2010 | Kuss, Pia | Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? Fingerzw ischenraum nicht korrekt gezogen w erden konnten. Behandelt man schw angere spdh-Muttertiere mit Retinsäure und gleicht damit den entstandenen Mangel in den Embryonen aus, w erden Nachkommen geboren, die zw ar den genetischen Defekt tragen, aber dennoch mit fünf Fingern zur Welt kommen. Zum anderen hat Hoxd13 selbst einen knorpelhemmenden Effekt. Dieser geht bei der verlängerten Variante verloren, w odurch die Spezialisierung der Vorläuferzellen hin zur Knorpelzelle w eiter verstärkt w ird [3]. 3D-Mode ll zum Me cha nism us von Synpolyda k tylie : 3D-Mode lle von sich e ntwick e lnde n Mä use pfote n zum Em bryona lsta dium E14.5 (14 ½ Ta ge na ch de r Be fruchtung). Im ge sunde n W ildtyp (wt) sind de utlich die k norpe lige n Finge ra nla ge n e rk e nnba r. Im Mode ll de r spdh-Muta nte e rk e nnt m a n zusä tzliche n Knorpe l in de n Finge rzwische nrä um e n, de r te ilwe ise m it de n Finge ra nla ge n fusionie rt ist (P fe ile ). © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Ge ne tik /Kuss Durch die Untersuchung der molekularen Mechanismen der Synpolydaktylie konnten zw ei grundsätzliche Sachverhalte aufgeklärt w erden. Bisher gingen W issenschaftler davon aus, dass zusätzliche Finger durch die Verdoppelung bereits vorhandener Fingeranlagen entstehen, es sich also um Duplikationen handelt. Für bestimmte Skelettfehlbildungen kann dieser Mechanismus auch nachgew iesen w erden. Bei dem hier beschriebenen Krankheitsbild handelt es sich jedoch um einen Differenzierungsdefekt. Zellen in den Fingerzw ischenräumen bekommen falsche Signale und beginnen mit einer unkontrollierten Spezialisierung. Außerdem w ar bisher nur bekannt, dass Hox-Gene von entscheidender Bedeutung für die Achsenanlage und Musterbildung im Embryo sind. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen jedoch, dass sie auch bei späteren Prozessen der embryonalen Entw icklung eine w ichtige Rolle spielen und ihre Bedeutung bisher eher unterschätzt w urde. Diese Bedeutung w ird derzeit w eiter untersucht. Originalveröffentlichungen Nach Erw eiterungen suchenBilderw eiterungChanneltickerDateilisteHTML- Erw eiterungJobtickerKalendererw eiterungLinkerw eiterungMPG.PuRe-ReferenzMitarbeiter Editor)Personenerw eiterungPublikationserw eiterungTeaser (Employee mit BildTextblockerw eiterungVeranstaltungstickererw eiterungVideoerw eiterungVideolistenerw eiterungYouTubeErw eiterung [1] J. Zakany, D. Duboule: The role of Hox genes during vertebrate limb development. Current Opinion in Genetics & Development 17, 359-366 (2007). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2009/2010 | Kuss, Pia | Gib mir fünf! Oder sechs? Oder sieben? [2] B. Alberts, A. Johnson, P. Walter, J. Lewis, M. Raff, K. Roberts (eds.): Molecular Biology of the Cell. Verlag Taylor & Francis Ltd., 5th edition (2005). [3] P. Kuss, P. Villavicencio-Lorini, F. Witte, J. Klose, A. N. Albrecht, P. Seemann, J. Hecht, S. Mundlos: Mutant Hoxd13 induces extra digits in a mouse model of synpolydactyly directly and by decreasing retinoic acid synthesis. Journal of Clinical Investigation 119, 146-156 (2009). © 2010 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5