Der Pioniergeist eines grenzenlosen Zeitalters

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Der Pioniergeist eines grenzenlosen Zeitalters
Der Pioniergeist eines grenzenlosen Zeitalters II
- Beispiele wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Hokkaidô und Deutschland -
WATANABE Masato
Umschlagabbildung: Hokkaidô-Kürbisse auf dem Marktstand eines Gemüsehändlers.
(Aufnahme: Beamter der Stadt Sapporo, Hokkaidô, Japan)
Autor und Herausgeber der deutschen Ausgabe:
WATANABE Masato, Dezember 2010
Übersetzung aus dem Japanischen:
Daniel Döbbeler
Titel der japanische Originalausgabe (April 2010): Bôdaresu Jidai no Furontia Seishin II.
1
Vorwort
Das Umschlagfoto zeigt den auffälligen Stand eines Gemüsehändlers auf einem Markt in
Deutschland. Warum wurde ausgerechnet dieses Bild für die Titelseite gewählt?
In Japan ist er kaum bekannt, aber Deutsche erkennen ihn sofort: Die Rede ist von dem in der
Mitte des Fotos gut zu erkennenden, mit Hokaido ausgeschilderten und in Deutschland äußert
beliebten Kürbis der Handelssorte Hokkaido. Das Wort Hokkaido verbinden Deutsche meist
zunächst mit dieser Kürbissorte. Ein in einem Vorort von München lebender Japaner, der seine
Kindheit in Sapporo verbracht hatte, führte diese Sorte 1993 als Hokkaido Kürbis erstmals ein.
Seitdem ist er schon über 10 Jahre lang eine in ganz Deutschland so beliebte Sorte, dass sogar,
wenn von Kürbis gesprochen wird, oft der Hokkaido gemeint ist.
Ich hatte seit März 2006 in Deutschland eine neue Stelle angetreten und nahm Ende April 2009
diese schon über 3 jährige Arbeit in Deutschland zum Anlass, die Handelsbeziehungen zwischen
Hokkaidô und Deutschland zu untersuchen und in einem ersten Buch 1 zu veröffentlichen. Auch
nach meiner Rückkehr nach Japan setze ich meine Forschungen fort und aufgrund der zahlreichen,
hervorragenden Fallbeispiele, die ich gewinnen konnte, entschied ich mich, eine Fortsetzung dazu
zu verfassen.
Nachdem ich das erste Buch an Freunde und Bekannte verteilt hatte, und diese es weiteren
Personen vorstellten, erhielt ich rege Rückmeldungen. Von deutschen Lesern kam die Bitte auf,
einige grundlegende Informationen über Hokkaidô zu erhalten, und so entschied ich mich, die
vorliegende Fortsetzung des Buches um einige grundlegende Informationen zu Deutschland und
Hokkaidô zu ergänzen.
Weiterhin habe ich nun aufgrund des Interesses an Informationen zu meiner Person am Ende des
Buches eine kurze Autobiographie hinzugefügt.
Je mehr ich forschte, umso mehr wurde mir aufs Neue bewusst, dass gewisse Lücken bestanden.
Das mag nur natürlich sein, aber es dürften noch unzählige weitere Fallbeispiele existieren, deren
Auffindung mir noch nicht möglich war. Ferner denke ich, dass, bezöge man die Beziehungen aus
den Bereichen der Kultur,Kunst und Bildung mit ein, noch viele weitere Beziehungen bestehen,
sowie Fälle, in denen diese Beziehungen auch mit der Wirtschaft verknüpft sind.
1 WATANABE Masato: Der Pioniergeist eines grenzenlosen Zeitalters - Von Pionieren, die sich den
Herausforderungen einer grenzenlosen Zeit stellen (Konkrete Beispiele für Aktivitäten von Unternehmen mit Bezug
zu Hokkaidô und Deutschland). 2009.
2
Wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen für die Fortsetzung internationaler Beziehungen
sind, wie wichtig die direkten Verbindungen mit dem Ausland für die Planungen der künftigen
Wirtschaft Hokkaidôs sind - diese und weitere Punkte werden durch die in diesem Manuskript
geschilderten Fallbeispiele von Beziehungen mit Deutschland anschaulich verdeutlicht.
Passend zum 150. Jubiläum der Deutsch-Japanischen Freundschaft im Jahre 2011 wünsche ich
mir aufrichtig, dass die aus diesem Anlass in nächster Zukunft durchgeführten Veranstaltungen auch
in Hokkaidô stattfinden.
Allen, mich beim Verfassen dieses Manuskripts unterstützt haben, möchte ich meinen
aufrichtigen Dank zum Ausdruck bringen.
WATANABE Masato, Dezember 2010
Vorbemerkungen des Übersetzers
Zunächst meinen herzlichsten Dank an den Autor und auch Herausgeber der deutschen Ausgabe,
WATANABE Masato, der mir nicht nur die Übersetzung seines Buches anvertraut hat, sondern mir
dabei auch als Editor mit Anregungen, Rat, Erläuterungen
und Vorschlägen zur Seite gestanden
hat.
Sämtliche japanische Personennamen habe ich in ihrer ursprünglichen, japanischen Stellung
belassen, der Zuname steht also vor dem Vornamen. Der Deutlichkeit halber wurde dabei der
Nachname, wie in den Ostasienwissenschaften üblich, in Majuskeln gesetzt.(Die vielfach
anzutreffende Umstellung der Namensteile scheint mir nicht nur unnatürlich,sondern durch ihre
zudem oft inkonsequente Anwendung, insbesondere bei historischen Persönlichkeiten, verwirrend.)
Die Transkription japanischer Begriffe folgt, mit Ausnahme anders etablierter Bezeichnungen,
allgemein dem Hepburn-System.
Wo es mir notwendig erschien, habe ich kurze Erläuterungen zu Fachtermini und japanischen
Begriffen als Fußnoten eingefügt.
Die Abbildungen stammen alle, soweit nicht anders angegeben, vom Autor, WATANABE Masato.
3
Der Pioniergeist eines grenzenlosen Zeitalters II
- Beispiele wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Hokkaidô und Deutschland -
Inhaltsverzeichnis
Vor wort ................................................................................................................................................. 2
Vorbemerkungen des Übersetzers ........................................................................................................ 3
Inhaltsverzeichnis................................................................................................................................. 4
1. Hokkaido und das Bundesland Nordrhein-Westfalen, Deutschland: Geographien ......................... 6
2. EVEC - Japans erstes Bio-Venture mit Großauftrag eines deutschen Pharmakonzerns ................ 11
3. Kinosen'i – der erste deutsche Anlagenexport ............................................................................. 15
4. Biei: Die deutschen Wurzeln japanische Agrikultur .................................................................... 17
5. Moderne Landwirtschaft und Obstanbau in Japan: Die Geschichte der Bakumatsu-Stadt Nanae 20
6. Deutsche Technik für Obst und Bier .............................................................................................. 23
7. Hokkaidô: Eine deutsche Modellfarm im Reich der Zuckerfee .................................................... 25
8. Echter Schinken und Wurst aus Hakodate ..................................................................................... 28
9. Schinken und Wurst: Optimale Nutzung der Umweltbedingungen Hokkaidôs ............................ 32
Barnabas-Foods, Sapporo Co., Ltd. ....................................................................................... 32
Eff-Eff..................................................................................................................................... 32
Bräunlingen ............................................................................................................................ 33
Wurst Yoshida, Tonden-Farm ................................................................................................. 33
10. Otaru-Bier: Unverfälschter Geschmack aus Leidenschaft ........................................................... 34
11. Eine Goldader in stillgelegter Zeche: Feinmechanik Kitanihon .................................................. 37
12. Dynax: Qualität und Menschlichkeit in der Automobilindustrie ................................................. 39
13. Boschs eiskalte Teststrecke .......................................................................................................... 41
14. Von Akabira um die Welt: Itagaki Taschen .................................................................................. 43
15. Moor-Quellen in Baden-Baden und dem Tokachigawa-Onsen ................................................... 45
16. Ein deutsches Schloss auf der Ebene von Tokachi?! - Feriendorf und Schloss Bückeburg ..... 46
17. Deutsche Gesundheitsschuhe: Ritz, Alpha-Miki und Benher ...................................................... 50
Deutsche Gesundheitsschuhe Ritz.......................................................................................... 50
Alpha-Miki ............................................................................................................................. 50
Schuhgeschäft Benher-Gesundheitsschuhe ............................................................................ 51
18. Deutsches Restaurant, deutsche Konditorei und deutsche Bäckerei............................................ 52
19. 150 Jahre deutsch-japanische Freundschaft ................................................................................. 56
Literaturverzeichnis............................................................................................................................58
Lebenslauf des Autors ........................................................................................................................ 61
4
5
1. Hokkaido und das Bundesland Nordrhein-Westfalen,
Deutschland: Geographien
Japan liegt geographisch zwischen Kap
Kamoiwakka bzw. Kamuiwakka 2 (Kap
Koritsky) auf der zur Präfektur Hokkaidô
zählenden Insel Etorofu (Iturup) im Norden
(45°33′19″N), der Insel Okinotorishima
(Präfektur Tôkyô) im Süden (20°25′31″N),
der Insel Minamitorishima (Präfektur Tôkyô)
im Osten (153°59′11″E) und Kap Irizaki auf der
Insel Yonagunijima (Präfektur Okinawa) im
Karte von Japan und Umgebung
(DEMNIS World Map)
Westen (122°56′01″E). Das Land erstreckt sich
also sowohl in seiner Nord-Süd-, als auch der
Ost-West-Ausdehnung über je 3.000 km. Japans Hoheitsgebiet umfasst neben den vier großen
Hauptinseln Honshû, Hokkaidô, Kyûshû und Shikoku auch 6.852 kleine und große Inseln. Die
Gesamtfläche beträgt 377.946,46 km² und gliedert sich in 47 Präfekturen unter lokaler
Selbstverwaltung mit 1.798 Gemeinden, die sich wiederum aus den 23 Stadtbezirken Tôkyôs und
783 Großstädten, 801 Städten und 191 Dörfern zusammensetzen. Die Bevölkerung zählt
127.917.702 Einwohner.
Hokkaidô selbst liegt geographisch zwischen Kap Kamuiwakka 3 auf der Insel Etorofu im Norden
(45°33′19″N), der Insel Oshima-Kojima im Süden (41°20′58″N), der Insel Etorofu im Osten
(148°53′59″E) 4, und der Insel Oshima-Ôshima im Westen (139°20 ′16″E). Die Gesamtfläche beträgt
83.456,75 km² bei einer Nord-Süd-Ausdehnung von 450 km und einer Ost-West-Ausdehnung von
600 km und nimmt damit etwa 22% des japanischen Hoheitsgebiets ein. Die 180 Gemeinden
2 Diese Angabe ist umstritten. Die Insel Etorofu gehörte nach japanisch-russischem Abkommen seit 1855
offiziell zu Japan, wird aber, wie alle Kurilen-Inseln, seit Ende des 2. Weltkriegs von Russland
beansprucht und verwaltet. Dies ist einer der Hauptgründe für die politischen Spannungen zwischen den
beiden ländern und führt zu den weiterhin anhaltenden Grenzproblemen. Lässt man die russischen
Ansprüche gelten, wäre aktuell der nördlichste Punkt Japans die kleine, verlassene Insel Benten (bzw.
Bentenjima; 45°31′38.41″N), ca. 1 km nordwestlich von Kap Sôya.
3 s.o., Anmerkung 2.
4 s.o., Anmerkung 2. Unter diesem Aspekt wäre als der östlichste Punkt Hokkaidos Kap Nosappu auf der
Halbinsel Nemuro (145°49′03″E) anzusehen.
6
Hokkaidôs gliedern sich in 35 Großstädte und die in 64 Verwaltungbezirke aufgeteilten 130 Städte
und 15 Dörfer, wozu weiterhin noch 6 Dörfer (5 Verwaltungseinheiten) in den Nördlichen Gebieten
gehören. Die Bevölkerung Hokkaidôs zählt 5.517.449 Einwohner, was 4,4% der gesamtjapanischen Bevölkerung entspricht.
Die Frage nach den Besitzansprüchen der Nördlichen Gebiete (Süd-Kurilen Inseln), die von
Russland nach dem 2. Weltkrieg annektiert wurden, ist nach wie vor ungelöst.
Deutschland liegt geographisch zwischen List auf der Insel Sylt
im Norden (55°03′33″N), dem bayerischen Oberstdorf im Süden
(47°16′15″N), dem sächsischen Deschka im Osten (15°02′37″E)
und dem nordrhein-westfälischen Selfkant im Westen (5°52′01″E).
Das Land erstreckt sich in seiner Nord-Süd-Ausdehnung über 880
km, in der Ost-West-Ausdehnung über 640 km. Die Gesamtfläche 5
beträgt 357.104,07 km² und gliedert sich in 16 Bundesländer (13
Bundesländer und 3 Stadtstaaten 6) mit 111 kreisfreien Städten und
311 Landkreisen, die wiederum in 12.166 Gemeinden gegliedert
sind, also insgesamt 12.277 selbstständige territoriale Einheiten.
Karte von Deutschland
(Generic Mapping Tools)
Die Bevölkerung zählt 82.046.000 Einwohner (Stand: 30.11.2008).
Nordrhein-Westfalen selbst liegt geographisch zwischen Rahden im Kreis Minden-Lübbecke im
Norden (52°32′N), dem zum Gebiet der Eifel gehörenden Hellenthal im Süden (50°19′22″N),
Höxter im Osten (9°26′E), und Selfkant im Westen (5°52′01″E). Die Gesamtfläche beträgt
34.088,31 km² bei einer Nord-Süd-Ausdehnung von 190 km und einer Ost-West-Ausdehnung von
235 km. Die insgesamt 396 Verwaltungseinheiten des Bundeslandes gliedern sich in 23 kreisfreie
Städte und 31 Landkreise mit 373 Gemeinden. Die Bevölkerung Nordrhein-Westfalens zählt
17.933.064 Einwohner (Stand: 31.12.2008).
5 Angabe des Statistischen Bundesamtes Deutschland vom 22.10.2008.
6 Berlin, Hamburg und Bremen, wobei Berlin und Hamburg gleichzeitig den Verwaltungsstatus eines
Bundeslandes besitzen.
7
So gesehen liegt Japan also weitaus südlicher als
Deutschland, aber da es sich auf der Ostseite des eurasischen
Kontinents befindet, hat Hokkaidô ein vergleichsweise
kühleres Klima mit mehr Schneefall. Des weiteren kann
Japan, bedingt durch seine je 3.000 km umfassende
Ausdehnung in Nord-Süd- und West-Ost-Richtung mit vielen
verschiedene Klimazonen aufwarten, die von der
Subpolarzone bis zur Subtropischen Zone reichen. Obwohl
Japan auf den ersten Blick flächenmäßig kleiner als
Deutschland zu sein scheint, hat es, da das Hoheitsgebiet
sich aus vielen Inseln zusammensetzt, inklusive der
Hoheitsgewässer und der exklusiven Wirtschaftszonen
Vergleich der Lage und Größe von
Hokkaidô mit anderen Ländern
(Hokkaidô Entwicklungsbehörde,
offizielle Homepage)
eine Gesamtfläche von 4.479.358 km² und steht damit
international an 6. Stelle. Fasst man die Flächen der Hoheitsgebiete zusammen, kommt Japan
international hinter Indien an 9. Stelle. Auch in der Bevölkerungsdichte übertrifft Japan mit 336,81
Einwohner pro km² Deutschland (229,75 Einwohner pro km²) um über 100 Einwohner pro km².
Ähnlich hebt sich Hokkaidô mit seiner geringen Bevölkerungsdichte von 66,76 Einwohnern pro
km² von der überfüllten Situation in Nordrhein-Westfalen mit 526,07 Einwohnern pro km² ab. Im
Vergleich zu Japan mit 1.798 Gemeinden besitzt Deutschland trotz der früheren, fortschreitenden
Eingemeindungen gegenwärtig immer noch mit 12.277 Gemeinden sehr viele klein-dimensionierte,
selbstständige territoriale Einheiten.
Auch beim Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat
Deutschland mit 44.700,65 US-Dollar gegenüber
Japan mit 38.681,91 US-Dollar einen Vorsprung von
über 6.000 US-Dollar.
Durch die zwischen Hokkaidô von Honshû
bestehende Tsugaru-Meerenge verläuft auch die
Blakiston-Linie, welche die Tier- und Pflanzenreiche
Hoheitsgewässer und Exklusive
Wirtschaftszonen Japans (Japanische
Küstenwache, offizielle Homepage)
der beiden Inseln von einander trennt. Durch
unterschiedliche Klimata und die Trennung durch das
8
Meer konnten sich Tiere und Pflanzen in
verschiedene Subspezies entwickeln.
Hokkaidô besitzt daher eine Flora und
Fauna mit charakteristischen
Unterschieden zu den anderen, weiter
südlich gelegenen Teilen Japans.
Auch die bis heute von den übrigen
Regionen sehr verschiedenen historischen
Entwicklungen sind ein weiteres
Charakteristikum Hokkaidôs.
Klimavergleich Japan – Deutschland durch die Köppen
Klimaklassifikations Karte (basierend auf: Hydrology and
Earth System Sciences: Updated world map of the
Köppen-Geiger climate classification)
Mit der Einrichtung der Entwicklungsbehörde durch die Meiji-Regierung im Jahre 1869 begann
die moderne Entwicklung Hokkaidôs. Zuvor bewohnten größtenteils Ainu Stämme das Gebiet, und
obwohl seit Niederlassung des Matsumae-Clans während der Edo-Zeit 7 ein Tauschhandel mit den
Ainu bestand, erfolgte keine weitere aktive Erschließung mit Ausnahme eines Teils der OshimaHalbinsel.
Ein Jahr bevor in Japan TOKUGAWA Yoshinobu 1868 dem Kaiserhaus die Regierungsgewalt
zurückgab und damit den Beginn der Meiji-Ära einläutete, wurde dagegen in Deutschland mit
Gründung des Norddeutschen Bundes der erste Bundesstaat gegründet und Otto von Bismarck
bezog sein Amt als Bundeskanzler. Darauf folgte 1871 die Einigung zum Deutschen Reich durch
die Proklamation des preußischen Königs Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser im Spiegelsaal von
Versailles. Weiterhin wurde im Interesse der Deutsch-Japanischen Beziehungen 1861 der
Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen Japan und Preußen geschlossen.
Die Meiji Regierung übernahm aktiv die europäisch-amerikanische Technik und trieb die
Entwicklung Hokkaidôs voran. Abgesehen von der Zeit nach Abschaffung der
Entwicklungsbehörde während der Jahre 1882 bis 1886, in der sich die Präfekturen Hakodate,
Sapporo und Nemuro kurzzeitig etabliert hatten, bestand Hokkaidô danach bis 1947 nach dem
Zweiten Weltkrieg als eine Präfektur und genoss eine Zeit der konsequenten Entwicklungsförderung
durch das Land. Weiterhin wurde nach Kriegsende im Jahr 1950 das Gesetz zur Erschließung
Hokkaidôs (Hokkaidô Development Act) beschlossen, auf dessen Grundlage der bis heute wirkende
7 1603 – 1868.
9
Plan zur umfassenden Entwicklung Hokkaidôs (Hokkaidô Comprehensive Development Plan)
ausgearbeitet wurde. Auch der Verlauf dieser Landeserschließung unterscheidet sich in hohem
Maße von derjenigen in anderen Regionen Japans.
Nach der Einigung des Deutschen Reiches erlitt Deutschland jedoch mit dem Ersten Weltkrieg
eine Niederlage und wurde durch die Novemberrevolution von 1918 und der Ausrufung zur
Weimarer Republik eine Demokratie. Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Aufteilung in
Besatzungszonen brachte 1949 die Gründungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutsch
Demokratischen Republik mit sich. Durch den Fall der Berliner Mauer im Jahre 1990 erreichte
Deutschland erneut seine bis heute bestehende Einigung. Während der Trennung von der
Bundesrepublik fiel die Wirtschaft im ehemaligen Ostdeutschland stark zurück und auch
gesellschaftliche und infrastrukturelle Wartungsmaßnahmen wurden nicht hinreichend ausgeführt.
Die Aufhebung der so entstandenen wirtschaftlichen Ungleichheit zwischen Ost und West ist eine
der Hauptaufgaben der deutschen Regierung.
10
2. EVEC - Japans erstes Bio-Venture mit Großauftrag eines
deutschen Pharmakonzerns
Im ausgehenden 21. Jahrhundert ist auch Japan zu einer Gesellschaft geworden, die den sich
schnell entwickelnden Start-up-Unternehmen Platz bietet. Dennoch ist es außerordentlich schwierig,
den Erfolg eines Start-up-Unternehmens zu sichern und es gibt bereits viele Beispiele von
Übernahmen und Einbindungen in Großunternehmen.
Auch im Bereich des Bioengineering wurden zahlreiche Start-up-Unternehmen gegründet. Je nach
Region gelten dabei für Bio-Start-up-Unternehmen einige Besonderheiten: Zum Beispiel kann man
beobachten, dass in der Kansai-Region 8 viele Bio-Start-up-Unternehmen von den dort seit jeher
ansässigen, Soda 9 verarbeitenden Chemie- und Pharmaunternehmen gesponsert werden. Auf der
anderen Seite findet man in Hokkaidô viele BioBlutentnahme
Start-up-Unternehmen, die ihr Augenmerk auf die
B-Lymphozyten
Infektion mit EBVirus
EB-Virus
für Japan besondere Flora richten und die aus
Pflanzen, Algen und Meerestieren extrahierten,
aktiven Wirkstoffe verwerten.
Es ist wohl nicht zu bezweifeln, dass dabei unter
B-Lymphozyten
Vermehrung und
Einleitung der
Antikörper-Produktion
den Bio-Ventures in der Kansai-Region, die durch
ihre Kapitalkraft mit überwältigendem Vorteil
Isolierung der
Antikörperproduzierenden
Zellklone
ausgestattet sind, Erfolgsbeispiele mit
Großaufträgen herauskommen. Trotzdem ist das
erste Beispiel für den Erfolg eines Bio-Ventures in
Japan das eines Unternehmens in Hokkaidô.
Isolierung der
Antikörper-Gene und
Produktion von
Antikörpern
Die EVEC Co., Ltd. wurde im Januar 2003 von
Professor TAKADA Kenzô vom Institut für
Gentherapie der Universität Hokkaidô (nun
Übersicht zur Produktion von perfekten
menschlichen Antikörpern.
(modifiziert übernommen von: EVEC AG,
offizielle Homepage)
Präsident des Unternehmens) unter Einbringung
8 Eine der 7 Regionen Japans, in welcher sich u.a. die Städte Kyôto, Osaka, Nara und Kôbe befinden.
9 Na2CO3x10H2O, auch bekannt unter engl. Natron.
11
seiner 30 jährigen Erfahrung in der Erforschung des Epstein-Barr-Virus 10 (EBV) gegründet, um
seine Technik zu Produktion menschlicher Antikörper unter Verwendung des EBV in den
praktischen Gebrauch umzusetzen. Das Unternehmen setzte sich die zügige
Vermarktungsmöglichkeit eines hochwirksamen Medikamentes als Ziel und beschritt den Weg eines
Pharmaunternehmens durch Kooperation mit Unternehmen, die für die jeweiligen Abschnitte der
Strecke erfolgversprechend waren.
Die Techniken der Antikörperproduktion mit Labormäusen waren bereits etabliert, aber die
Entwicklung voll-menschlicher Antikörper ohne Anteile von Mausgenen wurde zur Hauptströmung
der letzten Jahre. Die Methoden, mit Genen menschlicher Antikörper präparierte Mäuse oder
gentechnisch veränderte Kolibakterien (Escherichia coli) zu verwenden, wurden als Techniken zur
Herstellung voll-menschlicher Antikörper entwickelt. EVEC entwickelte dagegen eine eigene
Technik, bei der die im menschlichen Blut vorkommenden, Antikörper produzierenden BLymphozyten voll-menschliche Antikörper herstellen. Dabei wird die durch Anwesenheit des EBV
erhöhte Aktivität der B-Lmyphozyten ausgenutzt und zur Produktion der Antikörper verwendet.
Diese EBV-Methode zur Antikörperproduktion war schon seit längerem bekannt, aber Berichte
von Erfolgen in der Produktion waren zum damaligen Zeitpunkt gering. EVEC konnte große
Mengen an Know-How bezüglich EBV ansammeln und entwickelte eine Methode, um Antikörpern
mit der angestrebten, hohen Erfolgsquote zu gewinnen.
Weil bisher die meisten Patente für Techniken zur Antikörperproduktion bei europäischen und
amerikanischen Pharmaunternehmen lagen, mussten für deren Gebrauch große Summen an
Lizenzgebühren aufgewendet werden. Für die Verwendung der von EVEC entwickelten Methode ist
dies jedoch nicht erforderlich. Folglich ist eine effektive Senkung in den Behandlungskosten zu
erwarten. Im Moment sind für die von EVEC entwickelten Antikörper schon eine Vielzahl an
Lizenzen als Substanzpatent beantragt worden.
Im August 2009 statte ich EVEC einen Besuch ab. Der aus Kôbe stammende
Hauptgeschäftsführer DOI Hisato, arbeitete bis zu seinem Rücktritt bei einer großen Treuhandbank.
Während seiner Arbeit für ein Unternehmen in Sapporo bildete er sich in Unternehmensführung in
einem Erwachsenenprogramm der Graduiertenabteilung der Otaru Universität für Handel unter
Professor SETO Atsushi weiter. Seine Hauptbeschäftigung während des Studiums war die
10 Ein Herpesvirus, u.a. verantwortlich für das Pfeiffer-Drüsenfieber sowie mutmaßliche Ursache
verschiedener Autoimmun- und Krebserkrankungen. Bei den meisten Erwachsenen latent vorhanden.
12
Gründungsförderung (business incubation) neuer Unternehmen, die vom UnternehmensgründungsZentrum derselben Universität unterstützt wurden. 2002 gründete er dann die Human Capital
Management Co., Ltd. als hauptberuflicher Gründungsförderer. Die Nebenbeschäftigung als
Hauptgeschäftsführer von EVEC nahm er an, weil er Professor TAKADAs Technik für hervorragend
hielt und dachte, einen Beitrag zur Gesellschaft leisten zu können, indem er diese Technik in einem
Unternehmen zum Erfolg brächte. Im Folgenden einige Erklärungen von Herrn
Hauptgeschäftsführer DOI.
Um das Beste aus der vortrefflichen Technik zur Antikörper-Herstellung zu machen, arbeitete ich
ein Business-Modell für ein Unternehmen aus, das als Rohstoff-Lieferant für AntikörperArzneimittel einen Beitrag zur Medizin leisten sollte. EVEC selbst sollte sich dabei auf seine eigene
Stärke, nämlich den Herstellungsprozess voll-menschlicher Antikörper spezialisieren und andere
Arbeiten wie industrielle Fertigung und klinische Arbeitsprozesse sollten von den darauf
spezialisierten, kooperierenden Arzneimittelherstellern übernommen werden. Durch die
konsequente Verfolgung dieser Auslagerungs-Strategie („outsourcing“) konnte das von Start-upUnternehmen gefürchtete Risiko des „Death-Valley 11“ vermieden werden. Nicht nur konnte auf
diese Weise ein Risiko umgangen werden, sondern die Vorgehensweise entsprach auch dem
sogenannten „Intel-Modell“. Bei diesem Modell spezialisiert sich ein Betrieb auf seine
Kernkompetenzen. Durch die Produktion der für das spätere Produkt unentbehrlichen Bestandteile
wie beispielsweise des CPU für
den PC, wird mit jedem Verkauf
Hauptarbeitsschritt:
Produktion der
Antikörper
Antigen
Identifikation
Da EVEC-Antikörper
vollständig menschliche
Antikörper sind, ist eine
Anpassung an den
Menschen nicht nötig.
Überwachung der
Antikörper-Aktivität und
Datensammlung
Geistiges Eigentum
eines PC gleichzeitig auch ein
eigenes Produkt verkauft.
Vertragspartner (Pharmakonzern)
Lizenzvergabe an
Pharmakonzern
Selektion der führenden
chemischen Verbindung
diese auch vom Endhersteller
Vertragspartner (Pharmakonzern) führt mittels seiner Kapitalkraft, der vorhandenen Einrichtungen und des Personals, sowie seiner Fülle an Erfahrung durch
Phase II
Phase III
Lizenzen für
verschiedene Länder
Beim Fortschritt jeder Phase Ausschüttung von Milestone-Payment für die Lizenzen in jedem Gebiet
verwendet und kommen somit
letztendlich dem Verbraucher
Phase I
Beim Fortschritt jeder Phase Ausschüttung von Milestone-Payment
Aufgrund der überragenden
Techniken und Produkte werden
Klinische Vorstudien
Verkauf
Dem Umsatz entsprechender
Gewinn von Lizenzgebühren
Übersicht zum Business-Modell der EVEC AG.
(modifiziert übernommen von: EVEC AG, offizielle Homepage)
zu Gute. Selbstverständlich ist dies auch ein Anliegen von EVEC.
Im September 2008 konnte ein japanisches Bio-Venture als erstes seiner Art einen Vertrag mit
11 Insolvenz eines Start-up-Unternehmens durch die in der Anfangsphase ausbleibenden Gewinne.
13
einem Pharmakonzern in Übersee, Boehringer Ingelheim (BI), abschließen. Dabei handelte es sich
um einen Lizenzvertrag zur Nutzung einer Sorte der von EVEC entwickelten, perfekten
menschlichen Antikörper. BI erwarb hiermit internationale, exklusive Rechte an Weiterentwicklung
und Kommerzialisierung dieser Antikörper. EVEC konnte damit nicht nur 55 Millionen Euro 12 an
Milestone Payment 13 entsprechend der Vorleistungen und Entwicklungskosten gewinnen, sondern
erhält auch weiterhin die Tantiemen aus der Umsatzbeteiligung am Verkauf der Medikamente. Weil
es sich bei diesem Lizenzvertrag nur um die Rechte an einem Antikörper gehandelt hat, hält EVEC
weiterhin die Rechte an der grundlegenden Technologie und den abgeschlossenen sowie folgenden
Entwicklungen von Antikörpern.“
Laut DOI sei für Start-up-Unternehmen die Kooperation mit einem Pharmakonzern nicht leicht,
aber EVEC werde trotzdem von BI als gleichwertiger Partner behandelt. Deutschland biete Raum
für die Entstehung von Start-up-Unternehmen. Da es Ähnlichkeiten in den Rechtssystemen gebe,
falle außerdem die Vertragsverhandlung mit deutschen Unternehmen im Vergleich zu
amerikanischen leichter.
Ich habe während meiner Tätigkeit in Deutschland Gelegenheit gehabt, für das Ministerium für
Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen zu arbeiten. Auch in
Deutschland ist es ein wichtiges Thema, auf welche Weise die ausgezeichneten, an den
Universitäten entwickelten Techniken in die Industrie eingebunden werden können. Ebenso kann
eine Verbindung von Forschungsergebnissen japanischer Universitäten mit Unternehmen in Übersee,
wie das Beispiel EVEC zeigt, trotz noch bestehender Schwierigkeiten bei der Kooperation von
Industrie und Forschung innerhalb Japans außerordentlich erfolgreich sein. Das Beispiel von DOIs
Geschicklichkeit verdient jedenfalls auch die Aufmerksamkeit aller an Kooperationen mit
der
deutschen Industrie und Wissenschaft Beteiligten.
Obwohl mein Fachgebiet die Rechtswissenschaft ist, fühle ich als Absolvent der GraduiertenAbteilung der Otaru Universität für Handel eine gewisse Geistesverwandtschaft mit Herrn
Hauptgeschäftsführer DOI und wünsche mir, dass von Menschen wie ihm noch mehr für die
Wirtschaft Hokkaidôs getan wird.
12 Dies entsprach bei Vertragsabschluss etwa 8,8 Milliarden Yen.
13 Auch Down Payment. Abgeltung von Vorleistungen eines Pharmaunternehmens (Forschung, Entwicklung,
Schutzrechte) bis zum Erreichen eines Entwicklungspunktes = “milestones“.
14
3. Kinosen'i – der erste deutsche Anlagenexport
Im Juli 2008 begann in Tomakomai, einer
Hafenstadt im Süden Hokkaidôs, der Bau
einer Fabrikanlage zur Herstellung von
Wärmeisolierungsplatten aus Holzfaser. Zu
den Feierlichkeiten der Fertigstellung im
Juli 2009 anwesend war zudem Hans-
Grundsteinlegung der Fabrik von Kinosen'i in
Tomakomai, Hokkaidô. Anwesende u.a.: Botschafter
Joachim Daerr, der zu diesem Zeitpunkt
H.-J. Daerr, Gouverneurin der Präfektur Hokkaidô
amtierende Botschafter der Bundesrepublik
TAKAHASHI Harumi und Herr Dr. Wilhelm Meemken.
Deutschland in Japan, der auch schon bei
(Quelle: Kinosen'i AG, offizielle Homepage.)
der Grundsteinlegung zugegen war. Der Frage, warum eigentlich ein deutscher Botschafter
teilgenommen hat, soll im Folgenden nachgegangen werden.
Die Technik zur Herstellung von Holzfaser-Dämmplatten in dieser von der Aktiengesellschaft
Kinosen'i (Wood Fiber Co.,Ltd.) in Sapporo errichteten Fabrik wurde von der in Berga ansässigen,
deutschen Firma Homatherm entwickelt. Dabei erfolgte die Fertigung der Anlage selbst nun zum
ersten Mal außerhalb Deutschlands.
Bereits vor dem Bau war Wilhelm Meemken, Geschäftsführer
der Firma ECOS Japan Consult, mit ÔTOMO Norio,
Geschäftsführer von Ki-no-sen'i, in Kontakt getreten. Nachdem
Herrn ÔTOMO die Holzfaser Wärmedämmplatten der Firma
Homatherm vorgestellt worden waren, gab dies den Anstoß zur
Gründung von Kinosen'i im September 2004. Herrn ÔTOMO war
zuvor Forscher an der technischen Fakultät der Hokkaidô
Universität gewesen, gründete dann aber die sich auf diese
Arbeit stützende NERC Co., Ltd (Natural Energy Research
Center) in Sapporo und förderte damit unter anderem die
Wärmeisolierung aus
Holzfaser.
(Quelle: Kinosen'i AG, offizielle
Homepage.)
Industrialisierung von Erneuerbaren Energien.
Die Holzfaser Wärmedämmplatten besitzen neben der Wärmeisolierung außerdem noch
15
hervorragende Eigenschaften in den Bereichen der Schallisolierung, des Feuchtigkeitsausgleichs,
des Brandschutzes, des Energiesparens und ihrer Verarbeitung. Der zur Herstellung der Platten
notwendige Energieaufwand ist dabei extrem gering und durch die Verwendung von 100%
natürlichen Rohstoffen besteht keine Sorge bezüglich der Gefahren des Sick-Building-Syndroms 14
(SBS). Produktion, Verwendung und Entsorgung sind über den vollständig biologisch abbaubar.
Wenn im eigenen Land produziert werden kann, besteht zusätzlich die Möglichkeit, durch
Produktion und Konsum von Bauholz auf lokaler Ebene zur Wiederaufforstung und Neubelebung
der Wälder beizutragen. Alle diese Produktmerkmale sind in der heutigen Gesellschaft von großem
Gewicht. Weil dies alles im Einklang mit der Gründungsidee von NERC stand und es landesweit
noch keine ähnlichen Produkte zu geben schien, wurde beschlossen, mit NERC als ein neues
Unternehmen im Handel mit diesen Produkten auf den Markt zu gehen. Im Januar 2005 wurde das
Werk in Deutschland inspiziert und unverzüglich ein Importvertrag geschlossen. Von August bis
Oktober 2005 wurden fünf 40'-Container 15 importiert und in Hokkaidô in fünf Gebäuden errichtet.
Investitionen von im Wesentlichen fünf Unternehmen aus Hokkaidô, darunter Nakayamagumi und
Chûdôkikai, beide aus Sapporo, Tanjiringyô aus Tomakomai und Yamao aus Memuro, brachten der
Unternehmensgründung den nötigen Aufschwung und durch Lizenzverträge war die neue Firma
innerhalb eines Jahres betriebsbereit. Die im Industriegebiet der Stadt Tomakomai verwendete
Maschinerie stammt übrigens aus der Produktion der deutschen Grenzebach Maschinenbau GmbH
in Asbach-Bäumenheim/Hamlar.
ÔTOMO gründete NERC auf Basis der durch seine Forschungstätigkeit an der Universität
erworbenen Kenntnisse und seine Vertrauen in seine Fähigkeiten. Daraufhin entwickelte sich der
Kontakt zu Meemken von der auf den Gebieten der Umwelttechnik und Erneuerbaren Resourcen
schon fortgeschritteneren, deutschen Firma ECOS.
Durch Planung dieses Unternehmens konnten, unter Verwendung der zum gegenwärtigen
Zeitpunkt praktisch anwendbaren Technik und Nutzung von Ressourcen aus der Umgebung, ein
Beitrag zur regionalen Wirtschaft geleistet und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Nicht nur
einfaches Umweltschutzdenken war hier wichtig, sondern vor allem der vorausschauende Blick auf
die Wirtschaft Hokkaidôs. Es bleibt zu hoffen, dass auf diesem Wege auch weiterhin ein Austausch
international führender Technologien zwischen Hokkaidô und Deutschland stattfinden wird.
14 Unter SBS versteht man die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von gewissen Baustoffen in
Wohnhäusern und Arbeitsplätzen.
3
15 Nach ISO genormte Container für die Seefracht mit 77m Volumen (12,192 × 2,438 × 2,591 m) und
insgesamt ca. 30 t Frachtgewicht.
16
4. Biei: Die deutschen Wurzeln japanische Agrikultur
In der Stadt Biei, gelegen in der Unterpräfektur Kamikawa im Zentrum Hokkaidôs, lebt ein
deutscher Farmer: der aus Gütersloh stammende Stefan Köster-Hirose. Herr Köster war im
Management eines Bauunternehmens beschäftigt und sammelte bei seinen Tätigkeiten für die
deutsche Entwicklungshilfe Erfahrungen in Nepal und Vietnam. 1995 kam er dann nach Japan und
begann mit der Landwirtschaft in Nakafurano 16. 1998 machte er sich in Biei mit einem Bauernhof
selbstständig.
Heute betreibt er die Plantage für ökologisch angebautes
Gemüse namens Landmann und das Landcafé im
deutschen Stil. Die Vorbereitungen zur Unterbringung von
Gästen und Anlage von Wanderwegen sind in gerade in
Arbeit.
Aussenansicht des „Landcafés“
Als ich mit Köster Bekanntschaft schloß, erzählte er mir seine Geschichte. Wie von seinem
beruflichen Hintergrund als Experte im Bauwesen zu erwarten, stellt er sich neben der
Landwirtschaft in Biei noch verschiedenen weiteren Herausforderungen, bei denen er sein Wissen
nutzt. Wenn ich (der Autor, WATANABE Masato) während meines über 3 jährigen Aufenthaltes in
Düsseldorf eine geschlagene Viertelstunde mit dem Auto fuhr, erstreckte sich vor meinen Augen
eine Landschaft wogender Felder – das absolute Ebenbild der Hügel von Biei!
Durch Nutzung der Topographie und der durch die Vulkanasche-Böden bedingte, gute Drainage,
sowie dem Klima mit den für das Landesinnere typischen, relativ großen Schwankungen in der
Tagestemperatur können die Feldfrüchte, die diesen
Umweltbedingungen entsprechen, natürlich oder so
naturnah wie möglich kultiviert werden. Um die
Fruchtbarkeit des Bodens zu erhöhen und hochwertige
Feldfrüchte zu anzubauen, wird auf großflächige
Monokulturen, die den Ertrag erhöhen würden, verzichtet
und statt dessen Böden, die ihre Fruchtbarkeit durch
Stefan Köster-Hirose und der Autor im
Innern des „Landcafés“
Brachliegen zurückgewonnen haben, bebaut. Das
16 Nakafurano liegt wie Biei in der Unterpräfektur Kamikawa.
17
Entleihen solcher Weisheiten unserer Vorfahren und die Annahme der Gunst, ein Teil der Natur zu
sein, gibt ein gutes Beispiel für die Bildung eines symbiotischen Kreislaufs.
In den letzten Jahren haben die als Mischkultur bekannten Denkansätze zur Wiederaufforstung
von Urwäldern Aufmerksamkeit auf sich gezogen, aber auf Kösters Feldern wird die Ausbreitung
von Schädlingen durch die dort verwendete Begleitpflanzen-Methode kontrolliert, bei der
harmonisierende Pflanzen nebeneinander gezogen werden. Auch auf der Apfelplantage des durch
seine „Wunder-Äpfel“ bekannten KIMURA Akinori wird dem dichten Unterholzbewuchs die
Ermöglichung der vollkommen Pestizid-freien Kultivierung der Äpfeln zugeschrieben. Allein der
Mensch versucht, nach seinem Gutdünken die als unnötig empfundenen Elemente in der hoch
diversen Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren zu entfernen und stört damit das bis dahin
vorhandene natürliche Gleichgewicht. Um dies nachträglich zu kompensieren, wird man dann wohl
nicht um einen enormen Aufwand kommen.
Weiter führt Köster die Bedeutung von dem Klima in Hokkaidô angepassten und nicht
angepassten Feldfrüchten aus. Auch hier ließe sich durch einen entsprechend hohen Aufwand an
Agrochemikalien, Düngemitteln und Energie praktisch alles anbauen, aber durch die Kultivierung
von an das vorherrschende Klima und den Boden angepassten Feldfrüchten könne man die den
aufgewendeten Mühen und Kosten entsprechenden Früchte kontinuierlich gewinnen.
Ich selbst bin während meines Deutschland-Aufenthaltes nach Italien und Spanien gereist und
bekam den Eindruck, das sämtliche Lebensmittel in diesen Ländern von der direkten Sonne
profitieren. Es besteht keine Notwendigkeit, zu versuchen, die Landwirtschaft Hokkaidôs den
Bedingungen in Italien oder Spanien anzupassen. Wenn man in Hokkaidô, oder eben Biei, für die
dortigen Umweltverhältnissen geeignete Produkte und Techniken wählt, braucht man einfach nur
den natürlichen Gegebenheiten zu folgen. Die deutsche Landwirtschaft, deren Umweltbedingungen
jenen in Hokkaidô relativ ähnlich sind, kann dabei in vielen Punkten als Referenz dienen.
In seinem Landcafé verwendet Köster unter anderem die selbst angebauten Kartoffeln und man
kann dort deutsche Hausmannskost wie Roggenbrot oder deutsche Kuchen kosten. Das Kochen
besorgt Kösters Frau Kayoko. Sie hat zwar selbst nur rund ein Jahr in Deutschland verbracht, aber
ihr zielbewusst gebackener, deutscher Kuchen wurde auch schon von meiner (des Autors,
WATANABE Masato) Frau genossen.
18
Wenn der die Umgebung des Landcafés durchziehende Wanderweg fertiggestellt ist, wird man
dazu noch die herrliche Natur Hokkaidôs genießen können.
Das Ehepaar Köster fühlt die positiven Aspekte in Biei nicht weniger als die dort seit
Generationen ansässigen Bürger Bieis und wünscht sich, das Beste daraus zu machen. Sei es für
Untersuchungen aus technischer Sicht oder bezüglich der Einbringung Erneuerbarer Energien –
auch der nächste Besuch dort wird gewiss vergnüglich. Das nächste Mal möchte ich zusammen mit
meiner Familie dort eine Hütte mieten und gemütlich plaudern. Vielleicht wollen die Menschen in
Hokkaidô sich so aktiv weiterbilden, gerade weil es ganz in ihrer Nähe solch gute Vorbilder gibt?
19
5. Moderne Landwirtschaft und Obstanbau in Japan: Die
Geschichte der Bakumatsu17-Stadt Nanae
Die jetzigen Bemühungen, eine vorbildliche Landwirtschaft in Hokkaidô zu etablieren, werden
von Herr Köster unternommen (s. Kapitel 4). Aber schon über 140 Jahre zuvor, zur Bakumatsu-Zeit,
prägte ebenfalls ein Deutscher den Beginn der modernen Landwirtschaft in Japan.
Inmitten der langen Isolation Japans durch die Politik des Tokugawa-Shogunats, wurde durch den
Harris-Vertrag 18 mit Beginn der Ansei-Ära 1854 der Hafen von Hakodate 19 für ausländische
Schiffe geöffnet. Zu Beginn der Bunkyû-Ära 1861 unterzeichnete Japan den den Freundschafts- und
Handelsvertrag mit Preußen und darauf begannen auch die offiziellen Beziehungen zwischen Japan
und Deutschland. Auf der anderen Seite expandierte bereits 1859 eines der ersten deutschen
Unternehmen in Japan, L.Kniffler & Co., von seinem Sitz im indonesischen Batavia 20 nach
Nagasaki und führte ab 1861 ein Zweiggeschäft in Yokohama. 1862 kam Conrad Gaertner als
Repräsentant der Yokohama-Zweigstelle nach Japan und pendelte geschäftlich zwischen Yokohama
und Hakodate. Dies ist durch die erhaltenen, seit 1862 geführten Melderegister für Ausländer in
Hakodate, belegt. Gaertner wurde 1865 zum Vizeconsul des Norddeutschen Bundes der in Hakodate
befindlichen preußischen Botschaft berufen und nahm damit nun gleichzeitig die Positionen eines
Kaufmanns und stellvertretenden Botschafters ein. Conrad
Gaertners Bruder Richard kam 1863 ebenfalls nach Japan und
ließ sich in Hakodate als Seidenhändler nieder.
SUGIURA Hyôgonokami, der vom Shogunat als Magistrat von
Hakodate eingesetzt worden war, überlegte, die Techniken des
klimatisch ähnlichen Preußen zu verwenden, um die
„Gartners Buchenhain“
(offizielle Homepage der Stadt
Nanae)
17 Bakumatsu: 1853 – 1867, das Ende der Edo-Zeit und Beginn der Öffnung Japans gegenüber dem
Westen.
18 Japanisch-amerikanischer Freundschafts- und Handelsvertrag.
19 Hakodate liegt im südlichsten Teil Hokkaidôs, auf der Halbinsel Oshima, und ist nur durch die TsugaruMeerenge von Aomori auf Honshû getrennt. Mittlerweile besteht auch eine direkte Verbindung durch den
Seikan-Tunnel. Hakodate war einer der fünf Häfen Japans, die während der Edo-Zeit für ausländische
Handelschiffe geöffnet waren.
20 Heute die indonesische Hauptstadt Jakarta, die zum damaligen Zeitpunkt Teil der holländischen Kolonie
war.
20
landwirtschaftliche Erschließung der damals Ezo genannten Region voranzutreiben. Seit einiger
Zeit hegte auch Richard Gaertner den Wunsch, in die Landwirtschaft einzusteigen und da sich ihre
Interessen überschnitten, wurden Gaertner 1867 etwa 1.500 Tsubo 21 Land in der Umgebung des
Dorfes Kameda für Versuche anvertraut. Damit war der Grundstein für die moderne Landwirtschaft
in Japan gelegt und der Getreide- und Obstanbau (z.B. Äpfel, Kirschen und Trauben) mittels
westlicher Pflüge kam in Japan in Gebrauch.
Im folgenden Jahr, 1868, erweiterte INOUE Iwami, Richter des Gerichtshofs der Meiji Regierung
in Hakodate, dieses Versuchsland auf 70.000 Tsubo 22, und 1869 wurde unter ENOMOTO Kamajirô 23,
Präsident der Republik Ezo 24, ein 99 Jahre gültiger Leihvertrag (Abkommen zur Urbarmachung von
Nanae, Ezochi 25) über 3.000.000 Tsubo 26 Land abgeschlossen.
1869, nach Niederlage bei der Schlacht von Hakodate, wurde die Republik Ezo wieder aufgelöst
und die Meiji-Regierung übernahm die Verwaltung von Ezochi. Die Regierung erfuhr von dem
Abkommen zur Urbarmachung von Nanae, Ezochi und löste den Vertrag 1870, also ein Jahr später
wieder unter Zahlung einer Entschädigung von 62.500 Ryô 27. Man wusste, dass die Westmächte in
Asien schon Pachtverträge über längere Zeiträume abgeschlossen und auf diesem Wege
umfangreiche Kolonien gewonnen hatten, und wollte mit dieser Maßnahme eine ähnliche
Kolonialisierung Ezochis, koste es, was es wolle, vermeiden.
Daher kehrte Richard Gaertner 1870 mit seiner Familie wieder nach Deutschland zurück. Die
Meiji Regierung setzte die Urbarmachung mit den bereits zuvor eingesetzten, modernen AckerbauMethoden auf der von Gaertner zurückgelassen Farm bei Nanae unter dem Namen einer
Regierungs-Plantage weiterhin fort.
L.Kniffler & Co. wurde 1881 in das bis heute bestehende Unternehmen C.Illis & Co. umbenannt.
21 Ein Tsubo entspricht etwa 3,3 m² (oder genauer 400/121 m²); 1.500 Tsubo wären also ungefähr 5.000 m²
= ein halber Hektar.
22 Etwa 230.000 m² bzw. 2,3 ha.
23 ENOMOTO Kamajirô ist auch unter seinem später angenommenen Namen ENOMOTO Takeaki bekannt.
24 1868 spaltete sich Ezo für einige Monate als Republik nach dem Vorbild der USA vom restlichen Japan
ab. Ihre Truppen wurden jedoch 1869, ein halbes Jahr später, von der kaiserlichen Armee geschlagen
und die Meiji-Regierung übernahm erneut die Verwaltung.
25 Auch Ezo-ga-shima, zu deutsch etwa Land der Ezo bzw. Insel der Ezo, der Name Hokkaidôs bis zur
Meiji-Restauration 1868 (wobei Ezo ein anderer Name für die dort lebenden Ainu ist).
26 Also fast 1.000 ha Land.
27 Eine Goldwährung der Edo-Zeit.
21
Übrigens übernahm eben jene C.Illis & Co. die Bereitstellung von Baumaterial für die
Kanalbauarbeiten in Hakodate 1898.
Heute existiert in Nanae Gartners Buchenhain und Hakodate-Wein produziert eine Weinserie mit
dem Namen Gartnell 28 und verweisen damit auf Richard Gaertner.
Wie im ersten Buch bereits dargestellt, kann man heute auch in Nanae Altbier und
Kölsch der Marke Ônuma-Bier trinken. Daher wurde nun auch die Geschichten von
Gaertners Farm, der Urbarmachung der aus dieser hervorgehenden
Regierungsplantage von Nanae durch moderne Agrartechnik und der Obstplantagen
vorgestellt. Als Startpunkt der landwirtschaftlichen Beziehungen zwischen
Deutschland und Japan wird den landwirtschaftlichen Produkten, dem Bier und dem
Wein dieser Region hoffentlich weiter ein wachsendes Interesse gezollt. Und als
Region mit tiefer Bedeutung für die landwirtschaftlichen Beziehungen
zwischen Deutschland und Japan bleibt für Nanae zu hoffen, dass dieser
Hakodate-Wein „Gartnell“
(Hakodate-Wein, offizielle
Homepage)
gegenseitige Austausch weiter florieren wird.
28 Beide Schreibweisen werden in Japan als Umschrift des Namens Gaertner verwendet.
22
6. Deutsche Technik für Obst und Bier
Nachdem Gaertner das Land verlassen hatte (s. Kapitel 5), übte ein weiterer Deutscher, bzw.
deutsch-stämmiger Amerikaner, großen Einfluss auf die Landwirtschaft Hokkaidôs aus. Der Name
des zur weiteren Urbarmachung Ezos angestellten Amerikaners Horace Capron ist berühmt
geworden, aber derjenige, der von Capron für diese Arbeit angeworben worden war, war Louis
Boehmer.
Boehmer wurde 1843 in Lüneburg geboren und lernte Gartenbau bei einem Gärtner des
preußischen Hofes. 1867 emigrierte er als Gartenarchitekt nach Amerika, um den Folgen des
Deutschen Krieges 29 im Jahre zuvor zu entrinnen. 1872 wurde er dann von Capron als Experte für
den Obstbau angeworben und ging nach Japan.
Zu Nachforschungen ging Boehmer 1874 nach Hokkaidô. Während seiner Untersuchungen an der
dortigen Flora entdeckte er in Sarugun eine vielversprechende Art wilden Hopfens und 1877 wurde
in Sapporo eine Hopfen-Plantage eröffnet. Wilder Hopfen war bereits 1871 von dem Amerikaner
Thomas Antisell in der Stadt Iwanai entdeckt worden und Antisells Leistungen sind wohlbekannt.
Nichts desto trotz darf man die Verdienste des deutschen Boehmer nicht vergessen, wenn man an
die Bierherstellung denkt, bei der die von Boehmer kultivierten Pflanzen als Rohstoffe in der
Brauerei der Entwicklungsbehörde Verwendung fanden. Der im vorigen Buch vorgestellte
NAKAGAWA Seibei 30 beispielsweise verwendete für das in der Brauerei der Entwicklungsbehörde
hergestellte Bier auch den von Boehmer kultivierten Hopfen – übrigens mit den ebenfalls deutschen
Techniken des Bierbrauens, die er in der Tivoli-Brauerei des Berliner Vorortes Fürstenwalde erlernt
hatte. Die Hopfenplantage von Sapporo erstreckte sich in einem weiten Band um den Uhrenturm 31
bis zum heutigen Bahnhof Sapporo.
Vor Eröffnung der Hopfen-Plantage wechselte Boehmer 1876 von der Landwirtschaftsbehörde in
29 Der Deutsche Krieg von 1866 zwischen Preußen und Österreich. Durch den Sieg Preußens zerfiel der
Deutsche Bund und der Norddeutsche Bund (s.o.) wurde gegründet.
30 Erster Braumeister der Brauerei der Entwicklungsbehörde (1886 privatisiert und 1964 in Sapporo
Breweries, Ltd. umbenannt. Marke: Sapporo Beer.).
31 Der Uhrenturm der (ehemaligen) Versammlungshalle der landwirtschaftlichen Universität ist eine der
Sehenswürdigkeiten der Stadt und gilt als Wahrzeichen Sapporos.
23
Aoyama zu jener in Sapporo, um unter anderem Obst anzubauen. Boehmer, der während seiner
Untersuchungen zum Klima Hokkaidôs den Anbau von Äpfeln für lohnend erachtete, konnte nach
seiner Versetzung sein Geschick bei seinen Anleitungen zum Apfelanbau beweisen. Eine weitere
wichtige Arbeit Boehmers war der Anbau von Trauben für die ebenfalls geplante Kelterei der
Entwicklungsbehörde. Die von Gaertner auf der Farm in Nanae begonnenen Versuche wurden so
von dem zufälligerweise ebenfalls aus Deutschland stammenden Amerikaner Boehmer
weitergeführt und 1879 wurde von dem erfolgreichen Anbau in Yoichi 32 und Sapporo berichtet.
Zudem ist heute mit dem im vorigen Buch vorgestellten Gustav Grün auch wieder ein Deutscher für
das Keltern des Hokkaidô-Weins zuständig. Die Initiativen Gaertners haben in Hokkaidô Fuß
gefasst und es konnten weitere hochinteressante Beziehungen mit Deutschland geknüpft werden.
Daneben können als weitere Verdienste Boehmers die Einführung und öffentliche Zugänglichkeit
europäischer Gewächshäuser sowie die Konstruktion des Kairakuen-Parks (dem gegenwärtigen
Vorgarten des Seikatei 33) angeführt werden. Auch für das Design der Parkanlage des Hôheikan 34,
dessen Konstruktionsarbeiten 1880 aufgenommen wurden, war er verantwortlich.
Um die Lehren zur deutschen Landwirtschaft von Gaertner und Boehmer zu studieren, führte
FURUYA Makoto aus Asahikawa 35 bis März 2010 Forschungen in Alfter, einer Nachbargemeinde
von Bonn, durch, die von der Gesellschaft für den Internationalen Austausch von Landwirten
(JAEC, Japan Agriculture Exchange Council) gefördert wurden. Seine nicht nur auf dem Gebiet der
Landwirtschaft gemachten Erfahrungen in Deutschland lassen auf den Bau einer weiteren Brücke
für den Deutsch-Japanischen Austausch hoffen.
32 Die Stadt Yoichi, Unterpräfektur Shiribeshi, liegt westlich von Sapporo im Südwesten Hokkaidôs.
33 Seikatei ist ein 1880 in Sapporo errichtetes Gästehaus im amerikanischen Stil für Staatsgäste. 1881
wurde dort z.B. Kaiser Meiji bewirtet.
34 Hôheikan ist ebenfalls ein Gästehaus im westlichen Stil, aber speziell für die Unterbringung westlicher
Entwicklungsberater und Ingenieure errichtet. Ursprünglich 1880 in Sapporos Odori Park gebaut, wurde
es 1958 in den Nakajima-Park umgesiedelt. Auch hier war 1881 Kaiser Meiji zu Besuch. Hôheikan und
Seikatei zählen beide zu Japans Nationalschätzen.
35 Asahikawa, in der Unterpräfektur Kamikawa im Nordwesten Hokkaidôs gelegen, ist nach Sapporo
Hokkaidôs zweitgrößte Stadt.
24
7. Hokkaidô: Eine deutsche Modellfarm im Reich der Zuckerfee
Unter den in Hokkaidô und zugleich erstmalig in Japan angebauten Agrarprodukten befanden sich
nicht nur diverse Obstsorten, sondern auch die zur Zuckerherstellung benötigten Zuckerrüben. Sie
wurden zuerst 1870 im Auftrag der Landwirtschaftsbehörde in Sapporo kultiviert. In der Geschichte
der Zuckerproduktion war 1747 der deutsche Chemiker Andreas Sigismund Marggraf der weltweit
Erste, dem die Isolierung von Saccharose aus Rüben gelang. 1801 wurde dann die erste
Zuckerraffinerie errichtet.
1881 nahm auch die staatliche Zuckerfabrik in Nishimonbetsu 36 ihren Betrieb zur ersten
Zuckerproduktion in Japan auf, wurde jedoch bereits 1896 wieder stillgelegt und auch die später
fertiggestellte Rübenzuckerfabrik der Banseisha-Tôryoku-Farm in Tokachi 37 kam nicht über das
Versuchsstadium hinaus. Die Zuckerproduktion in der 1888 in Sapporo aufgestellten Zuckerfabrik
wurde ebenfalls schon 1901 wieder eingestellt. Das Fabrikgebäude fand jedoch weiterhin
Verwendung für die im vorigen Buch vorgestellte Brauerei der Entwicklungsbehörde.
Danach begann eine ernsthafte Kultivierung erst wieder mit Hilfe von Anweisung im RübenPflanzen durch die Fortschritte von Fabriken wie der Hokkaidô-Raffinerie 1919 und der JapanZuckerrüben-Fabrik von Shimizu 38 1920. Die notwendigen hohen Düngergaben und die
Unmöglichkeit einer direkt anschließenden, erneuten Pflanzung von Rüben erschwerten dabei den
groß dimensionierten Anbau von Rüben.
Daher strebte die ehemalige Hokkaido-Behörde eine Verbesserung der Kultivierungstechniken für
die Farmer an und entschied, die Verhältnisse auf der 10 ha großen Versuchsfarm in Tokachi als
Grundbedingungen für den Rübenanbau anzunehmen. Bis auf die Personalkosten, die von der
Regierung getragen wurden,
sponserten die
Hokkaidô-Zucker Ltd. und die Meiji-Zucker
Ltd. sämtliche Ausgaben für Land,
Unterkünfte, Farmtiere, Ställe und Maschinen.
Es wurde beschlossen, zwei Farmer auf
Empfehlung der deutschen Zuckerfabrik
Kochs ehemalige Residenz: Links das Gebäude zur
damaligen Zeit, rechts das Gebäude heute.
(HOMAS Newsletter No. 54)
36 Das ehemalige Nishimonbetsu gehört heute zur Stadt Date, Unterpräfektur Iburi, im Südwesten
Hokkaidôs.
37 Die Unterpräfektur Tokachi mit der einzigen größeren Stadt Obihiro liegt im Süden Hokkaidôs.
38 Die Stadt Shimizu liegt nördlich von Obihiro, ebenfalls in der Unterpräfektur Tokachi.
25
Kleinwanzleben einzuladen, die im Juni 1923 für fünf Jahre befristet unter Vertrag genommen
wurden: Friedrich Koch und Wilhelm Grabau. Grabau überwachte den Rübenanbau in Obihiro und
kehrte 1928 nach Deutschland zurück, während Koch bis 1930 in seiner Funktion als Aufseher in
Shimizu blieb.
1923 brachen Koch und Grabau zusammen vom Bremer Hafen
aus auf und erreichen die Stadt Kobe etwa 2 Monate später.
Grabau fuhr unverzüglich nach Obihiro zum Grundbesitz von
Hokkaidô-Zucker Ltd. weiter, während Koch zum Besitz der
Meiji-Zuckerfabrik nach Shimizu ging. Beide wurden als
Aufseher mit dem Management der Rübenkultur in der
gemischten 10 ha Farm in Tokachi betraut.
Koch, der nach Abschluss der Primarstufe in der
Zuckerrübenabteilung einer Raffinerie gearbeitet hatte, hatte als
Experte für den Rübenanbau ein großes Fachwissen ansammeln
können. Die Unterkünfte und Ställe waren nach Grundrissen
deutscher Farmen als imposante, 2 stöckige Gebäude auf 24
(HOMAS Newsletter No. 54)
Tsubo (etwa 80 m²) Grundfläche errichtet worden. Diese Unterkünfte sind heute immer noch
erhalten. Koch lebte sich gut in Tokachi ein und verlängerte seinen Vertrag um weitere 2 Jahre. So
leitete er die Farm in Shimizu 8 Jahre, bevor er im Mai 1930 mit seiner Familie von Yokohama aus
heimreiste.
Kochs zweite Tochter heiratete den Milchbauern und späteren Abgeordneten des Parlaments von
Hokkaidô MISAWA Masao und blieb in Hokkaidô. Ihr ältester Sohn Michio, der später ebenfalls
Abgeordneter im Parlament von Hokkaidô wurde, betreibt eine Milchfarm in Yakumo 39. Er
verwendet den schon von Koch in Shimizu benutzten und mit nach Yakumo gebrachten Brotofen
ebenso sorgsam weiter, wie auch der Kontakt der Familien MISAWA und Koch bis heute gepflegt
wird.
Auch Grabau trat nach seinem Schulabschluss in die gleiche Zuckerfabrik ein, in der auch Koch
39 Yakumo, Unterpräfektur Oshima, liegt nordwestlich von Hakodate im Zentrum der Oshima-Halbinsel
Hokkaidôs.
26
arbeitete und baute dort Zuckerrüben an. Weil er ursprünglich Fabrikarbeiter in der Raffinerie
gewesen war, wurden seine Fähigkeiten in der Landwirtschaft als nicht überragend eingestuft, aber
er schien äußerst Stolz auf seine Tätigkeit als Landwirt gewesen zu sein. Im Herbst 1928 kehrte er
nach Deutschland zurück.
Die Einzelheiten der Beziehungen zwischen Koch und Grabaus Zuckerrübenanbau und der
Vielzahl der Konditoreien in Tokachi sind bisher nicht en détail erforscht worden und bleiben daher
vage. Heute sind jedoch in Tokachi so viele berühmte Confiserien, darunter auch die Stammsitze
der landesweit geschätzten Firmen Rokkatei und Ryûgetsu, ansässig, dass es keine Übertreibung ist,
es als Reich der Zuckerfee 40 zu bezeichnen. Auf der anderen Seite werden heute in Sapporo nicht
nur Rübenzucker, sondern auch andere in Hokkaidô hergestellte Zutaten wie Molkereiprodukte,
Weizen, Azuki 41 und Kartoffeln verwendet, um Sapporo-Sweets zu bewerben.
Der im Ersten Weltkrieg als Kriegsgefangener nach Japan gelangte Karl Joseph Wilhelm
Juchheim verbreitete nach dem Krieg den deutschen Baumkuchen in Japan, worauf sich auch in
Hokkaidô dieses Gebäck nach seinem Erstverkauf durch verschiedene Konditoreien wie Ryûgetsu,
Kitakarô und Ishiya Co., Ltd. vollständig einbürgern konnte. In den letzten Jahren wurde von
Firmen wie Rokkatei, Kinotoya und Royce' Confect zur Weihnachtszeit auch Stollen angeboten und
in der europäischen Konditorei Biene Maja in Shiroishi, einem Stadtteil von Sapporo, kann man
süße Spezialitäten aus Deutschland und der Schweiz ordern.
Auch wenn wir also heute in Hokkaidô in den Genuß köstlicher Süßigkeiten kommen können ohne die Leistungen von Menschen wie Koch und Grabau müssten wir uns wohl ein anderes
Gesprächsthema suchen.
40 Die Übersetzung Reich der Zuckerfee sei hier auch wegen der Anspielung auf den – ebenfalls deutschen
- Autoren E.T.A. Hoffmann und sein Werk gewählt: Seine Erzählung „Nussknacker und
Mausekönig“ wurde als Ballett und Konzert-Suite „Der Nussknacker“ von P.I. Tschaikowsy weltberühmt.
Wer japanische Süßigkeiten kennt und liebt, wird sich den Reigen dieser verschiedenen Zuckergebäcke
nicht schwer vorstellen können!
41 Azuki sind kleine, dunkelrote Bohnen, die unter anderem zu Anko, einer süßen Paste und Grundzutat für
viele traditionelle Süßigkeiten, verarbeitet werden.
27
8. Echter Schinken und Wurst aus Hakodate
Carl Weidl-Raymon wurde 1894 im böhmisch-deutschen
Karlsbad (heute in der Tschechischen Republik) geboren.
In einer Familie großgezogen, die schon seit Generationen
das Metzgerhandwerk ausübte, zeigte er bereits mit 5
Jahren Interesse an der Schinken- und Wurstherstellung
und mit etwa 8 Jahren soll er diese Produkte durch
Nachahmung selbst hergestellt haben. Als er 14 Jahre alt
wurde, strebte er den Meistergrad an und erlernte die
Büste neben der Carl Raymon
Erinnerungshalle.
Technik bei einem mit seinem Vater befreundeten Meister, während er zugleich täglich die
Berufsschule besuchte. Danach konnte er durch die Sammlung handwerklicher Erfahrungen in ganz
Europa erfolgreich weitere Qualifikationen erlangen. Nach dem Ersten Weltkrieg lernte er in
Norwegen und Amerika die Techniken zur Dosenkonservierung von Wurst. Zu dieser Zeit wurde
auch das Grundprinzip von Raymons Schinken- und Wurst-Herstellung perfektioniert, das er “Die
Zellen zeitweilig schlafen lassen” nannte.
Als er seine dreijährige Ausbildung in Amerika beendet hatte, entschied er sich, auf dem
Heimweg nach Europa in Japan einen Zwischenhalt zu machen und gelangte er 1919 nach Japan.
Nach seiner Ankunft dort lernte er den Direktor von Tôyô-Kanzume 42 kennen und wurde von
ihm gebeten, ein Jahr lang die Produktion von Schinken und Wurst zu leiten. Im darauffolgenden
Jahr wurden die Überwachung der Technik zur Dosenherstellung sowie Qualitätskontrollen von
einem Unternehmen gefordert, welches Tôyô-Kanzume mit Dosen belieferte und Raymon begab
sich 1920, damals 26 Jahre alt, nach Hakodate, wo sich der Stützpunkt zur Kontrolle des Werks in
Kamtschatka befand. Nach seiner Ankunft in Hakodate wurde er in dem Ryokan 43 Katsuta
untergebracht und lernte dort Kô, die Tochter des Hauses kennen. Kô konnte sich auf Englisch
verständigen und während sich Raymon mit ihr unterhielt, entwickelte sich aus der anfänglichen
Zuneigung bald Liebe. Doch obwohl Hakodate zu jener Zeit bereits eine internationale Hafenstadt
geworden war, war eine Heirat mit einem Ausländer undenkbar. 1920 brannten sie miteinander
durch und zogen in Raymons Heimatstadt Karlsbad. In Karlsbad wurden sie von Raymons Familie
42 Übersetzt etwa Oriental-Canned-Goods oder Orient-Konserven
43 Eine traditionell eingerichtete, japanische Pension.
28
herzlich empfangen, heirateten und eröffneten eine Metzgerei. Raymons Schinken und Würste
erlangten einen guten Ruf, das Geschäft florierte und sie verbrachten eine glückliche Zeit. Doch 3
Jahre später kündigte er Kô plötzlich an, dass er nach Japan zurückkehren werde.
Als sie jedoch nach Hakodate zurückkamen, existierte das Katsuta-Ryokan nicht mehr. Es war bei
einem Feuer im Jahr zuvor zerstört worden. Raymon wollte nun eine größere Zahl Menschen mit
den Schinken und Würsten, auf die er so Stolz war, versorgen und wünschte sich, die Ernährung der
Japaner damit zu bereichern. Also eröffnete er 1925 vor dem Bahnhof von Hakodate einen Laden
samt Fabrik. Die erhoffte Kundschaft blieb jedoch aus. Zur Zeit der Ladeneröffnung hatte sich in
Japan die Sitte, Fleisch in Form von Schinken oder Wurst zu verzehren, noch nicht durchgesetzt.
Zunächst beschränkte sich also die Kundschaft eher auf die Hotels in den Großstädten mit vielen
ausländischen Gästen. Sein Enthusiasmus wurde jedoch zuletzt belohnt und sein Ruf verbreitete
sich in Hakodate. Die Verkaufzahlen stiegen und eine weitere Fabrik wurde vor dem Bahnhof
Goryôkaku 44 fertiggestellt. Als 1933 dann die Geschäfte nach Plan verliefen, gründete er eine neue,
3.000 Tsubo 45 einnehmende Fabrik bei der Stadt Ôno 46, die eine Viehfarm mit 35 Kühen, 310
Schweinen und 30 Schafen beinhaltete. Ein weiterer Schritt zur Erfüllung seines Traums war getan.
Dieser Traum bestand nicht nur darin, dass mehr Menschen seine Waren essen könnten, sondern
auf Hokkaidô eine großangelegte Viehzucht zu etablieren. Sein 1925 für das Geschäft vor dem
Bahnhof Hakodate erstelltes System zur Ernährung und Selbstversorgung legte er 1931 der
ehemaligen Hokkaidô-Behörde in Form des Ernährungsund Selbstversorgungs-Systems als Entwicklungsplan vor.
Er schlug die Entwicklung Hokkaidôs durch die
Etablierung einer Schinken- und Wurstwaren-Industrie,
unter Berücksichtigung der Eigenarten des lokalen Klimas
und unter Einbringung seines europäischen Know-Hows
in der Viehzucht als Grundlage, vor. Sein Vorschlag wurde
von der Hokkaidô-Behörde nicht akzeptiert. Statt dessen
zeigten aber die Kantô-gun (Guandong- bzw. Kwantung-
Aussenansicht des Carl Raymon
Stammhauses und der Erinnerungshalle.
Armee) 47 und die Südmandschurische Eisenbahn Interesse, die vom Erfolg der Farm in Ôno gehört
44 Benannt nach der in der Nähe liegenden, geschichtsträchtigen, vom Tokugawa-Shogunat Mitte des 19. Jh.
nach Vorbild der europäischen trace italienne erbauten Festung Goryôkaku, die die Form eines
fünfzackigen Sterns besitzt.
45 Etwa 10.000 m² bzw. 1 ha.
46 Einige Kilometer westlich von Hakodate.
47 Japanische Armee in China, ab 1907 zum Schutz der Südmandschurischen Eisenbahn eingesetzt,
29
hatten. So legte Raymon ab 1935 zwei Jahre lang an 10 Orten der Mandschurei Versuchsfarmen an
und setzte hier seine Ideen zur Entwicklung Hokkaidôs in die Tat um. Als er 1938 nach drei Jahren
als Aufseher in der Mandschurei zurückkehrte, wurde ihm von der Hokkaidô-Behörde die
Arbeitserlaubnis entzogen und er zum Verkauf der Farm in Ôno gezwungen. Mit Ausbruch des
Pazifikkrieges 48 wehte Raymon als Ausländer nun ein rauer Wind entgegen.
1948 waren nach Japans Niederlage im Krieg nunmehr drei Jahre vergangen und der mittlerweile
54 jährige Raymon nahm die Produktion von Schinken und Wurst wieder auf. Am Eingang des
Betriebs neben seinem Wohnhaus hängte er ein Firmenschild mit der Aufschrift “Hokkaidô
Pioneer's Workshop Raymon” in japanischer Schrift und setzte die Bewahrung der traditionelldeutschen Schinken- und Wurstproduktion fort.
Als Raymon 1974 80 Jahre alt wurde, verlieh ihm der damaligen Bundespräsident der BRD,
Gustav Heinemann, das Bundesverdienstkreuz 49 für seine Verdienste um die deutsch-japanische
Freundschaft verliehen. 1979 erhielt er den Ehren-Preis der von der Suntory-Kulturstiftung
gesponserten, ersten regionalen Kulturauszeichnung. 1983 nahm er auf Anraten des Präsidenten der
Berufsgenossenschaft japanischer Metzger mit 89 Jahren erstmalig Lehrlinge an, um sein
hervorragendes Handwerkskönnen weiterleben zu lassen. Seine ersten und letzten Lehrlinge,
SHIMAKURA Kiyonori und FUKUDA Toshio, weihte er vollständig in die Kunst der Schinken- und
Wurstproduktion ein.
Nachdem er vertrauenswürdige Nachfolger ausgebildet hatte, ging Raymon 1984 in den
Ruhestand und zog mit seiner Frau nach Deutschland, um bei seiner schon verheirateten, in
München wohnenden Tochter Franceska zu leben. Doch einige Monate später kehrte das Ehepaar
Raymon nach Hakodate zurück. Der nun in Hakodate Motomachi ansässige Raymon erhielt 1985
den Industrie- und Wirtschafts-Preis der Hokkaidô-Zeitung, sowie den Industrie-Verdienst-Preis,
der ihm von Hokkaidôs damaligem Gouverneur YOKOMICHI Takahiro überreicht wurde. Darüber
hinaus erhielt er 1986 für seine langjährigen Verdienste um die Viehzucht in Japan den
Zweifarbigen Orden der Aufgehenden Sonne 50.
Seine Freunde beschlossen, die Errichtung einer Gedenkhalle zu initiieren, um seine Verdienste
besetzte 1932 die Mandschurei, was im weiteren Verlauf zur Gründung des (Marionetten-)Staates
Mandschukuo führte.
48 Krieg in Asien vom Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg 1937 bis zur japanischen Kapitulation 1945;
vom Angriff auf Pearl Harbour 1941 an unter aktiver Beteiligung der USA.
49 Offizielle Bezeichnung: Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.
50 Ein Orden der Aufgehenden Sonne 5. Klasse, mit Chrysanthemenblüte in Gold und Silber.
30
weiter zu verbreiten. Am 1. Dezember 1987 starb Raymon unter der Fürsorge seiner Frau Kô und
seiner Tochter Franceska, ohne die Fertigstellung der Gedenkhalle noch zu erleben. Sein Andenken
bleibt jedoch mitsamt des originalen Geschmacks seiner Schinken und Würste, die nun von der
Firma Hakodate Carl Raymon Co., Ltd. vertrieben werden, auch heute noch erhalten. Des weiteren
gründete sein Lehrling FUKUDA die Firma Schönefeld, nachdem er Hakodate Carl Raymon Co., Ltd.
verlassen hatte.
Angefangen mit den Einwohnern Hakodates wird Raymon von Fans im ganzen Land Missionar
des Magens genannt. Er war fest überzeugt, dass man allen Menschen Glück durch gutes Essen
verschaffen sollte.
Gerade dies war sein ganzes Leben lang seine Überzeugung und sein Leitgedanke gewesen.
Außerdem erklärte er, dass die Zellen des von ihm verarbeiteten Fleisches nur zeitweilig
inaktiviert und im Magen der Menschen sofort wiederbelebt würden. Um die Zellen nicht abzutöten
verzichte er auf unnötige Zusätze wie Konservierungsmittel und selbst zusätzliches Mehl und
Wasser verwende er nicht.
Als ein Verdienst Raymons wird auch die 12 Sterne auf blauem Grund tragende Flagge der
Europäischen Union genannt. Es gibt Untersuchungen, dass es vor dem Hintergrund der Ermordung
des in Serbien weilenden, österreichischen Kronprinzen, die eine der Auslöser für den Ersten
Weltkrieg war, Streitigkeiten um den Schweinefleischhandel zwischen Ungarn und Serbien gegeben
haben soll. Raymon hörte diese Geschichte und reiste quer durch Europa, um die Einigung von
Wirtschaft und Industrie aller europäischen Länder unter Achtung ihrer jeweiligen Religionen und
Kulturen zu propagieren. Das Bild des hell leuchtenden Polarsterns im Himmel über Hakodate
formte sich in seinen Gedanken und die Idee zum Design einer europäischen Flagge bildete sich
heraus, die auf blauem Grund einen einzelnen Stern in ihrem Zentrum zeigen sollte. Das war ein
neuartiger Einfall, von dem zur damaligen Zeit jedoch niemand Notiz nahm. Doch während der
Zweite Weltkrieg vorbeiging, versuchte er weiter, sein Ideal zu verwirklichen. 1955 erhielt er dann
einen Brief vom Sekretariat des Parlaments der Europäischen Union in Straßburg, dass die
Verwendung seiner Idee akzeptiert worden sei und man eine Europa-Flagge anfertige, die goldene
Sterne auf einem blauen Hintergrund arrangiere.
31
9. Schinken und Wurst: Optimale Nutzung der
Umweltbedingungen Hokkaidôs
Die von Raymon propagierte Schinken- und Wurstherstellung fasste seinem Wunsch entsprechend
Fuß als eine Industrie, die ihr Zentrum mit der Viehzucht in Hokkaidô hatte.
• Barnabas-Foods, Sapporo Co., Ltd.
1979 wurde in Hokkaidô, das ein für die Schinkenherstellung geeignetes Klima besitzt, die
Lebensmittel Matsuda Co., Ltd. gegründet, der Vorläufer von Barnabas-Schinken, die sich die
Produktion von “echtem” Schinken zum Ziel gesetzt hatte. Sie warben einen deutschen
Metzgermeister an, erlernten die traditionelle Herstellung von Schinken und Wurst und setzten ihr
Streben nach originalen, sicheren und vertrauenerweckenden Köstlichkeiten mit ganzem
Handwerkerstolz fort. Jeweils in den Jahren 1981, 1988 und 1990 wurden Mitarbeiter nach Stuttgart,
München und Frankfurt zur Fortbildung entsandt. Das Unternehmen wurde im Jahr 2000 in
Schinken Barnabas, Sapporo Co., Ltd. umbenannt.
2003 gewann die Firma erstmalig in dem internationalen Qualitäts-Wettstreit der Deutschen
Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) fünf Goldmedaillen und 2 Silbermedaillen. Auch in den
Folgejahren wurde sie
bisher (Stand: 2010) acht mal in Folge mit Gold prämiert. 2007 gewann sie
den ersten Preis des von Hokkaidô organisierten Preises für die Entwicklung neuer Technologien
und Produkte in Hokkaidô. Durch die folgende Fusion wurde sie zum heutigen Barnabas-Foods,
Sapporo Co., Ltd.. Beim G8 Gipfeltreffen 2008 in Tôyako, Hokkaidô, wurden ihre Produkte zum
Frühstück serviert und wegen ihrer hohen Qualität gepriesen. Die Weiterführung der seit 3.000
Jahren von europäischen Handwerken hartnäckig gehüteten, immer wieder verbesserten Tradition
und die Bewahrung der originalen Handwerkskunst wurde zum ganzen Stolz von Barnabas-Foods.
•
Eff-Eff
SASAKI Minoru arbeitete nach seinem Abschluss
an der Fakultät für Molkerei in der Produktion für
Schinken und Wurst der Utopia Farm Hidaka.
Danach lernte er in Nürnberg das MetzgerHandwerk und eröffnete kürzlich die Metzgerei Eff-
32
Außenansicht des Eff Eff
(Eff Eff, offizielle Homepage)
Eff in Niseko 51.
Der im vorigen Buch vorgestellte ASANO Hideki von der Nierstein-Weintechniker ist ein guter
Freund von SASAKI und so kann man in seiner Metzgerei ASANOS Wein, den in Japan nicht so
einfach zu erhalten, kaufen.
•
Bräunlingen
Nachdem er für eine große Schinken-Fleischerei gearbeitet hatte, ging NARASAKI Atsushi, der
Besitzer des in Sapporos Stadtteil Minami gelegenen Bräunlingen, für vier Jahre bei einem Meister
für traditionelle Metzgerei im deutschen Bräunlingen in die Lehre. Nach der Lehre kehrte nach
Sapporo zurück und gründete die GmbH Schwarzwald – Handgemachte Schinken und Würste
Bräunlingen. Nachdem sie auf den authentischen Geschmack seiner Waren aufmerksam wurden,
zählen heute auch viele in Sapporo lebende Deutsche zu seinen Kunden.
•
Wurst Yoshida, Tonden 52-Farm
Der Inhaber der in Shintotsukawa 53 gelegenen Metzgerei Wurst Yoshida ging bei der Firma
Großwald Sano in der Stadt Fuji, Präfektur Shizuoka, in die Lehre, die bei dem vom Deutscher
Fleischerverband gesponserten, weltweit anerkannten Wettbewerb als Sieger hervorgegangen war.
Danach eröffnete er ein eigenes Geschäft.
Wie auch Barnabas-Foods gewannen die Fleischprodukte von Tonden-Farm im internationalen
Qualitäts-Wettstreit der DLG im Jahre 2008 Gold- und Silbermedaillen.
Nicht nur Fleisch, sondern auch Milchprodukte zählen heute zu wichtigen Ressourcen Hokkaidôs.
Daher wird der weitere Ausbau der lokalen Wirtschaft, die davon profitiert, zunehmend wichtiger.
51 Niseko, Unterpräfektur Shiribeshi, liegt westlich von Sapporo.
52 Tonden bezeichnet Soldaten, die zum Schutz und zur Urbarmachung auf Hokkaidô eingesetzt wurden. In
Friedenszeiten arbeiteten sie als Bauern.
53 Shintotsukawa, Unterpräfektur Sorachi, liegt im Nordwesten Hokkaidôs.
33
10. Otaru-Bier: Unverfälschter Geschmack aus Leidenschaft
Im Januar 2010 nahm ich an einem Event teil, bei dem deutsche Bierbrauer unter anderem die
Geschichte des Bieres erläutern sollten. Die Veranstaltung fand im Lokal Leibspeise im Zentrum
Sapporos statt, das von der großen Restaurant-Kette Aleph geführt wird. Dort werden in
regelmäßigen Abständen die sogenannten Otaru-Bier Club-Treffen abgehalten, bei denen man das
in der Region gebraute Bier so viel man will und zu einem moderaten Preis trinken kann. Darüber
hinaus haben sie den Vorzug, dass man hier viel über Deutschland und Bier direkt von deutschen
Experten erfahren kann.
1994 wurden die Gesetze zur Alkoholsteuer in Japan revidiert und die Bestimmungen zum Erhalt
von Lizenzen für das Bierbrauen wurden mit einem Schlag von 20.000 hl Mindestproduktion pro
Jahr auf 600 hl geändert. Das hatte zur Folge, das landesweit eine große Zahl lokaler Brauereien
eröffnete. 2010 ist nun 16 Jahre später ihre zeitweilige Beliebtheit abgeflaut und nicht wenige
Betriebe mussten aus verwaltungstechnischen Gründen wieder schließen.
Unter diesen Umständen, seit der Revision der Alkoholsteuer-Gesetze und mit dem Anliegen,
echtes Bier anbieten zu wollen, stellte Aleph Braumeister mit allerhöchsten, staatlichen geprüften
Qualifikationen in der deutschen Bierherstellung und -vermarktung ein und bietet auch heute noch,
seit Eröffnung unverändert, echtes Bier an.
Der bei Otaru-Bier für das Brauen verantwortliche Johannes Braun
wurde als Sohn des Managers einer traditionsreichen Brauerei in
einem Vorort von Marburg geboren. Da es keinen Nachfolger gab,
musste diese Brauerei leider schließen. Braun hatte jedoch selbst ein
leidenschaftliches Interesse an der Braukunst entwickelt und schrieb
sich als Student am namhaften, Bierbrauer ausbildenden
Forschungszentrum Weihenstephan für Brau- und
Lebensmittelqualität der Technischen Universität München ein. Zu
jener Zeit waren nicht einmal zehn Prozent von den 100 Studenten,
die mit Braumeister-Qualifikation abschließen konnten. Unter diesen
schloss Braun als Bester seines Jahrgangs ab.
34
Johannes Braun.
(Otaru-Bier, offizielle
Homepage)
Nach seinem Abschluß schrieb er sich an der schottischen Heriot-Watt Universität ein, um in der
Heimat des Whiskey dessen Herstellung zu erlernen. Nachdem er dort nach einem Jahr seinen
Abschluss erlangte, wirkte er am Aufbau eines Werks in Griechenland für das große deutsche
Bierunternehmen Löwenbräu mit. Anschließend arbeitete er in einer Brennerei für schottischen
Whiskey
Nach 2 Jahren, im Herbst 1994, als Braun immer mehr das Verlangen
überkam, wieder Bier zu brauen, wurde er darauf
aufmerksam gemacht, dass ein Japaner einen
Braumeister suche. Nach nicht einmal zwei Wochen
begab er sich kurzerhand nach München zu einem
Vorstellungsgespräch.
Sein Gegenüber bei diesem Gespräch war der
Verantwortliche für das Bier-Projekt der Restaurantkette
Aleph aus Sapporo. Der Hauptgeschäftsführer dieser
Firma, SHÔJI Akio, hatte im Jahr zuvor bei einer kleinen
Brauerei einen lebhaften Eindruck vom Wohlgeschmack
des Bieres gewonnen und war nun bestrebt, ein solch mit
Sicherheit unverfälschtes Bier herzustellen. Dafür suchte
er nun einen Braumeister. Braun hörte sich die
Erläuterungen des Verantwortlichen an und gewann den
Eindruck, dass die Versorgung mit Rohstoffen wie
Gerstenmalz, Hopfen und Hefe wohl
unproblematisch sein werde. Es blieb noch zu prüfen,
Die Produktlinie von Otaru-Bier.
(Otaru-Bier, offizielle Homepage)
ob das Wasser in Hokkaidô geeignet für das Brauen sei und er forderte daher eine Wasserprobe an.
Die erhaltene Probe erwies sich als für die Bierherstellung gut geeignetes Wasser.
Im Winter des selben Jahres besuchte er
gemeinsam mit Shôji einen halben Monat lang
Brauereien in Deutschland. Ein gutes Verhältnis entspann sich zwischen ihnen und Braun entschied
sich, künftig bei Aleph zu arbeiten. Nachdem er in Deutschland die für die neue Fabrik notwendige
Versorgung mit Rohstoffen und deren Kontrollen sichergestellt hatte, ging er 1995 nach Japan.
Sogleich begann er mit dem Aufbau der Fabrik, die sich unmittelbar an die Bierhalle am Ufer des
Otaru-Kanals 54 anschloß. Im Juli öffnete dann das Otaru Lager No.1.
54 Der alte Kanal, der sich früher durch das Zentrum Otarus zog, ist teilweise erhalten und pittoresk von
35
Um noch mehr Menschen das Bier anbieten zu können, wurde es anschließend auch als
Flaschenabfüllung verkauft. 1999 wurde die Otaru-Brauerei Zenibako im Zenibako-Bezirk der
Stadt Otaru eröffnet, die eine Flaschenbier-Produktlinie mit jährlich 20.000 hl produzierte. Die
Besonderheit des Otaru-Flaschenbiers ist das Belassen der Hefe. Die großen Bierhersteller filterten
dagegen die Hefe ab, um so das Mindesthaltbarkeitsdatum zu verlängern und längere
Transportwege zu ermöglichen. Doch Braun überlegte, dass ein Entfernen der nährstoffreichen Hefe
auch den Geschmack verflachen würde und produzierte das Bier im Interesse des Geschmacks mit
einer Lagerfähigkeit von nur 4 Wochen. Um den unverfälschten Geschmack deutscher Brauereien
zu erreichen, legte er einen maximalen Transportweg von 100 km Radius für die Vermarktung fest.
Bei meinem Aufenthalt in Deutschland habe ich mich nicht nur auf das offizielle Amt beschränkt,
sondern habe, um mich auch privat aktiv mit den Einheimischen auszutauschen, aktiv an Partys und
Geschäftsessen teilgenommen. Darunter war auch der äußerst vergnügliche, monatliche Stammtisch
der Studenten der Japanologie der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf. Jeder, sei es ich als
Diplomat oder die Studenten, wurde einfach als Mensch behandelt und stets herzlich empfangen.
Dem Ortsansässigen hier wünsche ich auch einen solchen Stammtisch inklusive dem
unverfälschten und von den besten Brauern hergestellten Otaru-Bier.
Straßenlaternen im viktorianischen Stil gesäumt.
36
11. Eine Goldader in stillgelegter Zeche: Feinmechanik Kitanihon
In Ashibetsu 55, dem ehemaligen Kohleabbaugebiet Hokkaidôs, ist ein Hersteller ansässig, der
stolz auf einen Weltmarktanteil von 70 Prozent sein kann: Präzisionswerkzeuge Kitanihon Co., Ltd..
Der Hauptgeschäftsführer KOBAYASHI Eiichi stammt aus Tôkyô und trat nach seinem
Schulabschluss als Manager in eine kleine Lager 56-Fabrik im Bezirk Edogawa ein. Dort wurde er
als Verantwortlicher für die Steinkohle-Abbauregion von Hokkaidô abgestellt. In den 1950er Jahren
florierte die Kohle-Industrie in Hokkaidô und in den Kohlewagen und Fließbändern wurden die
Lager der Firma verwendet, für die KOBAYASHI arbeitete. Der Umstieg von Steinkohle zu Erdöl als
Haupt-Energieerzeuger ließ jedoch der Kohleindustrie keinerlei Zukunftschancen.
1960 wurde Jôhoku Bearing Industries Co., Ltd. gegründet, begann rasch mit der Vermarktung
von Lagern ins Ausland und expandierte nach Südostasien, Europa und Amerika.
Gefördert durch Unterstützungsmaßnahmen staatlicher Kreditinstitute wie der Finanzkasse zur
Entwicklung von Hokkaidô und der Tôhoku 57-Region, gründeten sie 1969
in einem joint-investment mit der Beteiligungsfirma Mitsui-Bergwerke in
Ashibetsu die Manufaktur Feinmechanik Kitanihon Co., Ltd. und stellte
aktiv Arbeiter aus dem Bergbau ein. 1970 nannte sich Jôhoku Bearing
Industries in Jôhoku Handelsgesellschaft Co., Ltd. um und begann 1977
mit dem Export der Produkte von Kitanihon nach Amerika und Europa.
Die Jôhoku Handelsgesellschaft wurde schließlich 1984 in Sapporo
Precision Co., Ltd. umbenannt.
1980 sah KOBAYASHI bei einem innovativen Schweizer
Armbanduhrenhersteller, wie dort winzige Lager von nicht mehr als 1
mm Durchmesser von Hand zusammengesetzt wurden und schätzte
Lager der Firma Feinmechanik
Kitanihon (oben);
Miniaturlager (unten).
(Feinmechanik Kitanihon Co.,
Ltd., Werbebroschüre.)
Miniaturlager als vielversprechende Marktnische ein. Falls man eine
Technik auf diesem Gebiet etablieren könnte, käme man praktischerweise mit geringen LogistikKosten aus. Die Glanzleistung des Unternehmens war dann die erfolgreiche Massenproduktion von
nur 0,6 mm durchmessenden Miniaturlagern.
55 Die Stadt Ashibetsu, Unterpräfektur Sorachi, liegt im Westen Hokkaidôs, etwas nord-östlich von Sapporo.
56 Gemeint ist hier das Maschinenelement zur Führung beweglicher Bauteile wie z.B. das Kugellager.
57 Der nord-östliche Teil der japanischen Hauptinsel Honshû.
37
Derzeit erreicht Feinmachanik Kitanihon Co., Ltd. bei Miniaturlagern einen Weltmarktanteil von
70 Prozent. Ein Gästehaus für Verhandlungsgespräche wurde wurde neben dem Hauptsitz der Firma
gebaut und Verhandlungspartner aus dem In- und Ausland besuchen Ashibetsu. Von einem aus
Deutschland zu Verhandlungen angereisten Vorsitzenden einer Lager-Werkstatt wurde Kitanihon
hoch gepriesen als “ohne wenn und aber Weltspitze in allen Bereichen, sei es Austattung, Qualität
oder Management”. Es existieren bereits Verkaufsrouten in 36 Länder und so unterstützt die Firma
das tägliche Leben von Menschen in aller Welt.
Durch Produktion höherwertiger Produkte könne man auch als lokales Unternehmen fernab der
Großstädte im internationalen Wettbewerb bestehen, meint Hauptgeschäftsführer KOBAYASHI. Mit
der technologischen Leistungsfähigkeit als Grundlage konnte KOBAYASHI durch persönliche
Kontakte Kooperation und Unterstützung erlangen.
Des weiteren werde Wert auf die Notwendigkeit einer Einheit von Region und Industrie gelegt,
wie es bei einem regionalen Unternehmen der Fall sein solle. Die 40 neuen Mitarbeiter eines Jahres
stammten z.B. alle aus Hokkaidô und über die Hälfte davon sogar aus Ashibetsu selbst. Nach ihrer
Einstellung würde man gemeinsam am äußerst wichtigen Punkt der Ausbildung des Bewusstseins
für Problemstellungen jeden Ingenieurs arbeiten und große Anstrengung auf die Förderung von
Talenten verwenden.
38
12. Dynax: Qualität und Menschlichkeit in der
Automobilindustrie
In der Stadt Chitose befindet sich das Unternehmen Dynax,
welches Kupplungen herstellt und vertreibt, die auch von
deutschen Automobilherstellern verwendet werden.
Durch ein Joint-Venture der amerikanischen Unternehmen
Raybestos Manhattan AG (RM) und EXEDY Corporation
(vormals Daikin Manufacturing Co., Ltd.) entstand 1973 die
Daikin-RM Co., Ltd.. 1989 wurde das Joint-Venture wieder
aufgelöst und die Firmen unabhängig finanziert. 1990 eröffnete
Produktpalette von Dynax Co.,
Ltd. (Dynax Co., Ltd., offizielle
Homepage)
in Stuttgart, wo sich viele namhafte Automobilhersteller angesiedelt haben, die erste
Europavertretung und im folgenden Jahr wurde der Firmenname in den heute noch gültigen Namen
Dynax geändert.
Man bekommt leicht den Eindruck, dass sich Japans Industrie auf die Regionen um Tôkyô und
Yokohama, sowie Nagoya konzentriert, während in Deutschland die Industrie vergleichsweise
verstreut liegt. Historisch bedingt siedelten sich jedoch für jede Region charakteristische Industrien
an. So entwickelte sich zum Beispiel um die Städte Velbert und Heiligenhaus, Kreis Mettmann in
NRW, eine Schlüssel-Produktion, und beinahe sämtliche Schlüssel für Gebäude oder Autos werden
in dieser Region hergestellt. Ebenso sind die Regionen mit Produktionsstätten für Endprodukte der
Automobilindustrie die Hauptsitze der Hersteller BMW in München und Mercedes-Benz in
Stuttgart. Daher neigten auch die Hersteller von für die Autoherstellung benötigten Teilen dazu, sich
in Umgebung dieser beiden Städte zu sammeln. Auch Dynax errichtet seine Niederlassung wohl
entsprechend dieser Regel in Stuttgart.
Die Zahl der Mitarbeiter stieg von nur vier zur Zeit der Unternehmensgründung auf die heutigen
1.100 an. Auch konnten in den vier Jahren nach der Gründung zunächst keinerlei Umsatz gemacht
werden, doch erwirtschaftete man im weiteren Verlauf bisher 44,7 Milliarden Yen 58 (Stand:
Fiskaljahr 2008). Vom Werk in Chitose werden die Produkte nach Nordamerika, China und Europa
exportiert.
Ausländische Automobilhersteller wie Ford, Daimler, Chrysler und General Motors werden
58 Entsprach 2008 etwa 250 Millionen Euro.
39
ebenso mit Produkten versorgt wie japanische Hersteller wie Toyota und Honda. Mit seiner hohen
technischen Leistungsfähigkeit hat Dynax mittlerweile eine hervorragende Reputation erworben
und ist stolz auf seinen hohen Marktanteil im In- und Ausland. 2006 wurde Dynax beim Ersten
Japanischen Großen Preis für Manufaktur, der dem Exporterfolg und der technischen
Leistungsfähigkeit des Unternehmens Anerkennung zollte, der Preis des Ministers für Wirtschaft,
Handel und Industrie verliehen und gewannen 2010 im Dritten Japanischen Großen Preis für
Manufaktur den Preis für Exzellenz.
Daneben ist Dynax auch ein Unternehmen, das seine menschlichen Ressourcen schätzt und achtet.
Dynax vervollständigte sein Ausbildungssystem und stellt aktiv Studenten für Praktika ein, so zum
Beispiel auch viele Studenten der Otaru Universität für Handel, meiner eigenen Alma Mater.
Zur Zeit erfolgt ein beachtlicher Wechsel in der Automobilindustrie zu Fahrzeugen mit Hybrid(HV) oder Elektro-Antrieb (EV). Diese Tendenz ändert wenig am Kurs der Hersteller der
Endprodukte, aber die weiter unten in der Produktionskette gelegenen Hersteller der Komponenten
sind hiervon stark betroffen. Wenn ein vollständiger Umstieg der Autos auf EV erfolgt, werden
Bauteile für das Treibstoffsystem und den Antrieb vollkommen unnötig und die zuliefernden
Hersteller verlieren in Konsequenz ihre Aufträge. Auch die Zulieferer müssen nun Innovationen
entwickeln, während sie die Entwicklungen der Automobilindustrie aufmerksam im Auge behalten.
Die Produkte von Dynax werden sicherlich auch selbst nach einem Wechsel zu HV und EV benötigt
werden. Mit Hilfe seiner hochkarätigen Arbeitskräften und des seine Mitarbeiter respektierende
Management wird Dynax aber hoffentlich auch weiterhin seine weltweit anerkannten Innovationen
fortsetzen.
40
13. Boschs eiskalte Teststrecke
Charakteristisch für das Klima in Hokkaidô sind
Schnee und Kälte, und das Wissen um und die
Technologien für diese Besonderheit ist stetig
gewachsen. Zum Beispiel wurde an der Hokkaidô
Universität ein Institut für Kälteforschung
gegründet, in dem auch im Hochsommer in
Umweltbedingungen von unter -35°C geforscht
werden kann.
Auch gibt es hier bislang 25 Teststrecken für die
Entwicklung von Reifen und Bremssystemen an
(Business-Link Hokkaidô Nr. 27)
Fahrzeugen, die die klimatischen Besonderheiten
ausnutzen. Japanische Körperschaften deutscher Unternehmen haben ebenfalls Teststrecken zu
Forschungszwecken errichtet.
Die Werkzeuge herstellende Robert Bosch GmbH nahm ihren Anfang 1886 mit Gründung der
Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik durch Robert Bosch in Deutschland. 1911 schloss
man einen Vertrag mit Andrews and George in Yokohama als Geschäftsvertretung für Handel und
Reparatur der Produkte von Bosch ab.
1992 wurde in Hokkaidô eine Teststrecke der Bosch AG ins Leben gerufen, in der fortan
verschiedene Tests an Bremssystemen und deren Bauteilen durchgeführt wurden.
Weiterhin beschloss man 2009 einen Plan zum Ausbau des Technischen Zentrums Memanbetsu 59
und investierte als ersten Schritt während der aktuellen Planungsphase 3,5 Milliarden Yen 60.
Hokkaidô, von dem es hieß, dass die dortige produzierende Industrie schwach sei, nutzte die
Stärken seiner klimatisch besonderen, weiten Landflächen aus und wurde zum wichtigen Stützpunkt
für Forschungseinrichtungen von Unternehmen. Der Vorteil für die regionale Wirtschaft durch
59 Memanbetsu, Unterpräfektur Abashiri, war eine Stadt im Nordosten Hokkaidôs. Durch eine Städtefusion
mit dem Dorf Higashimokoto im Jahre 2006 entstand die heutige Stadt Ôzora.
60 Etwa 30 Millionen Euro.
41
Erhöhung der Investitionen um 3,5 Milliarden Yen von Bosch mag nicht so sehr in der
Arbeitsplatzschaffung liegen, denn im Vergleich zu den Produktionsstätten ist die Zahl der
Angestellten eher gering, sondern vielmehr in dem Effekt auf die regionale Wirtschaft, den die
Ansiedlung von Forschern in der Region mit sich bringt.
Die Teststrecke von Automobilherstellern als Beispiel für die effektive Nutzung von Hokkaidôs
Besonderheiten ist wohl auch zukünftig eine äußerst nützliche Referenz für die Möglichkeiten der
Anwerbung von Unternehmen.
42
14. Von Akabira um die Welt: Itagaki Taschen
ITAGAKI Emi pendelt beruflich zwischen der Stadt Akabira 61 im ehemaligen Kohleabbaugebiet
Hokkaidôs und dem Stadtteil Roxförde der Stadt Gardelegen in Sachsen-Anhalt.
Sie ist neben ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin des namhaften Taschen-Herstellers Itagaki
Taschen außerdem für das Design zuständig. Nach ihrer Heirat mit einem Deutschen lebt sie in
Gardelegen und richtete dort ein Büro von Itagaki Taschen ein. Aus dem in Deutschland besorgten
Leder lässt sie die Produkte in der Werkstatt in Akabira fertigen.
Ursprünglich war “Itagaki Taschen” eine Taschen-Werkstatt,
die Itagakis Vater, ITAGAKI Eizô, sich aufgebaut hatte. ITAGAKI
Eizô wurde 1935 in Yokohama geboren und ging 1950 mit 15
Jahren bei dem namhaften Täschner YAGI Rentarô, der auch die
Taschen für die Reisen von Kaiser Shôwa fertigte, in die Lehre.
Im Anschluss daran gründete er 1954 zusammen mit seinen
beiden Brüdern die Sankyô Taschen-Fabrik in Tôkyô.
Großformatige Umhängetasche
in Form eines Sattels.
(“Itagaki Taschen”, offizielle
Homepage)
1971 wurde er vom technischen Leiter des großen Reisetaschen-Herstellers Ace-Luggage in
Ôsaka ausgewählt, als Leiter der Entwicklungsabteilung im neu erbauten Werk von Ace in Akabira
zu fungieren. In diesem Werk entwickelte und produzierte er den Samsonite und wurde zur
führenden Person in der Produktion von Fließband-Massenproduktionsstraßen. 1976 zog er nach
Hokkaidô und gründete dort 1982 die Werkstatt Itagaki.
Ich selbst (der Autor) habe auf einer Veranstaltung Visitenkarten mit einer Angestellten von
Itagaki ausgetauscht und sie später, als ich die Adresse der deutschen Niederlassung auf der
Visitenkarte bemerkte, kontaktiert und viel in Erfahrung bringen können, wie zum Beispiel ITAGAKI
Emis Arbeit als Designerin und Geschäftsführerin, dass sie in Deutschland ansässig ist, und dass
ITAGAKI Eizô derjenige war, der in der Sattlerei Somes Saddle das Nähen von Taschen leitete.
Die Taschen von Herstellern außerhalb Hokkaidôs sind gewiss nicht minderwertig, aber man
sollte es auch einmal unter dem Aspekt der Industrie Hokkaidôs, die ja durch die von Gaertner
61 Die Stadt Akabira liegt in der Unterpräfektur Sorachi, nordöstlich von Sapporo.
43
initiierte 62 und von Raymon weiterverfolgte 63 Viehzucht ins Rollen kam, betrachten. Denn wenn
es möglich ist, das als Nebenprodukt der Mastrind- und Milchkuhhaltung anfallende Leder zu
nutzen, dieses mit in Hokkaidô produziertem Tannin zu gerben und von regionalen Betrieben zu
sowohl in Design als auch der Handwerkskunst hervorragend genähten Taschen zu verarbeiten,
dann besteht die Möglichkeit einer komplett in Hokkaidô durchgeführten Produktion. Im vorigen
Buch wurde im Abschnitt “Nitta” bereits der Rückgang der für die Tannin-Produktion als
Rohmaterial dienenden Eichenbestände in Hokkaidô und der nicht zu gewinnende Preiswettkampf
mit im Ausland produzierten Tannin vorgestellt, und so scheint eine Verwendung von HokkaidôTannin nur schwer möglich. Und da sich seit jeher die Gerberei in Japan in der Kansai-Region 64
entwickelte, besteht sowieso das Problem, dass auch das handwerkliche Können von dort eingeführt
werden müsste.
Doch schon jetzt stellt Itagaki Taschen bereits hervorragend entworfene und verarbeitete Taschen
her, und durch die international-vermittelnde Rolle von ITAGAKI Emi darf man sich schon darauf
freuen, dass die in Akabira hergestellten Taschen bald in aller Welt Verwendung finden.
62 Siehe Kapitel 5.
63 Siehe Kapitel 8.
64 Eine der 7 Regionen Japans, in welcher sich u.a. die Städte Kyôto, Osaka, Nara und Kôbe befinden.
44
15. Moor-Quellen in Baden-Baden und dem Tokachigawa-Onsen
Unter den verschiedenen Wasserqualitäten von Onsen 65 befindet sich auch die sogenannte MoorQuelle. Der Begriff Moor wurde als deutsches Fremdwort ins Japanische übernommen und wird für
Quellen, die organisches Material pflanzlichen Ursprungs beinhalten, verwendet 66. Es wird
angenommen, dass
ursprünglich nur an den beiden Orten Baden-Baden in Deutschland und
Tokachigawa-Onsen in Hokkaidô solche Quellen erschlossen waren. Heute wurden aber in Japan
landesweit an mehreren Stellen Moor-Quellen nachgewiesen.
In Deutschland ist das kurmäßige Baden zu Heilzwecken anerkannt und Aufenthalte zur Heilung
in einem Kurort werden sogar von Krankenkassen übernommen, so dass auch längere
Kuraufenthalte möglich sind.
Vielleicht weil Japan aufgrund seines vulkanischen Ursprungs mit relativ vielen Onsen gesegnet
ist, wird zwar ihr Wert für den Tourismus anerkannt, ihr Wert als Orte der Heilung ist jedoch
weitgehend in Vergessenheit geraten. Doch die Existenz des Wortes Tôji im Japanischen, was soviel
wie Onsen-Kur bedeutet, lässt darauf schließen, dass die Heilwirkungen der Onsen seit alters her
bekannt waren. Außerdem konnten bis zur Zeit der streitenden Reiche 67 nur hohe Würdenträger die
Onsen betreten und erst seit der Edo-Zeit 68 verbreiteten sich Onsen-Besuche auch beim übrigen
Volk.
Heute gibt es auch in Japan Bestrebungen, französische und andere Heilbäder zu imitieren und
Regionen unter diesem Aspekt zu entwickeln. Deutsche Kurorte werden als Referenzen für Studien
zum Design von Plänen für Onsen-Spas und ihrer Umgebung herangezogen.
Für die Entwicklung einer Verbindung der Anwendungstechniken von Onsen mit einem Ausbau
der Region und dem Tourismus kann, angefangen mit Baden-Baden, auf einen regen,
internationalen Austausch zur weiteren Sammlung von Referenzen gehofft werden.
65 Als Onsen werden die in Japan an vielen Stellen vorkommenden, heißen Quellen bezeichnet, zu denen
oftmals noch ein darum gebautes Badehaus gehört.
66 Im Tokachigawa-Onsen strömt das Wasser durch einen Gesteinshorizont mit Resten moorartiger
Vegetation, bevor es die Oberfläche erreicht, und ist so neben Mineralien auch reich an organischen
Stoffen wie Huminsäuren.
67 ca. 1477 - 1573.
68 1603 - 1868.
45
16. Ein deutsches Schloss auf der Ebene von Tokachi?!
- Feriendorf und Schloss Bückeburg
Auch in Nakasatsunai 69 gibt es einen Platz, wo sich Fachwerkhäuser, wie sie mir während meines
Deutschland-Aufenthaltes so vertraut gewordenen sind, aneinanderreihen: das BauernhofFeriendorf Nakasatsunai. Das Wort Feriendorf wurde dabei unübersetzt als Fremdwort im
japanischen Titel belassen und sorgt so schon im Namen für
ein typisch deutsches Flair.
1991 schlug NISHI Atsuo, Hauptgeschäftsführer der
Konstruktionsfirma Zenrin, den Bau eines ländlichen
Feriendorfes im deutschen Stil in Nakasatsunai vor und 1992
begannen die Bauarbeiten. Um der Frage nachzugehen,
warum NISHI ein deutsches Feriendorf in Nakasatsunai bauen
Landhaus im Feriendorf
wollte, stattete ich ihm im August 2009 einen Besuch ab.
Um touristische Attraktionen zu entwickeln, beschäftigte sich NISHI mit Tourismus. Zu jener Zeit
war er beeindruckt vom Tourismus nach deutscher Art und dachte daran, diesen deutschen
Tourismus in Form von Rundreisen einerseits oder längeren Hotelaufenthalten andererseits nach
Tokachi zu bringen.
Dafür wurden zum einen zwischen Ashoro und Hiroo der Tokachi Glücks-Straße und zwischen
dem Flughafen Obihiro und der Schlucht von Iwanai die Alte-Burgen Straße als touristische
Reiserouten angelegt und 1989,
direkt neben dem als Tor zu den
Sehenswürdigkeiten von Tokachi
dienenden Flughafen Obihiro, als
Aushängeschild der deutsche
Themenpark Glücks-Königreich
eröffnet. Zur Eröffnungszeremonie
des Glücks-Königreich waren unter
Schloss Bückeburg im
Glücks-Königreich.
(Glücks-Königreich Schloss
Bückeburg)
anderem Seine Kaiserliche Hoheit
Schloss Bückeburg,
Deutschland (original).
(Glücks-Königreich Schloss
Bückeburg)
69 Die Ortschaft Nakasatsunai, Unterpräfektur Tokachi, liegt im Südosten Hokkaidôs.
46
Prinz Tomohito 70 und der Bürgermeister der Stadt Hanau aus der BRD bei den prunkvollen
Feierlichkeiten zugegen.
Zum anderen wurde für mittel- und langfristige Aufenthalte das deutsche Feriendorf in
Nakasatsunai gebaut.
Zwischen 1989 und 1992 war Japan auf dem
Höhepunkt der Bubble Economy71 angelangt.
Es scheint keine günstige Zeit für eine
Akzeptanz dieser Form des deutschen
Tourismus gewesen zu sein, welcher bei NISHI
einen solch großen Eindruck hinterlassen hatte.
Eigentlich besteht beim typisch japanischen
Tourismus eher die Neigung, sich seltene,
Glücks-Königreich, Schloss Bückeburg.
(Foto: Januar 2010)
ungewöhnliche und neue Dinge ansehen zu
wollen, wie es der japanische Begriff dafür, monomi-yusan, was etwa Sich-Dinge-ansehen-und-inden-Bergen-amüsieren heißt, sehr direkt ausdrückt. Daher werden kurze, eintägige Exkursionen
bevorzugt, bei denen man ein wenig die Umgebung erkundet, einige Fotos macht und Mitbringsel
kauft. Auch heute noch ist es im japanischen Arbeitsumfeld nicht leicht, Urlaub für länger als eine
Woche am Stück zu erhalten. Wenn dieser Zustand sich verbessert und für ein Umfeld gesorgt wird,
in dem es möglich wird, mehrmals im Jahr für länger als eine Woche Urlaub zu nehmen, dann
besteht wohl ein Grundlage für längere Reisen und
Aufenthalte.
Im Jahr des Baubeginns des Feriendorf wurde das
Aushängeschild des Glücks-Königreich fertiggestellt:
Schloss Bückeburg. Zu den Eröffnungsfeierlichkeiten
von Schloss Bückeburg 1992 waren neben anderen
auch Phillipp Ernst Fürst zu Schaumburg-Lippe
72
Restaurant im Feriendorf
und
70 Prinz Tomohito (*1946) ist Erbprinz des Prinzenhauses Mikasa-no-miya und ein Cousin von Kaiser Akihito.
Seine Kaiserliche Hoheit ist sein offizieller Titel.
71 Bubble Economy bezeichnet eine Hochkonjunktur, die durch eine Überbewertung von Geldanlagen wie
Aktien und Immobilien entstand, wie sie in Japan zwischen 1985 und 1990 bestand. Nach platzen dieser
Spekulationsblase folgte unmittelbar eine ausgeprägte Wirtschaftskrise.
72 Das originale Schloss Bückeburg in der niedersächsischen Stadt Bückeburg ist Stammsitz der
47
der Bürgermeister der Stadt Bückeburg anwesend.
Leider verschlechterte sich hier, wie auch in anderen Themenparks, die Verwaltung und im Jahr
2003 wurde er vorläufig stillgelegt.
Letztendlich schaut das Managements nur auf die wenig erfolgreichen Ergebnisse und die
kritischen Kommentare dazu fallen ins Auge. Natürlich mag es unsinnig sein, Deutsches in Tokachi
etablieren zu wollen. Aber die Vision NISHIs, der die deutsche Form des Reisens kennengelernt und
einen Tourismus mit Rundreisen und Hotelaufenthalten dieser Art im Sinn hatte, mag um ihrer
selbst willen einen Wert besitzen.
Im Moment ist nicht deutlich, in welchem Umfang die nicht weiter gepflegt und gewarteten
Gebäude auf dem Gelände des Glücks-Königreich benutzbar sind. Allerdings ist es sicher
bedauerlich und eine Verschwendung, die extra aus Deutschland herbeigeschafften Fachwerkhäuser
und alten Steinpflaster, die Reproduktion des Schlosses Bückeburg und all die mühevoll und mit
hohem Aufwand an Arbeit, Zeit und Kosten hergestellten Dinge unbenutzt Wind und Wetter
ausgesetzt sein zu lassen. Selbst wenn die Verwendung als Themen- und Vergnügungspark
unrentabel ist, könnte man die verfügbaren Ressourcen nutzen und ihnen als Veranstaltungshallen
oder Schulungsplätze einen neuen Zweck verleihen. Einen passenderen Ort zur Verwendung als
Platz für ein Oktoberfest, bei dem auch die lokal produzierten Agrarprodukte verwendet werden
könnten, oder als Säle für Opern und Konzerte kann man sich kaum denken.
Einer meiner Bekannten, der bekannte Opernsänger Alfons Ebertz, findet die Vorstellung, im
Schloss Bückeburg des Glücks-Königreich eine Aufführung zu geben, ebenfalls äußerst reizvoll. Der
schnelle Zugang von der Stadt Obihiro aus wäre mit einem Shuttlebus ab dem Bahnhof Obihiro der
Hokkaido Railway Company wohl gut realisierbar und Übernachtungsmöglichkeiten wären im
Feriendorf gegeben, wo man sich auch das Vergnügen gönnen könnte, bei einer Kutschfahrt
durchgeschüttelt zu werden.
Wenn man die Gefühle der für das Glücks-Königreich Verantwortlichen berücksichtigte, wäre es
vielleicht besser gewesen, dieses Thema hier nicht aufzugreifen. Ich hatte anfangs auch vor, hier nur
das Feriendorf vorzustellen. Aber während ich mir Herrn NISHIS Gedanken dazu anhörte und die
erhaltenen Materialien durchging, wollte ich doch ein akkurates Verständnis des Glücks-Königreich
bekommen, in das die Emotionen und Erwartungen so vieler Beteiligter geflossen sind. So ist es,
sich der Stelle von Glücks-Königreich für Kuriosität nicht zu nähern, die ich meiner Leser erwarte.
ehemaligen Fürsten zu Schaumburg-Lippe.
48
Auf der anderen Seite kann man in den Landhäusern des Feriendorfes auch heute noch zu
moderaten Preisen unterkommen. Wie wäre es, aus dem gehetzten Alltag auszubrechen und dort
selbst einmal die Erfahrung eines längeren Aufenthalts zu machen? Nachdem man morgens vom
Zwitschern der Vögel geweckt wurde, kann man ein Frühstück mit Gemüse von den hauseigenen
Feldern und Eiern der freilaufenden Hühner genießen. Wie schön ist es, wenn die Zeit friedvoll
vergeht, während man im Wald den Eichhörnchen zuschaut, oder, wenn es kalt zu werden beginnt,
ein paar Scheite in den Kamin nachzulegen und sich dort zu wärmen. Die Zeit in dieser Weise zu
nutzen und der Wert dieser Lebenseinstellung dringt nun wohl endlich auch nach Japan durch.
Heute gibt es auch in Hokkaidô Städtepartnerschaften mit Deutschland. So ist München
Partnerstadt von Sapporo und das ebenfalls bayrische Wasserburg von Betsukai. Daneben haben
auch die Industrie- und Handelskammern der Städte Obihiro und Kassel ein Bündnis abgeschlossen
und auch Herr NISHI pflegt heute immer noch die zur Zeit der Konstruktion des Glücks-Königreich
aufgebauten Beziehungen zu Deutschland. Als ich Herrn NISHI besuchte, durfte ich Unterlagen für
einen geplanten deutsch-japanischen Zeitungsartikel einsehen, der die freundschaftlichen
Beziehungen bei einem Schüleraustausch mit der Stadt Spangenberg aufzeigen werde.
Es ist ein einfaches Geschäftsprinzip und gilt nicht nur für Themenparks, dass Geschäfte ohne
entsprechende Nachfrage nicht zustande kommen können. Nach der Erfahrung des schnellen
Wirtschaftswachstums und Platzens der Bubble Economy Spekulationsblase geraten heute überall
im Land die einmal fast ins Vergessen geratenen, regionalen Ressourcen ins Licht der
Aufmerksamkeit und Bestrebungen für ihre erneute Verwendung sind auf dem Vormarsch.
Hokkaidô wird zwar als Region mit nur wenig Geschichte angesehen, aber es besitzt einschließlich
seiner Natur, Kultur und Industrie viele, sehr faszinierende Seiten. Vielleicht sollte man die von
NISHI angelegte Tokachi Glücks-Straße und den Tourismus per Rundreise oder längerem
Hotelaufenthalt auch noch einmal in neuem Licht sehen und so ein noch größeres Interesse und
Verständnis der Strategien des deutschen Tourismus gewinnen.
49
17. Deutsche Gesundheitsschuhe: Ritz, Alpha-Miki und Benher
•
Deutsche Gesundheitsschuhe Ritz
Die Türen des Fachgeschäfts für deutsche Gesundheitsschuhe Ritz wurden erstmalig 2002 im
Stadtteil Maruyama von Sapporo geöffnet. Der Repräsentant INOUE Ryô konnte bereits
Arbeitserfahrungen in einem Schuhgeschäft in England sammeln. Es werden Produkte von vier
europäischen Firmen mit Deutschland in zentraler Rolle importiert und vertrieben. Beim Verkauf
werden dann noch den Füßen der Kunden entsprechende Anpassungen vorgenommen.
Gesundheitsschuhe werden in Deutschland mit traditionellen Verfahren hergestellt, die auf den
schon seit langem bestehenden Fertigungstechniken für orthopädische Schuhe basieren. Beim Kauf
können gelegentlich sogar Zuschüsse der Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Als das
Ritz neu eröffnet hatte, war ein deutscher Fachmann für die individuellen Anpassungen der Schuhe
zuständig, doch heute übernimmt INOUE diese Aufgabe selbst.
•
Alpha-Miki
Alpha-Miki ist der Name eines Schuhgeschäfts, das 1988 von KIDA Michiko eröffnet wurde. 20
Jahre zuvor lernte sie während eines Aufenthalts in Tôkyô von einem deutschen
Orthopädieschuhmachermeister hergestellte Sandalen kennen. In einem deutschen Meisterbetrieb
für orthopädische Schuhe geht es zweifellos um Fußpflege. Durch Beratung kann Fußproblemen
vorgebeugt werden, für die Füße passende Schuhe ausgewählt werden und individuelle
Anpassungen vorgenommen werden.
Obwohl KIDA sich nach ihrer Rückkehr nach Sapporo an ein namhaftes Schuhgeschäft wandte mit
dem Vorschlag, dort künftig doch auch Fußpflege und von Orthopädieschuhmachermeistern
gefertigte Schuhe anzubieten, stieß ihr Vorschlag vor dem Hintergrund der Bubble Economy
zunächst auf wenig Anklang. Daher eröffnete sie kurzerhand selbst mit dem Alpha-Miki ein
Geschäft für orthopädische Schuhe.
Zwei Tage im Monat kommt der Orthopädieschuhmachermeister Lutz Behle zu
Beratungsgesprächen für Füße und Schuhe und der Schuhherstellung der Angestellten ins AlphaMiki, was äußert lehrreich sei. Des weiteren besucht KIDA mitsamt ihren Angestellten die zweimal
jährlich im Frühjahr und Herbst stattfindende Internationale Fachmesse der Schuhindustrie für
Schuhe, Schuhmode und Schuhdesign - GDS in Düsseldorf zur Fortbildung und Einkäufen. In
50
derselben Firma wurde der Beruf des Orthopädieschuhtechnikers ins Leben gerufen. KIDA
übernimmt als die einzige in Hokkaidô die verantwortungsvolle Führung unter den landesweit nur
16 weiteren mit dem Titel Master of shoe-fitting und strebt nach einem bestmöglichen Sitz ihrer
Produkte.
Laut KIDA könne man vor den jetzt bestehenden Theorien und Techniken zur bestmöglichen
Nutzung der Funktion der Füße, die auf den deutschen konservierenden Heilverfahren basieren, nur
den Hut ziehen.
•
Schuhgeschäft Benher-Gesundheitsschuhe
KANNO Ken'ichi vom Schuhgeschäft für Gesundheitsschuhe Benha in Asahikawa 73 wurde in
Deutschland zum staatlich geprüften Orthopädieschumacher-Gesellen ausgebildet . Außerdem ist er
Schuhanpasser und technischer Berater in der Vereinigung des japanischen Einzelhandels und
Mitglied im Verein für orthopädische Schuhe in Japan.
73 Die Stadt Asahikawa, Unterpräfektur Kamikawa, liegt im Nordwesten Hokkaidôs.
51
18. Deutsches Restaurant, deutsche Konditorei und deutsche
Bäckerei
Der Eigentümer und Koch des Neu GardenCourt in
Tanukikôji 74 serviert Speisen, in die seine Erfahrungen von
Aufenthalten in Deutschland und Frankreich eingeflossen sind.
Das ursprünglich nur GardenCourt heißende Geschäft wurde im
November 2002 umgestaltet und fortan Neu GardenCourt
genannt.
Das deutsche Menü im Neu GardenCourt besteht hauptsächlich
Innenansicht des Neu
GardenCourt.
(Neu GardenCourt, offizielle
Homepage)
aus bayrischen Spezialitäten, aber auch die berühmten, in Brühe
gegarten Maultaschen, deren japanische Gegenstücke übrigens
Gyôza heißen, können dort genossen werden, obwohl sie eine
Spezialität des schwäbischen Maulbronn sind.
Das gleich neben der medizinischen Fakultät der Universität
Sapporo gelegene Danke Schön wurde im November 2004 von
Außenansicht des Danke Schön.
(Danke Schön, offizielle
Homepage)
Inhaber und Koch ENDÔ Sadami eröffnet, der übrigens auch das Lamm Haus Kekere gleich nebenan
führt. Das Danke Schön hat nur um die Mittagszeit geöffnet. Unter Verwendung seiner mit einer
langjährigen Ausbildung in Deutschland, der Schweiz und Schweden bereicherten Erfahrungen und
dem eigenhändigem, sorgfältigen Prüfen saisonaler Zutaten auf dem Markt bietet er europäische
Gerichte an, die mit ökologisch angebautem Gemüse zubereitet wurden.
Mit dem Schönwasser, das sich im Shin-Chitose Flughafen 75 befindet, hat ein weiteres
Restaurant mit deutschen Gerichten eröffnet. Das Restaurant bietet zur Zeit hauptsächlich Gerichte
im europäischen Stil wie zum Beispiel Würstchen an. In diesem Restaurant kann man auch das in
der nahegelegenen Stadt Chitose gebraute, regionale Bier der Marke Pirikawakka probieren, dessen
Name aus der Ainu-Sprache stammt und auch „schönes Wasser“ bedeutet. Hokkaidô Bier
74 Tanukikôji liegt im Stadtviertel Chûô von Sapporo.
75 Der Neue Flughafen von Chitose oder Shin-Chitose Airport liegt einige Kilometer südlich der Städte
Chitose und Tomakomai und ist für die Region um Sapporo zuständig.
52
Pirikawakka wurde ursprünglich 1998 von der Brauerei Beer Works Chitose Co., Ltd. unter dem
Namen Chitose Local Beer Pirikawakka eingeführt. Die Marke wurde 2005 in Hokkaidô Bier
Pirikawakka umbenannt und seit 2006 von Kôjinsha Co., Ltd. verwaltet. Daneben findet seit 2008
in Chitose das Oktoberfest-in-Hokkaidô statt, an dem ich wohl dieses Jahr auch einmal teilnehmen
werde.
MURAGISHI Hiroshi, der Inhaber und Chef des Schönberg in Niseko 76, ging vier Jahre lang in
Deutschland in die Lehre und stellt nun Würste her, die nach einer langen trial-and-errorEntwicklungsphase auch den japanischen Geschmack trafen. 1999 gewann er den Zweiten Preis in
der Kategorie Anspruchsvolle Küche beim in Hokkaidô abgehaltenen, Ersten Wettbewerb für
vornehmlich regionale Zutaten verarbeitende Pensionen.
IWAKAWA Yoshihisa, Inhaber und Konditor der in Shiroishi 77 gelegenen,
deutsch-schweizerischen Konditorei Biena Maja 78, wurde im berühmten
Paul Götze in Kichijôji 79 ausgebildet. Hier kann man die in deutschen
Konditoreien häufig zu sehenden Süßwaren zu moderaten Preisen erstehen.
Der Berliner Wolfgang Paul Götze, IWAKAWAs Lehrer, war als
Konditor in Deutschland, der Schweiz, Amerika und Japan tätig. Als
Außenansicht des Biene
Maja.
(Biene Maja, Homepage)
Autor des Buches Moderne Schweizer Konditorei (in Japan erschienen als Gendai Suisu Kashi no
subete) übte er großen Einfluss auf die Verbesserung der Techniken für westliche Süßwaren in
Japan aus. Heute konzentrieren sich seine Tätigkeiten vor allem auf Vorträge.
In Sapporo gibt es auch einige deutsche Bäckereien. So wurde zum Beispiel das Brot von Burg,
das Filialen neben der Uniklinik von Sapporo und dem Tôkyû-Kaufhaus besitzt, auch bei Japanern
schnell beliebt.
Die Bäckerei DOLPHY am Bahnhof Shin-Sapporo bietet Brot an, das mit in Hokkaidô
produziertem Weizen- und Roggenmehl gebacken wird. Seit der Eröffnung sind bereits 30 Jahre
vergangen und etwa 25 verschiedene Brotsorten reihen sich in der Auslage des Geschäfts.
In Makomanai 80 befindet sich die Bäckerei KORB, die deutsches Brot und dänisches Gebäck
76
77
78
79
80
Der Skiort Niseko befindet sich westlich des Shin-Chitose Flughafens.
Shiroishi ist ein Stadtteil im Osten von Sapporo.
Siehe Kapitel 7.
Kichijôji ist eine Gegend im Stadtviertel Musashino von Tôkyô.
Makomanai ist eine Gegend im Stadtteil Minami, der die südöstliche Hälfte Sapporos einnimmt.
53
ohne künstliche Aromen und andere Zusatzstoffe verkauft.
Die Inhaberin der Bäckerei Meister Ruppel im
Inazumi 81-Park, Ôyama Hisui, konnte das Brot, das sie vor
40 Jahren in Deutschland gegessen hatte, nicht vergessen
und brachte sich selbst das Brot-Backen bei. Das Brot im
Ruppel ist ein festes Brot mit Roggengeschmack, ganz in
der Art traditionellen deutschen Brotes. Da sich das
Geschäft relativ nah an meiner (des Autors) eigenen
Außenansicht des Meister Ruppel.
Wohnung befindet, kaufe ich dort öfters ein und hoffe, dass
sie auch weiterhin köstliches, deutsches Brot anbieten werden.
Die Bäckerei Shimadaya hinter Sapporos Kita-Oberschule verlegte ihr ehemals im Stadtteil
Higashi gelegenes Geschäft zum heutigen Standort. Nach seiner Ausbildung in Tôkyô eröffnete der
Inhaber dieses Geschäft in Sapporo.
Des weiteren gibt es in Hokkaidô an vielen Orten Geschäfte mit deutschem Brot, die ich leider
nicht alle erfassen konnte. Daher habe ich mich hier auf die Vorstellung der Geschäfte in Sapporo
beschränkt.
Die Themen zu den Beziehungen in der Landwirtschaft zwischen Hokkaidô und Deutschland, die
ich in diesem Buch vorstellen wollte, sind zahlreich. Was ich in Deutschland zu schätzen gelernt
habe, ist der möglichst verschwendungsfreie Genuss von Fleisch. Die oft nur als Abfall betrachtete
Leber wird beispielsweise zu leckeren Leberknödeln verarbeitet und die aus Blut hergestellte
Blutwurst ist eine Delikatesse.
Auch in Hokkaidô gibt es viele frische Fischprodukte und es gibt in dieser Beziehung vielleicht
von Deutschland nicht unbedingt viel zu lernen. Aber wenn wir das Beste aus den jeweiligen
Vorzügen wie Fleischverarbeitungstechniken oder wohlschmeckende Zubereitungsarten von
Kartoffeln machen können, trägt das sicherlich zur Erweiterung der Horizonte bei. Wie im vorigen
Buch erwähnt ist es wohl ein Privileg der Bewohner Hokkaidôs, weißen Spargel mit
Milchprodukten aus Hokkaidô zuzubereiten und mit Bier oder Wein zu geniessen, und ihn, im
Gegensatz zum Rest des Landes, das ihn nur unter der englischen Bezeichnung white asparagus
kennt, als Spargel zu bezeichnen.
81 Der Inazumi-Park befindet sich im Stadtteil Teine im Westen von Sapporo
54
Weil Plätze wie Restaurants, Konditoreien oder Bäckereien Kanäle für sowohl kulinarischen als
auch wirtschaftlichen Austausch sind, werden hoffentlich auch künftig Aktivitäten stattfinden, die
diesen Austausch fördern.
55
19. 150 Jahre deutsch-japanische Freundschaft
Um das Jahr 2010 reihen sich die Veranstaltungen zum Jubiläum der 150 jährigen Freundschaft
mit verschiedenen Ländern, denn in Folge der Öffnung Japans durch den Niedergang des
Tokugawa-Shogunats wurden kurz nacheinander Verträge mit den europäischen und
amerikanischen Großmächten geschlossen.
Inoffiziell gehen die Beziehungen mit Deutschland bis 1690 zurück. Erhaltene Dokumente
belegen die Ankunft des aus Lemgo stammenden Engelbert Kaempfer in diesem Jahr als Arzt einer
holländischen Handelsgesellschaft. Offiziell begannen die Beziehungen zwischen Deutschland und
Japan erst 1861 mit dem japanisch-preußischen Handelsabkommen.
Für 2011 wurden für beide Länder zahlreiche Veranstaltungen zum 150. Jubiläum geplant. Ich
habe nun in diesem und dem vorigen Buch eine Vielzahl von Beispielen für die Beziehungen
zwischen Deutschland und Japan vorgestellt. Mit rapiden Fortschritten im Bereich der
Transportmöglichkeiten und des Informationsaustausches gehen wir einer Zeit ohne Grenzen
entgegen, in denen selbst Informationen aus zehntausend Kilometer entfernten Ländern ohne
Zeitverlust verfügbar sind. Doch nur wenige Jahrzehnte zuvor gab es kaum eine Entwicklung der
Transport- und Informationswege und es mussten große Mühen aufgewandt werden, um auch nur
an eine einzige Information zu gelangen.
Ich kann den Errungenschaften dieser
Pioniere nur Bewunderung
entgegenbringen, die in jenen Zeiten
durch fremde Länder reisten, ihre
Kenntnisse erweiterten und viele Dinge
lernten, um diese dann nach ihrer
Heimkehr bestmöglich zu nutzen.
Große Schneeskulptur der
Dresdner Frauenkirche beim
Sapporo Schneefest
Frauenkirche in
Dresden
Es sind vielleicht nicht die beiden Js 82 von UCHIMURA Kanzô 83, aber auch ich wollte selbst einen
Beitrag leisten für die beiden Ds, denn Deutschland ist neben Hokkaidô, wo ich geboren wurde und
aufgewachsen bin, meine zweite Heimat geworden.
82 Jesus und Japan steht hier repräsentativ für die vom Christen UCHIMURA gleichermaßen geschätzen
Werte des Christentums und Japans. Hokkaidô wird, oft in Verbindung mit anderen Begriffen zu
„Dô“ verkürzt und so stehen die „beiden „Ds“ des Autors hier für (Hokkai)Dô und Deutschland.
83 Autor, protestantischer Christ und Begründer der Mukyôkai-Bewegung, welche die institutionalisierte
Kirche ablehnt und die christliche Religion ohne Kirchenbauten und Klerus praktiziert.
56
2002 wurde erfreulicherweise auch in Sapporo, deren Partnerstadt München ist, der Münchener
Weihnachtsmarkt in Sapporo eröffnet, womit während der Jubiläumsjahre also auch deutsche
Bräuche Wurzeln zu schlagen beginnen. 2010 wurde beim Schneefest in Sapporo unter anderem
auch die Dresdener Frauenkirche als riesige Schneeskulptur umgesetzt und konnte nicht nur die
Einheimischen, sondern Touristen aus aller Welt erfreuen.
Bei der 150-Jahrfeier 2011 werden hoffentlich auch in Hokkaidô noch mehr Veranstaltungen als
bisher zur Förderung der gegenseitigen, freundschaftlichen Beziehungen beider Länder umgesetzt.
Auch wird es interessant sein zu sehen, ob auch 2017, zum 150 jährigen Jubiläum der 1867 von
Gaertner initiierten, modernen Landwirtschaft und des Obstanbaus, Veranstaltungen zur deutschjapanischen Landwirtschaft abgehalten werden können.
Ich hoffe, dass einmal das Beste aus Brauerei und Kelterei, Fleischverarbeitung und
Landwirtschaft, insbesondere aus den in diesem Buch erwähnten, eng damit in Verbindung
stehenden Orten wie Nanae, Sapporo und Tokachi, versammelt wird und es nicht bei einer einzigen
Veranstaltung bleibt, sondern mittel- und langfristig zu weiteren Entwicklungen der beiden
Regionen Hokkaidô und Deutschland führen wird.
57
Literaturverzeichnis
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Neu GardenCourt, offizielle Homepage
Danke Schön, offizielle Homepage
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Biene Maja, offizielle Homepage
59
60
Lebenslauf des Autors
WATANABE Masato
Unterabteilung für Erhebungen zur Entwicklung, Abteilung zur
Entwicklungsüberwachung, Hokkaidô Entwicklungsbehörde,
Ministerium für Land, Infrastruktur, Transport und Tourismus
11/1969
geboren in Sapporo
bis zum Abschluss der Oberschule wohnhaft in Obihiro und Otofuke
03/1995
Abschluss mit M.A. in Unternehmensrecht an der Wirtschaftswissenschaftlichen
Fakultät der Otaru Universität für Handel
Angestellter in einem privaten Unternehmen
04/1998
Anstellung bei der Hokkaidô Entwicklungsbehörde
04/2004
Anstellung beim Ministerium für Land, Infrastruktur, Transport und Tourismus in
Kasumigaseki, Tôkyô
03/2006
Vize-Konsul am Japanischen Generalkonsulat in Düsseldorf
05/2009
heutige Position
Forschungsbeiträge / Wissenschaftliche Publikationen
WATANABE, Masato: GATT 84/WTO 85-System und die Sicherheit von Lebensmitteln 1 (「GATT/WTOシステ
ムと食品の安全性(上)).
in: Shôgaku Tôkyû (商学討究; The economic review) 46/4.
WATANABE, Masato: GATT/WTO-System und die Sicherheit von Lebensmitteln 2 (「GATT/WTO システム
と食品の安全性(下)」.
in: Shôgaku Tôkyû 48/1.
84 Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade).
85 Welthandelsorganisation (World Trade Organization).
61
Vorträge, etc.
10/2008
Beziehungen und Tendenzen von deutschen und japanischen Unternehmen in
Nordrhein-Westfalen zu Mittel- und Osteuropa (ノルトライン・ヴェストファーレン州内独企業及び日本
企業の中東欧との関係 及び動向).
08/2009
Konferenz zur Situation in Mittel- und Osteuropa, Wien.
Gedanken zum Tourismus in Hokkaidô an einem deutschen Beispiel. Sapporo-Minami
Rotary-Club.
03/2010
Pioniergeist in einer Zeit ohne Grenzen – Sonderedition. Abgeordneten-Union zur
Deutsch-Japanischen Freundschaft des Parlaments von Sapporo.
Daneben weitere Schulungsvorträge auf Einladung von Unternehmen während des Aufenthaltes in
Deutschland.
WATANABE Masato sieht seine heutige Lebensaufgabe darin, die Erfahrungen aus den drei Jahren
und 2 Monaten Dienst in Deutschland anzuwenden, um damit die wirtschaftlichen Beziehungen
zwischen Deutschland und Japan zu vertiefen und seine Vision von der wirtschaftlichen Zukunft
Hokkaidôs zu verwirklichen. Im Januar 2009 veröffentlichte er das Buch Der Pioniergeist eines
grenzenlosen Zeitalters - Von Pionieren, die sich den Herausforderungen einer Zeit ohne Grenzen
stellen (Konkrete Beispiele für Aktivitäten von Unternehmen mit Bezug zu Hokkaidô und
Deutschland) (ボーダレス時代のフロンティア精神 国境なき時代に挑戦する開拓者達(ドイツ・北海道に
縁のある企業活動の事例から)) und
im April selben Jahres wurde die deutsche Fassung des
Manuskripts herausgebracht.
Kurz nach seiner Heimkehr im Jahr 2009 heiratete er eine Japanerin, die er in Deutschland
kennengelernt hatte, und im März 2010 wurde ihre erste Tochter geboren. Im Moment lebt er in
Sapporos Stadtteil Teine und ist Mitglied der Deutsch-Japanischen Gesellschaft von Hokkaidô.
62
WATANABE Masato
2010
63

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