Schreibst du Mathe

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Schreibst du Mathe
Haus 2
Mathematikunterricht kontinuierlich von Klasse 1-6
STEPHAN HUSSMANN | TIMO LEUDERS | BÄRBEL BARZEL
„Schreibst du Mathe?”
Und nach der Grundschule: Wie geht es mit dem Schreiben im Mathematikunterricht weiter?
Die Kompetenz, schriftlich an mathematischen Problemen zu arbeiten, sollte kontinuierlich
aufgebaut werden.
Es gibt vielfältige Gründe für das Schreiben von Lerntagebüchern im Mathematikunterricht (mit jeweils
unterschiedlicher Schwerpunktsetzung in der Primar- oder Sekundarstufe). Zu den wesentlichen Begründungen
gehören dabei die folgenden: Die Verschriftlichung der Lernprozesse macht das Gelernte fassbarer und bewusster
und hilft die Vagheit des nur Gedachten zu überwinden. Zudem steuert das Einnehmen einer sog. „metakognitiven
Haltung“ gegenüber dem eigenen Lernen die Lernprozesse auf produktive Weise (vgl. Kuntze/Prediger 2005,
Barzel/Ehret 2009, Maier/Schwaiger 1999).
Das Schreiben dient sowohl dem Aufbau inhaltlicher Kompetenzen (sprich: der „Stofferarbeitung“) als auch dem
Erwerb prozessbezogener Kompetenzen und zwar sowohl fachlicher Art („Problemlösen“) als auch überfachlicher Art
„Selbstreguliertes Lernen“). Aus diesem Grunde genießen Forschungshefte und Lerntagebücher ein hohes Interesse
in Forschung und Praxis (Hübner et al. 2007; Gläser-Zikuda/Hascher 2007).
Entsprechend findet man eine ganze Reihe von Ansätzen und Projekten zum Schreiben, die in der Primar- und in den
Sekundarstufen (nicht nur im deutschen) Mathematikunterricht entwickelt und erprobt werden (z. B. NiederdrenkFelgner
2000; Götze 2008; Ehret 2009). Zu den bekanntesten zählen die Lerntagebuchmodelle nach Ruf und Gallin (1990):
Dabei
werden Lerntagebücher in erster Linie genutzt, um den Lernprozess abzubilden. Hier ist das schriftliche Bearbeiten
von
mathematischen Problemen das Rückgrat des gesamten Unterrichtsganges. Eine Erweiterung dieses Ansatzes stellt
das „Forschungsheft“ nach Hußmann (2003) dar, in dem zusätzlich zu der Bearbeitung von Problemen auch die
Ergebnisse von Systematisierungsprozessen festgehalten werden. Aber man findet in der Sekundarstufe auch andere
große und kleine Schreibanlässe, als Teil von Projekt- und Portfoliokonzepten, wie z. B. Themenstudienarbeiten
(Kuntze 2003), Projektberichte usw.
Vorbereitet werden Schüler(innen) auf das Schreiben bereits in der Grundschule – jedenfalls dann, wenn der
Unterricht tatsächlich Anlässe für „Eigenproduktionen“ bietet (Selter 1998) und sich das Schreiben nicht auf das
minimale Notieren
von Ergebnissen und Rechenwegen bezieht.
Aus Erfahrungen in der Praxis und aus Forschungsprojekten weiß man auch, dass das Schreiben Probleme und
Risiken mit sich bringen kann. Das Schreiben kann für Schüler(innen) hemmende Wirkungen haben, da es eine
zusätzliche kognitive Anforderung darstellt. Ob diese Zusatzanstrengung für das Mathematiklernen förderlich oder
hinderlich ist, hängt vom Alter, vom Leistungsstand, aber auch vom sprachlichen Hintergrund der Kinder ab.
Insbesondere von „schwächeren Schreibern“
– ob aus mangelnder Gewohnheit oder aufgrund allgemeiner sprachlicher Schwierigkeiten – kann nicht erwartet
werden, dass eine Aufforderung „Schreibt alle Gedanken und Ideen auf.“ ausreicht, dass Sätze und ganze Texte
selbstständig verfasst werden.
Aus diesem Grunde muss man bei der Übertragung der Erfahrungen Vorsicht walten lassen, vor allem wenn die
Erfahrungen
aus anderen Schulformen oder Jahrgangsstufen stammen. So muss das, was in Klasse 9 oder 12 in einem
Gymnasium gelingt, bei Schüler(inne)n anderer Schulformen oder in den Klassen 5 und 6 nicht erfolgreich sein. Auch
kann man ab einer bestimmten Jahrgangstufe oder in einer bestimmten Schulform Schreibkompetenz nicht
selbstverständlich erwarten, sondern muss diese kontinuierlich und bewusst aufbauen. Die zentrale Frage ist: „Wann
und wie kann man die Lernenden fördern, damit sie nach und nach die nötigen Schreibkompetenzen erwerben und
forschend und schreibend arbeiten können?“
Ein Forschungsheft als Ganzes ist ein großes Unternehmen, auch die Gesamtbeschreibung einer Problemlösung ist
eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für einen unerfahrenen Schreiber. Daher ist es sinnvoll, mit kleinen
überschaubaren und angeleiteten Aufträgen zu beginnen. Im Folgenden möchten wir an einigen Beispielen
darstellen, wie in den Jahrgangsstufen 4 – 6 die Schreibkompetenz entwickelt werden und auf welche Weise man
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Schüler(innen) an das Schreiben heranführen kann. Wir lassen dabei einige relevante Schreibanlässe bewusst außen
vor (wie z. B. das Reflektieren des Lernverhaltens oder das bewertende Schreiben beim Portfolio) und beschränken
uns auf einen (unseres Erachtens) zentralen Schreibanlass: Das schriftliche Arbeiten an mathematischen Problemen.
Schreibanlässe schaffen
Als Auslöser und Gegenstand des Schreibens kann im
Prinzip jegliche Aufgabe dienen, die eine Aufforderung zur
Auseinandersetzung mit Mathematik enthält. Solche
Aufforderungen führen zu individuellen Schreibprozessen,
wenn sie individuelle Denkprozesse anstoßen. Daher
ist erste Voraussetzung an eine für das
„Prozessschreiben“ geeignete Aufgabe, dass sie eine
gewisse Offenheit besitzt und nicht schematisch
abzuarbeiten ist. Ein oberflächlich
eingesetztes Erfüllen eines Frage-RechnungAntwortschemas ist noch kein Prozessschreiben.
Im ersten Zugang zum Schreiben geht es darum, Mut zu
machen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die den
Einstieg ins Schreiben erleichtern. Daher geschieht die
Förderung im ersten Schritt eher „punktuell“. Dabei geht es
erst einmal nicht darum, dass ein längerer Schreibprozess
angeregt wird, sondern dass einzelne Kompetenzen
aufgebaut werden, die Schüler(innen) für das Schreiben
benötigen.
Solche Kompetenzen sind z. B.:
- Zu fokussierten Arbeitsaufträgen kleinere
Schreibaufträge bewältigen, die sich in einen
vorstrukturierten Rahmen integrieren lassen.
- In einer Problemsituation (ob als Aufgabe von
-
außen oder im Rahmen des eigenen
Forschungsprozesses entstanden) ein Beispiel
produzieren, dass die Weiterarbeit fördert (s. Abb.
1a + b).
In einer Situation, in der bereits Beispiele vorliegen,
eine Vermutung formulieren (s. S. 52, Abb. 2a + b).
In diesem Schritt findet die Gewöhnung ans Schreiben statt,
zugleich können Teilhandlungen gelernt und geübt werden.
Nachdem die Lernenden sich in kleineren Schreibaufgaben
daran gewöhnt haben, über ihre Entdeckungen,
Beobachtungen und Vermutungen zu schreiben, können
Aufträge gegeben werden, die eine längere Bearbeitung
erfordern (s. Abb. 3): Die Untersuchung der
Schokoladentafeln gibt vielfältige Anlässe zur Formulierung
eigener Ideen, Ansätze, Vermutungen und Bewertungen.
Schüler(innen) können durch ein vorformuliertes und
abgebildetes Beispiel oder durch die Ermutigung der
Lehrperson zum Schreiben angehalten werden.
In einem zweiten Schritt sollen die Lernenden nun einen
längeren Schreibprozess durchhalten. Hierzu kann ihnen ein
Strukturierungsgerüst an die Hand gegeben werden, das
sich entlang der Bearbeitungsprozesse von
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Problemlöseaufgaben bewegt. Abb. 4 zeigt so ein Gerüst, dieses wurde für das Schulbuchkonzept der mathewerkstatt
entwickelt. In der gezeigten Aufgabe müssen die Schüler(innen) die einzelnen Schritte des Problemlöse- und
Schreibprozesses einem vorgegebenen Text zuordnen. Der folgende Schritt ist, einen eigenen Text mit dieser
Strukturierung zu verfassen. Die Schreibhilfe ist hier eine doppelte: Es ist zum einen ein stabiles Schema für das
planvolle Problemlösen (hier „Lösungsplan“ PADEK genannt), zum anderen sind es flexibel einsetzbare Heuristiken
(in der Mathematik auch „Strategie“ bzw. für Schüler „Ansatz“ genannt).
Wesentlich an den Schritten beim PADEK (s. auch Abb. 4) ist, dass sie als Hilfen beim planvollen Vorgehen
verstanden werden: Daher geht es bei „P“ um das Verstehen des Problems, bei „A“ soll ein Ansatz zur
Problembearbeitung erdacht und formuliert werden, der in „D“ dann mit Rechnungen und Konstruktionen durchgeführt
wird, in „E“ wird das Ergebnis erklärt, um es am Ende zu kontrollieren. Das Schema wird hier bereits in seiner Gänze
vorgestellt, um zu vermeiden, dass es in nachfolgenden
Kapiteln immer wieder modifiziert und erweitert werden muss.
Da die Voraussetzungen der Schüler(innen) sehr unterschiedlich sind, bedarf es geeigneter Differenzierungen. Neben
der
beschriebenen expliziten Differenzierung durch geleitete überschaubare Aufträge bieten sich beim Schreiben
selbstdifferenzierende Aufträge an, so dass Schüler(innen) unterschiedlicher Leistungsstufen sich individuell länger
oder intensiver damit (schreibend) beschäftigen können (zu weiteren Aufgabenmerkmalen s. Büchter/Leuders 2004).
Gemeinsame Reflexion
Anhand der Ergebnisse und Lösungswege der Schüler (innen), kann man im Unterricht sowohl die inhaltlichen
Ergebnisse
als auch die gelungenen und weniger gelungenen Vorgehensweisen thematisieren. Dieser Schritt geschieht unter
Beteiligung der Lehrkraft: Diese sucht geeignete Beispiele aus und moderiert die Diskussion so, dass den
Schüler(inne)n deutlich wird, auf welche Weise das Schreiben und insbesondere das Verwenden bestimmter
Techniken eine wesentliche Stütze beim erfolgreichen Lernen und Problemlösen sein kann. Solche Erfahrungen
können explizit gesichert werden und dienen als Stütze in späteren Problemlöse- bzw. Schreibsituationen. An dieser
Stelle kann man die Förderung des Schreibens erst einmal unterbrechen und im nachfolgenden Unterricht bei
geeigneten Aufgaben auf diese Erfahrungen zurückgreifen.
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Fazit
Natürlich ist die Fähigkeit „Mathematik zu schreiben“ nach einer solchen Förderphase noch längst nicht ausgebildet –
schon gar nicht bei allen Schüler(inne)n gleichermaßen. Ein solches Konzept zur Förderung des Schreibens (und zur
Förderung des mathematischen Denkens und Lernens durch Schreiben) muss die Erfahrungen immer wieder
aufnehmen und Gelegenheiten zum Schreiben von Forschungsheften immer wieder nutzen.
Literatur
Barzel, Bärbel/Ehret, Carola: Mathematische Sprache
entwickeln. In: Mathematik lehren, Heft 156.
Seelze: Friedrich 2009, S. 4 – 9.
Ehret, Carola: Schreibwerkstatt Mathematik. In: Mathematik
lehren, Heft 156. Seelze: Friedrich
2009, S. 26 – 42.
Gallin, Peter/Ruf, Urs: Sprache und Mathematik in
der Schule. Auf eigenen Wegen zur Fachkompetenz.
Seelze: Kallmeyer 1998 (erstmals 1990).
GläserZikuda,
M./Hascher, T. (Hrsg.): Lernprozesse
dokumentieren, reflektieren und beurteilen. Lerntagebuch
& Portfolio in Bildungsforschung und
Bildungspraxis. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2007.
Götze, Daniela: „Lasst uns eine Mathekonferenz machen!“
In: Praxis der Mathematik, Heft 24/2008,
S. 9 – 14.
Hübner, S./Nückles, M./Renkl, A.: Lerntagebücher
als Medium selbstgesteuerten Lernens: Wie viel instruktionale
Unterstützung ist sinnvoll? In: Empirische
Pädagogik, Heft 21/2007, S. 119 – 137.
Hußmann, Stephan: Lerntagebücher – Mathematik
in der Sprache des Verstehens. In: Leuders, Timo
(Hrsg.): Mathematikdidaktik. Praxishandbuch
für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelson
Scriptor 2003, S. 75 – 92.
Hußmann, S./Greefrath, G./Mühlenfeld, U./Witzmann,
C.: Wie geht es weiter? Zahlen- und Bildmuster
erforschen. In: Prediger, S./Barzel, B./Hußmann,
S./Leuders, T. (Hrsg.): mathewerkstatt,
Klasse 6. Berlin: Cornelsen, in Vorbereitung für
2013.
Leuders, Timo: Die 16 unter der Lupe – Zahlen zerlegen
und erforschen. In: Barzel, B./Hußmann, S./Leuders,
T./Prediger, S. (Hrsg.): mathewerkstatt, Klasse 5.
Berlin: Cornelsen 2012 (Vorabdruck 2011).
Kuntze, Sebastian: Themenstudienarbeit im Mathematikunterricht
als Vorbereitung auf die Facharbeit.
In: MNU, Heft 56(8)/2003, S. 490 – 495.
Kuntze, Sebastian/Prediger, Susanne: Ich schreibe,
also denk’ ich. Über Mathematik schreiben. In:
Praxis der Mathematik in der Schule, Heft 47
(5)/2005, S. 1 – 6.
Maier, Hermann/Schweiger, Fritz: Mathematik und
Sprache. Zum Verstehen und Verwenden von
Fachsprache im Unterricht. Wien: oebv und hpt
Verlagsgesellschaft 1999.
Niederdrenk-Felgner,
Cornelia: Wir schreiben unser
eigenes Mathe-Lexikon! In: Mathematik lehren,
Heft 99. Seelze: Friedrich 2000, S. 14 – 16.
Selter, Christoph: Eigenproduktionen im Arithmetikunterricht.
In: Wittmann, E.Ch./Müller, G.N.
(Hrsg.): Mit Kindern rechnen. Frankfurt: Arbeitskreis
Grundschule 1995, S. 138 – 150.
Anmerkung: Eine Vorversion dieses Artikels ist erschienen unter:
Stephan Hußmann/Timo Leuders/Bärbel Barzel: „Schreibst du Mathe?“, Die
Grundschulzeitschrift 244/2011, S.50 - 53
© by PIK AS (http://www.pikas.uni-dortmund.de/