Ethno-Marketing - warum deutsche Firmen auf Türkisch werben

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Ethno-Marketing - warum deutsche Firmen auf Türkisch werben
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36
Wirtschaft
07. Februar 2008
Ethno-Marketing - warum deutsche Firmen auf Türkisch werben
Firmen wie VW, E-Plus und die
Deutsche Bank entdecken die
kaufkräf tigen Verbraucher mit
ausländischen Wur-zeln. Doch auf
Deutsch erfundene Werbung lässt
sich nicht einfach übersetzen. Wie
erklärt man etwa einem Moslem,
was an "saubillig" gut sein soll?
Marketingleute stehen vor großen
Herausforderungen.
Stefan Mecher spricht kein Türkisch.
Nur einen einzigen Satz kann der
Leiter der VW-Vertriebsregion West:
"Volkswagen Türkçe konusuyor". Das
heißt "Volkswagen spricht türkisch".
Doch dieser Ausspruch steht für ein
ehrgeiziges Projekt, mit dem der
Autobauer seinen Inlandsabsatz ankurbeln will. "Türkischstämmige Bürger in Deutschland haben eine hohe
Kaufkraft und sind für uns von sehr
großem Interesse", sagt Projektleiter
Mecher. Deshalb macht Volkswagen
jetzt Reklame in türkischer Sprache
und stellt Verkäufer ein, die türkisch
ebenso wie deutsch sprechen. 20 sind
es derzeit, 40 sollen es bis Ende des
Jahres werden.
Nach Versuchen in Berlin und im
Westen Deutschlands wird das Projekt
jetzt bundesweit auf Ballungszentren
wie Hamburg, Frankfurt, Stuttgart
oder München ausgedehnt. Das sind
Regionen, in denen viele Türkischstämmige leben.
VW setzt sich damit an die Spitze einer
Bewegung. Immer mehr Händler
nutzen das sogenannte Ethno-Marketing, um über neue Käufergruppen
doch noch etwas Wachstum aus dem
stagnierenden deutschen Konsumgütermarkt herauszuholen. Die Aktion richtet sich an Konsumenten, die
im offiziellen Sprachgebrauch "Einwohner mit Migrationshintergrund"
heißen. Mithin sind das rund 15
Millionen Verbraucher, die vor allem
aus der Türkei und aus Ländern der
früheren Sowjetunion stammen.
Zusammen kommen sie auf eine
Kaufkraft im zweistelligen Milliardenbereich.
Allein die 2,7 Millionen türkischstämmigen Bewohner Deutschlands kaufen pro Jahr 31 Mio. Flaschen Haarshampoo, 28 Mio. Pakete Waschmittel,
60 Mio Flaschen Babynahrung und
gar 300 Mio Babywindeln. Sie fahren
750.000 Autos, vor allem VW, Mercedes
und Opel.
Diesen Verbrauchern wollen die Marketing-Strategen nun das Gefühl vermitteln: Wir kümmern uns um Euch,
wir verstehen Euch, bei uns könnt Ihr
einkaufen. "Die Sprache ist entscheidend. Die Sprache ist der Zugang zum
Kunden", sagt VW-Mann Mecher. Und
so kommt der erste Kontakt zum
Kunden oft in türkischsprachigen Zeitungen wie Hürriyet, Milliyet oder
Türkiye zustande. Auf der Anzeige
finden sich neben dem Foto des Autos
auch Bilder der türkischsprachigen
Verkäufer mit Namen und Telefonnummer. "Oft laufen die Beratungs-
gespräche dennoch in deutscher
Sprache ab. Wichtig ist nur, dass die
Kunden türkischer Herkunft merken:
Dieses Unternehmen geht auf uns zu."
Und so ist die gesamte Beratung auch
gefühlsbetonter angelegt als beim
Verkaufsgespräch mit dem klassischen deutschen Interessenten. "Ein
türkischer Kunde kauft ein Auto deutlich stärker nach emotionalen Gesichtspunkten als ein deutscher Kunde. Darauf müssen unsere Verkäufer
eingehen können", sagt Mecher. Das
bedeutet: Der Verkäufer muss genau
wissen, was sich gerade in der ersten
türkische Fußball-Liga und in den
türkischen Daily Soaps tut, die auch in
Deutschland gesehen werden. Das
kann sich lohnen: "Einer unserer türkischsprachigen Mitarbeiter verkauft
über 200 Autos im Jahr. Er ist damit
einer der Spitzen-Verkäufer bei Volkswagen", freut sich Projektleiter
Mecher.
Seit etwa drei Jahren versuchen
Marketing-Strategen, speziell diese
Kundschaft zu erreichen. Mobilfunker E-Plus betreibt inzwischen in
Deutschland die türkisch-deutsche
Handymarke "Ay Yildiz". Neben VW
stellen auch Autohersteller wie Mercedes oder BMW türkisch sprechende
Verkäufer ein. Die HypoVereinsbank
und die Deutsche Bank wenden sich
in türkischer Sprache an Kunden. Die
Marseille Kliniken AG betreibt in
Berlin das Altenheim "Türk Huzur
Evi" für Gastarbeiter der ersten
Generation. Und Händler wie Lidl
oder Kik machen in türkischer oder
russischer Sprache Reklame für ihre
Sonderangebote.
Der Werner Verlag gibt in Berlin
mehrere russischsprachige Zeitungen
und Zeitschriften heraus, in denen
auch deutsche Händler auf Russisch
werben, z.B. Kik, Lidl, Telekom oder
A.T.U. Und im Hochglanzluxus-Magazin "Vsya Evropa" findet sich
Reklame von Nobelmarken wie Bulgari, Rolex, Louis Vuitton oder
KaDeWe. Ethnische Gruppen repräsentieren mit ihrer enormen Wirtschaftskraft einen attraktiven Wachstumsmarkt. Die Firmen müssen das
Potenzial dieser grossen Gruppe
nutzen. Wenn Händler auf dem extrem
schwierigen deutschen Konsumgütermarkt Wachstumschancen suchen,
kommen sie an der großen Gruppe der
Konsumenten mit Migrationshintergrund gar nicht vorbei. Dort gibt es
noch Zuwachsraten in interessanten
Größenordnungen. Und das sogar auf
Dauer. Denn die Zahl der Migranten in
Deutschland wird nach offiziellen
Hochrechnungen in den kommenden
Jahren wachsen, die der Gesamtbevölkerung dagegen stagnieren oder sinken. Im Jahr 2010 dürften fast ein
Drittel der unter Vierzigjährigen
einen Migrationshintergrund haben.
Schon jetzt leben in Deutschland
mehr als 15 Millionen Menschen mit
Migrationshintergrund, mehr als zehn
Prozent der Bevölkerung. Allein 2,7
Millionen Verbraucher haben ihre
familiären Wurzeln in der Türkei. Die
Kaufkraft dieser Kunden im konsumfreundlichen Durchschnittsalter von
knapp 35 Jahren berechnen Experten
mit knapp 20 Mrd. Euro.
Noch größer ist die Gruppe der Konsumenten aus der früheren Sowjetunion: 3,3 Mio. Russischsprachige
leben in Deutschland, sie kaufen jedes
Jahr für rund 37 Mrd. Euro ein.
"Russischsprachige sind in erster
Linie Konsum-Menschen, die Sparquoten sind sehr gering", sagt Peter
Dröge vom Werner Verlag. "Da
schlummert ein Riesen-Potential."
Aus Polen kommen offiziellen Zahlen
zufolge 1,8 Mio Menschen, aus dem
früheren Jugoslawien 1,4 Mio. Gleichzeitig sinken die Kosten für die individuelle Ansprache dieser Kunden
dank des Internets seit Jahren rapide.
Händler unterschätzen aber offenbar
die Bedeutung des Bauchgefühls:
"Deutsche Firmen ticken vor allem
nach Zahlen", sagt Dröge. Daneben ist
jedoch auch die Beachtung des Ehrgefühls und des gesamten kulturellreligiösen Hintergrunds für einen
Erfolg des Ethno-Marketings wichtig.
Deshalb lässt sich deutsche Werbung
nur selten einfach übersetzen. Wer
hier Fehler macht, ist raus aus dem
Geschäft. Akin Duyar, Geschäftsführer der Agentur für interkulturelles Marketing in Berlin, hat zum
Beispiel testweise versucht, die Media
Markt-Werbung mit dem Schwein
("Saubillig") zu transferieren. Ohne
Erfolg. Denn das Schwein gilt bei den
Moslems als unrein, zudem gibt es im
Türkischen keine Übersetzung für
"saubillig", am nächsten käme noch
"Billig wie ein Schwein".
Das funktioniert nicht", sagt Duyar,
der seit seinem zweiten Lebensjahr in
Berlin lebt. Tauscht er das Schwein
gegen ein Schaf und "Saubillig" gegen
"Lämmchenpreise" aus, verliert die
Werbung ihre Aggressivität. Schreibt
er neben das Schäfchen den Spruch
"Für diese Preise würde man sich
opfern", wären die deutschen Kunden
entsetzt. "Die würden uns für barbarisch halten", so Duyar. Die Kampagne
ist folglich nicht gleichzeitig im
deutschen wie im türkischen Kulturkreis nutzbar.
Bülent Bora, Geschäftsführer der
KOM Media und Marketing GmbH,
hat neben anderen Firmen auch Volkswagen beim Türkisch-Projekt beraten. Er glaubt an die langfristigen
Chancen des Ethno-Marketing: "In
den ersten ein bis drei Jahren müssen
die Firmen in diese Projekte investieren. Danach verbessern sich die
Ergebnisse." Bis es soweit kommt, sei
allerdings harte Überzeugungsarbeit
nötig: "Man braucht für solche Projekte Fürsprecher in den Chefetagen. Die
Marketingleute trauen sich oft nicht."