unternehmensjurist - Association of Corporate Counsel

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unternehmensjurist - Association of Corporate Counsel
TITELTHEMA unternehmensjurist
SYNDICI IN EUROPA
KNACKPUNKT
UNABHÄNGIGKEIT
Das Berufsrecht für Rechtsanwälte ist in Europa sehr unterschiedlich geregelt.
Für die Position von Unternehmensjuristen gilt das Gleiche: In manchen Ländern
sind sie ganz einfach Rechtsanwälte. In anderen Ländern lediglich Juristen,
die für Unternehmen arbeiten. Mal gilt für sie das Berufsgeheimnis, mal müssen
sie Unterlagen und Kommunikation für Gerichtsverfahren herausgeben.
Ein europäischer Vergleich.
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unternehmensjurist
I
n dreizehn Punkten möchte Justizminister Heiko Maas
(SPD) das Berufsrecht der Rechtsanwälte ändern. Und so
in Deutschland endlich einen einheitlichen Berufsbegriff
schaffen. Noch ist das Ideal des deutschen Berufsrechts der
Einzelanwalt, der frei und unabhängig nur im Dienste seines
Mandanten handelt. Dass dies an der Realität vorbeigeht, zeigt
sich schon seit Jahren. Es fängt bei angestellten Rechtsanwälten an, die natürlich ebenso einem Weisungsrecht gegenüber
ihrem Dienstherrn unterliegen wie ein angestellter Jurist bei
einem Unternehmen. Und es endet bei der fachlichen Expertise,
bei der sich Unternehmensjuristen in keiner Weise hinter ihren
Pendants aus den Kanzleien verstecken müssen.
Umso sinnvoller ist es, dass Justizminister Maas das Thema
anpackt. Die Doppelberufstheorie soll dafür aufgegeben werden. Vorbei sollen also die Zeiten sein, in denen sich Unternehmensjuristen ein kleines Kanzleischild an die Tür hängten,
um Rechtsanwalt zu sein. Vorbei auch die unrealistische Regel
von der Tätigkeit im Unternehmen als „Nebenberuf“. Unternehmensjuristen sollen Rechtsanwälte sein, genauso wie ihre
Kollegen aus den Kanzleien.
Stellenweise ist die Situation der
Unternehmensjuristen deutlich besser
Es kann nie schaden, sich jenseits des nationalen Horizonts
umzuschauen, wie dort vergleichbare Fragen geregelt werden.
Ein Blick in unsere Nachbarländer zeigt: Zum Teil ist die Situation der Unternehmensjuristen deutlich besser, zum Teil
kämpfen sie mit denselben Schwierigkeiten wie in Deutschland. Eines ist schnell klar: Das Berufsrecht, wie wir es kennen,
ist nicht universell in Stein gemeißelt, sondern unterscheidet
sich teils stark – selbst innerhalb Europas. Aber der Blick nach
Europa hilft, Impulse zu finden.
Acht Jahre hatte Amrei Chaussat-Augustin bereits als Anwältin
gearbeitet. Als sie in der Rechtsabteilung von IT-Dienstleister
Atos anfing, musste Chaussat-Augustin ihre Zulassung ruhen
„Wir unterscheiden
nicht zwischen
Unternehmensjuristen
und Rechtsanwälten,
sondern sehen uns als
eine Einheit.“
Sonia Gumpert Melgosa,
Präsidentin, Anwaltskammer
Madrid, Spanien
TITELTHEMA
„Als Anwalt ist
man wirtschaftlich
dem Mandanten
verpflichtet, in
seiner rechtlichen
Einschätzung jedoch
unabhängig.“
Amrei Chaussat-Augustin,
General Counsel, Atos SE, Frankreich
lassen: Unternehmensjuristen können in Frankreich keine
Rechtsanwälte sein. Zwar gab es eine Gesetzesinitiative, die
den Status von Unternehmensjuristen und die Besonderheiten ihrer Arbeit hätte neu regeln sollen. Doch dieses Gesetz
scheiterte.
Für die in Frankreich tätige General Counsel ist die Gleichstellung von Unternehmensjuristen und Anwälten ein wichtiges
Thema. Immer noch gibt es in der französischen Anwaltschaft starke Vorbehalte gegen die Unternehmensjuristen.
„Vor allem außerhalb von Paris befürchten viele Anwälte
eine mögliche Konkurrenz durch Unternehmensjuristen,
sollten sie etwa vor Gericht auftreten dürfen“, sagt ChaussatAugustin. Gleichzeitig ist das Standesdenken in Frankreich
stark ausgeprägt.
In Frankreich sind die unterschiedlichen Karrieren meist
schon im Studium und in der Ausbildung angelegt. Nach dem
Universitätsabschluss besuchen die Juristen entweder die Anwalts- oder die Richterschule. Wer sich für keinen dieser Wege
entscheidet, geht meist direkt ins Unternehmen. Es ist also gar
nicht einmal typisch, dass Juristen in Unternehmen zuerst als
Anwälte gearbeitet haben – wenn auch nicht ungewöhnlich.
Der wichtigste Grund, weshalb Unternehmensjuristen in
Frankreich verwehrt wird, Rechtsanwälte zu sein, ist die angebliche fehlende Unabhängigkeit. Amrei Chaussat-­Augustin
hat sich hierzu ihre eigenen Gedanken gemacht: „Als Anwalt
ist man wirtschaftlich dem Mandanten verpflichtet, in seiner
rechtlichen Einschätzung jedoch unabhängig. Ich sehe da
durchaus Parallelen zu Unternehmensjuristen“, sagt ChaussatAugustin. Schließlich sei man als Unternehmensjurist ebenfalls wirtschaftlich seinem Arbeitgeber verpflichtet, müsse
allerdings aus seiner Rolle im Unternehmen einen rechtlich
unabhängigen Standpunkt einnehmen. Auch, wenn er gegenüber dem Unternehmen weisungsgebunden ist: „Der Jurist
im Unternehmen trägt nicht das Business auf den Schultern.
Er muss auf Risiken hinweisen. Was genau umgesetzt wird,
wird an anderer Stelle entschieden.“
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TITELTHEMA unternehmensjurist
„Syndikusanwälte
können Rechts­be­ra­tung
sowie außer­gericht­liche
Vertretung im aus­
schließlichen Interesse
des Arbeit­gebers
leisten.“
Dr. Stephan Grigolli, Vorsitzender,
Deutscher Anwaltverein Italien
Die General Counsel glaubt, dass eine einheitliche Lösung für
das Berufsbild des Anwalts auf europäischer Ebene wichtig
wäre. „International dominiert das anglo-amerikanische Modell“, sagt Chaussat-Augustin. „Und Europa stellt dem nicht
eine Lösung entgegen, sondern gleich ein paar Dutzend.“
Dennoch, bis es soweit ist, sei es ein langwieriger Prozess.
Ginge es nach ihr, könnte ein solches europäisches Berufsbild
auch bedeuten, dass dem Unternehmensjuristen ein eigener
Status zugeordnet wird, der die Besonderheiten des Berufs
mit berücksichtigt.
Der EuGH hat mit seinem Akzo-Nobel-Urteil bereits Weichen
hierfür gesetzt. Wenn auch anders, als es sich viele Unternehmensjuristen gewünscht hätten. Der Gerichtshof hat deutlich
gemacht: Die Unabhängigkeit ist seiner Meinung nach eine
grundlegende Voraussetzung für die anwaltliche Tätigkeit.
Diese Unabhängigkeit könne nicht in einem Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Mandanten und einem Syndikusanwalt bestehen. Spannungen zwischen den Berufspflichten
und den Zielen des Mandanten könne ein Syndikusanwalt
weniger leicht ausräumen als ein externer Anwalt.
In Spanien bestehen bei Anwälten berufs- und
sozialrechtlich praktisch keine Unterschiede
In Frankreich würde man dies so unterschreiben.
Doch nicht in Spanien.
Mit 77.000 Anwälten ist die Rechtsanwaltskammer in Madrid
eine der größten in Europa. Und gleichermaßen zählt sie zu
ihren Mitgliedern Anwälte in Kanzleien und Anwälte in Unternehmen. Unternehmensjuristen können sich als praktizierende oder nicht praktizierende Rechtsanwälte eintragen. Wenn
sie nicht praktizieren, dürfen sie nicht vor Gericht auftreten,
sondern müssen sich auf rechtliche Beratung beschränken.
Doch darüber hinaus existieren praktisch keine Unterschiede:
Weder vom sozialrechtlichen Status noch vom berufsrechtlichen. Auch für Unternehmensjuristen gilt das Legal Privilege.
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„Wir unterscheiden nicht zwischen Unternehmensjuristen
und Rechtsanwälten, sondern sehen uns als eine Einheit“,
sagt Avogada Sonia Gumpert Melgosa, die Präsidentin der
Anwaltskammer von Madrid. Seit dem Akzo-Nobel-Urteil gibt
es aber auch in Spanien die Diskussion: Kann ein bei einem
Unternehmen angestellter Jurist Rechtsanwalt sein? Bis jetzt
lautete die Antwort immer gleichbleibend: Ja.
Dennoch erwartet Sonia Gumpert Melgosa, dass sich langfristig die berufsrechtlichen Regeln in der EU angleichen
werden, genauso wie es bei vielen anderen europäischen
Regelungen bis heute der Fall war. „Man muss aber sehr vorsichtig sein. Die Regeln sind in Europa sehr unterschiedlich.
Das hat auch etwas mit der jeweiligen Geschichte und der
Mentalität der Länder zu tun“, sagt Gumpert Melgosa. „Für
uns in Spanien ist es kaum vorstellbar, dass man etwa in
Schweden nicht Anwalt sein muss, um andere Menschen vor
Gericht zu vertreten.“ Wer am Berufsrecht der Rechtsanwälte
rüttele, der könne leicht auch das darauf aufgebaute System
ins Wanken bringen. Zum Beispiel das System der Rechtshilfe,
das in Spanien bei den Anwaltskammern angesiedelt ist. Wer
beim Berufsbegriff ansetzt, muss auch diese Konsequenzen
im Blick behalten.
Italien ist noch restriktiver als Deutschland: Ein
Syndikus kann nicht als Rechtsanwalt tätig sein
Während in Spanien die Einheit des Berufs gilt, ist man in
Italien restriktiv. Unternehmensjuristen können nicht als
Rechtsanwälte tätig sein. Die italienische Berufsordnung für
Rechtsanwälte bestimmt, dass Rechtsanwalt ein zu den freien
Berufen gehörender Selbstständiger ist, dessen Beruf somit
mit jeglicher unselbstständiger Arbeitstätigkeit unvereinbar ist.
„Der Syndikusanwalt, der als solcher seiner beruflichen Tätigkeit in einem durch Dienstvertrag geregelten Beschäftigungsverhältnis nachgeht, darf demnach – trotz etwaiger Erfüllung
aller anderen für die Eintragung in der Rechtsanwaltskammer
notwendigen Anforderungen – nicht in der Anwaltskammer
eingetragen sein“, sagt Rechtsanwalt und Avvocato Dr. Stephan Grigolli, Vorsitzender des Deutschen Anwaltvereins
Italien (DAV Italien).
Nach italienischem Verständnis gründet sich der Rechtsanwaltsberuf vor allem auf der Autonomie und Unabhängigkeit
der beruflichen Tätigkeit des Rechtsanwalts. „Was die Unabhängigkeit der Syndikusanwälte angeht, ist der Gesetzgeber
der Auffassung, dass das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit unvereinbar
ist“, erläutert Grigolli eine bekannte Position.
Daraus folgt: Wer kein Anwalt ist, kann für sich auch nicht die
damit verbundenen Rechte geltend machen. Die rechtliche
Vertretung und Betreuung vor Gericht steht grundsätzlich nur
den in der Kammer eingetragenen Rechtsanwälten zu: „Syndikusanwälte können Rechtsberatung sowie außergerichtliche
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unternehmensjurist
Vertretung im ausschließlichen Interesse des Arbeitgebers
leisten“, fasst Grigolli zusammen.
Auch in der Schweiz ist die Unterscheidung zwischen Anwälten und Unternehmensjuristen rigoros. Dr. Christopher
King ist als Group General Counsel der Hunter Douglas NV in
der Schweiz tätig. Als EU-Anwalt hat er eine Zulassung – für
seine freiberufliche Tätigkeit in einer Kanzlei in der Schweiz.
Eine Zulassung hingegen nach Schweizer Recht wurde ihm
verwehrt. Die Begründung: In seiner freiberuflichen Tätigkeit
fehle die forensische Erfahrung. „Das stelle man sich vor:
Man gestaltet komplizierte Börsengänge und Fusionen – und
dann wird einem vor Gericht gesagt, das spiele keine Rolle.
Wenn man forensische Erfahrung mit ein paar Scheidungen
oder Bagatellstrafverfahren gesammelt hätte, wäre die Lage
anders“, bilanziert Dr. King ironisch.
In seiner Eigenschaft als EU-Anwalt hat er bestimmte anwaltliche Privilegien – die aber nicht für seine Arbeit im Unternehmen gelten. Vor allem in ausländischen Verfahren – etwa der
Discovery in den USA – könne dies eine Rolle spielen. „Es würde meine Arbeit natürlich erleichtern, wenn es diese Privilegien
auch für Unternehmensjuristen gäbe.“ Aus fachlicher Sicht lässt
sich die Unterscheidung kaum begründen. Die Juristen in den
Rechtsabteilungen in der Schweiz brauchen ihre Arbeit nicht
vor den Kollegen in den Kanzleien zu verstecken. Auch Dr. King
legt sehr viel Wert auf eigenständige wissenschaftliche Arbeit
in seiner Rechtsabteilung, und auf die Fähigkeit, rechtliche
Fragen selbst klären zu können. „Wir wollen in den wichtigsten
Ländern und Rechtsgebieten rechtliche Probleme selbst lösen
können und nicht bei jeder Frage nur zum Telefon greifen und
einen Anwalt anrufen, wenn eine rechtliche Frage auftaucht.“
Unternehmensjurist und Rechtsanwalt?
In England und Wales selbstverständlich!
Während in vielen Ländern Unternehmensjuristen keine
Rechtsanwälte sind, ist dies in England und Wales fast selbst-
„Wir wollen in den
wichtigsten Ländern
und Rechtsgebieten
recht­liche Probleme
selbst lösen
können.“
Dr. Christopher King,
Group General Counsel,
Hunter Douglas NV, Schweiz
TITELTHEMA
„Die Tätigkeit als recht­
licher Berater spielt eine
zentrale Rolle, weil sie
eine privi­le­gierte Form
der Kommunikation
ermöglicht.“
Dr. Sybille Steiner,
Partner Solicitor & Rechtsanwältin,
Thomas Eggar LLP, England
verständlich. Unternehmensjuristen können hier gleichzeitig
Solicitor sein. Erforderlich ist hierfür ein Practising Certificate,
sagt Dr. Sybille Steiner, Partner Solicitor & Rechtsanwältin bei
Thomas Eggar LLP.
„Die Tätigkeit als rechtlicher Berater spielt eine zentrale Rolle,
weil sie eine privilegierte Form der Kommunikation ermöglicht“, sagt die Rechtsanwältin. Im Recht des Vereinigten Königreichs ist die Kommunikation zwischen Unternehmen und
Unternehmensjurist in diesem Fall besonders geschützt und
muss im Rahmen einer ‚disclosure‘ in Gerichtsverfahren nicht
offengelegt werden. Dies gilt für Unternehmensjuristen dann,
wenn die Kommunikation der rechtlichen Beratung dient.
Syndikusanwälte, die etwa in der Unternehmensleitung tätig
sind, genießen diese Privilegien nicht für Kommunikation,
die sich auf ihre Funktion im Management oder ihre administrative Rolle bezieht. „Daher sollten sie rechtliche Beratung
mit derartigen Tätigkeiten nicht vermischen, da unter Umständen sonst die Privilegierung ganz wegfällt“, sagt Dr. Sybille
Steiner.
Auch in Holland ist es ganz selbstverständlich, dass ein Unternehmensjurist auch Rechtsanwalt sein kann. „Der Syndikusanwalt hat grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten
wie Rechtsanwälte in Kanzleien“, sagt Arjen Paardekooper,
Rechtsanwalt bei Blenheim Advocaten und Mitglied der
Deutsch-Niederländischen Rechtsanwaltsvereinigung.
Unternehmensjuristen können Mitglied der niederländi­
schen Rechtsanwaltskammer sein. Voraussetzung ist hierfür, dass der Arbeitgeber das „professioneel statuut“ unterschreibt. In dieser Vereinbarung wird die Unabhängigkeit
des Syndikusanwalts vereinbart. Damit soll ein Verhältnis
ähnlich dem von Mandant und Rechtsanwalt geklärt sein.
Sind Unternehmensjuristen Rechtsanwälte, müssen sie sich
regelmäßig fortbilden und benötigen eine Berufshaftpflichtversicherung. Innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses können
sie den eigenen Arbeitgeber und mit diesem verbundene
Unternehmen vertreten.
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TITELTHEMA unternehmensjurist
„Der Syndikusanwalt
hat grundsätzlich
die gleichen Rechte
und Pflichten
wie Rechtsanwälte
in Kanzleien.“
Arjen Paardekooper,
Rechtsanwalt,
Blenheim Advocaten, Niederlande
Als Rechtsanwälte konnten sich Unternehmensjuristen lange
Zeit in Prozessen auf ihr Berufsgeheimnis berufen. Seit dem
Akzo-Nobel-Urteil ist dieses Privileg allerdings umstritten.
In dem besagten Fall war einer der Unternehmensjuristen
Rechtsanwalt nach niederländischem Recht. Der EuGH stellte
fest, dass es sich bei der Zulassung zur Anwaltskammer in
den Niederlanden vor allem um einen formalen Akt handele.
Dies ändere nichts an der ökonomischen Abhängigkeit und
der Verbindung mit dem Unternehmen in einem Arbeitsverhältnis. Das Bezirksgericht Groningen hatte daraufhin mit
Blick auf Akzo-Nobel ein Legal Privilege für niederländische
in-house Counsel verneint.
Der Hohe Rat der Niederlande, der oberste niederländische
Gerichtshof, hat hingegen in einem aktuellen Urteil das Legal
Privilege für Unternehmensjuristen bestätigt. Zum einen hat
er dies damit begründet, dass sich die Rechtsprechung des
EuGH nur auf EU-Wettbewerbsrecht beziehe. Zum anderen
sei die Unabhängigkeit der Syndikusanwälte in den Niederlanden durch professionelle und ethische Standards gesichert. Es
gebe deshalb keinen Grund, den Syndikusanwälten das Legal
Privilege zu verweigern.
Egal in welcher Funktion: Es gilt, Aufgaben im
besten Interesse der Mandanten zu erfüllen
In Polen wird zwischen zwei verschiedenen qualifizierten
Juristen unterschieden: zum einen dem Adwokat und zum
anderen dem Radca prawny, dem Rechtsberater. „Die Unterscheidung geht auf die 1970er Jahre zurück, als die Adwokaten Bürger vor Gericht vertraten und die Rechtsberater für
Unternehmen gearbeitet haben“, sagt Dr. Oskar Filipowski,
Rechtsberater und Chief Compliance Officer bei der KGHM
Polska Mied S.A.. Inzwischen haben sich die beiden Berufszweige stark angeglichen.
Dennoch gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Unabhängigkeit. Adwokaten dürfen kein Arbeitsverhältnis eingehen.
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Rechtsberater haben diese Beschränkung nicht. In der Regel
sind also Juristen, die für Unternehmen in Polen arbeiten,
Rechtsberater. Sowohl für Adwokaten als auch Rechtsberater
gelten dieselben ethischen Prinzipien: „Zuerst gilt: Sie müssen
ihre Aufgaben im besten Interesse ihrer Mandanten erfüllen.“
Rechtsberater müssen Mitglied der Rechtsberaterkammer
sein. Damit haben sie auch das volle Legal Privilege. Wichtig
ist allerdings, dass sie möglichst direkt dem Management
berichten – das soll ihre Unabhängigkeit garantieren. Wenn
ein Rechtsberater hingegen auf einem anderen Posten im
Unternehmen eingesetzt wird, kann es sein, dass er kein Legal
Privilege hat, da er technisch gesehen nicht als Rechtsberater
arbeitet.
Wenn es darum geht, dass Unternehmensjuristen ihren Arbeitgeber vor Gericht vertreten, haben sie im Wesentlichen
dieselben Rechte wie jeder andere Nicht-Jurist, der Angestellter
des Unternehmens ist. „Jeder Angestellte kann von seinem
Arbeitgeber mit der Befugnis ausgestattet werden, ihn vor
einem Zivilgericht zu vertreten. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Rechtsberater auch vor dem Obersten
Gerichtshof vertreten dürfen“, sagt Oskar Filipowski.
Die Liberalisierung wird weitergehen, mit ihr
ändert sich das Berufsbild des Anwalts
Ob sich in den kommenden Jahren ein einheitliches Berufsbild
auf europäischer Ebene entwickeln wird, das Unternehmensjuristen und Anwälte gleichermaßen umfasst? Filipowski ist
sich da nicht sicher. „Ich glaube, dass in manchen Ländern
wie Deutschland diese Idee vorangetrieben wird, allerdings
wird man auf einige Widerstände treffen“, sagt der Unternehmensjurist. „Man muss im Hinterkopf haben, dass wir
es in Europa mit mehr als 20 verschiedenen Rechtssystemen
zu tun haben, mit unterschiedlichem historischen Hintergrund – und diese Rechtssysteme müssen eine gemeinsame
universelle Lösung finden.“
Klar ist, dass die Bedeutung der Unabhängigkeit als zentrales
Merkmal der anwaltlichen Tätigkeit international neu diskutiert wird. So ist es seit dem Jahr 2012 in England und Wales
möglich, dass sich auch Konzerne an Kanzleien beteiligen
können. Versicherungen und sogar die britische Telekom
BT haben schon davon Gebrauch gemacht und bieten über
Tochtergesellschaften anwaltliche Beratung an.
Durch diese Liberalisierung steht die Stellung und die Bestimmung des anwaltlichen Berufes neu zur Debatte. Denn
wo greift das Argument der Unabhängigkeit noch, wenn die
Kanzlei, für die der Rechtsanwalt arbeitet, gleichzeitig Eigentum eines Unternehmens ist? Auch in Italien hat sich
das Modell der Alternative Business Structures (ABS) durchgesetzt; es wurde im Jahre 2011 ermöglicht. Nach Protesten
der Anwaltschaft wurde es zwar angepasst und verlangt nun,
dass Rechtsanwälte zu zwei Dritteln nach Köpfen und StimmFortsetzung auf Seite 22
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ANWALT UND UNTERNEHMENSJURIST? DAS GEHT!
Land
Spanien
Niederlande
Gibt es ein einheitliches
Berufsbild von Rechts anwälten – egal ob sie für
Kanzleien arbeiten oder in
Unternehmen?
Kann ein Syndikus Mitglied
der Anwaltskammer
sein? Ergeben sich daraus
Privilegien?
Ist „Unabhängigkeit“
wichtig für den Status
des Anwalts?
D
se
G
ja
Rechtsanwälte in Kanzleien und die
Rechtsanwälte in Unternehmen
haben dieselben Rechte.
Wer als Syndikusanwalt oder Anwalt
einer Kanzlei vor Gericht tätig sein
möchte, muss Mitglied einer
Anwaltskammer sein.
Nein.
Ja
an
Ka
vo
Unternehmensjuristen können
Rechtsanwälte sein. Voraussetzung
ist das „Professioneel Statuut“, mit
dem der Arbeitgeber Unabhängigkeit
garantiert.
Unternehmensjuristen können
Mitglied der Anwaltskammer sein.
Sind sie Anwalt, ergeben sich
daraus die Pflichten des
Berufsstandes.
Auf Grund des Rechtsanwalts­
gesetzes (advocatenwet) hat ein
Rechtsanwalt gegenüber seinem
Mandanten, Dritten und
Angelegenheiten, in denen er als
Rechtsanwalt auftritt, unabhängig
zu sein.
Ei
se
sc
un
ve
Ve
Ei
Ein Syndikusrechtsanwalt ist auf
Grund der Rechtsanwaltschafts­
verordnung verpflichtet, stets für
Dritte erkennbar als Rechtsanwalt
aufzutreten.
England
Polen
Frankreich
Üblicherweise sind
Unternehmensjuristen
gleichzeitig Solicitor.
Unternehmensjuristen sind als
Solicitor Mitglied der Anwalts­
kammer. Als Solicitor haben sie
dieselben Rechte und Pflichten wie
die Kollegen aus den Kanzleien.
Grundsätzlich ist Unabhängigkeit
wichtig für den Status als Anwalt;
auch Syndikusanwälten wird
diese zugestanden.
O
kö
Q
U
an
So
In der Praxis gibt es keine Unterschiede. Unternehmensjuristen
können gleichzeitig Rechtsberater
nach polnischem Recht sein.
Rechtsberater sind in der Rechts­
beraterkammer organisiert.
Die Unabhängigkeit ist für die
Unterscheidung zwischen dem
polnischen Adwokat und dem
Rechtsberater wichtig. Der
Adwokat darf kein Beschäfti­
gungsverhältnis eingehen, der
Rechtsberater hingegen schon.
R
Ar
G
Anwälte, die als Juristen im
Unternehmen arbeiten, müssen
ihre Zulassung ruhen lassen.
Nein.
Ja, für Unternehmensjuristen
wird sie verneint.
N
ve
An
Unternehmensjuristen können keine
Rechtsanwälte sein.
Nein.
Ja. Ein Beschäftigungsverhältnis
zwischen dem Rechtsanwalt und
seinem Mandanten ist undenkbar
und mit der Unabhängigkeit
unvereinbar.
N
Be
in
R
Unternehmensjuristen können in der
Schweiz keine Rechtsanwälte sein.
Nein.
Ja, nach Schweizer Auffassung
kann ein Syndikusanwalt nicht
selbstständig sein.
Sy
An
so
O
Italien
Schweiz
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n
m
s
ig
unternehmensjurist
TITELTHEMA
Darf ein Syndikusanwalt
seinen Arbeitgeber vor
Gericht vertreten? Wenn
ja, vor welchen Gerichten?
Können sich
Syndikus­anwälte
zu Fachanwälten
qualifizieren?
Gibt es einen Schutz der
anwaltlichen Vertraulichkeit,
Legal Privilege?
Ja, wer als praktizierender Rechts­
anwalt (egal ob Syndikus oder
Kanzleianwalt) eingetragen ist, darf
vor allen Gerichten auftreten.
Anwälte spezialisieren sich auf bestimmte
Rechtsgebiete, aber ohne einen formellen
Titel oder Qualifikation.
Ja.
Ein Syndikusanwalt kann innerhalb
seines Arbeitsverhältnisses aus­
schließ­lich den eigenen Arbeitgeber
und daran verbundene Unternehmen
vertreten; bei den Gerichten gibt es im
Vergleich zu Kanzleianwälten keinerlei
Einschränkungen.
Die Qualifikation „Fachanwalt“ gibt es in
diesem Sinne in den Niederlanden nicht.
Seit Akzo-Nobel ist das Legal Privilege für
Syndikusanwälte umstritten, wird aber vom
obersten Gerichtshof bejaht.
Ob Syndici vor Gericht auftreten
können, richtet sich nach ihrer
Qualifikation, hier gibt es keine
Unterschiede zwischen Syndikus­
anwälten und ihren Kollegen in der
Solicitor Kanzlei.
Ein System der Fachanwaltschaften im
deutschen Sinne existiert in dieser Form
in England nicht.
Ja, aber nur für die rechtliche Arbeit.
Syndikusanwälte, die im Management tätig
sind, haben dieses Privileg nicht.
Rechtsberater können ihren
Arbeitgeber bis hin zum Obersten
Gerichtshof vor Gericht vertreten.
Eine Fachanwaltsausbildung nach
deutschem Verständnis gibt es nicht.
Unternehmensjuristen, die Rechtsberater sind,
genießen für diese Tätigkeit das Legal
Privilege. Wenn sie jedoch in einer anderen
Funktion tätig sind, entfällt dieses Privileg.
Nein, der Arbeitgeber kann nur
vertreten werden, wenn kein
Anwaltszwang besteht.
Nein.
Unternehmensjuristen werden nicht als
Rechtsanwälte zugelassen. Sie genießen
deshalb kein Legal Privilege.
Nein, die rechtliche Vertretung und
Betreuung vor Gericht steht nur den
in der Kammer eingetragenen
Rechts­anwälten zu.
Nein.
Nein.
Syndikusanwälte dürfen nicht als
Anwalt vor Gericht erscheinen,
sondern nur als Vertreter der
Organisation, für die sie arbeiten.
Nein, sie müssen als Anwalt registriert
sein.
Nein.
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Fortsetzung von Seite 18
rechten beteiligt sein müssen. Doch das neue Konstrukt der
ABS ist da und steht nun davor, sich zu bewähren.
Für die Association of Corporate Counsel (ACC), einem internationalen Verband von Unternehmensjuristen, ist es klar,
dass die Situation international nicht haltbar ist. „Ohne einen
realen Grund behandeln viele Rechtssysteme Juristen, die inhouse arbeiten, anders als Juristen, die außerhalb arbeiten.
Dieser Status zweiter Klasse beschädigt die Fähigkeit von
Unternehmen, starke juristische Strukturen aufzubauen“,
sagt Stathis Mihos, Legal Director bei Pfizer Hellas S.A. und
Präsident der ACC Europe. Indem dieser Berufsgruppe der
Schutz etwa durch das Legal Privilege verwehrt werde, würden Unternehmen als Mandanten geschädigt, die sich aktiv
mit rechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen müssen.
Eine gestärkte Stellung der Rechtsabteilung
verbessert die Unternehmens-Compliance
„Eine gestärkte Stellung der Rechtsabteilung im Unternehmen verbessert die Unternehmens-Compliance“, ist Amar
D. Sarwal, Vizepräsident und Chief Legal Strategist der ACC,
überzeugt. „Eine solche Funktion braucht Schutz, um einen
Austausch auch über die sensibelsten Themen zu ermutigen.“ Das Fehlen eines solchen Schutzes sei insbesondere
für europäische Unternehmen, die in den USA Geschäfte
machen, ein Problem. So würden Klägeranwälte in den USA
inzwischen dazu übergehen, an amerikanischen Gerichten
die Offenbarung der Kommunikation von Syndikusanwälten
in Europa zu beantragen und durchzusetzen.
Dass die Diskussion über die vermeintlich fehlende Unabhängigkeit angestellter Rechtsanwälte etwas Bigottes hat,
beschrieb der Strafrechtler Professor Rainer Hamm auf dem
Unternehmensjuristen-Kongress in Berlin. Es sei schon seit
Jahrzehnten so, dass auch innerhalb von Kanzleien Anwälte
„Dieser Status
zweiter Klasse (von
Unternehmensjuristen)
beschädigt die Fähig­
keit von Unternehmen,
starke juristische Struk­
turen aufzubauen.“
Stathis Mihos,
Präsident, ACC Europe
nicht gänzlich unabhängig agieren könnten. So habe er als
junger Anwalt in Vertretung der Kanzleiinhaber zwar Vereinbarungen mit Mandanten schließen können, die von ihm verfassten Schriftsätze aber seien von Namenspartnern überprüft
worden. Doch obwohl er abhängig beschäftigt gewesen sei,
habe er immer unabhängig juristischen Rat erteilt. Professor
Hamm schlägt vor, die geforderte Unabhängigkeit neu zu definieren. Denn schließlich gehe es darum, „dass eine allein an
Gesetz und Recht orientierte Berufsausübung – die Beratung
der Mandanten in deren Interesse – nur dann sachgerecht
möglich ist, wenn sie frei von staatlichen Einflüssen ist, also
in diesem Sinne unabhängig und unter dem Schutz der Geheimhaltung stattfinden kann“.
Es ist eine Definition, die den Schutz der Interessen des Mandanten ins Zentrum rückt. Und die sich nicht in formalen
Abgrenzungen verliert. Vielleicht drückt sich gerade in ihr aus,
was einen Anwalt zum Anwalt macht und was er dazu braucht,
um seinen Beruf auszuüben. In ganz Europa. Henning Zander
„Jeder Angestellte kann
von seinem Arbeit­
geber mit der Befugnis
ausgestattet werden,
ihn vor einem Zivil­
gericht zu vertreten.“
Dr. Oskar Filipowski,
Rechtsberater und Chief Compliance
Officer, KGHM Polska Miedz S.A.
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