In der Brackstedter Mühle mögen sich Tradition

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In der Brackstedter Mühle mögen sich Tradition
In der Brackstedter Mühle
mögen sich Tradition und
Zukunft
In der Brackstedter Mühle wird man seit über 100 Jahren
kulinarisch verwöhnt. Den Gast erwartet
traditionelle Küche mit neuen Ideen.
heute
eine
Es ist, als habe die Zeit direkt in die Speichen des alten
Mühlrades gegriffen, um das nicht enden wollende Drehen und
Knirschen zu beenden. Man kann sich ein Ende nie so recht
ausmalen, wenn man sich gerade im Glücksrausch befindet. Da
genießen Mutter und Vater das Glück, ein kleines Kind in den
Armen halten zu dürfen. Und es gibt gar keinen Raum für die
Vorstellung, dass er irgendwann mal auf und davon ist und man
allein da sitzt. Die schönen Dinge scheinen im Genuss des
Augenblicks für die Ewigkeit zu sein und sind doch genauso
vergänglich wie der Schmerz. Diese Gedanken gehen mir durch
den Kopf, während ich auf meine Gesprächspartner von der
Brackstedter Mühle warte. Ohne Navi von Braunschweig aus
kommend, war es wirklich einfach dorthin zu gelangen. Zwei
Dörfer nach dem Ende der Autobahn. Im Zweiten an der Kirche
rechts ab und dann fällt man gleichsam in den Mühlenkomplex.
Es ist endlich mal nicht so warm. Der Wind streift kühlend
durch das Grün.
Christiane und Elmar Schuster leben für die Gastronomie.
»In einem kühlen Grunde, da geht
ein Mühlenrad…«
Unter dem Steg, der mit Tischen besetzt ist, ruht scheinbar
der Bach. Da ist das Mühlrad, das sich hier sechshundert Jahre
gedreht haben muss. Die Mühlengeister mögen träge auf den
mürben Sprossen ruhen und von vergangenen Zeiten träumen. Was
ist das für eine Ewigkeit? Sechshundert Jahre. Kaum fassbar.
Die Straße heißt »Zum kühlen Grunde«. Das alte Volkslied. »In
einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad. Mein‘ Liebste ist
verschwunden, das dort gewohnet hat.« Wenn ich nicht wüsste,
dass es Zufall ist oder besser historisch gewachsen. Ein PRManager hätte keine grandiosere Idee haben können. Und seit
hundert Jahren gibt es an dieser Stelle also Gastronomie. Seit
fast 80 Jahren in der Hand einer Familie. Während ich so vor
mich hin sinniere, kommen die beiden. Christiane und Elmar
Schuster. Gute Recherche vorweg ist wichtig für solche
Gespräche. In diesem Fall hätte ich mich nicht vorbereiten
müssen.
Individuelle Bedürfnisse
Mein Oktavheft mit den Fragen bleibt ganz unberührt. Erst zum
Schluss stelle ich fest, dass manches gefragt wurde, was
vorbereitet war, anderes ungesagt bliebt und manches dazu kam,
das ich mir gar nicht überlegt hatte. Jedes Haus hat einen
Charakter. Das gilt genauso für Restaurants. Dieser Charakter
wird durch die Menschen geprägt, die darin leben und wirken.
Und durch diejenigen, die vorher dort gelebt und gewirkt
haben. Christiane und Elmar Schuster verkörpern in einem
Ehepaar beides. Der Charakter ihres Hauses: Heimelig und offen
zugleich. Sie stammt vom Hof und schaut auf eine stolze
Ahnenreihe in der Mühle zurück. Er kommt aus dem Rheinland
dagegen frisch in den Wolfsburger Raum – von der Sprachmelodie
leicht zu erkennen – und ist mit jeder Faser Gastronom, wie
sich nach einigen lockeren Bemerkungen zeigt. Wir reden erst
über alles Mögliche. Allergien, Laktoseunverträglichkeit,
Veganismus. Die Facetten kulinarischer Ansprüche sind
vielfältig geworden. Es sei nicht immer leicht, alles unter
einen Hut zu bringen. Aber so eine Bemerkung hört sich bei den
beiden weniger als Klage, sondern mehr als Herausforderung an.
Gastfreundliche Brackstedter Mühle
Die Bedienung bringt mir ein frisches Bier. Das hat Elmar
Schuster wohl von zu Hause mitgebracht. Veltins stammt aus dem
Sauerland, seiner Heimat. Und bei einem Bier lässt sich’s
reden. Jeder hat, etwa durch Krankheiten, oft sehr feste
Erwartungen und Bedürfnisse, erzählt Christiane Schuster,
während sie sich gemütlich zurücklehnt und ihre Blicke über
die Tische gleiten lässt, die gerade eingedeckt werden.
Manchmal seien es aber auch nur bloße Gewohnheiten. »Und das
ist schade«, fasst sie zusammen. »In der Gastronomie kann man
doch eigentlich das Unerwartete genießen. Das, was vom Alltag
abweicht. Das Übliche hat man ja schon zu Hause«. Da sei es
traurig, wenn die Menschen mit allzu zu engen Vorstellungen
kämen. Dieses Lebensprinzip hat in der Brackstedter Mühle
einen kulinarischen Namen. Bei der Veranstaltung »Tischlein
deck‘ Dich« werden Kleinigkeiten serviert, immer neu und immer
anders. Bis man satt ist. Bei denen kann man kulinarisches
Neuland entdecken. Selbst, wenn es einem einmal nicht so gut
schmeckt. Ein frischer Geschmackseindruck belebt. Die
Tatsache, dass das Event stets so gut wie ausgebucht ist,
zeigt, dass es solche Neugierde, von der Christiane Schuster
schwärmt, wirklich gibt.
Tradition und Bestimmung
Während sie gewissermaßen durch die Familientradition in den
Beruf hereingeboren worden ist, verdankt ihn Elmar Schuster
wohl der Fügung. Aber ist nicht auch das Hereingeborensein in
eine Familie Schicksal? Hier die Tradition: 1936 wurde das
Anwesen von den Großeltern erworben. Danach immer weiter
ausgebaut. Da war der Saal als Anbau, die ersten Gästezimmer.
Und 1966, als die Kleine Aller begradigt wurde, blieb
schließlich das Mühlrad stehen. 1972 übernahm Christiane
Schusters Onkel das Anwesen, baute weiter aus. Die
Brackstedter Mühle entwickelte sich. Als ihre Mutter starb,
das war vor 18 Jahren, zeigten sie und ihr Mann sich für das
Ganze verantwortlich. »Wir hatten die Möglichkeiten: Entweder
gehen wir nach Hongkong oder nach Brackstedt«, scherzt Elmar
Schuster. Am Ende sei es dann der Standort nahe der
Wolfsburger Metropole geworden. Die war damals noch gar nicht
so bekannt, erinnert er sich.
Der schönste aller Berufe
Bei Elmar Schuster war die Entscheidung zum »schönsten aller
Berufe« tatsächlich mehr dem Zufall geschuldet. »Warum sind
Sie Gastronom geworden«, meine Frage. »Ich wollte in den
Urlaub«, die verblüffende Antwort. Die Geschichte klärt auf.
Wer Kinder in dem Alter hat oder sich selbst daran erinnert,
als er jung war (das sollte man gelegentlich), kann sie sich
vorstellen. Elmar Schuster hatte sein Abitur geschafft, und
sollte sich nun endlich bewerben. Damit alles in geregelten
Bahnen weiter läuft. Der Abiturient wollte aber vor allem mit
seiner Freundin an der Mosel Urlaub machen. Verständlicher
Wunsch. »Also hab‘ ich mir die Sache fünf Minuten angeschaut
und mich rasch fürs Hotel entschieden«, erinnert er sich.
Bewerbungen geschrieben, dann ging’s in die Sommerfrische. Die
Entscheidung war schnell gefällt, in den Beruf fand er
langsamer. Das sei ein wirklich schwerer Weg gewesen, räumt
Schuster nachdenklich ein: »Da denkt man, man hat Abitur und
ist schon was. Und statt großer Herausforderungen muss man
erst mal Besteck und Klos putzen.« Es gibt betörendere
Situation, fürwahr.
Stillstand geht gar nicht
Aber er fand bald Geschmack an dem Tun. »Es ist das
antizyklische Leben, was mich reizt. Nicht immer in den
gewohnten Bahnen zu bleiben. Vor immer neue Herausforderungen
gestellt zu werden. Morgens nicht zu wissen, was abends
kommt«, erklärt Elmar Schuster seine Motivation. All das habe
er allmählich schätzen gelernt. Lange Arbeitszeiten, wenig
Flexibilität in der Freizeitgestaltung sind ein Preis, den er
dafür gern zahlt. Und man könne, wenn man fleißig sei, eine
schnelle Karriere machen. Elmar Schuster hat die Zeit vor der
Selbstständigkeit genutzt, um auf Wanderschaft zu gehen und
möglichst viele Hotels kennenzulernen. Diese Eindrücke helfen
ihm jetzt, um nicht stehen zu bleiben. Nicht einzurosten.
Lebendig zu bleiben. So wie die beiden über ihren Beruf, ihr
Hotel und das Restaurant sprechen, kann man sich viel
vorstellen. Aber keinen Stillstand. Die ganze Atmosphäre, die
Gespräche mit den Servicekräften, ist aufgelockert. Man hat
den Eindruck, da schafft eine große Familie an einem Projekt.
Ausbildung und geschultes Personal
Dass in der Küche und beim Service alles gut läuft, darauf
haben die beiden ein besonderes Auge geworfen, scheint es.
Beim Rundgang fällt eine Wand auf, auf der die Erfolge der
Auszubildenden festgehalten sind. Preise, Ehrungen. »Gutes
Personal auszubilden, das ist für uns so wichtig«, betont
Elmar Schuster. Denn ganz egal, welche Bedürfnisse ihre Gäste
haben. Sie sollen sich in der Brackstedter Mühle wohlfühlen.
Die strahlt Gemütlichkeit im besten Sinne aus. Die Karte
verrät eine gehobene deutsche Küche mit internationalen
Anregungen. Die Tische sind liebevoll eingedeckt. Jeder Raum
hält eine neue Überraschung bereit. Durch die kontinuierliche
Entwicklung und Erweiterung gibt es ganz verschiedene
Bereiche, in denen man sich als Hotel- oder Restaurantgast
wohlfühlen und zurückziehen kann.
Die Aussicht
Am Ende wird noch etwas serviert. Aber davon ist in einem
anderen Beitrag zu berichten. Nach gut zwei Stunden
verabschieden wir uns vor dem Hotel. Es ist, als hätte man
sich schon Jahre gekannt. Wie angenehm sind doch
gastfreundliche, nette Menschen, geht es mir durch den Kopf,
während im Rückspiegel die alte Mühle verschwindet, die so
still da liegt, als hätte die Zeit in die Speichen gegriffen
und sie angehalten. Das Mühlrad mag sich nicht mehr drehen.
Aber die Mühle lebt.