Sophie Plappert: Versager

Transcrição

Sophie Plappert: Versager
Die neue Stimme
Der literarische Zaunkönig Nr. 3/2009
Versager
von Sophie Plappert
Das besondere an unserem Auto waren auf jeden Fall die
Hundehaare. Auf den Sitzen, der Decke, den Armaturen,
im Kofferraum, auf den Fenstern, dem Lenkrad, den
Fußmatten und – ich glaube – sogar auf der Antenne.
Überall klebten weißbraune Haare. Das Auto hatte vorher
einer Frau gehört, die hatte einen Hund. Nicht einer von
der Rasse dieser Zuckerwattelocken-Hündchen, deren
Lebensraum sich auf eine Tasche von Louis Vuitton
beschränkte, sondern so ein Hirtenhundmischling, groß,
laut, sabbernd, haarig, genau wie ich sie mag – und von
denen Fräulein Broque Ausschlag bekam.
Papa ließ mich beim Sacré-Cœur aussteigen. Die
Hundehaare klebten an mir, sie waren mittlerweile schon
so etwas wie ein Accessoire. Ich ließ mich auf einer Bank
nieder und begann zu zeichnen; ich glaube, malen ist das
einzige Talent, das ich besitze, sonst bin ich eine totale Niete
… genau wie Ernie.
Unter einem Baum, ich vermute, es war eine Esche,
stand ein kleiner, untersetzter Mann, ein Clown mit kalkweißem Gesicht, großen Kulleraugen und viel zu großen
Lederschuhen, auf die er dauernd trat, wenn er Ziehharmonika spielte. Selten blieb jemand stehen und lachte,
und wenn er lachte, dann lachte er den Clown nur aus.
sagt jetzt Bert! – Louis, er war dreiundzwanzig, mit siebzehn war er von zuhause weggelaufen, Medizinstudium
geschmissen, lebte in einer Dachwohnung über einem
Bordell, hatte eine Knollennase und war unsterblich verliebt in eine Frau, die er sowieso nicht kriegen konnte.
Neben Louis stand ein Radio, das ein Staccato abspielte.
Die Musik konnte seine miserablen Kunststücke dennoch
nicht kaschieren. Ein kleines Kind lachte ihn aus, als ihm
die Karten aus der Hand flogen. Seine Mutter, die schon
einen hochroten Kopf vom unterdrückten Kichern hatte,
zog es zur Basilika. „Was gibt’s da zu glotzen?“, fauchte
Louis mich an, weil ich ihn gebannt anstarrte.
„Ich male. Musst ja nicht gleich pampig werden.“ Wütend
riss ich ein Papier vom Block ab, zerknüllte es und warf es in
den Müllkübel. Ach ja, ich wäre ein Naturtalent in Basketball
– aber ich vermeide Sport, soweit es nur geht. Ernie hustete.
Schon seit drei Wochen quälten ihn die Bronchien, aber
woher das Geld für Medizin? Er war nun mal ein miserabler
Clown, der Kinder zum Weinen brachte.
Er trötete den Inhalt seiner Nase ins Taschentuch, als eine
Gruppe von Kindern angerannt kam: „He, machst du uns
ein Luftballonhündchen?“
Diesen Versager, den Prächtigen Pepi, nannten alle nur Ernie,
Ernie der Versager, der Verlierer, der Loser, der Typ, der nix
gebacken kriegt. „Schatz, wenn du mal wie der wirst, habe
ich als Mutter endgültig versagt.“ Dabei war Ernie nicht einmal sein richtiger Name, doch wen kümmert’s, seinen richtigen Namen kannte er selbst schon lange nicht mehr, all die
Verträge unterschrieb er auch mit Ernest Peppone. Bis jetzt
hatten die Pariser Behörden noch nicht nachgefragt, was
sollten sie auch, wer wollte denn schon in die Bruchbude
von dieser Flasche, da war es feucht und schimmlig und
es stank immer nach Kohlsuppe; niemand mag Kohlsuppe.
„Hä…oh, achso, ja…Moment!“ Er kratzte die Halbglatze
unter dem gelben Hütchen, danach blies er mit der Pumpe
neben ihm einen Ballon zu einer gelben Wurst auf – und
beließ es dabei. Der Junge, der das Hündchen wollte,
musterte die Stange. „Das ist aber kein Hündchen!“, protestierte er. – „Sicher. Ein Dackel.“ – Zweifelnd blickte der
Kleine das Gerät in seiner Hand an. „Nein, das ist ganz
sicher kein Hund!“ Ernie überdrehte die Augen. „Dann ist
es halt ein Regenwurm.“ Das Mädchen der Gruppe trat
ihm auf die übergroßen Schuhe. „Du bist doof!“ Danach
rannten sie weg.
So stand er in seiner Ecke vor dem Hügel, auf dem die
immerweiße Basilika erbaut worden war, und begleitete – seine Mutter war Deutsche gewesen – mit seinem
Akkordeon Trude Herrs musikalische Zuckerphobie. Ihm
gegenüber, neben dem Karussell, das ich an ebendiesem
Tag skizzierte, stand ein junger Zauberer, auch sein Bild
– o Wunder – fand man in der Enzyklopädie unter dem
Stichwort Taugenichts. Sein Name war – und wehe, jemand
Der Clown hustete, dann steckte er sich eine Zigarette an.
Drei totale Versager vereint.
Sophie Plappert, geboren am 5. Februar 1991 in Waidhofen/
Ybbs, ist seit 2001 Schülerin des BRG Waidhofen/Ybbs (8.
Klasse). Seit 2006 ist sie Teilnehmerin der Schreibakademie
Waidhofen/Ybbs in Niederösterreich.
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