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EUROPA, HAB VERTRAUEN!
ZWANZIG JAHRE NACH DEM FALL DER BERLINER MAUER, DEN ELAN WIEDER FINDEN,
DIE HOFFNUNG VERKÜNDEN
VON DEN TEILNEHMERN DER CCEE-VOLLVERSAMMLUNG VERABSCHIEDETE BOTSCHAFT – PARIS, 1. BIS 4. OKTOBER 2009
BRÜSSEL / PARIS. Der Rat europäischer
Bischofskonferenzen (COMECE) ist erleichtert über das „Ja“ der Iren zum EU-Reformvertrag von Lissabon. Der Präsident der
EU-Bischofskommission, Bischof Adrianus
van Luyn, erklärte am 5. Oktober 2009 in
Brüssel, er hoffe, dass der Lissabon-Vertrag
bis Jahresende ratifiziert werden könne. Er
werde es der EU ermöglichen, wirksamer
für die Menschenwürde und das Gemeinwohl zu arbeiten. Es gehe darum, die
Strukturen „an eine Union mit 27 Mitgliedsstaaten anzupassen“, so van Luyn.
„Wir erwarten, dass er die EU mit neuen
Instrumenten ausstattet, die es
ihr ermöglichen, besser gehört
zu werden und ihrer Verantwortung für weltweite Solidarität nachzukommen.“ Die katholischen EU-Bischöfe erwarteten
aber auch, dass „die an Irland
gegebenen Garantien, nämlich
Schutz des Lebens und der Familien, als Rechte „in der ganzen
EU gesichert sind“. Zugleich hoffen die Bischöfe darauf, dass die Kirchen
durch den im Lissabon-Vertrag vorgesehenen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog wirksamere Partner der EU in
allen Bereichen sein könnten, in denen
Menschen Gerechtigkeit und Solidarität
bräuchten.
versammlung „den Tag der Deutschen Einheit als Tag des Dankes und der Freude über
ein Leben in der Freiheit“. Zollitsch erinnerte
daran, dass es im Europa des 20. Jahrhunderts „in Gestalt mörderischer Ideologien
nicht wenige gab, die alle Gewalt auf der
Erde für sich in Anspruch nahmen. Wir, die
heute leben dürfen, haben viel Grund zum
Dank dafür, dass solche Wahngebilde ihr
Ende gefunden haben“, machte Zollitsch
mit Blick auf die jüngere Geschichte deutlich. Einerseits wirkten diese aber weiter
nach, warnte der Erzbischof; andererseits
gebe es auch aktuell immer wieder falsche,
20 Jahre – Grund zum Dank
Den Glauben öffentlich
zur Geltung bringen
Anlässlich des 20. Jahrestages der
Deutschen Einheit erinnerte der Rat an die
historische Dimension des Ereignisses. Der
Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, bezeichnete in seiner Predigt vor der Voll202
unitas 3/2009
oft sogar gewaltbehaftete Vorstellungen
davon, wie die Vollendung der Welt aussehen solle und wer für sie zuständig sei. „Zu
Recht sind wir dankbar dafür, dass auf unserem Kontinent die Freiheit der Religion im
Großen und Ganzen gewährleistet ist“, so
Zollitsch.
Gleichzeitig sei es aber umso notwendiger, den Glauben an Gott auch im öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen, denn
„der Weg der Kirche in der modernen Welt
muss der Weg Jesu bleiben“. Dies sei sowohl
dort so, wo die Kirche akut bedrängt werde
als auch dort, wo ihre Überzeugungen subtiler relativiert würden, also auch in solchen
Ländern, die Religionsfreiheit achteten und
in denen Staat und Kirche in einem positiven Verhältnis zueinander stünden. Zollitsch
ermutigte die Präsidenten von 32 Bischofskonferenzen und die Vertreter des Heiligen
Stuhls mit Optimismus nach vorne zu
schauen. „Freude und Zuversicht des Herrn
sollen auch unsere Freude und Zuversicht
sein. Deshalb werden nicht Pessimismus
und dunkle Farben unser Wirken in Europa
bestimmen, sondern die spezifische Verbindung von Realismus, Gelassenheit und
Zuversicht, die dem Glaubenden geschenkt
wird.“ Die Kirche sei nicht naiv, so Zollitsch;
sie leide mit einer Welt, die in Wehen liege
(Röm 8,22) und der Vollendung noch zustrebe. Dieser Welt aber diene sie dadurch, dass
sie die Hoffnung stärke: freilich eine Hoffnung auf das Gottmögliche, das größer sei
als das Menschenmögliche.
In einer Erklärung zum Jubiläum des
Mauerfalls vor zwanzig Jahren zeigen sich
die EU-Bischöfe besorgt über den weit verbreiteten ethischen Relativismus. Wir dokumentieren die Erklärung im Folgenden im
Wortlaut:
Vor zwanzig Jahren sind wir Zeugen
eines großen Momentes gewesen: der Fall
der Berliner Mauer. Dieses Ereignis, das die
Geschichte verändern sollte, ist nicht wie
ein Meteorit vom Himmel herunter gefallen. Es wurde von überzeugten und mutigen
Menschen vorbereitet, die nicht vor der fehlenden Freiheit zurückgeschreckt sind. Viele
Opfer sind ihm vorausgegangen, von Menschen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben
und für die Freiheit gekämpft haben. Den-
ken wir an Solidarnosc und an alle Kämpfe,
die in den mittel- und osteuropäischen Ländern für mehr Solidarität und Respekt vor
der menschlichen Würde geführt wurden.
Wie könnte man hier die herausragende
Rolle von Papst Johannes Paul II. außer acht
lassen und seine vorausschauende Vision
eines Europa, dessen Grundlagen sich auf
den Glauben stützen, auf das Allgemeinwohl und den Frieden? Viele haben im Fall
der Berliner Mauer das Fallen vieler anderer
Mauern gesehen – jener des Hasses, der
Furcht, der Lüge und einer unerbittlichen
Ideologie.
Diese neue Freiheit, die allen angeboten wurde, ist eine gnadenreiche Zeit für die
Kirchen gewesen. Sie haben ihre Handlungs-, Organisations- und Evangelisationsfreiheit wiedererlangt. Auch wenn dieser
Prozess noch nicht in allen Ländern erfüllt
ist, und die früheren Auseinandersetzungen
noch nicht gelöst worden sind, sind wir uns
des in den letzten zwanzig Jahren begangenen Weges bewusst. Wir wollen als
Bischöfe Europas in dieser Befreiung ein
Zeichen der Zeit erkennen und Gott danken,
dem Herrn über Zeit und Geschichte.
Was aus diesen Ereignissen hervorgegangen ist, hat als hervorragendes Sprungbrett für das europäische Abenteuer gedient. Viele Europäer haben sich so getroffen, sich gegenseitig besucht und zusammen ihre Geschichte gelesen. Sie haben
gelernt einander besser kennen zu lernen,
zu entdecken, was sie gemeinsam haben,
und ihre Unterschiede besser wahrzunehmen. Die Welle der Einwanderung, die einige Länder Europas gekennzeichnet hat, hat
sicherlich dazu beigetragen, einen gewissen
Wohlstand zu fördern, gleichzeitig aber
auch neue Schwierigkeiten verursacht,
indem Familien getrennt wurden bzw. aus
ihrem normalen Lebensumfeld herausgerissen wurden.
Nach zwanzig Jahren stellen wir fest, dass
dieser hervorragende europäische Elan mit
einer starken ethischen Konnotation, sehr
schwach geworden ist. Die Stimmenthaltung
bei den letzten Europaparlamentswahlen ist
ein wichtiges Zeichen dieser Schwächung.
Die Hoffnungen, die auf den Aufbau Europas
gesetzt wurden, sind bis jetzt noch nicht
wirklich eingetreten. Wir stellen folgende
beeinflussende Faktoren fest:
–
Die Entwicklung der europäischen
Union ist mit einem wachsenden Konsum einhergegangen, zumindest bei
einer bestimmten Kategorie von Menschen. Die Bereicherung an immer neuen Gütern allein, kann das Herz des
Menschen nicht füllen. Wie Christus
sagt: „Der Mensch lebt nicht nur von
Brot, sondern von jedem Wort, das aus
Gottes Mund kommt.“ (Mt 4,4). Das
Gesetz des Marktes und der Konkurrenz
allein wird nie ein Ideal hervorbringen.
–
Diese Gesellschaft will dem Individuum,
seiner Wahl und seiner persönlichen
Entfaltung den größtmöglichen Raum
zugestehen. Sie riskiert aber dabei, den
Menschen allein in der Verteidigung seiner Interessen bzw. der erreichten
Vorteile einzuengen. Papst Benedikt XVI.
hat die „Habgier“, als geheimer Motor
der großen weltweiten finanziellen und
ökonomischen Krise, in der wir uns
befinden, angeprangert. Eine Gesellschaft in welcher der Einzelne, die
Gruppe, die einzelnen Nationen nur die
eigenen Interessen verteidigt, kann
nichts anderes als ein Dschungel sein.
Ohne Gerechtigkeit, ohne Teilen, ohne
Solidarität versinkt das gesellschaftliche
Leben in die Gewalt. Es darf uns dann
nicht erstaunen, wenn mafiöse Organisationen und Terrorismus auf solch
einem Grund florieren. Der soziale
Friede und eine notwendige humane
Globalisierung rufen heute nach einer
anderen Solidarität und Großzügigkeit!
–
Eine pluralistische Gesellschaft ist oft gefährdet, der Versuchung des Relativismus
zu erliegen, ganz besonders im ethischen
Bereich. Jeder gibt sich seine eigenen
Normen und fordert die eigenen Rechte.
Nun kann sich das Leben in der Gesellschaft nur auf gemeinsame Normen
stützen, innerhalb einer Vision des Menschen, die nicht aufgrund des Gruppendrucks oder etwaiger Meinungsumfragen wechselt. Wir sind besorgt wegen
der vielen Gesetze in unseren Heimatländern bzw. in den europäischen Institutionen, die sich gegen das authentisch Gute stellen. Wir sind uns dessen
bewusst, dass es dringend ist, die gesetzlichen Normen mit dem Naturgesetz zur
Übereinstimmung zu bringen. Dieses
Naturgesetz stützt sich auf die menschliche Würde und bestimmt die unveräußerlichen Rechten und Pflichten eines
jeden Menschen. Diese Normen sollten
vom Dialog charakterisiert sein, vom
Respekt der Freiheit und von der ehrlichen Suche nach der Wahrheit.
Die Krise durch die Europa heute geht,
ist eine ernste Krise. Die niedrige Geburtenrate und die Zukunft ihrer Demografie lassen wohl kaum eine optimistische Erwartung zu. Wir wollen aber nicht Unglückspropheten sein. Es ist niemals gewiss,
dass sich die schlimmen Befürchtungen
bewahrheiten! Unser Glaube lässt uns
einen klaren und hoffnungsvollen Blick auf
die europäische Gesellschaft, in der wir
leben, werfen.
Wir stellen bei einer Vielzahl unserer
Zeitgenossen Bestrebungen nach einem
Leben, das Quelle inneren Friedens, der
Freude und des Vertrauens ist, fest. Viele
Jugendliche sind bereit sich einzusetzen für
eine größere Brüderlichkeit und Solidarität
in der Welt.
Dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) gehören als Mitglieder
die derzeit 33 Bischofskonferenzen Europas an, rechtmäßig vertreten durch ihre
Präsidenten, sowie die Erzbischöfe von
Luxemburg und des Fürstentums Monaco und der Bischof von Chişinău (Moldawien). Vorsitzender des CCEE ist Kardinal Péter Erdő, Erzbischof von EsztergomBudapest, Primas von Ungarn. Stellvertretende Vorsitzende sind Kardinal Josip
Bozanić, Erzbischof von Zagreb, und
Kardinal Jean-Pierre Ricard, Erzbischof von
Bordeaux. Generalsekretär des CCEE ist
Pater Duarte da Cunha. Der Sitz des
Sekretariates befindet sich in St. Gallen
(Schweiz). Die Plenarversammlung im
nächsten Jahr soll auf Einladung des stellvertretenden CCEE-Vorsitzenden Kardinal
Josip Bozanic vom 30. September bis 3.
Oktober 2010 im kroatischen Zagreb
stattfinden. Nächste Veranstaltungen
beschäftigen sich mit den Themen „Internetkultur und Kommunikation in der
Kirche“ (Rom, 12. bis 15. November 2009)
und „Das Europa der wandernden Menschen. Ängste überwinden – Zukunftsperspektiven zeichnen“ (Malaga, Spanien,
27. April bis 1. Mai 2010).
Um das Allgemeinwohl zu fördern und
die Umwelt zu respektieren, sind Männer
und Frauen bereit Opfer zu bringen, unter
der Bedingung, dass alles gerecht verteilt
sei. Der Schutz des Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod ist keine verlorene Sache. Davon sind wir überzeugt, denn
das Leben ist die Grundlage einer wirklich
menschlichen Gesellschaft.
Wir sagen dies nicht aufgrund eines rein
menschlichen Optimismus, sondern weil
wir Träger einer Vision des Menschen sind,
den wir in den Dienst an den Aufbau
Europas stellen wollen, heute wie gestern.
Wir tun dies in der Kraft des Evangeliums,
aber wir denken, dass dies auch von vielen
anderen geteilt wird. Papst Benedikt XVI.
sagte kürzlich, „Gerade weil das Evangelium
keine Ideologie ist, beabsichtigt es nicht, die
entstehenden sozial-politischen Gegebenheiten in ein starres Schema zu pressen.
Vielmehr steht es über den Veränderungen
dieser Welt und wirft in jeder Zeitepoche
neues Licht auf die Würde der menschlichen
Person.“ (Ansprache des Hl. Vaters bei der
ökumenischen Begegnung am 27. September 2009 im Erzbischöflichen Palais in Prag).
Der Aufbau Europas ist wirklich ein
Abenteuer, das sich zu leben lohnt. Jeder
kann darin seinen Platz finden – ein jeder ist
willkommen. Mehr denn je öffnet sich der
Weg vor uns. Das ist nicht der richtige
Moment, den Schritt zu verlangsamen oder
am Rande des Weges stehen zu bleiben.
Vergessen wir nicht, dass wir Jünger dessen
sind, der jedem von uns sagt: „Hab keine
Angst. Steh auf und geh!“
unitas 3/2009
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