Samy Deluxe

Transcrição

Samy Deluxe
Samy Deluxe
Berühmte letzte Worte
Von Goethe bleiben nur die angeblichen letzten
Worte „Mehr Licht“ überliefert, während Tupac sich
mit einem ernüchterten „Fuck you!“ aus dieser Welt
verabschiedete.
Samy Deluxe hat nicht bis zum letzten Atemzug
gewartet - und kann es sich leisten, etwas
ausführlicher zu werden. Irgendwo zwischen der
Hellsicht des deutschen Dichters und der
Schnoddrigkeit des Rapkönigs haut das Hamburger HipHop-Original „Beruehmte letzte
Worte“ heraus, die allerdings weniger einem bevorstehenden Tod geschuldet sind, sondern
der Rechenschaft über 20 Jahre an der Spitze der deutschen HipHop-Liga.
„Beruehmte letzte Worte“ von Samy Deluxe: Das bedeutet ein Album jenseits aller
Tagesmoden – und doch so frisch wie der Luftzug einer sich nahenden Faust. Oder eines
endlich zu Worten geballten Gefühls. „Ich feier meine Emotionen, bevor sie meine Seele
klonen“ rapt Samy, und stellt sich vor, es wäre die letzte Gelegenheit, sein Leben zu
bilanzieren. Natürlich gibt es ihn noch: Den Battle-Rapper, der 1995 in den Tourbus stieg und
bis heute nie wieder ausgestiegen ist, den Egomanen, Flow-Master, Freestyler mit
überrumpelnden bis selbstironischen Punchlines – er darf im Intro noch einmal alle
Möchtegerns mit seinem flüssigen Silbenschwert niederstrecken. Doch dann geht es um
mehr als nur „den geilsten Flow im ganzen Land“.
Samy Deluxe greift stattdessen die ganz großen Fragen auf, Fragen, die ihn auf seinen
bisherigen acht Alben immer wieder herausforderten: Wer bin ich? Was hat mich zu dem
gemacht, der ich bin? Und wie geht Deutschland mit seinen Kindern um?
Seine erste Single „Klopapier“ wird da expliziter denn je: „Deutschland ist noch ganz weit
vorn mit Waffenexporten/ das heißt ihr profitiert von Massenmorden.../ und seid geschockt
von harten Worten.“
Ein Banger, der harte Thesen auf die souligen Beats von Produzent Bazzazian, der in
Vergangenheit bereits Gentleman über Azad bis hin zu Haftbefehl produziert hat, setzt – und
eine Provokation, die Deutschlands Selbstzufriedenheit als vermeintliches moralisches
Vorbild in der Flüchtlingskrise zynisch kommentiert: „Ein Land in dem die Kanzlerin
Flüchtlingskinder persönlich tröstet/ bevor sie sie abschiebt; ich finde das ist eine schöne
Geste.“
Samys „Beruehmte letzte Worte“ bleiben dennoch persönlich. Seine Erfahrungen als Sohn
einer deutschen Mutter und eines sudanesischen Vaters – der nach Afrika zurückkehrte als
Samy zwei Jahre alt war – hatte der Rapper bereits seit „Weck mich auf“ im Jahre 2001
immer wieder thematisiert. Nun befeuert seine Autobiographie einen weiteren Song:
„Mimimi“ . Die korrekte Abkürzung für Mitbürger mit Migrationshintergrund. Bazzazian – der
bis auf zwei von Farhot produzierte Songs für das Album verantwortlich zeichnet – zerhackt
hier orientalische Melodien über einem unwiderstehlichen Club-Beat, das Video zeigt eine
türkische Hochzeit, während die Raps mit den Sprüchen spielen, die sich das
Einwandererkind Samy Deluxe immer wieder anhören musste: „Und wenn ich mecker über
dieses Land/ dann sagen sie 'geh doch hin, woher du kommst'/ dann gehe ich eben nach
Eppendorf/ ich habe auch angefangen mit rappen dort...“ „Mimimi“ ist eine Hymne für alle
geworden, die sich fremd im eigenen Land fühlen – und feiert doch den Kulturclash mit
Happy-End.
Zwei letzte Worte, die mit Wut und Lebenslust zu Ende denken was Samy bereits 2009 auf
seinem Album „Dis wo ich herkomme“ anschneidet: Die Möglichkeiten einer
multikulturellen Gesellschaft hierzulande. Samy predigt das nicht nur auf Platte. Er gründet
den Verein „DeluxeKidz“, in dem Jugendliche sich mit den Elementen des HipHop
auseinandersetzen, rappen, Breakdance, Grafitti lernen und ihre Erfolge auf der Bühne
zeigen. . Zeitweise fühlt sich Samy wie der „oberste Sozialarbeiter Deutschlands“. Mit dem
Nummer Eins Album „SchwarzWeiss“ meldet sich Samy 2011 wieder als bester Rapper
Deutschlands zurück – um das Thema Hautfarbe wie auch die heimische Dichter- und
Denkerkultur durch ein paar neue Reimmühlen zu drehen. Eine darauf folgende Depression
überwindet er wie Künstler das so tun: Indem er neue Wege geht. So taucht er mit dem
Gesangsalbum „Herr Sorge“ in Popmusik der etwas anderen Art ab, schreibt die Songs für
ein neues Album von Nena und verliert sich in einem Schaffensrausch, in dessen Folge er
zwei Mixtapes und ein Album unter dem Namen „Männlich“ in einem Jahr veröffentlicht.
Im Rückblick wirkt das alles wie ein Vorspiel, um Samy 2016 zu seinem Kerngeschäft zu
bringen. Zu klassischen Beats und Poesie. Und zu Themen, mit denen Samy lange gerungen
hat: Wie etwa die Fernbeziehung zu seinem Sohn, der in Amerika lebt. Ihm widmet der
Rapper „Papa weint nicht“: Hier offenbart sich der Mensch Samy Sorge, erzählt der Rapper
von einem Traum, in dem er „auf einem Meer aus Tränen, auf einem Floß aus Trost“ zu
Besuch kommt.
Auch seine Mutter bekommt - für ein HipHop-Urgestein wie Samy heilige Pflicht – endlich
ihren Song: „Von Dir Mama“. Der Rapper rekapituliert da „wieviel Scheiße er schon gebaut
hat“, während seine Mutter bis heute Teil seines Management-Teams ist und spielt dabei
geschickt auf einige HipHop-Klassiker . an. Sowohl Tupacs „Dear Mama“ wie auch Jay-Zs
„Mama Loves Me“ werden zitiert. „Die Leute hören mir gerne zu, wenn ich mit Worten
spiele“, rapt Samy über einem Max Herre-Vocalhook in „Was ich fühl“: „Aber ab und zu
wollen sie auch wissen wie ich mich wirklich fühl“.
Man kann das Erwachsenwerden eines launenhaften Genies nennen. Ein Homecoming. Doch
so todernst manche Themen auch wirken mögen, Samy Deluxes mischt sie mit dem ihm
eigenen Humor auf. So wie in „Haus am Mehr“. Der Refrain paraphrasiert Peter Foxs „Haus
am See“ - die Raps aber sprechen von der wohlbekannten Krankheit des Immer-MehrWollens: „Ich wollte mehr als ein Haus am See/ jetzt sehe ich aus wie ein Idiot wenn ich
draußen steh/ und auf dem Weg legen diese Orangenbaumblätter/ Warum Promi sein? Ich
war happy als Underground-Rapper“.
Zum Underground-Rapper führt zwar kein Weg zurück. Doch mehr denn je distanziert sich
Samy Deluxe von den Maßstäben, die andere an ihn legen, bekennt in „Countdown“ dass er
nie wusste, was die Fans von ihm wollen und gesteht sich in „Tellerrand“ ein, trotz
vergleichsweise armer Familie viel gereist zu sein und mehr als andere erlebt zu haben: „Und
ich hoffe, ich kann ihnen helfen, zu verstehen/.. die Welt ist so groß doch viele haben die
Welt noch nie gesehen“.
Hier spricht ein Samy Deluxe, der sich nicht als Opfer sieht. Sondern gerade in Zeiten von
Hetze gegen Flüchtlinge und Angst vor Überfremdung motivieren will, das Positive zu sehen.
Eine größere Perspektive einzunehmen. Kampfgeist und Kontemplation zu versöhnen. Da
passt es wenn in „Mittendrin“ die wunderschöne Soulstimme von Y'akoto „Über uns das
Weltall, unter uns der Erdball“ singt – während Samy ziemlich nüchtern Bilanz zieht: „Kann
die Welt nicht retten, aber finde die Idee sehr gut...“. Beruehmte letzte Worte. Ein ehrliches
Loslassen. Und eine große Liebeserklärung an HipHop aka das Leben.