1 Hinrich C. Seeba (University of California at Berkeley

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1 Hinrich C. Seeba (University of California at Berkeley
Hinrich C. Seeba (University of California at Berkeley)
GESELLIGKEIT
BILDUNGSKULTUR UND BÜRGERLICHE EMANZIPATION
Geschrieben vom 5. Mai bis 10. August 2013, mit Nachträgen zu Knigge und Schleiermacher am
13. August 2013 und zu Fontane am 26. August 2013, in Detmold gehalten am 21. Oktober
2013, vom 3. bis 18. Februar 2015 mit Ergänzungen zu Simmel, Polgar, Kant und Tönnies
umgearbeitet für den Vortrag in Berkeley am 6. März 2015
Einem Emeritus, der immer mehr außerhalb der Gelehrsamkeit und zwischen den Kulturen lebt,
ist hoffentlich nachzusehen, daß ich bei den folgenden Überlegungen, die ich in erweiterter
Fassung zuerst vor dem großen Kreis des Naturwissenschaftlich-Historischen Vereins in
Detmold vorgetragen habe, nicht intensiv, sondern extensiv, nicht begriffs-deduktiv, sondern
erfahrungs-induktiv vorgegangen bin. Ich wollte meinem deutschen Publikum, das man im
altmodischen Sinn getrost ‚gebildet‘ nennen darf, eine historische und kritische Perspektive auf
Kulturphänomene vorführen, die mit ihrer eigenen Lebenserfahrung zu tun haben. Nicht mit
akademisch-arkaner Theorie, sondern mit eingängigen Vignetten der Kulturkritik wollte ich eine
Öffentlichkeit erreichen, von der ich annehmen darf, daß sie aus dem universitären
Arbeitsbereich Stichwörter, Perspektiven und Denkanstöße erwartet, mit denen sie ihre soziokulturelle Umwelt besser versteht. Nachvollziehbare, bisweilen sogar unterhaltsame Kulturkritik
ist, wie ich dabei herausgefunden habe, eine sher willkommene, aber oft vernachlässigte
Öffentlichkeitsarbeit der akademischen Humanities, eine Verantwortung, die wir alle
übernommen haben, als wir seit den 80er Jahren die traditionelle Germanistik durch German
Cultural Studies ersetzt und unter dem Schlagwort positionality die kulturelle Eigenart der
jeweiligen kritischen Perspektive betont haben. Reflexion auf den eigenen Standpunkt wie auf
die Bedürfnisse des Gegenübers ist die Aufgabe, die ich mir auch bei der Wahl des heutigen
Themas gestellt habe.
Geselligkeit ist ein solches interkulturell relevantes, historisch und soziologisch wichtiges
Thema, weil sie als eine Form des sozialen Umgangs für die Entwicklung des bürgerlichen
Selbstbewußtseins entscheidend war. Der Wandel der Geselligkeit, wie er uns in bildlichen und
literarischen Repräsentationen überliefert ist, muß für den heutigen Kulturkritiker schon deshalb
von Interesse sein, weil sie als zweckfreie Gesellschaftsform, die im Zeitalter der social media zu
verschwinden droht, auch bei der Entstehung unseres Faches Pate gestanden hat. Nachdem
Goethe 1795 darüber geklagt hatte, daß für die Entwicklung einer deutschen Nationalliteratur die
gesellschaftlichen Voraussetzungen fehlten, weil es in Deutschland keinen „Mittelpunkt
gesellschaftlicher Lebensbildung“ gebe, „wo sich Schriftsteller zusammenfänden und nach einer
Art, in einem Sinne, jeder in seinem Fache sich ausbilden könnten",1 hat sich Jacob Grimm 50
Jahre später, als er 1846 die Gründungsversammlung der Germanistik nach Frankfurt einberief,
1
für die Bündelung der juristischen, historischen und philologischen Interessen schon auf die
Entwicklung einer solchen „gesellschaftlichen Lebensbildung“ stützen können. Inzwischen hatte
sich eine Gesprächskultur bürgerlicher Geselligkeit entwickelt, in der deutsches Recht, deutsche
Geschichte und deutsche Sprache Themen auch öffentlicher Diskussion geworden waren. Hier,
etwa in Grimms Vorgabe: „Was die eigentliche politik betrifft, so bleibe sie unsern
zusammenkünften, die nichts darüber zu beschlieszen haben, fremd“,2 wie auch bei anderer
Gelegenheit, mit verhängnisvollen Folgen im 20. Jahrhundert, hat die in Deutschland praktizierte
Kultur der Geselligkeit einen von der Politik abgesonderten Bereich bürgerlicher und, schließlich
ideologisiert, nationaler Identitätsbildung markiert.
Geselligkeit dient, auch laut Wikipedia, „gleichermaßen der Zerstreuung und Unterhaltung wie
der Identitätsstiftung und Einbindung in die Gesellschaft“.3 Geselligkeit, oft definiert als
gepflegter Umgang unter gebildeten und kultivierten Menschen, die im zweckfreien Raum ein
gemeinsames Interesse verbindet, dient also der identitätsstiftenden Sozialisation und folgt dabei,
entsprechend den von Horaz vorgeschriebenen Funktionen der Literatur, sowohl dem prodesse,
der Nutzanwendung in der Identitätsbildung, als auch dem delectare, der vergnüglichen
Ablenkung von den Mühen solcher Sozialisation. Ich beginne mit dem vergnüglichen Teil.
Wilhelm Busch, der ein satirisches Gespür für die Rituale des menschlichen Miteinanders hatte,
ist auch ein zuverlässiger Kritiker unserer Formen der Geselligkeit, ob wir uns nun zu einem
Rundgespräch, zu einer Hausmusik oder wie jetzt zu einem Vortrag versammeln. So karikiert er
in einer seiner späten Bildgeschichten, Maler Klecksel (1884), solche Gelegenheiten,
Die auch im Grund, was nicht zu leugnen,
Zum Zwiegespräch sich trefflich eignen.
Man sitzt gesellig unter vielen
So innig nah auf Polsterstühlen,
Man ist so voll humaner Wärme,
Doch ewig stört uns das Gelärme,
Das Grunzen, Plärren und Gegirre
Der musikalischen Geschirre,
<...>
So kommt die rechte Unterhaltung
Nur ungenügend zur Entfaltung.4
Zum Schweigen verdammt, sitzt man, wie es böse gutgelaunt heißt, „gesellig unter vielen / So
innig nah auf Polsterstühlen“, um bei einem zu lauten Konzert oder bei einem zu langweiligen
Vortrag seine „humanen“, also dem Getöse ringsum enthobenen Gedanken schweifen zu lassen
und darüber die Hoffnung auf ein unterhaltsam ergiebiges Gespräch schließlich gar zu vergessen.
Deshalb zieht Buschs Maler mit dem sprechenden Namen Kuno Klecksel dem konzertanten
Stillsitzen die ambulante Geselligkeit eines Kunstvereins vor, in dem man, von Gemälde zu
2
Gemälde schlendernd, mit klug klingenden Worten zur Ästhetik der geschauten Malkunst die
Bewunderung schwärmerischer Damen gewinnen kann:
Mit scharfem Blick, nach Kennerweise,
Seh ich zunächst mal nach dem Preise,
Und bei genauerer Betrachtung
Steigt mit dem Preise auch die Achtung.
Ich blicke durch die hohle Hand,
Ich blinzle, nicke: „Ah, scharmant!
Das Kolorit, die Pinselführung,
Die Farbentöne, die Gruppierung,
Dies Lüster, diese Harmonie,
Ein Meisterwerk der Phantasie.
Ach bitte, sehn Sie nur, Komteß!“
Und die Komteß, sich unterdeß
Im duftige Batiste schneuzend,
Erwidert schwärmrisch: „Oh, wie reizend!“5
Geselligkeit vollzieht sich also vorzugsweise stehend oder lustwandelnd, im lockeren Gespräch
mit wechselnden Partnern über einen Gegenstand, an dem man seine wirkliche oder auch nur
vorgebliche ästhetische Bildung vorführen kann. Deutlich zielt Wilhelm Buschs Humor 1884
schon auf eine Verfallsform der Geselligkeit: Wer ‚jemand sein‘ und ‚etwas darstellen‘ will, muß
‚sich benehmen‘ und ‚mitreden‘ können, muß scheinbar mehr sein als scheinen, sich also etwa
durch die Lektüre der meinungsbildenden Zeitungen auf dem laufenden halten, von wichtigen
Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt, von Theater-, Kunst- und Konzertprogrammen sowie
intellektuellen Debatten wenigstens gehört haben und aus der kursorisch registrierten
Information eigene Fragestellungen entwickeln können, die das Gespräch bereichern. Die
Bandbreite der in der geselligen Runde aufkommenden Gesprächsthemen reicht von
oberflächlicher Kenntnisnahme zu fachlicher Expertise und sollte von einer fundamentalen
Allgemeinbildung zeugen, die, worauf es in der geselligen Runde besonders ankommt, den
Zugang zur höheren Bildung und ihren vermuteten Privilegien verspricht. Bildung wurde
ursprünglich nur als individuelle, persönliche Bildung vorgestellt, gewann aber aber als
kultivierte Kommunikation im geselligen Umgang auch einen sozialen Charakter, bis der von
Busch karikierte Bildungsanspruch des lockeren Geplauders in den Verdacht sozialer
Prätention.geriet und als uneingelöster Anspruch schließlich kaum noch eine Rolle spielte.
Geblieben ist, abgesehen von betriebsamer Vereinsmeierei, das gesellige Leben im Skatclub,
Fußballverein oder Stammtisch, Kegelverein, Wanderverein oder Gesangsverein, im Buch- oder
Filmclub, in musikalischen Salon, auf Dinner Parties oder auch nur beim Umtrunk im
Ausflugslokal oder beim Gelage in der Kneipe – sie alle dienen einer geselligen Pflege
gemeinsamer Interessen und kaum noch der Förderung der allgemeinen Bildung, wie sie einst,
vom Arbeiterbildungsverein bis zum bürgerlichen Gesellschaftsverein, die Bedingung des
3
sozialen Aufstiegs war. Ob unsere Eltern es „Gesellschaft“, unsere Generation „Party“ oder die
Jüngsten „hanging out“ nennen, gemeinsam bleibt den gewandelten Formen der Geselligkeit das
Bedürfnis, dem Alleinsein zu entrinnen und sich einer kollektiven Identität zu versichern,
gemeinsam Pläne zu schmieden und an Projekten zu arbeiten, sich in der Gemeinschaft anderer
stärker und besser zu fühlen oder sich einfach die zunehmende Freizeit zu vertreiben. Wie wenig
von der kultivierten Geselligkeit übriggeblieben ist, wenn sie durch die Party ersetzt wird (ein in
Deutschland erst nach 1945, unter amerikanischem Einfluß, verbreiteter Begriff), beklagt deren
verklemmte Definition im Pons-Wörterbuch der deutschen Umgangssprache von 1987: “Tanzund Unterhaltungsveranstaltung junger Leute mit anschließender geschlechtlicher
Ausschweifung“.6 Der von heimlichem Anti-Amerikanismus gespeiste moralische Vorbehalt
verrät die historische Melancholie über den Verlust der feineren, insgeheim für deutsch
gehaltenen Umgangsformen, weil man bürgerlichen Sinn für kollektives Standesbewußtseins und
emanzipatorisches Bildungsstrebens in Zeiten gesellschaftlicher Nivellierung nur noch selten
antrifft.
Während in Wilhelm Buschs respektlosen Versen Geselligkeit aus ambitioniertem Geplauder
besteht, bei dem sich knausrige Bürger gegenseitig ihres halbgebildeten Musik- und
Kunstverstands versichern, bewundern Kultursoziologen an dem historischen Phänomen
umgekehrt eine Gelegenheit zu demokratischer Emanzipation eines wirtschaftlich aufstrebenden
Standes, der sich in der Nachahmung höfischer Sitten auf das Parkett der feinen Gesellschaft
begibt und hier durch Bildung wettmacht, was ihm an politischem Einfluß vorenthalten wird.
Denn nur wer den Kleider- und Verhaltenskodex beherrscht und auf dem Niveau des etablierten
Kunstgeschmacks ‚mitreden‘ kann, hat Chancen, seinen gesellschaftlichen Status zu halten und
zu verbessern: Bildung als Eintritts-Billet in die bessere Gesellschaft, gezügelt durch die an der
höfischen Etiquette orientierten Umgangsformen.
Adolph Freiherr von Knigge, der Kleinadlige aus Bredenbeck/Wennigsen, der selbst nur durch
die Anpassung an bürgerliche Lebensformen überleben konnte, hat solche Umgangsformen in
seinem Buch Vom Umgang mit Menschen (1788) kodifiziert. Für ihn war Geselligkeit eine der
Fähigkeiten, die für den gesellschaftlichen Erfolg unerläßlich sind: „Geschmeidigkeit,
Geselligkeit, Nachgiebigkeit, Duldung, zu rechter Zeit Verleugnung“,7 wobei er mit
Geschmeidigkeit eher eine höfische und mit Geselligkeit eher eine bürgerliche Tugend
bezeichnet. Nach der Lektüre der dritten Auflage (1790) von Knigges Erfolgsbuch hat Friedrich
Schleiermacher seine eigenen Gedanken dazu im Versuch einer Theorie des geselligen
Betragens (1799) aufgeschrieben, vor allem um Knigges Anstandsregel höflicher
„Selbstzurücksetzung“ zurückzuweisen. Für ihn sollte nicht höfliche Selbstverleugnung, sondern
umgekehrt gebildetes Selbstvertrauen Ziel des geselligen Umgangs sein. Deshalb plädiert er für
eine „freie, durch keinen äußeren Zweck gebundene Geselligkeit“, für „den freien Umgang
vernünftiger sich untereinander bildender Menschen“, also eine nicht-instrumentalisierbare
Geselligkeit, wie sie „von allen gebildeten Menschen als eins ihrer ersten und edelsten
Bedürfnisse laut gefordert“ werde:8 „gesellige Bildung“, wie sie in Goethes Unterhaltungen
4
deutscher Ausgewanderten (1795) praktiziert wird,9 ist also im Sinne Herders „Bildung zur
Humanität“,10 wobei in der Kommunikation mit anderen jeder einzelne, neudeutsch
gepsrochen,‘sich einbringt‘.
Die zwischen Knigges praktischen Anstandsregeln und Schleiermachers idealistischem Projekt
schillernde Forderung gilt heute kaum anders als früher, so sehr man die Aushöhlung des
bürgerlichen Bildungsanspruchs und den Niedergang der von Knigge kodifizierten
Umgangsformen beklagen mag. Immerhin werden social skills immer noch für so wichtig
erachtet, daß zum Beispiel akademisch ausgewiesene Kandidaten für eine Professur mancherorts
noch einem sogenannten ‚Gabeltest‘ unterzogen werden. Bei dem gemeinsamen Mahl werden
die gerade doktorierten Bewerber, nachdem sie einen Probevortrag oder ein Probeseminar
überstanden haben, auch daran gemessen, wie sie unter Prüfungsdruck Tischmanieren und
gepflegte Konversation, also Knigge und Schleiermacher, zu verbinden verstehen. Solche social
skills scheinen für den pädagogischen Lehrauftrag weiterhin ein nicht zu unterschätzendes
Kriterium des Qualifikationsprofils zu sein.
Georg Simmel hat die Geselligkeit „die Spielform der Vergesellschaftung“ genannt11 und damit
an eine philosophische Tradition angeknüpft, die mit der aristotelischen Bestimmung des
Menschen als zoon politikon, d.h. als gesellschaftsfähiges Wesen begonnen und die Geselligkeit
als halböffentliches Forum der Vermittlung von Individuum und Gesellschaft etabliert hat. Wie
in der Chronologie von Aristoteles‘ Werken der Nikomachischen Ethik, die vom Individuum
handelt, die Politik (um 335/4 v. Chr.) folgt, in der das zoon politikon vor allem politisch
verstanden wird,12 so gilt auch für die Philosophie moderner Erziehung, daß das höchste Gut
weniger im individuellen Menschenleben als in der überindividuellen Organisation des Staates
vollendet wird. Deshalb ist die Ethik des Einzelnen mit der Politik zu verbinden, damit die
Geselligkeit -- jenseits einer Spaßgesellschaft, die sich heute oft im Gemeinschaftserlebnis selber
feiert -- als Gesellschaftsfähigkeit des Individuums gerade ein im weitesten Sinn auch politisch
zu verstehendes Bildungsziel ist.
Der Wiener Feuilletonist Alfred Polgar (1873-1955) hat in einer brillanten Skizze
widersprüchlicher Geselligkeit, Theorie des Cafe Central (1926), für diese spielerische Form der
Gesellschaftsbildung das Bonmot geprägt, ins Kaffeehaus gingen nur „Leute, deren
Menschenfeindschaft so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen, aber
dazu Gesellschaft brauchen“.13 Das erinnert an Kants berühmtes Wort „ungesellige Geselligkeit
des Menschen“14 und damit an den Widerstand, den das einsam-kreative Individuum überwinden
muß, um sich gesellschaftlich zu engagieren und so Gesellschaft überhaupt erst zu bilden.
Diesem in der deutschen Ideologie folgenreichen Widerstand gegen politische Verantwortung
hat Kant entgegenzuwirken versucht, indem er im 4. Satz der Idee zu einer allgemeinen
Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (1784) zwischen der „Neigung sich zu vergesellschaften“
und dem „großen Hang sich zu vereinzelnen (isolieren)“ einen Antagonismus konstatiert, um ihn
dialektisch aufzulösen. Er plädiert für die Überwindung des Widerstands gegen die
„Mitgenossen, die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann“; denn das sei
5
der entscheidende Schritt „aus der Rohigkeit in die Kultur, die eigentlich in dem
gesellschaftlichen Werth des Menschen besteht“.15 Geselligkeit ist also das kulturelle Medium
der Vergesellschaftung des Individuums. Dabei ist im Sinne von Ferdinand Tönnies16 die
rationale Gesellschaft als moralisch organisierte Staatsform, an der das aufgeklärte, also im
Sinne Kants mündig gewordene Individuum verantwortlich beteiligt ist, deutlich abzuheben von
der irrationalen Gemeinschaft, in der das entmündigte Individuum unterschiedslos aufgeht.
Diesseits solcher philosophischen oder soziologischen Begründung handelt es sich bei der
Geselligkeit vor allem um ein Kulturphänomen, dessen historische Entwicklung wir in der
Literatur, Kunst und Musik verfolgen können, um ihren Wandel und ihren Niedergang besser zu
verstehen. So können wir uns fragen, was eigentlich gemeint war, wenn in den einst sogenannten
„besseren“ Kreisen, vielleicht etwas altmodisch, und gelegentlich auch noch heute zu einem
„geselligen Beisammensein“ eingeladen wird. Was macht die Geselligkeit der innerhalb eines
mehrstündigen Zeitrahmens angesetzten Zusammenkunft aus? Die dafür in feines Tuch
gekleideten Gäste konnten wohl erwarten, daß keine Geschäftsdinge abgehandelt, daß keine
Konflikte ausgetragen, daß keine Lektionen erteilt, keine Predigten gehalten und keine Parteien
oder Warenartikel beworben werden. Sogenannte promotional events, auf denen wie auf der
Vernissage einer Kunstgalerie geladene Gäste zusammenkommen, um ganz diskret später
vielleicht doch eins der ausgestellten Werke zu erwerben, sind eher eine Ausnahme unserer Zeit.
Vielmehr dürfte es sich um eine angenehme Gelegenheit zu ungezwungener Plauderei handeln,
bei der Getränke und Hors d’oeuvres serviert wurden. Die freundliche Absichtslosigkeit der
meistens exklusiven, nur mit schriftlicher Einladung zugänglichen Geselligkeit, heute auch in
Deutschland „events“ genannt, ihre gespielte Zweckfreiheit, setzt die gleichberechtigte
Beteiligung aller Teilnehmer voraus, die Bereitschaft, mit allen anderen Gästen, auch den noch
unbekannten, mit denen man meistens bekannt gemacht wurde, einige freundliche Worte zu
wechseln und sich, bei gegenseitiger Hochachtung, auch auf ein ernsthafteres Gespräch über
wechselseitig interessierende Themen einzulassen. Lange vor aller beflissenen Communication
oder gar dem ambitionierten, den eigenen Vorteil durch immer bessere Beziehungen sichernden
Networking, das heute solche Empfänge bestimmen mag, war diese Gesprächskultur tatsächlich
noch absichtslos; sie diente vor allem der Freude am geistreichen Gedankenaustausch. Das
Ritual des höflichen Miteinanders folgte dem Comment des gepflegten Umgangs unter
kultivierten Menschen, die es im Leben, in ganz verschiedenen Bereichen, ‚zu etwas gebracht‘
hatten, mehr zu Ansehen als zu Wohlstand, weil der Bildungsstand mehr wog als der
Kontostand.und der menschliche Charakter mehr als der glamour of short-lived celebrity. Nicht
sich zu produzieren, nicht recht zu behalten, nicht zu punkten, sondern den anderen ausreden zu
lassen, um womöglich von konträren Meinungen zu lernen und im Wechsel der Argumente neue
Gedanken zu entwickeln. bezeichnete die Absichtslosigkeit dieser geselligen Gesprächskultur.17
Offensichtlich ist die schließlich ins Präteritum gesetzte Szene, die ich soeben beschrieben habe,
schon mit dem Sepia-Schleier der Nostalgie überzogen, als könnte sie heute kaum noch
stattfinden. Sie ist mit der melancholischen Sehnsucht nach der guten alten Zeit verbunden, als
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der gute Ton der feinen Gesellschaft noch eine Selbstverständlichkeit war. Das heute schon
etwas weltfremd klingende gesellschaftliche Miteinander ist tatsächlich vor allem eine
biedermeierliche und damit historisch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angesiedelte
Szene, die ins Soziale gekehrte Idylle einer scheinbar heilen Welt.
Adalbert Stifter, der wie Grillparzer kein Freund oft langweiliger Geselligkeit war, hat in den
Wiener Salonszenen (1844), eine solche biedermeierliche Geselligkeit schon mit leichter Ironie
charakterisiert: „Auch ganz unbedeutende Gesellschaften, wo Ästhetik getrieben, mit verteilten
Rollen gelesen wird, wo man Gruppen aufführt, wo bekannte Gemälde durch lebende Figuren
kopiert werden, wo aufsprossende Genies ihre ersten Versuche vorlesen, wo man raucht, wo das
Klavier gemartert wird, überhaupt, wo ein Sofa steht, auf dem eine </> Hausfrau sitzt, die Tee
anbieten und um das Befinden fragen kann - alles das heißt man schon einen Salon - in der Regel
versteht man darunter jene vornehmen Gesellschaftszimmer, in denen sich entweder bloß die
Familie gelegentlich zur Erholung und Besprechung versammelt, oder wo zu bestimmten
Tageszeiten oder an bestimmten Wochentagen auch Fremde sich einzufinden pflegen, um da
irgend einer bestimmten Lieblingserholung obzuliegen, oder auch nur im allgemeinen der
Gesellschaft zu genießen.“18
Ähnlich harmlos liest sich das Kapitel ‚Geselligkeit‘ im Hermes Hand-Lexikon zum Biedermeier
von 1983: „Die Häuslichkeit, die Geselligkeit in Familie und Freundeskreis spielt im
Biedermeier eine sehr große Rolle und wird zur seelisch-geistigen Grundlage biedermeierlicher
Kultur. Man findet sich zusammen, um gemeinsam zu singen und zu musizieren, geht ins
Theater, ins Konzert und besucht die Oper, trifft sich zur Diskussion und Konversation im Salon,
am Stammtisch oder im Bürgerverein und vergnügt sich im Casino, beim Tanz und auf
Redouten.“19 Die bis in unsere Zeit genüßlich erinnerte Harmonie sozialer Unterschiede scheint
keine Konflikte zu kennen, solange von solchen Soireen, in denen sich die zunehmend
verbürgerlichte gesellschaftliche Elite ein Stelldichein gab, das gemeine Volk ausgeschlossen
blieb. Diese conditio sine qua non der Geselligkeit war allerdings schon den zeitgenössischen
Kritikern des Biedermeiers durchaus bewußt.
So hat Anastasius Grün, der eigentlich Anton Alexander Graf von Auersperg hieß und, typisch
für den beginnenden Strukturwandel der Gesellschaft, seine aristokratische Herkunft durch
Verbürgerlichung des Namens verschleiert hat, eine solche „Salonszene“ in den Spaziergängen
eines Wiener Poeten (1830/31) parodiert: Vor der Tür des glanzvollen Empfangs, auf dem
Vertreter der Kirche, des Militärs und des Beamtenstaats einander mit äußerster Höflichkeit
begegnen und wo alles sich um den größten Charmeur der Salonszene, den Kanzler Metternich,
dreht, fleht das von solchem Glanz ausgeschlossene Volk nicht minder höflich und „ganz artig“:
„Dürft‘ ich wohl so frei sein, frei zu sein?“20 Der unterwürfig aufmüpfige Ton, der die
Freiheitsformel des Salons wörtlich nimmt, um sie auf die Straße zu transportieren, ist eine Satire
auf die Noblesse der Unfreiheit, auf die Dichotomie einer gespaltenen Gesellschaft, in der das
homogene Selbstverständnis der herrschenden Elite mit dem noch höflichen Unmut der
beherrschten Masse kollidiert. Der Salonlöwe Metternich, der in der fiktionalen Salonszene
7
ebenso galant Rosenblätter „von einem schönen Busen <...> pflückt“ wie gnadenlos ganze
Königreiche „wie welke Blumen <...> zerstückt“,21 personifiziert den schönen Schein
rücksichtsloser Machtpolitik, die sich hinter höflichen Manieren und bezaubernden Gesten
versteckt. Wie das vornehme Getue des Kleinbürgers bei Wilhelm Busch wird auch der
herablassende Charme eigentlich gewalttätiger Salonlöwen bei Anastasius Grün vorgestellt in
der Rhetorik des guten Tons. Die Geselligkeit ist wie die Gesellschaft, die sich ihrer zur
idyllisierten Selbstdarstellung bedient, nicht mehr authentisch, keine echte, ungestörte Freude am
geselligen Beisammensein unter seinesgleichen, sondern schon angstbesetzt, weil in der
vertikalen Sozialstruktur, die in der geselligen Zusammenkunft nur suspendiert, aber nicht
aufgehoben ist, der nervöse Neuling durch ‚falsches‘ Benehmen unangenehm auffallen könnte
und weil der blasierte Salonlöwe seine Privilegien an solche Aufsteiger, die ihn zu simulieren
suchen, oder gar an die Plebs draußen vor der Tür verlieren könnte.
Die Brüche der feinen Gesellschaft, die hier sichtbar werden, verweisen nicht nur auf die
politische Unruhe nach der auf Frankreich beschränkten Juli-Revolution von 1830, sondern auch
auf soziale Spannungen jenseits des Rheins, bis hin zur Donau-Metropole. Die vertikal
organisierte Standesgesellschaft, die sich in solchen Salonszenen selber feiert, zeigt erste Risse
nach unten wie leichte Verschiebungen von oben. Nach der Französischen Revolution ist die
Verbürgerlichung der Gesellschaft, wie sie sich auch in dem Pseudonym des eigentlich
aristokratischen, aber bürgerlich professionalisierten Autors Anastasius Grün erweist, in vollem
Gange. Mögen die vom Fürsten Metternich bestimmten Staatsgeschäfte auch noch ganz in den
Händen des Adels liegen, so tummeln sich in den Salons die Adligen mit den wohlhabenden
Vertretern des wirtschaftlich emanzipierten Bürgertums, das seinen gesellschaftlichen Aufstieg
dadurch markiert, daß es die höfischen Rituale in den Formen der (nicht umsonst so genannten)
Höflichkeit adaptiert. Und beide schotten sich ab gegen das vor den Toren festgehaltene und im
Polizeistaat überwachte Volk, dessen so unstandesgemäß höflich vorgetragener Freiheitswunsch
in beiderlei Wortsinn ‚unerhört‘ bleibt.
Vor diesem brüchig werdenden Sozialhintergrund entfaltete sich, von Wien ausgehend, die
Biedermeier-Epoche als Blütezeit der Geselligkeit. Die Geselligkeit ist wie der Wiener Walzer,
der 1815 auf dem Wiener Kongress populär wurde, als das post-napoleonische Europa neu
geordnet wurde und dem keimenden Nationalismus allerorten Kriegsziele bot, ein Tanz auf dem
Vulkan, einem insgeheim schon brodelnden Vulkan, der aber erst 1848, in der bürgerlichen
Revolution und in den später folgenden Nationalkriegen, ausbrechen sollte. Noch war es eine
Zeit des politischen status quo, eine an die Zeit vor der Französischen Revolution anknüpfende
Periode des von der Polizei streng überwachten Stillstands, als das mit der industriellen
Revolution ökonomisch erstarkende, aber von der politischen Macht weitgehend
ausgeschlossene Bürgertum in der Kultur die Führung übernahm und in den Salons, in den
Gesellschaften, in Musik- und Literaturzirkeln, im lebendigen Vereinsleben eine halböffentliche
Gegenwelt schuf, in der es sich politisch unverdächtig ausleben konnte. Viele berühmte Kreise
zeugen von dieser „immer auf Geselligkeit bedachten Biedermeierkultur“ (Friedrich Sengle),22
8
gesellige Zirkel, die sich zum Beispiel um Justinus Kerner in Weinsberg, um Karoline Pichler in
Wien, um Ludwig Tieck in Dresden, um Karl Immermann in Düsseldorf oder um Gustav
Schwab, den Herausgeber der Schönsten Sagen des klassischen Altertums (1838-40), in Stuttgart
bildeten. In den geselligen Zirkeln und den von ihnen herausgegebenen Musenalmanachen galt
die politische Abstinenz der rein ästhetischen Bildung – in den Worten von Friedrich Sengle, der
in unserer Zeit das dreibändige Standardwerk über das Biedermeier geschrieben hat: „Alles, was
die Bildung, die Gemütsruhe, die Konversation und das „gesellige Leben“ stört, ist
fernzuhalten.“23 Die Geselligkeit ist eine Schutzzone, in der das Ideal der „reinen“ Kunst
politische Enthaltsamkeit bedeutete und deshalb von der Geheimpolizei verschont wurde. Als
reinste literarische Gattung aber galt die Lyrik, weil das in sich selbst ruhende, nur sich selbst
bedeutende Gedicht, wie in Mörikes bekanntem Gedicht Auf eine Lampe (1846), „ein
Kunstgebild der echten Art“ ist: „Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.“24 Ohne die
brüchiger werdende Außenwelt zu reflektieren, genügt der schöne Schein nur sich selbst und
dem Kunstgenuß im hermetisch abgeschlossenen Innenraum, in dem die ästhetische Innerlichkeit
gedeiht.
Innerhalb der biedermeierlichen Lyrik, die nur insofern „gern in den Dienst der Geselligkeit
gestellt“ wird,25 als sie die sie tragende Gesellschaft nicht in Frage stellt, nimmt das sangbare
Lied eine Vorzugsstellung ein, besonders wenn es in der beliebten, weil dem Gebet
nachempfundenen direkten Anrede an den Zuhörer den dialogischen Charakter und die gesellige
Funktion des gemeinsamen Musizierens betont.
Das ist wohl nirgends deutlicher als in den musikalischen Soirees, die sich vor allem in Wien um
Franz Schubert bildeten. Das neue Genre des vom traditionellen Strophenlied abgelösten
Kunstlieds (Erlkönig 1815, Die Forelle 1817, Die schöne Müllerin 1824, Winterreise 1827), das
in einem kleinen Kreis kunstbeflissener Bürger und Adliger vorgetragen wurde, ist der formale
Ausdruck dieser Geselligkeit, anders als das von Adolph Menzel fast hundert Jahre nach dem
Ereignis gemalte Flötenkonzert von Sanssouci (1850-52), bei dem der ganze Hof seinem
musizierenden König Friedrich dem Großen ergeben zuhören mußte. Aber selbst in dieser
höfischen Rokoko-Staffage erscheint der vor dem Kerzenglanz isolierte Souverän so inszeniert,
als wäre der königliche Flötist schon ein heimlicher Kunstbürger, weil hier, zumindest aus der
9
Sicht Menzels, nicht mehr dem Stand des Königs, sondern dem Talent des Künstlers gehuldigt
wird. Viel intimer als die Schlossszene in Menzels berühmtem Gemälde ist die Salonszene in
Moritz von Schwinds kaum minder berühmter Sepiazeichnung Ein Schubert-Abend bei Joseph
von Spaun (1868), in der Schubert, nur an der Nickelbrille erkennbar, hinter der dominierenden
Figur des rechts neben ihm sitzenden Gastgebers, des 1859 geadelten Jugendfreundes und wohl
wichtigsten Propagandisten Schuberts, Joseph Spaun, fast ganz verschwindet. Er ist nur einer
von insgesamt 40 Köpfen, die hier zum musikalischen Salon versammelt sind. Der Akzent dieser
kopflastigen, durch die Anmut der Damen aufgelockerten Geselligkeit, die sich im Halbkreis zur
Zeichnerperspektive hin öffnet und damit den Blick auf das kastenförmige Piano in der Bildmitte
freigibt, liegt auf der hingebungsvollen Andacht, zu der die vielen Porträtköpfe gruppiert sind; er
liegt auf dem unhörbaren, nur in seiner Wirkung sichtbaren Klang, dessen Harmonie dieser
bürgerlichen Gesellschaft Kohärenz und Identität verleiht.26 Die höfische Flöte, popularisiert
durch Mozarts Zauberflöte, war nun abgelöst durch das bürgerliche Klavier, das fortan in jeden
besseren Haushalt gehörte: „Heute verlangt“, wie sich der frühere Reichsgerichtsrat Otto Bähr
1886 in einer „kulturgeschichtlichen Skizze“ an das Biedermeier in Kassel erinnert, „niemand
mehr eine einsame Flöte zu hören, weder von fern noch von nah. Wer heute etwas recht
Langweiliges bezeichnen will, spricht von der „alten Flöte“. Und deshalb hat die Flöte sich
gänzlich in das Orchester zurückgezogen.“27 Der Flötenspieler von Sanssouci wurde durch den
Wiener Pianisten abgelöst, der Souverän durch den Bürger.
Wie die Höflichkeit der geselligen Zirkel aus der höfischen Welt stammt, so setzte sich
umgekehrt die intimere bürgerliche Geselligkeit mit ihren implizit demokratischen Tendenzen
von der hierarchischen Repräsentationslust der europäischen Höfe ab; denn an ihnen galt, was
Jean Paul in der Vorschule der Ästhetik (1804) als Machtentfaltung definiert hat: „Große Welt ist
Gesellschaftgeist in höchster Potenz. Ihre hohe Schule ist der Hof, der das gesellige Leben, das
ihm nicht Erholung, sondern Zweck und fortgehendes Leben ist, um so mehr entfalten und
verfeinern muß, da er gleichsam die höchsten Gegensätze von Macht und Unterordnung, von
eigner Achtung und von fremder ins freundliche Gleichgewicht eines schönen geselligen Scheins
aufzulösen hat.“28 War höfische Geselligkeit zweckbestimmt und darauf angelegt, einerseits die
Macht des Herrschers zu inszenieren und andererseits die damit geforderte Unterordnung
angenehm zu verschleiern, scheint die bürgerliche Geselligkeit gerade durch ihre
Absichtslosigkeit ausgezeichnet. War erstere vertikal durchorganisiert und relativ statisch, immer
bezogen auf den Souverän an der Spitze, so ist letztere horizontal nur locker verbunden,
polyzentrisch und dynamisch, bezogen auf den Künstler in der Mitte.
Solche nostalgisch verklärten, horizontal aufgelockerten Biedermeier-Szenen musikalischer und
gesellschaftlicher Harmonie wurden wiederentdeckt, als gegen Ende der zwanziger Jahre des 20.
Jahrhunderts, als Kontrast zu den politisch zerrissenen Zeitläuften der Gegenwart, die
eskapistische Begeisterung für das vermeintlich unpolitische Biedermeier wissenschaftliche
Mode wurde. Noch bevor Wilhelm Bietak 1931 das maßgebliche Buch Das Lebensgefühl des
Biedermeier in der österreichischen Dichtung veröffentlichte29 und lange bevor Ann Tizia
10
Leitich mit ihrem von 1941 bis 1944 in fünf Auflagen erschienenen Buch Wiener Biedermeier
von den Schrecken des 2. Weltkriegs ablenken sollte,30 hat Karl Kobold seinem Schubert-Buch
von 1928 ein Kapitel „Wiener Biedermeier“ vorangestellt.31 Das damit korrespondierende
Schlußkapitel „Schuberts Freundeskreis“ beginnt mit dem charakteristischen Satz: „Schubertiade
ist ein geflügeltes Wort geworden, der Ausdruck für das reizende Bild jener harmlos heiteren
Geselligkeit Alt-Wiens in der Biedermeierzeit, wo das Alltägliche, durch den Zauber der Musik
verklärt, tiefsinnig wurde, sich das Erhabene in den lieblichen Mantel der Anmut kleidete.“32 Das
„reizende Bild“ der Geselligkeit, wie es Moritz von Schwind für uns erinnert hat, ist also geprägt
durch harmlose Heiterkeit, Tiefsinn des Alltäglichen, Verklärung durch Musik und die Anmut
des Erhabenen. Solche „Schubertiaden“ – Schubert selbst hat das Wort in einem Brief von 1822
geprägt33 - wurden der Inbegriff biedermeierlicher Geselligkeit. „Die Familien, bei denen solche
Gesellschaftsabende veranstaltet wurden,“ so heißt es in dem Reclam-Musikführer zu Schubert
von 2002, „gehörten in der Mehrzahl dem höheren Beamtenstand an. Viele waren ausübende
Mitglieder der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien; allen gemeinsam waren ausgeprägte
kulturelle Interessen und ein hoher Bildungsgrad. Charakteristisch für die Zusammensetzung der
Gesellschaft bei den „Schubertiaden“ war eine Mischung von Dilettanten und Künstlern, die sich
hier zum gemeinsamen Musizieren und geselligen Beisammensein trafen.“34 Der hohe
Bildungsgrad der Teilnehmer ist, ohne sich in fachsimpelndem Expertentum erweisen zu
müssen, eine natürliche Voraussetzung und seine Zurschaustellung durchaus kein prätentiöses
Ziel dieser Zusammenkünfte. Wie schon Karl Kobald betonte, hielt die Freunde Schuberts „das
gemeinsame Streben nach gegenseitiger geistiger Anregung und heiterem geselligen Verkehr“
zusammen.35
Aber so unpolitisch sie sich gaben, so wenig bewegten sich die Zirkel in einem historischen
Vakuum. Die Schubert-Kreise in Linz und in Wien hatten sich 1815, nach dem Vorbild des
preußischen Tugendbundes in Berlin konstituiert und in Manifesten, so 1817 in den von dem
Historiker (und Bruder des Schubert-Mäzens) Anton von Spaun herausgegebenen Beiträgen zur
Bildung für Jünglinge, die Geselligkeit unter Freunden zur republikanischen „Bürgertugend“
erklärt, wobei die implizit aufklärerisch-politische Zielsetzung nach den Karlsbader Beschlüssen
von 1819, die die Repression der Metternich-Zeit verschärften, hinter der rein ästhetischen
Mission zurücktrat, so daß die Kunst fortan nur noch der Entrückung aus der Not der Gegenwart
diente. Die entpolitisierten geselligen Zirkel etablierten sich im sozialen Umfeld der inflationären
Vereinsbildung und in der historischen Tradition der Freundschaftsbünde, literarischen Salons
und gelehrten Gesellschaften.
Für die Freundschaftsbünde möge hier der Göttinger Hainbund stehen. Der nur drei Jahre, von
1772 bis 1775, haltende Freundschaftsbund Göttinger Studenten, dessen bekannteste Mitglieder
der spätere Naturlyriker Ludwig Hölty („Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“), der spätere HomerÜbersetzer Johann Heinrich Voss und der spätere Goethe-Freund Friedrich Leopold Graf von
Stolberg waren, hatte sich im Namen von Klopstock und des Gründers der Balladendichtung,
Gottfried August Bürger, gegründet und pflegte einen an der Natur orientierten sentimentalen
11
Freundschaftskult, der schnell zum Muster studentischer Geselligkeit wurde, lange bevor sich
zunehmend national gesinnte Studenten in Verbindungen – Landsmannschaften, Corps und
Burschenschaften organisierten.36
Für die Salons mögen hier die jüdischen Salons stehen, die vor allem in Berlin zum wichtigsten
Forum bürgerlicher Emanzipation wurden, am bekanntesten die von Henriette Herz, Rahel
Levin, Sara Levy, Philippine Cohen, der Mendelssohn-Tochter Dorothea Veit, die später
Friedrich Schlegel geheiratet hat, und Sara Meyer geführten Salons.37 Mit ausdrücklichem Bezug
auf „geistige Geselligkeit“ vermerkt Henriette Herz über die Rolle der Salons bei der sozialen
Emanzipation des jüdischen Mittelstands: „Da nun manche der jungen Ehepaare ihr Haus den
beiderseitigen Bekannten eröffneten, so wurde dies Gelegenheit, den Geist, welcher sich durch
die Beschäftigung der Frauen mit der Literatur, ihre Unterhaltung darüber und die Ideen, welche
sie durch beide in ihnen erzeugten, gebildet hatte, zur Kunde und Teilnahme weiterer Kreise zu
bringen. <../..> Die christlichen Häuser Berlins boten andererseits nichts, welches dem, was jene
jüdischen an geistiger Geselligkeit boten, gleichgekommen oder nur ähnlich gewesen wäre.“38
Wie die lange Liste jüdischer Salons belegt, waren diese Vorreiter – und Vorbild für christliche
Bürger - in der Betonung geselliger Bildung für die Emanzipation von Juden, Frauen und
Bürgern: „Von einem christlichen bürgerlichen Mittelstand, welcher andere geistige Interessen
gehabt hätte als diejenigen, welche der äußere Beruf etwa anregte, war damals hier noch nicht
die Rede. Es gab da viele ehrenwerte Familientugenden, aber jedenfalls noch mehr geistige
Beschränktheit und Unbildung.“39 Das sich verstärkende Bildungsstreben, das nach den
jüdischen Häusern auch das christliche Bürgertum erfaßte, drückte sich etwa darin aus, daß den
schnellen Zugang zu enzyklopädischem Wissen, mit denen man in den geselligen Zirkeln
brillieren konnte, Lexika, vor allem aus dem Hause Brockhaus, schaffen mußten, so die 1808
gegründete und schon 1819/20 in 5. Auflage erscheinende Allgemeine deutsche
Realenzyklopädie für die gebildeten Stände oder das ab 1840 erscheinende Große
Konversationslexikon von Joseph Meyer. Nomen est omen: das schnell angelesene
Bildungswissen, das mit wahrer Bildung immer weniger zu tun hatte, diente der geistigen
Selbstinszenierung der „gebildeten Stände“ in geselliger „Konversation“ und entfernte sich damit
immer mehr von Schleiermachers Bildungsideal.
Und für die gelehrten Gesellschaften und wissenschaftlichen Akademien, die das institutionelle
Vorbild boten, mögen die Bildungsvereine stehen, in denen sich das gebildete Bürgertum
versammelte. Nach dem Vorgang der 1773 gegründeten Berlinischen Gesellschaft
naturforschender Freunde,40 der ersten privaten naturwissenschaftlichen Gesellschaft in
Deutschland, der u.a. Alexander von Humboldt angehörte, entstanden im Biedermeier als
freiwilliger Zusammenschluß gleichgesinnter und ähnlich interessierter Menschen so viele
Vereine, daß schon zu dieser Zeit das Wort „Vereinsmeierei“ aufkam.41 Der 1808 in Königsberg
gegründete erste Verein, der sogenannte Tugendbund. Sittlich-wissenschaftlicher Verein, trägt
bereits im programmatischen Namen den akademisch ethischen Anspruch, über den sich das
aufstrebende Bürgertum dem Adel gleichzustellen versuchte. Unter den Dichtervereinen sind die
12
bekanntesten in Wien die 1817 gegründete und 1826 durch Metternichs Polizei aufgelöste
Ludlamshöhle, der Grillparzer, Rückert und C. M. von Weber angehörten, in Berlin der im Lokal
Lutter & Wegener versammelte Kreis um E.T.A. Hoffmann und den Schauspieler Ludwig
Devrient sowie die 1826 gegründete Literarische Mittwochsgesellschaft und ab 1827 der Tunnel
über der Spree um Paul Heyse, Theodor Storm und Adolph von Menzel. Literatur und Musik
waren bevorzugte Brennpunkte des sich inflationär entwickelnden Vereinswesens: Lesevereine,
Gesangsvereine, Turnvereine, Tanzvereine, Kegelvereine, Schützenvereine, Wandervereine,
Kriegervereine, Heimatvereine, Gesellschaftsvereine und schließlich Bildungsvereine sprangen
nur so aus dem für die spätere Demokratie gelockerten Boden. Doch gesellten sich bald auch
Kriegervereine und 1859, im Schiller-Jahr, der deutsche Nationalverein dazu, der sich die
Vorbereitung eines von Preußen geleiteten Nationalstaats zum (1871 im Deutschen Kaiserreich
verwirklichten) Ziel gesetzt hatte.42
Die zunehmend nationalistische Kritik der Salonkultur konnte sich im 19. Jahrhundert an zwei
Feindbildern orientieren, einerseits antinapoleonisch gegen den französischen Ursprung der
Salons und andererseits antisemitisch gegen die vor allem von Jüdinnen wie Henriette Herz und
Rahel Varnhagen geführten Berliner Salons.
Der leichte, unverbindlich höfliche Ton der bürgerlichen Geselligkeit, die ihre Gegner von den
französischen Salons abgeleitet haben, fand auch schon in seiner höfischen Vorform bei Jean
Paul, der in der französischen Geselligkeit und ihrer entsprechenden Literatur „überall
Leichtfüßigkeit, welche fremde und eigene Dornen überhüpft,“ sah, einen Kritiker der
vermuteten Oberflächlichkeit: dort feuilletonistischer Witz und hier philosophischer Ernst, dort
Oberflächlichkeit und hier Tiefgang --- das ist eine in allen Stereotypisierungen nationalistischer
und vor allem antisemitischer Provenienz beliebte Antinomie, in der sich französische und
jüdische Feindbilder überlagerten.
Nachdem die jüdische Salonkultur mit der französischen Besatzung ab 1806 ein schnelles Ende
gefunden hatte, nahm die gegen Napoleon gerichtete, ausdrücklich deutsche Geselligkeit in
Berlin, vor allem in der 1811 von Achim von Arnim und Adam Müller gegründeten Deutschen
Tischgesellschaft, der die Berliner Elite angehörte (u.a. Clausewitz, Schleiermacher, Fichte,
Savigny, Brentano, Iffland, Schinkel),43 antisemitische Züge an. So heißt es in den
Gründungsstatuten, daß nur „wohlanständige“ Bürger zugelassen seien, die „in christlicher
Religion geboren“, also nicht wie viele Juden der Zeit konvertiert sind.44 Das ist der Beginn
rassistischer Selektion, in der Juden, aller Bildungsemanzipation und deutschen Assimilation
zum Trotz, keine Chancen mehr hatten, vor allem nachdem Arnim selbst, in seiner berüchtigten
Tischrede Über die Kennzeichen des Judentums die Alterität von Juden physiologisch so
markiert hat, daß man darin die schlimmsten Auswüchse der Nazi-Ideologie vorgebildet glaubt.45
Historisch erklären sich die Ressentiments aus der Tatsache, daß in Deutschland das Modell der
englischen und französischen Salons vor allem von Juden, genauer: von jüdischen Damen der
Gesellschaft aufgegriffen und entwickelt wurden, die, meistens autodidaktisch in Kunst, Musik
13
und Literatur gebildet, das gebildete Berliner Gesellschaftsleben bis zur französischen Besetzung
1806 bestimmt haben.
Deshalb hat Wilhelm Heinrich Riehl, der ab 1859 in München „ordentlicher Professor für
Culturgeschichte und Statistik“ war und vielen als Begründer der Soziologie gilt,46 die deutsche
Variante der Geselligkeit antithetisch von ihrem französischen Pendant abgehoben.47 Das fünfte
Kapitel des dritten Bandes seines opus magnum, der Naturgeschichte des Volkes als Grundlage
einer deutschen Social-Politik (1851-54), trägt den programmatischen Titel „Die Familie und der
gesellige Kreis“ und beginnt mit dem moralischen Appell: „Die Sitte des geselligen Lebens soll
in der Familiensitte wurzeln.“48 Im Klartext: Unsittlich ist alle Geselligkeit außerhalb der
Familie. Ausgehend von dem Mantra seiner Soziologie, daß „das Haus“, also die erweiterete
Lebenswelt der Familie, „unser nationales Heiligthum“ sei,49 hebt Riehl, der sich als Verteidiger
alter Familienfesttraditionen versteht und als Allheilmittel die Rückkehr in die „Spinnstube der
Hausfrau“ empfiehlt, von Anfang an den nationalen Charakter der deutschen Familie hervor.
Dabei wendet er sich besonders gegen die Franzosen, die die unhäusliche Geselligkeit des Salons
eingeführt und schließlich auch in die feineren deutschen Kreise exportiert hätten, und vor allem
gegen „die familienlose Geselligkeit der Nordamerikaner“, weil die ja nicht einmal ein
Weihnachts- oder Osterfest kennen: “Den »zweiten Feiertag« haben die knickerigen Yankees
ohnedieß abgeschafft, wie wir Deutschen den früher üblichen dritten Feiertag abschafften, als
wir amerikanischer, d. h. realistischer und ökonomischer wurden.“50 Außerdem trinken
Amerikaner, laut Riehl, ihren Branntwein, ganz im Gegensatz zur gemütlichen deutschen
Kneipe, die als erweiterte Häuslichkeit gefeiert wird, im Stehen, sie sind im eigentlichen
Wortsinn unseßhaft und kennen deshalb keine deutsche Verbindlichkeit. Ganz beglückt über
seine stereotypische Antithese zieht er das Fazit: „Wir sehen aus alledem, wie bei
patriarchalischen Volkszuständen die geselligen Freuden sich fast ausschließlich und bis zum
Exceß an das Haus heften, während im glatten Nivellement der Civilisation der gesellige Kreis
sich ganz losmacht von der Familie.“51 Aus dieser für den späteren Chauvinismus
charakteristischen, vor allem im ersten Weltkrieg verhängnisvollen Gegenüberstellung von
(französischer) Zivilisation und (deutscher) Kultur ergibt sich die polemische Spitze gegen die
französischen Salons, in denen sich „die abscheuliche nordamerikanische Sitte stehend zu essen
und zu trinken“ durchgesetzt habe, und eine ganze Tirade gegen die Oberflächlichkeit, die, wie
man meinen soll, der deutschen Gemütstiefe wesentlich zuwiderläuft :
„Die abscheuliche nordamerikanische Sitte stehend zu essen und zu trinken, hat sich
auch bereits in unsere Salons eingeschlichen. Man glaubt dadurch eine besonders
gemächliche und lebendige Unterhaltung zu erzielen, da doch nur das Geschwätz
lebendiger wird und nicht das Gespräch, wenn man mit Theetasse, Hut, Handschuhen
und Kuchen in der Hand im Saale auf- und abläuft und dabei jeden Augenblick gewärtig
seyn muß, daß einem ein ungeschickter Bedienter die mit zwei Fingern gehaltene volle
Tasse in den Hut stößt, der darunter am dritten Finger schwebt. Man soll eben nicht
seßhaft werden in seiner Gesellschaft, nicht einmal auf einem Stuhl, man soll sich nicht
von wenigen anziehenden Leuten wie von einem kleinen Familienkreise fesseln lassen,
14
sondern mit der Allgemeinheit verkehren. Das ist aber nicht deutsche »Sitte des Hauses,«
sondern französischer »Ton,« der auf dem Grundaccord der Ausebnung aller
charakteristischen Eigenart in der Gesellschaft aufgebaut ist. <...> Durch die häusliche
Geselligkeit sammelt sich der Mensch: im Kreise seiner Freunde wird er erst recht bei
sich zu Haus. Der unhäusliche Salon dagegen zersplittert die Naturen. Man unterhält sich
da nur in Aphorismen, man huscht nur an aphoristischen Erscheinungen vorüber. Die
dem Salon vergleichbare Erscheinung in unserer Literatur ist das »Feuilleton;« wer aber
vorwiegend Feuilletons liest, der kann zuletzt gar kein solides Buch mehr lesen. Das kann
auch der ächte Salonmensch nicht mehr, er liest keine Bücher, sondern er liest nur noch
in Büchern; er kann auch nur Gespräche anknüpfen, aber keines zu Ende führen;
überhaupt nur anregen, nicht selber vollenden; er wird sprunghaft, unstät, eine zerstückle
Natur; er ist kein ganzer Mann mehr und vermag auch nicht mehr den ganzen Mann zu
würdigen; denn im Salon streifen sich nur die Persönlichkeiten, aber sich fassen sie nicht.
Das sind tiefgehende Krankheitszustände unserer Zeit, und ich lobe mir gegen jene feinen
Leute die Zöglinge einer ordentlichen Spinnstube.“52
Die stehend vollzogene, deshalb schnell wechselnde und demokratisch nivellierende Geselligkeit
des Salons bedeutet also die Ersetzung des intensiven Gesprächs durch – parallel zu
antisemitischen Stereotypen – ‚feuilletonistische‘ Oberflächlichkeit, die den deutschen Mann
zerstückt und schließlich entmannt. Riehls Argument klingt fast wie eine unfreiwillig komische
Variante der Parodie von Wilhelm Busch, nur daß dieser, wie wir uns erinnern, sich vom Sitzen
„gesellig unter vielen / So innig nah auf Polsterstühlen“ zu entfernen versucht, um
ambulatorisch, stehend und lustwandelnd, besser plaudern und seine Halbbildung vorführen zu
können. Kaum wäre ihm in den Sinn gekommen, daß er sich damit aus dem Kreis der seßhaften
und bodenständigen Deutschen entfernt und zum leichtfertigen Geplänkel der Franzosen oder gar
der Juden überläuft. Die vernichtende Ausführung solcher Ressentiments blieb erst späteren
Verächtern der bürgerlichen Geselligkeit vorbehalten.
Die deutsche Geselligkeit ist weder von den französischen noch den jüdischen Virtuosen der
Plauderei unterminiert worden, sondern von einer sehr deutschen Bourgeoisie, die, wie uns
Theodor Fontane in seinen Berliner Gesellschaftsromanen vorgeführt hat, die auf Französisch
Causerie genannte Konversation wie die gesprächsweise zur Schau gestellte Bildung in den
Dienst letztlich ökonomischer Machtansprüche gestellt hat. In literarischer Vorwegnahme der
Speech Act-Theorie unserer Zeit vollzieht sich die Handlung dieser Romane, wie in Frau Jenny
Treibel (1893), großenteils in Gesprächen, die dem ironischen Erzähler zur Charakterisierung der
parlierenden Figuren dienen. Die gesellig lockere Wechselrede begleitet das Geschehen nicht
nur, sondern fungiert als zweckbestimmte Handlungsanweisung und kann deshalb mit John
Searles berühmter Theorie „illocutionary acts“ genannt werden, Sprechakte, die kaum verhüllte
Machtinteressen erfüllen.53 Die bei häuslichen Diners oder auf Spaziergängen praktizierte
Geselligkeit geriert sich in den rhetorischen Formeln standesbewußter Salonlöwen, die wie die
Kommerzienrätin Frau Jenny Treibel nee Bürstenbinder aus eher kleinen Verhältnissen stammen
und von ihrem literarischen Ahnherrn, dem Fürsten Metternich bei Anastasius Grün, das höflich
getarnte, aber eigentlich brutale Machtstreben abgeguckt haben. An der „beinah gebildeten“
15
Titelfigur wird gnadenlos vorgeführt,54 daß ihre Bildung nur sentimentale Scheinbildung und das
von ihr beherrschte Gespräch nichts als die Fassade rücksichtsloser Intrige ist, Herrschaftspolitik
zur Sicherung des sozialen Status. In der völligen Instrumentalisierung des Bildungsanspruchs ist
die bürgerliche Geselligkeit, die Jenny Treibel, dieses „Musterstück von einer Bourgeoise“,55 so
blendend fragwürdig inszeniert, bereits so ausgezehrt, daß sie nur noch ein Schatten ihrer
biedermeierlichen Hochform und wie das Kaiserreich, dem sie dient, schließlich zum Untergang
bestimmt ist.
Fontane hat in den Berliner Gesellschaftsromanen die Ökonomisierung der Geselligkeit wie der
Bildung vorgeführt, die Nietzsche bereits zwanzig Jahre vorher, zu Beginn des Kaiserreichs, in
seinen Vorträgen Über die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten (1872) prognostiziert hatte: „Hier
haben wir den Nutzen als Ziel und Zweck der Bildung, noch genauer, den Erwerb, den möglichst
großen Geldgewinn. Die Bildung würde ungefähr von dieser Richtung aus definiert werden als
die Einsicht, mit der man sich "auf der Höhe seiner Zeit" hält, mit der man alle Wege kennt, auf
denen am leichtesten Geld gemacht wird, mit der man alle Mittel beherrscht, durch die der
Verkehr zwischen Menschen und Völkern geht. Die eigentliche Bildungsaufgabe wäre demnach,
möglichst 'courante' Menschen zu bilden, in der Art dessen, was man an einer Münze 'courant'
nennt. <...> Ein jeder müsse sich selbst genau taxieren können, er müsse wissen, wie viel er vom
Leben zu fordern habe.“56 Die so instrumentalisierte, gesellig zur Schau gestellte Bildung ist als
„Dienerin und Beraterin der Lebensnot, des Erwerbs, der Bedürftigkeit“57 nur noch ein
Tauschwert auf dem Markt des Machtgerangels. Die Analyse des schleichenden Verfalls hat in
Fontanes Ironie wie – gleichzeitig - in Wilhelm Buschs Humor ihren lebensklugen und
gleichwohl im Sinne von Horaz unterhaltsamen Seismographen gefunden.
Wer also eine Dinner Party veranstaltet oder auf einer Champagne Reception mit einer neuen
Kollegin anstößt, mag sich vor dem Hintergrund der Sozialgeschichte deutscher Geselligkeit
daran erinnern, daß die Geselligkeit eine social practice ist, zu deren historischer Beurteilung
Beispiele aus der Literatur-, Kunst- und Musikgeschichte beitragen. Sie hat sich entwickelt von
dem 1) progressiven Forum bürgerlicher Emanzipation über 2) das reaktionäre Forum sozialer
und ethnischer Ausschließung und 3) das nationalistische Forum stereotypischer Antithesen bis
zum 4) instrumentellen Forum letzten Endes ökonomischer Interessen. Der Ideologisierung der
ursprünglichen Absichtslosigkeit, die sich der Ästhetik der politikfern reinen Kunst verschrieb,
ist eine Ökonomisierung der Interessen gefolgt, die sich lieber der kunstfern lukrativen
Karriereplanung verschreibt. So mag es immer schwieriger geworden sein, gegen Schopenhauers
skeptische Kritik der Geselligkeit als „bloßer Schein“ anzuleben: Gesellige Veranstaltungen sind
für Schopenhauer nur „das Aushängeschild der edelen, erhöhten Geselligkeit; aber statt ihrer ist,
in der Regel, nur Zwang, Pein und Langeweile gekommen: denn schon wo viele Gäste sind, ist
viel Pack, – und hätten sie auch sämmtlich Sterne auf der Brust. Die wirklich gute Gesellschaft
nämlich ist, überall und nothwendig, sehr klein.“58 Entsprechend konnte die bürgerliche
Geselligkeit nur in kleinen Zirkeln von Individuen überleben, die individuelle Bildung und
gesellschaftliche Verantwortung zu verbinden wissen.
16
Mit dieser kritischen Referenz an das Bildungsbürgertum einer kleinen deutschen Residenzstadt
(Detmold) habe ich, aus der transatlantischen Perspektive einer amerikanischen Universität, das
Versprechen germanistischer Kulturkritik einzulösen versucht und den Blick auf die
widersprüchliche Geschichte „gesellschaftlicher Lebensbildung“ (Goethe) gelenkt. Ich danke für
die Gelegenheit, diesen Versuch hier im kleinen geselligen Kreis noch einmal zu wiederholen.
1
Johann Wolfgang von Goethe, Literarischer Sansculottismus (1795), in: Werke, Hamburger Ausgabe. Hrsg. v.
Erich Trunz, Bd. 12, Hamburg: Christian Wegner 51963, 239-244, S. 241 f.
2
Jacob Grimm, Ueber die wechselseitigen Beziehungen der drei in der Versammlung vertretenen Wissenschaften
[Rede auf der Frankfurter Germanisten-Versammlung 1846], in: Grimm, Recensionen und vermischte Aufsätze.
Vierter Theil, Berlin: Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung 1884, 556-563, S. 562.
3
http://de.wikipedia.org/wiki/Geselligkeit (zuletzt geändert 31.3.2013, eingesehen am 14.8.2013).
4
Wilhelm Busch, Maler Klecksel (1884), in: Gesamtausgabe in vier Bänden. Hrsg. v. Friedrich Bohne, Wiesbaden :
Emil Vollmer Verlag o. J., Bd. 4, 81-145, S. 83.
5
Busch, Maler Klecksel, S. 83.
6
Dr. Heinz Küpper, Pons-Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Stuttgart: Klett 1987, S. 594.
7
Adolph Freiherr Knigge, Über den Umgang mit Menschen. Hrsg. v. Karl-Heinz Göttert, Stuttgart 1991, Vorrede S.
8. Vgl. Karl-Heiz Göttert, Knigge oder: Von den Illusionen des anständigen Lebens, München: dtv 1995.
8
Friedrich Schleiermacher, Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799), in: Schleiermacher, Texte zur
Pädagogik I, Hrsg. v. Michael Winkler und Jens Brachmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (stw 1451), 1535, S. 15.
9
Johann Wolfgang von Goethe, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795), in: Werke. Hamburger
Ausgabe. Hrsg. v. Erich Trunz, Bd. 6, Hamburg: Christian Wegner 51963, 125-241, S. 137. Übrigens plädiert die
Baronesse, um künftig politische Konflikte zu vermeiden, für „gesellige Schonung“ (S. 138) als Rücksicht auf die
Empfindlichkeiten des anderen, für „den guten Ton, den wir eine Zeitlang vermissen“ (S. 139), und deshalb für
politische Abstinenz geselliger Unterhaltung: „Laßt uns dahin übereinkommen, daß wir, wenn wir beisammen sind,
gänzlich alle Unterhaltung über das Interesse des Tages verbannen.“ (S. 139).
10
Johann Gottfried Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität (1793-97), in: Sämtliche Werke, Bd. 35, Stuttgart:
Cotta 1853, S. 114 f.
11
Georg Simmel, Grundfragen der Soziologie. Individuum und Gesellschaft, Berlin und Leipzig: Göschen 1917,
darin Kapitel 3: Die Geselligkeit: „Von den soziologischen Kategorien her betrachtend, bezeichne ich also die
Geselligkeit als die Spielform der Vergesellschaftung und als - mutatis mutandis - zu deren inhaltsbestimmter
Konkretheit sich verhaltend wie das Kunstwerk zur Realität.“ (zit. http://socio.ch/sim/grundfragen/grund_3.htm
12.2.2015)
12
Vgl. Wolfgang Kullmann, Der Mensch als politisches Lebewesen bei Aristoteles, in: Hermes 108 (1980), S. 419443
13
Alfred Polgar, Theorie des Cafe Central (1926), in: Alfred Polgar, Kleine Schriften. Hrsg. von Marcel ReichRanicki und Ulrich Weinzierl, Reinbek: Rowohlt 1982–1986, Bd. 4, 254-259.
14
Immanuel Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht (zuerst in: Berlinische
Monatsschrift IV (1784), 385-411), in: Kant, Kleinere Schriften zur Geschichtspohilosophie, Ethik und Politik. Hrsg.
v. Karl Vorländer, Hamburg: Felix Meiner 1959, 3-20, S. 9.
15
Ebd.
16
Vgl. Ferdinand Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Abhandlung des Communismus und des Socialismus als
empirischer Culturformen, Berlin 1887. Tönnies Untercheidung ist oft für die antiurbane, schließlich völkische
Formel „Zurück zur (Volks-)Gemeinschaft“ mißbraucht worden. Vgl. dazu besonders Peter-Ulrich Merz-Benz,
Tiefsinn und Scharfsinn. Ferdinand Tönnies' begriffliche Konstitution der Sozialwelt, Frankfurt am Main: Suhrkamp
1995.
17
Vgl. Hinrich C. Seeba, Kunstgespräch. Zur allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden, in: Seeba,
Denkbilder. Detmolder Vorträge zur Kulturgeschichte der Literatur, Bielefeld: Aisthesis 2011, 243-263.
18
Adalbert Stifter, Wiener Salonszenen (1844), in: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Hannsludwig Geiger. Bd. 3, Berlin
und Darmstadt: Tempel-Verlag 1959, 1164-1182, S. 1166 f.
19
Marianne Bernhard, Das Biedermeier. Kultur zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution. Hermes HandLexikon, Econ Taschenbuch Verlag 1983, S. 81.
17
20
Anastasius Grün, Salonszene (zuerst in: Spaziergänge eines Wiener Poeten (1830/31), in: Der österreichische
Vormärz 1816-1847. Bearbeitet von Otto Rommel (Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Reihe Politische
Dichtung, Bd. 4), Leipzig 1931 (Unveränderter reprografischer Nachdruck Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1973), 36-37, S. 37.
21
A.a.O., S. 36.
22
Friedrich Sengle, Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution
1815-1848, 3 Bde., Stuttgart: Metzler 1971-1980, Bd. 1, 1970, S. 378.
23
Sengle, Bd. 2, 1972, S. 43.
24
Eduard Mörike, Auf eine Lampe , in: Mörike, Werke in einem Band. Augewählt von Albrecht Goes, Hamburg:
Hoffmann und Campe Verlag o.J., S. 61.
25
Sengle, Bd. 2, 1972, S. 527.
26
Franz Grillparzer hat auf die musikalische Physiognomie seiner Verlobten Kathi Fröhlich während einer
Schubertiade das Gedicht „Als sie, zuhörend, am Klavier saß“ geschrieben, in dem es heißt: „Und jeder Ton ward
Bild in ihren Zügen.“ (Sämtliche Werke. Hrsg. v. Peter Frank und Karl Pörnbacher, Bd. 1, München: Carl Hanser
1960, 134-136, S. 135, v. 24).
27
Otto Bähr, Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Kulturgeschichtliche Skizze, Kassel: Friedrich Wilhelm
Grunow 1886, zit. nach Georg Hermann, Das Biedermeier im Spiegel seiner Zeit. Briefe, Tagebücher, Memoiren,
Volksszenen und ähnliche Dokumente, Berlin-Leipzig-Wien-Stuttgart: Deutsches Verlagshaus Bong & Co. 1913,
177.
28
Jean Paul, Vorschule der Ästhetik, in: Sämtliche Werke. Hrsg. v. Norbert Miller, Abt. I, Bd. 5, Darmstadt:
Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000 (zuerst München: Carl Hanser 1963, mit derselben Seitenzählung), 7-456,
S. 340 (Dritte Abteilung, 1. Vorlesung, 2. Kapitel „über die französische Literatur“).
29
Wilhelm Bietak, Das Lebensgefühl des Biedermeier in der österreichischen Dichtung, Wien – Leipzig: Wilhelm
Braumüller 1931.
30
Ann Tizia Leitich, Wiener Biedermeier. Kultur, Kunst und Leben der alten Kaiserstadt vom Wiener Kongreß bis
zum Sturmjahr 1848, 5. Auflage, Bielefeld/Leipzig: Velhagen und Klasing 1944 (11941). Unter dem Titel Damals in
Wien. Das große Jahrhundert einer Weltstadt 1800-1900 (Wien: Forum Verlag, 1957) hat Leitich das Buch Wiener
Biedermeier mit einem anderen Erfolgsbuch, Verklungenes Wien. Vom Biedermeier zur Jahrhundertwende (Wien:
Wilhelm Andermann Verlag 1942). Kombiniert.
31
Karl Kobald, Franz Schubert und seine Zeit, Zürich-Leipzig-Wien: Amalthea Verlag 1928, 9-84.
32
Kobald, S. 426.
33
Schubert, Brief an Josef von Spaun, 7. Dzember 1822: „Unser Zusammenleben in Wien ist jetzt recht angenehm,
wir halten bei Schober wöchentlich dreimal Lesungen und eine Schubertiade, wobei auch Bruchmann erscheint.“
(zit. nach Kobald, S. 435). Von Ferdinand Georg Waldmüller (1793-1865) stammt eine Zeichnung „Eine
Schubertiade“ (abgebildet in: Walther Dürr, Anton Feil, Franz Schubert. Musikführer. Leipzig: Reclam 2002, S.
134.
34
Walther Dürr, Arnold Feil, Franz Schubert Musikführer. Unter Mitarbeit von Walburga Litschauer, Leipzig:
Reclam 2002 (Erste Auflage Stuttgart: Reclam 1991):, S. 309.
35
Kobald, S. 427.
36
Zur Ablösung des eher literarischen Freundschaftsbundes durch die eher musikalisch bestimmte Geselligkeit vgl.
Hans-Joachim Kreuzer, Freundschaftsbünde – Künstlerfreunde. Das Erbe von Aufklärung und Empfindsamkeit im
Schubert-Kreis und seine Verwandlung im romantischen Geist, in: Eva Badura-Skoda, Gerold W. Gruber, Walburga
Litschauer, Carmen Ottner, Hrsg., Schubert und seine Freunde, Wien, Kön, Weimar: Böhlau Verlag 1999 (?), 5974, S. 72: „In der romantischen Generation wird die alte, männerbündische Form des sprachlich-literarisch
zentrierten Freundschaftskults abgelöst von der Geselligkeitskultur. In der geselligen, der neuen Form übernimmt
die Musik eine führende Rolle, die Literatur tritt zurück.“
37
Vgl. Hannah Arendt, Rahel Varnhagen. Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin aus der Romantik (zuerst
München: R. Piper 1959), Frankfurt/M. – Berlin – Wien: Ullstein 1974, S. 62 f.: „Der jüdische Salon in Berlin war
der soziale Raum außerhalb der Gesellschaft, und Rahels Dachstube stand noch einmal außerhalb der Konventionen
und Gepflogenheiten auch des jüdischen Salons. Die Berliner Ausnahmejuden in ihrer Jagd nach Bildung und
Reichtum haben drei Jahrzehnte lang Glück gehabt. Der jüdische Salon, das immer wieder erträumte Idyll einer
gemischten Geselligkeit, war das Produkt der zufälligen Konstellation in einer gesellschaftlichen Übergangsepoche.
Die Juden wurden zu Lückenbüßern zwischen einer untergehenden und einer noch nicht stabilisierten Geselligkeit.
Adel und Schauspieler, beide außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehend – wie die Juden beide gewohnt, eine
Rolle zu spielen, zu repräsentieren, sich auszudrücken, darzustellen, ‚was man ist’ – und nicht nur wie der Bürger
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(nach einem Wort aus dem ‚Wilhelm Meister’) ‚zu zeigen, was man hat’ – sie gaben in den jüdischen Häusern der
heimatlosen bürgerlichen </> Bildung einen Boden und ein Echo, das sie nirgends anderswo zu finden hoffen
durften. Juden wurden in dem gelockerten Konventionsgefüge der Zeit in der gleichen Weise gesellschaftsfähig wie
die Schauspieler: beiden attestiert der Adel ihre bedingte Hoffähigkeit.“ Vgl. auch Deborah Hertz, Die jüdischen
Salons im alten Berlin 1780-1806. Aus dem Amerikanischen von Gabriele Neumann-Kloth (zuerst Meisenheim:
Anton Hain 1991), München: dtv 1995.
38
Henriette Herz, [Zur Geschichte der Gesellschaft und des Konversationstons in Berlin, Ausschnitt aus:] Rainer
Schmitz, Hrsg., Henriette Herz in Erinnerungen, Briefen und Zeugnissen, Frankfurt am Main 1984, abgedruckt in:
Gert Mattenklott, Hrsg., Jüdisches Städtebild Berlin, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag
1997, 78-85, S. 80 f.
39
Herz, S. 82.
40
Vgl. K. Becker, Abriß einer Geschichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, in: Sitzungsberichte
der Gesellschaft naturforschender Freunde, N.F. 13 (1973), 1-58.
41
Vgl. Guenter G. Schmalz, Zur Geschichte des Wortes 'Verein', in: Monatshefte für den Deutschunterricht 47
(1955), 295-301; Thomas Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19.
Jahrhundert, in: Hartmut Boockmann, Arnold Esch u.a., Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19.
Jahrhundert, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1972, 1-44, S. 3: „Um 1840 ist aus der Vereinsbereitschaft der
Bürger eine Art Vereinsleidenschaft geworden; alle bürgerliche Aktivität organisiert sich in Vereinen. Die älteren
Vereinstypen, Geselligkeits-, Bildungs- und Gesangvereine vor allem, dehnten sich über das ganze Land aus.“ (
wiederholt in: Thomas Nipperdey, Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte,
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1976, 174-205).
42
Vgl. Shlomo Na’aman: Der Deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen Bürgertums
1859-1867, Düsseldorf: Droste Verlag 1987.
43
Vgl. Susanna Moßmann, Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim
von Arnim und in der 'Christlich-deutschen Tischgesellschaft', in: Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz,
Susanna Moßmann, Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im
Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996 (stw 1273),
123-159; und Stefan Nienhaus, Geschichte der deutschen Tischgesellschaft, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 2003.
44
Zitiert nach http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Tischgesellschaft (11.8.2013). Vgl. Susanna Moßmann, Das
Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der 'Christlichdeutschen Tischgesellschaft', in: Hans Peter Herrmann, Hans-Martin Blitz, Susanna Moßmann, Machtphantasie
Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18.
Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996 (stw 1273), 123-159
45
Achim von Arnim, Über die Kennzeichen des Judentums, Rede im Frühjahr 1811 vor der Christlich-deutschen
Tischgesellschaft, in: Werke in sechs Bänden. Hrsg. v. Roswitha Burwick, Jürgen Knaack, Paul Michael Lützeler,
Renate Moering u.a. Bd. 6: Schriften, Frankfurt am Main 1992, S. 362-387.
46
Vgl. H. Simonsfeld, Wilhelm Heinrich Riehl, in: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 53: Nachträge bis 1899,
Leipzig: Duncker & Humblot 1907, 362-383, S. 368 f.: S. 376: "Sie [Die bürgerliche Gesellschaft, d.i. der 1851
erschienene zweite Band der Naturgeschichte des Volkes] hat nach Lamprecht die Sociologie bei uns recht
eigentlich als selbständiges Fach neben den Staatswissenschaften begründet; denn schon Anfang der 50er Jahre ist
R. für diese Selbständigmachung eingetreten und hat auch eigene Lehrstühle für die Gesellschaftslehre verlangt."
47
Zur nationalkulturellen Theorie der Geselligkeit vgl. Hermann Nohl, Vom deutschen Ideal der Geselligkeit, in:
Die Tat. Eine Monatsschrift. Hrsg. v. Eugen Diederichs und Karl Hoffmann, Jena: Eugen Diederichs 1915.
48
W. H. Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 3: Die Familie
(1854), Stuttgart: Cotta’scher Verlag 61862. Aus dem 5. Kapitel (241-265) wird hier zitiert nach dem 13 Seiten
umfassenden (unpaginierten) Ausdruck aus dem Projekt Gutenberg (16.5.2013), hier S. 1.(in Klammern die
Seitenzahl der Ausgabe von 1862, hier S. 241).
49
Riehl, S. 8 (S. 255).
50
Riehl, S. 4 (S. 248).
51
Riehl, S. 5 (S. 249).
52
Riehl, S. 11 f. (S. 260 f.). Riehl gebraucht hier für den zerrissenen Salonmenschen nicht-deutscher Geselligkeit
Eigenschaften, die im 19. Jahrhundert für die Charakterisierung von Juden üblich wurden. Wie antisemitisch Riehl
dachte, zeigt sich daran, daß er Mischehen zwischen Christen und Juden für die „Verleugnung nationalen
Familiengeistes“ (S. 224 in der Ausgabe von 1862) verantwortlich macht.
53
Vgl. John R. Searle, Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language, Cambridge University Press 1969.
19
54
Theodor Fontane, Frau Jenny Treibel, in: Werke, Schriften und Briefe. Hrsg. v. Walter Keitel und Helmuth
Nürnberger, Abt. I, Bd. 4, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973, 297-478, S. 305. Zur Geselligkeit
bei Fontane vgl. Walter Müller-Seidel, Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland, Stuttgart: J. B.
Metzlersche Verlagsbuchhandlung 1975 , S. 5: „Die erzählte Geselligkeit teilt sich dem Leser auf ihre Weise mit;
und weil es in diesen Romanen weniger um Existenzprobleme des einzelnen geht als um das, was innerhalb einer
Gesellschaft geschieht, ist es um so leichter möglich, in Gesellschaft mit anderen darüber zu sprechen. Ein geselliger
Autor also ohne Frage!“
55
Ebd.
56
Friedrich Nietzsche, Über die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten (1872), in: Werke in drei Bänden. Hrsg. v. Karl
Schlechta, Bd. 3 München: Carl Hanser Verlag 1966, 175-263, S. 191.
57
Nietzsche, S. 231.
58
Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit (1851), Kapitel V: Paränesen und Maximen, in: Parerga
und Paralipomena, in: Werke in zehn Bänden. Zürcher Ausgabe, Bd. 8, Zürich: Diogenes 1977, 441-518, S. 447 f.
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